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Rundfunk

Cinema And Beer: Die Folge für 2020

Seit 2012 machen Tom Thelen und Lukas Heinser „Cinema And Beer“: Erst gehen sie ins Kino, dann in eine Kneipe, um beim Bier über das gerade Gesehene zu sprechen. Jedes Jahr gab es mindestens eine Folge dieses Erfolgspodcasts — dann kam 2020 …

… und sie nahmen trotzdem eine auf! Ohne Kino, ohne Bier, aber mit jeder Menge Empfehlungen für Zeugs, was man während der Feiertage und des Lockdowns so bingen kann. „Zwei weiße Dudes reden über Serien — Der Podcast“! Unser Weihnachtsgeschenk für Euch!

Shownotes:

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Rundfunk Politik Gesellschaft

Germany’s Next Topvictim

Sie wollen sich nicht an Corona-Schutzmaßnahmen halten, glauben an Verschwörungstheorien und vergleichen sich mit Opfern des Nationalsozialismus: Mit den sog. „Querdenkern“ stimmt eine ganze Menge nicht.

Aber ist es klug, ihren wirren Ansichten so viel Aufmerksamkeit zu schenken? Warum wird eigentlich immer die NS-Zeit zu haarsträubenden Vergleichen herangezogen? Und was wären Vergleiche, die ein bisschen mehr Sinn ergeben? Ein paar Ideen dazu gibt es hier im Video:

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Film Rundfunk Musik

Ein bisschen Schwachsinn

Okay, fangen wir mit den wichtigen Fakten an: Die Sprecherkabine, in der Graham Norton sitzt und seine Graham-Norton-Kommentare abgibt, ist viel zu groß. Und zu hell. Und er scheint gar nicht zu frieren — aber vielleicht hat er auch einfach seinen Rucksack vor die Lüftung gestellt, so wie wir es alle machen, um keine Erkältung zu bekommen.

Seit 2013 sitze ich beim Eurovision Song Contest neben dem deutschen Kommentator Peter Urban und das bedeutet, dass wir sechs Tage in einer kleinen, kalten Kabine verbringen, die auf einem wackligen Gerüst in einer großen, dunklen Halle in einer ansonsten sicherlich sehr sehenswerten Stadt steht. Peter macht das seit 1997, Graham Norton seit 2009 — und er tut dies auch in „Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga“, dem allerersten Spielfilm, der sich mit dem europäischen Gesangswettbewerb beschäftigt — und von Amerikanern für den amerikanischen Streamingdienst Netflix produziert wurde.

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Will Ferrell spielt Lars Erickssong, einen isländischen Musiker, der seit früher Kindheit (genauer: seit dem Sieg von ABBA 1974 in Brighton) davon träumt, den Eurovision Song Contest zu gewinnen. Sein Vater Erick (Pierce Brosnan), ein handfester isländischer Fischer, hält davon wenig und das heimische Publikum will von Lars und seiner Band Fire Saga, die im wesentlichen aus ihm und seiner Kindheitsfreundin Sigrit (Rachel McAdams) besteht, immer nur die gleichen isländischen Trinklieder hören. Durch eine Verkettung eher unglücklicher Umstände passiert es aber, dass Fire Saga für Island am ESC teilnehmen, und wer im Leben mehr als einen Film gesehen hat, weiß, dass es exakt zwei Möglichkeiten geben kann, wie das Ganze endet (Spoiler Alert: es ist die eine, nicht die andere).

Der Plot dieser Komödie passt auf ein Stück Goldkonfetti, wie es am Ende jedes Song Contests von der Hallendecke regnet. Der ESC ist in dieser Geschichte aber nicht nur der Hintergrund, vor dem sich die Handlung entfaltet, sondern – der Titel deutet es schon an – auch der Mittelpunkt. Die echte Überraschung, wenn sich Amerikaner eines so europäischen Themas annehmen, dem selbst hier mit einer sehr speziellen Mischung aus heiligem Ernst und Ironie begegnet wird: es funktioniert!

Denn streng genommen sollte es ja unmöglich sein, sich über eine Veranstaltung lustig zu machen, bei der niemand weiß, wie augenzwinkernd Windmaschinen, Trickkleider und Vier-Quadratmeter-Eislaufbahnen, die die gerade vorgetragenen Kompositionen wahlweise unterstützen oder von ihnen ablenken sollen, eigentlich genau gemeint sind, ohne sich die ganze Zeit über diesen vermeintlichen Schwachsinn und jene, die ihn lieben, zu erheben. Schweden hat es 2016 mit dem Interval Act „Love, Love, Peace, Peace“ (übrigens geschrieben von unserem Kommentatoren-Kollegen Edward af Sillén) in viereinhalb Minuten vorgemacht, „Eurovision“ schließt dort in zwei Stunden an, in denen wenig anderes passiert als dass ESC ist.

Dan Stevens als Alexander Lemtov in "Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga"

Bei einer Party, die der leicht überkandidelte (im Vergleich zu echten ESC-Kandidaten dann aber doch eher bodenständig wirkende) russische Teilnehmer schmeißt, hüpfen gleich zehn ESC-Alumni durchs Bild und singen mit dem Film-Cast ein Medley, in dem von „Waterloo“ bis zu Chers „Believe“ alles abgefeuert wird, was die Camp-Kanone hergibt. Die Charaktere, die eigentlich auch kaum mehr sind als Skizzen für Karikaturen, sind alle erstaunlich liebenswert und man merkt ihren Darsteller*innen an, wie viel Spaß sie bei diesem quatschigen Projekt hatten. (Demi Lovato muss nicht viel mehr tun als zu singen, aber wer beim Super Bowl mit der Nationalhymne von der Halbzeitshow ablenken kann, füllt auch knapp zwei Minuten Screentime maximal aus.) Will Ferrell, der auch die Idee zu dem Film hatte und gemeinsam mit Andrew Steele das Drehbuch geschrieben hat, trägt für seine Rolle eine angegraute blonde Lockenperrücke, weswegen sich für das deutsche Publikum eine verwirrende Meta-Ebene ergibt, auf der Thomas Gottschalk seine Drohung von 2001, am ESC teilnehmen zu wollen, doch noch wahr gemacht hat.

