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Listenpanik 06/​09

Him­mel hilf: Der Juli ist schon zur Hälf­te um und die Juni-Lis­te war bis eben immer noch unver­öf­fent­licht. Schie­ben wir es auf die schie­re Men­ge an Neu­ver­öf­fent­li­chun­gen und die gan­ze tol­le Musik, die sonst noch so da war:

Alben
The Pains Of Being Pure At Heart – The Pains Of Being Pure At Heart (Nach­trag)
Falls Sie es noch nicht mit­be­kom­men haben (so wie ich bis vor kur­zem): Das ist der Indiepop-Geheim­tipp der Sai­son. Fach­zeit­schrif­ten nen­nen die­ses New Yor­ker Quar­tett „eine ame­ri­ka­ni­sche Ver­si­on der Smit­hs“, was glei­cher­ma­ßen tref­fend wie irre­füh­rend ist. Mein inter­nes Kata­log­sys­tem führt die Band unter „irgend­wie kana­disch“, was an den Gitar­ren­sounds, Glo­cken­spie­len und wech­seln­den Sänger(inne)n lie­gen könn­te.

Fan­far­lo – Reser­voir (Nach­trag)
Noch ein Nach­trag, noch mal „irgend­wie kana­disch“, obwohl es sich doch um eine schwe­disch-eng­li­sche Band han­delt: Zuerst bei „All Songs Con­side­red“ ent­deckt, dann das Album für einen Euro gekauft. Bild­hüb­scher Indiepop mit Hang zum Orches­tra­len. Für einen Som­mer auf der Wie­se.

Regi­na Spek­tor – Far
Kom­men wir nun zur belieb­ten Rei­he „Acts, die jah­re­lang an mir vor­bei­ge­gan­gen sind“. In die­sem Fall so sehr, dass ich dach­te, Regi­na Spek­tor (die wirk­lich so heißt) hät­te irgend­was mit Phil Spec­tor (der auch wirk­lich so heißt) zu tun. Aber dann kam erst das letz­te Ben-Folds-Album, auf dem Regi­na Spek­tor bei „You Don’t Know Me“ mit­träl­ler­te, und dann kam „Laug­hing With“, das mich auf Anhieb begeis­ter­te (s.u.). Der Pia­no­pop auf „Far“ ist schon toll, aber über allem ste­hen die Tex­te – sel­ten habe ich bei einem eng­lisch­spra­chi­gen Album so früh so gründ­lich auf die Tex­te geach­tet und sie für so groß­ar­tig befun­den.

Wil­co – Wil­co (The Album)
Das mit Wil­co und mir war immer ein biss­chen schwie­rig: Ich bin mit „Yan­kee Hotel Fox­trott“ ein­ge­stie­gen, das eini­ge toll Songs hat­te, mich aber nie so ganz über­zeu­gen konn­te, dann habe ich mich vor fünf Jah­ren zufäl­lig in „Sum­mer­tee­th“ ver­liebt, ehe mich „A Ghost Is Born“ und „Sky Blue Sky“ etwas rat­los zurück­lie­ßen. Gut für mich, dass „Wil­co (The Album)“ ziem­lich genau da wei­ter­macht, wo „Sum­mer­tee­th“ auf­ge­hört hat: Leicht ver­spiel­ter Indie­rock, der aber nicht in rie­si­ge Sound­flä­chen aus­ufert, son­dern sich auf drei bis vier Minu­ten kon­zen­triert.

The Sounds – Crossing The Rubicon
Als vor sechs Jah­ren das Sounds-Debüt „Living In Ame­ri­ca“ in Deutsch­land erschien, wur­den die Schwe­den als „die neu­en Blon­die“ ver­mark­tet, was nicht völ­lig abwe­gig, aber eben auch „die neu­en Irgendwasse“-dämlich war. Zum Zweit­werk „Dying To Say This To You“ habe ich nie einen rich­ti­gen Zugang gefun­den, aber „Crossing The Rubicon“ spricht mich wie­der sehr stark an: Leicht über­dreh­te Rock­songs mit schram­meln­den Gitar­ren, tanz­ba­ren Beats und ver­gleichs­wei­se weni­gen Syn­the­si­zern. Und irgend­wie muss Maja Ivars­son Sin­gen gelernt haben – aber das macht ja nichts.

