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Bist Du noch wach? — 2. Kannst Du gut mit Lob umgehen?

In der zwei­ten Fol­ge spre­chen Sue und Lukas unter ande­rem über Bücher, die ihr Leben nach­hal­tig ver­än­dert haben — was nahe­lie­gen­der­wei­se zu einer Dis­kus­si­on über pro­ble­ma­ti­sche Songs von Ade­le und Bruce Springsteen führt.

Es geht um Netz-Bekannt­schaf­ten, die Fra­ge, war­um Lukas nicht exis­tiert, und um Leben und Tod. Dafür spre­chen wir nicht über Din­ge, bei denen man ein­fach wort­los gehen darf, wenn sie jemand anders sagt.

Wenn Ihr uns schrei­ben wollt (zum Bei­spiel, weil Ihr eige­ne Fra­gen habt). könnt Ihr das jetzt unter bistdunochwach@coffeeandtv.de tun!

Show­no­tes:

Lukas’ Bücher:

  • Dou­glas Adams: „Per Anhal­ter durch die Gala­xis“
  • Hell­muth Kara­sek: „Bil­ly Wil­der — Eine Nah­auf­nah­me“
  • Johann Wolf­gang Goe­the: „Die Lei­den des jun­gen Wert­hers“
  • John Green: „The Fault in our Stars“ („Das Schick­sal ist ein mie­ser Ver­rä­ter“)
  • Wolf­gang Herrn­dorf: „Tschick“
  • Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re: „Remix“

Sues Bücher:

  • Nick Horn­by: „High Fide­li­ty“
  • Gary Kel­ler: „The One Thing“
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Literatur Musik

And through it all

Frü­her waren Leu­te berühmt, weil sie etwas (z.B. malen, sin­gen, schrei­ben, Krie­ge gewin­nen) beson­ders gut konn­ten. Heu­te sind sie berühmt, weil sie das Eine gut konn­ten und jetzt etwas ganz ande­res machen (z.B. Fern­seh­kö­che, Lena Mey­er-Land­rut, Donald Trump – wobei: was kann der schon?). Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re war vor fast 20 Jah­ren der gefei­er­te Jung- bzw. Pop­li­te­rat („Pop­jungli­te­rat“ ging wohl irgend­wie nicht), vor zwei Jah­ren der geläu­ter­te Held sei­ner Auto­bio­gra­phie und ist jetzt bin­nen weni­ger Mona­te zum König von Insta­gram gewor­den. Gut: Über 18.000 Fol­lower lachen ech­te Influen­cer natür­lich, aber was er da in kur­zer Zeit für eine (uh, ah) Com­mu­ni­ty auf­ge­baut hat, ist schon beein­dru­ckend. Erwach­se­ne Leu­te, die sich wei­gern wür­den, einer Par­tei oder auch nur einem Sport­ver­ein bei­zu­tre­ten, fil­men sich dabei, wie sie den (wirk­lich extrem cat­c­hy­gen) Titel sei­nes neu­en Buchs in die Kame­ra sagen: „Ich glaub, mir geht’s nicht so gut, ich muss mich mal irgend­wo hin­le­gen – Remix 3“.

Und so ist die­ser Abend hier in der Bochu­mer Zeche ein biss­chen wie die „Glow“ im Klei­nen. Für Leu­te, die mehr Bücher als Make­up zuhau­se haben. Erst­mal den Back­drop (auf dem dann doch nur Platz für „Remix 3“ war) bei Ins­ta pos­ten! In der Rei­he hin­ter mir sagen Män­ner den Satz, den Män­ner im Jahr 2018 so sagen, wenn sie das mit der Rock­star-Kar­rie­re wirk­lich auf­ge­ge­ben haben und die E‑Gitarren als Deko im Pin­te­rest-Wohn­zim­mer ver­stau­ben: „Lass mal ’nen Pod­cast zusam­men machen!“

Um kurz nach Acht geht das Saal­licht aus, ein pop­kul­tu­rel­les Maxi­mal-Mas­hup erklingt und dann, als Auf­marsch­mu­sik: „The Hea­vy Enter­tain­ment Show“ von Rob­bie Wil­liams. Das lief aber beim letz­ten Mal vor zwei Jah­ren auch schon! Der Pop­li­te­rat ist von Anfang an voll da und muss erst­mal umständ­lich eine Noel-Gal­lag­her-Fah­ne am Tisch befes­ti­gen („Es ist halt schon ein­fa­cher, wenn man Joko und Klaas ist!“). Die hat er beim Kon­zert in Ham­burg gekauft, von dem er aus­führ­lich via Insta­gram-Sto­ry berich­tet hat­te – und ich lag im Bett, sah das auf mei­nem iPho­ne und fühl­te mich ein biss­chen, als wäre ich selbst dabei gewe­sen.

Das Wort „Lesung“ hat es bei Stuck­rad-Bar­re noch nie so rich­tig getrof­fen, fast wich­ti­ger als die Tex­te ist das Drum­her­um, das Rum­hib­beln und das Abschwei­fen. Als er dann trotz­dem liest, steigt er direkt mit dem stärks­ten Text des Buches ein, einem Por­trät über Jür­gen Flie­ge, das ich schon bei Erst­ver­öf­fent­li­chung in der „Welt“ gele­sen und gefei­ert, danach aber für sechs­ein­halb Jah­re ver­ges­sen hat­te. Es ist ein Text der Sor­te „Unsag­bar gut, muss ich jetzt täg­lich drei Mal lesen, um mir zu mer­ken, wie man eigent­lich schreibt!“

Über­haupt: „Remix“ (das eine wil­de Samm­lung von zuvor ver­öf­fent­lich­ten Tex­ten ent­hielt und damals gegen den aus­drück­li­chen Wunsch des Autors nicht „Remix 1“ hieß) war im Som­mer vor 18 Jah­ren das Buch, bei dem es bei mir „Klick“ gemacht hat, und nach dem ich ange­fan­gen habe, eige­ne, sehr mei­nungs­freu­di­ge Tex­te zu schrei­ben und ins Inter­net zu stel­len (wo sie hof­fent­lich weni­ger Leser*innen hat­ten als ich heu­te Fol­lower auf Insta­gram). An „Fest­wert­spei­cher der Kon­troll­ge­sell­schaft: Remix 2“ kann ich mich kaum erin­nern (und dem Autor geht es da ver­mut­lich genau­so), die Bril­lanz kam dann erst wie­der mit „Auch Deut­sche unter den Opfern“ zum Vor­schein.

All die­sen Büchern ist gemein, dass es sich um Text­samm­lun­gen han­delt, die The­men und vor allem die Qua­li­tät also etwas schwan­ken. Nach dem gran­dio­sen Besuch beim TV-Pfar­rer folgt also in der Live-Dar­bie­tung ein Text dar­über, wie sich Stuck­rad und sei­ne Freun­din Part­ner­tat­toos ste­chen las­sen, weil sie so ver­liebt sind. Das ist im Buch schon einer der schwächs­ten Tex­te (die Faust­re­gel, wonach glück­li­che Künst­ler kei­ne gute Kunst erschaf­fen kön­nen, hat lei­der wei­ter­hin Bestand), wird in der Gegen­wart aber auch nur bedingt dadurch auf­ge­wer­tet, dass Bezie­hung und Tat­toos inzwi­schen schon wie­der Geschich­te sind.

