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Eurovision-Vorschau 2024

It’s the most won­derful time of the year: In Mal­mö fin­det der 68. Euro­vi­si­on Song Con­test statt und unser Team wagt eine klei­ne Vor­schau. Sel­ma Zoron­jić und Lukas Hein­ser spre­chen über ihre per­sön­li­chen Favo­ri­ten, die unter­schied­lichs­ten Arten von Folk­lo­re und die bes­ten Songs für Ü50-Par­ties.

Dann begrü­ßen sie spe­cial guest Thors­ten Schorn, der die­ses Jahr erst­ma­lig den ESC kom­men­tie­ren wird, und spre­chen mit ihm über Kind­heits­träu­me, lang­wie­ri­ge Ver­let­zun­gen und sein Selbst­ver­ständ­nis als deut­scher Kom­men­ta­tor.

Einen beson­de­ren Blick in die Kom­men­ta­to­ren­ka­bi­ne beim ESC gibt es auch die­ses Jahr wie­der auf Lukas‘ Insta­gram-Account.

Alle Songs:

  • Alyo­na Alyo­na and Jer­ry Heil – Tere­sa & Maria (Ukrai­ne)
  • Aiko – Pedes­tal (Tsche­chi­en)
  • Joost Klein – Euro­pa­pa (Nie­der­lan­de)
  • Lada­ni­va – Jako (Arme­ni­en)
  • Saba – Sand (Däne­mark)
  • Bam­bie Thug – Doomsday Blue (Irland)
  • Olly Alex­an­der – Diz­zy (Ver­ei­nig­tes König­reich)
  • Nebulos­sa – Zor­ra (Spa­ni­en)
  • Isaak – Always On The Run (Deutsch­land)

Der ESC im deut­schen TV:

Diens­tag, 7. Mai, 21 Uhr: 1. Halb­fi­na­le auf One und in der ARD-Media­thek

Don­ners­tag, 9. Mai, 21 Uhr: 2. Halb­fi­na­le auf One und in der ARD-Media­thek

Sams­tag 11. Mai, 20.15 Uhr: Warm-Up, Grand Final und After­show-Show im Ers­ten, bei One und in der ARD-Media­thek

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That’s how I remember it

Kurt Cobain war tot, damit wol­len wir begin­nen. Grie­se­li­ge TV-Bil­der einer Gara­ge in Seat­tle haben sich in mein Gedächt­nis ein­ge­brannt, auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, wann.

Ich habe ein sehr merk­wür­di­ges Gedächt­nis. Ein „gutes“, wür­den vie­le sagen, weil ich mich an so vie­les erin­nern kann: Daten, Namen, Bege­ben­hei­ten, Dia­lo­ge – alles seman­tisch mit­ein­an­der ver­knüpft und immer auch ver­bun­den mit Bil­dern. Letz­te Woche fie­len mir die Namen von Freun­den mei­ner Eltern wie­der ein, die ich vor 35 Jah­ren zwei‑, drei­mal getrof­fen hat­te. Ich fän­de es aber hilf­rei­cher und mit­hin „gut“, mir die Namen von Men­schen mer­ken zu kön­nen, die ich aktu­ell brau­che.

Die TV-Bil­der, also: Ich bin mir abso­lut sicher, dass ich sie auf dem Grun­dig Mono­lith im soge­nann­ten „Bau­ern­zim­mer“ mei­nes Groß­el­tern­hau­ses sah. Mei­ne Groß­el­tern hat­ten – die Sen­tenz von Harald Schmidt bestä­ti­gend, dass Geld und Geschmack nur sel­ten Hand in Hand ein­her­ge­hen – sich in den 1970er Jah­ren durch­aus hoch­wer­ti­ge, mas­sivs­te Bau­ern­mö­bel andre­hen las­sen: einen Ess­tisch, an dem die Rit­ter der Tafel­run­de alle Platz gefun­den hät­ten, nebst pas­sen­der Stüh­le; ein Buf­fet, in das rund die Hälf­te der Tel­ler des Haus­stan­des pass­ten (und das waren vie­le); dar­über ein Hän­ge­re­gal, das zur Prä­sen­ta­ti­on von Zier­tel­lern gedacht war (was Bau­ern halt so tun) und sogar ein Bei­stell­tisch­chen, auf dem immer die „Kir­che + Leben“ und die „Hör­zu“ der nächs­ten Woche lagen (die „Hör­zu“ der aktu­el­len Woche lag meist im rich­ti­gen Wohn­zim­mer, da wo auch die Sofas und Ses­sel um einen ton­nen­schwe­ren Couch­tisch stan­den). In die­sem „Bau­ern­zim­mer“, wo meist zu Abend geges­sen wur­de, stand der tref­fend so beti­tel­te Mono­lith, damit mein Groß­va­ter wäh­rend des Abend­essens die „Heute“-Nachrichten und/​oder die „Tages­schau“ sehen und so neben­bei die essen­den, bit­te schwei­gen­den Enkel­kin­der mit Bil­dern des hin­ge­rich­te­ten Nico­lae Ceaușes­cu, aus den Jugo­sla­wi­en­krie­gen und ande­ren Kri­sen­re­gio­nen ver­stö­ren konn­te.

Dort hat­te ich, seit wir neben­an wohn­ten (I’m glad you asked: mei­ne Eltern waren mit uns am 30. Janu­ar 1993 umge­zo­gen – das „Zeit­zei­chen“ auf WDR 2, das ich an jenem Mor­gen im besag­ten Bau­ern­zim­mer im Radio gehört hat­te, hat­te das The­ma „60 Jah­re Macht­er­grei­fung“ gehabt), vie­le Stun­den vor dem Fern­se­her ver­bracht. Mei­ne Groß­el­tern hat­ten näm­lich ‚anders als mei­ne Eltern, damals schon Satel­li­ten­fern­se­hen gehabt – wobei sich mei­ne Fern­seh-Diät, von MTV Euro­pe mal ab, eigent­lich auf die Pro­gram­me beschränk­te, die ich auch bei mei­nen Eltern hät­te gucken kön­nen: „Hit-Clip“, das WDR-Sur­ro­gat für MTV, und „Elf 99“, ein Jugend­ma­ga­zin, das im Sep­tem­ber 1989 ursprüng­lich im Fern­se­hen der DDR gestar­tet war, sich dort als durch­aus regie­rungs­kri­tisch erwie­sen und nach dem Ende des DFF eine klei­ne Odys­see durch die west­deut­schen Sen­der hin­ter sich hat­te. „Elf 99“ lief seit Mit­te Novem­ber 1993 auf Vox, dem klei­nen, sym­pa­thi­schen Pri­vat­sen­der, der mit sei­nem erra­ti­schen, oft anspruchs­vol­len Pro­gramm (allem vor­an das Medi­en­ma­ga­zin „Cana­le Gran­de“ mit dem damals noch Die­ter genann­ten Max Moor) wie geschaf­fen war für einen zehn­jäh­ri­gen Jun­gen, der sich medi­al ger­ne zwei, drei Gewichts­klas­sen über der eige­nen beweg­te.

Dafür, dass „Elf 99“ nur weni­ge Mona­te auf Vox lief, habe ich wirk­lich vie­le Erin­ne­run­gen dar­an – womög­lich habe ich fast alle Aus­ga­ben dort gese­hen. Ich erin­ne­re mich, dass ein dicker, lang­haa­ri­ger, damals mut­maß­lich noch jun­ger Die­ter Gor­ny zu Gast war, um das Kon­zept sei­nes bald star­ten­den Musik­sen­ders Viva vor­zu­stel­len (den wir aller­dings noch nicht mal bei unse­ren Groß­el­tern sehen konn­ten, weil er anfangs per Kabel aus­ge­strahlt wur­de); an Sen­dun­gen, in denen man per Anruf so lan­ge für oder gegen den aktu­ell lau­fen­den Act abstim­men konn­te, bis die Nega­tiv­stim­men­stim­men in der Mehr­heit waren (am Längs­ten lie­fen – in einer Jugend­sen­dung im Jahr 1993 – Phil Coll­ins und Gene­sis); an die Aus­ga­be mit den größ­ten Hits des Jah­res 1993, die zwar aus­gie­big mit „Go West“ von den Pet Shop Boys betrai­lert wor­den war, das dann aber in der schluss­end­li­chen Sen­dung gar nicht vor­kam (auf Platz 1 lan­de­ten, wenn ich mich recht erin­ne­re, die damals schon von mir für schreck­lich befun­de­nen Ace Of Base).

Anfang des Jah­res 1994 war „Elf 99“ vom spät­nach­mit­täg­li­chen Sen­de­platz auf einen län­ge­ren am Sams­tag­vor­mit­tag gewech­selt. Hier erin­ne­re ich mich vage an ein Take-That-Spe­cial, aber nicht viel mehr. Es ging auch nur eini­ge Wochen gut, dann wur­de „Elf 99“ in „Satur­day“ umbe­nannt. Und ab hier wird es kom­pli­ziert.

In der Wiki­pe­dia steht:

Schließ­lich wur­de der Sen­de­platz auf den Sams­tag­nach­mit­tag gelegt und im März 1994 eine Umbe­nen­nung in Satur­day beschlos­sen. Tat­säch­lich lief nur eine Aus­ga­be unter dem neu­en Namen am 26. März 1994. Denn im März 1994 hat­ten sämt­li­che Anteils­eig­ner des Sen­ders VOX ihre Betei­li­gun­gen gekün­digt und eine Finan­zie­rung des Pro­gramm­be­triebs über den 31. März hin­aus in Fra­ge gestellt. Somit fiel neben meh­re­ren Sen­dun­gen auch Elf 99/​Satur­day der VOX-Kri­se zum Opfer. Ein Neu­start auf einem ande­ren Sen­der erfolg­te nicht mehr.

Ich bin mir abso­lut sicher (im Sin­ne von: „ich könn­te schwö­ren“), dass ich die grie­se­li­gen TV-Bil­der in den VOX-Nach­rich­ten sah, die vor „Satur­day“ lie­fen, und dort vom Tode Kurt Cobains hör­te. Ich mei­ne mich zu erin­nern, dass ich eini­ger­ma­ßen geschockt war, denn Nir­va­na waren mir natür­lich ein Begriff gewe­sen: Das Video zu „Smells Like Teen Spi­rit“ hat­te ich – auch Jah­re nach Ver­öf­fent­li­chung – häu­fig bei „Hit-Clip“ gese­hen, wo die Grunge-Band aus Seat­tle eini­ger­ma­ßen gleich­be­rech­tigt zwi­schen East 17, 2 Unli­mi­t­ed und Bil­ly Joel vor­ge­kom­men war, und auch an das Anton-Cor­bi­jn-Video zu „Heart-Shaped Box“ mei­ne ich mich aus jener Zeit erin­nern zu kön­nen. Mir war wohl auch als 10-Jäh­ri­gem schon klar gewe­sen, dass es sich um „ande­re“, irgend­wie sper­ri­ge­re Musik gehan­delt hat­te als bei den meis­ten ande­ren Vide­os, die bei „Hit-Clip“ lie­fen, aber von dem Nihi­lis­mus, der Ver­zweif­lung und dem gan­zen „Gene­ra­ti­on X“-Vibe, von dem die deut­schen Medi­en dann nach Cobains Sui­zid berich­te­ten, hat­te ich kei­ne Vor­stel­lung, als ich die Nach­richt zum ers­ten Mal hör­te – bei Vox. Und ich könn­te schwö­ren, dass zu Beginn der dann fol­gen­den „Saturday“-Ausgabe, deret­we­gen ich Fern­se­her und Sen­der ja ein­ge­schal­tet hat­te, zwei Mode­ra­to­ren vor ein Stu­dio­pu­bli­kum tra­ten, von denen der eine sei­ne Nir­va­na-Kon­zert­kar­te (ich glau­be, sie war gelb) vor lau­fen­der Kame­ra zer­riss, was der ande­re mit der Fra­ge kom­men­tier­te, ob er eigent­lich bescheu­ert sei, die­se Kar­te hät­te doch ein­mal sehr wert­voll wer­den kön­nen. Aber all das wür­de ja kei­ner­lei Sinn erge­ben, wenn die Wiki­pe­dia Recht hät­te und die Sen­dung am 26. März ein­ge­stellt wor­den wäre – Kurt Cobains Lei­che wur­de bekannt­lich am 8. April 1994 ent­deckt.

