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25 Jahre „Play“

Dieser Eintrag ist Teil 6 von bisher 6 in der Serie 1999

Im Jahr 1999 erschienen jede Menge Alben, die für unsere Autor*innen prägend waren. Zu ihrem 25. Jubiläum wollen wir sie der Reihe nach vorstellen.

Moby - Play (abfotografiert von Lukas Heinser)

Am Anfang waren die Songs. Ich weiß gar nicht, welche alle als Single ausgekoppelt wurden und wo ich sie vielleicht gehört habe — am Ende ist es auch egal, denn „Play“ ging ja auch deshalb in die Geschichtsbücher ein, weil es das erste komplett durchlizenzierte Album war: Jeder einzelne Track wurde für (mindestens) einen Werbespot, einen Film und/oder eine Serie verwendet. Im Radio und in Cafés laufen die Songs eh immer noch rauf und runter, als seien sie Teil des dortigen Sound-Designs. (Selbst als ich vergangene Woche dem Deutschlandfunk Kultur ein Interview zum ESC in Malmö gegeben habe, lief vor dem Gespräch irgendein Song aus diesem Album. Es zahlt ein bisschen auf meine hier aufgestellte Muzak-These ein, dass ich nicht sagen kann, welcher, aber ich bin mir absolut sicher, dass es einer von diesem Album war.)

Gekauft hab ich „Play“ von Moby auch erst etwa anderthalb Jahre nach dem Release — obwohl diese Songs damals schon allgegenwärtig schienen. Das Konzept, Musik zu „besitzen“ ist im Jahr 2024 ja nicht nur Nachgeborenen schwer zu vermitteln, sondern fast allen, aber es war eben unabdingbar, 30,99 D-Mark für diese CD zu bezahlen, sie im Rucksack auf dem Rücken mit dem Fahrrad vom R&K-Markt nach Hause zu fahren und dann ins DVD-Rom-Laufwerk des Computers zu schieben, um sie über die PC-Boxen abzuspielen. Opa erzählt vom Frieden.

Obwohl ich die vorherigen Hit-Singles von Moby schon aus „Hit-Clip“, von 1Live und von „Bravo Hits“ kannte, umwehte diese Musik etwas Erwachsenes, ja, regelrecht: Kosmopolitisches. So, dachte ich damals, klingt Dinslaken nicht. Der Big Beat von „Bodyrock“ und „Machete“, die Blues- bzw. Gospel-Samples von „Honey“ und „Run On“, die Kaffeehaus-Electronica von „7“ und „Down Slow“ — so etwas kannte man in der Kleinstadt nur aus dem Fernsehen. (Heute hat Dinslaken seine eigenen Hipster-Szenen und -Kneipen und diese Entwicklung ist durchaus zu begrüßen, bremst sie doch die Gentrifizierung in den Großstädten wenigstens minimal ab.)

Moby selbst war bekannt als der knuffige, ausgesucht freundliche, manchmal ein ganz kleines bisschen nervende Veganer mit der Glatze. Womöglich hätte man ahnen können, dass bei ihm nicht alles im Lot war und er mit psychischen Problemen, Alkohol und anderen Drogen kämpfte; „Play“ war ein eher melancholisches Party-Album, vor allem in der zweiten Hälfte. Und allein die Songtitel: „Why Does My Heart Feel So Bad?“, „Natural Blues“, „My Weakness“. Aber als schwermütiger 17-jähriger Individualist bezieht man das alles natürlich ausschließlich auf sich selbst und denkt nicht mal an den Künstler.

„Play“ war da schon lange ein unfassbarer weltweiter Erfolg und alle Labels, die das Album abgelehnt hatten, hatten sich vielleicht kurz geärgert. Moby, dessen Output bis dahin eher eklektisch gewesen war, hatte seine Nische gefunden und liefert seitdem verlässlich den Soundtrack zu Werbespots, Serien, Filmen und Leben.

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Moby – Play
(Mute/PIAS; 17. Mai 1999)
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Musik

Songs des Jahres 2013

Das neue Jahr ist auch schon wieder zehn Tage alt, da wird es Zeit, die Altlasten von 2013 abzutragen. In diesem Fall: Meine Songs des Jahres. Die Auswahl ist wie immer völlig subjektiv, die Reihenfolge im Moment ihrer Erstellung schon veraltet und vermutlich hab ich eh wieder das Wichtigste verpasst.

25. Bosse – Schönste Zeit
Ja, ja: Das ist schon sentimentaler Quatsch, Kurt Cobain huldigen zu wollen mit so einem vergleichsweise banalen Popsong, der im Text viel zu explizit durch dekliniert, was er ausdrücken will. Aber was für ein Popsong das dann eben doch ist! Und dieses perlende Klavier, das die Instrumentalstellen zu einem der im Gebrauchsfernsehen meist gespielten Werke des Jahres gemacht hat! Doch, ich bleibe dabei: Ich mag diesen Song!

24. Junip – Line Of Fire
Ich weiß definitiv zu wenig über José González und seine Band Junip, die zwar seit Jahren immer wieder am äußeren Sichtfeld meines Radars auftauchen, aber es – außer mit González’ Version von “Heartbeats” von The Knife – nie wirklich in meine Playlisten geschafft haben. Aber diesem hypnotischen Song und vor allem dem dazugehörigen Video konnte ich mich nicht entziehen. Wenn ich mehr Zeit mit dem Lied und dem dazugehörigen Album verbracht hätte, wären beide vermutlich deutlich weiter oben in meiner Liste.

23. Elvis Costello & The Roots – Walk Us Uptown
Die Idee, einen der vielseitigsten Musiker der letzten Jahrzehnte mit einer der besten Hip-Hop-Bands kollaborieren zu lassen, hatte ein bisschen was vom Clash der Kulturen. Schon beim Opener stellt sich aber raus: Die Kombination ist gar nicht so exotisch, sondern eigentlich erstaunlich naheliegend. Wenn man nicht um die Hintergründe wüsste, wäre es einfach ein extrem cooler, tighter Song.