Zur Auf­lo­cke­rung sol­len danach alle, die auch bei Insta­gram sind, auf die Büh­ne, damit er uns foto­gra­fie­ren und hin­ter­her tag­gen kann. Wir kom­men der Auf­for­de­rung brav nach, in die­sem Moment ist völ­lig unklar, ob das hier die Grün­dungs­ver­an­stal­tung einer neu­en Sek­te ist und wie viel das noch (wenn über­haupt) mit Iro­nie zu tun hat. Wir stel­len uns also zum ers­ten Klas­sen­fo­to seit 15, 20 Jah­ren auf und nach­dem wir end­lich rich­tig ste­hen und Stuck­rad-Bar­re sein Foto gemacht hat, bedankt er sich so über­schwäng­lich, dass lang­sam klar wird: der meint das ernst. Er macht sich stän­dig über die­sen Insta­gram-Kram und sei­ne Rol­le dar­in lus­tig, aber er genießt es wirk­lich, die­se Stim­mung in die ech­te Welt zu holen: „Auf Insta­gram gibt’s kei­ne Nazis, da gibt’s nur Her­zen!“ Hach.

Die Idee, im Früh­jahr 2018 einen Text über die Fuß­ball-WM 2010 zu lesen, ist dann gera­de­zu absurd, aber drum­her­um kom­men wie­der so vie­le Aus­schwei­fun­gen, dass Jogi Löws baby­blau­er Baby­kash­mir-Pull­ove­ra jetzt wirk­lich kaum noch was zur Sache tut. Dafür gibt es Geschich­ten aus dem Cha­teau Mar­mont, „in dem ich aus Image-Grün­den lebe – zumin­dest so lan­ge, bis die gan­ze Koh­le auf­ge­braucht ist und ich wie­der auf Lese­rei­se gehen muss“, und eine Dis­kus­si­on mit einer Zuschaue­rin über Toco­tro­nic (inkl. Hör­pro­be und Aus­füh­run­gen dar­über, dass man als Fan die Schuld für das Nicht-mehr-Ver­ste­hen eines Idols bei sich selbst suchen soll­te). Als Zuga­be, für die er aber gar nicht erst von der Büh­ne geht, dann den wie­der­um sehr guten Text über ein Madon­na-Kon­zert, bei dem das mit dem stän­di­gen „Remix“ jetzt end­lich mal Sinn ergibt (oder so ähn­lich), weil Stuck­rad den Namen „Madon­na“ (bei­na­he) kon­se­quent durch „Bet­ti­na Böt­tin­ger“ ersetzt.

Ein Lied habe er noch für uns, sagt er schließ­lich und aus der augen­zwin­kern­den Pop­kul­tur­re­fe­renz wird plötz­lich Ernst, denn vom Band (sagt man noch „Band“?) läuft jetzt plötz­lich eine Live-Ver­si­on von Rob­bie Wil­liams‘ „Angels“ und der Pop­li­te­rat wird zum Sän­ger (und das nicht mal schlecht):

Das ist nun plötz­lich no sur­face, all fee­ling: Anders als nie­de­re Unter­hal­tungs­künst­ler wie Jan Böh­mer­mann es viel­leicht machen wür­den, ist das hier kei­ne Pose mit Flucht­mög­lich­keit auf die Iro­nie-Ebe­ne. Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re meint das hier alles völ­lig ernst: Er singt ein Lied, das er liebt, und ist umge­ben von Men­schen, die sich freu­en, hier zu sein. Um das jetzt doof zu fin­den, muss man ent­we­der sehr kalt­her­zig sein oder mit Pop­kul­tur so gar nichts anfan­gen kön­nen (was aufs Sel­be raus­kommt).

Am Bücher­stand dür­fen wir uns alle sel­ber auf dem Grup­pen­fo­to mar­kie­ren, der Autor signiert und posiert lan­ge für Fotos, die natür­lich alle auf Insta­gram lan­den. Falls es so etwas gibt, fühlt es sich an wie die denk­bar posi­tivs­te Ver­si­on eines Klas­sen­tref­fens. Auch wenn wir da alle natür­lich eigent­lich nie hin­ge­hen wür­den.

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Leben

In memoriam Renate Erichsen

Ich schrei­be jetzt seit über 25 Jah­ren: Schul­auf­sät­ze, Lied­tex­te, Dreh­bü­cher, Rezen­sio­nen, Arti­kel, Semi­nar­ar­bei­ten, Blog­ein­trä­ge, Vor­trä­ge, Wit­ze, Mode­ra­tio­nen, News­let­ter, Tweets, … 

Letz­te Woche gab es eine Pre­mie­re, auf die ich auch noch ein paar Jah­re hät­te ver­zich­ten kön­nen: Ich habe mei­ne ers­te Trau­er­re­de geschrie­ben und gehal­ten – auf mei­ne Oma, die heu­te vor einem Monat im Alter von 84 Jah­ren gestor­ben ist.

Ich habe lan­ge dar­über nach­ge­dacht, ob ich dar­über etwas schrei­ben soll, weil es ja nicht nur um mein Pri­vat­le­ben geht, son­dern auch um das mei­ner Oma und mei­ner Fami­lie, des­we­gen will ich nicht ins Detail gehen, aber ande­rer­seits war mei­ne Oma medi­al bis zuletzt fit, hat mein Blog (und ande­re) gele­sen, „Lucky & Fred“ gehört (wes­we­gen ich ihren Tod auch in der letz­ten Fol­ge the­ma­ti­siert habe) und mit uns Enkeln per Tele­gram kom­mu­ni­ziert (Whats­App lief nicht auf ihrem iPad). Außer­dem gab es ja sonst kei­ne Nach­ru­fe auf sie und mut­maß­lich wird man auch kei­ne Stra­ßen nach ihr benen­nen oder ihr Sta­tu­en errich­ten.

Rena­te Erich­sen, die für uns nur Omi Nate war, wur­de 1932 in Ber­lin gebo­ren, wäh­rend des Krie­ges floh ihre Fami­lie nach Feh­marn und ließ sich dann spä­ter in Dins­la­ken (of all places) nie­der. Sie war, wohl auch des­halb, poli­tisch und gesell­schaft­lich sehr inter­es­siert und woll­te von ihren Enke­lin­nen und Enkeln immer wis­sen, wie wir über bestimm­te Din­ge den­ken. 

Die Rena­tio­na­li­sie­run­gen, die in der EU – aber nicht nur dort – in den letz­ten Jah­ren zu beob­ach­ten waren, berei­te­ten ihr gro­ße Sor­gen, poli­ti­sche Strö­mun­gen wie AfD und Donald Trump auch. „Das habe ich alles schon mal erlebt“, sag­te sie dann und es gab kei­ne Zwei­fel dar­an, dass sie das nicht noch mal haben muss­te — und auch nie­man­dem sonst wünsch­te.

Bei einem unse­rer Tele­fon­ge­sprä­che nach dem Brexit-Refe­ren­dum im ver­gan­ge­nen Jahr beklag­te sie sich dar­über, dass so weni­ge jun­ge Men­schen zur Wahl gegan­gen waren — aber auch und vor allem, dass so vie­le alte Men­schen über die Zukunft der Jun­gen abge­stimmt und ihnen damit die Zukunft ver­baut hät­ten. Obwohl sie, wie sie oft erwähn­te, eine klei­ne Ren­te hat­te, stimm­te sie bei Wah­len lie­ber so ab, wie sie es für „die jun­gen Leu­te“ (also: uns) für rich­tig hielt.

All das und eini­ge ande­re Din­ge habe ich ver­sucht, in mei­ne Rede ein­zu­bau­en und dabei fest­ge­stellt, dass das auf ein paar Sei­ten Text gar nicht so ein­fach ist. Klar: Auch in mei­nen jour­na­lis­ti­schen Arbei­ten ist nie Platz für alles, aber die füh­len sich nicht an, als müss­ten sie ein The­ma (oder in die­sem Fall: ein Leben) qua­si „abschlie­ßend“ ver­han­deln.

