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Über Humor

Da war ja jetzt auch nicht unbe­dingt mit zu rech­nen gewe­sen, dass Geis­tes­wis­sen­schaf­ten in Deutsch­land doch noch zum Main­stream-The­ma wer­den. Aber in einem Land mit 80 Mil­lio­nen Bun­des­trai­nern und 80 Mil­lio­nen Anti-Ter­ror-Exper­ten ist natür­lich auch noch Platz für 80 Mil­lio­nen Ger­ma­nis­ten.

Nach den gro­ßen Erfol­gen der Pro­se­mi­nar­rei­he „Remix und Zitat“ (vgl. Hege­mann, 2010; zu Gut­ten­berg, 2011) und der Übung „Rei­me sind Schwei­ne: Das poli­ti­sche Gedicht im 21. Jahr­hun­dert“ (vgl. Grass, 2012) befin­den wir uns bereits seit vor­letz­tem Win­ter­se­mes­ter in der Ring­vor­le­sung „Was muss Humor kön­nen sein dür­fen?“ (vgl. Heb­do, 2015), für die wir auch in die­sem Jahr wie­der mehr Refe­ren­ten als Zuhö­rer haben gewin­nen kön­nen.

Weil nicht der gesam­te Stoff klau­sur­re­le­vant ist, habe ich mir erlaubt, eine klei­ne Hand­rei­chung zusam­men­zu­stel­len, die nur die zen­tra­le Fra­ge „Was ist eigent­lich lus­tig?“ beant­wor­tet:

Nun, da wir die­se Fra­ge geklärt hät­ten, kön­nen Sie den Rest des Tages nut­zen, um das Haus zu put­zen, mit Ihren Kin­dern zu spie­len, oder ein gutes, trau­ri­ges Buch zu lesen!

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Die Arroganz der Jungen, die Ignoranz der Alten

Wir müs­sen dann lei­der noch mal auf „Axolotl Road­kill“ zurück­kom­men, das lite­ra­ri­sche Hype-The­ma der Stun­de. Nicht, dass ich das Buch inzwi­schen gele­sen hät­te, aber: Das von der Lite­ra­tur­kri­tik auf Laut­stär­ke 11 gefei­er­te Werk von Hele­ne Hege­mann (17) weist in etli­chen Pas­sa­gen erstaun­li­che Ähn­lich­keit mit einem ande­ren Buch auf.

Deef Pir­ma­sens hat in sei­nem Blog Die Gefühls­kon­ser­ve eine Gegen­über­stel­lung von Text­stel­len aus „Axolotl Road­kill“ und aus dem Buch „Stro­bo“ des Ber­li­ner Blog­gers Airen ver­öf­fent­licht, das im ver­gan­ge­nen Jahr erschie­nen war. Um es vor­sich­tig aus­zu­drü­cken: Da kommt schon Eini­ges an Auf­fäl­lig- und Ähn­lich­kei­ten zusam­men.

Als gelern­ter Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler ste­he ich die­sen Ent­hül­lun­gen etwas schul­ter­zu­ckend gegen­über: Mon­ta­gen und Inter­tex­tua­li­tät gibt es seit kurz nach Erfin­dung der Schrift­spra­che – Georg Büch­ners Novel­le „Lenz“ ist knapp zur Hälf­te aus Auf­zeich­nun­gen des Pfar­rers Johann Fried­rich Ober­lin über­nom­men, Johann Wolf­gang von Goe­the hat sich mehr als ein­mal mas­siv von ande­ren Tex­ten inspi­rie­ren las­sen. Auf den Platz in der Lite­ra­tur­ge­schich­te hat­te das für die bei­den Her­ren kei­ne Aus­wir­kun­gen, aber über den ent­schei­det nahe­lie­gen­der­wei­se die Nach­welt und nicht der Zeit­ge­nos­se. Über­haupt gilt ja, was Oscar Wil­de zuge­schrie­ben wird, der gemei­ne Pop-Kon­su­ment (also ich) aber erst seit Toco­tro­nic weiß: „Talent bor­rows, geni­us ste­als“.