22. Pet Shop Boys – Love Is A Bourgeois Construct
Bei Künstlern, die schon seit Jahrzehnten dabei sind, hat es immer eine gewisse Widersprüchlichkeit, wenn man ihnen nachsagt, ein neuer Song hätte schon vor Jahren veröffentlicht werden können. Klar: “Love Is A Bourgeois Construct” hätte wunderbar auf “Very” gepasst, die politischen Anspielungen und Seemannschöre inklusive. Aber immer wieder bricht das Arrangement auf und es kommen Sounds zum Vorschein, die man so zumindest bei den Pet Shop Boys noch nie gehört hat.

21. Bastille – Pompeii
Hurra, noch eine Indieband mit Gitarren und Synthesizern! Geh mir weg! Dann aber: Diese grandiosen “Eh-oh”-Chöre (nicht zu verwechseln mit “Alles nur geklaut” von den Prinzen) und vor allem dieses Getrommel! Luftgitarre macht bei diesem Lied keinen Sinn, Luftgetrommel bei ausreichendem Sicherheitsabstand durchaus. Und man freut sich ja inzwischen schon über jeden Slot, der im Radio von etwas anderem als Robin Thicke oder den (Un)Toten Hosen besetzt wird!

20. Andrew McMahon – After The Fire
Ich bin da kein Stück objektiv: Andrew McMahon (Ex-Something Corporate und Ex-Jack’s Mannequin) ist für mich ein persönlicher Held. Mit seinen Texten spricht er mir seit zehn Jahren aus der Seele und wahrscheinlich hat es auch etwas damit zu tun, dass wir fast gleich alt sind. Jedenfalls: Seine Solo-Debüt-EP “The Pop Underground” ist mit ziemlicher Sicherheit keine musikalische Offenbarung, aber sie enthält vier wunderbare Popsongs (hier auch wieder das Motiv: Chöre und Trommeln!) und “After The Fire” ist mit seinem groovenden Refrain der beste davon und muss deshalb die Top 20 eröffnen.

19. Cold War Kids – Miracle Mile
Da zeichnet sich ein Muster ab: Schon wieder Chöre und Trommeln! Und natürlich ein hämmerndes Klavier. Mit ordentlich Schwung starten die Cold War Kids in ihr Album “Dear Miss Lonelyhearts”. Da scheppern ganz viel Euphorie und Lebensfreude mit und dann fasst der Song die ganzen Lebensratgeber und Feuilletontexte der letzten Jahre ganz simpel zusammen: “Get outside, get all over the world / You learn to love what you get in return / It may be a problem and it may be peace of mind / But you have to slow down and breathe one breath at a time / So ya come up for air”. Hallo!

18. Lily Allen – Hard Out Here
Lily Allen, die mir liebste Pop-Prinzessin der letzten Jahre, ist zurück. Das allein wäre schon ein Grund zu feiern, aber dann haut sie auch noch ein feministisches Manifest aus, das darüber hinaus auch noch so ein charmant schunkelnder Popsong ist. Natürlich können wir über das Video diskutieren und über die Frage, ob man Feuer (oder in diesem Fall eher: die Gülle, die “Blurred Lines” von Robin Thicke nun mal ist und auf die Allens Video anspielt) mit Feuer (Gülle) bekämpfen muss. Aber die Diskussion verschafft dem Thema “Sexismus im Pop” noch mal mehr Aufmerksamkeit und tut dem Song keinen Abbruch.

17. Blaudzun – Elephants
Um ehrlich zu sein, weiß ich quasi gar nichts über diesen niederländischen Sänger. Ich musste sogar seine Nationalität gerade noch mal nachschlagen und habe auch sein Album “Heavy Flowers” nur einmal gehört. Aber “Elephants” hat mich von Anfang an begeistert, seit ich den Song zum ersten Mal bei “All Songs Considered” gehört habe. Auch hier wieder: viel zeitgenössisches Getrommel, was nahelegt, dass man “Elephants” noch mal in der Werbung irgendeines Unterhaltungselektronikherstellers hören wird. Falls nicht: einfach auf “Repeat” drücken.

16. Josh Ritter – Joy To You Baby
Josh Ritter hat mit “The Beast In Its Tracks” das aufgenommen, was Musikjournalisten und empfindsame Hörer ein “Trennungsalbum” nennen. Ganz viele Songs an die Adresse der alten Flamme, inkl. der Versicherung, dass die neue Liebe nur “in einem bestimmten Licht” so aussehe wie die alte. Das alles kulminiert in “Joy To You Baby”, das im Spektrum “Wut/Gelassenheit” den gegenüberliegenden Platz von Ben Folds Fives “Song For The Dumped” besetzt und damit das versöhnlichste Abschiedslied seit … äh … seit “Die Guten” von muff potter. ist. So ungefähr.

15. Travis – Where You Stand
Liegt das an meiner neuen Stereoanlage, oder wurden 2013 die Bässe und Schlagzeuge deutlich weiter nach vorne gemischt als vorher? Im Prinzip auch egal, denn sprechen wir über dieses Lied, den Titeltrack von Travis’ siebtem Album. Da ist wirklich alles drin, was man von Travis erwartet, vor allem aber: viel Melancholie und Trost. Ein eher unspektakulärer Song, verglichen mit vielen Hits der Band, aber das passt zu Travis, die es sich in der Nische zwischen den übergroßen Bands Radiohead (von denen Travis beeinflusst wurden) und Coldplay (die von Travis beeinflusst wurden) bequem gemacht haben.

14. Moby feat. Wayne Coyne – The Perfect Life
Wer einmal auf einem Konzert der Flaming Lips war, weiß, wie man auch als erwachsener Mensch noch Euphorie bis in Kindergeburtstagssphären hochschrauben kann. Also eine gute Wahl, dass sich Moby für diese Endorphin-Überdosis Flaming-Lips-Sänger Wayne Coyne dazu holte, mit dem er dann im Video durchs sonnendurchflutete LA marschiert. Und was für ein schönes Liebeslied sie dabei singen! Hach!