Die einzelnen Songs und Inszenierungen, die im Film fast ein bisschen zu kurz kommen, sind erschütternd authentisch: Von Fire Sagas „Double Trouble“ bis zum über-sexualisierten „Lion Of Love“ (Russland) ist alles exakt so beim ESC vorstellbar. Die Netflix-Crew hat sogar beim letztjährigen Grand Prix in Tel Aviv in der echten Halle gedreht — nicht gerade zur Freude der tatsächlichen Delegationen aus den Teilnehmerländern, deren Zeitplan durch Sonderproben für Madonnas schließlich überaus unterwältigenden Gast-Auftritt sowieso schon arg eingedampft war. Und selbst einige Sätze, die bei internen Meetings und nach den Proben fallen, sind schmerzhaft nah dran an dem, was man dort so hört oder selbst sagt. Echte ESC-Fans werden natürlich anmerken, dass manche Details wie etwa die Punktevergabe im Halbfinale (also bitte!?) falsch wiedergegeben werden, aber dann passiert schon wieder etwas, was so liebevoll-absurd ist, dass zumindest einige Anhänger darüber hinwegsehen dürften.

Will Ferrell und Rachel McAdams in "Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga"

„Eurovision“, entstanden in enger Zusammenarbeit mit der European Broadcasting Union, dem Veranstalter des echten ESC seit 1956, ist eine Mischung aus „This is Spinal Tap“ und „Hilfe, die Amis kommen“ mit einem Hauch von „Little Miss Sunshine“. Beim amerikanischen Publikum könnte er daran scheitern, dass die Veranstaltung, um die er kreist, weitgehend unbekannt ist und vollkommen unrealistisch erscheint. Eigentlich gedacht als Begleitprogramm für den echten Song Contest, dessen Rechte Netflix für die USA erworben hat, ist der Film nach der Corona-bedingten Absage des ESC 2020 in Rotterdam aber ein charmanter Ersatz für jene Millionen Menschen, die sich das Event jedes Jahr anschauen. Und nächstes Jahr gibt es die Windmaschinen und Trickkleider dann wieder bei echten Auftritten!

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Gesellschaft Rundfunk

Lucky & Fred, Episode 35

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Am Abend des 24. Januar 2020 versammelten sich 80.000 Menschen im Dortmunder Westfalenstadion, obwohl sie genauso gut ins nahe gelegene Fletch Bizzel hätten gehen können, um Lucky und Fred bei ihren unterhaltsamen Ausführungen zuzuhören.

Im Publikum finden sich trotzdem genug Motorrad fahrende Omas, die sich aber nicht so recht über öffentlich-rechtliche Satire empören wollen. Wir erklären, wie man ein „Unwort des Jahres“ baut, Fred geht der „extralegalen Tötung“ auf den Grund, Lucky hält ein Solo-Referat über den „Megxit“ und wir verraten endlich, wer dringend ins Dschungelcamp gehört!

Außerdem sprechen wir über rechte und linke Gewalt, Organspendeausweise, Freds Karriere in Hollywood, Luckys beim ESC, loben eine originelle Angelobung und landen irgendwie immer wieder bei „Bild“.

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Shownotes:

Karten für die nächsten Liveshows:
17. Februar, Berlin
27. März, Dortmund

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Rundfunk Politik Gesellschaft

Lucky & Fred: Episode 25

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In der klassischen Saure-Gurken-Zeit wollen auch sie keine Bockwurst: Lucky & Fred graben sich ein Sommerloch, in dem sie Alu- und Schlandhüte verbuddeln wollen. Vielleicht wird ihnen das ja als Freiwilliges Soziales Jahr angerechnet.

Ansonsten geht es viel um Flughäfen und TV-Unterhaltung und ganz besonders um eine jüngst verstorbene Legende, die Fred einst am Flughafen … Aber hören Sie selbst!

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Shownotes:

“Lucky & Fred” als RSS-Feed
“Lucky & Fred” bei iTunes
“Lucky & Fred” bei Facebook

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Musik Rundfunk

Peter Urban FAQ

Heute Abend ist es wieder soweit: Mit der Ausstrahlung des 1. Halbfinals (21 Uhr, One) beginnt auch im Fernsehen der Eurovision Song Contest 2018.

Der Blick aus der deutschen Sprecherkabine beim ESC 2018.

Ich sitze jetzt das sechste Jahr in Folge neben Peter Urban in der deutschen Sprecherkabine und assistiere ihm bei den Vorbereitungen und während der Sendung. Und weil in den letzten Jahren auf den diversen Social-Media-Plattformen verschiedene Fragen immer wieder gestellt wurden, habe ich diese einfach mal gesammelt und beantwortet.

Good evening, Europe! Here are the results for the Peter Urban FAQ:

Was macht Peter Urban den Rest des Jahres?
Er moderiert die Musiksendung “NDR 2 Soundcheck — Die Peter-Urban Show” und hat als pensionierter Redakteur viel Tagesfreizeit

Wann geht Peter Urban in Rente?
Am 26. Juni 2013 wurde Peter beim NDR offiziell in den Ruhestand verabschiedet. Seitdem ist er als freier Mitarbeiter weiter für den Sender tätig, moderiert seine Radiosendungen und kommentiert den ESC.

Was weiß Peter Urban überhaupt von Musik?
Nun: Er hat seine Doktorarbeit über Texte in der Rockmusik verfasst (“Rollende Worte – Die Poesie des Rock”, Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt, 1979), arbeitet seit mehr als 50 Jahren als Musikjournalist und spielt seit 40 Jahren in der Band Bad News Reunion.

Liest Peter Urban auf Twitter mit?
Nein. Während der Show hat er für sowas gar keine Zeit. Allerdings twittere ich auf meinem Account live aus der deutschen Sprecherkabine und werfe dabei auch ein Auge auf andere Tweets.
Wenn Peter Urban etwas Ähnliches sagt, wie gerade jemand auf Twitter geschrieben hat, ist das Zufall: manche Kommentare sind eben naheliegend, Peters sind aber schon Stunden vor der Liveshow aufgeschrieben.

