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Digital Gesellschaft

3,2,1 – ein zuversichtliches Blog-Stöckchen

Zuge­ge­ben: Es gab schon mal Zei­ten, in denen es ein­fa­cher erschien, opti­mis­tisch in die Zukunft zu bli­cken.

Selbst jene Social-Media-Platt­for­men, die ursprüng­lich mal dazu gedacht waren, Urlau­be, Son­nen­un­ter­gän­ge und fan­cy Geträn­ke zu pos­ten, um das gute Leben zu fei­ern, sind voll mit irgend­wel­chen Unge­heu­er­lich­kei­ten, die irgend­wel­che Drit­ten irgend­wo anders ins Inter­net geschrie­ben haben. Mal davon ab, dass die Betrei­ber die­ser Platt­for­men unge­fähr so sym­pa­thisch und zukunfts­wei­send sind wie Mine­ral­öl­kon­zer­ne.

Bochumer Brandmauer: Nie wieder Faschismus

Also: Raus aus den soge­nann­ten Sozia­len Netz­wer­ken, zurück in die Blogs und ein paar Leucht­feu­er anzün­den!

Der Kol­le­ge Dirk von Geh­len, des­sen unge­bro­che­nen Glau­ben an das Inter­net als Werk­zeug der Auf­klä­rung ich vor­sich­tig skep­tisch bewun­de­re, hat etwas gemacht, was man frü­her „ein Blog-Stöck­chen wer­fen“ nann­te: sowas ähn­li­ches wie in der Schu­le in ein Freund­schafts­buch ein­zu­tra­gen. Ich hab noch nie bei so etwas mit­ge­macht, aber extre­me Zei­ten erfor­dern extre­me Maß­nah­men!

Drei Din­ge, für die ich mich enga­gie­re:

Umwelt­schutz. Ich war zehn Wochen alt, als mei­ne Eltern mich zu einem der ers­ten Grü­nen-Par­tei­ta­ge mit­ge­nom­men haben, und war in den Jah­ren danach auf zahl­rei­chen Demos gegen Atom­kraft, FCKW und Stein­koh­le­ver­stro­mung. Ich kann nicht fas­sen, dass ich 40 Jah­re spä­ter immer noch des­halb auf die Stra­ße gehen muss, aber gut: Am 14. Febru­ar ist die nächs­te „Fri­days For Future“-Demo in Bochum.

Eine offe­ne, freie Gesell­schaft. Ich war noch kei­ne sechs Jah­re alt, als mei­ne Eltern mich zu einer Gedenk­ver­an­stal­tung mit­nah­men: 50 Jah­re Aus­bruch des 2. Welt­kriegs. Es war noch vor Ros­tock-Lich­ten­ha­gen, aber weni­ge Mona­te, nach­dem die Repu­bli­ka­ner bei der Euro­pa­wahl in Deutsch­land 7,1 % erreicht haben. Ich kann nicht fas­sen, dass ich 35 Jah­re spä­ter immer noch des­halb auf die Stra­ße gehen muss, aber gut: Am 14. Febru­ar ist auch die nächs­te Demo gegen rechts in Bochum.

Gutes Ver­stär­ken. Es ist mei­ne tiefs­te Über­zeu­gung, Din­ge, die mir Freu­de berei­ten, mit ande­ren Men­schen tei­len zu wol­len. Des­we­gen mache ich sowas wie „5 Songs, die Ihr im Janu­ar gehört haben soll­tet“, des­we­gen betrei­be ich immer noch die­ses Blog, des­we­gen schrei­be ich für Zei­tun­gen und mei­nen News­let­ter. Es macht mich immer ein biss­chen fer­tig, wenn ich z.B. Musik auf Social Media tei­le und die Künstler*innen, ob sie mei­ne Freund*innen sind oder wir uns gar nicht ken­nen, sich dann über­schwäng­lich bedan­ken. Ich mei­ne: Lieb, dass sie das tun, aber es soll­te doch ver­dammt noch mal selbst­ver­ständ­lich sein, Din­ge, die man gut fin­det, tei­len und ver­brei­ten zu wol­len!

Zwei Phä­no­me­ne, die mich posi­tiv stim­men:

Künstler*innen, die wei­ter für Fort­schritt kämp­fen: Lady Gaga hat ihren Gewinn bei den gest­ri­gen Gram­mys genutzt, um sich für Trans­rech­te stark zu machen; Bey­on­cé ist die ers­te Schwar­ze Frau, die den Gram­my für das bes­te Coun­try-Album gewon­nen hat.

Son­ne. In Bochum ist seit Tagen strah­lend blau­er Him­mel und das ändert doch mei­ne Per­spek­ti­ve auf die Welt schon merk­lich.

Ein Zitat, das mir hilft:

„And so now I’d like to say – peo­p­le can chan­ge any­thing they want to. And that means ever­y­thing in the world. Peo­p­le are run­ning about fol­lo­wing their litt­le tracks – I am one of them. But we’­ve all got to stop just fol­lo­wing our own litt­le mou­se trail. Peo­p­le can do any­thing – this is some­thing that I’m begin­ning to learn. Peo­p­le are out the­re doing bad things to each other. That’s becau­se they’ve been dehu­ma­nis­ed. It’s time to take the huma­ni­ty back into the cen­ter of the ring and fol­low that for a time. Greed, it ain’t going any­whe­re. They should have that in a big bill­board across Times Squa­re. Wit­hout peo­p­le you’­re not­hing. That’s my spiel.“ (Joe Strum­mer)

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Musik

Songs 1/​25

Die­ses klei­ne Pop­kul­tur-Blog wird in zehn Tagen voll­jäh­rig (wait for it!) und weil wir so ein krea­ti­ver Laden sind und weil wir fin­den, dass es in die­sen Zei­ten drin­gend not­wen­dig ist, schö­ne Din­ge her­vor­zu­he­ben, haben wir uns ein neu­es For­mat aus­ge­dacht: 5 Songs, die Ihr im Janu­ar gehört haben soll­tet!

Natür­lich gibt es auch wei­ter­hin unser belieb­tes CTV-Mix­tape mit den 5 Songs aus dem Video und vie­len wei­te­ren. Die­ses Mal u.a. dabei: Neue Songs von Thurs­day, Hea­ther Nova und Tra­vis, ein Radio­head-Cover von Blos­soms und Klas­sik vom süd­afri­ka­ni­schen Cel­lis­ten Abel Sel­a­coe. Phi­li­ne Son­ny ist natür­lich genau­so ver­tre­ten wie das Grand Hotel van Cleef — dies­mal mit Amos The Kid.

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Digital Sport

One Way Ticker to Hell… and Back

Ich muss zuge­ben: Ich habe noch kei­ne Minu­te der aktu­el­len Cham­pi­ons-League-Sai­son in die­sem neu­en Modus gese­hen. Zum einen, weil ich kein DAZN habe (zu teu­er und zu schlecht), zum ande­ren, weil sich weder der VfL Bochum noch Borus­sia Mön­chen­glad­bach hat­ten qua­li­fi­zie­ren kön­nen.

Muss ich aber auch nicht, denn Tobi­as Ahrens und Max Din­ke­la­ker haben ges­tern für „11 Freun­de“ den letz­ten Spiel­tag der Vor­run­de geti­ckert, bei dem 18 Spie­le (um mal mei­nen ver­stor­be­nen Groß­va­ter zu zitie­ren: „in Wor­ten: acht­zehn“) gleich­zei­tig statt­fan­den („36 Mann­schaf­ten, also cir­ca 720 Fuß­bal­ler, 123 Trai­ner und Betreu­er, 7.000.000 Fans im Sta­di­on“).

Und so konn­te ich heu­te Mor­gen ent­spannt nach­le­sen, wie irr­lich­ternd, hek­tisch, über­for­dernd und schlicht unver­ar­beit­bar der gest­ri­ge Abend gewe­sen sein muss. Es ist ein groß­ar­ti­ges jour­na­lis­ti­sches Werk, das mut­maß­lich unter­halt­sa­mer ist als die Ver­an­stal­tung selbst.

Von Anfang:

1. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Und Anstoß. Geht gut los.

Bis Ende:

Mit welcher Penetranz DAZN das 4:1 von Salzburg (längst ausgeschieden) gegen Atletico (längst im Achtelfinale) zeigt, erinnert mich an meine Mutter, die mir nochmal erzählt, dass mein Kindergartenfreund Stefan ja jetzt geheiratet hat und einen VW Tiguan vor der Tür steht und sag mal, wann zahlst du deinen Bafög-Kredit denn nun ab?!

Ous­ma­ne gese­hen haben – Die gro­ße Cham­pi­ons-League-Kon­fe­renz im Live­ti­cker bei 11freunde.de

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Musik

Acts des Jahres 2024

10. Pet Shop Boys
31 Jah­re, nach­dem sie mit „Go West“ in mein Leben getre­ten waren (und damit lan­ge, bevor ich um Begrif­fe wie „que­er“ wuss­te), haben die Pet Shop Boys ihr 15. Stu­dio­al­bum ver­öf­fent­licht. „None­thel­ess“ (Par­lo­pho­ne; Apple Music, Spo­ti­fy, Ama­zon Music, Tidal, You­Tube Music, Band­camp) heißt es – „Nichts­des­to­trotz“, was für ein schö­nes Wort! – und es zählt im Gesamt­werk zu den eher melan­cho­li­schen Alben. Ansons­ten machen Neil Ten­n­ant und Chris Lowe ein­fach wei­ter genau ihr Ding: Es geht um Lie­be und Nacht­le­ben, aber eben­so selbst­ver­ständ­lich um die ZDF-Hit­pa­ra­de und einen von Donald Trumps Body­guards. Natür­lich. Immer wie­der erkennt man Ver­satz­stü­cke aus älte­ren Songs, aber das ist ja Teil des Gesamt­kunst­werks, wie wir spä­tes­tens seit „DJ Cul­tu­re“ (dem PSB-Song von 1991, nicht dem Buch von Ulf Pos­ch­ardt) wis­sen. Per­sön­li­cher Höhe­punkt: Ich durf­te für die „Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Sonn­tags­zei­tung“ über das Album schrei­ben, jenes Blatt, in dem ich noch als Schü­ler über die Band gele­sen hat­te.

9. Vanes­sa Peters
Bevor Mark Zucker­berg beschloss, Insta­gram zur wei­te­ren Zer­set­zung der Demo­kra­tie zu nut­zen, konn­te man dort tat­säch­lich Musik ent­de­cken: Acts haben klei­ne Clips aus ihren Musik­vi­de­os als Wer­bung geschal­tet und die glei­chen Algo­rith­men, die mich jetzt von den Vor­zü­gen des Faschis­mus über­zeu­gen sol­len (Ver­giss es, Pudel!), haben mir dann über­ra­schend prä­zi­se Songs vor­ge­spielt, die mich sofort über­zeugt haben. So bin ich jeden­falls 2021 auf die Ame­ri­ka­ne­rin Vanes­sa Peters und ihr Album „Modern Age“ auf­merk­sam gewor­den und seit­dem ver­fol­ge ich ihr Schaf­fen. Damals hat­te ich geschrie­ben: „Als hät­ten Aimee Mann, Suzan­ne Vega und Kath­le­en Edwards eine Super­group gegrün­det.“ Das gilt immer noch und ich mei­ne es als eines der höchs­ten Kom­pli­men­te, denn auch „Fly­ing On Instru­ments“ (Idol Records; Apple Music, Spo­ti­fy, Ama­zon Music, Tidal, You­Tube Music, Band­camp) ist wie­der ein Ame­ri­ca­na/­Folk-Album, das mich an die bes­ten Sei­ten der ame­ri­ka­ni­schen Kul­tur erin­nert. Also an das Gegen­teil von Mark Zucker­berg.

8. Maro
Maro ist immer das Bei­spiel, das ich brin­ge, wenn ich erklä­ren will, dass der Euro­vi­si­on Song Con­test längst kei­ne alber­ne Quatsch-Ver­an­stal­tung voll Euro­dance-B-Ware ist (das war er in die­ser Abso­lut­heit noch nicht mal in den 1980er bis 2000er Jah­ren), son­dern ein Musik­fes­ti­val im klas­sischs­ten Sin­ne: Natür­lich hät­te ich auch auf ande­ren Wegen (das Inter­net exis­tiert ja) von der jun­gen Musi­ke­rin mit dem bür­ger­li­chen Namen Maria­na Bri­to da Cruz For­jaz Sec­ca und der wun­der­bar ver­schla­fe­nen Stim­me erfah­ren kön­nen, aber ihr Auf­tritt in Turin 2022 war dann doch ein ganz beson­ders beein­dru­cken­der Ken­nen­lern­mo­ment. Ende Sep­tem­ber habe ich sie end­lich wie­der live gese­hen, durch­aus ange­mes­sen im Kon­zert­haus Dort­mund, und es war eines der schöns­ten, umar­mends­ten Kon­zer­te, das ich je besucht habe. Wie jun­ge Acts das so machen, hat sie wäh­rend des gan­zen Jah­res immer wie­der Songs her­aus­ge­bracht, u.a. mit Par­cels, vor allem aber mit dem Musi­ker Nasaya, der auf der fran­zö­si­schen Insel Reuni­on im indi­schen Oze­an auf­ge­wach­sen ist, wie Maro das Ber­klee Col­lege of Music besucht hat, und mit dem sie 2021 schon mal eine gan­ze EP mit vier Songs ver­öf­fent­licht hat­te. Das gemein­sa­me Album „Life­line“ (Sec­ca Records; Apple Music, Spo­ti­fy, Ama­zon Music, Tidal, You­Tube Music) kam erst am 15. Janu­ar raus, aber das bedeu­tet ja nur, dass Maro auch 2025 wie­der zu mei­nen Acts des Jah­res gehö­ren kann.