13. Marathonmann – Die Stadt gehört den Besten
Seit dem Ende von muff potter. und Schrottgrenze und der Revolverheld-Werdung von Jupiter Jones ist der Platz für laute, heisere Emotionen in meinem Musikspektrum unbesetzt. Ich weiß, es gäbe da Dutzende gute Bands, aber keine von denen hat mich bisher so gekickt, wie es jetzt Marathonmann getan haben. Ich traf auf diese Hymne in ihrem natürlichen Lebensraum: einer von Piet Klocke moderierten Abendsendung auf WDR 5. Ich finde es etwas verstörend, dass ich bei der Zeile “Und wir steh’n auf uns’ren Brücken” ausgerechnet die Kölner Hohenzollernbrücke vor Augen habe, aber andererseits habe ich die in diesem Jahr etliche Male mit dem Zug überquert und zweitens gibt es in Bochum auch gar nicht so viele Brücken, die ich mir hier pathetisch vorstellen könnte. Ein wunderbares Brett mit ganz viel “Wir gegen den Rest der Welt”-Poesie und eine Hommage an Städte und Freundeskreise.

12. Rhye – Open
Nach 20 Uhr kann man auch auf Einslive feine Musik entdecken. Mein Erstkontakt mit “Open” fand jedenfalls beim Spülen im Rahmen der Sendung “Plan B” statt. Die Moderatorin erklärte mir vorab, was ich so direkt nicht geahnt hätte, nämlich dass die nun folgende Stimme einem Mann namens Mike Milosh gehöre. Stephen Thompson von NPR Music – der Mann, dem ich in Musikfragen am Allermeisten vertraue – schrieb über den Song: “catchy but subtle, sonically rich but uncluttered, sexy but never vulgar”. Im Fernsehen gehört “Open” schon jetzt zum festen Repertoire der Liebesaktanbahnungsbeschallung und vielleicht wird der Song eines Tages als “Smooth Operator” dieser Generation gehandelt werden.

11. Volcano Choir – Byegone
Justin Vernon will vielleicht nie mehr mit seinem Projekt Bon Iver Musik machen. Das wäre schade, aber erstens gibt es ja zwei phantastische Alben, die uns keiner mehr nehmen kann, und zweitens macht Vernon ja einfach immer weiter, auch mit anderen Projekten. “Repave”, das zweite Volcano-Choir-Album, hätte er auch als Bon Iver veröffentlichen können, und “Byegone” ist der Song, der sich dabei am Stärksten hervortut.

10. Leslie Clio – Let Go
“Told You So”, die Vorab-Single von Leslie Clios Debütalbum “Gladys”, hatte es ja bereits 2012 auf meine Liste geschafft, jetzt also noch ein Song. “Let Go” ist deutlich schleppender als “Told You So” (oder auch das ebenfalls famose “Couldn’t Care Less”) und verursacht bei mir immer noch regelmäßig Gänsehaut. Ein schlichtes, aber wirkungsvolles Trennungslied, das Adele oder Amy Winehouse in nichts nachsteht.

9. James Blake – Retrograde
Apropos Gänsehaut: James Blake! Den Gesang muss man mögen, aber der Song dürfte eigentlich keinen kalt lassen.

8. Biffy Clyro – Black Chandelier
Ja, das ist Stadionrock — aber immerhin nicht mit so verkrampftem Rockstardom verbunden wie der von Muse oder 30 Seconds To Mars. Schönes Gitarrengeschrammel, gute Lyrics und ein Songaufbau wie aus dem Lehrbuch — man kann alles für und gegen Biffy Clyro verwenden, aber vom Jahresanfang bis zum Jahresende war “Black Chandelier” die ganze Zeit dabei und hat auch am Ende immer noch funktioniert.

7. Daft Punk feat. Pharrell Williams – Get Lucky
Ladies and gentlemen, bitte erheben Sie sich für den Konsens-Hit des Jahres, ach was: der Dekade! “Get Lucky” ist das, was man instant classic nennt — aus dem Stand ein Evergreen. Ein Song, der Generationen vereint (“Sind das Steely Dan?” – “Nein, Papa!”), und per Gesetz in jeder einzelnen Fernsehsendung des Jahres 2013 gespielt werden musste. Und das, wo kaum noch jemand ernsthaft mit einem großen Comeback von Daft Punk gerechnet hatte.

6. Casper – Im Ascheregen
Ich habe ja so meine Zeit gebraucht, bis ich mit Caspers Musik warm wurde. Inzwischen bin ich großer Fan und das Album “Hinterland” hat seinen Vorgänger “XOXO” noch mal getoppt. Der Opener “Im Ascheregen” klingt mit seinen Trommeln, Chören, Bläsern und Glockenspielen mehr nach Arcade Fire als Arcade Fire selbst und textlich habe ich in der deutschsprachigen Musik 2013 kaum Besseres gehört. Vom Nicken in Richtung kettcar/Slime (“ein Drittel Heizöl, zwei Drittel Benzin”) über “auf Nimmerwiedersehen und Danke für nichts” bis hin zu “die Stadt muss brennen, brennen, brennen”: eine einzige Unabhängigkeitserklärung, ein mission statement, ein Stinkefinger.

5. Marcus Wiebusch – Nur einmal rächen
Apropos kettcar: Deren Sänger Marcus Wiebusch wagt sich nach fast 20 Jahren noch einmal auf Solopfade und macht mit “Nur einmal rächen” alles richtig. Kluge Geschichte, kluge Instrumentierung, grandiose Hookline. Seit kettcar den Versuch aufgegeben haben, ein zweites “Landungsbrücken raus” zu schreiben (also seit “Sylt”), gelingen ihnen immer wieder neue Meisterwerke (vgl. “Rettung”, 2012) und auf “Nur einmal rächen” wirkt Wiebusch so entspannt wie schon lange nicht mehr. Das für Mitte April angekündigte Debütalbum zählt zu denen, auf die ich am gespanntesten warte.

4. CHVRCHES – The Mother We Share
Ich kann mir aber nicht vorstellen, wie man sich “The Mother We Share”, der Debüt-Single von CHVRCHES, entziehen können sollte. Dieser Synthiepop ist zwar nicht wirklich neu, aber der Song ist musikalisch wie atmosphärisch so gekonnt “dazwischen” (nicht zu schnell und nicht zu langsam, nicht zu melancholisch und nicht zu euphorisch, nicht zu kalt und nicht zu warm), dass er auch nach einem Jahr immer noch kickt.