Hat Peter Urban einen Twitter-Account?
Jahrelang musste ich diese Frage mit “Nein” beantworten, aber seit ein paar Wochen ist es endlich soweit: Peter Urban twittert! Und er ist auf Instagram! (Allerdings ist er während der Shows natürlich beschäftigt.)

Nachtrag, 10. Mai:

Kann Peter Urban nicht mal die Klappe halten?
Was ist das denn für ‘ne Frage? Aber wenn Sie die Sendungen ohne Kommentar verfolgen wollen, können Sie das z.B. auf eurovision.de oder eurovision.tv tun. (Ja, das ist schwer zu finden, so versteckt auf den offiziellen Webseiten, aber: Entschuldigung, Sie sind doch hier im Internet!)

Was macht Peter Urban an den anderen 364 Tagen im Jahr?
s.o.
Allerdings ist Peter beim ESC auch länger als einen Tag im Einsatz: Es gibt alleine drei Liveshows, zu denen es jeweils auch einen Tag voller Proben gibt. Und dann reist Peter schon früher mit der deutschen Delegation an, um die Proben des deutschen Acts (wiederum an zwei Tagen) zu sehen und Pressetermine wahrzunehmen.

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Musik Rundfunk Leben

Wenn wir wirklich Freunde wären

Damit war nicht zu rechnen gewesen: Heute ist der 20. Jahrestag der legendären Tic-Tac-Toe-Pressekonferenz und weder “Spiegel Online” (wahlweise bei “Eines Tages” oder “Bento”) noch Bild.de oder “Buzzfeed” berichten darüber. Einzig die “Goslarsche Zeitung” erinnert in ihrem “Kalenderblatt” an den denkwürdigen Versuch, eine zerstrittene Girlband auf offener Bühne vor der versammelten WeltPresse zu versöhnen — ein Versuch, der grandios scheiterte, weil sich die drei Mitglieder am Ende beschimpften und teilweise weinend das Podium verließen.

[Anschwellende Musik, Guido-Knopp-Bedeutungsbrummen]

Eine Pressekonferenz, die sich aber so ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt hat, dass sie auch 20 Jahre später noch als Referenz taugt — sogar, wenn es um eine gescheiterte Regierungsbildung geht.

[flottes 90er-Musikbett]

An dieser Stelle ein kurzes “Hallo!” an unsere fünf Leser unter 25: Tic Tac Toe waren eine dreiköpfige Girlgroup aus dem östlichen Ruhrgebiet, die mit Songs wie “Ich find’ Dich scheiße”, “Verpiss Dich” oder “Warum?” nicht nur beachtliche Erfolge feierte, sondern auch die Grenzen dessen, was man im Radio und Fernsehen “sagen durfte”, ausloteten und verschoben. Bei ihrem Kometenhaften Aufstieg [hier Schnittbilder Viva-Comet-Verleihung einfügen] wurde das Trio allerdings immer wieder von der Boulevardpresse und entsprechenden “Skandalen” begleitet.

In der Wikipedia heißt es dazu:

Zunächst kam heraus, dass die Altersangaben der drei Sängerinnen von Tic Tac Toe von der Plattenfirma den Sängerinnen ein jüngeres Alter bescheinigten; beispielsweise war Lee bereits 22 Jahre alt, obwohl sie – laut Plattenfirma – 18 Jahre alt gewesen sein soll. Medial großes Aufsehen erlangte die Band, als Lees damaliger Ehemann nach Beziehungsproblemen Suizid beging. Eine Woche später wurde bekannt, dass Lee kurzzeitig als Prostituierte gearbeitet hatte, um mit dem Geld Drogen zu finanzieren.

Und dann, am 21. November 1997 lud die Plattenfirma der Band, Ariola, in München zu einer Pressekonferenz, von der sie sich nach internen Querelen Signalwirkung erhofft hatte: Einigkeit, nach vorne schauen, der Aufbruch zu weiteren Erfolgen.

[Das Bild friert ein, wird schwarz/weiß, heranzoomen]

Doch dann kam alles ganz anders.

Die Pressekonferenz ist legendär, aber bei YouTube oder anderswo nicht aufzufinden (dort stößt man aber auf kaum weniger bizarre Medienberichte zur Band). Auch spätere O-Töne von Thomas M. Stein, als Chef der Ariola gleichsam Gastgeber der verunfallten PR-Aktion und einer breiten Öffentlichkeit später bekannt geworden als Juror der ersten beiden Staffeln von “Deutschland sucht den Superstar”, in denen er sich über den Hergang der Ereignisse äußert, haben es nicht ins kollektive popkulturelle Archiv geschafft. Die in der Wikipedia aufgestellte Behauptung, “Diese Aktion wurde am Abend in der Tagesschau thematisiert”, lässt sich zumindest für die 20-Uhr-Ausgabe nicht belegen.

Immerhin gibt es aber ein Transkript, das sich auf die in diesem Fall denkbar seriöseste Quelle stützt, die “Bravo”

Aber auch wenn sich heute kein großer Jubiläumsbericht auftreiben lässt, wird die Pressekonferenz mit ihren zu geflügelten Worten geronnenen Zitaten (“Wenn wir wirklich Freunde wären, dann würdest du so’n Scheiß überhaupt nicht machen!”, “Boah, ihr könnt echt gut lügen!”, “Jetzt kommen wieder die Tränen auf Knopfdruck.”) noch regelmäßig hervorgekramt: Wenn die AfD eine Pressekonferenz abhält, wenn sich der Schlagersänger Roberto Blanco und seine Tochter Patricia auf der Frankfurter Buchmesse streiten (eine Meldung, die man sich jetzt auch eher nicht hätte ausdenken können oder wollen), wann auch immer sich ein “Was machen eigentlich …?” anbietet (außer natürlich heute).

Als Fachmagazin für Listen, bevor jeder Depp Listen veröffentlicht hat wollen wir es uns bei Coffee And TV aber natürlich nicht nehmen lassen, die Tic-Tac-Toe-Pressekonferenz in den Gesamtkontext des Konzepts “Pressekonferenz” in Deutschland einzuordnen.

