Tina Turner ist vergangene Woche im Alter von 83 Jahren gestorben — eine traurige Nachricht, auf die Lukas in der heutigen Sendung natürlich eingeht. Vorher gibt es aber noch neue Songs von The Lemon Twigs, Anna Tivel und Bleach Lab, Italo-Pop mit Tocotronic, einen Quasi-ESC-Song und eine Autoscooter-Hymne.
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Alle Songs:
The Lemon Twigs – Any Time Of Day
Anna Tivel – The Good Fight
Crucchi Gang feat. Tocotronic – In dubbio per il dubbio
Die Alben hatten wir schon, kommen wir nun zu den Songs des Jahres 2018. Da ich neben meinen Hauptquellen für neue Musikentdeckungen, “All Songs Cosidered” und Radioeins, auch wieder auf die (meist sehr guter) “Das könnte Dir gefallen”-Funktion von Spotify und diverse Zufallsfunde gesetzt habe, ist es wieder eine eher eklektische Liste, bei der ich nicht zu jedem Lied sonderlich viel sagen könnte.
Auch ist es eigentlich eine absurde Idee, diese Songs irgendwie gewichten und sortieren zu wollen — eigentlich ist spätestens ab Position 10 die Reihenfolge ziemlich willkürlich, weswegen man die Liste auch wieder sehr schön im Shuffle-Modus hören kann.
Aber ich dachte mir: Nach fünfjähriger Babypause ist mein Sohn inzwischen so alt, dass er eigene Ranglisten erstellen könnte, ((Seine Nummer 1, vermutlich: entweder “Africa” von Weezer oder “Solo” von Clean Bandit und Demi Lovato, was übrigens auch mein “Peinlichstes Lieblingslied des Jahres” sein dürfte.)) und weil ich ja auch wieder beruflich viel mehr über Musik schreibe, nehme ich mir jetzt 25 Songs und erkläre die zu einer (wie immer nur 0,3 Millisekunden lang exakt gültigen) Hitparade.
Lukas, stop voting now!
25. Catch Fire – Petrifaction
Autoradio ist schwierig, weil es in NRW natürlich kaum hörbare Radiosender mit Musik gibt. Aber in weiten Teilen der Bochumer Innenstadt empfange ich halbwegs gut CT das radio, meinen Heimatsender, dem ich auf ewig verbunden sein werde. Und da lief dieser Song: Heulende Gitarrenlicks, hämmernde Drums, Geschrei und “Why does everything that I touch turn to stone?” — ich war sofort wieder 19, die dunkel getönten Haare fielen mir in Strähnen ins Gesicht und ich wollte an irgendeinem Fluss stehen und bedeutungsschwer aufs Wasser starren. Es gibt ihn noch, den guten Emo!
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24. The Fratellis – I’ve Been Blind
The Fratellis, waren das nicht diese Indie-One-Hit-Wonder zu einer Zeit, als ich noch in der Musikredaktion von CT das radio tätig war? Was wollen die denn 13 Jahre später wieder (und was haben sie in der Zwischenzeit gemacht)? Nun, warten wir bis zum Refrain, der “Knowing Me, Knowing Me” von ABBA in eine Mitgröhlhymne für Studentenkneipen, Freitagsmorgens um halb zwei, das letzte Bier in die Luft gereckt, transferiert. Wo war dieser Song, als ich jung war?
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23. Hozier feat. Mavis Staples – Nina Cried Power
Wie wirkt dieser Song wohl auf Menschen, die die ganzen Referenzen und das ganze name checking nicht verstehen? Nun: Die jungen Leute haben es millionenfach gestreamt und auf ihren Radiosendern gehört, also wohl ebenfalls gut. Aber wie soll man sich auch diesem Groove und dieser Hymne über Hymnen widersetzen? Extra-Respekt dafür, sich so durch diesen Song zu croonen und dann das Spotlight auf Mavis Staples zu richten, deren Stimme natürlich noch ungefähr zehn mal wirkmächtiger ist! (Übrigens der einzige Song, auf den Barack Obama und ich uns letztes Jahr einigen konnten.)
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22. George FitzGerald – Burns
Ich gebe zu, soeben zum ersten Mal gegoogelt zu haben, wer George FitzGerald eigentlich ist (wobei die Informationen da auch nicht üppig sind). Aber dieser hypnotisch pumpende Elektro-Song hat mich seit Mitte März durch das Jahr begleitet. Sind das alles Stimmen? Synthesizer? Egal! Vor meinem geistigen Auge fahren U-Bahnen durch nächtliche Großstädte und alles ist cool und aufregend.
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21. Brand New Friend – Seatbelts For Aeroplanes
You’re like a seatbelt on an airplane with me lately
You’re more for making me feel safe than for actual safety
And for every single moment that you made me feel amazing
There were several other times that I felt kinda hazy
But I know I was never your everything, but
I hope I was something, so come on
Das ist exakt die Musik, die ich in 2:42 Minuten von einer Truppe 19-bis-23-Jähriger hören möchte, die ein Demo aufgenommen hatten, das dann “versehentlich” zum offiziellen Album erklärt und für den Northern Ireland Music Prize nominiert wurde.
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20. Oh Pep! – Truths
Bronze bei meinen Alben des Jahres und ein Song, der dieses Album wunderbar zusammenfasst: melancholisch und zerbrechlich, aber auch druckvoll und mit hintergründigem Text.
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19. Ariana Grande – No Tears Left To Cry
Schon für sich genommen sind diese drei Songs, die sich hier irgendwie zu einem vereinigen, ja ein echtes Fest. Wenn man dann auch noch mitdenkt, dass hier eine Frau strahlenden Optimismus verbreitet, ein Jahr, nachdem nach Abschluss ihres Konzerts in Manchester bei einem Bombenanschlag 22 Menschen getötet und mehr als 500 verletzt wurden, jagt einem das schon eine ganz schöne Gänsehaut den Rücken runter. So muss man aus so einer Geschichte erst mal wieder rauskommen! One love!
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18. Childish Gambino – This Is America
“Welche Rolle spielt das Musikvideo noch im Jahr 2018, wo niemand mehr Musikfernsehen guckt und auch YouTube eher zur Hintergrundberieselung genutzt wird?” — “Nun, lassen Sie mich so antworten:
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Ein politisch-kulturelles Gesamtkunstwerk, das hermeneutisch in tausende Einzelteile zerlegt werden konnte, und bei dem man sich den Song, nachdem man das Video einmal gesehen hat, nicht mehr ohne vorstellen kann. Offene Münder, der Wahnsinn!
17. MILCK – Black Sheep
MILCK, alias Connie Lim, wurde 2017 berühmt mit “Quiet”, der inoffiziellen Hymne des “Women’s March”. “Black Sheep” könnte man entsprechend als inoffizielle Hymne der “It Gets Better”-Bewegung bezeichnen: eine Liebeserklärung an alle, die anders sind, ausgegrenzt werden und sich alleine fühlen. “Don’t let anyone turn your unique into flaws / Yeah, you know that I love you the way that you are”. Hach!
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16. Restorations – St.
Am Tag nach meiner Geburtstagsfeier ging ich, nachdem ich alles so weit aufgeräumt und gespült hatte, im strahlenden Sonnenschein dieses unendlichen Sommers spazieren und hörte bei “All Songs Considered” diesen Song. Ich habe dann noch ein paar Umwege genommen, um direkt das ganze (24-minütige) Album zu hören. Anschließend musste meine Musikkolumne im “JWD”-Magazin noch mal geändert werden, denn “LP5000” musste natürlich sofort mit ins Heft!
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15. Janelle Monáe – I Like That
A little crazy, little sexy, little cool
Little rough around the edges, but I keep it smooth
I’m always left of center and that’s right where I belong
I’m the random minor note you hear in major songs
Wer braucht noch Musikjournalismus bei dieser Selbstbeschreibung?
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14. Tocotronic – Unwiederbringlich
Zwei Wochen nach der Beerdigung meines Großvaters saß ich mit meinem Sohn in seinem sonnendurchfluteten Kinderzimmer und hörte zum ersten Mal das neue Tocotronic-Album “Die Unendlichkeit”. Nach einem langen Kammermusik-Intro sang Dirk von Lowtzow “Dein Tod war angekündigt / Das Leben ging dir aus / Unwiederbringlich / Schlich es aus dir hinaus”. Ich saß da, hörte, biss mir auf die Unterlippe und war unwiederbringlich an dieses Lied verloren. Was da lyrisch abgeht, ist intellektuell kaum zu fassen, das knallt direkt in die Magengrube!
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13. Paenda – Paper-Thin
Was haben die Österreicher eigentlich im Trinkwasser, dass sie uns jetzt – obwohl nur ein Zehntel der Einwohnerzahl Deutschlands – seit Jahren vormachen, wie Popmusik noch mal geht? Und damit meine ich nicht nur Wanda und Bilderbuch (und Falco, hohoho), sondern auch weitgehend unbekannte Juwele wie die Wienerin Gabriela Horn alias Paenda, die sich mit ihrem vielschichtigen Elektropop hier irgendwo zwischen Shura, Robyn und Sia einreiht.
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12. Mitski – Nobody
Bei manchen Liedern kann ich exakt erklären, warum ich sie liebe, bei anderen eher gar nicht. Aber vermutlich passt hier einfach alles exakt richtig zusammen: vom Text über die Instrumentierung und den Beat bis zur allgemeinen Anmutung, die dann im entscheidenden Moment mehr als nur einen Hauch an “Lovefool” von den Cardigans erinnert.
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11. Andrew McMahon In The Wilderness – House In The Trees
Es brauchte knapp 13 Sekunden. Andrew McMahon hatte noch gar nicht angefangen zu singen, da wusste ich schon, dass ich diesen Song lieben würde: Das Intro, das ein bisschen an „Sky High“ von Ben Folds Five erinnert, die The-War-On-Drugs-Gitarren — und dann dieser Text von Freundschaften, die irgendwann einfach nicht mehr die selben sind. Andrew McMahon hatte einmal mehr einen Song geschrieben, der direkt zu mir sprach — ja, mehr noch: der sich anfühlte, als hätte ich ihn schreiben können, wenn ich nur mehr Talent hätte und mir ein bisschen Mühe geben würde.