7. Joy Ola­do­kun
Auf das Musik­jahr 2023 haben wir ja in einer gemein­sa­men Sen­dung zurück­ge­schaut. Des­we­gen gibt es kei­ne per­sön­li­che Bes­ten­lis­te, die ich jetzt ver­lin­ken kann, und auf der Joy Ola­do­kun mit ihrem Album „Pro­of Of Life“ mei­nen Platz 1 belegt hät­te. Das wird nicht der Haupt­grund sein, war­um sie 2024 direkt das nächs­te Album, ihr fünf­tes, ver­öf­fent­licht hat, aber auch „Obser­va­tions From A Crow­ded Room“ (Ami­go Records; Apple Music, Spo­ti­fy, Ama­zon Music, Tidal, You­Tube Music) ist wie­der ver­dammt gut gewor­den. Sie macht sich Gedan­ken über den gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halt und Fort­schritt, sie singt über die Kraft­an­stren­gun­gen, über­haupt auf­zu­ste­hen und wei­ter­zu­ma­chen — und all das hat so viel Groo­ve, so viel schö­ne Melo­dien und so vie­le Gos­pel-Chö­re, dass einen die­se ver­meint­li­chen Wider­sprü­che ganz auf­wüh­len. Aber war das bei Mar­vin Gaye, Sam Coo­ke oder Are­tha Frank­lin anders?

6. MJ Len­der­man
Manch­mal gibt es ja so Namen und Alben, von denen man so oft in ver­schie­de­nen Zusam­men­hän­gen liest, dass man sie ein­fach hören muss: Das vier­te Solo­al­bum von MJ Len­der­man war so eins und das Über­ra­schen­de war eigent­lich nur, dass es nach vie­len Jah­ren mal wie­der ein Indie­rock-Album war, über das so vie­le Leu­te spra­chen — und dass es mir dann auch noch gefiel! „Man­ning Fire­works“ (Anti; Apple Music, Spo­ti­fy, Ama­zon Music, Tidal, You­Tube Music, Band­camp) klingt, als wür­de ich es schon mein hal­bes Leben ken­nen. Oder, anders: So, wie wenn The Get Up Kids und The Wea­k­erthans sich vor 20, 25 Jah­ren in einer Scheu­ne in Mon­ta­na, in der zufäl­lig noch ein paar Folk-Musi­ker sit­zen, gegen­sei­tig geco­vert hät­ten.

5. Chris­ti­an Lee Hut­son
Ich kann gar nicht mehr rekon­stru­ie­ren, wie ich zum ers­ten Mal „After Hours“ von Chris­ti­an Lee Hut­son gehört habe. Ich weiß nur, dass die 3:12 Minu­ten, die der Song dau­ert, noch nicht durch waren, als ich ihn mei­nen engs­ten Freund*innen schon wärms­tens – lass alles ste­hen und lie­gen und hör es Dir JETZT an! – ans Herz gelegt hat­te. Ent­spre­chend ist es auch mein Song des Jahrs 2024 gewor­den. Wenn ich Songs so doll lie­be, habe ich manch­mal Angst vor dem Album, dem sie vor­an­gin­gen, aber „Para­di­se Pop. 10“ (Anti; Apple Music, Spo­ti­fy, Ama­zon Music, Tidal, You­Tube Music, Band­camp) lös­te sogar mehr Ver­spre­chen ein, als die Sin­gle auf­ge­stellt hat­te: Songs wie „Auto­pi­lot“, „Water Bal­let“ oder besag­tes „After Hours“ klin­gen, wie sich die eige­ne Bett­de­cke an einem die­si­gen, kal­ten Sonn­tag­vor­mit­tag anfühlt. Es gibt Kla­vier­bal­la­den, melan­cho­li­sche Folk­songs und etwas lär­men­de­re Folk­rock-Num­mern für Fans von Elliott Smith, The Wea­k­erthans und Bright Eyes. Jetzt machen also Men­schen, die 1990 gebo­ren sind, Musik, wie ich sie 2004 gehört habe.

4. Phi­li­ne Son­ny
Ich weiß nicht, ob man es merkt, aber ich habe einen gewis­sen Hang zum Lokal­pa­trio­tis­mus. Man müss­te mir schon sehr viel Geld bie­ten, damit ich das Ruhr­ge­biet oder auch nur Bochum-Ehren­feld ver­las­se. Wenn es um Phi­li­ne Son­ny geht, ist es des­halb, als wür­de der VfL Bay­ern Mün­chen schla­gen: Sowas ist hier mög­lich! Und wer wohnt schon in Düs­sel­dorf? Dabei hat das ja alles gar nichts mir mir zu tun und viel­leicht auch nur in Tei­len mit der Stadt. Im März, jeden­falls, hat­te die 23-jäh­ri­ge Musi­ke­rin und Song­schrei­be­rin ihre zwei­te EP „Inva­der“ (Nett­werk; Apple Music, Spo­ti­fy, Ama­zon Music, Tidal, You­Tube Music, Band­camp) ver­öf­fent­licht, danach noch jede Men­ge Sin­gles. Im Herbst begann sie dann ihr nächs­tes Pro­jekt, bei dem sie Songs in 15 Minu­ten schreibt, inner­halb weni­ger Tage auf­nimmt und dann so schnell wie mög­lich ver­öf­fent­licht. „So schnell wie mög­lich“ bedeu­tet bei einem Label – bei Nett­werk erschei­nen auch Angus & Julia Stone, The Paper Kites, Joshua Radin und Gre­at Lake Swim­mers – und Strea­ming­diens­ten immer noch rund zwei­ein­halb Mona­te, aber das gan­ze Kon­zept und die Daten im Song­ti­tel ver­lei­hen den Songs eine gewis­se Unmit­tel­bar­keit. Und ich tue, was ich kann, um Phi­li­ne Son­ny noch berühm­ter zu machen — zum Bei­spiel in der „Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Sonn­tags­zei­tung“ über sie schrei­ben.

3. Suzan Köcher’s Supra­fon
Wenn jemand „psy­che­de­lisch“ sagt, den­ke ich an Pink Floyd, Ölpro­jek­to­ren und die Gene­ra­ti­on unse­rer Eltern, die bekifft auf einem Flo­ka­ti liegt. Okay, ich komm noch mal rein: Wenn jemand „psy­che­de­lisch“ sagt, den­ke ich an David Lynch, die mitt­le­ren Byrds und oran­ge­far­be­ne U‑Bahn-Hal­te­stel­len. Habt Ihr die Bil­der? Okay, dann kommt jetzt der Sound­track, denn Suzan Köcher’s Supra­fon machen laut eige­ner Aus­sa­ge Psy­che­de­lia (nur, damit Ihr’s schon­mal gehört habt: im Eng­li­schen ist das „P“ stumm), aber auch Dream Pop, Kraut­rock, Dis­co und Desert Ame­ri­ca­na. Tat­säch­lich ent­ste­hen in mei­nem Kopf sofort Fil­me der Coen Brot­hers, Wim Wen­ders und Paul Tho­mas Ander­son; ein Step­pen­läu­fer rollt defi­ni­tiv durch die stau­bi­ge Land­schaft und es ist ent­we­der immer gera­de Mit­tag oder die Zeit kurz nach Son­nen­un­ter­gang. Also: All­tag im Ber­gi­schen Land, denn Suzan Köcher selbst stammt aus Solin­gen, ihre Band aus dem Umkreis (und damit ein Strich mehr bei „Ruhr­ge­biet“). Ihr drit­tes Album „In The­se Dying Times“ (Uni­que Records; Apple Music, Spo­ti­fy, Ama­zon Music, You­Tube Music, Band­camp) wäre, wenn es aus den USA käme, über­all in den Jah­res­bes­ten­lis­ten. So wenigs­tens bei mir.

2. kett­car
Er habe mehr durch Musik gelernt als durch Biblio­the­ken, hat Thees Uhl­mann mal gesun­gen (und dabei Bruce Springsteen refe­ren­ziert) und er hat leicht reden, denn unse­re gemein­sa­men Bud­dies von kett­car ver­öf­fent­li­chen auf Grand Hotel van Cleef, dem Label, das sie mit ihm gemein­sam betrei­ben, ja regel­mä­ßig Alben, deren Songs gan­ze Bücher erset­zen. So gese­hen ist „Gute Lau­ne unge­recht ver­teilt“ (Grand Hotel van Cleef; Apple Music, Spo­ti­fy, Ama­zon Music, Tidal, You­Tube Music, Band­camp) wie­der eine 45-minü­ti­ge Biblio­thek zum Hören: Die bra­chia­le Sin­gle „Mün­chen“ ist ein eige­nes, umfas­sen­des Werk über All­tags­ras­sis­mus; „Rügen“ refe­riert die Freu­de und Nach­tei­le des Eltern-Seins bes­ser als es ein Buch irgend­ei­ner Twit­ter-Berühmt­heit je könn­te; „Kanye in Bay­reuth“ ist das feuil­le­to­nis­ti­sche Essay über die Schwie­rig­keit, Werk und Autor zu tren­nen; „Ein­kau­fen in Zei­ten des Krie­ges“ die ver­ton­te Kolum­ne über gestie­ge­ne Lebens­mit­tel­prei­se und „Blaue Lagu­ne, 21:45 Uhr“ der Anti­hel­den-Roman, der in Rezen­sio­nen mit Taran­ti­no ver­gli­chen wird. Dass das alles noch so schön erhe­bend klingt und man alles mit­sin­gen kann, ist ja das eigent­li­che Kunst­stück, aber kett­car las­sen es ganz leicht aus­se­hen. Da war­tet man auch ger­ne mal fünf Jah­re drauf!

1. Japan­dro­ids
2024 war für vie­le von uns ein schwie­ri­ges Jahr, das in der zwei­ten Jah­res­hälf­te völ­lig aus der Kur­ve zu flie­gen schien: Donald Trump, AfD, Neu­wah­len, dazu immer noch Krieg in der Ukrai­ne und eine unge­lös­te Kli­ma­ka­ta­stro­phe — und das war nur die Schei­ße aus den Nach­rich­ten, die uns alle betraf. Hin­zu kamen pri­va­te Schick­sals­schlä­ge und die immer absur­der erschei­nen­de Auf­ga­ben­stel­lung, auch noch den soge­nann­ten All­tag bewäl­ti­gen zu sol­len. Am 25. Okto­ber starb mei­ne gelieb­te Tan­te Dör­te und ich war wirk­lich froh, dass ich neben mei­nem engs­ten Umfeld auch immer noch Musik hat­te. Genau eine Woche zuvor war „Fate & Alco­hol“ (schon wie­der Anti — Label des Jah­res!; Apple Music, Spo­ti­fy, Ama­zon Music, Tidal , You­Tube Music, Band­camp) erschie­nen, das vier­te und vor­ab schon als sol­ches ange­kün­dig­te letz­te Album der Japan­dro­ids. Fragt mich nicht, wie Bri­an King und David Prow­se die­sen Sound mit nur einer Gitar­re und einem Schlag­zeug hin­be­kom­men, denn ich habe sie lei­der nie live gese­hen, aber das ist auch egal, denn für „Fate & Alco­hol“ gilt, was Faithl­ess damals in „God Is A DJ“ dekla­mier­ten: „This is my church /​ This is whe­re I heal my hurts“. Wann immer ich ver­ges­sen hat­te, dass ich am Leben bin, und wie sich das anfühlt, habe ich die­ses Album gehört. Und es leg­te mir sacht sei­ne Hand auf mei­ne Schul­ter und gemein­sam wuss­ten wir: Ja, unse­re Hän­de sind blau und geschwol­len, aber wir kön­nen dar­aus immer noch ein Herz for­men (und zwar so wie Mil­len­ni­als, also rich­tig), eine Faust machen und sie in den Him­mel stre­cken. Die Musik klingt immer noch, als wür­de sie vom ers­ten bis zum letz­ten Ton das Leben fei­ern, aber anders als auf den ers­ten Alben nicht aus jugend­li­cher Igno­ranz her­aus, son­dern aus erwach­se­nem Ver­ständ­nis und Trotz: Ja, das Leben ent­hält auch Ent­täu­schun­gen, Trau­er und ande­re Tief­schlä­ge und genau des­halb ist es so wert­voll und wun­der­schön. None­thel­ess. Wenn mei­ne Per­sön­lich­keit zu die­sem Zeit­punkt in mei­nem Leben ein Album wäre, sie wür­de so klin­gen. „For a few hours, it’ll be alright, Baby!“

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Musik

Songs des Jahres 2024

Wenn Sil­ves­ter vor­bei ist, beginnt für mich eine Zeit der inne­ren Anspan­nung: Ich will unbe­dingt mei­ne musi­ka­li­sche Rück­schau auf das ver­gan­ge­ne Jahr abschlie­ßen, muss aber auch erst­mal den All­tag wie­der reboo­ten. Ich weiß, dass Ihr nicht alle mit den Hufen scharrt und wütend wer­det, wenn ich mei­ne Lis­te spä­ter ver­öf­fent­li­che (oder gar nicht, wie in den Jah­ren, als das Kind ganz klein war und ich mit ande­rem beschäf­tigt war), aber irgend­wie gehört es für mich eben­so zum Jah­res­ab­schluss wie das Abta­keln des Tan­nen­baums (der auch noch steht).

