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The Class of ’99

New Radicals hören im ICE (Szene nachgestellt)

Heute vor zehn Jahren saß ich in einem Zug nach Berlin, hörte “You Get What You Give” von den New Radicals und damit begann dann meine Musikbegeisterung (nachzulesen hier). ((Mir fiel gerade erst auf, dass ich den Song vermutlich nur deshalb im Bordradio gehört habe, weil ich den ursprünglichen ICE verpasst hatte. Nach all diesen Jahren stelle ich fest, dass ausgerechnet eine Regionalbahn-Verspätung mein Leben verändert hat!))

In der Folgezeit fing ich an, Gitarre zu lernen, in Bands zu spielen, Festivals zu besuchen, über Musik zu schreiben und irgendwann sogar Radiosendungen darüber zu moderieren. Am Jahr 1999 führt auch heute noch kein Weg dran vorbei: Ein großer Teil meiner Lieblingsalben und -songs erschien in eben diesem Jahr.

Mit ein wenig kulturwissenschaftlichem Übermut könnte man vielleicht sogar das Fin de siècle bemühen um zu erklären, warum ausgerechnet kurz vor dem Jahrhundertende plötzlich reihenweise große Kunst entstand. Denn selbst wenn man zugute hält, dass 15, 16 immer ein besonders prägendes Alter ist und Menschen, die heute in diesem Alter sind, vermutlich in zehn Jahren das Gleiche über 2009 sagen werden: Vor zehn Jahren war eine ganze Reihe von Bands und Künstlern auf dem Höhepunkt ihres Schaffens.

Da waren längst nicht nur die New Radicals mit ihrem einzigen Album: Ben Folds Five verausgabten sich mit ihrem Meisterwerk “The Unauthorized Biography Of Reinhold Messner” derart, dass sie sich ein Jahr später auflösten; Travis haben viele gute Alben aufgenommen, aber so dicht wie “The Man Who” klang keines mehr; Moby errichtete sich mit “Play” sein eigenes Denkmal, von dessen Lizensierungen für Spielfilme und Werbespots er sich einen kleinen Staat kaufen könnte. Und selbst, wenn ich einige der ’99er Alben erst Jahre entdeckte: Das war schon ein ganz besonderer Jahrgang.

Und damit Sie wissen, wovon zum Henker ich eigentlich rede, hier eine unsortierte Liste von Alben aus besagtem Jahr:

Travis – The Man Who
Anspieltipp: Driftwood
Ben Folds Five – The Unauthorized Biography Of Reinhold Messner
Anspieltipp: Your Redneck Past
New Radicals – Maybe You’ve Been Brainwashed Too ((Dass das Album bereits im Oktober 1998 auf den Markt kam, ist ein Detail, durch das ich mir nicht meine Geschichte kaputt machen lasse.))
Anspieltipp: Flowers
Foo Fighters – There Is Nothing Left To Lose
Anspieltipp: Next Year
Jimmy Eat World – Clarity
Anspieltipp: Blister
Stereophonics – Performance And Cocktails
Anspieltipp: Just Looking
Moby – Play
Anspieltipp: Porcelain
Red Hot Chili Peppers – Californication
Anspieltipp: Scar Tissue
Tocotronic – K.O.O.K.
Anspieltipp: Jackpot
The Get Up Kids – Something To Write Home About
Anspieltipp: I’ll Catch You
Sigur Rós – Ágætis Byrjun
Anspieltipp: Svefn-G-Englar
Wilco – Summerteeth
Anspieltipp: Nothing’severgonnastandinmyway(again)
3 Colours Red – Revolt
Anspieltipp: Beautiful Day
Blink-182 – Enema Of The State
Anspieltipp: What’s My Age Again?
Blur – 13
Anspieltipp: Coffee And TV

Natürlich erschienen danach noch viele großartige Alben (ein Jahr später beispielsweise “Kid A” von Radiohead und das Coldplay-Debüt “Parachutes”), aber ein Jahr wie 1999 habe ich seitdem nicht mehr erlebt.

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Chinese Delivery

Vor zehn Tagen ist “Chinese Democracy” von Guns N’ Roses erschienen, ein Album der Superlative: 14 Jahre in der Mache, Gesamtkosten von geschätzt 13 bis 15 Millionen Dollar, mindestens sechs verschiedene Gitarristen.

Während angeblich bis zum Frühjahr dieses Jahres an “Chinese Democracy” gearbeitet wurde (was man angesichts des satten Neunziger-Sounds kaum glauben mag), lag ein anderes Album einfach neun Jahre lang auf Halde:

Am 26. Oktober 1999 sollte “Portable Life” erscheinen, das zweite Album von Danielle Brisebois. Deren Debütalbum “Arrive All Over You” von 1994 hatte sich trotz elf wunderbarer Powerpop-Songs kaum verkauft und die New Radicals, deren Bandmitglied Brisebois neben ihrem Songwritingpartner und Produzenten Gregg Alexander war, hatten sich nach ihrem weltweiten Megahit sofort wieder aufgelöst. Das Verhältnis zwischen den Plattenfirmen und allem, wo Brisebois/Alexander drauf stand, war also ein eher gespanntes. Warum RCA Records aber “Portable Life” nicht veröffentlichte, nachdem man schon Promo-Kopien an Musikjournalisten versandt und die Single “I’ve Had It” nebst Video fertiggestellt hatte, lässt sich bis heute nicht genau rekonstruieren.