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10. Marteria & Casper – Champion Sound
Deutschsprachiger Hiphop ist für mich wirklich schwierig: entweder so stumpf, menschen- und frauenverachtend dumm und von allen guten Geistern verlassen wie die Rapper-Karikaturen Kollegah und Cillit Bang, oder so egal gealtert wie die Überlebenden der ersten Welle in den 1990er Jahren (Fanta Vier, Fettes Brot, Beginner). Aber es gibt ja noch Casper und Marteria: Als die “Champion Sound” vorlegten, dieses feiste Brett, das den “Wir sind die Coolsten”-Gestus mit so viel Witz, Liebe zum Detail und dickem Bläsersatz erträglich machte, dachte ich, dass sie mit ihrem gemeinsamen Album alles in den Schatten stellen würden. Ganz so übermäßig gut war “1982” dann leider doch nicht, aber dieser Song: meine deutschsprachige Nr. 1, wie ich schon jetzt verraten möchte.
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9. Metric – Now Or Never Now
Erinnert sich noch jemand an Briskeby, dieses norwegische Mini-One-Hit-Wonder, das vor … puh: 18 Jahren mal kurzzeitig als nächstes großes Ding gehandelt wurde? Nun, Metric klingen auf “Now Or Never Now”, als hätten sie der Band ein Denkmal setzen wollen — was ja nun echt absurd wäre, weil Metric ja nun wirklich genug eigenes Renommee mitbringen. Aber weil ich das Briskeby-Debüt damals mochte, hat mich dieser Song irgendwie schwer abgeholt. Und dass der Song in der Albumversion volle fünf Minuten braucht, bis er seine Hook (und Titelzeile) erreicht, macht ihn auch noch mal ein bisschen toller!
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8. The Go! Team – Semicircle Song
Bläser und Drumline, die noch fetter sind als bei Marteria & Casper, Gesang, bei dem man dreimal nachgucken muss, ob man da nicht gerade die Jackson 5 hört, und Menschen, die ihre Sternzeichen aufzählen — völlig normale Zutaten für einen Song, den man eigentlich nur lieben kann. Und da: ein Glockenspiel!
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7. Leoniden – Kids
“Again”, ist, wie gesagt, ein sehr, sehr Album. Und “Kids” ist der beste unter einer ganzen Reihe sehr guter Songs. Fuck it all, we killed it tonight!
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6. DJ Koze – Seeing Aliens
Die “Extended Breakthrough Listen”-Version dauert 8:17 Minuten und wird dabei an keiner Stelle langweilig. Irgendwo zwischen Burial und Underworld stapeln sich hier irgendwelche Sounds über einem treibenden Beat, der immer mal wieder ein- und ausgefadet wird, weswegen der ganze Track mehr nach einer Zug- oder Autofahrt klingt, bis sich dann der eigentliche Song hervorschält, der es schafft, gleichzeitig völlig frisch zu klingen und so, als würde man ihn bereits seit 25 Jahren kennen.
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5. Christine And The Queens – 5 Dollars
Definitiv Roséwave, definitiv queer, also definitiv ein Song nach meinem Geschmack!
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4. Meg Myers – Numb
Wenn man in einem Seminar erklären müsste, wie man einen Song aufbaut, empfehle ich “Numb”: vorsichtig reingrooven, langsam steigern, dann alle Tore öffnen und alles in einer finalen Refrain-Zeile kulminieren lassen, die das Festival-Publikum im Zweifelsfall auch bei 2 Promille noch mitbrüllen kann. Ach, für diesen Song müsste man das Bizarre-Festival wieder auferstehen lassen!
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3. Hayley Kiyoko – Curious
Sie wolle nur wissen, ob es was Ernstes sei, singt Hayley Kiyoko und ihr “If you let him touch ya, touch ya, touch ya, touch ya, touch ya, touch ya / The way I used to, used to, used to, used to, used to, used to” lässt ferne Erinnerungen an eine der dramatischsten Fragen der Popgeschichte wach werden: “Does it feel the same / When she calls your name?” (“The Winner Takes It All”, natürlich). Dass da eine Frau singt, der neue Partner der/des Besungenen aber ein Mann ist, verwirrt höchstens alternde Englischlehrer*innen, die bei diesem Musikvideo einen roten Kopf bekommen: It’s 20GAYTEEN, remember?
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2. Big Red Machine – Hymnostic
Wir unterbrechen diese Galerie junger Frauen kurz für zwei nicht mehr gaaaanz so junge Männer (37 und 42, oh, verdammt!): Justin Vernon (Bon Iver, Volcano Choir, The Shouting Matches, usw. usf.) und Aaron Dessner (The National) haben gemeinsam ein Album aufgenommen, das die Zeit bis zu den neuen Alben von Bon Iver und The National wunderbar überbrückt. Und das mit “Hymnostic” eine langsam vor sich hin gospelnde Single hat, die die Sonne in jeder noch so tiefen Nacht aufgehen lässt.
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1. Rae Morris – Do It
Was zu erwarten war: Im März hatte ich mich in “Do It” verliebt und seitdem nichts unversucht gelassen, den Song zum Sommerhit des Jahres 2018 zu pushen. Das hat auf offizieller Ebene nicht geklappt, aber mein Sohn singt begeistert den Refrain mit und was will man da noch mehr verlangen? Ein Song, ein Video, ein Album, wo nahezu alles stimmt und deshalb – die Statistiker unter Ihnen hatten schon aufgeregt in ihren Unterlagen gewühlt – gehen die Auszeichnungen für “Album des Jahres” und “Song des Jahres” erstmals seit zwölf Jahren (“Buchstaben über der Stadt” und “New York” von Tomte — und wer mich ein bisschen kennt, weiß, welche Fußstapfen das sind!) wieder an ein und denselben Act. Herzlichen Glückwunsch, Rae Morris!
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(Weiterer statistischer fun fact: Rae Morris ist damit der erste Act überhaupt in der 18-jährigen Geschichte meiner persönlichen Bestenlisten, der zum zweiten Mal den Titel “Song des Jahres” einfahren konnte. Wow!)
Und hier sind alle 60 Songs in einer praktischen Spotify-Playlist, die sehr, sehr gut ist:
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In Großbritannien ist der Absatz von CDs im vergangenen Jahr um 23% eingebrochen. Wenn das in Deutschland ähnlich aussehen – und die Zahlen des ersten Halbjahres deuten darauf hin – trifft mich sicherlich eine Mitschuld, denn so wenige CDs gekauft wie im letzten Jahr habe ich bestimmt seit 20 Jahren nicht mehr.
Dafür habe ich (auch weil ich endlich mal wieder richtig musikjournalistisch tätig bin) so viel Musik gehört wie seit vielen Jahren nicht mehr — und zwar über Spotify, was sich für mich immer noch so anfühlt, wie an diesen Hörstationen, die es früher im Saturn gab, kurz in die CD reinzuhören, die man in der Hand hält, ohne die Hülle öffnen zu müssen.
Ich bin, wie schon mal angedeutet, medial konservativ: Ich mag lineares Fernsehen, weil ich mich dort nur zwischen knapp 80 Sendern (realistischerweise für mich: zwölf) entscheiden muss und nicht zwischen zehntausenden Streaming-Angeboten. ((Ich nutze gerade einen Monat lang Netflix, weil ich “Springsteen on Broadway” sehen wollte, und ich finde diese ganze Plattform so schlimm, dass ich fast schon Angst vor großen, roten “N”s habe, wenn ich sie irgendwo sehe.)) Ich lese Texte am Liebsten auf Papier, weil ich dann hinterher wenigstens noch ungefähr weiß, was drin stand. Und ich habe meine Musik und Filme gerne auf kleinen silbernen Scheiben, die kaputt gehen können, wenn sie in die Hände von Kleinkindern geraten oder 30 Jahre rumstehen.
Und selbst, wenn im letzten Jahr nur wenige CDs zu meiner Sammlung hinzugekommen sind, glaube ich immer noch an die Idee des Albums, also eines in sich geschlossenen Werks, bei dem die einzelnen Stücke in einer Reihenfolge stehen, die die Künstler*innnen kurz vor der Veröffentlichung als definitiv erachtet haben — weswegen es mich auch wahnsinnig macht, wenn auf “Special Editions” zum x. Jubiläum eines Albums plötzlich die Reihenfolge oder gar die Auswahl der Songs geändert werden.
Lange Rede, kurzer Sinn: Hier sind meine 10 Alben des Jahres 2018!
10. Hayley Kiyoko – Expectations (Spotify, Apple Music)
Am 1. Januar 2018 rief Hayley Kiyoko via Twitter das Jahr “20GAYTEEN” aus — und tat danach alles, damit sich ihre Vorhersage bewahrheitet. Ihr Debütalbum “Expectations” ist zu weiten Teilen Roséwave in Reinform und damit genau das, was ich in diesem unendlichen Sommer hören wollte!
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9. Tocotronic – Die Unendlichkeit (Spotify, Apple Music)
Viel, viel, viel zu selten gehört: Angekündigt als “Konzeptalbum” und “Autobiographie in 12 Kapiteln” (das Album enthält 16 Titel) durfte man vorab ein bisschen besorgt, aber auch gespannt sein. Tocotronic haben alle Erwartungen pulverisiert und ein Werk (ja: ein Werk!) vorgelegt, das in so viele Richtungen geht, in so vielen Farben schillert und doch genau die Essenz dieser Band wiedergibt.
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8. Restorations – LP5000 (Spotify, Apple Music)
24 Minuten, sieben Songs — mehr braucht es nicht für ein beeindruckendes Album, das Geschichten aus einem Amerika erzählt, das verwirrt und gespalten ist. Mit heulenden Gitarren, Rock’n’Roll-Gesten und Pathos, mit Bruce Springsteen im Tank und The Gaslight Anthem, The Hold Steady und Japandroids im Rückspiegel (wo die Dinge ja immer ferner erscheinen, als sie in Wirklichkeit sind).
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7. Clueso – Handgepäck I (Spotify, Apple Music)
Da hätte ich jetzt auch nicht unbedingt mit gerechnet: Dass Clueso ein Album rausbringt, das mich so abholt und mitnimmt. Darüber, wie es ist, unterwegs zu sein und an zuhause zu denken, über die Welt und die eigene Rolle darin — sehr reduziert und sehr anrührend. Benjamin von Stuckrad-Barre schwärmte von “Cluesos ‘Sea Change'”, mich hat es in seiner Wirkmächtigkeit an Tom Liwas “St. Amour” erinnert. (Fun fact: Clueso ist inzwischen ziemlich genau so alt wie Tom Liwa, als der “St. Amour” aufgenommen hat. Uff!)
