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Radio Rundfunk Literatur

Pop revisited

von Katha­ri­na Schliebs und Lukas Hein­ser

Eins­li­ve jeden­falls, die „Jugend­wel­le“ des West­deut­schen Rund­funks, fei­er­te am Frei­tag ihren 15. Geburts­tag.

Wir ver­brach­ten den gan­zen Nach­mit­tag in einer Köln-Ehren­fel­der Woh­nung, lie­ßen uns beko­chen und hör­ten dabei Eins­li­ve. Zumin­dest letz­te­res gehört zu den Din­gen, die Men­schen in unse­rem Alter sonst eher ver­mei­den. Doch dies­mal war es etwas ande­res: Wir hör­ten regel­recht gebannt zu und ver­an­stal­te­ten ein pri­va­tes Pop­quiz, denn gefei­ert wur­de mit einem eigent­lich nur bril­lant zu nen­nen­den Sen­de-Mara­thon, in dem zwi­schen 6 und 21 Uhr jede Stun­de einem ande­ren Jahr gewid­met war. Los ging es mit dem Jahr 2009 und dann immer wei­ter vor­wärts in die Ver­gan­gen­heit.

So saßen wir zu dritt vor dem Radio und hör­ten die Jah­re 1998, 1997, 1996, 1995 und wur­den dabei immer alber­ner und über­tra­fen und gegen­sei­tig mit Nerd­wis­sen aus 100 Jah­ren Pop­mu­sik. Dabei sind per­sön­li­che Musik­hör-Bio­gra­fien natür­lich irgend­wann stark abwei­chend zu dem, was im Radio an Musik läuft. Den­noch darf man nicht unter­schät­zen, wie viel Radio man dann aber doch gehört hat und wie vie­le Lie­der man kennt, auch wenn man sie eigent­lich schlimm oder belang­los fin­det (Wer um alles in der Welt kann ernst­haft auf die Idee kom­men, ein so völ­lig ega­les Lied wie „Got ‚Til It’s Gone“ von Janet Jack­son irgend­wie gut zu fin­den oder sogar die Sin­gle zu kau­fen? Ein Rie­sen­hit den­noch!), und wie vie­le Erin­ne­run­gen ver­bun­den sind mit die­sen Radio­pop­songs und den Radio­co­me­dys. Und sogar mit den Bet­ten, Drops und Jin­gles! Nie­mals hät­te man „Eins­li­ve macht hörig“ raus­schmei­ßen dür­fen.

Exkurs „Nerd­wis­sen über Eins­li­ve“: Frü­her kam direkt nach den Nach­rich­ten eine Begrü­ßung. Mit dem Relaunch 2007 lief nach den Nach­rich­ten erst ein Lied und dann sag­te der Mode­ra­tor Hal­lo. Sogar die­sen Relaunch hat Eins­li­ve für eini­ge Stun­den zurück­ge­nom­men und die Mode­ra­to­ren haben wie­der direkt nach den Nach­rich­ten eine Begrü­ßung gespro­chen! Mit dem Ori­gi­nal-Bett von frü­her! Und wenn das nie­man­dem sonst auf der gan­zen Welt auf­ge­fal­len sein soll­te: In der Ehren­fel­der Küche wur­de es bemerkt. Und beju­belt. Exkurs Ende.

Je näher der Rück­blick dem Grün­dungs­jahr 1995 kam, des­to deut­li­cher wur­de die Rol­le, die Eins Live bei der eige­nen Ado­les­zenz gespielt hat­te: Nahe­zu jeden Song konn­ten wir noch mit­sin­gen – nicht bei jedem kann­te man Titel und Inter­pret, aber wir hat­ten alles unzäh­li­ge Male gehört. Damals tat­säch­lich noch aus­schließ­lich über Radio, denn wir hat­ten ja nichts. Die Ziel­grup­pe, die jetzt zuhau­se vor dem Web­stream saß und damals noch gar nicht gebo­ren war, wird in 15 Jah­ren kaum so vie­le gemein­sa­me Erin­ne­run­gen an ein Medi­um ihrer Jugend haben.

Wir fühl­ten uns natür­lich alt und spra­chen dar­über, dass das Kon­ser­va­ti­ve manch­mal auch sei­ne guten Sei­ten habe, der Gast­ge­ber brach­te Bier – und das war der Moment, in dem wir ent­deck­ten, dass die „Beck’s“-Flaschen neue Eti­ket­ten haben. Unse­re Reak­ti­on dar­auf darf man ruhig hys­te­risch nen­nen.

Was ja auch nur in einer Medi­en­me­tro­po­le wie Köln geht: Den Beginn einer lan­des­weit aus­ge­strahl­ten Sen­dung am hei­mi­schen Radio ver­fol­gen und eine Stun­de spä­ter selbst in der Sen­dung sit­zen und applau­die­ren. Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re war zu Gast in der Sen­dung „Klub­bing“ und das pass­te irgend­wie ganz wun­der­bar zur Pop­kul­tur-Nost­al­gie an die­sem Kar­frei­tag: Stuck­rad-Bar­re ver­kör­pert die spä­ten 1990er Jah­re fast noch bes­ser als Eins Live. Aber wäh­rend der Sen­der mit sei­nem immer pro­fil­är­me­ren Pro­gramm gera­de die größ­te Hörer­schaft sei­ner Geschich­te fei­ert, hat es der Lite­rat mit sei­nem durch­aus famo­sen neu­en Buch „Auch Deut­sche unter den Opfern“ nicht mehr auf die sicht­ba­ren Plät­ze irgend­wel­cher Best­sell­ler-Charts geschafft. In gro­ßen Buch­hand­lun­gen lie­gen zwar genug Exem­pla­re von „Axolotl Road­kill“ aus, um damit die gan­ze Ober­stu­fe eines Gym­na­si­ums zu ver­sor­gen, aber den neu­en Stuck­rad-Bar­re müss­te man bestel­len. Wenn einem das jemand vor zehn Jah­ren erzählt hät­te, als man am Tag der Ver­öf­fent­li­chung von „Black­box“ klei­ne Buch­lä­den in Dins­la­ken und Göt­tin­gen gestürmt hat …

Wenigs­tens sei­ne Lesun­gen (zuletzt ger­ne mit Chris­ti­an Ulmen) sind immer noch aus­ver­kauft. Und auch hier im drit­ten Stock über dem nächt­li­chen Media­park ist der Eins­li­ve Salon gut besucht. Außen an der Tür hängt immer noch ein Schild, das den Raum als „Kult­kom­plex­ca­fé“ bezeich­net, die­ser selt­sam absur­de Name, der in sei­ner Eigen­ar­tig­keit unbe­dingt erhal­tens­wert gewe­sen wäre, denn „Salon“ ist ja nun doch, mit Ver­laub, immer noch das, wo man zum Haa­re­schnei­den hin­geht.

Das ers­te Gespräch, das Sabi­ne Hein­rich mit Stuck­rad-Bar­re noch ohne Publi­kum im Stu­dio führ­te, ließ zwar nicht das Schlimms­te, aber doch Ungu­tes befürch­ten: Nach einem etwas umständ­li­chen „Sie oder Du“-Einstieg waren die bei­den unge­fähr eine Minu­te beim sehr uner­gie­bi­gen The­ma „Oster­mär­sche“ hän­gen geblie­ben, wobei Stuck­rads Ant­wor­ten zuse­hends knap­per und generv­ter klan­gen.