Vor der Trau­er­fei­er war es auch so, dass ich haupt­säch­lich an mei­ne Rede gedacht habe, was sich einer­seits total ego­is­tisch und fehl am Plat­ze anfühl­te, ande­rer­seits aber eine ganz gute emo­tio­na­le Ablen­kung war — und ich woll­te ja auch, dass die Rede eini­ger­ma­ßen gut und vor allem ange­mes­sen wird.

Ich habe des­halb auch noch mal die Rede gegoo­gelt, die Thees Uhl­mann von Tom­te im Febru­ar 2004 (Wahn­sinn, wie lang das schon wie­der her ist!) auf der Beer­di­gung von Roc­co Clein gehal­ten hat — für mei­ne Zwe­cke nur bedingt hilf­reich, aber auch all die Jah­re spä­ter immer noch groß, gewal­tig und trös­tend. Und bei der Suche bin ich auch auf ein Dop­pel­in­ter­view mit Thees und Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re gesto­ßen, das letz­tes Jahr im „Musik­ex­press“ erschie­nen ist. Die bei­den lie­gen mir ja eh sehr am Her­zen (im Sin­ne von: ich wür­de ohne die bei­den ver­mut­lich gar nicht schrei­ben — oder zumin­dest nicht so, wie ich es jetzt – auch hier, gera­de in die­sem Moment – tue), aber es ist auch so ein schö­nes Gespräch, in dem es auch um beson­de­re Men­schen geht.

Und so erschien mir der Rück­weg aus Dins­la­ken nach Trau­er­fei­er, Urnen­bei­set­zung, Kaf­fee­trin­ken und sehr engem fami­liä­ren Bei­sam­men­sein dann auch der rich­tig Zeit­punkt, um nach Jah­ren mal wie­der „Hin­ter all die­sen Fens­tern“ zu hören, das Album mit dem Tom­te damals in mein Leben gekracht waren und das ich damals ganz oft im Zug von Dins­la­ken nach Bochum und zurück gehört hat­te.

Es war sicher­lich auch den beson­de­ren Umstän­den geschul­det, dass mich das Album noch ein­mal mit­ten ins Herz traf: „Schreit den Namen mei­ner Mut­ter, die mich hielt“, „Das war ich, der den weg­brach­te, den Du am längs­ten kennst“, „Es könn­te Trost geben, den es gilt zu sehen, zu erken­nen, zu buch­sta­bie­ren“, „Von den Men­schen berührt, die an dem Fried­hof stan­den, am Ende eines Lebens“ — ich hät­te mir sofort das gesam­te Album täto­wie­ren las­sen kön­nen.

Die­ses Gefühl, dass da jemand vor inzwi­schen 15 Jah­ren ein paar Tex­te geschrie­ben hat, die etwas mit sei­nem dama­li­gen Leben zu tun hat­ten, und dass die­se Tex­te dann zu ver­schie­de­nen Zeit­punk­ten im eige­nen Leben in einem genau die wun­den Stel­len tref­fen und gleich­zei­tig weh­tun und beim Hei­len hel­fen: Wahn­sinn! Immer wie­der aufs Neue!

Und dann noch mal die liner notes zum Album lesen und immer wie­der nicken und sich ver­stan­den füh­len. Mei­ne Oma hat Zeit ihres Lebens alle Lite­ra­tur ver­schlun­gen, derer sie hab­haft wer­den konn­te — „ich habe mehr durch Musik gelernt, als durch Biblio­the­ken“, sang wie­der­um Thees Uhl­mann auf der fina­len Tom­te-Plat­te.

Im Übri­gen hat sich her­aus­ge­stellt, dass so ein Tod (zumin­dest, wenn er nach einem lan­gen und erfüll­ten Leben kam und die Ver­stor­be­ne sich ange­mes­sen ver­ab­schie­den konn­te) ein viel­leicht etwas absei­ti­ger, aber zuver­läs­si­ger Gesprächs­mo­tor ist. Ich habe jeden­falls in den letz­ten Wochen vie­le sehr gute Gesprä­che mit engen Freun­den, aber auch ganz ande­ren Men­schen geführt.

Die­ser Text erschien ursprüng­lich in mei­nem News­let­ter „Post vom Ein­hein­ser“, für den man sich hier anmel­den kann.

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Literatur

Hinter dem Horizont geht’s weiter

„lit.COLOGNE zählt nicht: Da ist über­all aus­ver­kauft!“

Ist das Koket­te­rie, Under­state­ment oder ech­ter Selbst­zwei­fel? Bei Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re weiß man ja nie. Ver­mut­lich hät­ten die Mit­ar­bei­ter vom Ver­lag und vom WDR allei­ne den Sen­de­saal („Ist das eigent­lich der gro­ße?“) voll­ge­macht, aber es gibt wohl auch genug zah­len­de Gäs­te und auch noch genug zah­lungs­wil­li­ge, für die dann aber lei­der echt kein Platz mehr ist. Qua­si-Heim­spiel, Come­back, jetzt aber wirk­lich!

Stuck­rad-Bar­re hat, das war in den letz­ten Tagen viel­leicht gele­gent­lich mal in den Feuil­le­tons und Kul­tur­sen­dun­gen ange­klun­gen, ein neu­es Buch geschrie­ben, das „Panik­herz“ heißt, von ihm selbst kon­se­quent als „Memoir“ bezeich­net wird und eine Bestands­auf­nah­me der ers­ten vier­zig Jah­re Leben ist, die auch Stoff für acht­zig Jah­re gebo­ten hät­ten. Jetzt sind’s eben 564 Sei­ten gewor­den.

Im ers­ten Kapi­tel, das hier heu­te Abend live vor­ge­le­sen wird, geht es um die Zeit in der Redak­ti­on der kurz­le­bi­gen ARD-Sen­dung „Pri­vat­fern­se­hen“ mit Fried­rich Küp­pers­busch. Das ist inso­fern lus­tig, weil Fried­rich selbst auf der Büh­ne sitzt und vor­liest, was da über ihn, Küp­pers­busch, in der drit­ten Per­son geschrie­ben steht. Ich habe mehr als 15 Jah­re spä­ter in der Redak­ti­on sei­ner (von vorn­her­ein als kurz­le­big geplan­ten) WDR-Sen­dung „Tages­schaum“ gear­bei­tet und neben mir sitzt der Redak­ti­ons­lei­ter bei­der Sen­dun­gen und ich ver­su­che, alle sei­ne Reak­tio­nen zu deu­ten. Hal­lo, Her­me­neu­tik!

Es geht dann aber recht schnell auch um das, was „Panik­herz“ für die etwas bou­le­var­desker ein­ge­stell­ten Jour­na­lis­ten inter­es­sant macht: um Dro­gen, Abstür­ze und Selbst­zwei­fel. In einer lan­gen, aber gran­dio­sen Pas­sa­ge erklärt Stuck­rad-Bar­re, war­um er unter kei­nen Umstän­den zu sei­nem 20-jäh­ri­gen Abi­tref­fen gehen konn­te – dass jeder sei­nen Auf­stieg und Fall, wenn schon nicht live medi­al mit­er­lebt, in der Wiki­pe­dia nach­le­sen kann, spielt dabei kei­ne Rol­le, er fin­det genug ande­re Grün­de.