Pla­ce­bo – Batt­le For The Sun
Ich hat­te immer das Gefühl, alle Pla­ce­bo-Alben klän­gen im Wesent­li­chen gleich (und damit gleich gut), aber das stimmt gar nicht. Natür­lich gibt es auch dies­mal wie­der trei­ben­de Beats, wüs­tes Gitar­ren­ge­schram­mel und die alles domi­nie­ren­de Stim­me von Bri­an Mol­ko, aber eini­ges ist anders. Das kann zum Bei­spiel am neu­en Schlag­zeu­ger lie­gen (der, höf­lich gesagt, nicht ganz so fili­gran arbei­tet wie sein Vor­gän­ger) oder dar­an, dass Pla­ce­bo ernst­haft ein Feel­good-Album auf­neh­men woll­ten. Jetzt gibt es Strei­cher und Anklän­ge von Trom­pe­ten und Glo­cken­spie­len und vie­les klingt tat­säch­lich – im Pla­ce­bo-Rah­men – sehr uplif­ting. Das ist total anders als der düs­te­re Vor­gän­ger „Meds“, des­sen Qua­li­tät schwer­lich wie­der zu errei­chen war. Aber „Batt­le For The Sun“ ist ein soli­des Album, das sich von allen ande­ren der Band deut­lich unter­schei­det.

Moby – Wait For Me
Vor zehn Jah­ren war Mobys Kar­rie­re vor­bei. Dann ver­öf­fent­lich­te er „Play“ und wur­de zum Num­mer-Eins-Lie­fe­ran­ten für Wer­be­spots und Films­ound­tracks. Danach hat er ver­schie­de­nes aus­pro­biert, jetzt kehrt er fast kom­plett zum Sound von „Play“ zurück. Erstaun­li­cher­wei­se gelingt ihm damit sein bes­tes Album seit eben jenem „Play“. Gesun­gen wird wenig, getanzt kaum, und manch­mal nimmt man die Musik beim Neben­bei­hö­ren gar nicht mehr wahr, aber es ist ein atmo­sphä­risch dich­tes Album, des­sen Songs sicher bald wie­der Wer­be­spots und Films­ound­tracks zie­ren wer­den.

Eels – Hombre Lobo
Mein ers­tes kom­plet­tes Eels-Album. Was soll ich sagen? Ja, kann man sich auch über vier­zig Minu­ten anhö­ren. Eine schö­ne Mischung aus fili­gra­nen, fast Kin­der­lied-haf­ten Pop­songs und char­mant-knar­zi­gen Rock­num­mern.

Songs
Eels – That Look You Give That Guy
Ich hat­te das Lied ja hier schon aus­führ­lich gelobt. Seit­dem habe ich es mehr als zwan­zig Mal gehört und fin­de es immer noch ganz wun­der­bar. Nur eine Fra­ge beschäf­tigt mich die letz­ten Tage: Was ist eigent­lich das Gegen­teil von Eifer­sucht?

Regi­na Spek­tor – Laug­hing With
Eigent­lich kann man sich alle Aus­füh­run­gen zu die­sem Lied spa­ren: die Lyrics spre­chen für sich. Ich hör­te den Song erst­mals bei „All Songs Con­side­red“, am S‑Bahn-Gleis des Bochu­mer Haupt­bahn­hofs ste­hend. Alle Stör­ge­räu­sche ver­schwan­den, ich hör­te nur noch das Kla­vier und die­se leicht eigen­tüm­li­che Stim­me, die die­sen wun­der-wun­der­schö­nen Text sang. Es wäre unan­ge­mes­sen gewe­sen, an die­sem Ort los­zu­heu­len, aber es gibt weni­ge Songs, bei denen ich so kurz davor stand.

Wil­co – You And I
In einem nor­ma­len Monat wäre sowas ganz klar der Song des Monats gewor­den: Ein char­man­ter Pop­song mit anrüh­ren­dem Text und den Stim­men von Jeff Tweedy und Gast­sän­ge­rin Les­lie Feist. Nun: Es war kein nor­ma­ler Monat, wie Sie oben sehen, son­dern der Monat der über­le­bens­gro­ßen Songs mit phan­tas­ti­schen Lyrics. Aber es gibt hier ja sowie­so kei­ne Rang­lis­te mehr. (Das Lied habe ich übri­gens zum ers­ten Mal auf WDR 2 gehört und danach beschlos­sen, mir das Album zu kau­fen. So viel zum The­ma „das Radio hat als Mul­ti­pli­ka­tor aus­ge­dient“ …)

The Pains Of Being Pure At Heart – This Love Is Fuck­ing Right!
Die Län­ge von Band­na­men und Song­ti­tel machen es unmög­lich, die­sen Song auf ein Mix­tape zu packen – der Platz auf so einem Bei­pack­zet­tel ist ja lei­der nur begrenzt. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich den Lied­text rich­tig ver­stan­den habe (mei­ne Inter­pre­ta­ti­on wäre in zahl­rei­chen Län­dern der Welt ille­gal), aber: Hey, es ist ein wun­der­schö­ner klei­ner Song und der Titel ein wun­der­ba­rer Slo­gan. (Über­haupt bräuch­te es mehr Song­ti­tel mit Aus­ru­fe­zei­chen am Ende.)