Doch dann steht sie vor einem und man ist sofort ver­zau­bert: Sabi­ne Hein­rich hört sich bes­ser an und sieht bes­ser aus als im Fern­se­hen, wie sie da auf der Büh­ne des Eins­li­ve Salons steht und dem Publi­kum erklärt, dass es die Han­dys nach der Lesung ger­ne wie­der anstel­len darf. Eins ihrer Hosen­bei­ne ist aus den Stie­feln gerutscht und hängt jetzt über dem Schuh, sie trägt ein wei­ßes T‑Shirt und einen Pfer­de­schwanz, und wenn sie so die Echo-Ver­lei­hung mode­riert hät­te, dann wäre das mit Rob­bie Wil­liams viel­leicht was gewor­den.

Jetzt aber betritt erst mal Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re die Büh­ne. Er sitzt nicht ein­fach schon da rum wie vie­le ande­re Autoren vor ihm, er braucht den Auf­tritt – und wenn es nur einer durch eine ganz nor­ma­le Zim­mer­tür ist. Hat er nicht frü­her sei­ne Lesun­gen auch mit „Let Me Enter­tain You“ eröff­net?

Benjamin von Stuckrad-Barre

DJ Lar­se legt irgend­wel­che Elek­tro-Musik auf, dann wird abwech­selnd gele­sen und getalkt, wobei sich zwei Din­ge abzeich­nen: Stuck­rad-Bar­re ist ein sehr guter Autor, aber ein noch bes­se­rer Per­for­mer, und Sabi­ne Hein­rich ist zwar eine wahn­sin­nig char­man­te Mode­ra­to­rin, aber eben auch eine eher nur mit­tel­gu­te Inter­viewe­rin.

Es ist ein denk­bar ungüns­ti­ge Kon­stel­la­ti­on: Eine auf­ge­reg­te Fra­ge­stel­le­rin trifft auf einen Talk­gast, der kei­ner­lei Bereit­schaft zeigt, die etwas unglück­lich for­mu­lier­ten Fra­gen wohl­wol­lend auf­zu­neh­men. „Was ist denn ein Sit­ten­ge­mäl­de?“ – „Naja ich mein das ist ein ganz schö­nes deut­sches Kom­po­si­tum. Sit­ten-Gemäl­de. Das ist ja … Heiz-Kör­per. Was ist ein Heiz­kör­per?“ – „Ich hab noch nie so ein Wort benutzt! Sit­ten­ge­mäl­de!“ – „Du bist zuviel mit Mat­thi­as Opden­hö­vel zusam­men.“

Es läuft nicht. Im Salon ist es heiß, sti­ckig, und sehr, sehr voll. Man könn­te jetzt die eige­ne Hand abna­gen (oder die des Sitz­nach­barn). Mag gar nicht auf­hö­ren, den Dia­log zwi­schen Sabi­ne Hein­rich und BvSB wie­der­zu­ge­ben, man kann ein­fach nicht weg­hö­ren.

Sabi­ne Hein­rich sagt: „Hör mal, in dei­nem Buch war mal die Rede von Müs­li mit Brom­bee­ren.“
BvSB: „Ja, das ist sai­son­ab­hän­gig. Nä?“
Hein­rich: „Pflückst du die sel­ber in dei­nem eige­nen Gar­ten?“
BvSB: „Im Super­markt.“
Hein­rich: „Eige­ner Bio­gar­ten.“
BvSB: „GARTEN?!? Nein, nein. Gär­ten gilt es wirk­lich zu ver­mei­den. Das ist ja der Anfang vom Ende.“
Hein­rich: „Du hast ja auch kei­ne Küche, hast du gesagt.“
BvSB: „Aber das mit dem Gar­ten stimmt! Ja, nee, nein. Gär­ten.“

Es geht so wei­ter. Frau Hein­rich frag­te, wie Herr von Stuck­rad-Bar­re lebt, wie er wohnt, was er von Möbeln hält, ob er denn sel­ber kocht (Ant­wort: „Nein!“). Er kann sich offen­sicht­lich nicht ent­schei­den, ob er Frau Hein­rich jetzt wirk­lich per­ma­nent auf­lau­fen las­sen soll oder nicht und schwankt dann zwi­schen abso­lu­ter Sabo­ta­ge des Gesprächs und mit­lei­di­gem Nach­ge­ben.

Und man will ja Sabi­ne Hein­rich nett fin­den! Und ein biss­chen Mit­leid mit ihr haben, weil Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re sich so bockig zeigt! Aber dann sagt sie Sachen, da ist man froh, dass ihr Gesprächs­part­ner ent­spre­chend reagiert:

„Ich hab dich bei Jörg Tha­de­usz in der Sen­dung gehört, als Pod­cast, lie­be Grü­ße an den Jörg, und der hat dich gefragt, -“
„Jetzt wird’s aber ein biss­chen pri­vat, oder?“, unter­bricht Stuck­rad-Bar­re erneut, zurecht, leicht amü­siert.
„Es kann ja sein, dass Jörg die­se Sen­dung beim Lau­fen hört“, gibt Frau Hein­rich tap­fer zu beden­ken.
„Na dann aber auch schö­ne Grü­ße. Lie­ber Jörg, es war schön mit dir in Leip­zig.“ Zu Frau Hein­rich, ver­schwö­re­ri­scher Unter­ton: „Mein­ze der hört das?“ – „Bestimmt!“ – „Jörg? Sol­len wir in Bochum zusam­men lesen oder in Dort­mund?“

Und jetzt raten Sie, wer im Publi­kum an die­ser Stel­le nicht an sich hal­ten kann und laut „Bochum!“ ruft. Stuck­rad-Bar­re wen­det sich dar­auf­hin dem Publi­kum zu und will das aus­dis­ku­tie­ren, aber da wirft sich Frau Hein­rich dazwi­schen: „Darf ich jetzt bit­te mal mei­ne Fra­ge durch­brin­gen?!“ Sie darf. Aber sie hät­te es auch las­sen kön­nen.

Irgend­wann liest Stuck­rad-Bar­re Aus­schnit­te aus dem längs­ten Text des Buches, in dem er von der Ent­ste­hung der letz­ten Udo-Lin­den­berg-Plat­te berich­tet. Was bei der Lesung nur am Ran­de anklingt: Es ist einer der per­sön­lichs­ten und inten­sivs­ten Tex­te, den der Autor je ver­öf­fent­licht hat. Kommt Lin­den­berg zu Wort, par­odiert Stuck­rad den typi­schen Ton­fall des Musi­kers, was sehr, sehr pein­lich wir­ken könn­te (steht nicht irgend­wo im Früh­werk des Pop­li­te­ra­ten, dass Lin­den­berg an Par­odis­ten-Schu­len in der ers­ten Stun­de auf dem Lehr­plan stün­de?), hier aber magi­scher­wei­se funk­tio­niert. Als Sabi­ne Hein­rich im inzwi­schen legen­dä­ren Ange­la-Mer­kel-Inter­view die Rol­le der Kanz­le­rin liest, ist sie aller­dings ihrer­seits so klug, auf jed­we­den Par­odie-Ver­such zu ver­zich­ten.

Um Mit­ter­nacht ist die Sen­dung vor­bei, Kar­frei­tag und das Tanz­ver­bot. Es ist wie­der 2010 und Eins­li­ve klingt auch wie­der so. Alle sind wie­der so alt, wie sie sich füh­len, und Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re signiert Bücher.