Als jemand, der mit dem Schrei­ben von Tex­ten sei­nen Lebens­un­ter­halt zu erwirt­schaf­ten ver­sucht, sehe ich es natur­ge­mäß kri­ti­scher, wenn jemand (mut­maß­lich) gutes Geld mit Inhal­ten ver­dient, die zumin­dest zu einem nicht ganz uner­heb­li­chen Teil aus dem Werk eines Ande­ren stam­men.

Die Gren­zen zwi­schen Zitat und Dieb­stahl geis­ti­gen Eigen­tums sind flie­ßend – der Unter­schied zwi­schen den Groß-Zitie­rern Quen­tin Taran­ti­no und Die­ter Wedel besteht letzt­lich auch nur dar­in, dass Taran­ti­nos Fil­me cool sind und Wedels spie­ßig. Und dass die Über­nah­me bestimm­ter Wor­te oder gan­zer Text­pas­sa­gen noch mal ein biss­chen was ande­res ist als das zufäl­li­ge Wie­der-Erstel­len einer bereits kom­po­nier­ten Melo­die (man erin­ne­re sich nur an die rund tau­send Songs, von denen Cold­play ihr „Viva La Vida“ samt und son­ders abge­pinnt haben sol­len), lässt sich einer­seits mit den unter­schied­li­chen Mate­ri­al­la­gen (zehn­tau­sen­de Wör­ter vs. zwölf Töne) erklä­ren, ist aber ande­rer­seits auch nur Geschmacks- und Defi­ni­ti­ons­sa­che.

Man könn­te also Hele­ne Hege­mann und Die­ter Wedel zu Peter Slo­ter­di­jk und Rüdi­ger Safran­ski ins „Phi­lo­so­phi­sche Quar­tett“ set­zen und eine Stun­de lang über Blues-Moti­ve und Bas­tard­pop, Wil­liams Shake­speare und Hei­ner Mül­ler dis­ku­tie­ren las­sen und hät­te am Ende viel­leicht ein biss­chen Erkennt­nis­ge­winn oder wenigs­tens was zum drü­ber auf­re­gen. Man wür­de sich womög­lich dar­auf eini­gen, dass Zita­te, Remi­xe und Mas­hups Teil unse­rer (Pop-)Kultur sind, es aber nur höf­lich wäre, wenigs­tens sei­ne Quel­len zu benen­nen und nicht Ander­erleuts Gedan­ken als eige­ne aus­zu­ge­ben.

Aber das sind phi­lo­so­phi­sche und kul­tur­wis­sen­schaft­li­che Gedan­ken all­ge­mei­ner Art. Der „Fall Hege­mann“ dage­gen ist lei­der der Super-GAU der öffent­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung, weil er sich genau an der (lei­der immer noch von vie­len Men­schen auf bei­den Sei­ten ima­gi­nier­ten) Ver­wer­fung zwi­schen ana­lo­ger und digi­ta­ler Welt ereig­net hat: Da hat also so eine Ber­li­ner Künst­ler­toch­ter abge­schrie­ben – und zwar bei einem Blog­ger! Hur­ra, der Klas­sen­kampf beginnt erneut, auf die Bar­ri­ka­den!

Jetzt krie­gen die Lite­ra­tur­kri­ti­ker, denen man sicher vie­les vor­wer­fen kann, ernst­haft um die Ohren gehau­en, sie hät­ten ja mal Goo­geln kön­nen.

