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Streaming-Tipps Juni 2023

Bevor ich mich mutmaßlich bald bei Netflix abmelde, habe ich mal ein paar Sachen von meiner „Das wolltest Du Dir irgendwann vielleicht mal angesehen haben“-Liste geschaut: Den Film „Die Schlacht um die Schelde“, die zweitteuerste niederländische Produktion aller Zeiten, hatte ich aus zwei Gründen sehen wollen: zum einen, um mein Niederländisch zu trainieren, zum anderen, weil die titelgebende Schelde bei Walcheren in die Nordsee mündet, also dort, wo ich seit Jahrzehnten am Liebsten meine Urlaube verbringe. Die Schlacht an der Scheldemündung diente der Befreiung des Hafens von Antwerpen, den die Westalliierten für ihre Nachschubversorgung brauchten, und war insofern eine der vielen entscheidenden Schlachten des 2. Weltkriegs. Zwischen „Der Soldat James Ryan“-ähnliche Schlachtenszenen erzählt der Film eher kleine, alltägliche Dramen, die in keinem Geschichtsbuch vorkommen würden, von denen man aber annehmen muss, dass es sie tausendfach gegeben hat. Unter anderem wird der Topos „charismatischer Nazi“ von Justus von Dohnanyi hier noch mal sehr gruselig neu mit Leben gefüllt. Tatsächlich wird in dem Film weniger Niederländische gesprochen als Deutsch und Englisch (in der deutschen Synchronfassung sprechen mutmaßlich wieder alle die ganze Zeit Deutsch, weil das halt immer so ist), aber ich fand ihn schon recht beeindruckend und bedrückend.

Ebenfalls bei Netflix läuft die 40-minütige Dokumentation „The Martha Mitchell Effect“. Martha Mitchell war die Ehefrau von John N. Mitchell, dem Wahlkampfmanager Richard Nixons und späterem US-Justizminister, und als der Watergate-Skandal begann, begann sie sofort, Präsident Nixon selbst zu beschuldigen. Martha Mitchell wurde von den mächtigen Männern in Washington diskreditiert und als alkoholkranke mad woman abgestempelt. Ihr Ruf und ihre Ehe waren ruiniert, sie starb bald darauf — und fast alle Vorwürfe, die sie erhoben hatte, stellten sich im Nachhinein als wahr heraus (die anderen gelten als noch nicht bestätigt). Auch dieser Film ist beeindruckend und bedrückend und auch handwerklich sehr gut gemacht.

Auch der Dokumentarfilm „Circus Of Books“ läuft auf Netflix. Die Regisseurin Rachel Mason erzählt hier die Geschichte ihrer Eltern Karen und Barry, die als jüdisches Hetero-Paar einen der bedeutendsten Läden für schwule Literatur und Pornografie in LA betrieben haben. Wie es dazu kam, ist absurd; wie sich konservative Politik und die AIDS-Epidemie auf die Arbeit und das Leben der Familie auswirkte, ist erschütternd; und welche Folgen das Internet und Dating Apps für das Geschäft haben, kann man sich ausmalen. Dies alles aus nächster Nähe von der Familie geschildert zu bekommen, ist sehr beeindruckend.

Bei Disney+ schließlich habe ich „In & Of Itself“ gesehen. Ich hatte schon einiges darüber gehört, meist verbunden mit dem Hinweis, dass man nicht erklären könne, was das sei. Das stimmt. Formal ist es der Mitschnitt einer Show des Zauberers Derek DelGaudio, die 552 mal in einem kleinen Theater in New York City zur Aufführung gekommen war. DelGaudio zeigt darin Taschenspielertricks, er erzählt Teile seiner Lebensgeschichte und sorgt später für im vielfachen Sinne magische Momente. Es ist für Zauberei in etwa das, was „Nanette“ von Hannah Gadsby für Comedy ist: eine völlige Dekonstruktion und ein Sprung auf die nächste Daseinsstufe (und das exakte Gegenteil von den Ehrlich Brothers bzw. Mario Barth). Ich kann es leider auch nicht erklären, aber darum geht es ja: Im Sinne von Elisabeth Kübler-Ross bin ich recht schnell von denial zu acceptance gesprungen und habe gar nicht mehr versucht, zu verstehen, wie die Tricks funktionieren könnten. Ich war Fox Mulder: I want to believe. Selbst wenn Euch Zauberei gar nicht interessiert, solltet Ihr Euch „In & Of Itself“ anschauen! (Nicht zuletzt, weil es eine wahnsinnig spannende Erfahrung ist, von einer title card aufgefordert zu werden, sein Handy wegzulegen und alle Ablenkung zu unterlassen.)