Beim Durch­hö­ren mei­ner Vor­auswahl (ein aus­ge­spro­chen kom­pli­zier­ter Pro­zess, gegen den jede Papst­wahl wie ein Kin­der­gar­ten­aus­flug aus­sieht) dach­te ich immer wie­der: „Das war musi­ka­lisch ein sehr guter Jahr­gang!“ Gleich­zei­tig habe ich fest­ge­stellt, dass ich wirk­lich weni­ge Songs in ihrem Kon­text gehört habe — also als Teil eines Albums. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich auf zehn Alben kom­me, die ich öfter als drei Mal gehört habe.

Ein paar Trends waren zu erken­nen: Im Ver­ei­nig­ten König­reich kam Drum ’n‘ Bass sowas von zurück (und es inter­es­sier­te, wie schon in den 1990er Jah­ren, hier­zu­lan­de kaum jeman­den im Main­stream); es gab über­ra­schend vie­le jun­ge Bands, die wie The Strokes klan­gen, eine Band, die für Men­schen unter 30 eigent­lich eine Oldie-Band sein muss, und ich habe – beson­ders im Ver­gleich zu vor 15, 20 Jah­ren – ziem­lich vie­le Songs dabei, die von Frau­en gesun­gen wer­den.

Bei vie­len Songs habe ich zwar kei­ne Ahnung, wie ich über­haupt auf sie auf­merk­sam gewor­den bin, aber sie haben mich dann eben doch über Mona­te beglei­tet, bei allem, was man so tut und erlebt. Es wur­de aber auch irgend­wann belie­big: Bei vie­len Songs dach­te ich, wenn ich sie im Lau­fe des Jah­res ein paar Mal öfter gehört hät­te, hät­ten sie am Ende auch auf einem ein­stel­li­gen Rang lan­den kön­nen. Über 100 Songs in der Vor­auswahl und fast alle sind gleich gut?

Es gibt also jetzt eine Lis­te mit 100 Songs (Sor­ry!). Man kann sie auf Shuff­le hören, dann ist sicher­lich viel Schö­nes dabei, aber vor allem die ers­ten zehn, zwan­zig Songs fol­gen auch einer gewis­sen Hier­ar­chie:

10. Crow­ded House – Oh Hi
Ich ver­ra­te Euch jetzt ein Geheim­nis: An mehr als 182 Tagen im Jahr hal­te ich Neil Finn für einen bedeu­ten­de­ren Song­wri­ter als John Len­non und Paul McCart­ney. Etli­che der Songs, die er für die gera­de mal vier Alben von Crow­ded House in den 1980er und 90er Jah­ren geschrie­ben hat, sind längst Klas­si­ker; „Don’t Dream It’s Over“ ist für mich einer der schöns­ten Songs aller Zei­ten (und wenn man ein Orgels­o­lo hei­ra­ten könn­te: Hier würd ich’s tun!) und „Ever­yo­ne Is Here“, das Album, das er 2004 mit sei­nem Bru­der Tim auf­ge­nom­men hat, wäre bei mei­nen Top 10 für die ein­sa­me Insel mit dabei. Seit ein paar Jah­ren sind sei­ne Söh­ne Liam und Elroy Teil von Crow­ded House und zusam­men haben sie letz­tes Jahr das Album „Gra­vi­ty Stairs“ ver­öf­fent­licht. Nicht der ganz gro­ße Wurf, aber die Vor­ab-Sin­gle „Oh Hi“ ver­eint wie­der ein­gän­gi­ge Melo­dien mit einem schwe­re­lo­sen Pop-Arran­ge­ment, wie man es von der Band seit knapp 40 Jah­ren kennt. Ein Klang, so ver­traut wie das Wohn­zim­mer mei­ner Eltern.

9. Lam­b­ri­ni Girls – Com­pa­ny Cul­tu­re
Eine eng­li­sche all girl Punk­band, die einen wüten­den, kom­pro­miss­lo­sen und trotz­dem lus­ti­gen Song über Sexis­mus am Arbeits­platz spielt? Count me in! 

8. Bon Iver – Spey­si­de
Ich möch­te ehr­lich sein: So ganz hab ich nicht alles ver­stan­den, was Jus­tin Ver­non nach dem zwei­ten Bon-Iver-Album „Bon Iver“ gemacht hat. Die­ses Gezir­pe, die komi­schen Song­ti­tel, die 42 Gastsänger*innen — aber Ver­non war von Anfang an über so vie­le Zwei­fel erha­ben, dass ich den Feh­ler natür­lich bei mir gesucht habe. Jetzt hat er die Akus­tik­gi­tar­re wie­der­ge­fun­den und die Drei-Song-EP „SABLE,“ (nur echt in Groß­buch­sta­ben, mit Kom­ma und vier Tracks, weil der ers­te nur Geräusch ist) klingt, als sei sie der noch klei­ne­re Anbau zu der Wald­hüt­te, in der im Win­ter 2006/​07 das Debüt­al­bum „For Emma, Fore­ver Ago“ ent­stan­den ist. „Spey­si­de“ klingt ent­spre­chend, wie nach einer lan­gen Rei­se wie­der zuhau­se anzu­kom­men.

7. Manic Street Pre­a­chers – Decli­ne & Fall
Ich bin jetzt seit fast 25 Jah­ren Fan der Manic Street Pre­a­chers; sie haben mich durch die Ober­stu­fen­zeit beglei­tet und poli­ti­siert. Ihr letz­tes rich­tig gutes Album ist jetzt auch schon vier­zehn Jah­re alt — und dann bal­lern sie plötz­lich so eine Sin­gle raus: eine Pia­no-Hook wie bei ABBA, Gitar­ren wie bei Guns ‘n’ Roses und eine Gesangs­me­lo­die, die unge­fähr so ein­gän­gig ist wie ein gelun­ge­ne­rer Schla­ger. Der Text han­delt davon, im Ange­sicht einer ver­fal­len­den Welt die klei­nen Wun­der zu fei­ern — viel­leicht ein biss­chen fata­lis­tisch für eine Band, die die meis­te Zeit ihrer Kar­rie­re die kom­mu­nis­ti­sche Welt­re­vo­lu­ti­on anzet­teln woll­te, aber in Zei­ten, in denen sich so vie­le immer radi­ka­ler äußern, ist es auch auf eine Art radi­kal, das Gegen­teil zu tun. Am 31. Janu­ar erscheint dann auch end­lich das neue Manics-Album, des­sen Titel eben­falls per­fekt in unse­re Zeit passt: „Cri­ti­cal Thin­king“.

6. Ider – You Don’t Know How To Dri­ve
Wir waren bei Cof­fee And TV schon gro­ße Fans von Ider, bevor das bri­ti­sche Elek­tro­pop-Duo über­haupt 2019 sein Debüt­al­bum „Emo­tio­nal Edu­ca­ti­on“ ver­öf­fent­licht hat­te. Der Bild­spen­der für den Titel die­ser Sin­gle ist die männ­li­che Unfä­hig­keit, sich im Stra­ßen­ver­kehr zu ori­en­tie­ren, aber immer gute Rat­schlä­ge zu geben — und das ist nur die ers­te Stro­phe, denn die burns wer­den danach noch viel, viel gemei­ner: „I wan­na throw your shit in the midd­le of the street /​ Real­ly make a big sce­ne and burn your red SG /​ Dele­te the files of your solo EP, yeah no one’s gon­na hear it now“, sin­gen Megan Mark­wick und Lily Somer­ville im Refrain und viel­leicht muss man ein paar Musi­ker im Bekann­ten­kreis haben, um die Tie­fe und Schär­fe die­ser Zei­len voll wür­di­gen zu kön­nen, aber lasst es mich so sagen: Das hier ist die nuklea­re Opti­on — aber sehr, sehr lus­tig! Das drit­te Ider-Album „Late To The World“ erscheint am 21. Febru­ar; Ende März spie­len sie in Ham­burg, Ber­lin und Köln.

5. MJ Len­der­man – She’s Lea­ving You
Ich hät­te ehr­lich gesagt nicht damit gerech­net, dass es noch mal einen Act wie MJ Len­der­man geben wür­de: klas­si­scher Indie­rock, den Men­schen zwi­schen 16 und 61 gut fin­den und über den eine Zeit­lang wirk­lich alle in mei­nem Umfeld reden. „You can put your clo­thes back on /​ She’s lea­ving you“ ist kein ganz schlech­ter Anfang, es wird danach aber noch bes­ser: Es fällt schwer, den Refrain „It falls apart, we all got work to do /​ It gets dark, we all got work to do“ nicht auf das all­ge­mei­ne Welt­ge­sche­hen zu bezie­hen — aber was bezieht man die­ser Tage nicht dar­auf? Dabei ist der Song doch eigent­lich das „Sie ist weg“ der Gene­ra­ti­on Z (hof­fe ich).

4. kett­car – Auch für mich 6. Stun­de
Ja, ja, natür­lich: „Mün­chen“ hat­te mehr Wucht, war poli­ti­scher und wich­ti­ger — so wie damals „Som­mer ’89“. Aber kett­car benen­nen ja nicht nur Pro­ble­me, sie haben immer auch Trost dabei: „Ein Ben­ga­lo in der Nacht“. So ist „Auch für mich 6. Stun­de“, der Ope­ner ihres sehr, sehr guten 2024er Albums „Gute Lau­ne unge­recht ver­teilt“ viel­leicht eher der Zwil­ling von „Ankunfts­hal­le“ vom Vor­gän­ger „Ich vs. Wir“: Ja, da ist ganz schön viel Schei­ße in der Welt, aber wir müs­sen da nicht allei­ne durch. Und das ist für mich dann die noch schö­ne­re Bot­schaft, getra­gen von die­sem wun­der­ba­ren Snow-Pat­rol-Arran­ge­ment.

3. Phi­li­ne Son­ny – In Deni­al
Dafür, dass sie erst seit weni­gen Jah­ren Musik ver­öf­fent­licht, gehört Phi­li­ne Son­ny schon sehr deut­lich zu unse­ren Lieb­lings-Acts. Okay: Sie wohnt ja auch in Bochum, aber das hier ist mehr als Lokal­pa­trio­tis­mus, das ist „Ich fänd’s auch geil, wenn es aus den USA käme und bei All Songs Con­side­red und Pitch­fork vor­ge­stellt wür­de“. Im März erschien ihre EP „Inva­der“, dar­auf auch „In Deni­al“, ein lang­jäh­ri­ger fan favo­ri­te bei den Kon­zer­ten. Die­ses „Some­bo­dy out the­re“ muss man mal live erlebt haben, wie das Publi­kum es mit­singt.

2. Japan­dro­ids – Posi­tively 34th Street
Kann man mit über 25 noch glaub­haf­te Lie­bes­lie­der schrei­ben? Ben Folds war 34, als er „The Luckiest“ auf­nahm; Mar­cus Wie­busch 43 bei „Ret­tung“. Also: Ja. Bri­an King ist 41, als das fina­le Album sei­ner Band Japan­dro­ids erscheint. „Posi­tively 34th Street“ ist nicht nur ein Ver­weis auf Bob Dylan, es ist auch eines der erwach­sens­ten Lie­bes­lie­der, das ich je gehört habe. Und eines der schöns­ten. Wie man auch nach Jah­ren, nach all dem Cha­os, das wir „Leben“ nen­nen, noch an eine Per­son von frü­her den­ken kann; wie man es noch mal ver­sucht, immer wie­der hadert und zwei­felt und die Geschich­te viel­leicht doch noch gut aus­geht, zumin­dest aber erst­mal über­haupt noch anfängt, das ist schon gran­dio­ses, lebens­na­hes Song­wri­ting. Und das alles in die­sem klas­si­schen Hüs­ker-Dü-tref­fen-Bruce-Springsteen-Sound, den Japan­dro­ids über ihre vier Stu­dio­al­ben gepflegt haben: Die­ser Song ist das Gegen­teil von mid­life cri­sis, von Por­sche, Gold­kett­chen und die Demo­kra­tie zer­stö­ren. So klin­gen Män­ner, die es irgend­wie doch noch geschafft haben; geschun­den zwar, aber im Ein­klang mit sich und ihren Gefüh­len.