In den vor­ge­le­se­nen Kapi­teln sind Selbst­zwei­fel und Maxi­mal­ab­stür­ze mit­un­ter schon auf Poin­te gebürs­tet, das hilft hier natür­lich, denn über zwei Stun­den Elends­beich­te wären dann – lit.COLOGNE hin oder her – viel­leicht doch ein biss­chen zu viel. Kann man ja dann zuhau­se noch mal nach­le­sen und fest­stel­len, dass es eigent­lich gar nicht lus­tig ist. Und ohne Stuck­rads Udo-Lin­den­berg-Imi­ta­tio­nen (es geht in dem Buch viel um Udo Lin­den­berg, den Hel­den seit Kind­heits­ta­gen und Ret­ter in den dun­kels­ten Stun­den) fehlt bei der Lek­tü­re im Lehn­stuhl dann auch was.

Zwi­schen­durch den­ke ich: Da sit­zen jetzt echt der Mann, des­sent­we­gen ich schon als Kind zum Fern­se­hen woll­te, und mit dem ich heu­te ab und zu Pod­casts pro­du­zie­re, und der Mann, des­sent­we­gen ich als Teen­ager mit dem Schrei­ben ange­fan­gen habe, auf einer Büh­ne und lesen aus einem Buch, das zwar eigent­lich eine Auto­bio­gra­phie – Ver­zei­hung: ein Memoir! – ist, das aber auch super als Atlas der Pop­kul­tur der letz­ten 20 Jah­re taugt. Tell me more, tell me more!

Zwi­schen dem Auf­tritt mit Rock­star­ges­te zu „Sub­ur­bia“ von – natür­lich! – den Pet Shop Boys und der Ver­ab­schie­dung mit völ­lig auf­rich­tig wir­ken­der Dank­bar­keit lie­gen vie­le Sei­ten des Buches und eini­ges an Geplän­kel zwi­schen den bei­den Vor­tra­gen­den. Wer alles deu­ten und inter­pre­tie­ren will, sieht das geal­ter­te ADHS-Kind wäh­rend die­ser Zeit siche­rer – und damit weni­ger albern – wer­den. Wer bei der lan­gen Umar­mung, bevor Fried­rich Ben­ja­min die Büh­ne zur Zuga­be über­lässt, nicht schlu­cken muss, hat ein frit­tier­tes Herz.

Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re ist wie­der da und es sieht aus, als pla­ne er zu blei­ben. Aber jetzt ent­schul­di­gen Sie mich bit­te: ich hab noch über 400 Sei­ten vor mir.

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Lucky & Fred: Episode 11

Pünkt­lich wie immer erklä­ren Lucky & Fred, war­um die AfD mit Deutsch­land nichts am Hut hat, wer die Social-Media-Pro­fi­le von Eri­ka Stein­bach betreut und wie man im Spei­se­wa­gen der Deut­schen Bahn eine Ves­per­plat­te bekommt. Fred bewun­dert VW, Lucky hus­tet Fred was und gemein­sam geden­ken sie der vie­len ver­stor­be­nen Pro­mi­nen­ten der letz­ten Mona­te.

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Digital Politik

Lucky & Fred: Episode 2

Es ist ganz schön was pas­siert in der Welt seit unse­rer ers­ten Fol­ge: Die Krim-Kri­se regt Jour­na­lis­ten zu wil­den His­to­ri­en-Ver­glei­chen an. Wir erklä­ren, war­um wir uns über einen Rück­tritt von Innen­mi­nis­ter Hans-Peter Fried­rich mehr gefreut hät­ten als über den von Land­wirt­schafts­mi­nis­ter Hans-Peter Fried­rich.

Die Ver­ur­tei­lung von Uli Hoe­neß ist der Start­schuss für das Brei­ten­sport­pro­jekt „Deutsch­land übt Kaba­rett”. Wir wer­fen einen Blick auf all das, was man ja wohl noch sagen dür­fen kön­nen muss, und for­dern Frei­heit für Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re.

Auf einer all­täg­li­che­ren Ebe­ne spre­chen wir über zu dicke Flie­sen­spie­gel, gekühl­te Super­märk­te und Taxitel­ler:

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Auf der Straße zur Ironie-Hölle

„Iro­ny is over. Bye bye.“
(Pulp – The Day After The Revo­lu­ti­on)

In der „Zeit“ von letz­ter Woche beschreibt Nina Pau­er zwei post­mo­der­ne Phä­no­me­ne: das der Fremd­scham und der Iro­nie. Anhand von Cas­ting- und Kup­pel­shows, von „Bad Taste“-Partys und „Bra­vo Hits“ ver­han­delt sie das Zele­brie­ren von Din­gen, die man eigent­lich ver­ab­scheut. Die Über­schrift „Wenn Iro­nie zum Zwang wird“ ver­knappt den sehr lesens­wer­ten Arti­kel lei­der etwas, denn tat­säch­lich geht es hier um zwei Phä­no­me­ne mit ähn­li­chen Sym­pto­men und einer gewis­sen Schnitt­men­ge.

Da sind zum einen die Fern­seh­shows, die ähn­lich funk­tio­nie­ren wie der sprich­wört­li­che Auto­un­fall: Sie zie­hen ihre Fas­zi­na­ti­on aus dem „Grau­en“, des­sen sich der Zuschau­er nicht erweh­ren kann. Cas­ting­shows möch­te ich mal aus­klam­mern, die sehe ich nicht (mehr). Vie­le wer­den offen­bar von zutiefst ver­bit­ter­ten Zyni­kern ver­ant­wor­tet, die im Leben nicht die Eier hät­ten, sich vor drei Leu­te (geschwei­ge denn eine Fern­seh­ka­me­ra) zu stel­len, um ein Lied zu sin­gen. Ihnen sol­len die Fuß­nä­gel ein­wach­sen und die Haa­re aus­fal­len. ((Außer in den Ohren und den Nasen­lö­chern, da soll es wuchern wie im Ama­zo­nas­ge­biet.)) Die Part­ner­su­chen bei „Bau­er sucht Frau“ oder „Schwie­ger­toch­ter gesucht“ mögen ähn­lich zynisch pro­du­ziert sein, las­sen mei­nes Erach­tens aber auch Raum für mehr.

Wenn sich heu­te Men­schen auf der Couch oder im Inter­net ver­sam­meln, um gemein­sam „Bau­er sucht Frau“ zu schau­en (und vor allem zu bespre­chen), dann machen sie dabei Din­ge, die Men­schen seit Jahr­tau­sen­den tun: So hof­fen sie auf den kathar­ti­schen Effekt von „Jam­mer und Schau­der“, den schon Aris­to­te­les in sei­ner „Poe­tik“ beschrie­ben hat – nur, dass sich Aris­to­te­les unter „Jam­mer und Schau­der“ etwas ande­res vor­ge­stellt hat als gel­be Pull­over und Zun­gen­wurst­bro­te. Auch war es in frü­he­ren Jahr­hun­der­ten ein belieb­ter Zeit­ver­treib der Ober­schicht, sich die Leu­te, die in einem damals so genann­ten „Irren­haus“ ein­sa­ßen, anzu­se­hen wie Tie­re im Zoo.

Heu­te sind die Opfer die­ser Besich­ti­gun­gen nicht mehr „irre“, son­dern „pein­lich“, was ein noch sub­jek­ti­ve­res Urteil ist. Nie­mand, der noch alle Tas­sen im Schrank hat, wür­de auf die Idee kom­men, aufs Land zu fah­ren um Bau­ern beim Braut­wer­ben zuzu­se­hen, aber wenn RTL das schon mal gemacht hat, kann man sich das ja mal anse­hen. Das Prin­zip gleicht dem des „delightful hor­ror“, der sich ein­stellt, wenn man aus dem Lehn­stuhl her­aus die Schil­de­run­gen von uner­klär­li­chen Phä­no­me­nen oder bru­ta­len Ver­bre­chen in den Büchern der Schau­er­ro­man­tik liest – nur, dass wir heu­te selbst fest­le­gen, wovor es uns schau­dert.