Dieser Text erschien zuerst in meinem Newsletter, für den man sich hier anmelden kann.

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Selena Gomez’ bravoröse Empfängnis

Ich habe das mit dem Angebot und der Nachfrage im Boulevardjournalismus noch nie geglaubt. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die sich morgens nach dem Aufstehen fragen, was eigentlich Brad Pitt und Angelina Jolie gerade machen. Ich denke nicht, dass man Klatschzeitschriften und Gossip-Blogs erfinden müsste, wenn es sie nicht gäbe. Und ich halte es für ausgeschlossen, dass sich die Gedanken von älteren Menschen in Arztwartezimmern automatisch um das (vermeintliche) Privatleben von Volksmusikanten drehen würden, wenn es die entsprechenden Quatschmagazine nicht gäbe.

Entsprechend glaube ich auch nicht, dass Jugendzeitschriften die existentiellen Fragen von Jugendlichen beantworten — außer vielleicht auf den Seiten, wo sie die existentiellen Fragen von Jugendlichen beantworten.

Für einen Tag am Baggersee war mir aber nach leichter Lektüre, weswegen ich beherzt zum Zentralorgan für existentielle Fragen von Jugendlichen griff: zur “Bravo”.

Selena Gomez: Schwanger beim ersten Mal!? Vergiftet? Schwer krank?
Warum nicht gleich: “Zombies! Aliens! Vampire! Dinosaurier!”?

Jetzt fragen Sie sich als ungebildete, greise Leser dieses Blogs natürlich erst mal, wer dieses unbekannte Kind da auf der Titelseite überhaupt ist. Das ist Selena Gomez, die Hauptdarstellerin der Disney-Channel-Serie “Die Zauberer vom Waverly Place”, die Sie kennen könnten, wenn Sie Ihren minderjährigen Kindern erlauben, Super RTL zu gucken. Frau Gomez ist 18 Jahre alt und seit kurzem mit Justin Bieber liiert, dem womöglich größten Popstar unserer Tage. Aber das lassen Sie sich womöglich tatsächlich am Besten alles von irgendeinem Kind erklären — viele Eltern freuen sich ja, wenn man ein solches einfach mal für ein paar Stunden ausleiht (nachdem man vorher um Erlaubnis gefragt hat).

Jedenfalls: Selena Gomez war kürzlich im Krankenhaus.

Was für ein Schock! Mit Blaulicht und Sirenen wird Selena Gomez Donnerstagnacht ins Providence Saint Joseph Medical Center in Burbank bei Los Angeles eingeliefert. Totaler Zusammenbruch! Unglaublich: Wenige Minuten zuvor ist das Super-Girl noch live auf Sendung — in der “Tonight Show” von Jay Leno im US-TV.

(Nein, die “Tonight Show” ist natürlich nicht live.)

Nun könnte man annehmen, dass der Körper einer 18-Jährigen, die seit vier Jahren für eine Serie vor der Kamera steht, die diverse Promo-Auftritte absolviert und noch dazu auf Schritt und Tritt von Paparazzi verfolgt wird, irgendwann einfach mal schlapp macht. Nette Idee, aber es gibt doch noch ein paar andere:

Erste Erklärung: Falsche Ernährung soll schuld sein. Aber die Gerüchteküche brodelt. Waren vielleicht noch ganz andere Faktoren im Spiel?