1. Chris­ti­an Lee Hut­son – After Hours
Seit dem Release Anfang Juli lag ich mei­ner gesam­ten peer group in den Ohren, dass sie sich bit­te, unbe­dingt, kei­ne Zeit zu War­ten, die­sen Song anhö­ren sol­len. Nein: müs­sen! „After Hours“ klingt, als wür­de ich es seit 25 Jah­ren ken­nen, aber ich kann nicht genau sagen, an was mich Stim­me und Musik erin­nern: Nick Dra­ke? Nein. The Wea­k­erthans? Auch nicht. Vor allem war Chris­ti­an Lee Hut­son vor 25 Jah­ren gera­de acht und hat (hof­fent­lich, denn das Wort „fuck“ kommt auch drin vor) noch nicht sol­che Songs geschrie­ben. Refrains gibt’s kei­ne, dafür Stro­phen, die sich frei asso­zia­tiv von Spät­is im Him­mel über die Schau­spie­le­rin Cathe­ri­ne O’Hara bis zur Fest­stel­lung „The good stuff is behind a pay­wall“ erstre­cken. Es war ein wil­des Jahr für mich, vor allem in der zwei­ten Hälf­te, aber dann war die­ser Song immer für mich da, der sich anfühlt wie in der war­men Bade­wan­ne ein­zu­schla­fen (Vor­sicht bit­te!). Ein­at­men, aus­at­men. „It’s cra­zy I know, I’ve got nowhe­re to go /​ But up here, I wear my seat­belt“.

100 Songs, über 6 Stun­den:

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Musik

Mixtape 12/​24

Fro­hes Neu­es Jahr!

Ja: Ich bin ein biss­chen spät dran, aber die Fei­er­ta­ge, die Feri­en und ein paar Com­pu­ter­pro­ble­me haben mich auf­ge­hal­ten.

Aber jetzt ist es end­lich da: Mein Dezem­ber-Mix­tape, mit Songs, die ich in den letz­ten Wochen so gehört und für gut befun­den habe. Dabei sind Tiny Moving Parts, in deren Album „Deep In The Blue“ ich mich gera­de ein biss­chen ver­liebt habe, Andrew W.K. und Kendrick Lamar, aber auch Maro, Paen­da und Art School Girl­fri­end, die Ihr als auf­merk­sa­me Hörer*innen unse­rer lei­der ein­ge­stell­ten Musik­sen­dung natür­lich schon kennt.

The Zutons, von denen Amy Wine­hou­ses „Vale­rie“ ja im Ori­gi­nal stamm­te, covern nach 17 Jah­ren „Back To Black“ zurück, der Ber­li­ner DJ Dir­ty Doe­r­ing sam­pelt – wenn ich das rich­tig erkannt habe – ukrai­ni­sche Folk­lo­re und Hor­se­girl erin­nern auf ganz bezau­bern­de Wei­se an den „Juno“-Soundtrack.

Viel Spaß! (Und: Ja, die Bes­ten­lis­ten fürs Jahr 2024 kom­men natür­lich auch noch!)

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Straßenschäden unter sich

Die Gesell­schaft für deut­sche Spra­che hat heu­te in einer – zuge­ge­be­ner­ma­ßen schön bebil­der­ten – Pres­se­er­klä­rung bekannt­ge­ge­ben, wie ihr „Wort des Jah­res 2024“ lau­tet: „Ampel-Aus“.

Gemeint ist damit das Schei­tern der Bun­des­re­gie­rung aus SPD (rot), FDP (gelb) und Grü­nen (nun …), die im soge­nann­ten Volks­mund als „Ampel-Koali­ti­on“ oder schlicht als „Ampel“ bekannt war.

Nun zöge­re ich als stu­dier­ter Lin­gu­ist, die GfdS (nicht zu ver­wech­seln mit dem „Ver­ein Deut­sche Spra­che“, einer Art Vor­feld-Orga­ni­sa­ti­on der AfD) zu kri­ti­sie­ren, aber ich bin der Mei­nung, dass mit die­ser Aus­zeich­nung eine zuneh­men­de Infan­ti­li­sie­rung der Polit-Kom­mu­ni­ka­ti­on gewür­digt und damit auch wei­ter vor­an­ge­trie­ben wird.

Bei dem legen­där-öden Pres­se­ter­min in der Baye­ri­schen Ver­tre­tung in Ber­lin, auf dem er Fried­rich Merz mit einem mit­tel-enthu­si­as­ti­schen „Ich bin damit fein“ zum Kanz­ler­kan­di­da­ten der Uni­on kür­te, sprach Mar­kus Söder mehr­fach vom „Ampel­scha­den“, als sei er ehren­amt­li­cher Bür­ger­meis­ter einer Klein­stadt, die über eine ein­zi­ge Kreu­zung ver­fügt. Dem Adjek­tiv „staats­tra­gend“ kam der baye­ri­sche Minis­ter­prä­si­dent damit so nahe wie der Wacht­meis­ter Dimpf­el­mo­ser, aber den wür­de Söders Kern­ziel­grup­pe, der Stamm­tisch (bzw. des­sen Bewoh­ner), wahr­schein­lich auch nach zwei Maß Bier noch freund­lich grü­ßen.

Ampel-Aus-Symbolbild (Foto: Lukas Heinser)

Die „Ampel“, das ist für Men­schen, die auf Social Media ger­ne erklä­ren, dass sie „selbst den­ken“, die Vor­stu­fe zu „rot-grün-ver­sifft“, zum „Kin­der­buch­au­tor“ Robert Habeck, zum müf­fe­li­gen Namens­witz „Gre­ta Thun­fisch“: eine ver­meint­lich ori­gi­nel­le For­mu­lie­rung, die man irgend­wo zwi­schen „Welt“-Kommentarspalte, Gabor Stein­garts Lebens­werk und Face­book auf­ge­le­sen hat, die man als Erken­nungs­zei­chen für Gleich­ge­sinn­te vor sich her­trägt und die ihre eige­ne Replik gleich mit­bringt: „Okay, Boo­mer!“

„Ampelz­off“ war schon 2023 unter den „Wör­tern des Jah­res“ gewe­sen, was eine gewis­se Fixie­rung auf Wör­ter der Duden-Kate­go­rie „ver­al­tend“ nahe­legt (Kun­den, die „zof­fen“ kauf­ten, inter­es­sier­ten sich auch für „pen­nen“, „fun­zen“ und „bum­sen“), ande­rer­seits spre­chen die meis­ten wei­te­ren Begrif­fe aus den Top 10 nicht dafür, dass sich die Gesell­schaft für deut­sche Spra­che an das Luther’sche Dik­tum hält, dem Volk aufs Maul zu schau­en: „Kli­ma­schön­fär­be­rei“, „kriegs­tüch­tig“, „Rechts­drift“, „gene­ra­ti­ve Wen­de“, „SBGG“, „Life-Work-Balan­ce“, „Mes­ser­ver­bot“, „angst­spa­ren“ und „Deckel­wahn­sinn“ wir­ken jeden­falls nicht, als könn­ten sie – um mal ein belie­bi­ges Wort zu ver­wen­den, das 2024 tat­säch­lich viel zu hören war – das popu­lar vote gewin­nen.

Von Gui­do Wes­ter­wel­le ist ein über­ra­schend poe­ti­scher (auch Joa­chim Rin­gel­natz und Ernst Jandl sind Poe­sie) Moment über­lie­fert, in dem er ein­mal erklär­te: „Wir gehen in kei­ne Ampel, Schwam­pel und ande­re Ham­pe­lei­en sind mit uns nicht zu machen.“ Das ist aller­dings so lan­ge her, dass der Fuß­ball­ver­ein, für den Kevin Kampl heu­te spielt, noch gar nicht gegrün­det war.

Die aller­ers­te Regie­rungs­ko­ali­ti­on der Bun­des­re­pu­blik aus CDU/​CSU, FDP und DP hat­te kei­nen Spitz­na­men, der sich bis heu­te erhal­ten hät­te, was auch dar­an gele­gen haben mag, dass man die Far­ben der Deut­schen Par­tei (schwarz-weiß-rot) jetzt viel­leicht nicht mehr als unbe­dingt nötig her­vor­he­ben woll­te. 1953 wur­de die­se Koali­ti­on noch um den Bund der Hei­mat­ver­trie­be­nen und Ent­rech­te­ten erwei­tert, wirk­lich in Erin­ne­rung blieb aber eh nur der Bun­des­kanz­ler: Kon­rad Ade­nau­er. Der konn­te von 1957 bis 1961 allei­ne (also: mit abso­lu­ter Mehr­heit für die Uni­on) regie­ren und saß ab 1961 einer Koali­ti­on vor, die man heu­te „schwarz-gelb“ nen­nen wür­de (oder, für die Teil­zeit-Komi­ker der Haupt­stadt­pres­se: „BVB“), damals aber nicht, weil die FDP Gelb erst seit 1972 ein­setzt. Ent­spre­chend regier­te sie mit der SPD zusam­men auch als „sozi­al-libe­ra­le Koali­ti­on“, was heu­te gera­de­zu rüh­rend aus­sa­ge­kräf­tig wirkt, wo man der­lei Inhalts­an­ga­ben nur noch in bizar­ren Schwund­stu­fen wie dem „Gute-Kita-Gesetz“ begeg­net. Die Regie­run­gen von 1966–1969, 2005–2009 und 2013–2021, die aus Uni­on und SPD bestan­den, nann­te man „gro­ße Koali­ti­on“, weil sie – zumin­dest anfangs – eine erheb­li­che Mehr­heit der Abge­ord­ne­ten abdeck­te.

In den 1980er Jah­ren begann das Far­ben­spiel. Das hat wenig mit dem gleich­na­mi­gen Album von Hele­ne Fischer zu tun, wohl aber mit ihrem Namens­vet­ter Josch­ka. Einer der vie­len unge­schrie­be­nen Arti­kel mei­nes Jah­res hät­te des­halb die Geschich­te die­ses Begriffs zurück­ver­fol­gen sol­len (denn ich lie­be wenig mehr an mei­ner jour­na­lis­ti­schen Arbeit, als mich stun­den­lang durch Archi­ve zu wüh­len, eine erstaun­li­che Men­ge Bei­fang mit mei­nen peers zu tei­len und dar­aus hin­ter­her einen Text zu schnit­zen, bei dem die Redak­ti­on kri­tisch eine Augen­braue hebt und sagt: „Das ist jetzt selbst für Dei­ne Ver­hält­nis­se extrem nerdig!“), bis in die frü­hen 1990er Jah­re und zu einem Mann namens Björn Eng­holm, der für kur­ze Zeit das war, was nach ihm vie­le waren: Der schnell ver­ges­se­ne Hoff­nungs­trä­ger der SPD.

Vor­bei die Zei­ten wie im Novem­ber 1992, als die „Süd­deut­sche Zei­tung“ schrieb:

Fer­tig ist sie, die ‚Ampel­ko­ali­ti­on‘, die wir des­halb in Gän­se­füß­chen set­zen, weil wir uns unter die­sem Gebil­de tech­nisch nichts vor­stel­len kön­nen.

Dass Natur­wis­sen­schaf­ten im öffent­li­chen Dis­kurs eher eine Neben­rol­le spie­len, wis­sen wir spä­tes­tens seit der Covid-19-Pan­de­mie, und zu den Din­gen, die über Eure Vor­stel­lungs­kraft gehen, gehört allen­falls eine Bob­mann­schaft aus, genau: Jamai­ka.

In der media­len Dau­er-Erre­gung schon lang ver­ges­sen ist das Wort „Schwam­pel“ (für: „schwar­ze Ampel“), das Jörg Schö­nen­born am Wahl­abend 2005 mit besorg­nis­er­r­gen­dem Ver­ve in den akti­ven Wort­schatz sei­ner Gesprächspartner*innen und Zuschauer*innen über­füh­ren woll­te. Es klingt, als wür­de es etwas sehr, sehr Ekli­ges beschrei­ben — mut­maß­lich das knor­pe­li­ge Stück Fleisch, das man beim Mit­tag­essen bei der „fei­nen“ Oma plötz­lich im Mund hat und sich nicht aus­zu­spu­cken traut (was, sei­en wir ehr­lich, ande­rer­seits nah dran ist an dem, was man von einer schwarz-gelb-grü­nen Koali­ti­on erwar­ten kann).