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6. Andrew McMahon In The Wilderness – Upside Down Flowers (Spotify, Apple Music)
Okay, okay: Andrew McMahon ist mir so nahe wie sonst nur Ben Folds, kettcar und R.E.M. (und vielleicht noch ein, zwei Dutzend andere Acts), aber nach dem letzten Album “Zombies On Broadway” hatte ich ehrlich gesagt nicht mehr mit viel gerechnet. Umso erfreuter war ich, dass sich “Upside Down Flowers” als Rückkehr zu alten Höhen entpuppte. Vielleicht habe ich das Album nach seinem Erscheinen im November ein bisschen überdosiert, aber: Es ist auch wirklich gut!
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5. Meg Myers – Take Me To The Disco (Spotify, Apple Music)
Sie mochten Garbage, Hole, Fiona Apple, Garbage, Tori Amos und Skunk Anansie und sind traurig, dass die 1990er Jahre vorbei sind? Verzweifeln Sie nicht: Ziehen Sie sich Ihr Holzfällerhemd an, legen Meg Myers’ zweites Album auf und drehen die Lautstärke hoch! So viel Druck, so viel Intimität und so verdammt kluge Texte! (Letztlich also auch irgendwie für Leute, denen Taylor Swifts “Reputation” nicht konsequent genug war.)
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4. Leoniden – Again (Spotify, Apple Music)
Da hätte ich jetzt auch nicht mit gerechnet: Dass aus Deutschland noch mal ein richtig gutes Indierock-Album kommt — auf Englisch! 32 Minuten, zehn Songs, aber Ideen für knapp 50: Auf “Again” passiert so viel, dass man eigentlich Buch führen müsste — was leider nicht geht, weil das Album so sehr groovt. Ich scheue mich nicht, Leoniden in der Tradition der ganz großen deutschen Indierocker wie Pale und Miles zu sehen. Vielleicht klappt’s ja diesmal mit dem großen Erfolg!
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3. Oh Pep! – I Wasn’t Only Thinking About You… (Spotify, Apple Music)
Irgendwo zwischen Folk und Indierock ruht das zweite Album des australischen Frauenduos Oh Pep! (Fun Fact: Pepita Emmerichs [Violine, Mandoline] hat in der Verfilmung von “Wo die wilden Kerle wohnen” die große Schwester von Max gespielt — und man muss ja alle Menschen, die irgendetwas mit diesem absolut wundervollen Film zu tun hatten, eigentlich schon deshalb toll finden!) Ich höre Melancholie, Trost, Anflüge von Sarkasmus und Wut und zehn grandiose Songs.
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2. DJ Koze – Knock Knock (Spotify, Apple Music)
Während die meisten Alben hier auf meiner Liste die Halbstunden-Marke nicht signifikant überschreiten, ist “Knock Knock” eher unknackige 78 Minuten lang. So viel Zeit brauchen die Tracks aber auch, um sich aufzubauen, auszubreiten und die Hörer*innen einzuwickeln wie in eine warme Decke. Mit illustren Gästen wie Róisín Murphy, José Gonzales und Kurt Wagner hat DJ Koze ein abwechslungsreiches Album zusammengebaut, das auch schon 20 Jahren alt sein könnte — was hier ausdrücklich als Kompliment gemeint ist.
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1. Rae Morris – Someone Out There (Spotify, Apple Music)
Wenn ich im März begeistert bin, kann sich das auch mal bis in den Dezember halten: Rae Morris hat mit ihrem zweiten Album einfach mein Album des Jahres aufgenommen — leicht, verspielt, melancholisch, humorvoll, warmherzig und sexy. Kurzum: Wäre dieses Album ein Mensch, wäre es der perfect crush.
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Wenn wir über deutschsprachige Musik im Jahr 2017 sprechen, können wir natürlich von den weichen Zielen, den pop culture punching bags reden wie Max Giesinger, Mark Forster oder Julia Engelmann. So, wie man US-amerikanische Musik an Shania Twain, Imagine Dragons und den Chainsmokers festmachen könnte. Wäre natürlich nur Quatsch.
Es reicht eigentlich, wenn man nur wenige Millimeter vom Mainstream abbiegt — schon hat man Künstler und Bands, die tatsächlich etwas zu sagen haben. Dieses Jahr z.B. Schrottgrenze, kettcar und Casper.
Heute haben Tocotronic den sog. ersten Vorboten ihres kommenden Albums “Die Unendlichkeit” (VÖ: 26. Januar 2018) rausgehauen:
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Mal davon ab, dass ich bei dem jungen Mann in weißer Kleidung und mit langen schwarzen Haaren die ganze Zeit an Andrew W.K. denken musste: gutes Video, das die amerikanische Vorstadthölle 1:1 ins Deutsche übersetzt (so, wie es die Stadtplaner auch schon getan haben), beeindruckender Song, Haltung.
Auch schön: Auf dem aktuellen Bandfoto geht Arne Zank als Steven Spielberg und Rick McPhail als J Mascis.
Nach gut drei Jahren Coffee And TV dachten wir, es sei mal an der Zeit, irgendwas anders zu machen. Nachdem die Kategorie “Listenpanik” (deren Titel sich übrigens exakt niemand mehr erklären kann) im vergangenen Jahr von ihrer Ranglistenhaftigkeit befreit worden war, haben wir sie jetzt endgültig in die Tonne getreten. Und durch etwas – wie wir finden – viel Besseres ersetzt:
Ab jetzt wird nicht mehr Herr Heinser alleine erzählen, welche neuen Platten seinen “schon arg mainstreamigen Geschmack” (O-Ton gute Freundin) getroffen haben — Nein: Das ganze Team darf ran.
Es wird weiterhin grob nach Veröffentlichungsterminen gestaffelt (weswegen wir überraschenderweise mit den empfehlenswerten Veröffentlichungen des Monats Januar beginnen) und dann einfach alphabetisch sortiert.
Beach House – Teen Dream
Beach House sind angeblich Dream Pop, was auch immer das sein mag. Ihre letzte Platte “Devotion” kannte ich nur, weil ich mich nach ihrem Erscheinen ein paarmal dazu gezwungen hatte, sie nebenher laufen zu lassen, wenn ich gerade den Abwasch machte oder staubsaugte. Irgendwann muss sie dann aber doch hängengeblieben sein, denn als ich davon hörte, dass es einen Nachfolger geben würde, stiegen ungekannte Affektationen für diese Band in mir herauf, und seither freue ich mich über diese Platte wie ein kleines Kind, das sich wahrscheinlich über etwas anderes freut als eine Platte. Verträumt ist sie ja nun auch schon, aber das als konstituierendes Merkmal zu bezeichnen, würde ich vielleicht unterlassen angesichts der durchaus auch tonal innovativen Songs, die sich nur auf den ersten Blick wie Schablonenpop zeigen. (MS)
Eels – End Times
Das letzte Eels-Album “Hombre Lobo” ist gerade ein halbes Jahr alt, da kommt auch schon der Nachfolger. Die richtig rumpelnden Songs sind diesmal nicht dabei, E hat mindestens einen Gang zurückgeschaltet, so ungefähr “Daisies Of The Galaxy” mit weniger Zuckerguss. “End Times” erinnert mal wieder an eine Therapiesitzung, Dramatik und Humor prügeln sich um die Vorherrschaft und am Ende sagt die erste Strophe von “A Line In The Dirt” wahrscheinlich alles: “She locked herself in the bathroom again / So I am pissing in the yard / I have to laugh when I think how far it’s gone / But things aren’t funny any more”. Man möchte Mark Oliver Everett am liebsten in den Arm nehmen — um ihn zu trösten und sich zu bedanken. (LH)
Tommy Finke – Poet der Affen/Poet Of The Apes
Natürlich kann man es etwas überambitioniert finden, ein Doppelalbum zu veröffentlichen, bei dem jeder Song einmal auf Deutsch und einmal auf Englisch enthalten sind. Und tatsächlich wäre “Poet der Affen” ohne englische Zugabe schon eine runde Sache gewesen — aber man muss ja nicht beide Seiten hören. Aber zwei CDs zum Preis von einer sind erstens was nettes (Nicht wahr, Axl Rose und Connor Oberst?) und zweitens entwickeln Songs wie das famose “Borderline Betty”, die wunderbare Single “Halt’ alle Uhren an” (die irritierenderweise jetzt in beiden Versionen “Stop The Clocks” heißt) oder das schwer traurige “Die Tiere suchen Futter” noch einmal eine ganz andere Bedeutung, wenn man auch ihre englischsprachigen Geschwister hinzuzieht. “Poet der Affen” hat das an Gefühl, was dem letzten kettcar-Album fehlte. (LH, Rezensionsexemplar)
First Aid Kit – The Big Black And The Blue
Es war mit Sicherheit eines der außergewöhnlichsten Konzerte des Jahres, als diese zwei jungen schwedischen Schwestern da letztes Jahr am hellichten Tag in einem Zelt auf einem zentralen Osloer Platz spielten und die Kiefer der Zuschauer reihenweise runterklappten: First Aid Kit hatten das by:larm im Sturm erobert. Jetzt ist ihr Debütalbum erschienen, das ohne Fleet-Foxes-Coverversionen auskommen muss, aber trotzdem wundervoll geworden ist. Klara und Johanna Söderberg singen immer noch über Themen, von denen sie altersbedingt eigentlich gar keine Ahnung haben dürften, und sie tun das nach wie vor gerne zweistimmig und Gänsehaut verursachend. Den sparsamen Folk-Arrangements amerikanischer Prägung merkt man nicht an, dass sie in Europas Pop-Nation Nummer 2 entstanden sind — das klingt schon sehr nach weiter Prärie und schneebedeckten Bergen. Aber letztere hat man ja im Moment sowieso überall. (LH)