Pod­cast der Sen­dung her­un­ter­la­den

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Die Arroganz der Jungen, die Ignoranz der Alten

Wir müs­sen dann lei­der noch mal auf „Axolotl Road­kill“ zurück­kom­men, das lite­ra­ri­sche Hype-The­ma der Stun­de. Nicht, dass ich das Buch inzwi­schen gele­sen hät­te, aber: Das von der Lite­ra­tur­kri­tik auf Laut­stär­ke 11 gefei­er­te Werk von Hele­ne Hege­mann (17) weist in etli­chen Pas­sa­gen erstaun­li­che Ähn­lich­keit mit einem ande­ren Buch auf.

Deef Pir­ma­sens hat in sei­nem Blog Die Gefühls­kon­ser­ve eine Gegen­über­stel­lung von Text­stel­len aus „Axolotl Road­kill“ und aus dem Buch „Stro­bo“ des Ber­li­ner Blog­gers Airen ver­öf­fent­licht, das im ver­gan­ge­nen Jahr erschie­nen war. Um es vor­sich­tig aus­zu­drü­cken: Da kommt schon Eini­ges an Auf­fäl­lig- und Ähn­lich­kei­ten zusam­men.

Als gelern­ter Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler ste­he ich die­sen Ent­hül­lun­gen etwas schul­ter­zu­ckend gegen­über: Mon­ta­gen und Inter­tex­tua­li­tät gibt es seit kurz nach Erfin­dung der Schrift­spra­che – Georg Büch­ners Novel­le „Lenz“ ist knapp zur Hälf­te aus Auf­zeich­nun­gen des Pfar­rers Johann Fried­rich Ober­lin über­nom­men, Johann Wolf­gang von Goe­the hat sich mehr als ein­mal mas­siv von ande­ren Tex­ten inspi­rie­ren las­sen. Auf den Platz in der Lite­ra­tur­ge­schich­te hat­te das für die bei­den Her­ren kei­ne Aus­wir­kun­gen, aber über den ent­schei­det nahe­lie­gen­der­wei­se die Nach­welt und nicht der Zeit­ge­nos­se. Über­haupt gilt ja, was Oscar Wil­de zuge­schrie­ben wird, der gemei­ne Pop-Kon­su­ment (also ich) aber erst seit Toco­tro­nic weiß: „Talent bor­rows, geni­us ste­als“.

Als jemand, der mit dem Schrei­ben von Tex­ten sei­nen Lebens­un­ter­halt zu erwirt­schaf­ten ver­sucht, sehe ich es natur­ge­mäß kri­ti­scher, wenn jemand (mut­maß­lich) gutes Geld mit Inhal­ten ver­dient, die zumin­dest zu einem nicht ganz uner­heb­li­chen Teil aus dem Werk eines Ande­ren stam­men.

Die Gren­zen zwi­schen Zitat und Dieb­stahl geis­ti­gen Eigen­tums sind flie­ßend – der Unter­schied zwi­schen den Groß-Zitie­rern Quen­tin Taran­ti­no und Die­ter Wedel besteht letzt­lich auch nur dar­in, dass Taran­ti­nos Fil­me cool sind und Wedels spie­ßig. Und dass die Über­nah­me bestimm­ter Wor­te oder gan­zer Text­pas­sa­gen noch mal ein biss­chen was ande­res ist als das zufäl­li­ge Wie­der-Erstel­len einer bereits kom­po­nier­ten Melo­die (man erin­ne­re sich nur an die rund tau­send Songs, von denen Cold­play ihr „Viva La Vida“ samt und son­ders abge­pinnt haben sol­len), lässt sich einer­seits mit den unter­schied­li­chen Mate­ri­al­la­gen (zehn­tau­sen­de Wör­ter vs. zwölf Töne) erklä­ren, ist aber ande­rer­seits auch nur Geschmacks- und Defi­ni­ti­ons­sa­che.

Man könn­te also Hele­ne Hege­mann und Die­ter Wedel zu Peter Slo­ter­di­jk und Rüdi­ger Safran­ski ins „Phi­lo­so­phi­sche Quar­tett“ set­zen und eine Stun­de lang über Blues-Moti­ve und Bas­tard­pop, Wil­liams Shake­speare und Hei­ner Mül­ler dis­ku­tie­ren las­sen und hät­te am Ende viel­leicht ein biss­chen Erkennt­nis­ge­winn oder wenigs­tens was zum drü­ber auf­re­gen. Man wür­de sich womög­lich dar­auf eini­gen, dass Zita­te, Remi­xe und Mas­hups Teil unse­rer (Pop-)Kultur sind, es aber nur höf­lich wäre, wenigs­tens sei­ne Quel­len zu benen­nen und nicht Ander­erleuts Gedan­ken als eige­ne aus­zu­ge­ben.

Aber das sind phi­lo­so­phi­sche und kul­tur­wis­sen­schaft­li­che Gedan­ken all­ge­mei­ner Art. Der „Fall Hege­mann“ dage­gen ist lei­der der Super-GAU der öffent­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung, weil er sich genau an der (lei­der immer noch von vie­len Men­schen auf bei­den Sei­ten ima­gi­nier­ten) Ver­wer­fung zwi­schen ana­lo­ger und digi­ta­ler Welt ereig­net hat: Da hat also so eine Ber­li­ner Künst­ler­toch­ter abge­schrie­ben – und zwar bei einem Blog­ger! Hur­ra, der Klas­sen­kampf beginnt erneut, auf die Bar­ri­ka­den!

Jetzt krie­gen die Lite­ra­tur­kri­ti­ker, denen man sicher vie­les vor­wer­fen kann, ernst­haft um die Ohren gehau­en, sie hät­ten ja mal Goo­geln kön­nen.

Goo­geln. Einen Roman! Dabei erzählt Deef Pir­ma­sens, dem die gan­zen text­li­chen Par­al­le­len als Ers­tem auf­ge­fal­len waren, im Inter­view mit sueddeutsche.de, dass ihm bei der Lek­tü­re von „Axolotl Road­kill“ bestimm­te Wor­te bekannt vor­ge­kom­men sei­en – weil er „Stro­bo“ gele­sen hat­te. Beim Erken­nen von unge­nann­ten Quer­ver­wei­sen hilft es also offen­bar immer noch, das Ori­gi­nal zu ken­nen. Dass lan­ge Zeit nie­man­dem auf­ge­fal­len ist, dass eine ande­re Text­stel­le aus dem Song „Fuck U“ von Archi­ve über­nom­men wur­de, spricht dann eben lei­der nicht für die Popu­la­ri­tät der Band.

Der Kampf der Wel­ten endet in Sät­zen wie die­sen:

In Wirk­lich­keit scheint sich als Abwehr­hal­tung des Feuil­le­tons her­aus­zu­kris­tal­li­sie­ren: Es ist nicht so schlimm, von einem weit­ge­hend unbe­kann­ten Medi­um aus dem Web geklaut zu haben – Hege­mann kann zur Not noch als Tran­skri­bis­tin vom Inter­net ins Buch gefei­ert wer­den.

Es ist jener pas­siv-aggres­si­ve Ton, gepaart mit dem Hin­weis, dass das Inter­net immer noch etwas ande­res sein soll als der Rest der Welt, der den genau­so ver­bohr­ten Men­schen im Kul­tur­be­trieb dann wie­der als Vor­la­ge dient, wenn es dar­um geht, über die Mecke­rei­en und das merk­wür­di­ge Selbst­be­wusst­sein (bzw. offen­sicht­lich des­sen Feh­len) der Blog­ger zu läs­tern. Ich fra­ge mich, ob die Geschich­te in der deutsch­spra­chi­gen Netz­welt genau­so hohe Wel­len geschla­gen hät­te, wenn der „beraub­te“ Autor nicht gleich­zei­tig Blog­ger wäre, und lie­fe­re mir die Ant­wort gleich selbst: „Ver­mut­lich nicht“. Statt sich also auf den kon­kre­ten Vor­gang zu kon­zen­trie­ren, wird mal wie­der das übel rie­chen­de Fass „wir Blog­ger gegen die Nichts­bli­cker bei den Tot­holz­me­di­en“ auf­ge­macht und es grenzt an ein Wun­der, dass sich die „#fail„s bei Twit­ter bis­her in Gren­zen hal­ten.