3. Foxygen – San Francisco
Auf Foxygen bin ich (natürlich) durch “All Songs Considered” aufmerksam geworden. Wie gekonnt diese Band auf die letzten 50 Jahre Musikgeschichte verweist und wie grandios das in “San Francisco” kulminiert. Dieser Dialog “I left my heart in San Francisco” – “That’s okay, I was bored anyway” – “I left my love in the room” – “That’s okay, I was born in L.A.” zählt definitiv zum Cleversten, was ich im vergangenen Jahr gehört habe, und ist auch beim hundertsten Hören immer noch lustig.

2. Kacey Musgraves – Merry Go ‘Round
Es ist in Deutschland, wo Countrymusik außer auf WDR 4 und in Fernfahrerkneipen kaum ein Zuhause hat, einigermaßen schwer vermittelbar, dass das Genre auch jung, klug und witzig sein kann. Entsprechend groß sollte die Überraschung über das Debütalbum von Kacey Musgraves sein, wenn sich hierzulande jemand dafür interessieren würde. “Merry Go ‘Round” erzählt vom Alltag in den ländlichen Gebieten der USA: “If you ain’t got two kids by 21 / You’re probably gonna die alone / Least that’s what tradition told you”. Die Kritik an diesem spießigen und bigotten Leben ist in so zuckersüße Musik gegossen, dass man sie zunächst überhören könnte — und das macht sie so wirkungsvoll.

1. The Front Bottoms – Au Revoir (Adios)
109 Sekunden, länger braucht mein Lied des Jahres 2013 nicht. Aber diese 109 Sekunden sind vollgepackt mit Witz, Gehässigkeit und Rock ‘n’ Roll. Ich könnte es 109 mal hintereinander hören und würde gern jeden Tag damit beginnen.

Die ganze Playlist zum Nachhören bei Spotify.

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Alles endet (Aber nie die Musik)

Früher, als ich in Internet und Radio über Musik berichtete, mehrere Musikzeitschriften las und mich quasi Vollzeit mit Popkultur beschäftigte, habe ich gelächelt über die Leute, die die jeweils neuesten Alben von Status Quo oder Chris Rea aus den Elektronikmärkten schleppten und sonst auf das zurück griffen, was sie an “junger Musik” aus dem Radio kannten: Norah Jones, Adele, Coldplay. Ich war ernsthaft empört über Menschen, die auf die Frage, was sie denn so für Musik hörten, mit “Charts” oder “was halt so im Radio läuft” antworteten.

Inzwischen weiß ich, dass es im Erwachsenenleben schwierig ist, ernsthaft mit der musikalischen Entwicklung Schritt zu halten. Das fängt schon damit an, dass man weniger Zeit und Gelegenheit hat, um Musik zu hören. Im Berufsleben ist es häufig nicht mehr möglich, während der Arbeit die neuesten Veröffentlichung oder – inzwischen eh ausgestorben – das Musikfernsehen laufen zu lassen. Am Abendbrottisch mit der Familie ist auch nicht immer der rechte Ort, um neue (oder auch alte) Rockmusik abzuspielen. Und dann haben Streamingdienste und Musikblogs die Geschwindigkeit, mit der das next big thing durchs Dorf und wieder herausgetrieben wird, auch noch erheblich gesteigert.

Und somit sind da plötzlich meine Status Quo und Chris Reas: Die Liste meiner diesjährigen Musikerwerbungen umfasst in einem nicht unerheblichen Maße Künstler und Bands, die auch schon vor zehn Jahren auf solchen Listen standen. Natürlich muss ich die neuen Alben von Travis und den Manic Street Preachers haben — sie zu bewerten ist allerdings gar nicht so einfach, denn natürlich waren “The Man Who” und “This Is My Truth Tell Me Yours” jeweils besser. Andererseits sind da auch immer Stimmen in meinem Kopf, die mir vorwerfen, die neuen Songs besser zu finden als ich die gleichen Songs bei Nachwuchsbands finden würde. All das muss man ausblenden und dann sehen: beides sind ziemlich gute Alben geworden.

Travis haben mich ja eh nie wirklich enttäuscht und auf “Where You Stand” und dem dazugehörigen Titeltrack sind sie tatsächlich so gut wie ungefähr seit “The Invisible Band” nicht mehr. Eine Revolution wollten die Schotten ja eh nur kurz auf “12 Memories” starten, jetzt können wir, die von Travis durch ihre Jugend begleitet wurden, mit der Band alt werden. Da sind die Manics schon angekommen: Nach “Postcards From A Young Man” blicken sie auch auf “Rewind The Film” ganz viel zurück — und es sind wieder ganz tolle Geschichten geworden, die James Dean Bradfield und seine zahlreichen Gastsänger da erzählen.

CDs (Symbolbild)

Von Moby habe ich zwar nicht jedes Album im Regal, aber die Vorabsingle “The Perfect Life” mit Wayne Coyne von den Flaming Lips war so grandios, dass ich die ganze Platte haben musste — und auch die ist tatsächlich sehr gut geworden. Auch Slut begleiten mich schon seit zwölf Jahren, ihr “Alienation” ist sicherlich wieder ein hervorragendes Album geworden, ich finde nur (noch) nicht so recht den Zugang dazu. Bei Radiohead bin ich ja auch irgendwann ausgestiegen.

Die Pet Shop Boys wären nach “Elysium” im vergangen Jahr eigentlich frühestens 2015 wieder mit einem neuen Album dran gewesen, haben mit “Electric” aber direkt einen Nachfolger aus dem Ärmel geschüttelt, der erstaunlich knallt. Gut: Das ist wahrscheinlich eher das, was sich Männer Mitte/Ende Fünfzig unter zeitgenössischer Elektonikmusik vorstellen (“Wie wäre es, wenn wir mal was von diesem Dubstep mit reinnehmen?”, “Wie wäre es, wenn wir diesen Example bei uns mitrappen lassen?”), aber mir gefällt’s besser als so Pappnasen wie Skrillex oder das besagte “Elysium”.

Die Kombination Elvis Costello & The Roots erscheint eigentlich nicht mal auf den ersten Blick abwegig: Costello macht seit mehr als 40 Jahren im Großen und Ganzen, was er will (Punk, Country, Klassik), insofern war es eigentlich überfällig, mal ein Album mit einer Hip-Hop-Band aufzunehmen. “Wise Up Ghost” ist erwartungsgemäß auf den Punkt und hat einige grandiose Songs, ist aber gar nicht so außergewöhnlich, wie man vielleicht hätte erwarten können.