Owen Pallett – Heartland
Warum Owen Pallett nun auch offiziell Owen Pallett heißt und nicht mehr Final Fantasy, könnte vielerlei Gründe haben. Gehen wir davon aus, dass man als erwachsener Mann nicht mit einer eher mittelmäßigen Videospielreihe verwechselt werden will, darauf immerhin können wir uns sicher einigen, alles andere wäre auch Spekulation und außerdem der klaren Sicht auf das Hörergebnis völlig im Weg. Das ist nämlich ziemlich schön, meines Erachtens im Gegensatz zu älteren Final-Fantasy-Produkten, bei denen ich mich meistens nach der Hälfte nur noch beim unwillkürlichen Durchskippen erwischte. Hier allerdings wurde gut gespielt, gut arrangiert und mit Spannung gearbeitet. Das Durchhören eines Albums, ohne wegschalten zu müssen, ist zwar im Normalfall kein hochgradig qualitatives Merkmal, aber weil mir das bei dem jungen Mann hier zum ersten Mal passiert, lassen Sie mir doch bitte die Freude das abzufeiern und Herrn Pallett schulterklopfend gratulieren zu wollen. (MS)
Surfer Blood – Astro Coast
Hervorragendes Album, dem man es (natürlich auf Autosuggestion begründet) durchaus anhören kann, dass es nicht in einem Studio, sondern komplett in einem Stockbettschlafzimmer aufgenommen worden ist. Dass verstärkte Gitarren und ein echtes Schlagzeug involviert waren, mindert den meterhohen Stoß Ruhestörungsbeschwerden der Nachbarn an den zuständigen Universitätsdekan sicherlich nicht. Verhaltenheit und schlechtes Gewissen hört man hier aber trotzdem äußerst selten. (MS)
Tocotronic – Schall & Wahn
Um Tocotronic zu verstehen sind mutmaßlich bedeutend mehr Semester Germanistik vonnöten, als ich jemals ausgehalten hätte. So kann ich sie also nur hören, was aber auch wie üblich ein Erlebnis ist: So laut und gitarrenbetont klang schon lange kein Tocotronic-Album mehr. So düster allerdings auch nicht — bei den ersten vier Songs deuten schon die Titel an, wohin die Reise geht: “Eure Liebe tötet mich”, “Ein leiser Hauch von Terror”, “Die Folter endet nie”, “Das Blut an meinen Händen”. Aber spätestens wenn Graf Macbeth zur Halbzeit mit “Bitte oszillieren Sie” den größten Toco-Unterhaltungsschlager seit ungefähr “Die Welt kann mich nicht mehr verstehen” anstimmt und Journalisten den Text im Interview sehr ernsthaft zu entschlüsseln versuchen, klopft die Frage an, wie viel die Band eigentlich noch ernst meint und wie viel Spaß am Vorführen von Feuilletonisten dabei ist. Die Antwort könnte allerdings auch total egal sein, denn man kann Tocotronic ja auch ganz wunderbar hören ohne sie verstehen zu wollen. (LH)
Mitarbeit an dieser Ausgabe:
LH: Lukas Heinser
MS: Markus Steidl
Heute vor zehn Jahren saß ich in einem Zug nach Berlin, hörte “You Get What You Give” von den New Radicals und damit begann dann meine Musikbegeisterung (nachzulesen hier). ((Mir fiel gerade erst auf, dass ich den Song vermutlich nur deshalb im Bordradio gehört habe, weil ich den ursprünglichen ICE verpasst hatte. Nach all diesen Jahren stelle ich fest, dass ausgerechnet eine Regionalbahn-Verspätung mein Leben verändert hat!))
In der Folgezeit fing ich an, Gitarre zu lernen, in Bands zu spielen, Festivals zu besuchen, über Musik zu schreiben und irgendwann sogar Radiosendungen darüber zu moderieren. Am Jahr 1999 führt auch heute noch kein Weg dran vorbei: Ein großer Teil meiner Lieblingsalben und -songs erschien in eben diesem Jahr.
Mit ein wenig kulturwissenschaftlichem Übermut könnte man vielleicht sogar das Fin de siècle bemühen um zu erklären, warum ausgerechnet kurz vor dem Jahrhundertende plötzlich reihenweise große Kunst entstand. Denn selbst wenn man zugute hält, dass 15, 16 immer ein besonders prägendes Alter ist und Menschen, die heute in diesem Alter sind, vermutlich in zehn Jahren das Gleiche über 2009 sagen werden: Vor zehn Jahren war eine ganze Reihe von Bands und Künstlern auf dem Höhepunkt ihres Schaffens.
Da waren längst nicht nur die New Radicals mit ihrem einzigen Album: Ben Folds Five verausgabten sich mit ihrem Meisterwerk “The Unauthorized Biography Of Reinhold Messner” derart, dass sie sich ein Jahr später auflösten; Travis haben viele gute Alben aufgenommen, aber so dicht wie “The Man Who” klang keines mehr; Moby errichtete sich mit “Play” sein eigenes Denkmal, von dessen Lizensierungen für Spielfilme und Werbespots er sich einen kleinen Staat kaufen könnte. Und selbst, wenn ich einige der ’99er Alben erst Jahre entdeckte: Das war schon ein ganz besonderer Jahrgang.
Und damit Sie wissen, wovon zum Henker ich eigentlich rede, hier eine unsortierte Liste von Alben aus besagtem Jahr:
Travis – The Man Who
Anspieltipp: Driftwood Ben Folds Five – The Unauthorized Biography Of Reinhold Messner
Anspieltipp: Your Redneck Past New Radicals – Maybe You’ve Been Brainwashed Too ((Dass das Album bereits im Oktober 1998 auf den Markt kam, ist ein Detail, durch das ich mir nicht meine Geschichte kaputt machen lasse.))
Anspieltipp: Flowers Foo Fighters – There Is Nothing Left To Lose
Anspieltipp: Next Year Jimmy Eat World – Clarity
Anspieltipp: Blister Stereophonics – Performance And Cocktails
Anspieltipp: Just Looking Moby – Play
Anspieltipp: Porcelain Red Hot Chili Peppers – Californication
Anspieltipp: Scar Tissue Tocotronic – K.O.O.K.
Anspieltipp: Jackpot The Get Up Kids – Something To Write Home About
Anspieltipp: I’ll Catch You Sigur Rós – Ágætis Byrjun
Anspieltipp: Svefn-G-Englar Wilco – Summerteeth
Anspieltipp: Nothing’severgonnastandinmyway(again) 3 Colours Red – Revolt
Anspieltipp: Beautiful Day Blink-182 – Enema Of The State
Anspieltipp: What’s My Age Again? Blur – 13
Anspieltipp: Coffee And TV
Natürlich erschienen danach noch viele großartige Alben (ein Jahr später beispielsweise “Kid A” von Radiohead und das Coldplay-Debüt “Parachutes”), aber ein Jahr wie 1999 habe ich seitdem nicht mehr erlebt.
Ich bin medizinisch nicht sehr bewandert, von daher weiß ich nicht, ob es analog zum Blinddarm-Durchbruch auch einen Hirn-Durchbruch gibt. Zumindest gibt es eine Art Dammbruch (diesmal nicht medizinischer, sondern wasserbaulich-metaphorische Natur), was die Verwendung von dummen, kranken, naheliegenden, anstrengenden und mehrfach gebrochenen (auch nicht medizinisch, sondern ironisch) Obama-Anspielungen angeht.
Hier eine kleine Auswahl der aktuellsten Kanntastrophen-Meldungen:
Liebe FreundInnen,
es ist unfassbar: Anläßlich des Tages der Deutschen Einheit hat der ansonsten von uns hochgeschätzte Musikvideosender MTV auf seiner Internetseite unter der Überschrift “Heimatmelodien” (!) ein Voting für den besten deutschen Songtext (“Deutschland – Land der Dichter und Denker”) gestartet. Auch unsere Gruppe, Tocotronic, ist dort mit dem Text zu dem Lied “Imitationen” vertreten. Wir möchten ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir nichts, aber auch gar nichts von unserer Teilnahme an dieser höchst zweifelhaften Aktion gewußt haben und wir auch nichts von solchen heimatduseligen Lyrikwettbewerben halten. Im Gegenteil: Eine solches Voting repräsentiert so ziemlich das genaue Gegenteil der von uns propagierten Inhalte. Dies nur mal so nebenbei.
Viele Grüsse
Tocotronic
Mitte Dezember, also noch vor Ende des Jahres, aber weit nach den meisten anderen Magazinen, hatte ich zur Leserwahl gerufen. Immerhin 36 Leute haben teilgenommen, was ich für den Anfang schon mal ganz ordentlich finde. Die Gewinner der Verlosung werden in Kürze gelost und benachrichtigt wurden inzwischen gelost und benachrichtigt.
Nachdem ich mich erst einmal in Excel vertieft und mir einen Plan gemacht hatte ((Wen es wirklich interessiert: Bei den Alben und Songs, wo jeder bis zu fünf Favoriten benennen durfte, erfolgte die Auswertung wie folgt: Für die Nr. 1 gab es fünf Punkte, für Nr. 2 vier, usw.
Bei Punktgleichheit entschied bei den Alben zunächst der höhere Durchschnittswert (manche Künstler können 10 Punkte mit zwei Nennungen erhalten, andere mit fünf), anschließend der höchste Einzelwert (“einmal fünf Punkte und einmal einer” schlägt “zweimal drei Punkte”). Waren auch die gleich, teilen sich zwei Alben einen Platz.
Bei den Songs war das zweite Kriterium dann nicht der höhere Durchschnittswert, sondern die Häufigkeit der Nennung. Ich denke, das ist bei einer Auswahl von zehn, zwölf Songs pro Album fairer, weil sich so ein besserer Trend ablesen lässt, bin aber für Verbesserungsvorschläge offen.)), war die Auswertung auch gar nicht mehr so schwierig. Allerdings ist die Streuung bei 36 Teilnehmern und freier Auswahl natürlich mitunter ein wenig hoch, weswegen es in manchen Kategorien gar keinen klaren Sieger gibt.