So blieb das Album irgendwo liegen, während RCA als Teil von BMG zu SonyBMG fusionierte und Danielle Brisebois Hitsingles für Natasha Bedingfield und Kelly Clarkson schrieb. Bis zum 30. September dieses Jahres wusste niemand etwas genaueres über den Verbleib der zwölf Songs, zu denen auch “Everything My Heart Desires” (aus dem Soundtrack zu “Besser geht’s nicht”) und eine neue Version des “Arrive All Over You”-Songs “Just Missed The Train” gehörten — dann tauchte das Album plötzlich im iTunes Musicstore und als Download bei Amazon.com auf.

Man merkt dem Album seine lange Lagerzeit nicht unbedingt an: Es sind gute Popsongs, die mal mehr, mal weniger druckvoll, mal mehr, mal weniger melancholisch klingen. Manche haben großartige Titel wie “Stop It Hurts You’re Killing Me Don’t Stop” oder “If I Died Tonight You’d Have To Think Of Me” und insgesamt fragt man sich, warum Dido oder Kelly Clarkson eigentlich so einen riesigen Erfolg haben und Danielle Brisebois nicht.

Danielle Brisebois - Portable Life (Albumcover)
Danielle Brisebois – Portable Life

VÖ: 30. September 2008 / 26. Oktober 1999
Label: RCA Records
Vertrieb: SonyBMG (digital) / BMG Entertainment

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Lieder für die Ewigkeit: New Radicals – You Get What You Give

Berlin (hat nicht so direkt was mit den New Radicals zu tun)

Vor ziemlich genau acht Jahren begann – in musikalischer Hinsicht – ein neues Leben für mich. Die letzte Klassenarbeit des Schuljahres, ja: der Mittelstufe, war geschrieben, die Bundesjugendspiele überlebt und ich saß in einem Zug Richtung Berlin. Wir fuhren gerade durch ein ostwestfälisches Regengebiet, der Himmel war tiefrot, als ich im Bordradio ein Lied hörte, das mir außerordentlich gut gefiel. Zu meiner großen Überraschung sagte der Eins-Live-Moderator danach sogar, um was für ein Lied es sich gehandelt hatte. Ich notierte mir: “New Radicals – You Get What You Give”. Danach klarte es auf.

In Berlin hatte ich für die nächsten Tage einen Ohrwurm von dem Lied und als ich mir das Album “Maybe You’ve Been Brainwashed Too” nach zwei Wochen des Abwägens (CDs waren auch 1999 für Schüler schon teuer und “illegal runterladen” gab es kannten wir damals noch nicht) schließlich gekauft hatte, war sie eine von den zwei Platten, die ich den ganzen Sommer über immer abwechselnd gehört habe. (Die andere war “The Unauthorized Biography Of Reinhold Messner” von Ben Folds Five.)

Etwa einen Monat später hatten sich die New Radicals aufgelöst, weil ihr Kopf Gregg Alexander keine Lust mehr hatte auf kommerziellen Erfolg und mediale Ausschlachtung. Er arbeitete hernach lieber als Produzent weiter und schuf mit Texas (“Inner Smile”), Ronan Keating (“Life Is A Rollercoaster”), Sophie Ellis-Bextor (“Murder On The Dancefloor”) und sogar Rod Stewart (“I Can’t Deny It”) und Carlos Santana (“The Game Of Love” mit Michelle Branch) noch einige weitere Popperlen, die im Prinzip “You Get What You Give Reloaded” waren. Die New Radicals wurden somit automatisch zum One Hit Wonder, weil “Someday We’ll Know”, die zweite und letzte Single der Band, nicht an die weltweiten Erfolge von “You Get What You Give” anknüpfen konnte. Bei Gregg Alexander würde es mich nicht wundern, wenn auch diese bewusste Reduktion auf einen Song Teil des Plans war – trotzdem finden sich auf dem Album elf zeitlose Popsongs, die der Perfektion immer wieder ganz nahe kommen, und einen durchgedrehte Track, dessen Lyrics zwar im Booklet stehen, aber einfach nicht gesungen werden. Es ist der Titeltrack des Albums.

Für mich, der ich bis dahin etwa zwanzig Film-Soundtracks, sowie Alben von Phil Collins und der Lighthouse Family besaß, war der Sommer 1999 und die Entdeckung der New Radicals der Beginn einer Liebe zur Musik.