Also, bitte: Die sieben legendärsten deutschen Pressekonferenzen!

7. Gertjan Verbeek, 21.09.2015

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6. Karl-Theodor zu Guttenberg, 18.02.2011

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5. Christoph Daum, 09.10.2000/12.01.2001

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4. Tic Tac Toe, 21.11.1997

3. Uwe Barschel, 18.09.1987

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2. Giovanni Trappatoni, 10.03.1998

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1. Günter Schabowski, 09.11.1989

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Film Rundfunk Politik

Abgang nach Maas

Sie haben es vermutlich schon mitbekommen: Alice Weidel, Spitzenkandidatin einer Partei, die sich “Alternative für Deutschland” nennt, hat gestern eine Polit-Talkshow im ZDF verlassen:

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Dieser Abgang ist historisch. Nicht, weil er irgendeinen berechtigten Anlass gehabt hätte; auch nicht, weil er heute wieder für ganz viele Schlagzeilen und Fragen wie “Spielen wir das Spiel der AfD mit, wenn wir darüber diskutieren?” gesorgt hat. Sondern, weil Weidels Empörung so unglaublich unglaubwürdig war.

Sie wirkte wie eine Oberstufenschülerin, die keinen Bock hat, Teil der Abizeitungs-AG zu sein, aber aus Gründen ihrer sozialen Stellung innerhalb der Stufe das nicht einfach zugeben kann, und deswegen verzweifelt versucht, irgendeinen Grund zu finden, Papiere in die Luft zu werfen und kopfschüttelnd den Oberstufenraum zu verlassen, um dann anschließend melodramatisch augenrollend in der Raucherecke an ihrer Zigarette zu ziehen.

Kommen wir deshalb nun zu unserer neuen Rubrik “Menschen, die bessere Schauspieler sind als Alice Weidel”. Die Liste umfasst rund 7,1 Milliarden Menschen, deswegen hier nur die fünf Erstplatzierten:

5. Til Schweiger

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4. Donald Trump

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3. Pepe

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2. Cristiano Ronaldo

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1. Berti Vogts

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Rundfunk Digital Gesellschaft

Katastrophenjournalismus-Mäander

Ich war ein etwas merkwürdiges Kind und legte schon früh eine gewisse Obsession für Journalismus an den Tag, besonders in Katastrophensituationen: als in meinem Heimatdorf ein Gasthaus abbrannte, schnitt mein siebenjähriges Ich in den nächsten Tagen alle Artikel darüber aus der Zeitung aus und editierte sie neu zusammen, um sie in einer von mir selbst moderierten Nachrichtensendung (Zuschauer: meine Stofftiere) zu verlesen.

Mit acht sammelte ich in Zeitungen und Radio alle Informationen über einen Flugzeugabsturz in Amsterdam, derer ich habhaft werden konnte. Nach dem Absturz eines Bundeswehrhubschraubers ((Die Typenbezeichnung Bell UH-1D könnte ich Ihnen ohne nachzudenken nennen, wenn Sie mich nachts um vier aus dem Bett klingelten — was Sie aber bitte in unser beider Interesse unterlassen!)) bei der Jugendmesse “YOU” in Dortmund, nach dem Unfalltod von Prinzessin Diana, nach dem ICE-Unfall von Eschede schaltete ich Fernseher und Videotext ein und wechselte jede halbe Stunde zum Radio, um aus den dortigen Nachrichten mögliche neue Entwicklungen zu entnehmen und – ich wünschte wirklich, ich dächte mir das aus – zu notieren: Soundso viele Tote, Ursache noch unklar, drückte den Hinterbliebenen an der Unfallstelle sein Mitgefühl aus. Den 11. September 2001 verbrachte ich kniend auf dem Wohnzimmerteppich meiner Eltern vor dem Fernseher, am 7. Juli 2005 verließ ich mein Wohnheimszimmer nicht.

Dann wurden im August 2006 in Großbritannien zahlreiche Verdächtige festgenommen, die Anschläge auf Passagiermaschinen geplant haben sollten, und nach etwa einer halben Stunde CNN und BBC schaltete ich den Fernseher aus, ging raus und dachte “Was’n Scheiß!”

Ziemlich exakt seit es mir technisch möglich wäre, mich in Echtzeit selbst über Ereignisse zu informieren, noch während sie passieren, wünsche ich mir, darüber im Geschichtsbuch lesen zu können. Mit allen Erkenntnissen, die im Laufe der Jahre gewachsen sind, mit historischer Einordnung und in genau dem Umfang, der ihnen angemessen ist: Doppelseite, halbe Seite, kleiner Kasten, Fußnote.

***

Als ich am vergangenen Freitag die erste Meldung bekam, dass sich in München irgendwas schlimmes ereignet habe, ((Bizarrerweise per Push-Benachrichtigung der BBC-App.)) guckte ich kurz bei Facebook Live und Periscope rein, weil ich ja manchmal auch für aktuelle Informationssendungen arbeite und mir diese Technik mal aus einer professionellen Perspektive ansehen wollte. Ich sah also verwackelte Videobilder, auf denen Menschen mit erhobenen Händen in Richtung von Polizeiautos rannten, und die von einem Mann mit bayrischen Akzent mit anhaltendem “krass, krass” kommentiert wurden. Die Wörter “München”, “Olympia”, “Schüsse” und “Kamera” bildeten in meinem Kopf eine Linie und ich dachte, dass man so Scheiße wie 1972, als die Geiselnehmer dank Live-Fernsehen permanent über die Aktionen der Polizei informiert waren, ja ruhig 44 Jahre später mit Mitteln für den Heimanwender noch mal wiederholen kann. Ich erbrach mich kurz bei Twitter und tat dann das Einzige, was mir an einem solchen Tag noch sinnvoll und sachdienlich erschien: ich ging in die Küche und machte Marmorkuchen und Nudelsalat für einen Kindergeburtstag.