Wirklich ärgerlich ist “Loud Like Love” von Placebo geworden: musikalisch weitgehend belanglos, textlich nah dran an der Unverschämtheit. Wo Brian Molko früher von Sex, Drogen und inneren Dämonen sang, vertont er heute offenbar Kolumnen von Harald Martenstein und singt in “Too Many Friends” darüber, dass Facebook-Freunde ja gar keine echten Freunde seien. Puh! Die neuen Alben von Jimmy Eat World und den Stereophonics, von Jupiter Jones und Thees Uhlmann habe ich nach den Vorabsingles lieber gar nicht mehr erst gehört. Man muss ja auch mal loslassen können, wenn alte Helden dorthin gehen, wo man selbst nicht mal fehlen möchte.

Aber das sind ja nur die Künstler und Bands, die mich jetzt schon seit mehr als zehn Jahren begleiten. Dazu kommen die “mittelalten” wie Cold War Kids, Josh Ritter, Erdmöbel, The National und Volcano Choir. Und natürlich die ganzen Neuentdeckungen, die ich durch “All Songs Cosidered”, Radioeins oder andere Empfehlungen gemacht habe und die dann letztlich doch gar nicht so vereinzelt sind, wie ich erst gedacht hatte. Aber dazu kommen wir ein andermal.

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The Second Great Depression

Warum eigentlich Semisonic?

Ich habe keine Ahnung, ob es tatsächlich irgendwelche wissenschaftlichen Untersuchungen zu dem Thema gibt, aber die Verweildauer eines durchschnittlichen Popalbums im Leben eines Musikrezipienten dürfte eher in Monaten, als in Jahren zu messen sein. Zwar ermöglichen es uns die immer größer werdenden Speicher der MP3-Player-Telefone, quasi unsere gesamte musikalische Biographie in der Hosentasche herumzutragen, aber wie weit gehen wir da schon zurück?

Alben, die mir einst viel bedeutet haben und von denen die meisten eine Zeit lang bei mir als “Lieblingsalbum” oder gleich “Bestes Album aller Zeiten” firmierten, höre ich noch ein, zwei Mal im Jahr. Und dank iTunes weiß ich sogar, wann zuletzt: “The Unauthorized Biography Of Reinhold Messner” von Ben Folds Five im Dezember, “Automatic For The People” von R.E.M. im November und “The Man Who” von Travis im September — den Uhrzeiten nach zu urteilen jeweils beim Einschlafen. Und das sind die Alben, die mir immer noch irgendwie wichtig sind und die auch einen recht tadellosen Ruf in der Musikgeschichte genießen.

Doch was ist mit den okayen Alben, die man mal intensiv gehört hat, mit denen man womöglich wichtige Ereignisse der Adoleszenz verbindet, die dann aber einfach in Vergessenheit geraten sind wie frühere Mitschüler, die eben immer so mit dabei waren, wenn man gemeinschaftlich unterwegs war? “Feeling Strangely Fine” von Semisonic, “Onka’s Big Moka” von Toploader oder das “MTV Unplugged” von den Fantastischen Vier. Wenn man zufällig irgendwo über die Hits stolpert, wirft es einen um Jahre zurück (wie mein Vater stets über musikinduzierte Flashbacks sagt), aber welcher Mensch, der halbwegs bei Verstand ist, würde die CD aus dem Regal hervorkramen, um “Closing Time” aufzulegen?

Der Teenager oder junge Twen (Sagt man das noch? “Twen”?) an sich hört überdurchschnittlich viel emotionale Musik. Irgendwann ist dann der Punkt erreicht, an dem man “So I look in your direction / But you pay me no attention, do you?” oder “The killer in me is the killer in you” nicht mal mehr für Statusupdates bei Facebook verwenden möchte. Zahlreiche Lieder und Alben sind durch zahlreiche Herzensbrüche verbrannt. Die ganz großen Liedzitate und -titel lässt man sich dann gleich tätowieren. Die Sorgen und Probleme sind eigentlich noch die gleichen wie zu Schulzeiten, aber alles ist viel komplexer geworden. Bei Berufstätigkeit, Familiengründung und Bausparvertrag wird der Soundtrack zum eigenen Leben für viele zunehmend unwichtiger. Es ist das Alter, in dem viele Menschen ihren Musikgeschmack plötzlich mit “was halt so im Radio läuft” umreißen und die Songs, die ihnen gefallen, schnell bei iTunes kaufen. Diese Kapitulation ist womöglich die richtige Entscheidung, denn auf der anderen Seite sieht es noch schlimmer aus.

Wer aus verschiedensten Gründen weiterhin auf dem Laufenden bleiben will, verliert viel Geld und langsam auch den Verstand: Jede Woche erscheinen Dutzende neue Alben, die sich in “Neuer heißer Scheiß” und “Von denen kaufe ich jede Platte” gliedern. Bei ersterem ist man Dank Internet bestens informiert, so dass es das Einfachste der Welt ist, wöchentlich 200 neue Hype-Themen zu entdecken und womöglich auch zu kaufen. Hören kann das alles kein Mensch mehr, aber große CD-Sammlungen beeindrucken potentielle Sexualpartner immer noch mehr als eine MP3-Sammlung von mehreren hundert Gigabyte. Und die alten Helden? Natürlich ist es schön, wenn R.E.M., die Foo Fighters oder Moby neue Alben veröffentlichen, die auch noch gut sind. Aber muss man die noch hören? Und wenn ja: Wie oft? Selbst wenn da tolle Songs drauf sind (was zweifelsohne der Fall ist), hat man ja immer noch die alten Alben mit den alten tollen Songs im Regal, mit denen man eine gemeinsame Geschichte hat. Der Unterschied ist ein bisschen wie der zwischen den Arbeitskollegen, mit denen man mal ein Feierabendbier trinken geht, und den alten Freunden von früher.