Der hier klaf­fen­de Wider­spruch beschäf­tigt mich seit eini­ger Zeit, aber zum 30. Jah­res­tag woll­te ich ihn end­lich in Angriff neh­men. Mein ers­ter Kon­takt galt der Vox-Pres­se­stel­le, wobei ich eigent­lich schon in mei­ner Anfra­ge die Segel strich, als ich schrieb, ich wis­se, dass bei Vox damals chao­ti­sche Zustän­de geherrscht hät­ten und ver­mut­lich auch eini­ges aus die­ser Zeit nicht sehr gut doku­men­tiert sei, was mir die net­te Pres­se­spre­che­rin in weni­ger als 24 Stun­den bestä­tig­te.

Also schrieb ich allen Men­schen, die ich ken­ne und die mal irgend­was mit Musik­fern­se­hen zu tun hat­ten. Nilz Bokel­berg, der damals beim Viva-Start dabei war, brach­te mich auf die (zuge­ge­be­ner­ma­ßen nicht soooo absei­ti­ge) Idee, nach zeit­ge­nös­si­schen Quel­len zu suchen – und lie­fer­te gleich einen online ver­füg­ba­ren Arti­kel der „Ber­li­ner Zei­tung“ vom 16. März 1994 mit, in dem stand:

Nach vier­ein­halb Jah­ren kommt das Aus für das ELF-99-Maga­zin. Wie die ELF-99-Medi­en­pro­duk­ti­on und Ver­mark­tung GmbH ges­tern mit­teil­te, wird das Jugend­ma­ga­zin am 26. März zum letz­ten Mal bei VOX zu sehen sein. Am 2. April soll als Nach­fol­ger die Sen­dung ’satur­day‘ auf VOX star­ten.

Ha! Das ist natür­lich etwas ganz ande­res, als die Wiki­pe­dia behaup­tet! Und die „Frank­fur­ter Rund­schau“ schrieb noch am 28. April 1994:

Seit Ostern pro­du­ziert die Ber­li­ner Fir­ma Elf 99 für Vox das Jugend­ma­ga­zin „satur­day“. Nur bis Ende April ist die Pla­nung sicher. Danach sieht es für „satur­day“ nach Sonn­tag aus. Bert­ram Schwarz, Geschäfts­füh­rer von Elf 99, hält den Wech­sel eines ein­ge­führ­ten „Pro­dukts“ von einem Sen­der zum ande­ren für zu schwie­rig.

[Oster­sonn­tag war 1994 am 3. April]

Okay. Also liegt die Wiki­pe­dia falsch. Aber das bestä­tigt ja immer noch nicht mei­ne Erin­ne­run­gen.

Ich habe ver­sucht, Kon­takt zum dama­li­gen Redak­ti­ons­lei­ter von „Satur­day“ auf­zu­neh­men. Ich habe Men­schen (bzw. deren Manage­ment) kon­tak­tiert, die laut eige­ner Aus­sa­ge „Satur­day“ mode­riert haben – erfolg­los.

Je län­ger ich über die­sen Sams­tag­vor­mit­tag nach­den­ke, des­to ein­dring­li­cher erschei­nen mir mei­ne Erin­ne­run­gen: Ich bin mir sicher, dass ich noch ganz nah vor dem Fern­se­her stand, den ich gera­de erst ein­ge­schal­tet hat­te, und mich noch nicht hin­ge­setzt hat­te. Ich sehe das Licht durch die Ter­ras­sen­tür fal­len und spü­re die Fern­be­die­nun­gen des Fern­se­hers in mei­ner Hand. Klar: Die habe ich ja auch hun­der­te Male in der Hand gehal­ten – aber auch am 9. April 1994? Man hört ja immer wie­der von fal­schen Erin­ne­run­gen, von Zeu­gen­aus­sa­gen, die nicht stim­men kön­nen. Aber wo kom­men wir hin, wenn wir unse­ren eige­nen Erin­ne­run­gen nicht mehr trau­en kön­nen? Und ist eine Erin­ne­rung, die wir nicht mit Quel­len bele­gen kön­nen, über­haupt real?

Eines der legen­därs­ten Zeit­do­ku­men­te ist die­ser Aus­schnitt aus den „Tages­the­men“ vom 9. April 1994 (die – wenig hilf­reich – in der You­Tube-Beschrei­bung als „Tages­schau“ vom 8. April bezeich­net wer­den):

Als man noch auf Face­book war und dort lus­ti­ge Links teil­te, tat die­ses Video min­des­tens ein­mal im Jahr das, was man damals „viral gehen“ nann­te, weil es auf so beein­dru­cken­de Art die geball­te Ahnungs­lo­sig­keit und Brä­sig­keit deut­scher Medi­en zusam­men­zu­fas­sen scheint – und das nicht 1968, son­dern 1994: Da ist die kon­se­quent fal­sche Aus­spra­che von Cobains Nach­na­men (die ARD-Aus­spra­che­da­ten­bank emp­fiehlt inzwi­schen – ich weiß aber nicht, seit wann – /​koʊʹbeɪn/​), die fal­sche „Über­set­zung“ der „Lithium“-Textzeilen und dann die Zusam­men­fas­sung „Kurt Cobains Lie­der sind Aus­druck einer jugend­li­chen Sub­kul­tur; einer Jugend ohne Hoff­nung, ohne Job, dro­gen­ab­hän­gig und kri­mi­nell“, die nicht nur gram­ma­ti­ka­lisch auf dün­nem Eis unter­wegs ist. Sowohl der dama­li­ge Washing­ton-Kor­re­spon­dent der ARD, Jochen Schwei­zer (Jahr­gang 1938), als auch Mode­ra­to­rin Sabi­ne Chris­ti­an­sen (Jahr­gang 1957) bemü­hen sich, so etwas wie Empha­se und Fas­zi­na­ti­on aus­zu­drü­cken, aber der gan­ze Bei­trag strahlt gleich­zei­tig so viel Alar­mis­mus und Ver­ach­tung für „Jugend­kul­tu­ren“ (falls es irgend­je­mand ver­ges­sen haben soll­te: Cobain war 27, als er starb) aus, dass es denk­bar erscheint, dass Tau­sen­de deut­sche Eltern danach Tip­per-Gore-mäßig in die Jugend­zim­mer ihrer Kin­der rann­ten und sicher­heits­hal­ber die Nir­va­na-CDs in den Müll war­fen.

Nach­dem ich die­sen Aus­schnitt für die­sen Text hier zum wie­der­hol­ten Male gese­hen hat­te, beschlich mich das Gefühl, jene „Tagesthemen“-Ausgabe damals, am 9. April 1994, womög­lich selbst gese­hen zu haben – mit mei­ner Mut­ter in ihrem Näh­zim­mer, in dem sie damals abends oft saß, im Anschluss an „Geld oder Lie­be“ mit Jür­gen von der Lip­pe. Es scheint zumin­dest plau­si­bel.

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Wo Hafer und Korn verloren sind

In den letz­ten Wochen ging ein kur­zes Video viral, das die bei­den Medi­en­per­sön­lich­kei­ten Mar­kus Lanz (* 1969) und Richard David Precht (* 1964) auf dem „Kon­gress Zukunft Hand­werk“ zeigt – ansons­ten aber ganz in ihrem Ele­ment, der gegen­sei­ti­gen Zustim­mung:

Lanz: „[…] so ’ne gefüh­li­ge Gesell­schaft gewor­den. Ja, so ’ne Hafer­milch-Gesell­schaft, so ’ne Gua­ven­dick­saft-Trup­pe, die wirk­lich die gan­ze Zeit auf der Suche nach der idea­len Work-Life-Balan­ce ist.“

[Schnitt.]

Precht: „Also, ich wür­de sogar noch etwas radi­ka­ler sein. Ich wür­de sagen: In der Gene­ra­ti­on mei­ner Eltern, erst recht mei­ner Groß­el­tern, haben sich 90 Pro­zent aller Men­schen, wenn sie gear­bei­tet haben, die Sinn­fra­ge gar nicht erst gestellt. Jetzt sieht es natür­lich so aus, dass nahe­zu alle jun­gen Men­schen ins Leben gehen unter der Vor­stel­lung, das Leben ist ein Wunsch­kon­zert. Was ist die Fol­ge? Ja, Du fängst was an und beim ers­ten lei­sen Gegen­wind denkst Du: Nee, nee, das war das Fal­sche; schmeißt die Flin­te wie­der ins Korn.“

Die­ser Aus­schnitt hat zu einer gan­zen Rei­he öffent­li­cher Äuße­run­gen geführt, hier ist die nächs­te:

Ich habe natür­lich nicht den gan­zen Auf­tritt der bei­den gese­hen, denn wenn ich zwei Män­ner sehen will, die ein­an­der, vor allem aber sich selbst, geil fin­den, gucke ich mir weich­ge­zeich­ne­te Schwu­len-Por­nos an.

Als ers­tes muss man Lanz ver­mut­lich dank­bar sein, dass er nicht von „Algar­ven-Dick­saft“ gespro­chen hat.

Dann muss man aner­ken­nen, dass er sei­nen Barth ziem­lich genau stu­diert hat. „Hafer­milch“ ist in gewis­sen Krei­sen schließ­lich das, was „Schuh­ge­schäft“ in ande­ren ist: eine Abkür­zung zum Geläch­ter, die mecha­ni­sche Aus­lö­sung eines Refle­xes anstel­le einer aus­ge­ar­bei­te­ten Poin­te. Der Dum­me August tritt dem Weiß­clown in den Hin­tern und Grund­schul­kin­der quie­ken ent­zückt auf – wobei wir noch klä­ren müs­sen, wer in die­sem Aus­schnitt eigent­lich wel­che Rol­le ein­nimmt (ich per­sön­lich wür­de sagen: Es gibt außer­halb von Tier­quä­le­rei im Cir­cus nichts Schlim­me­res als den Weiß­clown, von daher sind ein­fach bei­de einer).