[Lis­ten­pa­nik, die Serie]

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Listenpanik (5): I Killed The Zeitgeist

Wenn ich mir die bis­he­ri­gen Monats­bes­ten­lis­ten so anschaue, fällt mir auf, wie vie­le Sachen ich ger­ne noch ergän­zen wür­de. Auch wenn die logi­sche Reak­ti­on dar­auf wäre, die Akti­on ein­fach abzu­bla­sen, stür­ze ich mich trotz­dem mit Elan in die Ver­öf­fent­li­chun­gen des Monats Juli. Wie immer streng sub­jek­tiv und ohne den Hauch eines Anspruchs auf Voll­stän­dig­keit:

Alben (inkl. Amazon.de-Links)
1. Jus­ti­ce – †
Es müss­te schon mit dem Teu­fel (oder Gevat­ter Tod) zuge­hen, wenn es die­ses Jahr noch einen hei­ße­ren Act als Jus­ti­ce gäbe, the French elec­tro­nic duo who does what French elec­tro­nic duos should do. Natür­lich kommt man um die Ver­glei­che zu Daft Punk und Air kaum her­um, aber das sind ja bei­des Acts aus dem letz­ten Jahr­tau­send. Zuge­ge­ben: „†“ hät­te auch schon vor zehn Jah­ren erschei­nen kön­nen. Ist es aber nicht und genau des­halb sticht die­ses House-Album trotz Rave-Revi­val im Som­mer 2007 so aus der Mas­se her­aus. Viel­leicht wird uns das alles in einem Jahr schon wie­der egal sein, aber im Moment heißt’s erst mal: „Do the D.A.N.C.E. /​ 1, 2, 3, 4, fight“.

2. Toco­tro­nic – Kapi­tu­la­ti­on
Wer dach­te, dass Toco­tro­nic gar nicht mehr bes­ser wer­den könn­ten, als auf „Pure Ver­nunft darf nie­mals sie­gen“, muss zuge­ben, sich geirrt zu haben. Wenn jede Band nach 14 Jah­ren Band­ge­schich­te auf dem ach­ten Album so klän­ge, wüss­te man ja kaum noch, wohin mit all den guten Alben. Dirk von Lowtzow hat mit unge­fähr jedem Medi­um der Repu­blik spre­chen müs­sen, hat dabei unzäh­li­ge Male die Schön­heit des Wor­tes „Kapi­tu­la­ti­on“ erklärt, aber sobald die ers­ten Tak­te von „Mein Ruin“ erklin­gen, ist das alles egal. Wie schon vor zwei Jah­ren mit „Aber hier leben, nein dan­ke“ sind die Tocos auch in die­sem Jahr mit ihrem Auf­ruf zur „Kapi­tu­la­ti­on“ völ­lig gegen den Strich und genau das macht die­se Band so wert­voll.

3. Smas­hing Pump­kins – Zeit­geist
Jetzt sind sie also wie­der da, die Smas­hing Pump­kins. Oder bes­ser: Bil­ly Cor­gan und Jim­my Cham­ber­lin. Nach Cor­gans desas­trö­sem Solo­al­bum und ohne die Hälf­te der eigent­li­chen Band konn­te man ja fast nur noch mit dem schlimms­ten rech­nen, wes­we­gen schon ein knapp über­durch­schnitt­li­ches Album eine Sen­sa­ti­on gewe­sen wäre. „Zeit­geist“ ist aber noch bes­ser: Es ist nach „Sia­me­se Dream“ und „Ado­re“ mal wie­der ein pro­blem­los durch­hör­ba­res Pump­kins-Album und es ist die gro­ße „Look who’s back“-Geste. Klang­lich könn­te auf eini­gen Songs auch Zwan drauf­ste­hen und natür­lich sind die meis­ten Num­mern weit von „Today“, „Tonight, Tonight“ und „1979“ ent­fernt, aber es dürf­te kaum jemand erwar­tet haben, dass Cor­gan noch ein­mal zu sol­chen Groß­ta­ten in der Lage ist. Aber „Zeit­geist“ hat „Doomsday Clock“, „Blee­ding The Orchid“, „Starz“ und „United Sta­tes“ auf der Haben­sei­te, über alles ande­re dis­ku­tie­ren wir nach der Ver­öf­fent­li­chung von „Chi­ne­se Demo­cra­cy“.

4. The Elec­tric Soft Para­de – No Need To Be Down­he­ar­ted
Die Gebrü­der White aus Brigh­ton haben sich mal wie­der in ihrem ehe­ma­li­gen Kin­der­zim­mer ein­ge­schlos­sen und defi­nie­ren, wie Indiepop im Som­mer 2007 klingt: locker-flo­ckig, mit gele­gent­li­chen Aus­flü­gen ins Ver­schro­be­ne und Aus­ufern­de. Ein Ritt durch die letz­ten vier­zig Jah­re Musik­ge­schich­te und doch ein­deu­tig The Elec­tric Soft Para­de.