Dann hat irgend­je­mand den Flag­gen-Atlas sei­nes Kin­der­gar­ten­kin­des mit in irgend­ei­ne Redak­ti­on gebracht und nach inten­si­vem Stu­di­um und sicher­lich tage­lan­gen Kon­fe­ren­zen wur­de beschlos­sen, für­der­hin den Begriff „Jamai­ka-Koali­ti­on“ zu ver­wen­den. Heu­te könn­te man über die Gleich­set­zung der Begrif­fe „schwar­ze Ampel“ und „Jamai­ka“ noch mal gan­ze post-kolo­nia­le, ras­sis­mus­kri­ti­sche Dis­kur­se auf­sper­ren, aber der Gel­be Wagen, er ist inzwi­schen in jeder Hin­sicht wei­ter­ge­rollt, und es liegt eine fei­ne Iro­nie dar­in, dass die Can­na­bis-Lega­li­sie­rung eben nicht von einer Jamai­ka-Koali­ti­on beschlos­sen wur­de. (Als Led Zep­pe­lin einen Reg­gae-las­ti­gen Song auf­nah­men, nann­ten sie ihn „D’yer Mak’er“, was man [dʒəˈ­meɪkə] aus­spre­chen soll­te, also wie den Insel­staat, was The Hold Ste­ady in ihrem Song „Joke About Jamai­ca“ noch mal the­ma­ti­sie­ren, uns aber lei­der gera­de nir­gend­wo­hin bringt.)

Der Flag­gen-Atlas blieb in der Redak­ti­on und erwies sich als prak­tisch, als schwarz-rot-grü­ne Regie­rungs­bünd­nis­se gebil­det und benamt wer­den muss­ten: „Afgha­ni­stan“ hat­te einen in vie­ler Hin­sicht unglück­li­chen Bei­klang (und nach Gras auch noch Opi­um in die poli­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on ein­zu­füh­ren, hät­te viel­leicht auch merk­wür­dig gewirkt — eine „Kolumbien“-Koalition aus SPD, FDP und AfD scheint wenigs­tens erst­mal aus­ge­schlos­sen), wes­we­gen sich die Medi­en mehr­heit­lich auf „Kenia“ ver­stän­dig­ten.

Die wei­te­ren tek­to­ni­schen Ereig­nis­se in der Par­tei­en­land­schaft stel­len Redak­tio­nen und Par­tei­en vor immer neue Pro­ble­me: Für schwarz-rot-lila hat­te nicht­mal mehr Shel­don Coo­per eine Flag­ge parat, wes­we­gen sich Berich­te aus Thü­rin­gen nun um eine „Brom­beer-Koali­ti­on“ ran­ken. Und anstatt dass irgend­je­mand mal inne­hält und sich (und bes­ten­falls auch ande­re) fragt, ob das nicht lang­sam alles ein biss­chen albern wird, wird wahr­schein­lich schon wert­vol­le Arbeits­zeit mit der Fra­ge ver­schwen­det, was – zum Hen­ker – eigent­lich rot-grün-lila sein könn­te oder schwarz-gelb-lila (Men­schen mit Gas­tro-Erfah­run­gen wis­sen: Erbro­che­nes nach Weih­nachts­markt-Besuch).

Ange­sichts der angeb­li­chen Pola­ri­sie­rung der Gesell­schaft (auch hier hilft ein Blick in Zei­tun­gen von, sagen wir mal: 1968) und der damit ein­her­ge­hen­den Schwarz-Weiß-Ein­tei­lung bie­tet sich als nächs­te Eska­la­ti­ons­stu­fe viel­leicht eine „Pan­da-Koali­ti­on“ an. Oder ein­fach, denn jetzt ist auch alles egal: eine „Koa­la­li­ti­on“.

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Musik

Mixtape 11/​24

Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber die letz­ten Wochen und Mona­te waren für mich ein biss­chen anstren­gend. Dann kamen auch noch vie­le, vie­le Tage hin­zu, an denen es nie rich­tig hell, aber vor allem früh wie­der dun­kel wur­de, und das schlägt einem ja dann doch alles ein biss­chen uncool aufs Gemüt.

Mir hilft in sol­chen Fäl­len immer Musik – vor allem natür­lich die, die ich eh schon ewig ken­ne und die mei­ne Lau­ne ver­läss­lich bes­ser macht, aber auch neue. Und letz­te­re hab ich Euch wie­der zusam­men­ge­stellt zu einem klei­nen, hof­fent­lich fei­nen Mix­tape:

Afro-Pop von Bar­ny Flet­cher, ein Strokes/Kil­ler­s/Franz-Fer­di­nand-Cross­over von The Pri­va­tes aus Nash­ville, Dre­am­pop von Geor­gia Gets By und mei­ne Bud­dies vom Grand Hotel van Cleef sind dies­mal mit einem Lie­bes­lied auf Maya Haw­ke von Shit­ney Beers ver­tre­ten.

Al Green (von dem ich ehr­lich gesagt nicht wuss­te, dass er noch lebt) covert „Ever­bo­dy Hurts“ von R.E.M., Blos­soms aus Eng­land ver­wan­deln „I Wan­na Dance With Some­bo­dy“ von Whit­ney Hous­ton in eine Indie­rock-Hym­ne und wer Thurs­day mag, wird bei Glas­sey­ed auf­hor­chen.

Es gibt neue Songs von FKA twigs, Lau­ra Mar­ling und Vanes­sa Peters, zeit­ge­nös­si­sche Klas­sik von Han­nah Peel und Ben Folds, der sein ers­tes Weih­nachts­al­bum (acht neue, eige­ne Songs, nur zwei Cover-Ver­sio­nen) mit dem phan­tas­ti­schen Titel „Sleig­her“ ver­öf­fent­licht hat, nimmt uns auf einen Schnee­spa­zier­gang mit sei­nem Hund Mau­rice mit.

Kurz­um: Wenn Euch aus die­ser Lis­te so gar nichts gefällt, weiß ich auch nicht wei­ter!

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Musik Leben

25 Jahre „There Is Nothing Left To Lose“

Die­ser Ein­trag ist Teil 10 von bis­her 10 in der Serie 1999

Im Jahr 1999 erschie­nen jede Men­ge Alben, die für unse­re Autor*innen prä­gend waren. Zu ihrem 25. Jubi­lä­um wol­len wir sie der Rei­he nach vor­stel­len.

Foo Fighters - There Is Nothing Left To Lose (abfotografiert von Lukas Heinser)

Natür­lich hat­te ich Dave Grohl als den „Schlag­zeu­ger von Nir­va­na“ ken­nen­ge­lernt. Natür­lich kann­te ich die sen­sa­tio­nell lus­ti­gen Vide­os zu „Big Me“ und „Learn To Fly“ sei­ner neu­en Band Foo Figh­ters, auf die mich mein bes­ter Freund auf­merk­sam gemacht hat­te. Natür­lich waren – neben The Wall­flowers, Jami­ro­quai, Rage Against The Machi­ne, Micha­el Penn, Green Day und Ben Folds Five – auch Foo Figh­ters 1998 auf dem Sound­track zu Roland Emme­richs „God­zil­la“ gewe­sen und zwei Jah­re spä­ter – neben Ben Folds Five, Hoo­tie & The Blow­fi­sh, Smash Mouth, Third Eye Blind und The Off­spring – auf dem Sound­track zum heu­te fast ver­ges­se­nen Jim-Carrey-Film „Me, Mys­elf & Ire­ne“, der mich mit Wil­co, Pete Yorn, Ellis Paul und Mar­ve­lous 3, vor allem aber mit den Songs von Stee­ly Dan bekannt mach­te. Das Video zu „Brea­kout“, das im Som­mer­ur­laub 2000 stän­dig auf MTV Euro­pe lief, war ja sogar auf den Film abge­stimmt.

Ich weiß wirk­lich nicht, war­um es bis in den April 2002 gedau­ert hat, bis ich wuss­te, dass ich Foo-Figh­ters-Fan bin. Ich weiß aber noch sehr genau, wie ich zu die­ser Zeit das Video zu „Next Year“ im Musik­fern­se­hen gese­hen habe (und das auch nicht zum ers­ten Mal) und plötz­lich so ange­fixt war, dass ich den Song sofort als ille­ga­le MP3 her­un­ter­la­den und tage­lang auf Repeat hören muss­te. Ich habe sogar die Geburts­tags­kaf­fee­ta­fel mei­ner Schwes­ter ver­las­sen, um zu R&K zu fah­ren und end­lich das dazu­ge­hö­ri­ge Album zu kau­fen.

Zwei Tage spä­ter war unser letz­ter Schul­tag, in der Woche dar­auf die schrift­li­chen Abitur­prü­fun­gen und danach kam eine Zeit der gro­ßen Lee­re. Was sich anfangs noch wie Som­mer­fe­ri­en und ver­dien­te Frei­zeit nach so vie­len Jah­ren Schu­le (and don’t get me star­ted about Theo­dor-Heuss-Gym­na­si­um Dins­la­ken again!) anfühl­te und einer durch­gän­gi­gen Par­ty glich, füll­te sich ganz schlei­chend mit der zunächst geleug­ne­ten Gewiss­heit, dass sich bald alles ändern wür­de: Die Mäd­chen wür­den zum Stu­di­um in ande­re Städ­te zie­hen, die Jungs ihren Zivil­dienst begin­nen und danach ver­mut­lich auch die Stadt ver­las­sen. Kin­der­zim­mer wür­den ver­stau­ben und umge­räumt wer­den, Groß­el­tern und Eltern ster­ben, Leben jetzt erst rich­tig begin­nen. So jung kom­men wir nicht mehr zusam­men.

„The­re Is Not­hing Left To Lose“ (der Titel schon!) war der per­fek­te Sound­track zu die­ser Zeit. Dave Grohl wuss­te, wie sich Abschie­de und Umbrü­che im Leben anfüh­len, er konn­te Melan­cho­lie in Wut ver­wan­deln und umge­kehrt. Es schien, als habe sich das Album extra zwei­ein­halb Jah­re in mei­nem Blick­feld ver­steckt, um jetzt ganz und gar für mich da zu sein. Es war das drit­te Album unter dem bescheu­er­ten Pro­jekt­na­men Foo Figh­ters, aber eigent­lich das ers­te die­ser Band als Band: Auf dem Debüt hat­te Dave Grohl noch alle Instru­men­te selbst gespielt, die von ihm für das zwei­te Album zusam­men­ge­stell­te Band war schnell wie­der zer­bro­chen (es hat­te womög­lich nicht gehol­fen, dass Grohl nahe­zu alle Spu­ren von Schlag­zeu­ger Wil­liam Golds­mith neu ein­ge­spielt hat­te) und jetzt hat­te er den Kel­ler sei­nes Hau­ses in Alex­an­dria, Vir­gi­nia zum Stu­dio aus­ge­baut und mit sei­nem ver­blie­be­nen Bas­sis­ten Nate Men­del und Tay­lor Haw­kins, dem Schlag­zeu­ger aus der Band von Ala­nis Moris­set­te, noch ein­mal ganz neu ange­fan­gen.

Wenn Du Schlag­zeug ler­nen willst, hör Dir an, was Tay­lor Haw­kins bei „Gene­ra­tor“, „Auro­ra“ oder „Next Year“ macht; wie sei­ne Hän­de wir­beln und gleich­zei­tig über­all zu sein schei­nen; wie er Songs vor­an peitscht, ihnen, den ande­ren Instru­men­ten und vor allem Dave Groh­ls Stim­me aber auch immer genug Raum zum Atmen lässt; wie er, nach­dem er zwölf Tak­te ein­fach nur gera­de einen tigh­ten Beat geklopft hat, plötz­lich für einen Sekun­den­bruch­teil eine drum roll ein­flicht, die klingt wie ein auf der Stel­le tän­zeln­der Boxer — und wie der nächs­te Schlag dann tat­säch­lich wie ein upper cut kommt, der Dich Ster­ne sehen lässt.

In Inter­views und in sei­nem phan­tas­ti­schen Memoir „The Sto­rytel­ler“ erzählt Dave Grohl immer wie­der, dass „The­re Is Not­hing Left To Lose“ sein per­sön­li­ches Lieb­lings­al­bum der Band ist; das, auf das er am stol­zes­ten ist. Es ist eines der weni­gen Alben, die ich mir zum Hun­derts­ten Mal anhö­ren kann und die ers­ten Tak­te sind immer noch so auf­re­gend wie beim aller­ers­ten Hören: Der Ope­ner „Sta­cked Actors“, der mit tro­cken knar­zen­den Gitar­ren und einem trei­ben­den Schlag­zeug beginnt, in den Stro­phen aber eher wie ein ele­gan­ter Stee­ly-Dan-Song vor sich hin wippt. Das schwel­gen­de „Auro­ra“, nach Ansicht der Band einer der bes­ten Songs, den sie je auf­ge­nom­men haben. Das trau­rig schun­keln­de „Ain’t It The Life“, der sich lang­sam auf­rich­ten­de Abschluss­song „M.I.A.“ und natür­lich „Learn To Fly“, „Break Out“ und immer wie­der „Next Year“.