***

Der Begriff des “Zeugen” ist in erster Linie ein juristischer. Zeugen haben von den Strafverfolgungsbehörden (und dort von möglichst geschultem Personal) gehört zu werden und sollten nach Möglichkeit nicht vor laufende Kameras gezerrt werden. Schon bei einem harmlosen Verkehrsunfall kann man die widersprüchlichsten Informationen zusammensammeln, bei einer unübersichtlichen Gefährdungslage dürfte die Chance, tatsächlichen Mehrwert zu generieren (der sich anschließend inhaltlich auch noch als zutreffend erweist), genauso groß sein wie wenn der Moderator im Studio einfach mal rät, was passiert sein könnte.

Zu den Leuten, die nach bestem Wissen und Gewissen ausplaudern, was sie gesehen und gehört zu glauben haben, kommen natürlich noch die Idioten hinzu, die sich irgendwas ausdenken, um auf Twitter oder Facebook geteilt zu werden — oder weil es sich ja zufällig als treffend erweisen könnte.

Auf einem der Periscope-Videos aus München sah ich Dutzende Menschen, die alle ihre Handys in Richtung eines nicht näher einzuordnenden Ortes richteten, den ich jetzt einfach mal als “potentielle Gefahrenquelle” bezeichnen würde. Die Geiselnehmer von Gladbeck müssten heute nicht mal mehr warten, dass “Hans Meiser, deutsches Fernsehen” bei ihnen anruft oder der spätere “Bild”-Chefredakteur Udo Röbel zu ihnen ins Auto steigt.

Neben all dem findet man in den Sozialen Netzwerken natürlich auch die Besserwisser: ((Zu denen ich in der Blüte der Arroganz von Jugend und Internetglauben auch gehört habe.)) das Fernsehen soll mehr berichten, das Fernsehen soll weniger berichten, die Politiker sollen sich gefälligst jetzt äußern. Fast würde man diesen Leuten ein “Macht’s besser!”, entgegen schreien wollen, wenn man nicht davon ausgehen müsste, dass sie schon im Glauben sind, auf ihren Profilen genau das zu tun.

***

Während etwas geschieht, ist man in aller Regel nicht in der Lage, die Dimension dieses Ereignisses auch einzuschätzen. Das gilt für die erste Begegnung mit der späteren großen Liebe genauso wie für Nachrichten. Es hat sich mir förmlich ins Hirn gebrannt, wie ich mit fünf Jahren versehentlich eine Ausgabe der “Aktuellen Stunde” mitkriegte, die vom Absturz eines US-Kampfflugzeugs in einer Stadt namens Remscheid berichtete. ((Note to self: Niemals Nachrichten gucken, wenn das Kind in der Nähe ist.)) Die Worte “Flugzeugabsturz” und “Remscheid” sind für mich seitdem untrennbar semantisch miteinander verbunden, obwohl ich bis heute nicht sagen könnte, wo Remscheid liegt. ((An der A1 zwischen Wuppertal und Köln, aber was weiß ich, wo die A1 lang führt — und wo zum Henker liegt überhaupt Wuppertal, außer halt südlich des Ruhrgebiets?)) Die allermeisten Menschen, die diese Nachricht damals zur Kenntnis genommen haben und nicht direkt von dem Absturz betroffen waren, dürften sie komplett vergessen haben — die damaligen Moderatoren der “Aktuellen Stunde” inklusive. Für die Stadt Remscheid dürfte der Tag eine deutlich größere Bedeutung haben als für die US Air Force. Und allein die Tatsache, dass ich die Fakten dazu jetzt ganz schnell nachschlagen konnte, gibt dem Unglück ja eine gewisse Wertung: Es ist nicht auszuschließen, dass am gleichen Tag auf den Straßen in NRW mehr Todesopfer bei Autounfällen zu beklagen waren – Anfang Dezember, vielleicht Blitzeis? – als die sieben beim Flugzeugabsturz, aber dazu gibt es halt keinen Wikipedia-Eintrag.

***

Als ich noch relativ klein war, lief ein psychisch kranker Mann mit einer Schusswaffe durch die Dinslakener Innenstadt, schoss auf Polizisten und erschoss sich am Ende in einer Garage. Jedenfalls ist es das, woran ich mich sehr dunkel – und ausschließlich auf Erzählungen meiner Mutter an jenem Tag basierend – erinnere. Ich bilde mir ein, dass es im Herbst 1991 gewesen sein müsste, aber ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung — um das ganze irgendwie verifizieren zu können, müsste ich nach Dinslaken fahren und in den Archiven der Lokalredaktionen von “NRZ” und “Rheinischer Post” meterweise Mikrofilm sichten. Angeblich war auch das Fernsehen vor Ort, vielleicht fände ich etwas im Keller von RTL West.

Nur zehn Jahre später hätte dieses Ereignis zumindest ein paar Artikel in Online-Medien nach sich gezogen, die ich jetzt ergoogeln könnte. Zwanzig Jahre später hätte es vermutlich schon so viel Social-Media-Buzz erzeugt, dass man die Entwicklungen auch in einer fernen Zukunft noch minutengenau nachvollziehen könnte — oder halt beim Nachlesen genauso ahnungslos ist, als wäre man selbst dabei. Und in dieser Woche wäre es nicht unter einem “Brennpunkt” und einer Solidaritätsadresse mindestens eines ausländischen Spitzenpolitikers auf Twitter passiert. Der örtliche Polizeipressesprecher hätte sich auch andere Fragen anhören müssen.

***

Schon seit einigen Jahren erwähnt Barack Obama, wenn er wieder mal mit zitternder Unterlippe ein Statement zu einer Massenschießerei in den USA abgeben muss, dass er bereits zu viele Statements zu einer Massenschießerei in den USA abgegeben habe.

Nun bin ich – Gott sei Dank – nicht der US-Präsident und glaube auch nicht, dass es irgendwelche größeren Auswirkungen hat, wenn ich hier meine Meinungen zu Medienberichten nach schrecklichen Ereignissen veröffentliche, aber auch ich habe schon viel zu oft meine Meinung zu Medienberichten nach schrecklichen Ereignissen veröffentlicht:

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Rundfunk Gesellschaft

Über Humor

Da war ja jetzt auch nicht unbedingt mit zu rechnen gewesen, dass Geisteswissenschaften in Deutschland doch noch zum Mainstream-Thema werden. Aber in einem Land mit 80 Millionen Bundestrainern und 80 Millionen Anti-Terror-Experten ist natürlich auch noch Platz für 80 Millionen Germanisten.