Aber sehen Sie sich die folgenden Zahlenkollonen am Besten selbst an:
Album des Jahres
1. Bloc Party – A Weekend In The City (4,5%)
2. Arcade Fire – Neon Bible (4,31%)
3. Radiohead – In Rainbows (4,12%)
4. Maxïmo Park – Our Earthly Pleasures (3,53%)
5. Die Fantastischen Vier – Fornika (3,14%)
6. Tocotronic – Kapitulation (2,75%)
7. Kilians – Kill The Kilians (2,75%)
8. Feist – The Reminder (2,16%)
9. Wir sind Helden – Soundso (2,16%)
10. Jamie T – Panic Prevention (1,96%)
11. Justice – † (1,96%)
12. Kate Nash – Made Of Bricks (1,96%)
13. Beatsteaks – Limbo Messiah (1,76%)
14. Die Ärzte – Jazz Ist Anders (1,76%)
15. The Fratellis – Costello Music / The Good, The Bad & The Queen – The Good, The Bad & The Queen (je 1,57%)
16. Interpol – Our Love To Admire / PJ Harvey – White Chalk (je 1,37%)
17. Foo Fighters – Echoes, Silence, Patience And Grace (1,37%)
18. Kaiser Chiefs – Yours Truly, Angry Mob / Okkervil River – The Stage Names (je 1,18%)
19. Mika – Life In Cartoon Motion (1,18%)
20. Arctic Monkeys – Favourite Worst Nightmare (1,17%)
Song des Jahres
1. Kaiser Chiefs – Ruby (3,34%)
2. Die Ärzte – Junge (2,95%)
3. Kilians – When Will I Ever Get Home (2,55%)
4. Band Of Horses – Is There A Ghost (1,77%)
5. Wir Sind Helden – The Geek (Shall Inherit) (1,57%)
6. Foo Fighters – The Pretender / Maxïmo Park – Books From Boxes / Razorlight – America (je 1,57%)
7. Interpol – The Heinrich Maneuver / Shout Out Louds – Tonight I Have To Leave It (je 1,38%)
8. Kate Nash – Foundations / Mika – Grace Kelly (je 1,38%)
9. Jamie T. – Calm Down Dearest / Tocotronic – Kapitulation (je 1,18%)
10. Arcade Fire – No Cars Go / Ryan Adams – Goodnight Rose (je 1,18%)
Band des Jahres
1. Kilians (12,12%)
2. Beatsteaks (9,09%)
3. Arcade Fire / Bloc Party (je 6,06%)
4. Animal Collective / Arctic Monkeys / Axxis / Basta / Beginner / Cloud Cult / Die Ärzte / Die Fantastischen Vier / Editors / Good Shoes / Ike Reilly Assassination / Maxïmo Park / Muse / Radiohead / Rot Front Berlin / Tegan And Sara / The Coral / The Good, The Bad & The Queen / The National / The Redwalls / Tocotronic / Travis (je 3,03%)
Solokünstlerin des Jahres
1. Kate Nash (21,88%)
2. Amy Winehouse (12,5%)
3. Feist / Nelly Furtado (je 9,38%)
4. PJ Harvey (6,25%)
5. Anna Ternheim / Anneke van Giesbergen / Beth Hart / Britta Persson / Eilen Jewell / Emily Haynes / Joanna Newsom / Kylie Minogue / Maria Mena / Rihanna / Róisín Murphy / Rose Kemp / St. Vincent (je 3,13%)
Solokünstler des Jahres
1. Jack Peñate / James Blunt / Jan Delay / Mika / Ryan Adams (je 5,88%)
2. Albert Hammond, Jr. / Ben Harper / Bernd Begemann / Bill Callahan / Black Francis / Christian Venus / Damien Rice / Devendra Banhart / Devin Townsend / Hagen Rether / Heinz Strunk / Herbert Grönemeyer / Jamie T / Jason Isbell / Joe Bonamassa / José Gonzáles / Marc Cohn / Patrick Wolf / Paul McCartney / PeterLicht / Pohlmann / Prinz Pi / Sage Francis / Thees Uhlmann (je 2,94%)
Liveact des Jahres
1. Arcade Fire / Beatsteaks / Bloc Party (je 6,06%)
2. 2Raumwohnung / Amiina / Animal Collective / Basta / Deichkind / Die Fantastischen Vier / Editors / Element Of Crime / Fettes Brot / Interpol / Jan Delay / Kaiser Chiefs / Malajube / Muse / Nine Inch Nails / Patrick Wolf / Pelle Carlberg / Queens Of The Stone Age / Seeed / Shawn Colvin / Subway To Sally / Take That / The Hives / The Hoid Steady / The Killers / The Pipettes / Travis (je 3,03%)
Newcomer des Jahres
1. Kilians (34,38%)
2. Mika (9,38%)
3. Justice (6,25%)
4. Angry Teng / Bishi / Die Türen / Goose / Ha Ha Tonka / Jonas Goldbaum / Kate Nash / Lucky Soul / Marc Cohn / Mark Medlock / Roger Cicero / Rose Kemp / The Nobody’s Faults / Timbaland / Toni Kroos / Voxtrot (je 3,13%)
Musikvideo des Jahres
1. Bloc Party – The Prayer / Feist – 1234 / Kilians – Enforce Yourself / Travis – Closer (je 8,7%)
2. Beatsteaks – Cut Off The Top / Die Ärzte – Junge / Die Fantastischen Vier – Ernten was wir säen / Helloween – As Long As I Fall / Justice – D.A.N.C.E. / Kate Nash – Foundations / Muff Potter – Fotoautomat / Pink – Dear Mr. President / Sigur Rós – Glosoli / Sportfreunde Stiller – (Tu nur das) Was dein Herz dir sagt / The Hives feat. Timbaland – Throw It On Me / The Killers – Don’t Shoot Me Santa / Tocotronic – Kapitulation / Tokio Hotel – Through The Monsoon / Travis – Selfish Jean (je 1,35%)
Film des Jahres
1. The Simpsons – Der Film (11,43%)
2. Auf der anderen Seite / Death Proof / Der Sternwanderer / Harry Potter 5 / The Prestige (je 5,71%)
3. 2 Tage Paris / Der letzte König von Schottland / Die Bourne-Verschwörung / Ein perfekter Platz / Fluch der Karibik 3 / Hot Fuzz / Immer nie am Meer / Inland Empire / Lucky Number Slevin / Nach 7 Tagen ausgeflittert / Operation Kingdom / Pans Labyrinth / Ratatouille / Schwarze Schafe / The Science Of Sleep / Shoot ‘Em Up / Shoppen / Sunshine / Wer früher stirbt ist länger tot / Zodiac (je 2,86%)
Beste Fernsehserie
1. The Simpsons (14,71%)
2. Scrubs (11,76%)
3. Dr. House / Heroes / Prison Break (je 5,89%)
4. Battlestar Galactica / Boston Legal / Californication / Chuck / Dexter / Disneys Kuzcos Königsklasse / Dr. Psycho / Family Guy / Grey’s Anatomy / Life On Mars / Lost / Nip/Tuck / Private Practice / Six Feet Under / The IT Crowd / The Office (US) / Türkisch für Anfänger / Weeds / West Wing (je 2,94%)
Beste Fernsehsendung
1. Hart aber Fair / Schmidt & Pocher ((Natürlich möchte ich in keiner Weise die Urteilsfähigkeit meiner Leser anzweifeln, aber: “Schmidt & Pocher”????ß)) / Sportschau (je 7,41%)
2. …und basta / 30 Jahre Rockpalast / Akte / Das perfekte Dinner / Dittsche / Eurovision Song Contest / Germany’s Next Topmodel / Heute / Karambolage / Krömer / KulturZeit / Nano / Neues aus der Anstalt / Polylux / Schlag den Raab / Strassenstars / Switch Reloaded / The Daily Show / Was liest Du…? / Willkommen Österreich / Zapp (je 3,7%)
Beste Zeitschrift
1. 11 Freunde (13,33%)
2. Neon / Visions (je 10%)
3. Galore / Musikexpress (je 6,67%)
4. brand eins / Chip Foto / Cicero / Der Spiegel / Die Zeit / Dummy / GeoEpoche / Hommage / MAD Magazine (US) / Myself / NZZ Folio / Rapunzel / Rolling Stone / TV Neu / Zeit Campus / Zeit Wissen (je 3,33%)
Buch des Jahres
1. Khaled Hosseini – Drachenläufer / Tommy Jaud – Millionär (je 6,67%)
2. Arnd Zeigler – Gewinnen ist nicht wichtig … / Farin Urlaub – Unterwegs in Indien und Bhutan / Frank Schätzing – Nachrichten aus einem unbekannten Universum. Eine Zeitreise durch die Meere / Franz Kafka – Die Erzählungen / Friedrich Dürrenmatt – Der Auftrag / George R.R. Martin – A Feast For Crows / Gordon Dahlquist – Die Glasbücher der Traumfresser / J. K. Rowling – Harry Potter 7 / Jeffery Deaver – The Sleeping Doll / John Dickie – Cosa Nostra / Jules Verne – Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer / Julia Franck – Die Mittagsfrau / Kaz Cooke – Ach Du dickes Ei / Lawrence Wright – The Looming Tower / Markus Kavka – Elektrische Zahnbürsten / Matthias Politicky – Herr der Hörner / Nagel – Wo die wilden Maden graben / Phillip Roth – Exit Ghost / Rocko Schamoni – Risiko des Ruhms (Director’s Cut) / Strafgesetzbuch / Tad Williams – Shadowmarch / Terry Pratchett – Klonk! / Terry Pratchett – Wintersmith / The ILC – The Gateway to the Quantum Universe / Volker Strübing – Ein Ziegelstein für Dörte / Walter Moers – Der Schrecksenmeister (je 3,33%)
Person des Jahres
1. Meine Mama/Frau/Freundin/Tochter/Buchverkäuferin/Mein bester Freund (26,09%)
2. Anne Will (8,7%)
3. Al Gore / Doris Lessing / Florian Henckel von Donnersmarck / Franck Ribéry / Fritz Ostermayer / Günther Wallraff / Hape Kerkeling / Harald Schmidt / Heiner Brand / Hugo Chavez / Ich / Kylie Minogue / Stefan Niggemeier / Stephen Colbert / Sufjan Stevens (je 3,5%)
Depp des Jahres
1. Wolfgang Schäuble (17,86%)
2. Eva Herman (14,29%)
3. Roland Koch (10,71%) ((Da hat sich Herr Koch aber richtig Mühe gegeben und an den letzten Tagen noch alles rausgeholt mit seiner Stammtischrhetorik.))