Ich möch­te eigent­lich nicht den glei­chen Feh­ler bege­hen wie Lanz, Precht und die Leu­te, die ihnen zustim­men, und gleich ad homi­nem gehen. Nur: So viel ande­res als ihre Per­sön­lich­kei­ten (oder zumin­dest ihre öffent­li­chen per­so­nae) haben die bei­den ja gar nicht zu bie­ten. Bei­de wir­ken wie die Per­so­ni­fi­zie­run­gen des Apho­ris­mus (und fal­schen Karl-Kraus-Zitats), wonach bei nied­rig ste­hen­der Son­ne der Kul­tur auch Zwer­ge lan­ge Schat­ten wür­fen. Sie sind – ob aus Zufall, Kal­kül, Patri­ar­chat oder schlich­tem Ver­se­hen – im Lau­fe der Zeit zu dem gewor­den, was sich sprich­wört­li­che Durch­schnitts­deut­sche unter einem Jour­na­lis­ten und einem Phi­lo­so­phen vor­stel­len. Schon allein das ist unge­fähr so absurd, als ob die­se Pro­to­ty­pen in den 1990er Jah­ren mit Hans Mei­ser und Hel­mut Mark­wort besetzt wor­den wären.

Wenn man sich den Aus­schnitt ganz genau anguckt, wird man den Ein­druck nicht los, dass der Sit-Down-Come­di­an Lanz die Begrif­fe „Hafer­milch-Gesell­schaft“ und „Gua­ven­dick­saft-Trup­pe“ von lan­ger Hand vor­be­rei­tet hat (oder vor­be­rei­ten hat las­sen) und das stol­ze Grin­sen unter­drü­cken muss, als sie beim Publi­kum den erhoff­ten Erfolg erzie­len. Er ist da ganz wie in sei­ner Fern­seh­sen­dung: wahn­sin­nig gut vor­be­rei­tet und des­halb so natür­lich wie ein Ver­si­che­rungs­mak­ler kurz nach Beginn der Aus­bil­dung. Es ist mir ein Rät­sel, wie­so Anna­le­na Baer­bock stän­dig vor­ge­wor­fen wird, wie eine „Schü­ler­spre­che­rin“ auf­zu­tre­ten, Mar­kus Lanz aber immer so eil­fer­tig rum­amtho­ren darf, ohne dass sei­ne Gesprächspartner*innen ihn ein­fach anschrei­en (bzw. natür­lich kein Rät­sel, son­dern ein Patri­ar­chat).

„Hafer­milch“ ist dabei das, was „Soja­milch“ vor zwölf Jah­ren war und davor „Lat­te Mac­chia­to“: ein angeb­lich suspek­tes Getränk, das von Men­schen getrun­ken wird, die man irgend­wie ablehnt.

Schon die­se Milch-Obses­si­on schreit ja eigent­lich direkt nach einer Freu­dia­ni­schen Ein­ord­nung – gera­de bei einem Mann mit so einer Kon­dens­milch-Men­ta­li­tät wie Lanz. Da will man direkt kon­tern: „Ech­te Män­ner sind für mich nur die, die von einer Wöl­fin gesäugt und auf­ge­zo­gen wur­den!“ Oder: „Wenn Du mor­gens um fünf auf­stehst, um oben auf der Alm die Kühe zu mel­ken, kön­nen wir über mei­nen Hafer­milch-Kon­sum spre­chen, aber ansons­ten sei ein­fach still!“ Unlus­ti­ger kann’s eigent­lich nur noch wer­den, wenn als nächs­tes jemand sagt: „Bie­le­feld gibt’s ja gar nicht!“

Humor­theo­re­tisch steht die Hafer­milch dabei in der Tra­di­ti­on des Din­kel-Brat­lings, mit dem Komiker*innen in den 1980er und 90er Jah­ren reüs­sie­ren konn­ten. Man könn­te jetzt erwi­dern, dass vege­ta­ri­sche oder vega­ne Ersatz­pro­duk­te im Lau­fe der Jahr­zehn­te eine Ent­wick­lung durch­ge­macht haben, die man auch dem deut­schen Humor gön­nen wür­de, aber da wür­de man schon wie­der den grund­sätz­li­chen, kapi­ta­len Feh­ler bege­hen und sich in ein argu­men­ta­ti­ves Gespräch stür­zen, wo von der Gegen­sei­te nun wirk­lich kei­nes gewünscht ist.

Lanz hat aber nicht nur sei­nen Barth stu­diert, son­dern auch sei­nen Schmidt: Der eins­ti­ge deut­sche Groß-Humo­rist Harald Schmidt, des­sen Lebens­werk man auch noch mal neu betrach­ten müss­te, seit man weiß, dass es rela­tiv unmit­tel­bar zu Jan Böh­mer­mann geführt hat, war 2019 in einem ORF-Inter­view auf­fäl­lig gewor­den, in dem er moder­ne Väter als „Fami­li­ent­rot­tel“ bezeich­ne­te (damals sehr schön doku­men­tiert und gekon­tert von Mar­tin Ben­ning­hoff im F.A.Z.-Familienblog). Wenn Schmidt von „Dad­dy Weich­ei“ spricht und Lanz mit hör­ba­rer Distan­zie­rung von „Work-Life-Balan­ce“, wüss­te man ger­ne, was deren Kin­der dazu sagen – und hat den Ver­dacht, dass es inter­es­san­ter sein könn­te als das, was ihre Väter seit Jah­ren so von sich geben.

Auch eine Umfra­ge in Prechts Fami­lie wirkt ver­lo­ckend: Viel­leicht hät­ten Eltern und Groß­el­tern „die Sinn­fra­ge“ ja doch ganz ger­ne mal gestellt? Ich hab sicher­heits­hal­ber mal in der Wiki­pe­dia nach­ge­guckt, in was für Ver­hält­nis­sen der Mann auf­ge­wach­sen ist:

Sein Vater, Hans-Jür­gen Precht, war Indus­trie­de­si­gner bei dem Solin­ger Unter­neh­men Krups; sei­ne Mut­ter enga­gier­te sich im Kin­der­hilfs­werk Terre des hom­mes. Richard David Precht hat vier Geschwis­ter; zwei davon sind viet­na­me­si­sche Adop­tiv­kin­der, die sei­ne Eltern 1969 und 1972 als Zei­chen des Pro­tests gegen den Viet­nam­krieg auf­ge­nom­men haben.

Okay, das hät­te ich nach der Anmo­de­ra­ti­on nicht erwar­tet. (Bonus­track des Wiki­pe­dia-Ein­trags: Die Ant­wort auf die Fra­ge, wie man sich eigent­lich das Adjek­tiv „selbst­ge­fäl­lig“ bild­lich vor­zu­stel­len habe.) Irri­tie­ren­der ist aber noch, dass Precht, der ja ger­ne als „Phi­lo­soph“ wahr­ge­nom­men wer­den will, posi­tiv her­vor­hebt, dass nie­mand „die Sinn­fra­ge“ gestellt habe. (Auch das kann natür­lich wie­der Sinn erge­ben: Wenn in sei­ner Fami­lie wirk­lich nicht viel gedacht wor­den wäre, hät­te er mit dem biss­chen, was er so an Selbst­ge­dach­tem prä­sen­tiert, natür­lich ordent­lich auf­trump­fen kön­nen.)

Eigent­lich soll­te man Mit­leid haben mit Men­schen, die so den­ken. Die gesell­schaft­li­chen Fort­schritt nicht als sol­chen begrei­fen, son­dern als Dege­ne­ra­ti­on. Die eine Art Stock­holm-Syn­drom ent­wi­ckelt haben, gegen­über der „Leis­tungs­ge­sell­schaft“ und gegen­über ihren Vor­fah­ren, die sich oft genug der­art abge­rack­tert haben, dass am Ende nicht nur kei­ne balan­ce übrig war, son­dern mit­un­ter auch gar kein life mehr. Wer so denkt, befin­det sich bereits weit unten auf einer abschüs­si­gen Ebe­ne, die mit Schmier­sei­fe ein­ge­rie­ben ist und hin­führt zum Satz: „Manch­mal haben mir mei­ne Eltern auch eine ver­passt, aber das hat mir auch nicht gescha­det.“

Von mei­nem Urgroß­va­ter ist über­lie­fert, dass er als Kind bei Tisch nur spre­chen durf­te, wenn er ange­spro­chen wur­de, und Vater und Mut­ter zu Sie­zen hat­te. Ihre eige­nen Kin­der erzog die­se Gene­ra­ti­on dann auf Grund­la­ge des natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Erzie­hungs­rat­ge­bers „Die deut­sche Mut­ter und ihr ers­tes Kind“ von Johan­na Haa­rer, deren größ­te Sor­ge es war, dass das Kind „ver­weich­licht“ – ein Buch, das auch in der Nach­kriegs­zeit noch als Klas­si­ker der Erzie­hungs­li­te­ra­tur galt, ehe es vom nächs­ten Best­sel­ler abge­löst wur­de, der wie­der pro­pa­gier­te, dass man Kin­der am Bes­ten allei­ne lässt, wenn sie Nähe brau­chen. Nahe­lie­gend, dass man, wenn man so auf­ge­wach­sen ist, „gefüh­lig“ für ein Schimpf­wort hält.

Es ist eine Sache, wenn man sich in der Ver­gan­gen­heit geirrt hat: Als die ers­ten Ziga­ret­ten auf­ka­men, konn­te man allen­falls ahnen, wie schäd­lich Rau­chen sein wür­de (damals mut­maß­lich auch nicht schäd­li­cher als die nor­ma­le Atem­luft einer Indus­trie­stadt); Atom­strom galt mal als Ver­spre­chen einer „sau­be­ren Zukunft“ und Hero­in war mal für kur­ze Zeit das Wun­der­me­di­ka­ment der Fir­ma Bay­er. Aber eine Idee, die sich im Nach­hin­ein als schlecht her­aus­ge­stellt hat, noch zu fei­ern, dafür bedarf es schon eini­ger Ener­gie, die man bes­ser ander­wei­tig inves­tiert. (Oder man wählt am Ende doch Fried­rich Merz zum Par­tei­vor­sit­zen­den.)

Es sind schö­ne Erwi­de­run­gen auf Lanz und Precht geschrie­ben wor­den, zum Bei­spiel von Bir­git­ta Stau­ber-Klein (Ein Dop­pel­na­me! Fei­er­tag für alle Hob­by-Komi­ker!) in der „WAZ“ und von Chris­ti­an Spil­ler im Sport­teil von „Zeit Online“. Aurel Merz hat ein schö­nes, kur­zes Video auf einem Jun­ge-Leu­te-Por­tal namens Tik­Tok gepos­tet. Die Begrif­fe „Boo­mer“ (Lanz ist streng genom­men Gene­ra­ti­on X, aber ich sehe bei ihm auch kei­ne Ver­bin­dung zu Ethan Haw­ke) und „deutsch“ tau­chen immer wie­der auf, aber auch „Gene­ra­tio­nen­kon­flikt“.

Und tat­säch­lich gibt es ja genug älte­re Her­ren, die es als Auf­merk­sam­keits­ga­ran­tie (der Begriff „Allein­stel­lungs­merk­mal“ ver­bie­tet sich kom­plett) erkannt haben, onkel­haft über jün­ge­re Men­schen und deren The­men spre­chen. Sie gefähr­den dabei offen­bar ger­ne den eigent­lich posi­ti­ven Ruf, den sie bei den jün­ge­ren Gene­ra­tio­nen hat­ten, um noch eine viel­leicht letz­te Run­de Schul­ter­klop­fen bei ihren Alters­ge­nos­sen zu ern­ten. (Ich ver­zich­te in die­sem Absatz auf gen­der­ge­rech­te Spra­che – nicht, um die Ner­ven der Ange­spro­che­nen zu scho­nen, son­dern weil es eigent­lich fast immer Män­ner sind. Aus Grün­den der Aus­ge­wo­gen­heit möch­te ich trotz­dem sagen: Ali­ce Schwar­zer, Glo­ria von Thurn und Taxis.) Man kann nun mil­li­ar­den­fach dar­an erin­nern, dass Sati­re sich ja „eigent­lich“ immer gegen „die da oben“ rich­te, aber für Harald Schmidt, Die­ter Nuhr (und im erwei­ter­ten Sin­ne auch: Tho­mas Gott­schalk, Jür­gen von der Lip­pe und am Ende alle Leu­te, die unter einem Arti­kel bei Welt.de kom­men­tie­ren) sieht es so aus, als sei das, was sie irgend­wie falsch, lächer­lich oder bedroh­lich fin­den, gesamt­ge­sell­schaft­lich domi­nant.