Dann wollen wieder die neuen besten Freunde (Jack’s Mannequin, The Hold Steady, The Low Anthem) Aufmerksamkeit. Und die heißen Affären aus den Jahren dazwischen. Die Arctic Monkeys haben ein neues Album veröffentlicht? Entschuldigung, interessiert mich nicht. Die ganze Indie-Chause der mittleren Nuller Jahre ist mir inzwischen völlig egal, von Franz Ferdinand und Mando Diao will ich weder alte noch neue Alben hören. An deren Musik werden wir noch jahrelang tragen, weil immer noch in jedem Dorf gelockte 15-Jährige mit karierten Hemden, die eine Band gründen wollen, ihre Songs aus Achtelbeats, Schrammelgitarren und Partylyrik zusammenbauen. Alles okay, vieles gut, aber es kann doch nicht sein, dass Gitarrenmusik hier enden soll?!

Ungefähr an jedem zweiten Tag der vergangenen Wochen habe ich mir die Frage “Was hör ich denn jetzt mal?” mit “Belong” beantwortet, dem phantastischen zweiten Album von The Pains Of Being Pure At Heart. Daneben höre ich das weg, was sich eben so angesammelt hat im bisherigen Kalenderjahr, oder greife zu ausgewählten Lieblingen der vergangenen zwei Jahre, derer ich noch nicht überdrüssig bin. Ich käme ehrlich gesagt nie auf die Idee, “(What’s The Story?) Morning Glory?” von Oasis aufzulegen — ich weiß ja, dass das ein gutes Album ist, auch wenn bei mir langsam die Zweifel einsetzen, ob Oasis tatsächlich so gut und wichtig waren.

Jahreszeitlich bedingt laufen gerade wieder zwei Alben bei mir rauf und runter, die schon neun bzw. 13 Jahre alt sind: “Hi-Fi Serious” von A, eines meiner absoluten Lieblingsalben, bei dem ich bei jedem Hören erwäge, mir auf meine alten Tage doch noch ein Skateboard zu kaufen, und “Moon Safari” von Air, das womöglich beste Sommer-Entspannungsalben aller Zeiten. Beide Alben sind so gut und für ihre Funktion als Sommer-Soundtrack so perfekt, dass ich mich kaum bemühe, Nachfolger zu finden.

Und das wird immer mehr. Während ich noch damit beschäftigt bin, mich in das Frühwerk von Bruce Springsteen reinzuhören, mir Led Zeppelin zu erschließen und die wichtigsten Grand-Prix-Songs der letzten 55 Jahre drauf zu schaffen, werden Menschen erwachsen, die Nirvana nie als zeitgenössische Musik kennengelernt haben, sondern offiziell als Oldies. Menschen, denen das Konzept “Album” unbekannt ist, das die Popkultur von den 1960er Jahren bis hinein in die späten Nuller so geprägt hat.

Und dann stellt man wieder fest, dass Popkultur alt macht. Also: die intensive Beschäftigung damit. Eltern sehen ihre Kinder aufwachsen, Gärtner bekommen den Gang der Jahreszeiten zu spüren, aber als Popkulturfan entscheidet man sich bewusst dafür, Zeit anhand von Veröffentlichungsdaten von Musik, Filmen und TV-Serien wahrzunehmen. Die Summe des eigenen Lebens sammelt sich schön anschaulich in Regalen und sorgt bei jedem Umzug für größere Verstimmung. Und der Gedanke an eine Popband, die vor mehr als einer Dekade mal einen Mini-Hit hatte, löst Gedankengänge aus, denen man selbst nicht mehr folgen kann.

Deswegen Semisonic.

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Listenpanik 06/09

Himmel hilf: Der Juli ist schon zur Hälfte um und die Juni-Liste war bis eben immer noch unveröffentlicht. Schieben wir es auf die schiere Menge an Neuveröffentlichungen und die ganze tolle Musik, die sonst noch so da war:

Alben
The Pains Of Being Pure At Heart – The Pains Of Being Pure At Heart (Nachtrag)
Falls Sie es noch nicht mitbekommen haben (so wie ich bis vor kurzem): Das ist der Indiepop-Geheimtipp der Saison. Fachzeitschriften nennen dieses New Yorker Quartett “eine amerikanische Version der Smiths”, was gleichermaßen treffend wie irreführend ist. Mein internes Katalogsystem führt die Band unter “irgendwie kanadisch”, was an den Gitarrensounds, Glockenspielen und wechselnden Sänger(inne)n liegen könnte.

Fanfarlo – Reservoir (Nachtrag)
Noch ein Nachtrag, noch mal “irgendwie kanadisch”, obwohl es sich doch um eine schwedisch-englische Band handelt: Zuerst bei “All Songs Considered” entdeckt, dann das Album für einen Euro gekauft. Bildhübscher Indiepop mit Hang zum Orchestralen. Für einen Sommer auf der Wiese.

Regina Spektor – Far
Kommen wir nun zur beliebten Reihe “Acts, die jahrelang an mir vorbeigegangen sind”. In diesem Fall so sehr, dass ich dachte, Regina Spektor (die wirklich so heißt) hätte irgendwas mit Phil Spector (der auch wirklich so heißt) zu tun. Aber dann kam erst das letzte Ben-Folds-Album, auf dem Regina Spektor bei “You Don’t Know Me” mitträllerte, und dann kam “Laughing With”, das mich auf Anhieb begeisterte (s.u.). Der Pianopop auf “Far” ist schon toll, aber über allem stehen die Texte — selten habe ich bei einem englischsprachigen Album so früh so gründlich auf die Texte geachtet und sie für so großartig befunden.

Wilco – Wilco (The Album)
Das mit Wilco und mir war immer ein bisschen schwierig: Ich bin mit “Yankee Hotel Foxtrott” eingestiegen, das einige toll Songs hatte, mich aber nie so ganz überzeugen konnte, dann habe ich mich vor fünf Jahren zufällig in “Summerteeth” verliebt, ehe mich “A Ghost Is Born” und “Sky Blue Sky” etwas ratlos zurückließen. Gut für mich, dass “Wilco (The Album)” ziemlich genau da weitermacht, wo “Summerteeth” aufgehört hat: Leicht verspielter Indierock, der aber nicht in riesige Soundflächen ausufert, sondern sich auf drei bis vier Minuten konzentriert.