4. Britney Spears (7,14%)
5. Bono Vox / Brigitte Zypries / David Hasselhof / Der Dieb von Tim Pritloves Notebook / Der Sänger von Maximo Park / Detlef D! Soest / Günther Oettinger / Jan Ullrich / Matthias Matussek / Paris Hilton / Ronald Pofalla / Stefan Raab / Ulli Hoeneß / wohl ich (je 3,57%)
Wort des Jahres
1. Klimadebatte/Klimaschutz/Klimawandel/Weltklima (14,81%) ((Ähnliche Worte wurden zusammengefasst, damit das Ergebnis etwas aussagekräftiger wird.))
2. Prokrastination/Prokrastinieren (11,11%)
3. ausgerechnet / Festival / grandios / GröFaz / impaktieren / Indie / Kapitulation / klar / läuft / Lokführerstreik / Nichtraucherschutz / photoshoppen / Pilgern / Redundanzangst / schnaftig / Tageslichttauglich / Vorratsdatenspeicherung / Wah / Wanderbaustelle / Wii (je 3,7%)
Unwort des Jahres
1. Klimakatastrophe/Klimawandel (14,81%) ((Ähnliche Worte wurden auch hier zusammengefasst, damit das Ergebnis etwas aussagekräftiger wird.))
2. Abstrakte Gefährdungslage/Gefährder (7,41%)
3. Autobahn / Bundestrojaner / Drogenentzugsklinik / Exzellenz / Gentrifizierung / Gutmensch / Hochzeit / Indie / Klima / Kloni / Knut / Medienmogul / Migrationshintergrund / Mindestlohn / Multimodalität / Onlinedurchsuchung / Ostpunktemafia / Second Life / Stuff / Vorratsdatenspeicherung / Web 2.0 (je 3,7%)
So ein Jahr geht ja dann doch schneller zu Ende als man denkt: Zwar ist es irgendwie absurd, noch vor Silvester zurückzublicken, aber unsere hektische, durchorganisierte Welt lässt sich von Logik nicht aufhalten. Deshalb habe ich nach den Songs (bei denen ich am liebsten schon wieder mittelgroße Korrekturen vornehmen würde) jetzt meine Alben des Jahres 2007 sortiert, abgepackt und niedergeschrieben.
Zwar hatte ich nach der Lektüre der Jahresrückschau im “Musikexpress”, dessen Position als letztes von mir gelesenes Papiermagazin damit auch stark ins Wanken geraten ist, keine große Lust mehr, über dieses mir plötzlich beliebig und unspannend erscheinende Musikjahr zu schreiben, aber dann beguckte ich mein CD-Regal und dachte: “Jetzt erst recht!”
Und weil so viele Künstler auch in der Song-Liste vertreten waren, hab ich mir als Anspieltipps für die Alben mal andere Stücke ausgesucht.
1. Bloc Party – A Weekend In The City
Wo anfangen? Vielleicht mit dem Erstaunen darüber, dass Bloc Party ihr Erstwerk toppen konnten. Oder doch damit, dass kein Pop-Album der letzten fünf Jahre einen besseren Spannungsbogen hatte? Mit der großartigen Mischung aus Hoffnung und Resignation, Politik und Liebe, Tanzboden und Kuschelecke? Die tollen Rhythmen loben, die wunderbaren Gitarren, die astreine Produktion von Jackknife Lee oder die über allem thronende Stimme von Kele Okereke?
Bullshit: Wenn einen ein Album am 30. Dezember noch so begeistert wie am 2. Februar, dann ist es wohl das Album des Jahres. Anspieltipp: “Sunday”
2. Get Cape. Wear Cape. Fly – The Chronicles Of A Bohemian Teenager
Kennen Sie Sam Duckworth? Ich musste den Namen auch gerade erst mal wieder nachschlagen. Aber seine Band Get Cape. Wear Cape. Fly sollten Sie kennen. So außergewöhnlich, dass mir dazu nur so sinnlose Beschreibungen wie “Akustikemolektro” einfallen. Klingt tausendmal toller als es sich anhört. Ein bisschen froh bin ich aber schon, dass das Album erst nach den großen Sinnkrisen meiner Teenager-Jahre erschienen ist. Anspieltipp: “War Of The Worlds”
3. Kilians – Kill The Kilians
Es wäre eine schöne Gelegenheit, mit dieser 35. Erwähnung der Band in diesem Blog eine kleine diesbezügliche Pause einzulegen. Ich glaube, es ist schon alles gesagt, gesungen und gefilmt worden. Aber toll ist die Platte immer noch Anspieltipp: “Something To Arrive”
4. Stars – In Our Bedroom After The War
Diese Kanadier: 33 Millionen Einwohner, von denen etwa die Hälfte in jeweils mindestens zwei Bands musiziert. Nicht alle sind so erfolgreich wie Bryan Adams und Avril Lavigne, aber auch nicht alle machen so schlechte Musik. Stars machen zum Beispiel ganz wunderbaren Indiepop, der zwischen Konzertsaal und Disco schwankt und sich mit großer Freude gleichzeitig bei The Smiths, Bee Gees und Phil Spector bedient. Toll! Anspieltipp: “Take Me To The Riot”
5. Shout Out Louds – Our Ill Wills
Das selbe in grün schwedisch. The Cure statt The Smiths und Abba statt Bee Gees, sonst aber genauso gelungener Indiepop wie bei Stars. Die Shout Out Louds lieferten mit “Tonight I Have To Leave It” meinen Song des Jahres und sind auch bei den Alben wieder ganz vorne mit dabei. Anspieltipp: “Parents Livingroom”
6. The Weakerthans – Reunion Tour
Schon wieder Kanadier. Na ja, das Land habe ich ja oben schon ausführlichst *hüstel* vorgestellt, da freuen wir uns lieber noch ein paar Zeilen über dieses tolle Album und wundern uns, dass kein Song in meiner Jahresbestenliste gelandet ist. Peinlich, peinlich. Wie’s klingt? Na ja, wenn ich jetzt wieder “Indiepop” schreibe, glaub ich es mir ja langsam selber nicht mehr. “Toll” war auch schon zu oft, dann klingt es halt einfach so, wie ein Weakerthans-Album im Jahr 2007 klingen sollte. Logikschleife geschlossen, Zeilen gefüllt! Anspieltipp: “Civil Twilight”
7. Travis – The Boy With No Name
Ja, gut: Ich bin Fan, Travis werden wohl nie ein Album machen, das ich wirklich doof finde. Vielleicht war es deshalb der doch eher irgendwie ein bisschen enttäuschende Vorgänger “12 Memories”, der mich “The Boy With No Name” umso mehr mögen ließ. Aber was will man machen? Jede Menge schöne Melodien mit klugen Texten, viel mehr braucht’s halt auch nicht für ein gutes Album. Anspieltipp: “Colder”
8. Tocotronic – Kapitulation
Tocotronic sind einfach mit jedem Album gut. Vielleicht nicht so gut, dass man “Kapitulation” gleich krakeelend zum Album des Jahres ernennen und der Band eine Vorreiterstellung in Wasauchimmer unterstellen muss, aber eben schon besser als jedes andere deutschsprachige Album in diesem Jahr. Freuen wir uns auch auf das nächste Album und hoffen, dass es nicht ausgerechnet in einem Jahr mit den neuen Werken von Element Of Crime und Tomte erscheint, was zu einem unnötigen Showdown führen würde. Anspieltipp: “Verschwör dich gegen dich”
9. The Wombats – A Guide To Love, Loss & Desperation
Ja, was machen die denn da? Ich wollte doch nie mehr “junge freche britische Bands” hören. Sie stehen mir sowas von bis hier, dass ich das zweite Arctic-Monkeys-Album bis heute nicht gehört habe. Ein Fehler? Mir egal. Ich hab ja The Wombats und die sind besser als alle anderen Bands, die ich alle nicht kenne. Anspieltipp: “Kill The Director”
10. Underworld – Oblivion With Bells
Berlin, Friedrichstraße. Oktober, Abend, Regen. Underworld machen aus dem Touristentrampelpfad vorbei an Luxuskaufhäusern für ein, zwei Momente New York. Ralph Fiennes wird in einem Auto an mir vorbei gezogen. Alles fühlt sich so urban an – und das liegt verdammtnochmal nicht an der “Arm, aber sexy”-Metropole, sondern an diesem atemberaubend guten Elektro-Album.
Neulich sah ich das Video zu “Beautiful Burnout” im Fernsehen (GoTV, natürlich): Über acht Minuten, überhaupt nicht weltstädtisch, sondern klein, billig, schmuddelig. Und trotzdem hatte ich wieder ein Gefühl wie auf dem Gipfel der Welt. Anspieltipp: “Beautiful Burnout”
11. The Blood Arm – Lie Lover Lie
Wie man sich meine Gunst erspielt: Klavier nehmen, draufhauen, semi-alberne Texte mehrstimmig anstimmen. So sind Ben Folds Five damals meine Lieblingsband geworden, so ähnlich haben sich The Blood Arm einen Platz in meiner Liste erkämpft. Anspieltipp: “The Chasers”
12. Justice – †
Es ist mir beinahe unangenehm, diese Platte zu nennen. Da könnte man ja gleich Grönemeyer oder … äh: Bloc Party nehmen, wenn man Konsens haben will. Egal, was die Musikfeuilletonisten jetzt schon wieder für einen Trend herbeischreiben wollen: Das Album mit dem Kreuz im Titel ist und bleibt super. Bitte tanzen Sie N.O.W. Anspieltipp: “Tthhee Ppaarrttyy”
13. Wir Sind Helden – Soundso
Die ganz große Aufmerksamkeit in den Medien hat etwas nachgelassen, vielleicht hat “Polylux” nicht mal mehr einen Beitrag über Judith Holofernes als “Stimme ihrer Generation” gebracht. Wir Sind Helden haben ihr Leben zurück und sind so gut wie am ersten Tag. Bei fast jeder Band hätte ich Angst, dass sie einen Song wie “The Geek (Shall Inherit)” nicht mehr toppen können wird, aber Wir Sind Helden machen seit “Denkmal” ja nichts anderes. Also: Weitermachen! Anspieltipp: “Soundso”
13. The Killers – Sawdust
“Ey, Alter, das ist doch nur eine Raritätensammlung! Was soll die denn bei den Alben des Jahres? ‘Alben’, hörst Du?” Also bitte, liebe Stimmen in meinem Kopf: Seid still! Natürlich ist das “nur” eine Raritätensammlung. Aber so manche Band wäre froh, das als Album hinzukriegen! Manche Sachen sind natürlich etwas sehr abseitig und würden auf einem “normalen” Album vielleicht überfordern, aber auf diesem Zwischending dürfen sich The Killers austoben. Mit Joy-Division-Cover, Westerngitarren und Lou Reed. Meine Prognose fürs dritte Album: Da geht noch einiges! Anspieltipp: “Move Away”
14. Jimmy Eat World – Chase This Light
Liebe Kinder, wenn Ihr nicht wollt, dass Ihr auch mal eher so mittelmäßige Alben so lange hört, bis Ihr sie toll findet, dann werdet besser nie Fan!