Wenn man sich durch bestimm­te Gegen­den deut­scher Groß­städ­te bewegt, wird man dort halt auf „Mitt- bis End­drei­ßi­ger mit Struw­wel­pu­del­müt­ze“ (Schmidt; ich füh­le mich ertappt, kann damit aber gut umge­hen) oder eben „nahe­zu alle jun­gen Men­schen“ (Precht) tref­fen, die dort vor allem des­halb Zeit mit ihren Kin­dern ver­brin­gen, weil es ihnen finan­zi­ell mög­lich ist und sie die oft zu erwar­ten­den Wider­stän­de von Sei­ten der Arbeit­ge­ber aus­zu­hal­ten bereit sind. Aber schon die­ser Ein­druck ist ein Zerr­bild: 2022 haben Frau­en durch­schnitt­lich 14,6 Mona­te Eltern­zeit bean­tragt, Män­ner nur 3,6. Schon ein paar Stra­ßen wei­ter kann es ganz anders aus­se­hen. (Wobei ich da auch vor all­zu ver­ein­fa­chen­den Gedan­ken war­nen möch­te: Viel­leicht ist es in einem eher lin­ken, aka­de­mi­schen Milieu wei­ter ver­brei­tet, auf die eige­nen Bedürf­nis­se und – vor allem – die sei­ner Kin­der zu ach­ten, aber ich erle­be es regel­mä­ßig im Fuß­ball­ver­ein des Kin­des, dass ande­re Eltern, die man der „Arbei­ter­klas­se“ zurech­nen wür­de, eben­falls sehr sen­si­bel auf die Bedürf­nis­se ihrer Kin­der ein­ge­hen und die Leis­tung auf dem Platz nicht im Vor­der­grund steht. Mario Bas­ler wür­de es has­sen.)

Aber klar: Wenn man in ein urba­nes Café geht und da Eltern sit­zen, die ihre Kin­der nicht durch­ge­hend zurecht­wei­sen, und man dazu viel­leicht noch jede Men­ge Wit­ze zu anti-auto­ri­tä­rer Erzie­hung (schlag den Unter­schied nach, Jür­gen!) im Steh­satz hat, sieht man mit jedem Hafer­milch-Kaf­fee den Unter­gang der Welt – wenn nicht gar den der deut­schen Wirt­schaft – auf sich zukom­men. So, wie die Leu­te, die mit der Stra­ßen­bahn zum Job­cen­ter fah­ren, um dort ent­wür­di­gen­de Fra­gen über sich erge­hen las­sen zu müs­sen, auch irgend­wann den­ken, dass das gan­ze Land vol­ler „Aus­län­der“ ist, weil sie in ihrem All­tag eben vor allem Men­schen sehen, die „anders“ aus­schau­en, und sehr weni­ge Rechts­an­wäl­te, die meh­re­re Miets­häu­ser haben, BMW fah­ren und FDP wäh­len.

Lanz‘ Vor­trag in dem Aus­schnitt erin­nert nur an eine unter­durch­schnitt­li­che Büt­ten­re­de, Prechts ver­all­ge­mei­nern­des „Wunschkonzert“-Geblubber macht mich wirk­lich wütend. Dafür habe ich zu vie­le Freund*innen immense Her­aus­for­de­run­gen und Tief­schlä­ge über­win­den sehen, um mir die­se Pau­schal-Belei­di­gun­gen eines Mil­lio­närs anzu­hö­ren, der in jun­gen Jah­ren sicher­lich oft genug gefragt wur­de, ob er eigent­lich stu­die­re, um dann Taxi zu fah­ren. Fehlt wirk­lich nur noch, dass auch er von „Ver­weich­lichlung“ spricht!

Die The­se, dass „frü­her“ alles bes­ser gewe­sen sei, vor allem der Jour­na­lis­mus, wur­de nahe­zu zeit­gleich zum Hafer­milch-Eklat von einem frü­he­ren Jour­na­lis­ten wider­legt, der sich im Ruhe­stand offen­bar so sehr gelang­weilt hat­te, dass er sich für eine letz­te Run­de Applaus von Sei­ten der AfD und ande­rer Reak­tio­när-Kata­stro­phen noch ein­mal in die Mane­ge erbrach. Ich bin ja grund­sätz­lich bereit, über alles zu dis­ku­tie­ren, aber wenn im zwei­ten Absatz das Adjek­tiv „links­grun­zend“ auf­taucht wie in einem „Welt“-Leser-Kommentar, was für eine Dis­kus­si­ons­grund­la­ge soll ich da noch anneh­men? Dafür ist mir dann, Hash­tag Work-Life-Balan­ce, wirk­lich mei­ne Lebens­zeit zu kost­bar.

Und dann ertap­pe ich mich bei dem Gedan­ken, dass so ein biss­chen Gene­ra­tio­nen­kon­flikt viel­leicht gar nicht so schlecht ist – wie soll man denn sonst als Gesell­schaft wei­ter­kom­men? Ich lese gera­de end­lich mal „Die Palet­te“ von Hubert Fich­te; ein Buch, das 1968 erschie­nen ist. Und dann fiel mir auf: Die­ses mys­ti­sche Jahr 1968 ist vom Kriegs­en­de so weit ent­fernt wie wir heu­te vom Jahr 2000. Das ist eini­ge Kri­sen (9/​11, Finanz­kri­se, Ukrai­ne-Krieg, COVID-19-Pan­de­mie) her, aber erscheint selbst mir, der ich damals 16 war, gar nicht so weit weg. Die 20-Uhr-„Tagesschau“ vom 14. August 2000 wur­de von Jens Rie­wa ver­le­sen und ihre The­men waren: das rus­si­sche Mili­tär, ein belei­dig­ter Alt­kanz­ler, Rechts­extre­mis­ten im Inter­net, bes­se­rer Mobil­funk, Umwelt­schutz und Nord­ko­rea. (Okay, das war jetzt der Poin­te wegen etwas ver­ein­facht. Es ging um den Unter­gang des rus­si­schen Atom-U-Boots „Kursk“, die Nicht-Teil­nah­me von Hel­mut Kohl an der Fei­er zum Tag der deut­schen Ein­heit, ein geplan­tes NPD-Ver­bot, die Ver­stei­ge­rung der UMTS-Lizen­zen, die Schlie­ßung einer Blei­schmel­ze im Nord­ko­so­vo, die Ver­bin­dungs­bü­ros zwi­schen Nord- und Süd­ko­rea und noch eini­ge ande­re The­men wie die vor­zei­ti­ge Haft­ent­las­sung des Kauf­haus-Erpres­sers „Dago­bert“.)

Wenn Men­schen und Medi­en heu­te – nicht zuletzt vor dem Hin­ter­grund einer Anek­do­te wie dem Auf­tritt von Lanz und Precht – behaup­ten, eine sol­che gesell­schaft­li­che Spal­tung habe es noch nie gege­ben, bestä­tigt das ein­mal mehr mei­ne The­se, dass wir in Deutsch­land mehr Geschichts­un­ter­richt brau­chen: Stich­wort Wie­der­be­waff­nung, Stich­wort 1968, Stich­wort RAF, Stich­wort Umwelt­be­we­gung. Oder ein­fach über­haupt mal: Rock’n’Roll! (Oder, wie Tho­mas Gott­schalk es nennt: „Noch rich­ti­ge Musik.“) Das waren noch Kon­flik­te, die Fami­li­en aus­ein­an­der­trie­ben!

Deutsch­land ist in 16 Jah­ren unter Ange­la Mer­kel so durch­schnitt­lich und lau­warm gewor­den, dass es man­chen Leu­ten als links­ra­di­kal gilt, die Umbe­nen­nung frag­wür­di­ger Stra­ßen­na­men zu for­dern, und als rechts, Fleisch zu essen. Auch, weil jede Nischen-Posi­ti­on (von denen es immer schon vie­le gab) heu­te medi­al auf­ge­bla­sen und zur Glau­bens­fra­ge hoch­phan­ta­siert wird. Und war nicht mei­ne Gene­ra­ti­on, die Gene­ra­ti­on Y, am Ende viel zu nett? Da ist es doch gut, wenn die Gene­ra­ti­on Z jetzt mal ein biss­chen auf den Tisch haut! Für Leu­te wie Lanz, Precht oder Schmidt sind wir wahr­schein­lich eh alle eine uni­for­me, irgend­wie „jün­ge­re“ Mas­se, die in geschlechts­neu­tra­len Bade­zim­mern mit Aste­ris­ken und Hafer­milch die deut­sche Wirt­schaft schwä­chen.

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Film Fernsehen

Streaming-Tipps Juni 2023

Bevor ich mich mut­maß­lich bald bei Net­flix abmel­de, habe ich mal ein paar Sachen von mei­ner „Das woll­test Du Dir irgend­wann viel­leicht mal ange­se­hen haben“-Liste geschaut: Den Film „Die Schlacht um die Schel­de“, die zweit­teu­ers­te nie­der­län­di­sche Pro­duk­ti­on aller Zei­ten, hat­te ich aus zwei Grün­den sehen wol­len: zum einen, um mein Nie­der­län­disch zu trai­nie­ren, zum ande­ren, weil die titel­ge­ben­de Schel­de bei Wal­che­ren in die Nord­see mün­det, also dort, wo ich seit Jahr­zehn­ten am Liebs­ten mei­ne Urlau­be ver­brin­ge. Die Schlacht an der Schel­de­mün­dung dien­te der Befrei­ung des Hafens von Ant­wer­pen, den die West­al­li­ier­ten für ihre Nach­schub­ver­sor­gung brauch­ten, und war inso­fern eine der vie­len ent­schei­den­den Schlach­ten des 2. Welt­kriegs. Zwi­schen „Der Sol­dat James Ryan“-ähnliche Schlach­ten­sze­nen erzählt der Film eher klei­ne, all­täg­li­che Dra­men, die in kei­nem Geschichts­buch vor­kom­men wür­den, von denen man aber anneh­men muss, dass es sie tau­send­fach gege­ben hat. Unter ande­rem wird der Topos „cha­ris­ma­ti­scher Nazi“ von Jus­tus von Dohn­anyi hier noch mal sehr gru­se­lig neu mit Leben gefüllt. Tat­säch­lich wird in dem Film weni­ger Nie­der­län­di­sche gespro­chen als Deutsch und Eng­lisch (in der deut­schen Syn­chron­fas­sung spre­chen mut­maß­lich wie­der alle die gan­ze Zeit Deutsch, weil das halt immer so ist), aber ich fand ihn schon recht beein­dru­ckend und bedrü­ckend.