Reporter Frank vor dem Providence Saint Joseph Medical Center in Burbank/L.A.Zum Beispiel Zombies, Alie… Nein, nein. “Bravo”-Reporter Frank Siering (der von Los Angeles aus etwa jedes zweite deutsche Medium mit Hollywood-Geschichten beliefert) hat sich ja nicht umsonst vor “Sels Krankenhaus” fotografieren lassen, er hat sich “auf Spurensuche” begeben und herausgefunden, was “wirklich in jener Nacht passierte”. So fand er heraus, dass Selena Gomez “direkt nach der Live-Sendung” ins Krankenhaus eingeliefert wurde, sie sich “immer wieder” an den Bauch gefasst habe und sie sich “gleich nach der Ankunft” setzen musste, “weil ihr so übel ist”. Sogar die Nummer des Einzelzimmers (“auf der 3. Etage des Krankenhauses mit Blick auf die Berge”) hat Siering herausgefunden — und wenn sie stimmt, ist ihm damit ein investigativer Coup gelungen, denn außer der “Bravo” kennt und nennt sie kein anderes Medium.

Mehr noch:

Wegen der starken Unterleibsschmerzen wird ein Frauenarzt zurate gezogen und sofort ein Schwangerschafts-Test gemacht.

Der unbestimmte Artikel (“ein Schwangerschafts-Test”) ist offensichtlich ein Flüchtigkeitsfehler, denn “Bravo” weiß es eigentlich noch genauer:

Diesen Schwangerschafts-Test musste sie machen.

Damit wären “wir” auch schon beim ersten Gerücht, dessen Dokumentation die “Bravo” sich auf die Fahnen geschrieben hat. Denn tatsächlich würde gerade “alles ganz gut zusammenpassen”: Das Pärchen (von Fans offenbar liebevoll “Jelena” genannt) habe immerhin gerade einen romantischen Liebes-Urlaub auf Hawaii verbracht.

Hatten sie dort ihr erstes Mal? Und ist dabei gleich das passiert, was jetzt viel vermuten?

Das wäre, so “Bravo”, gar nicht “so abwegig”. Zwar hat das Teenie-Magazin kein blutiges Bettlaken, das sie abdrucken kann, aber eine schlüssige Indizienkette: Immerhin hätten auch die Mütter des Traumpaars ihre Kinder “extrem früh” bekommen.

Jus’ Mutter Pattie wurde mit 18 schwanger. Sels Mom Mandy sogar schon mit 15!

Für die Erkenntnis, dass Teenagerschwangerschaften erblich sind, dürfte mindestens ein Medizinnobelpreis fällig werden.

Aber weil so Klatschthemen ja vergleichbar mit Verschwörungstheorien sind – alle schreiben voneinander ab und der Umstand, dass die eigene Behauptung durch nichts gestützt wird, untermauert ihre Plausibilität nur noch mehr -, hat “Bravo” natürlich noch weitere Gerüchte in petto:

Könnte es sein, dass der Superstar von Hatern vergiftet wurde?

(“Hater” sind Menschen, die eine bestimmte Person überhaupt nicht ausstehen können. Im Deutschen würde man vielleicht “Blog-Kommentatoren” sagen.)

“Bravo” findet das “auch nicht unwahrscheinlich” und liefert eine erstaunliche Begründung:

Immerhin äußerten die Ärzte sofort den Verdacht auf eine Lebensmittelvergiftung! Dass ihr jemand absichtlich verdorbenes Essen verabreicht hat, konnte aber bislang nicht bewiesen werden.

Welch Glück, dass die Lebensmittelvergiftung so heißt. Schade hingegen, dass die “Bravo” kein Foto gefunden hat, auf dem Selena Gomez einen “Gift Shop” verlässt.