* * *

Nina Pau­er schreibt:

Pünkt­lich um 20.15 Uhr for­mie­ren sich die Abitu­ri­en­ten, Stu­den­ten, Dok­to­ran­den oder viel­ver­spre­chen­den Berufs­ein­stei­ger zu einem ver­gnüg­ten Publi­kum, das bei Chips und Süßig­kei­ten nichts ande­res tut, als sich der lust­vol­len Kon­trär­fas­zi­na­ti­on des Schlim­men hin­zu­ge­ben. „Wie pein­lich ist das denn?!“, kreischt der Chor, den Zei­ge­fin­ger kol­lek­tiv auf den Fern­se­her gerich­tet.

Ich bin auch öfters Teil sol­cher Run­den, wenn RTL (wie aktu­ell) wie­der ein­mal Schwie­ger­töch­ter und Bau­ern­frau­en sucht. Alle Teil­neh­mer wür­de ich als durch­aus auf­ge­klär­te Men­schen mit einem rei­nen Her­zen bezeich­nen, Zyni­ker sind kei­ne dabei. Gera­de des­halb habe ich mich schon öfter gefragt, ob es mora­lisch eigent­lich ver­ant­wort­bar ist, die­se Sen­dun­gen zu gucken und zu kom­men­tie­ren.

Grund­sätz­lich könn­te man erst ein­mal sagen, dass es kein Opfer im klas­si­schen Sin­ne gibt – die Kan­di­da­ten krie­gen mög­li­che böse Kom­men­ta­re ja gar nicht mit. ((Ich glau­be auch, dass das, was man zu mei­ner Schul­zeit „Läs­tern“ nann­te, nicht grund­sätz­lich ver­werf­lich ist, solan­ge etwa die Per­son, über die geläs­tert wird, davon nichts mit­be­kommt, und solan­ge man nicht vor­ner­um nett zu jeman­dem ist, über den man dann hin­ten­rum läs­tert. Außer­dem kön­nen ande­re ja auch über mich läs­tern, wenn sie wol­len. Die­se Posi­ti­on hat schon zu lan­gen, uner­gie­bi­gen Dis­kus­sio­nen geführt.)) Auch das Begu­cken die­ser Men­schen erfolgt ja nur aus zwei­ter Hand – das Kind ist schon in den Brun­nen gefal­len, also kann man es sich auch anse­hen. Letz­te­res ist natür­lich Quatsch: Wenn nie­mand mehr hin­se­hen wür­de, wie RTL Kin­der in den Brun­nen schmeißt, wür­de der Sen­der sicher damit auf­hö­ren. Und man muss sich ja auch kei­ne töd­li­chen Unfäl­le im Renn­sport anse­hen, nur weil sie auf Video gebannt sind.

Ich glau­be nicht, dass die Gering­schät­zung ande­rer die Haupt­mo­ti­va­ti­on ist, sol­che Sen­dun­gen zu sehen – der Reiz ent­steht aus dem Gemein­schafts­ge­fühl her­aus, was man als bil­li­ges Mit­tel zur Fra­ter­ni­sie­rung abtun, aber auch neu­tral oder posi­tiv wer­ten kann. Kaum jemand möch­te oder kann so eine Sen­dung allei­ne sehen. Dar­über hin­aus ist es ja auch so, dass das Stirn­run­zeln über Flie­sen­ti­sche, Tief­kühl­piz­zen und Kose­na­men nicht all­zu lang eine befrie­di­gen­de Frei­zeit­be­schäf­ti­gung abgibt. Wenn ich eine Sen­dung nur schlimm fän­de, wür­de ich sie nicht gucken. ((Tat­säch­lich bin ich bei der aktu­el­len Staf­fel „Schwie­ger­toch­ter gesucht“ sehr schnell wie­der aus­ge­stie­gen, weil es außer aus­ge­walz­ten Merk­wür­dig­kei­ten nicht viel zu sehen gab.)) Bei „Bau­er sucht Frau“ gibt es aber immer wie­der rüh­ren­de Ele­men­te, in denen das bes­ser­wis­se­ri­sche Lachen ech­tem Mit­ge­fühl weicht. ((Ob die por­trä­tier­ten Bau­ern dar­auf gewar­tet haben, ist natür­lich wie­der frag­lich.))

Als Vera Int-Veen im Febru­ar den „Reg­a­lauf­fül­ler“ Ste­fan an die Frau zu brin­gen ver­such­te, war das nicht mehr im Min­des­ten wit­zig: Der Mann hat­te so offen­sicht­li­che Pro­ble­me, sich zu arti­ku­lie­ren und mit den Situa­tio­nen zurecht zu kom­men, in denen ihn das Pro­duk­ti­ons­team plat­ziert hat­te, dass die Arsch­loch­haf­tig­keit der Macher alles ande­re über­strahl­te. In der aktu­el­len Staf­fel von „Bau­er sucht Frau“ geht der bis­her größ­te Fremd­scham­mo­ment auf das Kon­to von Mode­ra­to­rin Inka Bau­se: Zum ers­ten Mal sucht ein homo­se­xu­el­ler Bau­er einen, ja: Mann und Bau­se war von der Situa­ti­on so offen­sicht­lich über­for­dert, dass sie ihn mit den Wor­ten ansprach: „Du bist ja hier der ers­te Bau­er Dei­ner Art.“ Als der „pflei­ßi­ge Pfer­de­wirt“ ganz locker „Der ers­te schwu­le Bau­er, ja“, ant­wor­te­te, frag­te Bau­se noch ein­mal nach, ob sie „das so sagen“ dür­fe. So schlimm kön­nen zehn­tau­send Zun­gen­küs­se bei offe­nem Mund nicht sein.

* * *

Ich glau­be übri­gens, dass die­se Kup­pel­shows auch mit Kan­di­da­ten funk­tio­nie­ren wür­den, die den Zuschau­ern deut­lich ähn­li­cher sind: ((Wobei das eigent­lich jetzt schon gel­ten muss: Es kann ja hier­zu­lan­de kei­ne acht Mil­lio­nen Eli­tis­ten geben, die es sich auf ihrem hohen Ross bequem gemacht haben, also müs­sen auch zahl­rei­che Zuschau­er mit Flie­sen­ti­schen, Tief­kühl­piz­zen und Kose­na­men dar­un­ter sein.)) Lie­be und vor allem ihre Anbah­nung ist nie cle­ver. ((So wie Sex nie ästhe­tisch ist.)) Im Leben geht es fast nie zu wie bei „Ally McBe­al“ oder bei „Bridget Jones“, wo sich gut­aus­se­hen­de Men­schen im leich­ten Schnee­fall auf offe­ner Stra­ße küs­sen, nach­dem sie eine geist­rei­che Bemer­kung gemacht haben.

Vor vie­len Jah­ren, in der Dai­ly Soap „Unter uns“, schrieb die Per­son der Ute, die damals frisch in die Schil­ler­al­lee zurück­ge­kehrt war, einen Brief an ihren spä­te­ren Ehe­mann Till, in dem sie erklär­te, sie sei der­art ver­liebt, dass sie bei jedem Lie­bes­lied im Radio mit­sin­gen müs­se, auch bei den Schla­gern, die sie frü­her immer pein­lich und doof gefun­den habe. ((Der Brief geriet übri­gens in die Hän­de der San­dra, dar­ge­stellt von Dor­kas Kie­fer, die ihn laut vor­las und sich über Ute lus­tig mach­te. Wel­che Akti­on ist pein­li­cher? Dis­cuss!)) Das, mei­ne Damen und Her­ren, ist Lie­be! Sie ist pein­lich, aber ohne wären wir nicht hier.