Eben­falls bei Net­flix läuft die 40-minü­ti­ge Doku­men­ta­ti­on „The Mar­tha Mit­chell Effect“. Mar­tha Mit­chell war die Ehe­frau von John N. Mit­chell, dem Wahl­kampf­ma­na­ger Richard Nixons und spä­te­rem US-Jus­tiz­mi­nis­ter, und als der Water­ga­te-Skan­dal begann, begann sie sofort, Prä­si­dent Nixon selbst zu beschul­di­gen. Mar­tha Mit­chell wur­de von den mäch­ti­gen Män­nern in Washing­ton dis­kre­di­tiert und als alko­hol­kran­ke mad woman abge­stem­pelt. Ihr Ruf und ihre Ehe waren rui­niert, sie starb bald dar­auf — und fast alle Vor­wür­fe, die sie erho­ben hat­te, stell­ten sich im Nach­hin­ein als wahr her­aus (die ande­ren gel­ten als noch nicht bestä­tigt). Auch die­ser Film ist beein­dru­ckend und bedrü­ckend und auch hand­werk­lich sehr gut gemacht.

Auch der Doku­men­tar­film „Cir­cus Of Books“ läuft auf Net­flix. Die Regis­seu­rin Rachel Mason erzählt hier die Geschich­te ihrer Eltern Karen und Bar­ry, die als jüdi­sches Hete­ro-Paar einen der bedeu­tends­ten Läden für schwu­le Lite­ra­tur und Por­no­gra­fie in LA betrie­ben haben. Wie es dazu kam, ist absurd; wie sich kon­ser­va­ti­ve Poli­tik und die AIDS-Epi­de­mie auf die Arbeit und das Leben der Fami­lie aus­wirk­te, ist erschüt­ternd; und wel­che Fol­gen das Inter­net und Dating Apps für das Geschäft haben, kann man sich aus­ma­len. Dies alles aus nächs­ter Nähe von der Fami­lie geschil­dert zu bekom­men, ist sehr beein­dru­ckend.

Bei Dis­ney+ schließ­lich habe ich „In & Of Its­elf“ gese­hen. Ich hat­te schon eini­ges dar­über gehört, meist ver­bun­den mit dem Hin­weis, dass man nicht erklä­ren kön­ne, was das sei. Das stimmt. For­mal ist es der Mit­schnitt einer Show des Zau­be­rers Derek Del­Gau­dio, die 552 mal in einem klei­nen Thea­ter in New York City zur Auf­füh­rung gekom­men war. Del­Gau­dio zeigt dar­in Taschen­spie­ler­tricks, er erzählt Tei­le sei­ner Lebens­ge­schich­te und sorgt spä­ter für im viel­fa­chen Sin­ne magi­sche Momen­te. Es ist für Zau­be­rei in etwa das, was „Nanet­te“ von Han­nah Gadsby für Come­dy ist: eine völ­li­ge Dekon­struk­ti­on und ein Sprung auf die nächs­te Daseins­stu­fe (und das exak­te Gegen­teil von den Ehr­lich Brot­hers bzw. Mario Barth). Ich kann es lei­der auch nicht erklä­ren, aber dar­um geht es ja: Im Sin­ne von Eli­sa­beth Küb­ler-Ross bin ich recht schnell von deni­al zu accep­tance gesprun­gen und habe gar nicht mehr ver­sucht, zu ver­ste­hen, wie die Tricks funk­tio­nie­ren könn­ten. Ich war Fox Muld­er: I want to belie­ve. Selbst wenn Euch Zau­be­rei gar nicht inter­es­siert, soll­tet Ihr Euch „In & Of Its­elf“ anschau­en! (Nicht zuletzt, weil es eine wahn­sin­nig span­nen­de Erfah­rung ist, von einer title card auf­ge­for­dert zu wer­den, sein Han­dy weg­zu­le­gen und alle Ablen­kung zu unter­las­sen.)


Die­ser Text erschien zuerst in mei­nem News­let­ter, für den man sich hier anmel­den kann.

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Fernsehen Musik

Eurovision-Vorschau 2023

Am 9., 11. und 13. Mai fin­det in Liver­pool der dies­jäh­ri­ge Euro­vi­si­on Song Con­test statt. Grund genug für eine klei­ne, aber inten­si­ve Vor­schau!

Lukas Hein­ser, Sel­ma Zoron­jić und Peter Urban, der in die­sem Jahr zum 25. und letz­ten Mal den ESC kom­men­tie­ren wird, stel­len ihre per­sön­li­chen High­lights vor, spre­chen über gesamt­eu­ro­päi­sche Stim­mun­gen, musi­ka­li­sche Tra­di­tio­nen und wackeln­de Bau­ge­rüs­te.

Good evening, Euro­pe! Let the 2023 Euro­vi­si­on-Vor­schau begin!

Alle Songs:

  • La Zar­ra – Évi­dem­ment (Frank­reich)
  • Mia Nico­lai & Dion Coo­per – Bur­ning Day­light (Nie­der­lan­de)
  • Wild Youth – We Are One (Irland)
  • Mar­co Men­go­ni – Due Vite (Ita­li­en)
  • Blan­ca Palo­ma – Eaea (Spa­ni­en)
  • Rei­ley – Brea­king My Heart (Däne­mark)
  • Teya & Sale­na – Who The Hell Is Edgar? (Öster­reich)
  • Mae Mull­er – I Wro­te A Song (Ver­ei­nig­tes König­reich)
  • Let 3 – Mama ŠČ! (Kroa­ti­en)

Show­no­tes:

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Fernsehen Musik

Peter Urban FAQ 2021

Heu­te Abend ist es wie­der soweit: Mit der Aus­strah­lung des 1. Halb­fi­nals (21 Uhr, One) beginnt auch im Fern­se­hen der Euro­vi­si­on Song Con­test 2021.

Der Blick aus der deutschen Sprecherkabine beim ESC 2021.

Ich sit­ze seit 2013 neben Peter Urban in der deut­schen Spre­cher­ka­bi­ne und assis­tie­re ihm bei den Vor­be­rei­tun­gen und wäh­rend der Sen­dung. Und weil in den letz­ten Jah­ren auf den diver­sen Social-Media-Platt­for­men ver­schie­de­ne Fra­gen immer wie­der gestellt wur­den, habe ich die­se ein­fach mal gesam­melt und beant­wor­tet.

Good evening, Euro­pe! Here are the results for the Peter Urban FAQ:

Was macht Peter Urban den Rest des Jah­res?
Er mode­riert die Musik­sen­dung „NDR 2 Sound­check — Die Peter-Urban Show“ und seit Anfang des Jah­res den Musik-Pod­cast „Urban Pop“.

Wann geht Peter Urban in Ren­te?
Am 26. Juni 2013 wur­de Peter beim NDR offi­zi­ell in den Ruhe­stand ver­ab­schie­det. Seit­dem ist er als frei­er Mit­ar­bei­ter wei­ter für den Sen­der tätig, mode­riert sei­ne Radio­sen­dun­gen, den Pod­cast und kom­men­tiert den ESC.

Was weiß Peter Urban über­haupt von Musik?
Nun: Er hat sei­ne Dok­tor­ar­beit über Tex­te in der Rock­mu­sik ver­fasst („Rol­len­de Wor­te – Die Poe­sie des Rock“, Fischer Taschen­buch Ver­lag Frank­furt, 1979), arbei­tet seit mehr als 50 Jah­ren als Musik­jour­na­list und spielt seit über 40 Jah­ren in der Band Bad News Reuni­on.

Liest Peter Urban auf Twit­ter mit?
Nein. Wäh­rend der Show hat er für sowas gar kei­ne Zeit. Aller­dings twit­te­re ich auf mei­nem Account live aus der deut­schen Spre­cher­ka­bi­ne und wer­fe dabei auch ein Auge auf ande­re Tweets.
Wenn Peter Urban etwas Ähn­li­ches sagt, wie gera­de jemand auf Twit­ter geschrie­ben hat, ist das Zufall: man­che Kom­men­ta­re sind eben nahe­lie­gend, die meis­ten von Peters Tex­ten wer­den aber schon nach den Pro­ben und vor der Live­show geschrie­ben und aus­ge­druckt.

Hat Peter Urban einen Twit­ter-Account?
Ja, Peter ist auf Twit­ter. Und auf Insta­gram. (Aller­dings ist er wäh­rend der Shows natür­lich beschäf­tigt.)

War­um ist Peter Urban die­ses Jahr nicht in Rot­ter­dam?
Peter gehört mit Blick auf eine mög­li­che Covid 19-Infek­ti­on zur Hoch­ri­si­ko­grup­pe und ver­fügt noch nicht über einen voll­stän­di­gen Impf­schutz. Um kei­ne unnö­ti­gen Risi­ken ein­zu­ge­hen, wird er die drei Sen­dun­gen des­halb auf eige­nen Wunsch aus­nahms­wei­se von Ham­burg aus kom­men­tie­ren. Wir ste­hen aber auf ver­schie­de­nen Kanä­len in engem Aus­tausch und ich fun­gie­re sozu­sa­gen als sei­ne Augen und Ohren in der Ahoy Are­na.

Kann Peter Urban nicht mal die Klap­pe hal­ten?
Was ist das denn für ’ne Fra­ge? Aber wenn Sie die Sen­dun­gen ohne Kom­men­tar ver­fol­gen wol­len, kön­nen Sie das z.B. auf eurovision.de oder eurovision.tv tun.

Der Euro­vi­si­on Song Con­tests 2021 aus Rot­ter­dam – die Sen­de­ter­mi­ne:

  • Diens­tag, 18. Mai, 21 Uhr: Ers­tes Halb­fi­na­le auf One, in der ARD-Media­thek und auf eurovision.de
  • Don­ners­tag, 20. Mai, 21 Uhr: Zwei­tes Halb­fi­na­le auf One, in der ARD-Media­thek und auf eurovision.de
  • Sams­tag, 22. Mai, 20.15 Uhr: Die gro­ße Pre-Show im Ers­ten, ab 21 Uhr dann das Fina­le, live aus Rot­ter­dam (außer­dem in der ARD-Media­thek, auf eurovision.de, im Aus­lands­pro­gramm der Deut­schen Wel­le und als „Social-TV“ auf One)
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Rundfunk Fernsehen

In memoriam Roger Willemsen

Elf Jah­re sind nicht das Alter, in dem ich mei­nen Sohn abend­li­che Talk­shows sehen las­sen wür­de, aber so alt war ich, als „Wil­lem­sens Woche“ auf Sen­dung ging, und ich war von Anfang an dabei — war­um auch immer. Ich weiß, dass ich an jenem Wochen­en­de bei mei­ner Oma über­nach­tet habe und wir die ers­te Aus­ga­be gemein­sam gese­hen haben. Die meis­ten wei­te­ren habe ich dann mit mei­nen Eltern geschaut oder auch allei­ne. Merk­wür­di­ges Kind, das ich war.