Der Ver­le­ger von „Stro­bo“ klingt da im Gespräch mit Spree­blick wesent­lich ent­spann­ter. Der glei­che Ver­le­ger übri­gens, der mun­ter erzählt, wann Vater Hege­mann das Buch für sei­ne Toch­ter gekauft hat:

Wäh­rend Hege­mann sagt, dass sie das Buch nicht ken­ne, kann der Ver­lag SuKuL­Tur einen Beleg vor­wei­sen, aus dem her­vor­geht, dass Carl Hege­mann den Roman Airens am 28. August 2009 über Ama­zon Mar­ket­place bestellt und an sei­ne Toch­ter Hele­ne hat lie­fern las­sen.

[via otterstedt.de]

Wenn’s um die gute eige­ne Sache geht, ist das mit dem Daten­schutz – sonst die Domä­ne der Netz­ge­mein­de – offen­bar auch nicht mehr ganz so wich­tig.

Die Über­schrift die­ses Ein­trags, übri­gens, die stammt von Vir­gi­nia Jetzt!

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Restposten der spätkindlichen Infantilgesellschaft

Ich weiß nicht, ob Sie’s mit­be­kom­men haben, ((Haha­ha­ha­ha.)) aber es gibt da ja gera­de eine neue deut­sche Lite­ra­tur­sen­sa­ti­on, die die gro­ßen jun­gen deut­schen Lite­ra­tur­sen­sa­tio­nen der ver­gan­ge­nen Deka­den, „Cra­zy“ und „Feucht­ge­bie­te“ kurz­schließt: „Axolotl Road­kill“ von Hele­ne Hege­mann (17).

Gele­sen habe ich das Buch noch nicht, ((Ich bin gera­de – leicht ande­re Bau­stel­le – mit „The Wild Things“ von Dave Eggers beschäf­tigt.)) aber allein der Titel ist schon mal toll. „Axolo­tol“, die­se Bezeich­nung für einen mexi­ka­ni­schen Lurch, der sein Leben lang Kind bleibt, stand näm­lich immer auf der Lis­te der außer­ge­wöhn­li­chen Wor­te, die mein bes­ter Freund und ich zu Schul­zei­ten geführt haben. ((Eben­falls auf der Lis­te: „Wadi“, „semi­per­meable Mem­bran“ und „Aum“. Irgend­wann wer­den sich auch damit noch mal The­ra­peu­ten befas­sen müs­sen.))

Über Hele­ne Hege­mann jeden­falls ist schon viel geschrie­ben wor­den, meist in der übli­chen ahnungs­lo­sen Begeis­te­rung, mit der sich Erwach­se­ne, die nicht als früh­ver­greist gel­ten wol­len, der Welt und der Spra­che von Jugend­li­chen nähern. Wer lan­ge genug sucht, wird sicher eine Rezen­si­on fin­den, in der früh­neu­hoch­deut­sche Begrif­fe wie „geil“ oder „Bock haben“ vor­kom­men.

Der Text, den Simo­ne Mei­er für die „Bas­ler Zei­tung“ geschrie­ben hat, ist anders. Er stellt die media­le Figur Hele­ne Hege­mann in Fra­ge, haut auf den ande­ren Feuil­le­to­nis­ten rum und knallt mit vol­ler Wucht ein paar For­mu­lie­run­gen raus, die man so ger­ne mal in Büchern lesen wür­de:

Das Selbst­be­wusst­sein und der Mut zum Lei­den sind glei­cher­mas­sen unge­heu­er, man hat die Hor­mo­ne im Kopf und den Wahn­sinn im Her­zen. Und man kann eine Pose so lan­ge und so betö­rend repro­du­zie­ren, bis es zu viel wird und man sie auto­ma­tisch wie­der erbricht. Selbst­fin­dung in der Puber­tät ist gewis­ser­mas­sen eine anhal­ten­de Buli­mie halb garer Hal­tun­gen und Gefüh­le.

Frau Mei­er stei­gert sich fast in einen grund­sym­pa­thi­schen Welt­hass Bernhard’scher Prä­gung, wenn sie in einem Absatz mal eben den hal­ben deut­schen Kul­tur­be­trieb, ach: die hal­be deut­sche Gesell­schaft umreißt:

Es scheint, als habe Hele­ne Hege­mann mit all ihren wie rasend her­ge­stell­ten, aus­ge­kotz­ten klei­nen Wer­ken wirk­lich einen wah­ren Kern gefun­den. So etwas wie den häss­li­chen Boden­satz der Ber­li­ner Bohè­me, mit dem sich die Kin­der der Gene­ra­ti­on Selbst­ver­wirk­li­chung her­um­schla­gen müs­sen. Es ist ein Boden­satz, in dem sich alle glei­chen, weil Kind­heit längst nicht mehr den Kin­dern gehört, son­dern zum Fetisch der Erwach­se­nen gewor­den ist. Das Erstaun­lichs­te an „Axolotl“ ist näm­lich dies: dass hier ein Teen­ager schreibt, als wäre er einer jener auf dem Dance­f­lo­or hän­gen geblie­be­nen Mitt­dreis­si­ger oder Anfangs­vier­zi­ger. Dass er zwei Gene­ra­tio­nen kurz­schliesst: die­je­ni­ge des früh­rei­fen Wun­der­kinds und jene der Rest­pos­ten aus der spät­kind­li­chen Infan­til­ge­sell­schaft.

Dass Frau Mei­er es schafft, einen Text, der der­art offen auf sei­ne Sub­jek­te ein­schlägt, ver­söhn­lich enden zu las­sen, spricht für die bei­den.

Aber lesen Sie selbst:

„Die Schön­heit des kaput­ten Kin­des“ von Simo­ne Mei­er

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Literatur

Literaturtipps zum Welttag des Buches

Bücher (Symbolfoto)

Buch­be­spre­chun­gen sind hier ja eher die Sache von Anni­ka, aber ich dach­te mir, zum Welt­tag des Buches kann ich auch mal ein biss­chen was über Lite­ra­tur erzäh­len.

Und das hab ich dann auch getan: Eine gute hal­be Stun­de über die Bücher gere­det, die ich seit mei­ner letz­ten Buch­vor­stel­lungs­run­de gele­sen habe. Es geht um gro­ße Namen und klei­ne Meis­ter­wer­ke, um Chris­toph Hein, Dani­el Kehl­mann, Hart­mut Lan­ge, Chuck Klos­ter­man und Goe­the.

Wir nen­nen es Pod­cast:

Lite­ra­tur­tipps zum Welt­tag des Buches (Zum Her­un­ter­la­den rechts kli­cken und „Ziel spei­chern unter …“ wäh­len.)