The Sounds – Crossing The Rubicon
Als vor sechs Jahren das Sounds-Debüt “Living In America” in Deutschland erschien, wurden die Schweden als “die neuen Blondie” vermarktet, was nicht völlig abwegig, aber eben auch “die neuen Irgendwasse”-dämlich war. Zum Zweitwerk “Dying To Say This To You” habe ich nie einen richtigen Zugang gefunden, aber “Crossing The Rubicon” spricht mich wieder sehr stark an: Leicht überdrehte Rocksongs mit schrammelnden Gitarren, tanzbaren Beats und vergleichsweise wenigen Synthesizern. Und irgendwie muss Maja Ivarsson Singen gelernt haben — aber das macht ja nichts.

Placebo – Battle For The Sun
Ich hatte immer das Gefühl, alle Placebo-Alben klängen im Wesentlichen gleich (und damit gleich gut), aber das stimmt gar nicht. Natürlich gibt es auch diesmal wieder treibende Beats, wüstes Gitarrengeschrammel und die alles dominierende Stimme von Brian Molko, aber einiges ist anders. Das kann zum Beispiel am neuen Schlagzeuger liegen (der, höflich gesagt, nicht ganz so filigran arbeitet wie sein Vorgänger) oder daran, dass Placebo ernsthaft ein Feelgood-Album aufnehmen wollten. Jetzt gibt es Streicher und Anklänge von Trompeten und Glockenspielen und vieles klingt tatsächlich – im Placebo-Rahmen – sehr uplifting. Das ist total anders als der düstere Vorgänger “Meds”, dessen Qualität schwerlich wieder zu erreichen war. Aber “Battle For The Sun” ist ein solides Album, das sich von allen anderen der Band deutlich unterscheidet.

Moby – Wait For Me
Vor zehn Jahren war Mobys Karriere vorbei. Dann veröffentlichte er “Play” und wurde zum Nummer-Eins-Lieferanten für Werbespots und Filmsoundtracks. Danach hat er verschiedenes ausprobiert, jetzt kehrt er fast komplett zum Sound von “Play” zurück. Erstaunlicherweise gelingt ihm damit sein bestes Album seit eben jenem “Play”. Gesungen wird wenig, getanzt kaum, und manchmal nimmt man die Musik beim Nebenbeihören gar nicht mehr wahr, aber es ist ein atmosphärisch dichtes Album, dessen Songs sicher bald wieder Werbespots und Filmsoundtracks zieren werden.

Eels – Hombre Lobo
Mein erstes komplettes Eels-Album. Was soll ich sagen? Ja, kann man sich auch über vierzig Minuten anhören. Eine schöne Mischung aus filigranen, fast Kinderlied-haften Popsongs und charmant-knarzigen Rocknummern.

Songs
Eels – That Look You Give That Guy
Ich hatte das Lied ja hier schon ausführlich gelobt. Seitdem habe ich es mehr als zwanzig Mal gehört und finde es immer noch ganz wunderbar. Nur eine Frage beschäftigt mich die letzten Tage: Was ist eigentlich das Gegenteil von Eifersucht?

Regina Spektor – Laughing With
Eigentlich kann man sich alle Ausführungen zu diesem Lied sparen: die Lyrics sprechen für sich. Ich hörte den Song erstmals bei “All Songs Considered”, am S-Bahn-Gleis des Bochumer Hauptbahnhofs stehend. Alle Störgeräusche verschwanden, ich hörte nur noch das Klavier und diese leicht eigentümliche Stimme, die diesen wunder-wunderschönen Text sang. Es wäre unangemessen gewesen, an diesem Ort loszuheulen, aber es gibt wenige Songs, bei denen ich so kurz davor stand.

Wilco – You And I
In einem normalen Monat wäre sowas ganz klar der Song des Monats geworden: Ein charmanter Popsong mit anrührendem Text und den Stimmen von Jeff Tweedy und Gastsängerin Leslie Feist. Nun: Es war kein normaler Monat, wie Sie oben sehen, sondern der Monat der überlebensgroßen Songs mit phantastischen Lyrics. Aber es gibt hier ja sowieso keine Rangliste mehr. (Das Lied habe ich übrigens zum ersten Mal auf WDR 2 gehört und danach beschlossen, mir das Album zu kaufen. So viel zum Thema “das Radio hat als Multiplikator ausgedient” …)

The Pains Of Being Pure At Heart – This Love Is Fucking Right!
Die Länge von Bandnamen und Songtitel machen es unmöglich, diesen Song auf ein Mixtape zu packen — der Platz auf so einem Beipackzettel ist ja leider nur begrenzt. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich den Liedtext richtig verstanden habe (meine Interpretation wäre in zahlreichen Ländern der Welt illegal), aber: Hey, es ist ein wunderschöner kleiner Song und der Titel ein wunderbarer Slogan. (Überhaupt bräuchte es mehr Songtitel mit Ausrufezeichen am Ende.)

[Listenpanik, die Serie]

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Musik

The Class of ’99

New Radicals hören im ICE (Szene nachgestellt)

Heute vor zehn Jahren saß ich in einem Zug nach Berlin, hörte “You Get What You Give” von den New Radicals und damit begann dann meine Musikbegeisterung (nachzulesen hier). ((Mir fiel gerade erst auf, dass ich den Song vermutlich nur deshalb im Bordradio gehört habe, weil ich den ursprünglichen ICE verpasst hatte. Nach all diesen Jahren stelle ich fest, dass ausgerechnet eine Regionalbahn-Verspätung mein Leben verändert hat!))

In der Folgezeit fing ich an, Gitarre zu lernen, in Bands zu spielen, Festivals zu besuchen, über Musik zu schreiben und irgendwann sogar Radiosendungen darüber zu moderieren. Am Jahr 1999 führt auch heute noch kein Weg dran vorbei: Ein großer Teil meiner Lieblingsalben und -songs erschien in eben diesem Jahr.

Mit ein wenig kulturwissenschaftlichem Übermut könnte man vielleicht sogar das Fin de siècle bemühen um zu erklären, warum ausgerechnet kurz vor dem Jahrhundertende plötzlich reihenweise große Kunst entstand. Denn selbst wenn man zugute hält, dass 15, 16 immer ein besonders prägendes Alter ist und Menschen, die heute in diesem Alter sind, vermutlich in zehn Jahren das Gleiche über 2009 sagen werden: Vor zehn Jahren war eine ganze Reihe von Bands und Künstlern auf dem Höhepunkt ihres Schaffens.