Die Sen­dung hat wie weni­ge ande­re mei­ne Erwar­tungs­hal­tung an gutes Fern­se­hen geprägt und ganz stark dazu bei­getra­gen, dass ich auch „was mit Medi­en“ machen woll­te. Roger Wil­lem­sen hat­te Men­schen zu Gast, die noch etwas zu erzäh­len hat­ten, und er wuss­te, wie man sie erzäh­len lässt. Sein Inter­view mit Hel­mut Mark­wort mag man heu­te eitel oder gar etwas bös­ar­tig fin­den, aber es zeigt, was ein Mode­ra­tor mit einer Hal­tung ist, und soll­te Stan­dard­werk an Jour­na­lis­ten­schu­len sein. Nicht min­der legen­där: Wie Wil­lem­sen und Fried­rich Küp­pers­busch, ein Mann, der mei­ne Vor­stel­lung von gutem Fern­se­hen eben­so mit­be­stimmt hat und den ich inzwi­schen mei­nen Freund nen­nen darf, die letz­te Aus­ga­be von Fried­richs ARD-Maga­zin „Pri­vat­fern­se­hen“ so lan­ge eigen­mäch­tig ver­län­ger­ten, bis die zen­tra­le Sen­de­lei­tung ent­nervt den Ste­cker zog.

Ich bin Roger Wil­lem­sen zwei Mal bei der Auf­zeich­nung sei­ner (natür­lich auch nicht sehr erfolg­rei­chen) WDR-Sen­dung „Nacht­kul­tur“ begeg­net (Anläs­se, bei denen ich auf Wim Wen­ders und Tom Tykwer traf — die ganz nor­ma­le Frei­zeit­be­schäf­ti­gung 16-jäh­ri­ger Ado­les­zen­ten) und habe ein paar Mal mit ihm gemailt. Ein­mal ging es um einen Bei­trag fürs BILD­blog, ein­mal um den sehr kom­pli­zier­ten und heu­te nur noch schwer nach­voll­zieh­ba­ren Vor­gang der Pres­se­stel­le der Stadt Dins­la­ken, die es irgend­wie geschafft hat­te, O‑Töne von Wil­lem­sen, Jörg Kachelm­ann, Ste­fan Nig­ge­mei­er und mir zu einem Pot­pour­ri der Klein­stadt-PR zu remi­xen (fra­gen Sie nicht).

Es ende­te jeden­falls mit die­sem Kom­men­tar Wil­lem­sens in Ste­fans Blog:

Wis­sen Sie, ich bin erleich­tert, dass es jetzt raus ist. Schon jah­re­lang lau­fe ich mit der Schuld durch die Welt, San­dra Schwarz­haupt gefragt zu haben, war­um sie in NY und nicht in Dins­la­ken woh­ne. Die­ser unrei­fe und ehr­ab­schnei­den­de Kom­men­tar zum Welt­zen­trum der Selbst­iro­nie hat mit frei­er Mei­nungs­äu­ße­rung nichts zu tun, er ist schäd­lich und dumm, bie­tet er doch der Pres­se­stel­le der Stadt Dins­la­ken die fei­ge Mög­lich­keit, sich zu bla­mie­ren. Es soll wie­der vor­kom­men.

Das Zitat schaff­te es 2008 noch ein­mal in den Jah­res­rück­blick der Lokal­aus­ga­be der „Rhei­ni­schen Post“ und „Es soll wie­der vor­kom­men“ ist seit­dem fes­ter Bestand­teil mei­nes rhe­to­ri­schen Werk­zeug­kas­tens.

Im letz­ten Jahr hat Roger Wil­lem­sen wegen einer Krebs­er­kran­kung alle Ter­mi­ne abge­sagt. Ich weiß, dass Krebs der „größ­te Wich­ser im gan­zen Land“ (Thees Uhl­mann) ist, aber aus der Fer­ne hat­te ich ein­fach gehofft, dass Roger Wil­lem­sen das über­ste­hen wer­de. In kind­li­cher Nai­vi­tät hat­te ich mir sogar aus­ge­malt, dass wir ihn nach sei­ner Gene­sung bei Lucky & Fred zu Gast haben wür­den. Es schmerzt mich, dass die­ser ego­is­ti­sche Wunsch jetzt nicht in Erfül­lung gehen wird, aber noch mehr schmerzt es mich, dass Roger Wil­lem­sen nun im Alter von gera­de ein­mal 60 Jah­ren gestor­ben ist. Men­schen wie ihn könn­ten wir die­ser Tage mehr denn je gebrau­chen.

Erhe­ben Sie sich also bit­te mit mir für den (immer noch unfass­bar gei­len) Titel­song von „Wil­lem­sens Woche“:

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Kultur Fernsehen Rundfunk Gesellschaft

Wette sich, wer kann

Die Nach­richt, dass die Unter­hal­tungs­sen­dung „Wet­ten, dass..?“ nach 33 Jah­ren ihren Geist auf­ge­ben wür­de, war der Redak­ti­on von „Spie­gel Online“ am Abend des 5. April sogar eine Brea­king News wert. Aut­op­sie und Trau­er­fei­er waren da bereits in vol­lem Gan­ge.

Das ZDF wur­de für sei­ne Pres­se­mit­tei­lungs­for­mu­lie­rung der „geän­der­ten Seh­ge­wohn­hei­ten“ mit Häme über­zo­gen – über­wie­gend von Men­schen, die ger­ne ame­ri­ka­ni­sche TV-Seri­en auf Com­pu­tern und Tablets schau­en und sich Sonn­tags­abends online ver­ab­re­den, um gemein­schaft­lich eine ein­zel­ne deut­sche TV-Serie schei­ße zu fin­den. Mar­kus Lanz und die Redak­ti­on wur­den zu den Allein­schul­di­gen erklärt, was auch Quatsch war: Zwar hat­ten der jovia­le Bau­markt­er­öff­nungs­ch­ar­meur und sei­ne Trup­pe im Hin­ter­grund, die es auch schon mal für eine gute Idee gehal­ten hat­te, sich völ­lig ohne Grund eine aus­schwei­fen­de Ras­sis­mus­de­bat­te an den Hals zu holen, tat­säch­lich kei­nen guten Job gemacht, aber das Pro­blem lag auch woan­ders. In einer Zeit, wo wirk­lich jeder durch Cas­ting­show und You­Tube zum „Star“ wer­den kann, braucht der Nor­mal­bür­ger kei­ne absei­ti­gen Bega­bun­gen mehr, um für einen Abend im Ram­pen­licht zu ste­hen. Man kann es jetzt zu mit­tel­fris­ti­ger TV-Pro­mi­nenz brin­gen, ohne Wärm­fla­schen auf­zu­pus­ten oder die Post­leit­zah­len aller deut­schen Städ­te benen­nen zu kön­nen. ((Oder ohne irgend­et­was zu kön­nen.)) Frank Elst­ner mel­de­te sich auf Twit­ter zu Wort und vie­ler­orts las man wie­der von Elst­ner, klei­nen Kin­dern in der Bade­wan­ne und im Bade­man­tel. ((Was jetzt viel­leicht ein biss­chen unglück­lich for­mu­liert ist.))

Immer wie­der kam das Bild auf, das Flo­ri­an Illies 2000 beschrie­ben hat­te: Wie er als Kind Sams­tags­abends, frisch geba­det und im Bade­man­tel auf der Couch sit­zen und „Wet­ten, dass..?“ mit Frank Elst­ner gucken durf­te. Illies beschrieb dies in sei­nem Best­sel­ler „Gene­ra­ti­on Golf“, des­sen Titel schon Teil des Pro­blems ist, zu dem wir gleich noch kom­men, und je mehr deckungs­glei­che Wort­mel­dun­gen in den Sozia­len Netz­wer­ken auf­schlu­gen, des­to boh­ren­der wur­de die Fra­ge: Hat­ten wir – das Per­so­nal­pro­no­men ist hier beson­ders wich­tig – wirk­lich so ähn­li­che Kind­heits­er­leb­nis­se oder brach sich hier gera­de die Erin­ne­rungs­ver­fäl­schung Raum, die sonst ger­ne auch schon mal ger­ne dafür sorgt, dass Men­schen sich detail­reich dar­an erin­nern, wo sie bei der Mond­lan­dung, der Ermor­dung John F. Ken­ne­dys, dem Mau­er­fall, dem Unfall­tod von Dia­na Spen­cer und am 11. Sep­tem­ber 2001 waren – nur, dass das oft gar nicht stimmt.

Ich für mei­nen Teil bin zum Bei­spiel zu jung, um jemals bewusst „Wet­ten, dass..?“ mit Frank Elst­ner gese­hen zu haben. Ich erin­ne­re mich an eine Aus­ga­be, in der jemand mit­hil­fe hand­li­cher Schrott­bal­len sagen konn­te, um was für ein Auto es sich zuvor gehan­delt hat­te. Es mag mein ers­ter bewuss­ter Kon­takt mit der Sen­dung gewe­sen sein, der Mode­ra­tor war wohl schon Tho­mas Gott­schalk und wenn es da drau­ßen jeman­den gibt, der auf Anhieb sagen kann, ob das stimmt, wann die Sen­dung lief und aus wel­cher Mehr­zweck­hal­le die Sen­dung damals kam, dann ist es jetzt zu spät, um aus die­ser Insel­be­ga­bung noch Kapi­tal zu schla­gen.

Frank Elst­ner, das war für mich der Mode­ra­tor von „Nase vorn“, dem viel­leicht über­am­bi­tio­nier­tes­ten Unter­hal­tungs­show­ver­such, bis es ProSiebenSat1 mit der „Mil­lio­närs­wahl“ ver­such­te, und der teil­wei­se live von der Trab­renn­bahn in Dins­la­ken über­tra­gen wur­de, in deren buch­stäb­li­cher Wurf­wei­te unse­re dama­li­ge Woh­nung lag. Mit gro­ßem Eifer glotz­te ich damals jede Sams­tag­abend­show weg, die das öffent­lich-recht­li­che Fern­se­hen Ende der 1980er, Anfang der 1990er auf die Gebüh­ren­zah­ler los­ließ, ((„Ver­ste­hen Sie Spaß?“ mit Pao­la und Kurt Felix! Der „Flit­ter­abend“! Die „Gold­mil­li­on“!)) zur Not zwang ich mei­ne Groß­el­tern (und nicht anders­her­um), mit mir den „Musi­kan­ten­stadl“ zu schau­en – es war eben Sams­tag­abend, ich war da und woll­te unter­hal­ten wer­den! Am Liebs­ten aber die „Rudi Car­rell Show“ ((Ich bin unsi­cher, wann genau ich begriff, dass die Kan­di­da­ten – „gera­de noch im Rei­se­bü­ro, jetzt auf unse­rer Show­büh­ne!“ – sich gar nicht so schnell umzie­hen konn­ten, son­dern dort mit vor­ab auf­ge­zeich­ne­ten Bei­trä­gen gear­bei­tet wur­de, fürch­te aber, es ist noch gar nicht sooo lan­ge her.)) und spä­ter „Geld oder Lie­be“ mit Jür­gen von der Lip­pe, das ich im Nach­hin­ein ger­ne zur bes­ten Sams­tag­abend­show aller Zei­ten ver­klä­re. Wenn es mir gelän­ge, heu­te etwas ähn­lich harm­los-anar­chisch-unter­halt­sa­mes zu kon­zi­pie­ren, wäre ich ein gemach­ter Mann.