Nach den großen Erfolgen der Proseminarreihe “Remix und Zitat” (vgl. Hegemann, 2010; zu Guttenberg, 2011) und der Übung “Reime sind Schweine: Das politische Gedicht im 21. Jahrhundert” (vgl. Grass, 2012) befinden wir uns bereits seit vorletztem Wintersemester in der Ringvorlesung “Was muss Humor können sein dürfen?” (vgl. Hebdo, 2015), für die wir auch in diesem Jahr wieder mehr Referenten als Zuhörer haben gewinnen können.

Weil nicht der gesamte Stoff klausurrelevant ist, habe ich mir erlaubt, eine kleine Handreichung zusammenzustellen, die nur die zentrale Frage “Was ist eigentlich lustig?” beantwortet:

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Nun, da wir diese Frage geklärt hätten, können Sie den Rest des Tages nutzen, um das Haus zu putzen, mit Ihren Kindern zu spielen, oder ein gutes, trauriges Buch zu lesen!

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Rundfunk Fernsehen

In memoriam Roger Willemsen

Elf Jahre sind nicht das Alter, in dem ich meinen Sohn abendliche Talkshows sehen lassen würde, aber so alt war ich, als “Willemsens Woche” auf Sendung ging, und ich war von Anfang an dabei — warum auch immer. Ich weiß, dass ich an jenem Wochenende bei meiner Oma übernachtet habe und wir die erste Ausgabe gemeinsam gesehen haben. Die meisten weiteren habe ich dann mit meinen Eltern geschaut oder auch alleine. Merkwürdiges Kind, das ich war.

Die Sendung hat wie wenige andere meine Erwartungshaltung an gutes Fernsehen geprägt und ganz stark dazu beigetragen, dass ich auch “was mit Medien” machen wollte. Roger Willemsen hatte Menschen zu Gast, die noch etwas zu erzählen hatten, und er wusste, wie man sie erzählen lässt. Sein Interview mit Helmut Markwort mag man heute eitel oder gar etwas bösartig finden, aber es zeigt, was ein Moderator mit einer Haltung ist, und sollte Standardwerk an Journalistenschulen sein. Nicht minder legendär: Wie Willemsen und Friedrich Küppersbusch, ein Mann, der meine Vorstellung von gutem Fernsehen ebenso mitbestimmt hat und den ich inzwischen meinen Freund nennen darf, die letzte Ausgabe von Friedrichs ARD-Magazin “Privatfernsehen” so lange eigenmächtig verlängerten, bis die zentrale Sendeleitung entnervt den Stecker zog.

Ich bin Roger Willemsen zwei Mal bei der Aufzeichnung seiner (natürlich auch nicht sehr erfolgreichen) WDR-Sendung “Nachtkultur” begegnet (Anlässe, bei denen ich auf Wim Wenders und Tom Tykwer traf — die ganz normale Freizeitbeschäftigung 16-jähriger Adoleszenten) und habe ein paar Mal mit ihm gemailt. Einmal ging es um einen Beitrag fürs BILDblog, einmal um den sehr komplizierten und heute nur noch schwer nachvollziehbaren Vorgang der Pressestelle der Stadt Dinslaken, die es irgendwie geschafft hatte, O-Töne von Willemsen, Jörg Kachelmann, Stefan Niggemeier und mir zu einem Potpourri der Kleinstadt-PR zu remixen (fragen Sie nicht).

Es endete jedenfalls mit diesem Kommentar Willemsens in Stefans Blog:

Wissen Sie, ich bin erleichtert, dass es jetzt raus ist. Schon jahrelang laufe ich mit der Schuld durch die Welt, Sandra Schwarzhaupt gefragt zu haben, warum sie in NY und nicht in Dinslaken wohne. Dieser unreife und ehrabschneidende Kommentar zum Weltzentrum der Selbstironie hat mit freier Meinungsäußerung nichts zu tun, er ist schädlich und dumm, bietet er doch der Pressestelle der Stadt Dinslaken die feige Möglichkeit, sich zu blamieren. Es soll wieder vorkommen.

Das Zitat schaffte es 2008 noch einmal in den Jahresrückblick der Lokalausgabe der “Rheinischen Post” und “Es soll wieder vorkommen” ist seitdem fester Bestandteil meines rhetorischen Werkzeugkastens.

Im letzten Jahr hat Roger Willemsen wegen einer Krebserkrankung alle Termine abgesagt. Ich weiß, dass Krebs der “größte Wichser im ganzen Land” (Thees Uhlmann) ist, aber aus der Ferne hatte ich einfach gehofft, dass Roger Willemsen das überstehen werde. In kindlicher Naivität hatte ich mir sogar ausgemalt, dass wir ihn nach seiner Genesung bei Lucky & Fred zu Gast haben würden. Es schmerzt mich, dass dieser egoistische Wunsch jetzt nicht in Erfüllung gehen wird, aber noch mehr schmerzt es mich, dass Roger Willemsen nun im Alter von gerade einmal 60 Jahren gestorben ist. Menschen wie ihn könnten wir dieser Tage mehr denn je gebrauchen.

Erheben Sie sich also bitte mit mir für den (immer noch unfassbar geilen) Titelsong von “Willemsens Woche”:

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Rundfunk Gesellschaft

Chips essen mit Heidi

Nun startete also letzte Woche wieder “Germany’s Next Topmodel” (GNTM), und ich habe mich drauf gefreut. Mir gefällt diese bunte Glitzerwelt, die Ausflüge nach Amerika und in die ganze Welt, schöne Kleider, hübsche Frauen, tolles Make Up, das Umstyling, und selbst Heidi Klum in ihrer Professionalität und ihrer Arbeitsethik finde ich nicht so unsympathisch wie viele andere. Das schlechte Gewissen aber nagt an mir, denn ich frage mich, ob ich mich als Feministin bezeichnen kann und trotzdem Spaß an dieser Sendung haben darf, der ja von vielen unterstellt wird, die absolute Anti-Feminismus-Bewegung zu verkörpern?