Für die Gift-Theorie spricht laut “Bravo” alles, was dagegen spricht:

Und Selena selbst will das Ganze verharmlosen: “Ich habe nur zu viel Ungesundes gegessen.”

Womöglich ein erstes Anzeichen für das Stockholm-Syndrom.

Und damit zu Gerücht Nummer drei, das die “Bravo” ein bisschen widerwillig aufzugreifen scheint:

Hatte Sel einen Schwächeanfall, weil sie zu viel arbeitet?

Steile These, für die nur … alles spricht, was “Bravo” so zu berichten weiß.

Sels Mom macht sich jedenfalls große Sorgen: “Sie will einige Termine streichen, um ihre Tochter zu entlasten”, verrät ein Freund der Familie.

Wie so ein “Freund der Familie” aussieht, hat der Wortvogel vor einiger Zeit schon mal so erklärt:

In der Welt der Klatschpostillen gibt es mehr imaginäre Freunde als in einem Hort voller hyperaktiver Vierjähriger.

Fassen wir also den Artikel, mit dem “Bravo” immerhin drei Heftseiten gefüllt gekriegt hat, noch einmal zusammen: Selena Gomez war kürzlich im Krankenhaus.

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Radio Musik

It’s Only Pop (But I Like It)

Zu den vielen interessanten Erfahrungen, die ich in Oslo gemacht habe, zählt diese hier:

Nachdem ich den ESC-Songs einige Tage ausgesetzt war (die Ohrwürmer aus Dänemark und Norwegen sind immer noch nicht ausgeheilt), fand ich sie gar nicht mehr so schlimm. Mehr noch: Bei vielen Songs, die uns der norwegische Top-40-Radiosender im Frühstücksraum des Hotels jeden Morgen über unsere Frühstücksflocken kippte, kamen Stefan und ich überein, dass das “jetzt auch irgendwie eine Grand-Prix-Nummer sein könnte”. (Das spricht im Wesentlichen eher gegen Top-40-Musik im Allgemeinen als für die Eurovisionsbeiträge, aber nun gut.)

Es ist psychologisch einigermaßen erstaunlich, wie groß der Kontext, in dem wir einen Song kennenlernen, unsere Rezeption beeinflusst. Der britische Beitrag (Stock/Waterman) ist zwar ganz große Grütze und völlig zu recht letzter geworden, er unterscheidet sich in der Qualität des Songwritings aber nicht von ganz vielem, was man täglich so im Radio hört. Nur die Hemmschwelle der Musikredaktionen, eine Single auf Rotation zu nehmen, auf deren Hülle “bekannt vom Eurovision Song Contest” steht, ist offenbar immer noch hoch. (Andererseits haben es dieses Jahr immerhin die Beiträge aus Belgien und Frankreich ins Radio geschafft, der aserbaidschanische Song – und die Nachfolgesingle von Safura! – lief sogar im Musikfernsehen. Lena lief ja eh überall.)

Obwohl viele der ESC-Songs von den gleichen Autoren und/oder Produzenten stammen wie vieles von der Pop-Fließbandware, die die Plattenfirmen wöchentlich mit Schubkarren in die Funkhäuser karren, beurteilt der Hörer sie als minderwertiger, wenn er sie am Abend des Finales zum ersten Mal hört. Dabei hat man ja auch Ke$ha, Scouting For Girls oder Luxuslärm irgendwann zum ersten Mal gehört und findet sie, wenn man sie erst einmal wiedererkennt, vielleicht nicht mehr so scheiße. (Gut, Luxuslärm sind da ein schlechtes Beispiel, aber Sie verstehen, was ich meine.)