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Präsidialer Buchclub

Gut, dass ich in Deutsch­land gebo­ren wur­de, denn so kann ich nie als US-Prä­si­dent kan­di­die­ren. Denn selbst wenn ich Par­tei­in­ter­ne Gra­ben­kämp­fe und Fern­seh­de­bat­ten über­stün­de und wider Erwar­ten genug Geld für mei­ne Kam­pa­gne gesam­melt bekä­me, an einer Stel­le wür­de ich furi­os schei­tern: bei der Nen­nung mei­ner Lieb­lings­bü­cher.

Denn was sagt es über mich als Men­schen aus, wenn ich in die­sem Zusam­men­hang „Per Anhal­ter durch die Gala­xis“ von Dou­glas Adams, „High Fide­li­ty“ von Nick Horn­by und „Gegen den Strich“ von Jor­is-Karl Huys­mans nen­ne? Eben: Dass ich ein sozio­pa­thi­scher Nerd bin, dem sei­ne CD-Samm­lung wich­ti­ger ist als alles ande­re. Die ein­zi­gen Stim­men, die ich bekä­me, kämen aus Staats­ge­fäng­nis­sen, Plat­ten- und Rol­len­spiel­lä­den.

Ich könn­te natür­lich auch ein biss­chen mogeln bei mei­ner Lis­te, so wie es angeb­lich alle tun und wie es mut­maß­lich auch John McCain und Barack Oba­ma getan haben. Die nann­ten näm­lich „For Whom the Bell Tolls“ von Ernest Heming­way, „Im Wes­ten nichts Neu­es“ von Erich Maria Remar­que und „The Histo­ry of the Decli­ne and Fall of the Roman Empire“ von Edward Gib­bon (McCain) bzw. „Song of Solo­mon“ von Toni Mor­ri­son, „Moby-Dick“ von Her­man Mel­ville und der Essay „Self-Reli­ance“ von Ralph Wal­do Emer­son (Oba­ma).

Ich habe von all die­sen Büchern nur „Im Wes­ten nichts Neu­es“ gele­sen und weiß so unge­fähr, was bei Heming­way und Mel­ville pas­siert, von daher kann ich zu den lite­ra­ri­schen Favo­ri­ten der Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­ten wenig sagen – aber dafür gibt es ja den „San Fran­cis­co Chro­nic­le“, der eine Rei­he von Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­lern, Schrift­stel­lern und sons­ti­gen Exper­ten befragt hat. Sie erklä­ren unter ande­rem, dass es ein wenig über­ra­sche, dass McCain gleich zwei Anti-Kriegs­ro­ma­ne nen­ne, es im Gegen­satz dazu aber ziem­lich nahe­lie­gend sei, dass Oba­ma das Buch von Toni Mor­ri­son mag, in dem sich ein jun­ger, schwar­zer Mann auf die Suche nach sei­ner Iden­ti­tät begibt.

Wo sie schon mal dabei sind, geben die glei­chen Leu­te auch noch Tipps, was der zukünf­ti­ge Prä­si­dent unbe­dingt lesen soll­te. Und da ist viel­leicht auch was für Leser dabei, die nie US-Prä­si­dent wer­den woll­ten.

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Wer braucht schon ein Sektfrühstück bei Real Madrid?

Es gibt ja so Sachen, die nimmt man sich immer mal wie­der vor, macht sie dann aber doch nie: zum Zahn­arzt gehen, recht­zei­tig Weih­nachts­ge­schen­ke kau­fen, „Spie­gel Online“ aus dem Feed­rea­der schmei­ßen. Ich habe mir seit eini­gen Jah­ren vor­ge­nom­men, end­lich mal zu „Scu­det­to“ zu gehen, einer in Bochum schon legen­dä­ren Ver­an­stal­tungs­rei­he in Sachen Fuß­ball­li­te­ra­tur.

Aus­ge­rich­tet wird sie von Ben Rede­lings, der nicht nur meh­re­re Bücher über Fuß­ball und das Leben als Fan geschrie­ben, son­dern auch drei Fil­me über den VfL Bochum gedreht hat. Seit eini­ger Zeit ver­fol­ge ich sein Scu­det­to­blog, in dem ich auch end­lich die Gele­gen­heit wit­ter­te, „Scu­det­to“ ein­mal live zu erle­ben.

Und obwohl ich im Moment eher ungern mit Fuß­ball beschäf­ti­ge, ging ich trotz­dem gespannt ins Bochu­mer Riff, wo mich „Far Away In Ame­ri­ca“ begrüß­te, das viel­leicht beknack­tes­te Stück Fuß­ball­mu­sik aller Zei­ten. Nach die­sem Duett mit Vil­la­ge Peo­p­le (!!!) und der desas­trö­sen WM 1994 hat sich die deut­sche Fuß­ball­na­tio­nal­mann­schaft anschlie­ßend nie wie­der an ein Mot­to­lied her­an­ge­wagt.

Dann ging’s los und es gab Ton­do­ku­men­te, Fotos, Vide­os (You­Tube und eige­ne, s.a. „Scu­det­to-TV“, jetzt auch bei „Spie­gel Online“), eige­ne Tex­te von Ben Rede­lings und Rezi­ta­tio­nen wie die des gran­dio­sen Peter-Neururer-Inter­views aus der „Zeit“. Also all das, was man „Fuß­ball­kul­tur“ nennt.

„Scu­det­to“ ist da wie „11 Freun­de“ oder „Zeig­lers wun­der­ba­re Welt des Fuß­balls“: von Fans für Fans, noch ganz nah an dem Fuß­ball mit Brat­wurst und Bier, weit weg von den VIP-Loun­ges – also ganz nah dran am VfL Bochum. Irgend­wie klar, dass das neue Buch, das Ben Rede­lings ges­tern vor­stell­te, „Fuß­ball ist nicht das wich­tigs­te im Leben. Es ist das Ein­zi­ge“ heißt.

Irgend­wann zwi­schen Lese-Tei­len und Vide­os gab es das (offen­sicht­lich tra­di­tio­nel­le) Fuß­bal­ler-Zita­te-Quiz, bei dem man Rede­lings‘ Fuß­ball-Zita­te-Buch gewin­nen konn­te (wer es ein­mal gewon­nen und aus­wen­dig gelernt hat, hat beim nächs­ten Mal bes­se­re Chan­cen) und bei dem ich gera­de mal andert­halb Ant­wor­ten gewusst hät­te. Ben Rede­lings‘ eige­ne Tex­te sind kurz­wei­lig, sehr gut beob­ach­tet und aus der Per­spek­ti­ve eines ech­ten Fans geschrie­ben. Dass sie nicht unbe­dingt auf Poin­ten hin­aus­lau­fen, lässt sie im auf Lacher aus­ge­rich­te­ten Live­vor­trag mit­un­ter ein biss­chen wie Angrif­fe von Mario Gomez wir­ken, macht sie aber kein Stück schlech­ter.

Der nächs­te „Scudetto“-Termin steht auch schon fest: am 16. Okto­ber, dann mit einem Gast, auf den das Wort „Legen­de“ noch zutrifft: Wil­li „Ente“ Lip­pens. Und am Abend drauf spielt der VfL Bochum gegen Borus­sia Mön­chen­glad­bach.

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Literatur

Aus den Papierkörben der Weltliteratur (2)

Auf mei­ner Fest­plat­te habe ich wei­te­re Tex­te gefun­den, die vor mehr als einem hal­ben Jahr­zehnt ent­stan­den sind, bei denen ich aber der Mei­nung bin, dass man sie zumin­dest noch mal zur Blog­ver­fül­lung nut­zen kann.