Rational betrachtet ist “Chase This Light” immer noch ein relativ unbedeutendes Album, das eine ganze Spur zu poppig produziert wurde. Tatsächlich ist es aber genau die Musik, die ich morgens auf dem Weg zur Uni hören möchte. Oder nachts, wenn ich betrunken nach hause taumele. Oder dazwischen. Also muss man einfach zu dem stehen, was man mag, und sagen: “Chase This Light” ist doch ein ganz schönes Album, irgendwie. Anspieltipp: “Here It Goes”
15. Muff Potter – Steady Fremdkörper
Wieso ist mir “Steady Fremdkörper” eigentlich nie so ein treuer Freund und Begleiter geworden wie die beiden Vorgängeralben? Vermutlich, weil das Album im Sommer rauskam, viel zu früh für kahle Bäume und Blättermatsch. Natürlich ist es trotzdem wieder ein sehr gutes Album geworden, was ich mit einem sehr okayen fünfzehnten Platz in meiner Jahreshitparade noch einmal hervorheben möchte. Anspieltipp: “Das seh ich erst wenn ich’s glaube”
16. Manic Street Preachers – Send Away The Tigers
Die Manics nach der Frischzellenkur: Zurück auf Anfang “Everything Must Go”, zurück zu Pathos, großer Geste, Melancholie und Parolendrescherei. Es hielt sich letztlich nicht ganz so gut wie das interne Vorbild, aber “Send Away The Tigers” ist trotzdem ein gelungenes Album und ein guter Ausgangspunkt für einen Neuanfang. Anspieltipp: “Indian Summer”
17. Foo Fighters – Echoes, Silence, Patience And Grace
Und noch eine Band, die schon vor zehn Jahren hätte auf dieser Liste stehen können. Langsam werden die Helden unserer Jugend eben auch älter und wir somit offenbar auch. Auf dem Album mit dem unmerkbarsten Titel der Saison merkt man davon aber noch nix, die Foo Fighters rocken so, als wollten sie Fall Out Boy, Good Charlotte und Konsorten zeigen, wo die Gitarre hängt. Dabei weiß das doch jedes Kind: tief. Anspieltipp: “Long Road To Ruin”
18. Rihanna – Good Girl Gone Bad
Tja, da müssen wir jetzt gemeinsam durch. Oder ich muss das erklären, irgendwie. “Umbrella” ist halt ein Übersong, der überwiegende Rest ist auch recht gelungen und wenn schon irgendwas Massentaugliches im Radio laufen muss, dann doch bitte clever produzierte Songs mit einer charmanten Sängerin. Anspieltipp: “Shut Up And Drive”
19. Maritime – Heresy And The Hotel Choir
Maritime gingen hier im Blog auch irgendwie völlig unter, was sehr schade ist, weil sie mit ihrem dritten Album wieder an die Qualität ihres Debüts anknüpfen konnten. Vielleicht würden die Beach Boys so klingen, wenn sie heute jung wären. (In Wahrheit wäre Brian Wilson wohl schon lange völlig wahnsinnig oder tot, wenn er heute jung wäre.) Anspieltipp: “Guns Of Navarone”
20. Maxïmo Park – Our Earthly Pleasures
Mit dem ersten Maxïmo-Park-Album bin ich ja irgendwie nie so ganz warm geworden: Natürlich waren die Singles super, aber so wirklich vom Hocker hauen konnte mich “A Certain Trigger” nie. Da ist “Our Earthly Pleasures” eher ein Album zum Durchhören und Mögen. Dass Franz Ferdinand auch 2007 kaum vermisst wurden könnte an Maxïmo Park liegen. Anspieltipp: “Parisian Skies”
21. Crowded House – Time On Earth
Stellen Sie sich vor, Ihr Kind würde sich in zwanzig Jahren über eine Comeback von … sagen wir mal: Starsailor freuen. Würden Sie da sagen “Aber Kindchen, dafür bist Du doch trotz eigener Wohnung, Rückenleiden und Uni-Abschluss viel zu jung”, oder würden Sie sich freuen, dass er/sie/es gute Musik zu schätzen weiß?
Warum habe ich eigentlich immer das Gefühl, mich für meinen Musikgeschmack rechtfertigen zu müssen? “Time On Earth” wäre doch auch toll, wenn die Musiker in meinem Alter wären. Anspieltipp: “English Trees”
22. Die Ärzte – Jazz ist anders
Das sollte man vielleicht auch mal erwähnen, dass “Jazz ist anders” das erste Album von Die Ärzte ist, das ich wirklich gehört habe. Es ist aber auch ein sehr gelungenes Album, denn BelaFarinRod agieren sehr klug und fügen die verschiedensten Musikstile kunstvoll zu einem wirklich feinen Gesamtbild, das mit “Spaßpunk” oder ähnlichem wenig am Hut hat. Nur: “Junge” nervt inzwischen dann doch. Gewaltig. Anspieltipp: “Himmelblau”
23. Smashing Pumpkins – Zeitgeist
Sagt mal, wo kommt Ihr denn her? “Aus Deiner tristen, teilzeit-depressiven Teenagerzeit, bitte sehr!”
Von mir aus hätte es das Comeback der Smashing Pumpkins nicht gebraucht, zu passgenau war ihr Auftauchen in und Verschwinden aus meinem Leben damals gewesen. Jetzt sind sie (zur Hälfte) aber doch wieder da und wo sie sich schon mal die Mühe gemacht haben, kann man natürlich das eigentlich gar nicht mal schlechte Album “Zeitgeist” erwähnen, das irgendwie aber auch sagenhaft unterging. Offenbar war mein Leben nicht das einzige, aus dem die Pumpkins zur rechten Zeit verschwunden waren. Anspieltipp: “Doomsday Clock”
24. Mika – Life In Cartoon Motion
Als Mika in Deutschland seinen verdienten Durchbruch feierte und keine Stunde mehr verging, in der er nicht im Radio, Fernsehen oder in der Werbung zu hören war, war ziemlich genau der Punkt erreicht, an dem ich seine zuckersüßen Popsongs nicht mehr hören konnte. Dabei war “My Interpretation”, der beste von ihnen, doch gar nicht ausgekoppelt worden. Anspieltipp: “My Interpretation”
25. Beirut – The Flying Club Cup
Auch Beirut sollen in dieser Liste nicht unerwähnt bleiben. Zwar finde ich das Debüt “Gulag Orkestar”, das ich auch erst in diesem Jahr entdeckt habe, ein bisschen besser, aber “The Flying Club Cup” ist mit seinem folkloristischen … äh: Indiepop auch ein sehr schönes Album. Der Tag, an dem ich dieses Album hörend durch eine in milchig-rötliches Licht getauchte Nachbarschaft zur Uni stapfte, wäre mit “surreal” recht passend umschrieben. Anspieltipp: “The Penalty”
Niemand weiß so recht, warum man sich ausgerechnet immer den doch recht beliebigen Zeitraum eines Kalenderjahres aussucht, um Listen zu erstellen von den Dingen, die da waren und über die Highlights abstimmen zu lassen. Aber es ist nun mal seit längerem so, dass im Dezember zurückgeblickt, unvergleichliches verglichen und unbeschreibliches beschrieben wird. Und diesem heidnischen Brauch schließe ich mich gerne an und eröffne mit der Liste meiner Songs Hymnen des Jahres:
2. Kaiser Chiefs – Ruby
Wie lang ist die Mindesthaltbarkeit für Mitgrölhymnen? Erstaunlicherweise doch schon fast ein ganzes Jahr. Wenn man das Lied auch nach hundert Mal hören und im nüchternen Zustand noch gut findet, ist das schon die Silbermedaille wert.
3. Kilians – When Will I Ever Get Home
Let me introduce you to some friends of mine. Gute Freunde zu haben, die tolle Musik machen, und sich mit ihnen über ihren Erfolg zu freuen, ist das eine. Das andere ist, immer noch aufrichtig begeistert zu sein von einer mörderguten Stadionrock-Hymne wie die Kilians diese hier aus dem Ärmel geschüttelt haben.
4. Wir Sind Helden – The Geek (Shall Inherit)
Nicht, dass ich Wir Sind Helden nicht generell für eine tolle Band halten würde, deren Aufstieg ich seit beinahe dem ersten Tag mit Freuden verfolge. Aber dass sie auf jedem ihrer guten bis sehr guten Alben immer noch einen Song drauf haben, der alle anderen um Meilen überragt, macht sie noch ein bisschen toller. Nach “Denkmal” und “Wenn es passiert” jetzt also “The Geek (Shall Inherit)”, die Außenseiter-Hymne des Jahrzehnts.
5. Justice – D.A.N.C.E.
Vielleicht der Konsens-Song des Jahres: Ob Rocker, Hip-Hopper oder Elektriker – auf “D.A.N.C.E.” konnten sich (fast) alle einigen. Ein Tanzbodenfüller sondergleichen und vermutlich eine der Nummern, die man unseren Kindern in dreißig Jahren auf einem Sampler der “größten Hymnen der Nuller Jahre” im Teleshop (bzw. dessen Nachnachfolger) verkaufen wird.
6. Just Jack – Starz In Their Eyes
Hip-Hop? Disco? Ein unglaublich gut gemachter Song mit einem sehr klugen Text und immensem Mitwippfaktor. Und jetzt lassen Sie mich endlich als Werbetexter arbeiten!