„Wet­ten, dass..?“, jeden­falls, ist im Begriff, sehr bald Geschich­te zu sein, und all jene, die damals tat­säch­lich oder gefühlt im Bade­man­tel zuge­schaut hat­ten, gaben sich dem hin, was seit „Gene­ra­ti­on Golf“ All­ge­mein­gut ist: der fra­ter­ni­sie­ren­den, leicht aniro­ni­sier­ten Nost­al­gie derer, die für ech­te Nost­al­gie nicht nur zu jung sind, son­dern auch zu wenig erlebt hat­ten. Und weil die Ver­tre­ter die­ser … nun ja: Gene­ra­ti­on heu­te an den ent­schei­den­den Stel­len bun­des­deut­scher Online­diens­te und Medi­en­sei­ten sit­zen, kann man die­se Erin­ne­run­gen über­all lesen, wo sie von Men­schen mit den glei­chen tat­säch­li­chen oder gefühl­ten Erin­ne­run­gen kom­men­tiert wer­den, auf dass sich auch die Nach­ge­bo­re­nen damit infi­zie­ren und sich spä­ter fel­sen­fest dar­an erin­nern, wie sie damals selbst auf der Couch …

„Kids today get­tin‘ old too fast /​ They can’t wait to grow up so they can kiss some ass /​ They get nost­al­gic about the last ten years /​ Befo­re the last ten years have pas­sed“, hat Ben Folds mal gesun­gen. Das ist inzwi­schen neun Jah­re her und die Ent­wick­lung der Sozia­len Netz­wer­ke hat seit­dem nicht gera­de zu einer Ent­span­nung der Situa­ti­on bei­getra­gen. „Throw­back Thurs­day“ nen­nen sie es, wenn Men­schen am Don­ners­tag beson­ders pein­li­che ((Zu irgend­ei­ner Zeit hät­te man gesagt: „affi­ge“.)) Fotos von sich selbst in einem jün­ge­ren Zustand auf Face­book oder Twit­ter pos­ten, was beson­ders reiz­voll ist, wenn die Men­schen Anfang Zwan­zig und die Fotos selbst noch nicht mal im Grund­schul­al­ter sind. Jan Böh­mer­mann ((Je nach Bezugs­ge­ne­ra­ti­on der Harald Schmidt oder Ste­fan Raab sei­ner eige­nen Gene­ra­ti­on.)) sorg­te im Früh­jahr mit einem „So waren die 90er“-Video für Furo­re im deutsch­spra­chi­gen Inter­net, 90er-Par­ties erfreu­en sich schon seit eini­ger Zeit wach­sen­der Beliebt­heit und ich saß auch schon stock­nüch­tern inmit­ten unter­schied­lich alko­ho­li­sier­ter Men­schen auf Par­ties, starr­te auf einen Lap­top­bild­schirm und nahm einen You­Tube-Rei­gen von Mr. Pre­si­dent, Take That, Echt und Tic Tac Toe mit einer stets wech­seln­den Mischung aus Fas­zi­na­ti­on, Abscheu, Nost­al­gie, Fas­sungs­lo­sig­keit und Begeis­te­rung zur Kennt­nis. Es waren Men­schen mit ansons­ten ver­mut­lich tadel­lo­sem Musik­ge­schmack, aber nie­mand kam auf die Idee, wenigs­tens mal zur Abwechs­lung Inter­pre­ten wie Nir­va­na, Oasis oder Pearl Jam in die Run­de zu wer­fen. Das war auch nicht mehr mit dem lei­di­gen The­ma Über­i­ro­ni­sie­rung zu erklä­ren.

Mein Vater ver­ab­scheut heu­te mit gro­ßer Hin­ga­be vie­les, was sich auf den angeb­lich reprä­sen­ta­ti­ven Hit-Sam­plern sei­ner Jugend fin­det, ((Mungo Jer­ry! The Lovin‘ Spoon­ful!)) trotz feh­len­den Alters wal­tet bei mir eine erschüt­tern­de Mil­de: Ich könn­te jeder­zeit aus­führ­lich und fun­diert begrün­den, war­um Sun­ri­se Ave­nue gro­ße Grüt­ze sind, wür­de mich aber im Zwei­fels­fall ver­mut­lich dazu hin­rei­ßen las­sen, „What Is Love?“ von Had­da­way wort­reich gegen jed­we­de Kri­tik zu ver­tei­di­gen.

Die Musik, die heu­te dort ange­sagt ist, wo Indie­be­reich und Main­stream klei­nen Grenz­ver­kehr pfle­gen, klingt oft, als sei sie schon min­des­tens 40 Jah­re alt. Vor zehn, fünf­zehn Jah­ren wur­den hau­fen­wei­se Fern­seh­se­ri­en der 70er und 80er fürs Kino adap­tiert, heu­te sind plötz­lich Fern­seh­se­ri­en erfolg­reich, die auf 20 Jah­re alten Kino­fil­men basie­ren. Und das ist erst der Anfang.

Der Herm frag­te letz­te Woche auf Twit­ter:

Kurz dar­auf ging dann ein neu­er „Terminator“-Trailer online.

Über das Phä­no­men der „Retro­ma­nie“ sind inzwi­schen Arti­kel und gan­ze Bücher geschrie­ben wor­den. Und, klar: Wenn Kul­tur­epo­chen nicht mehr 50 oder 100 Jah­re dau­ern, son­dern nur ein paar Mona­te ((Oder gar 140 Zei­chen.)), kön­nen sie auch schnel­ler wie­der­kom­men. Die Renais­sance rekur­rier­te noch auf ein Zeit­al­ter, das seit etwa 800 Jah­ren vor­bei war.

Und so ist in einer Zeit, in der angeb­lich alles indi­vi­du­el­ler wird ((Mode- und Ein­rich­tungs­blogs spre­chen da eine etwas ande­re Spra­che.)), die Erin­ne­rung an „Dolo­mi­ti“, „Yps“ und „Rai­der“ („heißt jetzt ‚Twix‚“) das, was die Men­schen hei­me­lig zusam­men­bringt. Die Jea­nette-Bie­der­mei­er-Epo­che.

Um „Wet­ten dass..?“ wird jetzt bis zuletzt ein Gewe­se gemacht, das die Show selbst seit min­des­tens zehn Jah­ren nicht mehr gerecht­fer­tigt hat. Aber so ist das in Deutsch­land: Wir haben ja kul­tu­rell nicht so viel und wenn wir doch mal jeman­den haben, wer­den die­je­ni­gen so sehr gefei­ert, bis sie nie­mand mehr ernst­haft ertra­gen kann. Stich­wort: Til Schwei­ger, Jan Josef Lie­fers, Hele­ne Fischer, Unhei­lig. Alle vier sind am Sams­tag bei der letz­ten Sen­dung dabei.

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q.e.d. (Super-Selbstreferentialität)

Ich war heu­te Nach­mit­tag bei Phoe­nix zu Gast, um über das The­ma „Nach­rich­ten­quel­le Inter­net – Medi­en im Wan­del“ zu spre­chen. Ich glau­be nicht, dass Sie was ver­passt haben, aber die Sen­dung wird mor­gen Mit­tag um 12 auch noch mal wie­der­holt.

Die Kern­the­se, auf die die Mode­ra­to­rin Marei­ke Bokern, Fre­de­rik Pleit­gen von CNN Inter­na­tio­nal und ich uns am Ende geei­nigt haben, war unge­fähr: Das Inter­net ist toll, aber man darf nicht alles glau­ben, was dort steht.

Und damit kom­men wir zu dem Tweet, mit dem CNN Ger­ma­ny auf die Sen­dung hin­ge­wie­sen hat:

Heute 16h auf Phoenix: Nachrichtenquelle Internet - Medien im Wandel: Mareike Bokern im Talk mit CNNs @fpleitgenCNN und @Lukas_Heinser

Dabei bin ich gar nicht bei Twit­ter – schon gar nicht als @Lukas_Heinser.

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Fernsehen ohne Kaffee

Ges­tern Abend wur­den in Ber­lin die Echos ver­lie­hen. Der Ver­an­stal­ter, der Bun­des­ver­band Musik­in­dus­trie e.V., bezeich­net den Echo kon­se­quent als „einen der wich­tigs­ten Musik­prei­se der Welt“, nach wel­chen Kri­te­ri­en die Prei­se genau ver­lie­hen wer­den, weiß nie­mand so genau, ver­mut­lich nicht ein­mal Prof. Die­ter Gor­ny. Eine gro­ße Rol­le spie­len auf alle Fäl­le die Ver­kaufs­zah­len, wes­we­gen der Abend eini­ger­ma­ßen erwart­bar aus­ging. Ande­rer­seits: Nur ein Preis für Tim Bendz­ko, statt Revol­ver­held haben wenigs­tens Jupi­ter Jones gewon­nen und der Hip-Hop/Ur­ban-Preis ging immer­hin an den sym­pa­thi­schen Cas­per statt an den homo­pho­ben Bushi­do.

Die Preis­ver­lei­hung aber, bis vor vier Jah­ren bei RTL von Oli­ver Geis­sen und/​oder Frau­ke Ludo­wig asep­tisch weg­mo­de­riert, war der ARD dann doch erstaun­lich gut gelun­gen: Vom gro­ßen Ope­ning mit den fünf größ­ten Radio­hits des ver­gan­ge­nen Jah­res (Jupi­ter Jones, Fri­da Gold, Andre­as Bou­ra­ni, Tim Bendz­ko und Revol­ver­held – don’t get me star­ted), das noch ein biss­chen unt­erprobt wirk­te, in Zukunft aber funk­tio­nie­ren soll­te, über die ange­nehm kurz gehal­te­nen Zwi­schen­mo­de­ra­tio­nen von Ina Mül­ler und Bar­ba­ra Schö­ne­ber­ger bis hin zu den vie­len, vie­len Auf­trit­ten (Kraft­klub mit Cas­per, Tim Bendz­ko mit Shag­gy!) war das ein kurz­wei­li­ger, bun­ter Abend, der das bes­te aus dem raus­hol­te, was in Deutsch­land als Inven­tar der Unter­hal­tungs­in­dus­trie zur Ver­fü­gung steht. Und ich weiß, wie schwer das ist, ich habe es letz­tes Jahr als Co-Autor der Echo-Ver­lei­hung selbst ver­sucht.

* * *

Heu­te Abend wird der Adolf-Grim­me-Preis ver­lie­hen, die viel­leicht renom­mier­tes­te Aus­zeich­nung, die es in Deutsch­land für Fern­seh­sen­dun­gen gibt. Die Preis­über­ga­be fin­det mit ver­gleichs­wei­se wenig pyro­tech­ni­schem Ein­satz im Stadt­thea­ter Marl statt und die Chan­cen ste­hen hoch, dass Sie noch nie eine der gewür­dig­ten Sen­dun­gen gese­hen haben, weil die­se von den Sen­dern, die sie bestellt und finan­ziert haben, zu absur­des­ten Zei­ten ver­sen­det wur­den, auf dem alten Sen­de­platz des Test­bilds.

Selbst die Grim­me­preis­ver­lei­hung selbst, eher pro­tes­tan­ti­scher Ern­te­dank­got­tes­dienst als katho­li­sches Hoch­amt, wird von 22.25 Uhr bis 23.55 Uhr auf 3sat ver­klappt. Dabei kann man da wenigs­tens immer ein paar Minu­ten Aus­schnit­te aus den hoch­klas­si­gen, zumeist (aber nicht aus­schließ­lich) depri­mie­ren­den Fern­seh­spie­len und Doku­men­ta­tio­nen sehen, die man im Lau­fe des Jah­res so ver­passt hat.

* * *

Es ist also nicht so, dass es in Deutsch­land gar kein gutes Fern­se­hen gäbe, aber man muss danach suchen – und es wird selbst von den öffent­lich-recht­li­chen Sen­dern bewusst ver­hin­dert. Die brei­te Mas­se ist genau­so mut‑, belang- und lieb­los, wie das, was an deut­scher Pop­mu­sik im Radio oder halt beim Echo läuft.