* * *

Doch zurück zur „Fremd­scham“ und zum „Pein­li­chen“, das Nina Pau­er beschreibt: Ande­re Leu­te pein­lich fin­den ist eine Emo­ti­on, die meist in der Puber­tät erst­ma­lig auf­taucht und dann vor allem gegen die eige­nen Eltern gerich­tet ist. Das ist von der Natur so gewollt: Das Leben beschert einem so ein paar Jah­re unbe­schwer­ter Frei­heit und sinn­lo­ser Frei­heits­kämp­fe, ehe die Erkennt­nis ein­kehrt, dass bio­lo­gi­sche Ver­an­la­gung und Erzie­hung mäch­ti­ger sind als jedes Scham­ge­fühl und man natür­lich wie die eige­nen Eltern gewor­den ist. Als aus­glei­chen­de Gerech­tig­keit fin­den einen dann zwan­zig Jah­re spä­ter die eige­nen Kin­der pein­lich.

Sich für eine ande­re Per­son zu schä­men, ist aber auch eine weit­ge­hend irra­tio­na­le Reak­ti­on, zumal, wenn man in kei­ner­lei per­sön­li­cher Ver­bin­dung zu die­ser Per­son steht. Die wis­sen­schaft­li­che Erfor­schung die­ses Phä­no­mens steht aller­dings noch ziem­lich am Anfang.

Nina Pau­er führt aus:

Als gemein­sa­mes Ritu­al wirkt die Fremd­scham wie eine Kom­pen­sa­ti­on der indi­vi­du­el­len Angst, die ansons­ten über­all lau­ert. Denn wie schwer ist es, die­sem all­ge­gen­wär­ti­gen Adjek­tiv „pein­lich“, das unse­re Zeit bestimmt, zu ent­rin­nen! Nahe­zu unmög­lich und vor allem furcht­bar anstren­gend ist es gewor­den, im weit und sub­til ver­äs­tel­ten ana­log-vir­tu­el­len Netz­werk stets die Balan­ce aus läs­si­gem Under­state­ment, hüb­scher Iro­nie und gleich­zei­ti­ger Selbst­ver­mark­tung zu pfle­gen. Die Codes sind unend­lich: Mit dem neu­es­ten Smart­phone prah­len? Pein­lich! Immer noch kei­nes haben? Pein­lich! Zucker­sü­ße Pär­chen­fo­tos auf Face­book ver­öf­fent­li­chen? Pein­lich! Das eige­ne Mit­tag­essen abfo­to­gra­fie­ren, den Stolz über den neu­en Job all­zu offen­sicht­lich zei­gen? Zu vie­le Freun­de haben? Zu weni­ge? Pein­lich, pein­lich! Musik hoch­la­den, die alle schon ken­nen? Musik hoch­la­den, die nie irgend­wer kennt? PEINLICH!

Wenn tat­säch­lich alles pein­lich ist, man also in jeder Situa­ti­on nur ver­lie­ren kann, ist ja alles wie­der völ­lig nivel­liert und man kann nur gewin­nen.

Frau Pau­er nutzt die­se Pas­sa­ge aber, um von der Fremd­scham zur „insze­nier­ten Fremd­scham“ und damit zur Iro­nie zu kom­men. Iro­nie, das lernt man irgend­wann als Kind, ist das Gegen­teil von dem zu sagen, was man meint – also eigent­lich das, was man vor­her als „Lügen“ ken­nen­ge­lernt hat und was man nicht tun soll­te. Das trifft den Sach­ver­halt zwar nur zum Teil, ist aber das, was sich die aller­meis­ten Men­schen unter „Iro­nie“ vor­stel­len und es ent­spre­chend prak­ti­zie­ren. Das ist natür­lich ster­bens­lang­wei­lig.

Als Tra­vis im Jahr 2000 anfin­gen, „Baby One More Time“ von Brit­ney Spears auf ihren Kon­zer­ten zu covern, gin­gen vie­le erst ein­mal von Iro­nie aus. Aber Fran Hea­ly, der das Lied mit viel Inbrunst vor­trug, sag­te, sie hät­ten den Song ein­fach nach­ge­spielt, weil sie ihn so schön fan­den. Und tat­säch­lich wäre es auch dann noch ein schö­nes Lied, wenn Kom­po­nist und Tex­ter Max Mar­tin sich beim Schrei­ben über die Nai­vi­tät und Dumm­heit sei­nes Lyri­schen Ichs kaputt gelacht hät­te.

„Iro­ny is cer­tain­ly not some­thing I want to be accu­sed of“, hat Craig Finn, der Sän­ger mei­ner Lieb­lings­band The Hold Ste­ady, mal gesagt und ich fin­de auch, dass Lied­tex­te mög­lichst auf­rich­tig sein soll­ten. ((Iro­nie soll­te höchs­tens von Bri­ten als Stil­mit­tel in Songs ein­ge­setzt wer­den. Die ver­ste­hen dar­un­ter etwas ande­res als „das Gegen­teil von dem sagen, was man meint.)) Dann besteht zwar schnell wie­der die Gefahr der Fremd­scham, aber damit muss man klar kom­men. Man kann das Werk ver­ur­tei­len, soll­te dem Künst­ler aber Respekt zol­len.

Die Zeit der iro­nisch gemein­ten Bei­trä­ge beim Euro­vi­si­on Song Con­test, die not­wen­dig war, um das schnar­chi­ge Schla­ge­re­vent der 1990er Jah­re zu ent­stau­ben, ist ja inzwi­schen zum Glück auch wie­der vor­bei. Als ich im Mai von jetzt.de zum Dus­log inter­viewt wur­de, war der Repor­ter sehr ver­ses­sen dar­auf, uns eine iro­ni­sche Hal­tung zum Grand Prix zu unter­stel­len. Natür­lich kann man die musi­ka­li­schen Bei­trä­ge nicht alle ernst neh­men, ((Gera­de nicht „I Love Bela­rus“, den man aus poli­ti­schen Grün­den als ein­zi­gen ernst hät­te neh­men müs­sen.)) aber wenn ich die Ver­an­stal­tung in Oslo schei­ße gefun­den hät­te, wäre ich sicher kein zwei­tes Mal hin­ge­fah­ren.

* * *

Natür­lich soll­te man sich selbst und die Welt nicht zu ernst neh­men, aber man soll­te auch nicht bis zur Selbst­ver­leug­nung mit den Augen zwin­kern. Ich könn­te schlicht kei­ne Musik hören, die ich nicht mag, kei­ne Kla­mot­ten (oder gar Fri­su­ren oder Gesichts­be­haa­run­gen) tra­gen und auch nichts in mei­ne Woh­nung stel­len oder hän­gen, was ich nicht irgend­wie gut fin­de. „We Built This City“ von Star­ship ist einer der kano­nisch schreck­lichs­ten Songs der Musik­ge­schich­te, aber irgend­et­was spricht das Lied in mir an – und das mei­ne ich nicht auf die „So schlecht, dass es schon wie­der gut ist“-Art. Ande­rer­seits wür­de ich nie in Skin­ny Jeans rum­lau­fen, weil ich die ein­fach mords­un­be­quem fin­de.

Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re hat schon 1999 einen Text über Iro­nie ver­fasst, ((Nach­zu­le­sen in „Remix“.)) in dem er von der „Drü­ber­lus­tig­mach­müh­le“ schreibt und dann eine Fra­ge auf­wirft, die er sich sogleich selbst beant­wor­tet:

Ten­nis­so­cken sind fürch­ter­lich, kei­ne Fra­ge, aber ist nicht das zwangs­ver­ord­ne­te Drü­ber­la­chen noch schlim­mer? Und dann tra­gen also Leu­te wie­der Ten­nis­so­cken, aus Pro­test, und das ist viel­leicht zu ver­ste­hen, aber ja auch so krank, weil sie damit also, nur der Abgren­zung wegen, schlim­me Socken tra­gen. Und dann nicht ein­fach still die­se Socken dünn­lau­fen, son­dern tat­säch­lich ERKLÄREN, war­um sie die tra­gen, um sich zumin­dest, oh ja, INHALTLICH zu unter­schei­den von jenen, die die­se Socken nicht schon wie­der, son­dern immer noch tra­gen. Irgend­wie muß man die Neu­zeit ja rum­krie­gen.

Im „Zeit“-Artikel steht die­ses aktu­el­le Bei­spiel:

In engen brau­nen Män­ner­slips über rosa Trai­nings­an­zü­gen aus Bal­lon­sei­de trifft man sich, am bes­ten mit einem allein zum Zweck der Par­ty gewach­se­nen fie­sen Schnau­zer im Gesicht, zum Dosen­ste­chen in der Küche.

Noch bevor die Hips­ter so genannt wur­den, gab es den „Iro­ny-Schnäuz“. Irgend­wann gab es dann die iro­nisch gebro­che­nen Hips­ter, die ech­te Hips­ter eigent­lich schei­ße fan­den, aber genau­so rum­lie­fen. Der Schnauz­bart war zu die­sem Zeit­punkt schon min­des­tens zwei Mal umge­deu­tet wor­den, aber da geht sicher noch mehr. Nur: War­um?

In einem Text aus dem Juli 1999 ((„Ein Ort der Eitel­keit“ in „Der Krap­fen auf dem Sims“.)) beklagt sich Max Goldt über Men­schen, die eine gol­de­ne Schall­plat­te oder eine Urkun­de auf der Gäs­te­toi­let­te plat­zie­ren:

So wird die Toi­let­te zum Ort der Insze­nie­rung von Selbst­iro­nie, einer Eigen­schaft, die in der west­li­chen Zivi­li­sa­ti­on hoch im Kurs steht. Des­halb ist es erheb­lich eit­ler, sei­ne Zer­ti­fi­ka­te in Bad oder WC unter­zu­brin­gen, als sie naiv und arg­los im Wohn­zim­mer zur Schau zu stel­len.

Goldt erklärt auch ((„Mein Nach­bar und der Zynis­mus“, ebd.)) den Unter­schied zwi­schen Zynis­mus und Sar­kas­mus:

Zynis­mus ist eine destruk­ti­ve Lebens­auf­fas­sung, wäh­rend Sar­kas­mus das Resul­tat von trot­zi­ger For­mu­lie­rungs­kunst ist, die über einen spon­ta­nen Zorn auf ein Mei­nungs­ei­ner­lei hin­weg­hilft. Zynis­mus ist ein Resul­tat von Ent­täu­schung und inne­rer Ver­ein­sa­mung. Er besteht im Negie­ren aller Wer­te und Idea­le, im Ver­höh­nen der Hoff­nung, im Haß auf jedes Stre­ben nach Bes­se­rung.

Sind dann die beschrie­be­nen „Bad Taste“-Partys nicht eher zynisch als iro­nisch?

Ich ver­ste­he den Reiz nicht, der dar­in lie­gen soll­te, sich so zu klei­den, wie man nie aus­se­hen woll­te, und Musik zu hören, die man nie hören woll­te. Ers­tens grenzt das doch an Schi­zo­phre­nie und zwei­tens fin­de ich das unfair gegen­über den Leu­ten, denen die­se Musik etwas bedeu­tet. Denn auch wenn ich Schla­ger oder Volks­mu­sik kit­schig und doof fin­den soll­te, so gibt es doch Leu­te, denen die­se Musik etwas bedeu­tet. ((Dass die Tex­te die­ser Lie­der mit­un­ter von Leu­ten geschrie­ben wer­den, denen die Inhal­te und Hörer ziem­lich egal sind, ist eine Meta-Ebe­ne, die ich hier nicht auch noch bespie­len möch­te.)) Ich fin­de es auch lang­wei­lig, ein Album nur des Ver­ris­ses wegen zu ver­rei­ßen.

* * *

Auch Chuck Klos­ter­man hat sich dem The­ma Iro­nie gewid­met. ((Im Essay „T Is For True“ in „Eating The Dino­saur“.)) Er schreibt:

An iro­nist is someone who says some­thing untrue with unclear sin­ce­ri­ty; the degree to which that state­ment is fun­ny is based on how many peo­p­le rea­li­ze it’s fal­se. If ever­y­bo­dy knows the per­son is lying, nobo­dy cares. If nobo­dy knows the per­son is lying, the spea­k­er is a luna­tic. The ide­al ratio is 65–35: If a slight majo­ri­ty of the audi­ence can­not tell that the inten­ti­on is come­dic, the sub­stan­ti­al mino­ri­ty who do under­stand will feel bet­ter about them­sel­ves. It’s an exclu­sio­na­ry kind of humor.

Wenn jeder Depp alles nur noch „iro­nisch“ meint, ist es kein Witz mehr, dann ist es nicht mal mehr Komö­die, son­dern Tra­gö­die.

Nina Pau­er schreibt dazu in der „Zeit“:

Wo poten­zi­ell alles pein­lich ist, bleibt nichts als der ewi­ge iro­ni­sche Reflex. Die Iro­nie wird zum Stan­dard und die Distanz zum Zwang. Dann regie­ren die Zwin­kers­mi­leys, die alles Gesag­te, Geschrie­be­ne, Geta­ne sofort rela­ti­vie­ren, um bloß immer „safe“ zu sein. Von der Freu­de an der Pein­lich­keit ist dann nicht mehr viel übrig. Die Lust wird zu ihrem Gegen­teil, zur Lan­ge­wei­le.

Es ist nicht nur lang­wei­lig, es ist auch wahn­sin­nig anstren­gend.

Klos­ter­man stellt in sei­nem Essay den Weezer-Sän­ger Rivers Cuo­mo, den Regis­seur Wer­ner Her­zog und den ame­ri­ka­ni­schen Poli­ti­ker Ralph Nader neben­ein­an­der, denen er alle­samt nach­weist bzw. unter­stellt, völ­lig iro­nie­frei zu sein. Her­zog etwa sagt, er habe einen „Defekt“, der ihn dar­an hin­de­re, Iro­nie zu ver­ste­hen, und Klos­ter­man fügt an, die meis­ten von uns hät­ten das gegen­tei­li­ge Pro­blem: Wir wür­den auch dort Iro­nie ver­ste­hen, wo gar kei­ne vor­han­den ist.