Der Song ist so unty­pisch für die Foo Figh­ters, dass er auf dem ers­ten „Best Of“ nicht ent­hal­ten ist, obwohl er als Sin­gle ver­öf­fent­licht wur­de. Musik­jour­na­lis­ten haben ihn mal als den einen Brit­pop-Song im Gesamt­werk der Band beschrie­ben und tat­säch­lich hat er eine gewis­se Ähn­lich­keit mit „Wha­te­ver“ von Oasis. Noch heu­te hüpft mein Herz jedes Mal, wenn der Song auf dem Album bei 3:48 Minu­ten eigent­lich schon zu Ende ist, aber mit dem zweit­größ­ten Drum-Break nach „In The Air Tonight“ zur Ehren­run­de ansetzt.

Als in den Mor­gen­stun­den des 26. März 2022 die Nach­richt kam, dass Tay­lor Haw­kins im Alter von nur 50 Jah­ren gestor­ben war, fühl­te es sich an, als wäre jemand aus mei­nem Umfeld gestor­ben – nicht unbe­dingt ein Freund, aber jemand, den ich vom Sehen kann­te, den ich von Anfang an moch­te und mit dem ich immer mal ein Bier hät­te trin­ken wol­len. Natür­lich ging ich als ers­tes ins Wohn­zim­mer und dreh­te die Anla­ge laut auf. Und natür­lich war das Album, das ich hör­te, „The­re Is Not­hing Left To Lose“.

Foo Figh­ters – The­re Is Not­hing Left To Lose
(Ros­well Records/​RCA, 2. Novem­ber 1999)
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Mixtape 10/​24

Leu­te, ich sag’s Euch, wie’s ist: Es gibt Zei­ten, die sind ein­fach so voll mit Din­gen, schö­nen wie unschö­nen, dass alles nur so vor­bei rauscht. Und dann ist plötz­lich der Abend des 31. Okto­ber, Kin­der klin­geln an der Tür und rufen „Süßes oder Sau­res!“ und die Begleit­tex­te zum Okto­ber-Mix­tape sind immer noch nicht zur Hälf­te fer­tig.

Aber ich mach das hier alles in mei­ner Frei­zeit und unbe­zahlt (Wenn Ihr mei­ne Arbeit finan­zi­ell unter­stüt­zen wollt, könnt Ihr mei­nen News­let­ter abon­nie­ren und dafür Geld bezah­len!) und mir ist wich­ti­ger, dass Ihr gute Musik hört, als dass ich mir da jetzt noch ein paar Dut­zend Absät­ze aus den Fin­gern sau­ge, von denen ich gar nicht so genau weiß, ob Ihr sie über­haupt lest. *hust*

Jeden­falls: Hier sind 22 Songs, die ich die­sen Monat gehört habe. Ich wün­sche Euch viel Spaß damit!

Meet Me @ The Altar – You’ve Got A Fri­end In Me

Wer auch immer bei Dis­ney auf die Idee gekom­men ist, ein Album zu ver­öf­fent­li­chen, auf dem Pop-Punk-Bands eini­ge der belieb­tes­ten Songs aus den eige­nen Ani­ma­ti­ons­fil­men covern (ein*e Mil­len­ni­al, ver­mut­lich), hat hof­fent­lich eine fet­te Gehalts­er­hö­hung. Dabei sing New Found Glo­ry, Simp­le Plan, Yel­low­card, Plain White T’s, Bow­ling For Soup, Tokio Hotel (!), aber auch Meet Me @ The Altar, die jetzt seit ein paar Jah­ren zu mei­nen „neu­en“ (also: nicht seit Jahr­zehn­ten mit mir rum­ge­schlepp­ten) Lieb­lings­bands gehö­ren.

Die que­er POC all-girl band aus Flo­ri­da covert Ran­dy New­mans „You’ve Got A Fri­end In Me“ aus „Toy Sto­ry“ und drückt damit bei mir sehr vie­le Knöp­fe.

MJ Len­der­man – She’s Lea­ving You

Manch­mal gibt es ja so Namen und Alben, von denen man so oft in ver­schie­de­nen Zusam­men­hän­gen liest, dass man sie ein­fach hören muss: MJ Len­der­mans „Man­ning Fire­works“ ist so ein Album und es ist sogar sogar noch bes­ser, als alle sagen. Die Songs klin­gen, als wür­de ich es schon mein hal­bes Leben ken­nen. Oder, anders: So, wie wenn The Get Up Kids und The Wea­k­erthans sich vor 20, 25 Jah­ren in einer Scheu­ne in Mon­ta­na, in der zufäl­lig noch ein paar Folk-Musi­ker sit­zen, gegen­sei­tig geco­vert hät­ten. (MJ Len­der­man wur­de vor 25 Jah­ren gebo­ren.)

„You can put your clo­thes back on /​ She’s lea­ving you“ ist kein ganz schlech­ter Anfang, es wird danach aber noch bes­ser: Ein Song, der auch Ryan Adams gut zu Gesicht gestan­den hät­te, wenn wir noch Ryan Adams hören wür­den.

Rae Mor­ris – Some­thing Good

Wenn man sich die Nach­rich­ten, die soge­nann­ten Sozia­len Medi­en und oft genug auch den eige­nen All­tag anschaut, könn­te sich der Ein­druck ver­stär­ken, alles, aber auch wirk­lich alles, sei abso­lut furcht­bar. Aber ist es nicht immer am Dun­kels­ten, kurz bevor die Son­ne auf­geht?

Rae Mor­ris, die als bis­her ein­zi­ger Act zwei Mal (2012 und 2018) mei­nen ganz per­sön­li­chen Song des Jah­res ver­öf­fent­licht hat, hat das Gefühl, dass etwas Gutes pas­sie­ren wird, und singt davon in die­sem leicht zap­pe­li­gen Elek­tro­pop-Song. Hof­fen wir alle, dass sie recht hat.

Wil­lie Nel­son – Do You Rea­li­ze??

Wil­lie Nel­son ist jetzt 91 Jah­re alt, hat 101 Stu­dio­al­ben ver­öf­fent­licht, war neben John­ny Cash, Way­lon Jen­nings und dem kürz­lich ver­stor­be­nen Kris Kris­toff­er­son Mit­glied der High­way­men, und wird – trotz sei­nes jahr­zehn­te­lan­gen Mari­hua­na-Kon­sums – ein­fach nicht müde.

Jetzt hat er sich „Do You Rea­li­ze??“ von The Fla­ming Lips vor­ge­nom­men, einen Song von ihrem 2002er Album „Yoshi­mi Batt­les The Pink Robots“, zu des­sen Hin­ter­grund es eine sehr schö­ne Fol­ge „Song Explo­der“ gibt und in dem die Band mit „You rea­li­ze the sun does­n’t go down /​ It’s just an illu­si­on cau­sed by the world spin­ning round“ die Vor­la­ge für Tom­tes „Das ist nicht die Son­ne, die unter­geht /​ Son­dern die Erde, die sich dreht“ („Die Schön­heit der Chan­ce“) lie­fer­te.

Long sto­ry short: „Do You Rea­li­ze??“ ist schon im Ori­gi­nal ein wun­der­schö­ner Song und Wil­lie Nel­son arbei­tet das Lob der zer­brech­li­chen Schön­heit noch ein­mal ganz beson­ders her­aus. Auch Way­ne Coy­ne und Ste­ven Drozd von The Fla­ming Lips sind sicht­lich ange­tan.

Mag­gie Rogers – In The Living Room

Mag­gie Rogers hat­te eigent­lich erst im April ihr drit­tes Album „Don’t For­get Me“ ver­öf­fent­licht, jetzt gibt es schon wie­der neue Musik: „In The Living Room“ klingt wie Aimee Mann — und das ist ja nun wirk­lich nicht das Schlech­tes­te, was man über einen Song sagen kann.

Ceci­ly – Rich

„Im Ceci­ly. Im a young sin­ger /​ song­wri­ter in Nash­ville just try­ing to bring authen­tic lyrics and feel good melo­dies into moments that cap­tu­re who l am and what I belie­ve, while also crea­ting space for you to find out what it means for you too.“ schreibt Ceci­ly über sich selbst.

„Rich“ ist eine Folk­bal­la­de, des­sen Text erst von Sozia­ler Unge­rech­tig­keit han­delt, dann von Pri­vi­le­gi­en, ehe sich alles zu einem hym­ni­schen Lie­bes­lied öff­net.

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Musik

Mixtape 9/​24

Andert­halb Jah­re lang, über 36 Aus­ga­ben, haben wir bei Spo­ti­fy unse­re klei­ne Musik­sen­dung ver­öf­fent­licht, die genau­so hieß wie die­ses Blog hier: Cof­fee And TV. Dann hat der böse, aus­beu­te­ri­sche Tech-Kon­zern die Mög­lich­keit abge­schafft, eine sol­che … nun ja: Radio­sen­dung im Inter­net zu pro­du­zie­ren.

Ich habe ein biss­chen gebraucht, um zu über­le­gen, wie wir wei­ter­ma­chen, denn es gehört ja zu mei­nen tiefs­ten Über­zeu­gun­gen, dass Schön­heit geteilt gehört – und Ihr soll­te ja wei­ter hören kön­nen, was ich gera­de so höre. Die nächst­ge­le­ge­ne Idee ist natür­lich eine Play­list – vor­erst erst­mal wei­ter bei Spo­ti­fy, weil der Absprung von so einem Strea­ming­dienst unge­fähr so kom­pli­ziert ist wie ein Umzug mit drei Kin­dern und fünf Haus­tie­ren ins Aus­land, aber auch bei Tidal, wo ich gera­de ein Pro­be-Abo abge­schlos­sen habe, und die Musik wirk­lich hun­dert Mal bes­ser klingt (außer­dem krie­gen die Künstler*innen mehr Geld).

Und weil eine Befra­gung auf Insta­gram ergab, dass Ihr ger­ne nicht nur Songs hin­ter­ein­an­der hören, son­dern auch Infor­ma­tio­nen und Mei­nun­gen dazu lesen wollt, habe ich jetzt ca. zwei Arbeits­ta­ge damit zuge­bracht, die­sen Blog-Ein­trag hier zusam­men­zu­bau­en. (Wenn Ihr mei­ne Arbeit finan­zi­ell unter­stüt­zen wollt, könnt Ihr mei­nen News­let­ter abon­nie­ren und dafür Geld bezah­len!)

Also dann: Herz­lich will­kom­men zum ers­ten CTV-Mix­tape!

Manic Street Pre­a­chers – Decli­ne & Fall

Ich bin jetzt seit fast 25 Jah­ren Fan der Manic Street Pre­a­chers; sie haben mich durch die Ober­stu­fen­zeit beglei­tet und poli­ti­siert. Ihr letz­tes rich­tig gutes Album ist jetzt auch schon vier­zehn Jah­re alt – und dann bal­lern die plötz­lich so eine Sin­gle raus: eine Pia­no-Hook wie bei ABBA, Gitar­ren wie bei Guns ’n‘ Roses und eine Gesangs­me­lo­die, die unge­fähr so ein­gän­gig ist wie ein gelun­ge­ne­rer Schla­ger.

Der Text han­delt davon, im Ange­sicht einer ver­fal­len­den Welt die klei­nen Wun­der zu fei­ern – viel­leicht ein biss­chen fata­lis­tisch für eine Band, die die meis­te Zeit ihrer Kar­rie­re die sozia­lis­ti­sche Welt­re­vo­lu­ti­on anzet­teln woll­te, aber in Zei­ten, in denen sich so vie­le immer radi­ka­ler äußern, ist es auch auf eine Art radi­kal, das Gegen­teil zu tun. Und wenn es dar­um geht, sich an den klei­nen Din­gen zu erfreu­en, bin ich natür­lich dabei! Der bes­te Song einer Band „von frü­her“ seit Jah­ren!

Ider – You Don’t Know How To Dri­ve

Wir waren bei Cof­fee And TV schon gro­ße Fans von Ider, bevor das bri­ti­sche Elek­tro­pop-Duo über­haupt 2019 sein Debüt­al­bum „Emo­tio­nal Edu­ca­ti­on“ ver­öf­fent­licht hat­te. Der Bild­spen­der für den Titel die­ser Sin­gle ist die männ­li­che Unfä­hig­keit, sich im Stra­ßen­ver­kehr zu ori­en­tie­ren, aber immer gute Rat­schlä­ge zu geben – und das ist nur die ers­te Stro­phe, denn die burns wer­den danach noch viel, viel gemei­ner.

„I wan­na throw your shit in the midd­le of the street /​ Real­ly make a big sce­ne and burn your red SG /​ Dele­te the files of your solo EP, yeah no ones gon­na hear it now“, sin­gen Megan Mark­wick und Lily Somer­ville im Refrain und viel­leicht muss man ein paar Musi­ker im Bekann­ten­kreis haben, um die Tie­fe und Schär­fe die­ser Zei­len voll wür­di­gen zu kön­nen, aber lasst es mich so sagen: Das hier ist die nuklea­re Opti­on – aber sehr, sehr lus­tig!