Goo­geln. Einen Roman! Dabei erzählt Deef Pir­ma­sens, dem die gan­zen text­li­chen Par­al­le­len als Ers­tem auf­ge­fal­len waren, im Inter­view mit sueddeutsche.de, dass ihm bei der Lek­tü­re von „Axolotl Road­kill“ bestimm­te Wor­te bekannt vor­ge­kom­men sei­en – weil er „Stro­bo“ gele­sen hat­te. Beim Erken­nen von unge­nann­ten Quer­ver­wei­sen hilft es also offen­bar immer noch, das Ori­gi­nal zu ken­nen. Dass lan­ge Zeit nie­man­dem auf­ge­fal­len ist, dass eine ande­re Text­stel­le aus dem Song „Fuck U“ von Archi­ve über­nom­men wur­de, spricht dann eben lei­der nicht für die Popu­la­ri­tät der Band.

Der Kampf der Wel­ten endet in Sät­zen wie die­sen:

In Wirk­lich­keit scheint sich als Abwehr­hal­tung des Feuil­le­tons her­aus­zu­kris­tal­li­sie­ren: Es ist nicht so schlimm, von einem weit­ge­hend unbe­kann­ten Medi­um aus dem Web geklaut zu haben – Hege­mann kann zur Not noch als Tran­skri­bis­tin vom Inter­net ins Buch gefei­ert wer­den.

Es ist jener pas­siv-aggres­si­ve Ton, gepaart mit dem Hin­weis, dass das Inter­net immer noch etwas ande­res sein soll als der Rest der Welt, der den genau­so ver­bohr­ten Men­schen im Kul­tur­be­trieb dann wie­der als Vor­la­ge dient, wenn es dar­um geht, über die Mecke­rei­en und das merk­wür­di­ge Selbst­be­wusst­sein (bzw. offen­sicht­lich des­sen Feh­len) der Blog­ger zu läs­tern. Ich fra­ge mich, ob die Geschich­te in der deutsch­spra­chi­gen Netz­welt genau­so hohe Wel­len geschla­gen hät­te, wenn der „beraub­te“ Autor nicht gleich­zei­tig Blog­ger wäre, und lie­fe­re mir die Ant­wort gleich selbst: „Ver­mut­lich nicht“. Statt sich also auf den kon­kre­ten Vor­gang zu kon­zen­trie­ren, wird mal wie­der das übel rie­chen­de Fass „wir Blog­ger gegen die Nichts­bli­cker bei den Tot­holz­me­di­en“ auf­ge­macht und es grenzt an ein Wun­der, dass sich die „#fail„s bei Twit­ter bis­her in Gren­zen hal­ten.

Der Ver­le­ger von „Stro­bo“ klingt da im Gespräch mit Spree­blick wesent­lich ent­spann­ter. Der glei­che Ver­le­ger übri­gens, der mun­ter erzählt, wann Vater Hege­mann das Buch für sei­ne Toch­ter gekauft hat:

Wäh­rend Hege­mann sagt, dass sie das Buch nicht ken­ne, kann der Ver­lag SuKuL­Tur einen Beleg vor­wei­sen, aus dem her­vor­geht, dass Carl Hege­mann den Roman Airens am 28. August 2009 über Ama­zon Mar­ket­place bestellt und an sei­ne Toch­ter Hele­ne hat lie­fern las­sen.

[via otterstedt.de]

Wenn’s um die gute eige­ne Sache geht, ist das mit dem Daten­schutz – sonst die Domä­ne der Netz­ge­mein­de – offen­bar auch nicht mehr ganz so wich­tig.

Die Über­schrift die­ses Ein­trags, übri­gens, die stammt von Vir­gi­nia Jetzt!

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Blutig: Noch ein Medium durch!

Fernseher (unter CC-Lizenz von Walt Jabsco)

Ich woll­te nicht über Mar­cel Reich-Rani­cki und sei­nen Auf­tritt beim Fern­seh­preis schrei­ben. Ande­re Leu­te haben eine Viel­zahl von klu­gen Tex­ten geschrie­ben, die ich alle auf ihre Wei­se nach­voll­zie­hen kann.