So zum Bei­spiel der nun fol­gen­de Text, der im Deutsch­un­ter­richt bei eben jener Leh­re­rin ent­stand. Die Auf­ga­be war es, einen Text zu einem Bild zu schrei­ben, auf dem sich ein Mann mit bei­den Hän­den an einer Art Zaun abstützt, der sich in der Mit­te zu öff­nen scheint. (Ich hät­te die­ses Bild ger­ne ein­ge­scannt, habe es aber nicht mehr gefun­den.)

Des­halb steht über dem Text auch „Am Zaun“. Der Text und die Fuß­no­ten sind auf dem Stand vom 7. Juni 2001 und wur­den nur behut­sam an die gän­gi­gen Recht­schreib­re­geln ange­passt.

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Literatur Gesellschaft

Don’t party like it’s 1999

Kürz­lich blät­ter­te ich mal wie­der in „Tris­tesse Roya­le“, dem Rea­der der deutsch­spra­chi­gen Pop­li­te­ra­tur der 1990er Jah­re, dem Zeit­do­ku­ment der ers­ten Tage der Ber­li­ner Repu­blik. Und mir wur­de klar: Wer ver­ste­hen will, wie sehr sich unse­re Gesell­schaft und unse­re Welt im letz­ten Jahr­zehnt ver­än­dert haben, der muss nur die­se Pro­to­kol­le der Gesprä­che lesen, die Joa­chim Bes­sing, Chris­ti­an Kracht, Eck­hart Nickel, Alex­an­der von Schön­burg und Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re im spä­ten April des Jah­res 1999 im frisch wie­der­eröff­ne­ten Ber­li­ner Hotel „Adlon“ geführt haben.

Neh­men wir nur einen kur­zen Aus­schnitt, der eigent­lich alles sagt:

JOACHIM BESSING Gibt es denn eigent­lich über­haupt noch soge­nann­te gesell­schaft­li­che Tabus?
ALEXANDER V. SCHÖNBURG Die katho­li­sche Kir­che zu ver­tei­di­gen ist zum Bei­spiel ein moder­nes Tabu. Es ist ein All­ge­mein­platz, für die Anti­ba­by­pil­le und gegen die Fami­li­en­po­li­tik des Paps­tes zu sein. Wer heu­te, wie ich, sagt: Ich bin für den Papst und gegen die „Pil­le danach“, bricht ein gesell­schaft­lich ver­ein­bar­tes Tabu. Viel­leicht ist es auch ein ähn­li­cher Tabu­bruch, wenn eine Frau sagt: Ich gehö­re hin­ter den Herd und möch­te ger­ne mei­ne Kin­der erzie­hen. Ich möch­te gar nicht in die Drei-Wet­ter-Taft-Welt ein­tre­ten.

„Tris­tesse Roya­le“, S. 118

Lesen Sie die­se Aus­füh­run­gen ruhig mehr­mals. Und ver­su­chen Sie dann, sich vor­zu­stel­len, dass es eine Welt gab, in der „wir“ noch nicht Papst waren und in der Eva Her­man nur die Nach­rich­ten vor­ge­le­sen hat. Es war eine Welt, in der alles noch so war, wie es war, bevor nichts mehr so war, wie es zuvor gewe­sen war. Eine Welt in einem ande­ren Jahr­tau­send – aber wer heu­te aufs Gym­na­si­um kommt, war damals schon gebo­ren.

Natür­lich ist „Tris­tesse Roya­le“ kein Pro­to­koll einer tat­säch­li­chen Gesell­schaft. Die welt­män­ni­schen Posen der fünf jun­gen, kon­ser­va­ti­ven Her­ren lie­ßen sich auch damals nur schwer­lich mit der Welt­sicht der Mehr­heit der Bevöl­ke­rung auf eine Line brin­gen. Aber sie pass­ten sti­lis­tisch in die Eupho­rie des Auf­bruchs. Das Buch ist des­halb eine gute Erin­ne­rung an die­se ers­ten Tage der soge­nann­ten Ber­li­ner Repu­blik, als es so aus­sah, als wür­den Ger­hard Schrö­der und die rot-grü­ne Koali­ti­on Deutsch­land allei­ne aus der Kri­se füh­ren. In gewis­ser Wei­se haben sie das getan, aber das Volk hat es ihnen nicht gedankt, weil die als gro­ße „Reform“ anmo­de­rier­te Agen­da 2010 weh tat und sie zu einem nicht uner­heb­li­chen Teil auch unso­zi­al war. Nie­mand fragt, war­um es Deutsch­land unter einer Kanz­le­rin Mer­kel, die bis­her kei­ne ein­zi­ge innen­po­li­ti­sche Ent­schei­dung grö­ße­rer Trag­wei­te getrof­fen hat, plötz­lich so gut gehen soll, wie lan­ge nicht mehr. Nie­mand ist erstaunt, wenn die SPD unter dem Pfäl­zer Ted­dy Kurt Beck plötz­lich wie­der Sozi­al­de­mo­kra­tie der 1960er Jah­re betrei­ben will. Aber alle jam­mern über die­se wahn­sin­ni­gen Teue­rungs­ra­ten und über die Gefahr, schon mor­gen auf dem Koblen­zer Markt­platz Opfer einer isla­mis­ti­schen Atom­bom­be zu wer­den.

Zwi­schen April ’99 und Okto­ber ’07 lag der 11. Sep­tem­ber 2001, der natür­lich viel ver­än­dert hat und der für zwei neue gro­ße Krie­ge auf die­sem Pla­ne­ten ver­ant­wort­lich ist. Aber ich glau­be nicht, dass die­se Ter­ror­an­schlä­ge, so schlimm sie auch waren und so vie­le danach auch noch kamen, der Haupt­grund für die­se Ver­schie­bung gesell­schaft­li­cher Vor­stel­lun­gen ist.

Zwi­schen 1999 und 2007 lag näm­lich auch und vor allem ein Jahr­tau­send­wech­sel, egal ob man den am 1. Janu­ar 2000 oder erst ein Jahr spä­ter begos­sen hat. Wenn wir uns anse­hen, wel­che Aus­wir­kun­gen schon eine schlich­te Jahr­hun­dert­wen­de gehabt hat, dann müs­sen wir erstaunt sein, dass die­ser Über­gang vom zwei­ten zum drit­ten Mill­en­ni­um häu­fig so ein­fach über­gan­gen wird: Das spä­te 19. Jahr­hun­dert hat­te das Fin de siè­cle, das Zeit­al­ter des Deka­den­tis­mus, und genau das fin­den wir auch in „Tris­tesse Roya­le“ und der Gesell­schaft die­ser spä­ten 1990er Tage wie­der. Nicht weni­ge erwar­te­ten für die Sil­ves­ter­nacht 1999/​2000 den sofor­ti­gen Welt­un­ter­gang und ent­spre­chend wur­de auch gefei­ert und gelebt. Die­ser Über­schwung hielt dies­mal aber kei­ne 14 Jah­re, bis ein Ereig­nis die Welt erschüt­ter­te, son­dern die paar Mona­te bis zum Sep­tem­ber 2001.