7. Modest Mouse – Dashboard
Nach 14 Jahren Bandgeschichte gelang Modest Mouse mit der ersten Single aus ihrem fünften Album doch noch so etwas wie ein Durchbruch. Mit dieser Indiepop-Perle, einem Ex-Schmitz an der Gitarre und dem völlig überdrehten Piraten-Video.
8. Bloc Party – I Still Remember
Bloc Party haben mich mit ihrem Zweitwerk “A Weekend In The City” so sehr überzeugt, dass sie – so viel sei schon verraten – zum zweiten Mal mein persönliches Album des Jahres stellen. “I Still Remember” ist unter den allesamt großen Songs der Platte der größte, weil er trotz des eher traurigen Textes eine Euphorie verbreitet, die einen für 3:50 Minuten alles vergessen lässt.
9. Travis- Selfish Jean
Wer hätte gedacht, dass Travis zehn Jahre nach ihrem Debüt doch noch mal den Rock für sich entdecken würden? Mit dem charmantesten “Lust For Life”-Ripoff seit … äh: “Lust For Life” tanzen sich die sympathischsten Schotten im Musikgeschäft in die Top 10.
10. Little Man Tate – European Lover
Wenn es die Kilians nicht gäbe, hätten Little Man Tate gute Chancen auf meinen Titel “Newcomer des Jahres”. “European Lover” ist dabei der eingängigste, charmanteste Song ihres Debütalbums “About What You Know”.
11. Beatsteaks – Cut Off The Top
Zu den Beatsteaks muss man nicht mehr viel sagen, die haben immer schon fast alles richtig gemacht und mit “Limbo Messiah” ist ihnen wieder ein Top-Album gelungen. “Cut Off The Top” besticht durch seinen treibenden Beat und den phantastischen Mitgröl-Refrain: “Damage, damage!”
12. Muff Potter – Die Guten
Warum gibt es eigentlich so viele gute deutschsprachige Songs über Beziehungsenden? Vielleicht, weil es so viele deutschsprachige Songs über Beziehungsenden gibt und wenn man den ganzen Müll von Revolverheld, Juli oder Silbermond weglässt, bleiben eben die guten über. Oder, haha: “Die Guten”. Mit gewohnt tollem Text und schönen Jimmy-Eat-World-Gitarren erreichen Muff Potter ihre inzwischen schon traditionelle Erwähnung auf meinen Bestenlisten.
13. Rihanna feat. Jay-Z – Umbrella
Wenn ich an Kategorien wie “Peinlichstes Lieblingslied” glauben würde, stünde dieses Lied dieses Jahr unangefochten auf Platz 1. Aber warum sollten einem Lieder, die man toll findet, peinlich sein? Deshalb: “Umbrella” ist ein toller Song, der auch dann noch gut wäre, wenn Rihanna eine dicke, alte Frau wäre. Punkt.
14. Babyshambles – Delivery
Wer Pete Doherty nur als Ex-Freund und Drogenopfer aus der Boulevardpresse kennt, ist doof mag erstaunt sein, dass der Mann auch Musik macht – und zwar richtig gute. Mit der besten Post-Libertines-Single ever hat der Mann wieder ein bisschen an seinem Denkmal gebaut, an dessen Demontage er sonst so eifrig arbeitet.
15. The Blood Arm – Suspicious Character
Der Refrain des Jahres: “I like all the girls and all the girls like me”, so lange wiederholt, bis es der Dümmste glaubt. Oder der Sänger selbst. Wenn man solche Rocksongs dann auch noch mit Klavieren aufhübscht, kann man sich meiner Begeisterung sicher sein.
16. Kate Nash – Foundations
Irgendwie scheine ich eine Schwäche für Frauen mit außergewöhnlichem britischen Akzent zu haben. Was letztes Jahr Lily Allen war, ist dieses Jahr Kate Nash. “Foundations” hat darüber hinaus einen charmanten Text, ein Klavier (s.o.) und ist sowieso ein rundherum toller Song.
17. The Wombats – Let’s Dance To Joy Division
Erstaunlich, dass es immer noch Bands gibt, die im Prinzip genau die gleiche Musik wie alle anderen machen und trotzdem viel, viel toller sind. The Wombats sind so ein Fall einer mich überraschenderweise begeisternden Kapelle, “Let’s Dance To Joy Division” eine äußerst gelungene Single.
18. Lady Sovereign – Love Me Or Hate Me
Dass dieser Song in Deutschland kein Hit wurde und Lady Sovereign kein Star, hat mich dann doch überrascht. Vielleicht ist weiblich, britisch und rappen dann doch keine Kombination für “Bravo”-Leser. Schade eigentlich, denn “Love Me Or Hate Me” ist mein Hip-Hop-Song des Jahres.
19. Stars – The Night Starts Here
Und hier die bei Coffee And TV am sträflichsten vernachlässigte Band des Jahres: Stars. “In Our Bedroom After The War” ist eine wahnsinnig gute Platte, die uns in der Liste der besten Alben noch einmal recht weit vorne begegnen wird; “The Night Stars Here” ist bester orchestraler Indiepop.
20. Maxïmo Park – Girls Who Play Guitars
Maxïmo Park waren neben Bloc Party die spannendste Band der Class of 2005 und wie Bloc Party haben auch sie dieses Jahr ein überzeugendes Zweitwerk herausgebracht. “Girls Who Play Guitars” ist dabei noch einen Tacken besser als die anderen Songs.
21. Bruce Springsteen – Radio Nowhere
Und hier der Alterspräsident meiner diesjährigen Bestenliste, der Mann, den sie “Boss” nennen. Wenn ich mit 56 noch Blogeinträge schreibe wie Bruce Springsteen Songs, werde ich mich sehr, sehr glücklich schätzen.
22. Mika – Grace Kelly
Wann fingen Mika und dieser Song eigentlich an zu nerven? Irgendwann im Sommer dürfte es gewesen sein, weswegen sich “Grace Kelly” in der kontinuierlich aktualisierten Bestenliste beständig nach unten kämpfte. Mit etwas Abstand betrachtet ist das Lied dann aber immer noch ganz gut. Das können wir ja in zehn Jahren noch mal überprüfen.
23. Crowded House – Don’t Stop Now
Wen interessieren Led Zeppelin, die vor 20 Millionen Zuschauern hätten spielen können? Das Comeback des Jahres gelang Crowded House, die genau da weitermachen, wo sie vor elf Jahren aufgehört haben: mit zeitlos-tollen Popsongs.
24. Tocotronic – Imitationen
Tocotronic darf man jetzt wohl auch ruhigen Gewissens auf die Liste der Bands setzen, die wohl nichts mehr falsch machen werden in ihrer Karriere. “Kapitulation” ist wieder ein herausragendes, sehr kluges Album geworden, “Imitationen” eines der Highlights. “Dein gut ist mein gut / Dein schön ist mein schön.”
25. Stereophonics – Daisy Lane
Selbst auf ihren schwächeren Alben hatten die Stereophonics immer mindestens einen Song, den ich noch gut fand. “Pull The Pin” ist aber noch nicht mal ein schwaches Album. Das hypnotische “Daisy Lane” ist dennoch das Highlight der Platte und perfekt geeignet, diese Liste zu beschließen.
Jedes Jahr im Dezember ist es das gleiche Elend: Musikzeitschriften und Webseiten-Betreiber rufen ihre Leser zum Einsenden derer persönlichen Jahreshitparaden auf und ich sitze mit zerwühlten Haaren und wirrem Blick vor meinem Computer und einem Berg von Notizen und versuche, Ordnung in das Musikjahr zu bringen.
Denke ich während des Jahres immer, es seien ja diesmal nicht soooo viele gute Songs und Alben erschienen, zwischen denen ich mich entscheiden müsse, wird diese Einschätzung spätestens beim Anblick der extra dafür angelegten iTunes-Playlist bzw. der eigenen Statistik bei last.fm zunichte gemacht. Immerhin weiß ich jetzt, welche Songs ich am häufigsten gehört habe – aber waren das auch die besten? Und wie definiere ich “die besten”? Nach pseudo-objektiven Kriterien oder danach, wie viel Spaß ich beim Hören habe? Würde ich einfach meinen häufigsten und penetrantesten Ohrwurm zum “Song des Jahres” ernennen, wäre das “Umbrella” von Rihanna – aber auch nur, weil “Durch den Monsun” von Tokio Hotel, der mir nach den EMAs drei Wochen lang im Hirn klebte, schon zwei Jahre alt ist.
Dabei trägt es nicht gerade zur schnellen Findung bei, wenn der eigene Musikgeschmack immer eklektischer wird und sich auf der Longlist munter Indierockbands, Girlgroups, Hip-Hopper, Mainstream-Popper, Deutschpunks und Elektroniker tummeln. Denn, mal im Ernst: Wie soll ich “Love Me Or Hate Me” mit “Don’t Stop Now” vergleichen, wie “D.A.N.C.E.” mit “Imitationen”?
Nun wird der Außenstehende vielleicht denken: “Warum tut sich dieser junge Mann das an? Warum verschwendet er seine Zeit mit so unbedeutsamen Überlegungen? Er soll lieber was gegen den Treibhauseffekt tun oder der CDU die Herdprämie ausreden!” Das Erstellen persönlicher Bestenlisten nimmt sich gegen das Elend in Darfur oder auch nur das vor der eigenen Haustür natürlich lächerlich und klein aus, aber in diesen Dimensionen denken Popkulturfans nicht. Und selbst wenn: Es würde kaum etwas ändern.
Wer “High Fidelity” gelesen und sich darin wiedergefunden hat, ist von einem inneren Zwang getrieben, das Unsortierbare sortieren zu wollen und die große Unordnung, die Rock’n’Roll nun mal ist, in geordnete Bahnen lenken zu müssen. Dabei müssen auch so verschiedene Dimensionen wie der Song, bei dem man das erste Mal ein Mädchen geküsst hat, und das Lied, das man als erstes gehört hat, als Elliott Smith sich umgebracht hat, irgendwie miteinander verglichen werden können.
Genau diesem Dilemma bin ich jetzt ausgesetzt. Aber ich kann Ihnen versichern: Sie werden es auch noch!
PS: Da ich keine passende Stelle in diesem Eintrag gefunden habe, wo ich den wunderbaren jüngsten Beitrag in Philipp Holsteins Popkulturblog bei “RP Online” hätte verlinken können, mache ich es einfach gesondert hier.
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