Aber ers­tens ist die­ses Land eh über Nacht zu einer Nati­on von 82 Mil­lio­nen Medi­en­kri­ti­kern gewor­den, ((Heu­te Abend werden’s dann aber wie­der 82 Mil­lio­nen Fuß­ball­trai­ner, ver­spro­chen!)) und zwei­tens haben mich die Reak­tio­nen der Fern­seh­leu­te jetzt, da sich der ers­te Staub gelegt hat und der wüten­de, alte Mann nicht mehr in Hör­wei­te ist, wahn­sin­nig gemacht. Die „Frank­fur­ter Rund­schau“ hat eini­ge davon doku­men­tiert, „Bild“ und die „Net­zei­tung“ eben­falls.

Es ist unfass­bar: Medi­en­schaf­fen­de, Jour­na­lis­ten gar, ((Und das schrei­be ich ohne Gän­se­füß­chen und Iro­nie.)) befin­den sich plötz­lich in der Situa­ti­on, dass ihr Medi­um kol­lek­tiv abge­watscht und für schei­ße befun­den wird. Ja, „Will­kom­men im Club“, kann ich da nur sagen, denn als Blog­ger pas­siert einem das regel­mä­ßig.

Nur sind die meis­ten Blog­ger Ama­teur­pia­nis­ten auf der media­len Kla­via­tur, wes­we­gen wir immer noch stän­dig in Recht­fer­ti­gungs­ge­stam­mel ver­fal­len. Fern­seh­ma­cher hin­ge­gen soll­ten Pro­fis sein – und ent­spre­chend reagie­ren. Das heißt, sie stel­len sich ent­we­der selbst­be­wusst hin und sagen: „Ja, kann schon sein, dass wie hier Mist machen. Aber die Leu­te mögen es und auch wir kön­nen noch jeden Tag in den Spie­gel gucken, lasst uns doch den Spaß“, ((Was bizar­rer­wei­se nah dran ist an dem, was aus­ge­rech­net Mar­co Schreyl am Sams­tag getan hat.)) oder sie glau­ben an den Anspruch ihres Pro­gramms und haben ein trot­zi­ges „Aber wir machen doch gar kei­nen Mist!“ nicht nötig. Über­haupt hät­te mal jeman­dem dem Herrn Lite­ra­tur­kri­ti­ker ent­ge­gen­hal­ten kön­nen, dass es ja nicht nur Bücher von Tho­mas Mann und Ber­tolt Brecht gibt, son­dern auch wel­che von Uta Danella und Ken Fol­lett.

WDR-Inten­dan­tin Moni­ka Piel will sich jetzt dafür ein­set­zen, dass in der ARD Kul­tur­ver­an­stal­tun­gen ver­mehrt zur Prime­time gesen­det wer­den. Es ist wie im (mut­maß­lich sehr schlech­ten, von mir nach der Betrai­le­rung unge­se­hen) Film „Free Rai­ner“, wo Arte plötz­lich Mör­der-Ein­schalt­quo­ten hat. ((Und des­sen Start vor elf Mona­ten schon ein­mal eine Mini-Qua­li­täts­dis­kus­si­on durchs Dorf getrie­ben hat­te.)) Ich bin mir ziem­lich sicher, dass ich das nicht will. Ich will kein „Faust II“ nach der „Tages­schau“, ich will nur, dass das nor­ma­le Pro­gramm ein biss­chen weni­ger lieb­los und Zuschau­er­ver­ach­tend ist. Wenn ich mich mit Lite­ra­tur befas­sen will, höre ich mir Ger­ma­nis­tik­vor­le­sun­gen an. ((Und Sie kön­nen das via Pod­cast sogar auch.))