Da waren längst nicht nur die New Radicals mit ihrem einzigen Album: Ben Folds Five verausgabten sich mit ihrem Meisterwerk “The Unauthorized Biography Of Reinhold Messner” derart, dass sie sich ein Jahr später auflösten; Travis haben viele gute Alben aufgenommen, aber so dicht wie “The Man Who” klang keines mehr; Moby errichtete sich mit “Play” sein eigenes Denkmal, von dessen Lizensierungen für Spielfilme und Werbespots er sich einen kleinen Staat kaufen könnte. Und selbst, wenn ich einige der ’99er Alben erst Jahre entdeckte: Das war schon ein ganz besonderer Jahrgang.

Und damit Sie wissen, wovon zum Henker ich eigentlich rede, hier eine unsortierte Liste von Alben aus besagtem Jahr:

Travis – The Man Who
Anspieltipp: Driftwood
Ben Folds Five – The Unauthorized Biography Of Reinhold Messner
Anspieltipp: Your Redneck Past
New Radicals – Maybe You’ve Been Brainwashed Too ((Dass das Album bereits im Oktober 1998 auf den Markt kam, ist ein Detail, durch das ich mir nicht meine Geschichte kaputt machen lasse.))
Anspieltipp: Flowers
Foo Fighters – There Is Nothing Left To Lose
Anspieltipp: Next Year
Jimmy Eat World – Clarity
Anspieltipp: Blister
Stereophonics – Performance And Cocktails
Anspieltipp: Just Looking
Moby – Play
Anspieltipp: Porcelain
Red Hot Chili Peppers – Californication
Anspieltipp: Scar Tissue
Tocotronic – K.O.O.K.
Anspieltipp: Jackpot
The Get Up Kids – Something To Write Home About
Anspieltipp: I’ll Catch You
Sigur Rós – Ágætis Byrjun
Anspieltipp: Svefn-G-Englar
Wilco – Summerteeth
Anspieltipp: Nothing’severgonnastandinmyway(again)
3 Colours Red – Revolt
Anspieltipp: Beautiful Day
Blink-182 – Enema Of The State
Anspieltipp: What’s My Age Again?
Blur – 13
Anspieltipp: Coffee And TV

Natürlich erschienen danach noch viele großartige Alben (ein Jahr später beispielsweise “Kid A” von Radiohead und das Coldplay-Debüt “Parachutes”), aber ein Jahr wie 1999 habe ich seitdem nicht mehr erlebt.

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Musik

Homegrown Terror

Es gibt ja eigentlich keinen Grund, warum Nena heute noch bekannt sein sollte – also mal davon ab, dass sie mit unrasierten Achseln im Fernsehen auftrat und damit das Deutschlandbild vieler Briten und Amerikaner nachhaltiger prägte als so mancher Bundeskanzler. Seit vielen Jahren veröffentlicht Nena die immergleichen Songs in immer neuen Gewändern und schafft damit vermutlich auch noch das, was sie damit erreichen will: Ganze Generationen neuer Nena-Fans zu erschließen.

Letzte Woche erschien das neue Album von Nena. Es heißt “Cover Me” und hätte mich vermutlich mein Lebtag nicht interessiert, wenn, ja wenn ich nicht gerade bei iTunes darüber gestolpert wäre. Dank moderner Technik kann man ja heutzutage in jedes Album zumindest reinhören und das habe ich dann auch getan.

Nachdem ich den Teppich so gut es ging wieder gereinigt und mir eine Winterjacke angezogen hatte (ich werde noch ein paar Tage lüften müssen, bis der Gestank rausgeht), dachte ich mir: Nein, damit möchte ich nicht allein bleiben. Und deshalb jetzt hier für Sie: Die “Highlights” aus “Cover Me”, das – Sie hatten es bereits dem großartigen Wortspiel im Albumtitel entnommen – ein Coveralbum ist.

Auf der ersten Seite vergreift sich Nena “nur” an deutschsprachigen Songs: So erwischt es neben den ungleich kredibileren Mit-Achtziger-Acts Ulla Meinecke (“Für dich tu ich fast alles”) und Ideal (“Eiszeit” )auch David Bowie (“Helden” aus dem “Christiane F.”-Soundtrack) und – bitte festhalten und sehr, sehr tapfer sein! – Deichkind (“Remmidemmi”).

Wer bereits jetzt glaubt, alles Elend dieser Welt gehört zu haben, hat gerade mal den Fuß in der Höllenpforte, aus der auf der B-Seite des Albums diverse englische Coverversionen strömen werden. Mark Bolan von T. Rex ist immerhin schon tot, so dass ihn die Version von “Children Of The Revolution” allenfalls noch zum leisen Rotieren bringen sollte – andere Musiker haben das Glück nicht: Bowie (“Starman”) sowie Bob Dylan und die Rolling Stones erwischt es gleich zwei Mal (“It’s All Over Now Baby Blue” und “Blowin’ In The Wind” bzw. “The Last Time” und “She’s Like A Rainbow”), The Cure bekommen die zweitausendste Interpretation von “Friday I’m In Love” angehängt und bei Pink Floyd dürfte man sich nach dem Konsum von “Us And Them” wünschen, es wären gleich alle Bandmitglieder dem Wahnsinn anheim gefallen.

Auch “jüngere” Acts wie Air (“Sexy Boy”) und Moby (“Slipping Away”) sind nicht sicher vor Nena und ihrem Haus-und-Hof-Produzenten und Ex-“Popstars”-Jurymitglied Uwe Fahrenkrog-Petersen. Doch ihnen allen geht es noch gut, denn am schlimmsten erwischt es mal wieder die arme Joni Mitchell. Wer geglaubt hatte, wüster als die Counting Crows könne niemand mehr die große alte Dame der Folkmusik beleidigen, wird bei Nena eines besseren belehrt: Ihre Version von “Big Yellow Taxi” ist seit vielen Jahren, ja: Jahrzehnten der erste Song, der William Shatners “Lucy In The Sky With Diamonds” den Ruhm als schlechteste Coverversion aller Zeiten streitig machen könnte. Aber das ist ja auch schon mal eine erstaunliche Leistung.