Ider haben gera­de ihr drit­tes Album „Late To The World“ ange­kün­digt, das am 21. Febru­ar 2025 erschei­nen soll. Ende März spie­len sie in Ham­burg, Ber­lin und Köln.

Chris­ti­an Lee Hut­son – After Hours

Seit dem Release Anfang Juli lie­ge ich mei­ner gesam­ten peer group in den Ohren, dass sie sich bit­te, unbe­dingt, kei­ne Zeit zu War­ten, die­sen Song anhö­ren sol­len. Nein: müs­sen!

„After Hours“ klingt, als wür­de ich es seit 25 Jah­ren ken­nen, aber ich kann nicht genau sagen, an was mich Stim­me und Musik erin­nern: Nick Dra­ke? Nein. The Wea­k­erthans? Auch nicht. Vor allem war Chris­ti­an Lee Hut­son vor 25 Jah­ren gera­de acht und hat (hof­fent­lich, denn das Wort „fuck“ kommt auch drin vor) noch nicht sol­che Songs geschrie­ben. Refrains gibt’s kei­ne, dafür Stro­phen, die sich frei asso­zia­tiv von Spät­is im Him­mel über die Schau­spie­le­rin Cathe­ri­ne O’Ha­ra bis zur Fest­stel­lung „The good stuff is behind a pay­wall“. Das Album „Para­di­se Pop. 10“ erscheint am 27. Sep­tem­ber und ich bin sehr gespannt!

Anna Erhard – Not Rick

Stellt Euch einen jun­gen, weib­li­chen Wer­ner Her­zog vor, der einen cle­ve­ren, aber nicht zu cle­ve­ren Text rezi­tiert, in dem es unter ande­rem um den legen­dä­ren Musik­pro­du­zen­ten Rick Rubin geht, wäh­rend im Hin­ter­grund die Band Cake ein Mas­hup von Becks bes­ten Songs, die nicht „Loser“ hei­ßen, spielt. Okay, ich bin nicht hilf­reich.

Ihr müsst mir ein­fach glau­ben, dass die­ser Song von Anna Erhard, die in der Schweiz auf­ge­wach­sen ist und jetzt in Ber­lin lebt, eini­ge der bes­ten Indie­rock-Trends der letz­ten vier Jahr­zehn­te ent­hält. Oder bes­ser: es hören!

Pete Yorn – Real Good Love

Pete Yorn war der Sound­track der letz­ten Mona­te vor mei­nem Abi — und zwar gleich dop­pelt: zum einen war er in den Jah­ren 2000 bis 2002 auf gefühlt jedem zwei­ten Sound­track-Album von „Dawson‘s Creek“ bis „Spi­der-Man“ dabei (so ver­such­ten Major-Labels damals, ihre Acts groß zu machen), zum ande­ren war sein Debüt-Album „Music­for­the­mor­ning­af­ter“ damals ein treu­er Beglei­ter.

Es wur­de kei­ne enge, dau­er­haf­te Bezie­hung (sein gemein­sa­mes Album mit Scar­lett Johans­son hab ich bis heu­te nie gehört), aber wenn er neue Musik ver­öf­fent­licht, höre ich immer wie­der ger­ne rein. (Und im Gegen­satz zu Ryan Adams, dem ande­ren gro­ßen lie­bes­trun­ke­nen Trou­ba­dour jener Tage, hat er sich, soweit ich weiß, nichts zu Schul­den kom­men las­sen.) Sein neu­es Album „The Hard Way“ ist kein Meis­ter­werk, über das man in zehn Jah­ren noch begeis­tert spre­chen wird, aber es kann die Zeit zwi­schen „Nicht mehr Som­mer“ und „Noch nicht Herbst“ unter­ma­len wie eine akus­ti­sche Über­gangs­ja­cke. Und so eine soli­de Freund­schaft ist doch auch viel wert!

PRONOUN – In The Still

Viel­leicht gar nicht so doof, das eige­ne Musik­pro­jekt nach der viel­leicht pola­ri­sie­rends­ten Wort­gat­tung aller Zei­ten zu benen­nen. Aly­se Vell­turo beschreibt sich selbst als „Brook­lyn-based indie label mana­ger by day, bed­room artist by night“ und „In The Still“ ist mein Erst­kon­takt mit ihrem Schaf­fen.

Wenn Jim­my Eat World und The Pains Of Being Pure At Heart eine gemein­sa­me Toch­ter hät­ten und die dann mit ihren Freun­din­nen von bri­ti­schen 80er-Jah­re-Bands (und zwar nicht Pet Shop Boys oder Wham!, son­dern The Cure und New Order) inspi­rier­te Musik machen wür­de, dann könn­te das Ergeb­nis so klin­gen.

Japan­dro­ids – Chi­ca­go

Für alle, die immer schon Bruce Springsteen und Hüs­ker Dü geliebt haben, gibt es das kana­di­sche Duo Japan­dro­ids. Ihr zwei­tes Album „Cele­bra­ti­on Rock“ aus dem Jahr 2012 ist eines der am pas­sends­ten beti­tel­ten Alben aller Zei­ten und bevor ich für „Lucky & Fred“ oder mei­ne klei­ne ESC-Show auf die Büh­ne gegan­gen bin, hab ich immer ihren Songs „Fire’s High­way“ gehört, um ange­mes­sen pum­ped für einen Abend vor Live-Publi­kum zu sein.

Nach sie­ben Jah­ren Pau­se haben sie im Juli für Okto­ber ihr vier­tes Album „Fate & Alco­hol“ ange­kün­digt, das gleich­zei­tig ihr letz­tes sein soll. Wenn man sich bei einer Band kei­ne Sor­gen machen muss, dass sie mit einem Knall gehen wer­den, dann bei Japan­dro­ids. Sor­ry, baby, we call it like we see it in Chi­ca­go!

Suzan Köcher’s Supra­fon – Living In A Bad Place

Brin­gen wir‘s kurz hin­ter uns: Ja, das ist die Band, wäh­rend deren Auf­tritt der Atten­tä­ter auf dem Solin­ger Stadt­fest sei­ne furcht­ba­re Tat beging. Das war natür­lich ein grau­sa­mer Zufall und die denk­bar beschis­sens­te Art, um Gegen­stand natio­na­ler Bericht­erstat­tung zu wer­den, von daher freut es mich sehr, dass die Vier schon eine Woche spä­ter die Kraft hat­ten, wie­der auf einer Büh­ne zu ste­hen und zu bestehen.

„Living In A Bad Place“ ist ein groo­ven­der Ame­ri­ca­na-Stamp­fer, der an die spä­ten Car­di­gans oder Bran­di Car­l­is­le erin­nert, aber gleich­zei­tig auch ein­deu­tig Suzan Köcher’s Supra­fon ist (wie schon in Sen­dung Nr. 35 zu hören). Im Okto­ber erscheint das Album „In The­se Dying Times“ und das mag jetzt zynisch klin­gen, aber: Wenn die­se gan­ze Schei­ße dazu führt, dass jetzt ein paar mehr Men­schen eine gute Band ken­nen und hören, ist das alle­mal bes­ser, als wenn des­we­gen Gren­zen geschlos­sen und Men­schen­rech­te geschlif­fen wer­den. (Das war jetzt poli­tisch. Bla­me the Manic Street Pre­a­chers!)

The Kil­lers – Bright Lights

Wenn ich alle Fak­ten zusam­men­tra­ge, sind The Kil­lers ver­mut­lich mei­ne Lieb­lings­band unter all jenen, die noch aktiv sind. Ich denk da nur auch nicht immer dran.

Und dann kam Anfang August eine neue Sin­gle raus und ich hab sie mir extra auf­ge­ho­ben, um sie abends, bei Son­nen­un­ter­gang auf unse­rem Cam­ping­platz, zum ers­ten Mal zu hören. Es ist natür­lich kein „Mr. Brights­ide“ oder „When You Were Young“, es ist nicht­mal ein „Cau­ti­on“ (obwohl es erstaun­lich danach klingt). Es ist nur ein Lebens­zei­chen einer Band, die es auch nach 20 Jah­ren noch schafft, mir mit jedem neu­en Album eine klei­ne Freu­de zu berei­ten — und das ist doch auch viel wert!

Bess Atwell – Whe­re I Left Us

Ich mer­ke, dass ich immer weni­ger Alben höre – gera­de, weil ich so ungern Alben anma­che, wenn ich weiß, dass ich sie nicht kom­plett hören kann. Wenn ich 20 bis 30 Minu­ten brau­che, bis das Abend­essen fer­tig ist, reicht das nicht – gera­de, wenn ich erst­mal zehn Minu­ten brau­che, um über­haupt Musik aus­zu­su­chen, wäh­rend das Nudel­was­ser schon kocht. Des­halb habe ich Bess Atwells drit­tes Album „Light Slee­per“ auch noch nicht gehört (auch nicht die zwei davor), obwohl es von Aaron Dess­ner von The Natio­nal pro­du­ziert wur­de, der seit Tay­lor Swifts „Folk­lo­re“ ja der Mann ist, der melan­cho­lisch-schwel­gen­de Pop­songs jun­ger Frau­en den letz­ten Grob­schliff gibt.

„Whe­re I Left Us“ ist da aber auch gar nicht drauf, son­dern Teil neu­en Mate­ri­als, das die Eng­län­de­rin aktu­ell ver­öf­fent­licht. Wenn all ihre Songs so eine herbst­li­che Kuschel­de­cken-Fluf­fig­keit haben, muss ich aber wirk­lich mal in ihre Alben rein­hö­ren!

The Dead­no­tes – Reser­voir

Ich ver­traue mei­nen Bud­dies vom Grand Hotel van Cleef ja erst­mal blind – ein Ver­trau­en, das sie sich vor zwei Jahr­zehn­ten mit kett­car, Tom­te, Marr und Death Cab For Cutie eher leicht­fü­ßig erar­bei­tet haben (war natür­lich trotz­dem eine Men­ge Ener­gie und Geld, die in sol­che Releases gegan­gen ist), das durch gemein­sa­me Kili­ans-Zei­ten noch enger wur­de und das sie in den letz­ten Jah­ren mit Ver­öf­fent­li­chun­gen von Pale, Mari­ya­ka, Fjørt und Arxx wei­ter gestützt haben.

Wenn mei­ne Bud­dies also eine Band signen, die schon zwei Alben in Eigen­re­gie ver­öf­fent­licht hat, dann höre ich mir das natür­lich auf­merk­sam an: „Reser­voir“ ist ein Hauch The Kil­lers, Night­ma­re Of You und Hel­lo­good­bye, also Rock­mu­sik mit Syn­the­si­zern – und das Grand Hotel van Cleef hat mal wie­der recht gehabt.

Alex The Astro­naut – Cold Piz­za

„I Think You’­re Gre­at“ von Alex The Astro­naut war einer der ers­ten Songs, die ich gehört habe, nach­dem im März 2020 der ers­te Covid-Lock­down aus­ge­ru­fen wor­den war – und es soll­te mein Song eines sehr, sehr spe­zi­el­len Jah­res wer­den.

Ich weiß nicht viel über Alex The Astro­naut und habe auch nicht vie­le ihrer ande­ren Songs gehört. Aber wenn man einen Song nach dem bes­ten Essen der Welt benennt, kann das alles schon mal nicht so falsch sein – und tat­säch­lich ist „Cold Piz­za“ ein char­man­ter klei­ner Indie­rock-Schun­k­ler.

Clip­ping – Run It

Dave­ed Diggs kennt Ihr alle als Mar­quis de Lafay­et­te und Tho­mas Jef­fer­son aus „Hamil­ton“ (Ihr kennt „Hamil­ton“ nicht? Oh. Ändert das! Sofort!) Er ist aber auch Mit­glied der expe­ri­men­tel­len Hip-Hop-Band Clip­ping, über die ich nicht viel mehr weiß, als dass Dave­ed Diggs dort Mit­glied ist und sie eine zeit­lang mal für das Hald­ern Pop Fes­ti­val 2023 ange­kün­digt waren, bis sie wie­der aus dem Line-Up ver­schwan­den.

Jetzt habe ich zum ers­ten Mal einen Song von Clip­ping gehört und ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob ich mich inzwi­schen wie­der voll­stän­dig davon erholt habe, aber „Run It“ ist schon ein beein­dru­cken­der Track, der ein biss­chen klingt, als wäre man mit dem Geräusch im Kopf auf­ge­wacht, das ein 56k-Modem beim Ein­wäh­len macht.

Joy Ola­do­kun – I‘ Miss The Birds

Wenn ich noch so was küren wür­de wie ein Album des Jah­res, wäre es letz­tes Jahr „Pro­of Of Life“ von Joy Ola­do­kun gewe­sen, wie ich in unse­rer 2023-Sen­dung schon erzählt habe. Seit­dem hat sie in regel­mä­ßi­gen Abstän­den neue Songs ver­öf­fent­licht, die alle­samt wun­der­bar sind.