Frauen werden zu Objekten, heißt es, und das sei nicht gut, denn sie würden reduziert auf ihre Körper, die sie den herrschenden, von Männerblicken geformten, Normen unterwerfen. Das kann man eigentlich als jemand, der selber eine Frau ist, nicht gut finden, und als sensibler Mann ebenfalls nicht.

Wenn ich nun sage: Aber ich FREUE mich doch für diese Frauen, die so wunderschön sind und sich geschmeidig bewegen und schöne Kleider tragen und von denen tolle Fotos gemacht werden, ich applaudiere ihnen — dann ist das aber immer noch Objektifizierung, und als solche abzulehnen.

Man könnte aber auch sagen: Ich freue mich für andere Frauen, wenn sie toll aussehen, aber dabei bleibe ich nicht stehen. Ich liebe es, wenn meine Freundinnen so viel Zeit für sich haben, dass sie sich die Fingernägel lackieren können oder einen neuen Lippenstift haben, wenn sie toll aussehen, aber dabei bleibt es dann ja nicht stehen. Ich sage ihnen, dass sie toll aussehen, neige aber immer dazu, das als Ausdruck einer inneren Verfassung zu sehen, nämlich, dass es ihnen gut geht. Und ich würde nicht auf die Idee kommen, es bei dieser Objektifizierung zu belassen, denn immer steht ein Mensch dahinter, dem es zu begegnen gilt. Und deswegen glaube ich, dass meine Begeisterung für GNTM nicht einer feministischen Haltung widerspricht.

Aber es gibt ein Problem bei GNTM, das mich wirklich ärgert und mich umtreibt, je älter ich werde und das sich, seit ich das Studium beendet habe und im Beruf stehe, zunehmend verschärft.

Ich arbeite als Lehrerin an einem Gymnasium und habe viele schlaue Schülerinnen und Schüler. Wenn ich sie zu GNTM befrage, geben sie an, die Sendung “schon lange” nicht mehr zu schauen oder höchsten mal ab und zu, keine von meinen Schülerinnen im Leistungskurs zeigt eine Begeisterung für die Sendung, obwohl viele von ihnen daran teilnehmen könnten. Sie wollen aber keine Models werden, sondern Medizin studieren, Mathe und Jura, sie wollen Lehrer werden und Polizistinnen. Na bitte. Das ist natürlich nur ein winziger Mini-Ausschnitt der Gesamt-Realität, aber ich würde wetten, an vielen anderen Gymnasien im Land sieht es genau so aus. Model ist kein Traumberuf, die Sendung ist eine bunte Kulisse, ein Traumland, das wissen die Schülerinnen von heute. Es gilt, weiterhin darüber aufzuklären, aber es ist nicht das pädagogische Hauptproblem der Sendung.

Klassenfahrten sind immer eine gute Gelegenheit, die Schülerinnen und Schüler, die man vormittags unterrichtet, auch mal in anderen Situationen zu erleben, und so saß ich neulich zwischen zweien meiner schönsten und schlauesten 17jährigen Schülerinnen, die sich beim warmen Abendbrot jeweils nur die Gemüse-Beilagen hatten geben lassen. Auf Nachfrage sagte die eine sehr überzeugend: “Ich habe nicht so viel Hunger!” und die andere, im Plauderton: “Wegen low carb — es ist doch besser, abends keine Kohlehydrate zu essen.” Ich bin auf diesem Gebiet nicht besonders bewandert (aber das Konzept ist umstritten), aß schweigend meine Pommes weiter, während die beiden schon wieder über etwas ganz anderes redeten. Die Beiläufigkeit der Low-Carb-Bemerkung zeigte, dass das Thema unter den Schülern ganz normal und altbekannt ist, und die andere Schülerin entwickelte während der ganzen Fahrt keinen großen Hunger und blieb diszipliniert bei ihren Beilagen. Sogar abendliche Chips und Gummibärchen wurden nicht nur von den beiden Mädchen verschmäht, während sie mir Geschichten über eine andere, abwesende Lehrerin erzählten, die „auch“ auf Klassenfahrten immer ganz viele Chips äße (so wie ich).

Es sind sehr kluge junge Frauen, die im Sommer ihr Abitur machen, und sie sind mit einer Sendung wie GNTM groß geworden. 2006, als die erste Staffel lief, waren sie noch Kinder, für sie ist es Normalität, dass es eine Sendung gibt, in der explizit Schönheit, Erfolg und Schlanksein gleichgesetzt werden. Aber das gilt ja nicht nur für GNTM. Auch wenn die Schülerinnen überhaupt nicht Model werden wollen, wissen sie, dass es für eine erfolgreiche Karriere wichtig sein kann, auch optisch zu entsprechen. Dass man in die Standard-Konfektionsgrößen bei h&m passen muss, um eine echte Protagonistin zu sein, um eine Rolle im Leben zu spielen. Dickere Menschen kommen ja nicht nur bei GNTM nicht vor, sondern sind in den Medien generell unterrepräsentiert, und wenn, dann in den Rollen der lustigen Dicken, die man nicht ernst nehmen muss, und deren Gewicht auch meist als problematisch thematisiert wird. Und dann gibt es ja die sogenannten “Plus-Size-Models” (zur Problematik des Begriffs siehe hier), die es dann sogar auf das Cover der “Sports Illustrated” schaffen, was von der Zeitschrift selbst als großer Schritt verkauft, aber dann vom Model selbst als “lächerlich” bezeichnet wird, weil sie nämlich nicht übergewichtig ist (welche Skala man dafür auch immer nehmen will).

Jetzt beginnt also wieder GNTM, es ist 20.39 Uhr und Heidi isst das erste Mal Döner im Bus. Man sieht sie zwei Mal abbeißen, das reicht schon, um subtil zu zeigen, dass sie ganz normal isst. Sieht man Heidi eigentlich auch mal beim Sport?
Eben lief Anabell, 16, durch ein Einkaufscenter, sie ist 1.83 Meter groß und hat ein unglaubliches Gesicht, sie ist gertenschlank, wie schön für sie, und sie trug eine tolle Kette, und ich fand sie SO. SCHÖN.