Mal­te Wel­ding hat für die „Ber­li­ner Zei­tung“ eine gro­ße Abrech­nung mit dem deut­schen Fern­se­hen ver­fasst, die auch eine Abrech­nung mit dem gesam­ten Kul­tur­be­trieb, ja eigent­lich der gan­zen Bun­des­re­pu­blik ist.

Hier mal eine der mode­ra­te­ren Pas­sa­gen:

Was Chi­na im Fuß­ball, das ist Deutsch­land in der Unter­hal­tung. Ein Ent­wick­lungs­land. Ein Ent­wick­lungs­land aller­dings, des­sen Unter­hal­tungs­be­am­te sich gebär­den, als hät­ten sie den begeh­ba­ren Klei­der­schrank erfun­den, und das ein Schwei­negeld hat. Da wer­den Film­bäl­le gege­ben, die gera­de durch den Gla­mour­ver­such am Ende doch immer so aus­se­hen wie die Abi­fei­er der Jean-Sans-Terre-Ober­schu­le.

Das deut­sche Fern­se­hen steht so patsch­zu­frie­den im eige­nen Saft, dass es mit gro­ßer Fröh­lich­keit dar­in ersau­fen wird, in der Kar­ne­vals­brü­he aus Küs­ten­wa­chen­wie­der­ho­lun­gen und Seri­en mit Tie­ren in der Haupt­rol­le und Selbst­ver­si­che­rungs­ka­ba­retts­en­dun­gen und Redak­tio­nen nach Par­tei­pro­porz, die Polit­sen­dun­gen simu­lie­ren, und ist die Ren­te sicher und kippt der Euro und stirbt das Land? Ja, das Land stirbt. Vor Lan­ge­wei­le.

Mal­te Wel­ding: Stirbt das Land vor Lan­ge­wei­le?

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Ein Abend mit Soße

Dafür, dass ich gele­gent­lich als „Medi­en­jour­na­list“ bezeich­net wer­de, kon­su­mie­re ich ver­gleichs­wei­se wenig Medi­en: Ich habe kein Abon­ne­ment einer Tages­zei­tung oder Zeit­schrift, ich höre täg­lich etwa 20 Minu­ten Radio am Früh­stücks­tisch und sehe außer­halb von Fuß­ball­über­tra­gun­gen und „Wer wird Mil­lio­när?“ eigent­lich kaum frei­wil­lig fern.

Jetzt aber hat­te ich außer­plan­mä­ßig einen beschäf­ti­gungs­frei­en Abend und weil etwa­ige Dead­lines noch viel zu weit weg waren, um mich halb­fer­ti­gen Pro­jek­ten zu wid­men, such­te ich mir eine Stel­le, an der mei­ne Couch noch nicht kom­plett durch­ge­le­gen ist, und schal­te­te den Fern­se­her ein. Das dau­ert bei mei­nem Digi­tal­re­cei­ver etwa 20 Sekun­den und erklärt viel­leicht, war­um ich so ungern fern­se­he.

Nach einer kur­zen Zap­ping-Ein­ge­wöh­nungs­pha­se lan­de­te ich beim MDR, einem für mich hoch­gra­dig rät­sel­haf­ten Sen­der. Ich geriet mit­ten hin­ein in „Echt – Das Maga­zin zum Stau­nen“, wo gera­de ein paar Feu­er­wehr­leu­te in ein Gebäu­de ein­dran­gen und sofort bewusst­los zu Boden gin­gen. Alles an die­ser Sen­dung wirk­te wie das, was ich von RTL 2 in Erin­ne­rung hat­te: Die nach­ge­stell­ten Sze­nen, die dazu­ge­hö­ri­ge Ton­spur mit dra­ma­ti­scher Musik und bedeu­tungs­schwan­ge­rem Off-Spre­cher, die Inter­views mit Betrof­fe­nen – sogar das Aus­se­hen der Bauch­bin­den, auf denen ihr Name stand. Alles schrie „Action“, und der Kon­trast zu dem bie­de­ren MDR-Logo oben rechts hät­te kaum grö­ßer sein kön­nen.

Tra­di­tio­nell spie­ßi­ges Regio­nal­fern­se­hen war Gott­sei­dank nur einen Tas­ten­druck ent­fernt, beim Hes­si­schen Rund­funk, der gera­de „Die Lieb­lings­ge­rich­te der Hes­sen“ kür­te. Dabei han­delt es sich um eine die­ser Lis­ten-Sen­dun­gen mit „pro­mi­nen­ten“ Stich­wort­ge­bern, die in den drit­ten Pro­gram­me der ARD inzwi­schen alle ande­ren For­ma­te erset­zen. Vom „Focus“ haben die Pro­gramm­ma­cher gelernt, dass sich alles in absur­den Ran­kings abbil­den lässt, und das wird jetzt gna­den­los durch­ge­zo­gen. Allein der HR hat im ver­gan­ge­nen Jahr 25 die­ser Sen­dun­gen aus­ge­strahlt, die Erst­aus­strah­lung der „Lieb­lings­ge­rich­te“ liegt immer­hin schon zwei­ein­halb Mona­te zurück. Ich kam gera­de recht­zei­tig, um u.a. den Komi­ker Bodo Bach, den ARD-Bör­sen­ex­per­ten Frank Leh­mann und ande­re, mir nicht bekann­te Hes­sen bei der Lob­prei­sung der „Grü­nen Soße“ zu beob­ach­ten. Mit gro­ßer Ernst­haf­tig­keit spra­chen sie über die Varie­tä­ten der Rezep­tur, konn­ten mir das gezeig­te Essen oder gene­rell die hes­si­sche Lebens­art dabei aber auch nicht schmack­haf­ter machen.

Auf Eins Extra erwisch­te ich im Anschluss die End­aus­läu­fer einer Wie­der­ho­lung von „Hart aber fair“, was ich eigent­lich aus Prin­zip nicht gucken kann. Im spe­zi­el­len Fall sprach aber gera­de Prof. Hell­muth Kara­sek über die Gemein­sam­kei­ten von Robert Musils „Die Ver­wir­run­gen des Zög­lings Tör­leß“ und dem Inter­net, nach­dem kurz zuvor der mir durch zahl­rei­che Tele­fon­ge­sprä­che bekann­te Medi­en­an­walt Ralf Höcker erklärt hat­te, wie man unlieb­sa­me Infor­ma­tio­nen über sich aus dem Inter­net löschen las­sen kann. „Was zum Hen­ker ist denn da das The­ma“, dach­te ich und war auch schon gefan­gen genom­men von Kara­sek, Höcker, Tho­mas Gott­schalk, Ross Ant­o­ny und Mir­jam Weich­sel­braun, die die Fra­ge ver­han­del­ten, wie viel Öffent­lich­keit der Mensch ver­tra­ge. Der­lei Fern­seh­dis­kus­sio­nen sind ja in der Regel so ergie­big wie Dis­kus­sio­nen im Inter­net, also: gar nicht, und das war doch mal eine schö­ne Erkennt­nis, dass das Inter­net, das Fern­se­hen und Robert Musil so viel gemein­sam haben. Außer­dem muss­te ich durch Zufall die ein­zi­ge Talk­show des Jah­res erwischt haben, in der weder Peter Hint­ze noch Niko­laus Blo­me saßen. Nicht mal Richard David Precht war anwe­send, dafür mach­te Kara­sek den ahnungs­lo­sen Frank Plas­berg kurz mit der Radio­theo­rie des Ber­tolt Brecht bekannt.

Zeit für den ZDF Info­ka­nal und den Mann, auf den ich schon den gan­zen Abend gewar­tet hat­te: Adolf Hit­ler. Irgend­ein His­to­ri­ker oder Medi­en­wis­sen­schaft­ler wird sicher schon her­aus­ge­fun­den haben, dass Hit­ler dank der vie­len Doku­men­ta­tio­nen auf n‑tv, N24 und eben ZDF info fast 70 Jah­re nach Kriegs­en­de pro Tag mehr Sen­de­zeit hat als zu Leb­zei­ten im staat­li­chen Rund­funk. Im kon­kre­ten Fall saß Hit­ler mal wie­der im Bun­ker. Auf einen Spoi­ler-Alert kann ich glaub ich ver­zich­ten, aber eine digi­tal ani­mier­te Kame­ra­fahrt durch den Pri­vat­raum, in dem Hit­ler und Eva Braun star­ben, hat­te ich noch nicht gese­hen. Die anschlie­ßen­de Schil­de­rung, wie ein Zeu­ge den Füh­rer auf­ge­fun­den hat­te, war dann lei­der nicht bebil­dert.

Nicht mit Ani­ma­tio­nen geiz­te auch die anschlie­ßen­de Doku­men­ta­ti­on über den Vesuv und die Gefahr, die von ihm aus­ging. Als hät­te Roland Emme­rich Pli­ni­us den Jün­ge­ren ver­filmt, konn­ten die Zuschau­er den kom­men­den Unter­gang Nea­pels beob­ach­ten, anmo­de­riert von drei armen Wis­sen­schaft­lern, die in einer Lager­hal­le Spiel­sze­nen­ar­tig die Rah­men­hand­lung geben muss­ten. Zusam­men­fas­send lässt sich wohl sagen, dass man so einem Vul­kan­aus­bruch bes­ser aus dem Weg gehen soll­te, wenn er sich denn so ereig­nen soll­te, wie er „zumin­dest nicht unwahr­schein­lich“ skiz­ziert, ach was: in Öl gemalt wur­de.

Da auch Umschal­ten bei mei­nem Recei­ver unan­stän­dig viel Zeit in Anspruch nimmt, blieb ich wei­ter beim ZDF Info­ka­nal, wo sie im Anschluss einen PKW fern­steu­er­ten. Na gut, dann viel­leicht doch noch mal von vor­ne durch­zap­pen. Im Ers­ten tra­fen sich inzwi­schen „Men­schen bei Maisch­ber­ger“ und nach dem irri­tie­ren­den „Hart aber Fair“-Erlebnis war hier wie­der alles wie erwar­tet: Da saßen fünf, sechs Leu­te in einer Sofa­land­schaft und schrie­en sich an. Puh, schnell wei­ter. Im ZDF erklär­te Harald Lesch, wir Men­schen, „Sie, ich, wir alle“, wür­den zu 92 Pro­zent aus Ster­nen­staub bestehen. Das habe auch Nova­lis schon geschrie­ben, nur anders gemeint.

Das reich­te. Ich konn­te nicht mehr.

Musik!


Moby – We Are All Made Of Stars von EMI_​Music

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Auswärtsspiel: TVLab

Auf ZDF_​neo star­tet dem­nächst das „TVLab“, wo völ­lig neu­ar­ti­ge TV-Kon­zep­te vor­ge­stellt und erprobt wer­den sol­len.

Beglei­tet wird das Pro­jekt von einem Blog und ich hat­te die Ehre, den ers­ten Ein­trag zu ver­fas­sen. Die Aus­gangs­fra­ge lau­te­te „Wor­über sol­len wir reden, wenn nicht über das Fern­se­hen?“ und – ohne zu viel zu ver­ra­ten – ich kom­me zu dem Schluss: über nichts, bit­te!

Der Bei­trag bei blog.zdf.de