Nun bin ich inzwischen vielleicht ein bisschen manisch geworden, was den Grand Prix angeht, aber ich muss ja immerhin auch noch einen Song für den Wettbewerb schreiben. Insofern beschäftige ich mich seit drei Monaten etwas intensiver mit leicht verdaulichen Popnummern — und bin dabei kürzlich über ein Lied gestolpert (genauer: WDR 2 hat mehrfach damit auf mich eingeschlagen), das eine hundertprozentige moderne Grand-Prix-Nummer ist:

Hier klicken, um den Inhalt von www.myvideo.de anzuzeigen


Demi Lovato Feat. Stanfour — Wouldn't Change A Th… – MyVideo

Das sind Stanfour (von der Nordseeinsel Föhr, Sie erinnern sich) und Demi Lovato (die Sie aus “Camp Rock” kennen). Der Song stammt aus dem Soundtrack zu “Camp Rock 2”, diese spezielle Version wurde extra für den deutschen Markt aufgenommen zusammengemischt. Im Film singt Joe Jonas von den Jonas Brothers und so langsam glaube ich wirklich, dass die Disney-Channel-Filme das amerikanische Äquivalent zum ESC sind.

Jedenfalls: Ist das nicht der Wahnsinn, wie die beiden da gleichzeitig völlig unterschiedliche Texte singen, die nur so mittelgut ineinandergreifen? Das spart natürlich Zeit, auch wenn die magische Drei-Minuten-Marke für Grand-Prix-Songs immer noch überschritten wird.

Aber dann diese Middle 8, auf die sofort die Rückung folgt! Das ist Songwriting vom Reißbrett, angelehnt an die bewährten Akkordfolgen von 3 Doors Down und Nickelback. Die ungestüme Instrumentierung mit Schlagzeug und E-Gitarren, die Dynamik simulieren soll (heißt ja nicht umsonst “Camp Rock“), bei der aber auch der Oma nicht die Kaffeetasse aus der Hand fällt. Also im Prinzip Bryan Adams konsequent zu Ende gedacht.

Natürlich ganz große Grütze, der Song — aber ich fürchte, ich habe ihn jetzt ein bisschen zu oft gehört, um das noch zu erkennen.

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Film Gesellschaft

Ungesundes Merchandise

Ich habe es noch nicht geschafft, mir “High School Musical 3” anzusehen (aber ich werde es, das verspreche ich).

Ich möchte Sie aber auf ein Interview aufmerksam machen, das NPR mit Kenny Ortega, dem Regisseur der “High School Musical”-Filme, geführt hat.

Auf die Frage, was er eigentlich von diesem ganzen Merchandise (Rucksäcke, Bettwäsche, Schlüsselanhänger, Unterwäsche, you name it …) zu “High School Musical” halte, reagierte er zunächst einmal mit einem langen, nachdenklichen Seufzer und sagte dann:

Well, you know, that’s a tough one for me, you know. Those are the folks that give us the money to make the movies. And I would just say that it’s, you know, the parents just have to like … be the ones in charge. Disney’s gonna put out whatever they can put out. There’s a hunger for the merchandise, but I also think that, you know, at a certain point, it would be unhealthy to allow too much of it into an individual’s life.

Ich denke, mit dieser Einstellung wird er sowohl Disney, als auch so manche Eltern verärgert haben, die ihren Kindern erklären müssen, warum sie nicht auch noch die HSM-Butterbrotdose haben können. Aber ich finde seine Einstellung erfrischend ehrlich.

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Digital Gesellschaft

Ein schöner Rücken kann auch ein Skandal sein

“Sag mir, wer Miley Cyrus ist!”, gehörte bis vorgestern nicht zu den Fragen, die ich sofort hätte beantworten können, wenn man mich um halb sechs morgens wachgeschüttelt hätte. Ich bin einfach zu alt, um “Hannah Montana”, die überaus erfolgreiche TV-Serie vom Disney Channel, je gesehen zu haben. Heute weiß ich natürlich, wer Miley Cyrus ist, und Sie alle werden es auch wissen: sie ist die Hauptperson des neuesten “Nacktskandals” in den USA.