Heidi Klum fand sie auch schön. Das ist ihr Job.
Sie hat keinen explizit pädagogischen Auftrag, sie befragt nicht die Verhältnisse, auf die sie die Mädchen (scheinbar) vorbereiten will. Ja, die (privaten) Medien erziehen unsere Kinder mit, aber niemand hat sie damit beauftragt, eine Gesellschaft muss es aushalten, dass es eine Wertevielfalt gibt. Das bedeutet auch, dass es Werte gibt, die z.B. ich als Pädagogin nicht vertreten würde. Was Heidi Klum vermittelt, ist Anpassung an alle Anforderungen, und mögen sie noch so absurd sein.
Das ist nichts neues, aber meine Unzufriedenheit damit wächst. Meinetwegen spielt doch allen vor, dass das Modelbusiness aus spannenden Fotoshootings besteht, aus hübschen Klamotten, albernen Werbespots, Reisen um die Welt. Das kann alles Theater sein, das finde ich nicht schlimm (im Gegenteil), da muss Aufklärung geleistet werden, und die Schülerinnen, die ich kenne, sind darüber auch gut informiert.

Aber warum steht diese Welt nur den schlanken Größe 32 Frauen zur Verfügung? Unser Begriff von Schönheit steht in enger Beziehung zu dem, was uns immer und immer wieder als “schön” verkauft wird. Heidi Klum steht jetzt da, wo sie niemand mehr stürzen kann, sie kann machen, was sie will.
Warum unter all den schönen Mädchen nicht mal eine mit Kleidergröße 38, Kleidergröße 40, für den Anfang, und dann darüber hinaus? Einfach mehrere nicht schlanke Mädchen in die Sendung einbauen und das vielleicht nicht mal thematisieren? Und dann essen alle zusammen Döner, Chips, Gummibärchen und Pommes und lachen über den ganzen Quatsch mit dem low carb, weil das Leben kurz ist und es wichtig ist, zu genießen. Zeigen, dass Körper nicht ständig gebändigt werden müssen und im Zaum gehalten durch das Essen von Beilagen, und dass satte und zufriedene Menschen sehr glücklich und damit auch sehr schön und damit auch erfolgreich sein können? (Ich hatte, was das angeht, große Hoffnungen in Guido Maria Kretschmars Sendung “Deutschlands schönste Frau” gesetzt, die aber leider enttäuscht wurden, treffend dargestellt auf sueddeutsche.de.)

Eine Freundin von mir sagte, das würde niemand mehr sehen wollen, wenn auf einmal die Frauen im Fernsehen “echt” wären. Zumindest für mich gilt das nicht. Ich will viele schöne Frauen im Fernsehen sehen, die nicht alle superschlank sind. Ich will nicht, dass mir und meinen Freundinnen und meinen Schülerinnen stets ein Schönheitsideal vorgesetzt wird, dem überhaupt nur 2% aller Menschen entsprechen können.
Ich will nicht, dass meine Schülerinnen sich über Konzepte wie “low carb” unterhalten, denn das nimmt ihnen Zeit und gedankliche Kapazität, sich über anderes, wichtigeres Gedanken zu machen. Ich will nicht, dass sich völlig normale Schülerinnen als “zu fett” bezeichnen, ich will auch nicht, dass ein übergewichtiges Mädchen sich aufgrund seiner Körperlichkeit als Mensch wertlos fühlt.

Aber dazu trägt Heidi Klums Sendung definitiv bei, aber ALLE ANDEREN SENDUNGEN AUCH. Ich möchte mehr Vielfalt der Körper in den Medien. Denn unsere Kinder werden auch durch die Medien erzogen, und es ist wichtig, ihnen auch hier zu zeigen, dass man auch ohne Größe 32 schöne Kleider tragen kann, glücklich sein kann, Karriere machen kann, lieben und geliebt werden kann, dass man die Protagonistin des eigenen Lebens sein kann.

Die Organisation “pink stinks” (mit blödem Namen, aber den richtigen Zielen) hat sich genau das zur Aufgabe gemacht und tourt als erste Organisation ihrer Art durch die Schulen, um auf dieses Problem aufmerksam zu machen.

Sie werfen unter anderem folgende Fragen auf: “Warum zeigt die Werbung nur extrem schlanke Models? Warum protestieren wir nicht dagegen? Wer verdient an diesem unerreichbaren Ideal?”
und schreiben weiter: “Es ist verrückt, dass wir aufarbeiten müssen, was ProSieben verursacht.” Aber es ist nicht nur Pro Sieben, es sind doch alle Sender, es sind die Frauenzeitschriften, die ihre Leserinnen heimlich hassen, es ist die Werbung, es sind wir selber.

Ich gucke weiter GNTM, ich liebe die Illusion, das Wunderland, das in der Sendung vorgegaukelt wird. Dafür darf man mich gerne blöd finden, ist mir egal.
Ich nehme mir nächsten Donnerstag eine Tüte Chips zur Hand und lackiere mir die Fingernägel und gehe freitags wieder in die Schule, wo ich den Schülerinnen nur vorleben kann, gegen Heidi Klum und die Gesellschaft, für die sie symbolisch steht, dass ich auch mit nicht-Größe-32 liebenswert und wertvoll und schlau bin.

Wäre ich optimistisch, könnte ich den Artikel damit beenden, dass ich sage, ich glaube, dass sich die Gesellschaft langsam zum besseren wandelt und dass wir auf halbem Weg seien. Immerhin ist die Debatte über dieses Thema ja angestoßen und wird geführt.
Wäre ich pessimistisch, würde ich sagen, dass sich zumindest bei GNTM nichts in dieser Hinsicht geändert hat und das auch nie passieren wird.

Aber ich möchte gerne optimistisch bleiben, und deswegen bleiben die Kommentare unter diesem Artikel auch geschlossen.