Als Peter Scholl-Latour am Abend des 12. Sep­tem­ber 2001 in der Talk­show von Michel Fried­man das Ende der Spaß­ge­sell­schaft pos­tu­lier­te, hin­ter­ließ das zwar kei­nen all­zu blei­ben­den Ein­druck bei der Welt­be­völ­ke­rung, aber nach so einer Ansa­ge fie­len die Cham­pa­gner­bä­der in Ber­lin-Mit­te viel­leicht doch zunächst ein biss­chen klei­ner aus. Und ehe man sich’s ver­sah, war auch auf höhe­rer Ebe­ne aus einer apo­li­ti­schen Deka­denz­ge­sell­schaft eine apo­li­ti­sche Bie­der­mei­er­ge­sell­schaft gewor­den, in der man sei­nen dun­kel­haa­ri­gen Nach­barn sofort für einen poten­ti­el­len Mas­sen­mör­der hält, weil der sich drei­mal am Tag die Hän­de wäscht und betet. Ande­rer­seits wird ein alter Kir­chen­mann von Jugend­li­chen wie ein Pop­star ver­ehrt und Fern­seh­mo­de­ra­to­rin­nen erhe­ben das Gegen­teil ihres eige­nen Lebens­we­ges zum Heils­ver­spre­chen für alle Frau­en.

Damit sind wir, auf Umwe­gen, wie­der beim Aus­gangs­zi­tat ange­kom­men. Was machen eigent­lich die­se gro­ßen Män­ner der deutsch­spra­chi­gen Deka­denz heu­te? Nun: Alex­an­der von Schön­burg war kurz­zei­tig Chef­re­dak­teur des Edel­ma­ga­zins „Park Ave­nue“ und kollum­ni­ert für „Bild“; Joa­chim Bes­sing schreibt Bücher, die auf dem „Lebenshilfe“-Tisch der Buch­hand­lun­gen neben denen von Eva Her­man lie­gen; Eck­hart Nickel und Chris­ti­an Kracht grün­de­ten die sehr inter­es­san­te, lei­der aber nicht sehr erfolg­rei­che Lite­ra­tur­zeit­schrift „Der Freund“; Kracht selbst ent­schwebt in sei­nen Repor­ta­gen in immer unzu­gäng­li­che­re Sphä­ren und Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re war zuletzt als Rosen­ver­käu­fer im neu­en Horst-Schläm­mer-Video zu sehen.

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IV For Pop Culture

Chuck Klosterman IV (Cover der gebundenen Ausgabe)Manch­mal nei­ge ich zu sehr wohl­wol­len­den Zukunfts­pro­gno­sen. An die­sem Ein­trag war des­halb nahe­zu alles falsch: Das bestell­te Buch kam nicht (wie wir inzwi­schen wis­sen) am dar­auf­fol­gen­den Mon­tag an, son­dern konn­te erst nach einer Woche aus sei­ner Gefan­gen­schaft befreit wer­den. Auch brauch­te ich für die Lek­tü­re nicht die ver­an­schlag­te eine Woche, son­dern derer drei.

Jetzt aber: „Chuck Klos­ter­man IV: A Deca­de of Curious Peo­p­le and Dan­ge­rous Ide­as“ ist (wie der Titel schon nahe­legt) das vier­te Buch von Chuck Klos­ter­man. Chuck Klos­ter­man ist ein ame­ri­ka­ni­scher Musik‑, Film- und Pop­kul­tur­jour­na­list, der lan­ge Jah­re für das „Spin Maga­zi­ne“, aber auch für „Esqui­re“, das „New York Times Maga­zi­ne“ und diver­se ande­re Druckerzeug­nis­se gear­bei­tet hat. Ich kam mit sei­ner Arbeit erst­mals bewusst in Kon­takt, als der deut­sche „Rol­ling Stone“ im ver­gan­ge­nen Jahr das Kapi­tel über Kurt Cobain aus dem damals frisch auf deutsch erschie­ne­nen Klos­ter­man-Buch „Eine zu 85% wah­re Geschich­te abdruck­te. Das Buch heißt im Ori­gi­nal „Kil­ling Yours­elf To Live“ („85% Of A True Sto­ry“ ist der Unter­ti­tel, sooo abwe­gig ist deut­sche Vari­an­te dann doch nicht) und Klos­ter­man reist dar­in durch die hal­ben USA und klap­pert dabei Orte ab, an denen Rock­stars zu Tode gekom­men sind.

Als ich ein paar Mona­te spä­ter bei Bor­ders in San Fran­cis­co stand und mich nicht ent­schei­den konn­te, mit wel­chem Buch ich als nächs­tes mei­ne Kre­dit­kar­te belas­ten soll­te, fiel mir „Kil­ling Yours­elf To Live“ in die Hän­de. Ich kauf­te es, las es in einer Woche durch1 und wur­de Fan. In den nächs­ten Wochen kauf­te ich mir nach­ein­an­der „Sex, Drugs and Cocoa Puffs“, eine Arti­kel- und Essay­samm­lung über Pop­kul­tur im wei­te­ren Sin­ne, und „Far­go Rock City“, ein Buch über Hea­vy Metal, Hard­rock und Land­le­ben, das sehr spät mei­ne Begeis­te­rung für die Musik von Guns N‘ Roses weck­te.

„Chuck Klos­ter­man IV“ war im letz­ten Herbst schon als Hard­co­ver erschie­nen, aber ich woll­te es zwecks bes­se­rer Optik im Bücher­re­gal ger­ne eben­falls als Taschen­buch haben.2 Dafür hab ich jetzt auch ein paar zusätz­li­che Essays und Fuß­no­ten mit drin, die bei der Erst­ver­öf­fent­li­chung teil­wei­se noch gar nicht geschrie­ben waren. Essays und Fuß­no­ten gibt es in dem Buch eine gan­ze Men­ge, denn es ver­eint – wie der Unter­ti­tel schon andeu­tet – Tex­te aus zehn Jah­ren und ist in drei Tei­le geglie­dert: „Things that are true“, „Things that might be true“ und „Some­thing that isn’t true at all“.

„Things that are true“ sind Por­träts über Musi­ker wie Brit­ney Spears, U2, Radio­head, Wil­co oder Bil­ly Joel, aber auch Repor­ta­gen über The-Smit­hs-Fan­tref­fen vol­ler Lati­nos, Goths in Dis­ney­land und eine ein­wö­chi­ge Chi­cken-McNug­gets-Diät (acht Jah­re vor „Super Size Me“). Klos­ter­man hat ihnen klei­ne Ein­füh­run­gen vor­an­ge­stellt, die mit­un­ter min­des­tens so unter­halt­sam und erhel­lend sind wie die Arti­kel selbst. Er bemüht sich, sei­ne The­men und Por­trä­tier­ten ernst zu neh­men (sogar Brit­ney Spears) und beschreibt Sze­nen, Gesprä­che und Ereig­nis­se mit einem unglaub­li­chen Gespür für Spra­che und Komik. Dabei kommt es ihm sehr zu Gute, dass angel­säch­si­scher Jour­na­lis­mus (im Gegen­satz zum deut­schen) dem Ver­fas­ser eine eige­ne Posi­ti­on und sogar ein Ich zuge­steht. Statt umständ­li­cher Kon­struk­tio­nen kann er somit ganz per­sön­li­che Ein­drü­cke brin­gen, die viel aus­sa­ge­kräf­ti­ger sind als es die Vor­täu­schung von Objek­ti­vi­tät je wäre. Fast nie erhebt er sich über den Gegen­stand, nur Euro­pä­er und Soc­cer sind The­men, bei denen er schnell emo­tio­nal wird.