Was war diesmal geschehen? Annie Leibovitz, die vermutlich bekannteste und renommierteste lebende Fotografin der Welt, hatte die 15jährige Ms. Cyrus für “Vanity Fair” fotografiert – “oben ohne”, wie die Agenturen vermelden, oder anatomisch korrekt: mit entblößtem Rücken. Das Foto dürfte maximal ausreichen, bei Männern Beschützerinstinkte zu wecken und dem Kind die eigene Jacke umzulegen, aber es entfachte einen “Skandal”, der zumindest in diesem Monat seinesgleichen sucht.

Denn kaum war das Foto im Werbespot für die Juni-Ausgabe von “Vanity Fair” über die amerikanischen Bildschirme geflimmert, empörten sich die ersten Eltern in Internetforen und Blogs:

It’s time that parents really start thinking seriously about the Sexualization of Children, and how marketers are targeting very young children, causing young girls and boys to grow up way too fast. The only way marketers are going to be forced to stop sexualizing children is when parents finally stand up and say, “We’re not going to take it anymore!”, and boycott stores that market this sort of smut to kids.

Für Disney, wo man mit Miley Cyrus/Hannah Montana unfassbar viel Geld verdient, war schnell klar, dass man reagieren musste. Man entschied sich deshalb zum Angriff auf “Vanity Fair” und Annie Leibovitz:

A Disney spokeswoman, Patti McTeague, faulted Vanity Fair for the photo. “Unfortunately, as the article suggests, a situation was created to deliberately manipulate a 15-year-old in order to sell magazines,” she said.

[New York Times]

Und Miley Cyrus, deren Eltern ((Ihr Vater Billy Ray Cyrus ist als Countryrocker durchaus Showbiz-erfahren.)) beim Fotoshoot anwesend waren, fühlte sich plötzlich verraten und bereute alles:

“I took part in a photo shoot that was supposed to be ‘artistic’ and now, seeing the photographs and reading the story, I feel so embarrassed. I never intended for any of this to happen and I apologize to my fans who I care so deeply about.”

[ebenda]

Man hätte ahnen können, dass zumindest ein Teil der amerikanischen Elternschaft den Weltuntergang heraufziehen sieht, wenn ein Vorbild ((Und genau das dürfte dieses komische Miley/Hannah-Konstrukt für viele sein.)) ihrer Kinder plötzlich mit rotbemaltem Mund und bloßem Rücken zu sehen ist. Insofern hat Jac Chebatoris nicht Unrecht, wenn er im Internetauftritt von “Newsweek” schreibt:

But her parents attended and monitored the shoot. And Miley herself is by now well steeped in the maneuverings of celebrity. Witting or unwitting, she should have known better. And she plainly did not see the backlash coming until too late.

Schon letzte Woche hatte es einen mittelschweren “Skandal” gegeben, als im Internet private Fotos auftauchten, auf denen Miley Cyrus ihren BH und ihren nackten Bauch zeigt. (Hinweis, 6. August 2008: Diese Behauptung ist offenbar völliger Unfug: In der “Huffington Post” war von einem “Cyrus look-alike” die Rede. Vielen Dank an Jen für den Hinweis.) Wie schon im vergangenen Jahr bei Vanessa Hudgens (Star des anderen großen Disney franchise “High School Musical”) taten sich alsbald zwei Lager auf: der Pietcong, der Image und Karriere sofort ruiniert sah, und das Blogger- und Kommentatorenpack, das angesichts von Teenagern, die auf privaten Fotos ihre Unterwäsche zeigen, sofort von Pornokarrieren zu sabbern beginnt.

Beide Seiten verkennen: In Zeiten von Digitalkameras sind Teenager, die sich und ihren Körper fotografieren, ungefähr so alltäglich wie Katzenbilder. Sind diese Teenager dann auch noch prominent, ist die Chance, dass die Bilder binnen Wochenfrist im Internet landen, immens hoch. Vermutlich wird man zukünftig keinen einzigen Teenie-Star finden, von dem es keine solchen Bilder gibt. Dieser Tatsache müssen Eltern genauso ins Auge blicken wie der Tatsache, dass ihre eigenen Kinder dem vermutlich in nichts nachstehen werden. ((Gucken Sie jetzt bitte nicht auf dem Computer Ihres Kindes nach.))