Unter­hal­tungs­sen­dun­gen müs­sen kein Bil­dungs­fern­se­hen sein, ((Es wäre schlimm, wenn’s so wäre.)) aber man kann auch gute Unter­hal­tung machen. Gera­de des­halb ist der Preis für „Deutsch­land sucht den Super­star“ ein Skan­dal, weil es eine lieb­lo­se, hand­werk­lich allen­falls soli­de Show ist, die sich über ihre eige­nen Haupt­fi­gu­ren lus­tig macht. Wie gute Unter­hal­tung funk­tio­niert, haben „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ und „Das per­fek­te (Promi-)Dinner“ bewie­sen, bei denen Bild- und Ton­schnitt, Musik­aus­wahl und Kom­men­tar ein stim­mi­ges Gesamt­bild erge­ben.

Bar­ba­ra Schö­ne­ber­ger hat bei Rein­hold Beck­mann ((Oh, die­se Geschich­te ist so vol­ler Iro­nie, man hät­te es sich nicht aus­den­ken kön­nen!)) gesagt, man kön­ne auch nicht ins Fuß­ball­sta­di­on zu Her­tha gehen und dann fra­gen, war­um die Ber­li­ner Phil­har­mo­ni­ker nicht da sei­en. Aber wenn ich ins Fuß­ball­sta­di­on gehe, erwar­te ich, dass da Fuß­ball gespielt wird. Und nicht, dass Mario Gomez am Ball vor­bei tritt, oder Borus­sia Mön­chen­glad­bach einen 0:1‑Rückstand zu ver­wal­ten ver­sucht. Eine Fern­seh­preis­ver­lei­hung soll­te, wenn schon kei­ne Stern­stun­de des Fern­seh­jah­res, dann wenigs­tens nicht ihr Tief­punkt sein. Aber wie auf Kom­man­do erscheint beim Stich­wort „Tief­punkt“ eben Atze Schrö­der in Kapi­täns­uni­form auf der Büh­ne.

Bei der gan­zen Dis­kus­si­on wird mal wie­der ein Medi­um mit sei­nen Inhal­ten ver­wech­selt. Je län­ger ich über Mar­shall McLuhans berühm­ten Aus­spruch nach­den­ke, wonach das Medi­um die Bot­schaft sei, des­to abwe­gi­ger fin­de ich ihn. Goe­the soll „Wand­rers Nacht­lied (Ein Glei­ches)“ in die Wand einer Holz­hüt­te auf dem Kickel­hahn geritzt haben – und zwei­fel­los hat es doch einen höhe­ren kul­tu­rel­len Wert als so ziem­li­che jedes ande­re Graf­fi­to, das in Deutsch­land in den letz­ten 250 Jah­ren eine Bret­ter­wand geziert hat.

Das Sym­bol­bild ist von Walt Jab­s­co und wird hier unter CC-Lizenz ver­wen­det.

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Die Blechtrommel

Völ­lig über­ra­schend hat Oskar Lafon­taine, Vor­sit­zen­der von Die Lin­ke, im „Han­dels­blatt“ erklärt, dass sei­ne Par­tei die Unter­stüt­zung bei der Wahl zum Bun­des­prä­si­den­ten vom Lite­ra­tur-Geschmack der Bewer­ber abhän­gig machen wer­de:

Für Linken-Chef Oskar Lafontaine ist ausschlaggebend, wie der Kandidat zu “Krieg und Frieden” steht.

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Literatur

Buchstabensuppe

Public Library, New York, NY

Mor­gen geht die Frank­fur­ter Buch­mes­se wie­der los, was man schon dar­an merkt, dass die Son­der­bei­la­gen der gro­ßen Zei­tun­gen so dick sind wie die Sams­tags­aus­ga­ben der klei­nen Zei­tun­gen. Die Kul­tur­jour­na­lis­ten der Fern­seh­an­stal­ten haben ihre obsku­ren Sitz­mö­bel, auf denen sie nam­haf­te Schrift­stel­ler und Susan­ne Fröh­lich zu befra­gen geden­ken, sicher längst in Stel­lung gebracht. An den Publi­kums­ta­gen wer­den sich unend­lich lan­ge Schlan­gen bil­den und für ein paar Tage ste­hen auch mal die­je­ni­gen im Mit­tel­punkt, an denen man in der Fuß­gän­ger­zo­ne ein­fach vor­bei­ge­hen wür­de: die Autoren.