„Things that might be true“ ver­eint zahl­rei­che „Esquire“-Kolumnen zu eher abs­trak­ten Gedan­ken. Er jon­gliert mit kul­tur­theo­re­ti­schen, zwi­schen­mensch­li­chen und gesell­schaft­li­chen The­men, was ihm meis­tens sehr gut gelingt, wor­in er sich mit­un­ter aber auch ein wenig ver­hed­dert. Die­se Tex­te regen aber, mehr als die aus Teil Eins, zum Nach­den­ken an und ich bin mir sicher, dass sie an ame­ri­ka­ni­schen Unis bereits Gegen­stand eini­ger Semi­na­re und Haus­ar­bei­ten sind. Ihnen vor­an­ge­stellt ist je eine (mit­un­ter höchst hypo­the­ti­sche Fra­ge), die den Leser schon mal an den Rand des Wahn­sinns brin­gen kann. Bei­spiel gefäl­lig?

Q: Think of someone who is your fri­end (do not sel­ect your best fri­end, but make sure the per­son is someone you would clas­si­fy as „con­sider­a­b­ly more than an acquain­tance“).
 This fri­end is going to be atta­cked by a grizz­ly bear.
 Now, this per­son will sur­vi­ve this bear attack; that is gua­ran­teed. The­re is a 100 per­cent chan­ce that your fri­end will live. Howe­ver, the ext­ent of his inju­ries is unknown; he might recei­ve not­hing but a few super­fi­ci­al scrat­ches, but he also might lose a lim (or mul­ti­ple lim­bs). He might reco­ver com­ple­te­ly in twen­ty-four hours with not­hing but a gre­at sto­ry, or he might spend the rest of his life in a wheel­chair.
 Somehow, you have the abili­ty to stop this attack from hap­pe­ning. You can magi­cal­ly save your fri­end from the bear. But his (or her) sal­va­ti­on will come at a pecu­li­ar pri­ce: if you choo­se to stop the bear, it will always rain. For the est of your life, whe­re­ver you go, it will be rai­ning. Some­ti­mes it will pour and some­ti­mes it will drizz­le – but it will never not be rai­ning. But it won’t rain over the tota­li­ty of the earth, nor will the hydro­lo­gi­cal cycle be dis­rupt­ed; the­se storm clouds will be iso­la­ted, and they will focus enti­re­ly on your spe­ci­fic whe­re­a­bouts. You will never see the sun again.
 Do you stop the bear and accept a life­time of rain?

Also bit­te, wie bril­lant ist denn sowas?

„Things that are­n’t true at all“ ent­hält eine etwa drei­ßig­sei­ti­ge Kurz­ge­schich­te über einen jun­gen Film­kri­ti­ker, dem eini­ge ziem­lich abge­fah­re­ne3 Sachen pas­sie­ren. Die Geschich­te ist gut geschrie­ben, mit der Klos­ter­man-übli­chen Lie­be zu aus­ge­fal­le­nen Details und sie ist nur etwa drei­ßig Sei­ten lang. Viel mehr posi­ti­ves lässt sich dar­über nicht sagen, sie ist halt „ganz nett“, aber ihr Feh­len hät­te für das Buch kei­nen gro­ßen Makel bedeu­tet.

Wenn Sie sich jetzt seit unge­fähr dem zwei­ten Absatz fra­gen, ob Chuck Klos­ter­man „sowas wie der ame­ri­ka­ni­sche Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re“ sei: Schwer zu sagen. Bei­de beherr­schen ihr Hand­werk sicher­lich sehr gut, aber es gibt schon deut­li­che Unter­schie­de, die ganz pro­fan bei der Spra­che anfan­gen (ich lie­be die­ses For­mel­haf­te der eng­li­schen Spra­che, ihre idio­ma­ti­schen Wen­dun­gen und die zahl­rei­chen Mög­lich­kei­ten, sich vom Beschrie­be­nen zu distan­zie­ren) und bei der Ein­stel­lung der Autoren gegen­über ihren Inhal­ten auf­hö­ren.

„Chuck Klos­ter­man IV“ ist für alle, die sich für Pop­kul­tur im wei­te­ren Sin­ne (und für ame­ri­ka­ni­sche Mas­sen­kul­tur) inter­es­sie­ren, die ger­ne gut geschrie­be­ne Por­träts und Repor­ta­gen lesen und sich für etwas absei­ti­ge Gedan­ken­gän­ge erwär­men kön­nen. Und für kurio­se Leu­te.

1 Es ist bedeu­tend dün­ner als das neue Buch (257 zu 416 Sei­ten).
2 Iro­nie der Geschich­te: Die Bücher ste­hen gar nicht bei mir im Regal. Das ist näm­lich voll. Sie lie­gen jetzt auf einer Rei­he ste­hen­der Bücher und wer­den noch dazu von einer Borus­sia-Mön­chen­glad­bach-Flag­ge ver­deckt.
3 Dem­nächst an die­ser Stel­le: Die zehn schöns­ten Acht­zi­ger-Jah­re-Adjek­ti­ve.

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Null-Blog-Generation (3)

Maik Söh­ler bespricht in der Net­zei­tung das Buch „Pop seit 1964“ von Kers­tin Gle­ba und Eck­hard Schu­ma­cher und ver­steigt sich dabei in die Behaup­tung, Blogs sei­en doch heut­zu­ta­ge Pop­li­te­ra­tur im eigent­li­chen Sin­ne:

«Lie­ber geil angrei­fen, kühn tota­li­tär roh kämp­fe­risch und lus­tig, so muss geschrie­ben wer­den», meint Rai­nald Goetz in sei­nem Text «Subi­to». Ja! Genau­so schreibt doch Don Alphon­so in sei­nen bes­ten Ein­trä­gen in der Blog­bar. Und noch­mal Goetz: «Gehe weg, du blö­der Saus­inn, ich will von dir Dum­mem Lang­wei­li­gen nie nichts wis­sen.» Das trifft auf vie­le Blogs zu – ob sie wie «Melan­cho­lie Mode­s­te» oder «Vigi­li­en» nun expli­zit lite­ra­risch sind oder wie Bov Bjergs oder Felix Schwen­zels Blog ein­fach nur hübsch ver­strahlt.

Kenn­zeich­net Died­rich Diede­rich­sens aus den acht­zi­ger Jah­ren stam­men­der Satz, Pop sei die «letz­te Instanz der Wahr­heit» nicht exakt das Bild­blog? Trifft Andre­as Neu­meis­ters Bestim­mung der «Gegen­wart als Alles» nicht das Grund­ver­ständ­nis tau­sen­der News­blogs? Spie­gelt Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­res Äuße­rung, «man ist schon woan­ders, wenn die noch die Mes­ser wet­zen», nicht genau das Ver­hält­nis von Blog­gern zu den eta­blier­ten Medi­en, wenn die­se sich mal wie­der ver­ständ­nis­los das Phä­no­men des Blog­gens vor­neh­men?

Super­ge­dan­ke, eigent­lich. Steht nicht auch der Umstand, dass sich die Blogo­sphä­re eher über tech­ni­sche denn über inhalt­li­che Gemein­sam­kei­ten defi­niert, in der Tra­di­ti­on eines Mar­shall McLuhan mit sei­ner The­se „The medi­um is the mes­sa­ge“? Okay, so ganz neu ist der Gedan­ke nicht, aber schon in gewis­ser Wei­se nach­voll­zieh­bar.

Allein: Wenn man im Inter­net (noch dazu in Deutsch­lands ein­zi­ger Inter­net­ta­ges­zei­tung) in einem Arti­kel über Blogs und Blog­ger schreibt, von denen man auch noch sechs nament­lich erwähnt, war­um in Drei­teu­fels­na­men ist dann auch hier KEIN EINZIGES Blog ver­linkt? Und war­um führt der ein­zi­ge Link im Fließ­text aus­ge­rech­net zu den „eta­blier­ten Medi­en“, näm­lich zu die­sem Arti­kel in der FAS?