Natürlich ist die ganze Geschichte von so immensem Nachrichtenwert, dass sie auch im deutschen Onlinejournalismus ausführlich gewürdigt werden muss. Und zwar in der Netzeitung, bei bild.de, stern.de, welt.de, n-tv.de, “Spiegel Online” und im News-Ticker von sueddeutsche.de.

Und bevor Sie sich jetzt wieder über die “prüden Amis” auslassen: der nächste “Naziskandal” kommt bestimmt!

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Digital

Klickbefehl (3): American Edition

Stars & Stripes in New York City

Stephen Colbert will an der Wahl zum US-Präsidenten im kommenden Jahr teilnehmen – wenn auch nur in South Carolina. Und vielleicht meint er es damit ernster, als man denken könnte, erzählt die “New York Times”. Lustiger als der Robin-Williams-Film “Man Of The Year” zum gleichen Thema ist die Aktion schon jetzt.

Der “San Francisco Chronicle” berichtet über Hitlers Globus, der 62 Jahre nach Kriegsende in Oakland aufgetaucht ist und im November versteigert werden soll.

cracked.com stellt die 20 schlimmsten Reime der Popmusikgeschichte vor. Those lucky Americans: Es ist kein “Herz” / “Schmerz” dabei. Dafür werden Sie über den “Sieger” überrascht sein.

Das Wichtigste zum Schluss: Vanessa Hudgens wurde von Disney gefeuert. Oder auch nicht. Oder doch. Oder auch nicht.

Mary-Kate Olsen spielt in der dritten Staffel der großartigen TV-Serie “Weeds” mit. Ihre erste große Szene kann man sich hier ansehen.

Speaking of which: Ich habe mir am Samstag allen Ernstes beide Teile von “High School Musical” auf Pro Sieben angesehen, um diese popkulturelle Bildungslücke zu schließen. Ob ich darüber jemals mehr als diese Zeilen hier tippen werde, weiß ich aber noch nicht.

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Rundfunk Digital Gesellschaft

Wo die Maus die Locken hat

Ich bin der Meinung, wir hatten diese Woche noch nicht genug Pubertäts- und Nackedeicontent. Das lässt sich aber ganz schnell ändern:

Letzten Freitag veröffentlichte “Spiegel Online” einen Artikel unter der Überschrift “Wirbel um Vanessa Hudgens: Die Teeniestars und das sehr private Foto”. Wirbel um mir persönlich völlig unbekannte Menschen finde ich immer interessant und so erfuhr ich, dass Vanessa Hudgens in dem popkulturellen Ereignis unserer Zeit mitgespielt hat, das völlig an mir vorbeigegangen ist: “High School Musical”. Der “Wirbel” um das “sehr private Foto” bestand darin, dass im Internet ein Foto aufgetaucht war, das die 18jährige Schauspielerin unbekleidet zeigt. Eine Situation, die einer nicht gerade geringen Zahl ihrer (nicht prominenten) Altersgenossinnen ebenfalls drohen könnte.

Nun ist es ja sowieso schon mal ein interessanter Ansatz, über einen “US-Shootingstar” zu berichten, der 98% der eigenen Zielgruppe völlig unbekannt sein dürfte. Noch cleverer ist natürlich, im Internet über Nacktfotos im Internet zu berichten – man muss die Bilder ja nicht mal zeigen oder verlinken, die Leser werden sie schon von ganz alleine finden. Und siehe da: Jo, es gibt ein Nacktfoto, man kann es an vielen Orten finden und es ist, um es vorsichtig auszudrücken: unspektakulär. In Deutschland findet man das in jedem Biologiebuch der achten Klasse und jede Woche in der “Bravo”, in den USA halt eher nur auf den Festplatten von Teenagern und irgendwann dann halt im Internet.1