In „I’d Miss The Birds“ singt sie davon, dass sie Nash­ville, die Haupt­stadt der ame­ri­ka­ni­schen Musik­in­dus­trie, ver­las­sen und aufs Land zie­hen will. Zwar wür­de sie die Vögel ver­mis­sen, für die die Stadt auch berühmt ist, aber selbst die Vögel wüss­ten ja, wann es Zeit ist zu gehen.

„I’d Miss The Birds“ wird auf „Obser­va­tions From A Crow­ded Room“ ent­hal­ten sein, Joy Ola­do­kuns fünf­tem Album, das sie selbst pro­du­ziert hat und das am 18. Okto­ber erschei­nen soll.

New Radi­cals – Lost Stars

„You Get What You Give“ von New Radi­cals ist ein Song, der mein Leben in ein „Davor“ und „Danach“ teilt. Zum ers­ten Mal seit mei­ner eher kind­li­chen Die-Prin­zen-Pha­se war ich Fan einer Band — die sich weni­ge Wochen, nach­dem ich ihr Album gekauft hat­te, auf­lös­te. Ihr Sän­ger Gregg Alex­an­der hat seit­dem zahl­rei­che Hits für ande­re Acts geschrie­ben (die ich, inkl. Demos, alle auf mei­ner Fest­plat­te habe), aber die Band tauch­te erst zur Amts­ein­füh­rung von Joe Biden ganz über­ra­schend wie­der in der Öffent­lich­keit auf. 

Jetzt gibt es zum ers­ten Mal seit 25 Jah­ren neue Songs — wobei „neu“ dabei ein biss­chen umge­deu­tet wer­den muss, denn es han­delt sich um die eige­nen New-Radi­cals-Ver­sio­nen von „Mur­der On The Dance­f­lo­or“ (bekannt gewor­den durch Sophie Ellis-Bex­tor) und „Lost Stars“ (aus dem Film „Begin Again“). Gregg Alex­an­der hat in einem offe­nen Brief an Kama­la Har­ris’ Ehe­mann Doug Emhoff, der offen­bar ein eben­so gro­ßer Fan der Band ist wie ich, erklärt, dass es sich nicht um ein „Come­back“ hand­le, son­dern um einen Ver­such, die Demo­kra­ten im Wahl­kampf zu unter­stüt­zen. Das ver­leiht die­sen viel­leicht etwas obsku­ren Songs eine Aura von gesell­schaft­li­cher Bedeu­tung und Hoff­nung und macht mich noch glück­li­cher, sie hören zu dür­fen. Ich habe sogar zum ers­ten Mal seit neun Jah­ren einen Song im iTu­nes Store gekauft!

Bris­ke­by – The First Time

Wei­ter geht’s mit „Opa erzählt vom Frie­den“! Bris­ke­by waren die ers­te Vor­band, die ich jemals bei einem Kon­zert gese­hen habe: Im Herbst 2000 im Vor­pro­gramm von a‑ha in der Are­na Ober­hau­sen und ich war sofort schwer ver­knallt in ihre Sän­ge­rin Lise Karls­nes. Der Zufall will es, dass ich ein paar Mona­te spä­ter mei­ne aller­ers­te Musik­re­zen­si­on jemals für plattentests.de über „Jeans For Onas­sis“, das Debüt­al­bum der Band, geschrie­ben habe – das Album hat­te also immer einen ganz beson­de­ren Platz in mei­nem Her­zen und ich habe mei­nen Text nur des­halb ver­linkt, denn es ist grau­en­haf­tes Gewäsch von einem Teen­ager, der noch weit davon ent­fernt war, sei­ne Stim­me gefun­den zu haben, nicht bes­ser gemacht von einer Redak­ti­on, die auf kna­cki­ge Über­schrif­ten und Oneli­ner aus war, und kön­nen wir bit­te über­haupt ganz grund­sätz­lich mal auf­hö­ren, Kunst irgend­wie auf einer Ska­la („5/​10“) quan­ti­fi­zie­ren zu wol­len?!

Bris­ke­by, jeden­falls, haben danach wei­ter Musik gemacht, die kom­plett an mir vor­bei­ging: Ihr letz­tes Album ist aus dem Jahr 2005, was fast 20 Jah­re her ist, die letz­te Sin­gle von 2015. Und jetzt sind sie wie­der da, mit einem Song, der „Like The First Time“ heißt und auch so klingt: Es ist exakt der glei­che groo­ven­de, leicht ange­rock­te skan­di­na­vi­sche Elek­tro­pop zwi­schen Car­di­gans und Annie – und was ist so falsch dar­an?! Ich bin jetzt in einem Alter, wo ich zwar immer noch Wert dar­auf lege, Chap­pell Roan, Char­li XCX und Sabri­na Car­pen­ter grob zu ken­nen (und: Mein Gott, ist „Espres­so“ ein Meis­ter­werk!), aber ich über­las­se ihre Musik ger­ne den jun­gen Leu­ten, denn die haben ja sonst – Hash­tag Kli­ma­kri­se, Hash­tag Ren­ten­kas­se, Hash­tag Austeri­täts­po­li­tik – sonst gar nichts.

Bon Iver – Spey­si­de

Und plötz­lich war da noch ein neu­er Song von Bon Iver: Nur Jus­tin Ver­non und sei­ne Gitar­re, wie damals in der legen­dä­ren Wald­hüt­te, als er „For Emma, Fore­ver Ago“ auf­nahm (was auch schon wie­der ewig her ist). Die gan­zen Elek­tro­spie­le­rei­en der letz­ten Alben: ver­schwun­den; das Duett mit Tay­lor Swift: woan­ders (aber tief in unse­ren Her­zen); die ein­zi­ge wei­te­re Zutat nur die Brat­sche von Rob Moo­se, die dem gan­zen den Anstrich von wei­ter, ame­ri­ka­ni­scher Land­schaft ver­leiht.

Am 18. Okto­ber wird „Sable“, eine EP mit „Spey­si­de“ und zwei wei­te­ren Songs erschei­nen. Dann wis­sen wir, ob Bon Iver full cir­cle gegan­gen sind. Solan­ge reicht aber auch die Schön­heit die­ses Songs.

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Musik Leben

25 Jahre „Hallo Endorphin“

Die­ser Ein­trag ist Teil 9 von bis­her 10 in der Serie 1999

Im Jahr 1999 erschie­nen jede Men­ge Alben, die für unse­re Autor*innen prä­gend waren. Zu ihrem 25. Jubi­lä­um wol­len wir sie der Rei­he nach vor­stel­len.

...But Alive - Hallo Endorphin (abfotografiert von Lukas Heinser)

Dafür, dass ich in den 1990er Jah­ren in einer Klein­stadt in Nord­rhein-West­fa­len auf­ge­wach­sen bin, fehlt ein wich­ti­ges, eigent­lich natür­li­ches, Puz­zle­teil in mei­ner Pop­kul­tur-Sozia­li­sa­ti­on: Deutsch­punk. Zwi­schen der ZDF-Hit­pa­ra­den-Welt mei­ner Groß­el­tern und dem WDR-2-Pop-Inter­na­tio­na­lis­mus mei­ner Eltern (plus BAP und Grö­ne­mey­er) war kein Platz vor­ge­se­hen für Fehl­far­ben, EA 80 oder Wohl­stands­kin­der und auch nicht für WIZO, Dackel­blut oder Die Gol­de­nen Zitro­nen. Natür­lich fan­den Die Toten Hosen und Die Ärz­te im Musik­fern­se­hen und im Radio statt, aber bei­de Bands haben mich bis heu­te nie inter­es­sie­ren kön­nen (um das mal diplo­ma­tisch aus­zu­drü­cken). Ich mei­ne: Ich lebe seit 20 Jah­ren in Bochum und hab die­sen Som­mer zum ers­ten Mal Die Kas­sie­rer live gese­hen!

Inso­fern waren mir auch …But Ali­ve kein Begriff, als im Spätsommer/​Herbst 2002 plötz­lich alle über kett­car spra­chen. Deren Sän­ger, so lern­te ich, hieß Mar­cus Wie­busch und hat­te zuvor bei eben jenen …But Ali­ve und bei Ran­t­an­plan gesun­gen. Und weil kett­car für mich mit „Du und wie­viel von Dei­nen Freun­den“ ein Tor in eine neue Welt auf­ge­sto­ßen hat­ten (die zu einer jahr­zehn­te­lan­gen Freund­schaft zu ihnen, Thees Uhl­mann und ihrem Label Grand Hotel van Cleef füh­ren soll­te), es aber noch nicht mehr als die­ses Debüt­al­bum gab, brauch­te ich ein Jahr spä­ter Metha­don.

„Hal­lo Endor­phin“ war das vier­te und letz­te Album von …But Ali­ve gewe­sen und in gewis­ser Wei­se das Bin­de­glied zu kett­car: Musi­ka­lisch und text­lich schon recht weit von dem eher klas­si­schen Punk­rock ent­fernt, mit dem die Band ange­fan­gen hat­te. Zwar ging es in man­chen Tex­ten immer noch gegen alles, vor allem gegen gleich­alt­ri­ge Spie­ßer, Pop-Aka­de­mi­ker und Life­style-Lin­ke, aber ande­res war weni­ger kon­kret aus­for­mu­liert. The­men wie Selbst­er­mäch­ti­gung schau­ten genau­so vor­bei wie Tren­nun­gen. Über „Ent­las­sen (Vor der Win­ter­pau­se)“ und „Erin­nert sich jemand an Kal­le ‚del Haye“, in denen Mar­cus Fuß­ball als Bild­spen­der für eine geschei­ter­te Bezie­hung und ent­frem­de­te Freund­schaf­ten habe ich ein paar Jah­re spä­ter in mei­nem Ger­ma­nis­tik-Stu­di­um eine gan­ze Haus­ar­beit geschrie­ben.

Hat­te das kett­car-Debüt mei­nen Steh­satz für Lied­zi­ta­te, die ich im All­tag und in eige­nen Tex­ten unter­brin­gen konn­te, eigent­lich schon bis unter das Dach gefüllt, erwies sich „Hal­lo Endor­phin“ (allein der Album­ti­tel!) als wei­te­rer Stein­bruch für Refe­ren­zen. Schon der Song „Bes­te Waf­fe“ hat mich auf Jah­re mit For­mu­lie­run­gen für Inter­net­fo­ren und ähn­li­che Orte ver­sorgt: „Und da steht Tho­mas Hel­mer – oh nee, doch nicht, sah nur so aus“, „Klar kannst Du Dich mal mel­den, halt nur nicht bei mir“, „Musik­ge­schmack wird über­be­wer­tet“.

Weil ich mir die …But Ali­ve-Dis­ko­gra­fie umge­kehrt chro­no­lo­gisch erschlos­sen habe, blieb „Hal­lo Endor­phin“ immer das Album dazwi­schen: Der Drum­com­pu­ter-Anfang von „Ver­giss den Quatsch“ nimmt „Dei­che“ vor­weg, ein kur­zes Gitar­ren­so­lo in „Fried­lich“ und eine Key­board-Melo­die in „Ent­las­sen (Vor der Win­ter­pau­se)“ täu­schen schon mal die spä­te­re „Lan­dungs­brü­cken raus“-Hook an. Den Sprech­ge­sang wür­de Mar­cus erst auf den spä­te­ren kett­car-Alben wie­der aus­pa­cken, dafür bekommt man bei „Selbst­mit­leid sells“ noch mal Upt­em­po-Punk­rock und bei „Weni­ger als 5 Sekun­den“ etwas, was man eigent­lich nur als Nu-Metal-Ener­gie beschrei­ben kann – was ja 1999 noch nicht so lach­haft war wie zwei, drei Jah­re spä­ter.

Wenn ich recht über­le­ge, knall­ten kett­car und Tom­te in ein sehr kur­zes Zeit­fens­ter, in dem ich mich über­haupt für deutsch­spra­chi­ge Musik inter­es­sie­ren und erwär­men konn­te: Was mit Tom Liwas „St. Amour“ und ein biss­chen Nach­hol-Pro­gramm von Toco­tro­nic und Die Ster­ne im Jahr 2000 begann, ende­te eigent­lich schon wie­der 2005 mit dem zwei­ten Wir-Sind-Hel­den-Album. Dass es Mar­cus Wie­busch mit kett­car geschafft hat, auch 2024 mit „Gute Lau­ne unge­recht ver­teilt“ ein Album zu ver­öf­fent­li­chen, das zu mei­nen High­lights des Jah­res zählt, und sich die Band seit 2017 eigent­lich per­ma­nent selbst über­trifft, kann ich ihnen also gar nicht hoch genug anrech­nen. Neun und zehn und raus!

…But Ali­ve – Hal­lo Endor­phin
(B.A. Records/​Indigo, 20. Sep­tem­ber 1999)
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