Schon stellt sich wie­der die Fra­ge, wer das denn bit­te­schön alles lesen sol­le. Die Ant­wort ist ein­fach, zumin­dest wenn es nach Pierre Bayard geht: nie­mand. Der fran­zö­si­sche Lite­ra­tur­pro­fes­sor hat ein Buch geschrie­ben, das es sich zu lesen lohnt: „Wie man über Bücher spricht, die man nicht gele­sen hat“. Der Titel ist etwas sper­rig, hat aber ande­rer­seits den Vor­teil, ziem­lich genau zusam­men­zu­fas­sen, wor­um es in dem Buch geht.

Ich glau­be ja sowie­so, dass die wenigs­ten Bücher, die gekauft wer­den, auch gele­sen wer­den. Das gilt ins­be­son­de­re für Best­sel­ler. Und ganz beson­ders für die Bücher von Bas­ti­an Sick. Bayard plä­diert des­halb für einen ent­spann­te­ren Umgang mit nicht gele­se­nen Büchern: Ob auf Cock­tail­par­ties oder in der Uni­ver­si­tät, über­all wird man in Gesprä­che über Bücher ver­wi­ckelt, die man oft genug nicht gele­sen hat. Da jeder aber ande­re Infor­ma­tio­nen aus einer Lek­tü­re mit­neh­me und man vie­les, das man gele­sen habe, eh wie­der ver­ges­se, hält Bayard es für rela­tiv egal, ob man das dis­ku­tier­te Buch über­haupt gele­sen hat oder nicht. Im Gegen­teil: Beson­ders ange­reg­te Gesprä­che fin­den sei­nes Erach­tens nicht sel­ten zwi­schen Per­so­nen statt, die den Gesprächs­ge­gen­stand bei­de nicht ken­nen.

Anhand von unter­halt­sa­men Anek­do­ten aus ver­schie­de­nen Roma­nen, von denen Bayard in den Fuß­no­ten meist zugibt, sie selbst nicht gele­sen zu haben, erstellt er eine Art „Geschich­te des Nicht­le­sens“ und gibt so zumin­dest indi­rekt Tipps, wie man auch ahnungs­los bestehen kann. Er ermu­tigt sei­ne Leser aber auch dazu, offen zu ihren Bil­dungs­lü­cken zu ste­hen.

Als Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler müss­te man die­ses Buch eigent­lich has­sen: Zum einen deckt es bru­tal auf, dass wir die wenigs­ten Bücher, über die wir spre­chen und schrei­ben, über­haupt (voll­stän­dig) gele­sen haben, zum ande­ren ermu­tigt es auch noch Ande­re zum glei­chen Ver­hal­ten. Ande­rer­seits: Was spricht dage­gen, sich mit­hil­fe von Sparks­no­tes oder der Wiki­pe­dia einen Über­blick über Bücher zu ver­schaf­fen, die man eh nie lesen wird? Man erlaubt sich ja auch Urtei­le über Fil­me, von denen man nur den Trai­ler gese­hen hat, oder beur­teilt ein Album nach sei­ner Sin­gle.

Las­sen Sie es mich also so aus­drü­cken: Die Lek­tü­re von Bayards Buch lohnt in jedem Fal­le (die vie­ler ande­rer Bücher im Übri­gen auch). Es spricht wenig dage­gen, in Gesprä­chen über Bücher, die man nicht gele­sen hat, hef­tig zu nicken und die zwei Infor­ma­tio­nen, die man dar­über kennt, ein­zu­streu­en. Viel­leicht ist das Gespräch ja so erhel­lend, dass man das Buch hin­ter­her doch noch liest. Wohl soll­te man aber bes­ser nicht von sich aus das Gespräch auf Bücher len­ken, von denen man kei­ne Ahnung hat. Das könn­te doch schnell pein­lich wer­den.