Man kann den sonst ausschlachtungswütigen US-Medien noch nicht mal vorwerfen, sie hätten sonderlich aufbrausend über den Fall berichtet. Miss Hudgens entschuldigte sich für den Vorfall (bzw. dafür, die Bilder je angefertigt zu haben) und auch als das Gerücht die Runde machte, sie habe diese oder ähnliche Bilder vor ein paar Jahren per E-Mail an den (in Deutschland nun völlig unbekannten) Nickelodeon-Star Drake Bell geschickt, sagt der Disney Channel in einer Erklärung nur:

“Vanessa has apologized for what was obviously a lapse in judgment. We hope she’s learned a valuable lesson.”

“Spiegel Online”, denen die Geschichte wirklich am … äh: Herzen liegen muss, schrieb gestern dann:

Sollte Hudgens ihre Rolle weiter spielen dürfen, könnte das Saubermann-Image des Konzerns Schaden nehmen. Schließlich könnten, so spekuliert das Blatt, weitere ähnliche Bilder auftauchen. Die Alternative wäre, die Aktrice aus der Show zu werfen. Doch dann müssten Millionen Eltern in ganz Amerika ihren Kindern erklären, warum ihr Liebling nicht mehr im dritten Film mitspielt – und das könnte für Disney ein noch größeres Desaster werden.

Es scheint also zumindest so, dass Disney die Zugkraft von Vanessa Hudgens für das franchise höher einschätzt als die “verstörende Wirkung” der Bilder. Das findet nicht nur der Blogger McCafferty bemerkenswert:

With that, an enormous scandal simply evaporated. Disney responded in a mature and adult manner, and the rest of Hollywood said, “Oh…”

I just do not get it! Hollywood executives behaving in a completely civilized way. What is our world coming to?

If this type of behavior were to continue, who knows what else might happen or might have happened? Imagine George Bush in 2002-2003 telling the nation that he really wanted to invade Iraq, but his inspectors were not able to find weapons of mass destruction. Would George really have said, “Let’s avoid a blood bath and spend our time fighting the real war on terror.”

Nun kann man hinter der ganzen Aktion natürlich einen geschickten PR-Schachzug vermuten, denn immerhin kennen Sie und ich nun Vanessa Hudgens (möglicherweise sogar besser, als uns lieb ist). Andererseits dürfte der derzeitige Ausgang der Geschichte so kaum zu erwarten und das Risiko deshalb enorm gewesen sein.

Die Elternverbände, die jetzt vielleicht noch ein bisschen randalieren werden, fallen unter die Rubrik “Brauchtum” und ihre Mitglieder wären besser beraten, ihren eigenen Kindern ein paar Grundregeln in Sachen E-Mail-Versand von Fotos beizubringen.

Und falls Disney sie doch noch rausschmeißt: Vanessa Hudgens soll ein Angebot über 500.000$ von “Girls Gone Wild” vorliegen.

1 Das Phänomen einer wachsenden Zahl junger Leute, die Halbnackt- oder Nacktbilder von sich selbst ins Internet stellen, werde ich zu einem späteren Zeitpunkt zu behandeln versuchen.

Nachtrag 14. September: “Spiegel Online” hat an dem Thema wirklich einen Nackten Narren gefressen und bringt heute schon die dritte Meldung über Vanessa Hudgens: Sie habe ihren Auftritt in der Tonight Show mit Jay Leno abgesagt.

Der Text kulminiert in diesem Absatz:

Hudgens ist bereits die zweite Jungschauspielerin, die in der jüngsten Vergangenheit dem TV-Talker Jay Leno einen Korb gegeben hat. Erst im Juli hatte sich Lindsay Lohan nach einer Trunkenheitsfahrt geweigert,
bei Leno aufzutreten (mehr…).

Der arme Jay Leno …