5. Spoon – Ga Ga Ga Ga Ga
Musik­jour­na­lis­mus für Anfän­ger: „Wer sein Album so nennt, muss ja schon ziem­lich gaga sein.“
Musik für Fort­ge­schrit­te­ne: Auf ihrem sechs­ten Album spie­len Spoon aus Aus­tin, Texas ihren dezent ver­schro­be­nen Indie­rock genau auf den Punkt. Zehn Songs in 36 Minu­ten, das ist fast wie Weezer, nur nicht ganz so ein­gän­gig: Bis Melo­dien hän­gen blei­ben, muss man „Ga Ga Ga Ga Ga“ schon eini­ge Male gehört haben, in Ver­zü­ckung ver­setzt einen die Musik aber von Anfang an. Wer sehn­süch­tigst aufs neue Eels-Album war­tet, kann Spoon so lan­ge als Ersatz hören – alle ande­ren natür­lich auch.

Sin­gles (inkl. iTu­nes-Links)
1. Smas­hing Pump­kins – Doomsday Clock
Bil­ly Cor­gan allein wird wis­sen, ob das jetzt eine (Download-)Single ist oder nicht, aber es ist auch egal: „Doomsday Clock“ ist genau der Ope­ner, auf den man sie­ben Jah­re gewar­tet hat. Jim­my Cham­ber­lin haut ein biss­chen auf den Fel­len rum, dann legen die Gitar­ren los und Bil­ly Cor­gan singt die Num­mer nach hau­se: „Plea­se don’t stop /​ It’s lonely at the top“. Der Mann weiß wovon er singt, er war schon mal ganz oben. Aber allei­ne war er eigent­lich über­all.

2. Black Rebel Motor­cy­cle Club – Ber­lin
Album über­se­hen, dann wenigs­tens die Sin­gle wür­di­gen: BRMC haben den Blues-Anteil nach „Howl“ wie­der zurück­ge­fah­ren, aber „Ber­lin“ klingt immer noch aus­rei­chend nach Ame­ri­ka, Wüs­ten­sand und Bär­ten. Wie das zum Titel pas­sen soll, ist wohl eine berech­tig­te Fra­ge, die ich aber ein­fach im Raum ste­hen las­sen möch­te, weil sie mir dort ide­al Schat­ten spen­det.

3. Her­bert Grö­ne­mey­er – Kopf hoch, tan­zen
Dass „Zwölf“ ein irgend­wie tol­les Album ist, hat­te ich ja schon mal ver­sucht aus­zu­drü­cken. Damals ver­gaß ich aber irgend­wie, die­sen Song her­vor­zu­he­ben. Das Sen­sa­tio­nel­le dar­an: 2007 klingt Grö­ne­mey­er für einen Song mehr nach den Acht­zi­gern, als er es in den meis­ten sei­ner Acht­zi­ger-Jah­re-Songs je getan hat. Dazu ein Text, der wie­der alles und nichts bedeu­ten kann, und ein wun­der­ba­res Video.

4. The Elec­tric Soft Para­de – Misun­derstan­ding
Die Sech­zi­ger Jah­re waren lan­ge vor­bei, als Alex und Tom White gebo­ren wur­den. Trotz­dem klingt „Misun­derstan­ding“ nach Beach Boys und Kinks – oder genau­er: so, wie die­se Bands heu­te klin­gen wür­den. Twang, twang, schun­kel, schun­kel!

5. Feist – 1234
Musik im Som­mer 2007 soll­te sowohl bei strah­len­dem Son­nen­schein, als auch bei tage­lan­gem Regen funk­tio­nie­ren. Voi­là: „1234“ von Feist eig­net sich da bes­tens zu. Indie­folk mit dezen­ten Coun­try-Ein­flüs­sen oder irgend­wie sowas, dazu die­se Stim­me. Das dazu­ge­hö­ri­ge Album hat­te ich übri­gens im April über­se­hen.

Außer Kon­kur­renz: The Rol­ling Stones – Paint It, Black
Nach „Should I Stay Or Should I Go“ (Jeans) und „Para­no­id“ (Tank­stel­le) jetzt der nächs­te Rock-Klas­si­ker, dem das Wer­be­fern­se­hen (Tele­fon­ge­döns) zu einem Come­back ver­hilft. Und nach dem Nep­tu­nes-Remix von „Sym­pa­thy For The Devil“ schon der zwei­te Kon­takt der Nuller Jugend mit der Band, die ihre Groß­vä­ter sein könn­ten. Aber der Song ist nun mal auch nach 41 Jah­ren noch der blan­ke Wahn­sinn.