Rivers Cuo­mo trug das, was man heu­te „Nerd­bril­le“ nennt, immer­hin schon in den frü­hen Neun­zi­gern, als es grad nicht cool oder lus­tig war. ((Die­se Bril­le ist tat­säch­lich ein Pro­blem. Als ich letz­tes Jahr auf der Suche nach einer neu­en war, woll­te ich – puber­tä­re Abgren­zung – um jeden Fall zu ver­mei­den, auch so eine zu kau­fen. Das Pro­blem: Mir stand wirk­lich nichts ande­res. Also dach­te ich: „Was soll’s? Ray-Ban gibt’s seit mehr als 50 Jah­ren und ich weiß ja, wie’s gemeint ist.“ (Näm­lich gar nicht.) So wie man sich Musik nicht von ihren Hörern kaputt machen las­sen darf, soll­te man sich auch Mode-Uten­si­li­en nicht von ihren Trä­gern zer­stö­ren las­sen. Ich wür­de auch ger­ne Hem­den von Fred Per­ry tra­gen, wenn die nicht so unfass­bar teu­er wären.)) Heu­te schreibt er Lie­der dar­über, dass er in Bever­ly Hills woh­nen wol­le, und Klos­ter­man ist sich sicher, dass Cuo­mo das genau so meint. Die Fans wären aller­dings ent­täuscht, weil sie es für Iro­nie hiel­ten und sich ver­arscht fühl­ten – und das ist dann natür­lich auch schon wie­der Iro­nie, und zwar die des Schick­sals.

* * *

Die Post­mo­der­ne hat, neben Fremd­scham und Über-Iro­ni­sie­rung, noch ein wei­te­res Phä­no­men her­vor­ge­bracht: Stän­dig hin­ter­fragt man jetzt alles, vor allem aber sich selbst. Wer sich fragt, ob er irgend­et­was gut fin­den dür­fe, hat noch nichts ver­stan­den. Er hat die Frei­heit (fast) alles gut zu fin­den, was er gut fin­den mag. Allen­falls die Aus­wahl poten­ti­ell gut find­ba­rer Din­ge und Per­so­nen kann einen etwas über­for­dern.

Das bedeu­tet natür­lich letzt­lich auch: Man kann auch „Bau­er sucht Frau“ gucken, ohne sich dafür zu schä­men.

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Pop revisited

von Katha­ri­na Schliebs und Lukas Hein­ser

Eins­li­ve jeden­falls, die „Jugend­wel­le“ des West­deut­schen Rund­funks, fei­er­te am Frei­tag ihren 15. Geburts­tag.

Wir ver­brach­ten den gan­zen Nach­mit­tag in einer Köln-Ehren­fel­der Woh­nung, lie­ßen uns beko­chen und hör­ten dabei Eins­li­ve. Zumin­dest letz­te­res gehört zu den Din­gen, die Men­schen in unse­rem Alter sonst eher ver­mei­den. Doch dies­mal war es etwas ande­res: Wir hör­ten regel­recht gebannt zu und ver­an­stal­te­ten ein pri­va­tes Pop­quiz, denn gefei­ert wur­de mit einem eigent­lich nur bril­lant zu nen­nen­den Sen­de-Mara­thon, in dem zwi­schen 6 und 21 Uhr jede Stun­de einem ande­ren Jahr gewid­met war. Los ging es mit dem Jahr 2009 und dann immer wei­ter vor­wärts in die Ver­gan­gen­heit.

So saßen wir zu dritt vor dem Radio und hör­ten die Jah­re 1998, 1997, 1996, 1995 und wur­den dabei immer alber­ner und über­tra­fen und gegen­sei­tig mit Nerd­wis­sen aus 100 Jah­ren Pop­mu­sik. Dabei sind per­sön­li­che Musik­hör-Bio­gra­fien natür­lich irgend­wann stark abwei­chend zu dem, was im Radio an Musik läuft. Den­noch darf man nicht unter­schät­zen, wie viel Radio man dann aber doch gehört hat und wie vie­le Lie­der man kennt, auch wenn man sie eigent­lich schlimm oder belang­los fin­det (Wer um alles in der Welt kann ernst­haft auf die Idee kom­men, ein so völ­lig ega­les Lied wie „Got ‚Til It’s Gone“ von Janet Jack­son irgend­wie gut zu fin­den oder sogar die Sin­gle zu kau­fen? Ein Rie­sen­hit den­noch!), und wie vie­le Erin­ne­run­gen ver­bun­den sind mit die­sen Radio­pop­songs und den Radio­co­me­dys. Und sogar mit den Bet­ten, Drops und Jin­gles! Nie­mals hät­te man „Eins­li­ve macht hörig“ raus­schmei­ßen dür­fen.

Exkurs „Nerd­wis­sen über Eins­li­ve“: Frü­her kam direkt nach den Nach­rich­ten eine Begrü­ßung. Mit dem Relaunch 2007 lief nach den Nach­rich­ten erst ein Lied und dann sag­te der Mode­ra­tor Hal­lo. Sogar die­sen Relaunch hat Eins­li­ve für eini­ge Stun­den zurück­ge­nom­men und die Mode­ra­to­ren haben wie­der direkt nach den Nach­rich­ten eine Begrü­ßung gespro­chen! Mit dem Ori­gi­nal-Bett von frü­her! Und wenn das nie­man­dem sonst auf der gan­zen Welt auf­ge­fal­len sein soll­te: In der Ehren­fel­der Küche wur­de es bemerkt. Und beju­belt. Exkurs Ende.

Je näher der Rück­blick dem Grün­dungs­jahr 1995 kam, des­to deut­li­cher wur­de die Rol­le, die Eins Live bei der eige­nen Ado­les­zenz gespielt hat­te: Nahe­zu jeden Song konn­ten wir noch mit­sin­gen – nicht bei jedem kann­te man Titel und Inter­pret, aber wir hat­ten alles unzäh­li­ge Male gehört. Damals tat­säch­lich noch aus­schließ­lich über Radio, denn wir hat­ten ja nichts. Die Ziel­grup­pe, die jetzt zuhau­se vor dem Web­stream saß und damals noch gar nicht gebo­ren war, wird in 15 Jah­ren kaum so vie­le gemein­sa­me Erin­ne­run­gen an ein Medi­um ihrer Jugend haben.

Wir fühl­ten uns natür­lich alt und spra­chen dar­über, dass das Kon­ser­va­ti­ve manch­mal auch sei­ne guten Sei­ten habe, der Gast­ge­ber brach­te Bier – und das war der Moment, in dem wir ent­deck­ten, dass die „Beck’s“-Flaschen neue Eti­ket­ten haben. Unse­re Reak­ti­on dar­auf darf man ruhig hys­te­risch nen­nen.

Was ja auch nur in einer Medi­en­me­tro­po­le wie Köln geht: Den Beginn einer lan­des­weit aus­ge­strahl­ten Sen­dung am hei­mi­schen Radio ver­fol­gen und eine Stun­de spä­ter selbst in der Sen­dung sit­zen und applau­die­ren. Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re war zu Gast in der Sen­dung „Klub­bing“ und das pass­te irgend­wie ganz wun­der­bar zur Pop­kul­tur-Nost­al­gie an die­sem Kar­frei­tag: Stuck­rad-Bar­re ver­kör­pert die spä­ten 1990er Jah­re fast noch bes­ser als Eins Live. Aber wäh­rend der Sen­der mit sei­nem immer pro­fil­är­me­ren Pro­gramm gera­de die größ­te Hörer­schaft sei­ner Geschich­te fei­ert, hat es der Lite­rat mit sei­nem durch­aus famo­sen neu­en Buch „Auch Deut­sche unter den Opfern“ nicht mehr auf die sicht­ba­ren Plät­ze irgend­wel­cher Best­sell­ler-Charts geschafft. In gro­ßen Buch­hand­lun­gen lie­gen zwar genug Exem­pla­re von „Axolotl Road­kill“ aus, um damit die gan­ze Ober­stu­fe eines Gym­na­si­ums zu ver­sor­gen, aber den neu­en Stuck­rad-Bar­re müss­te man bestel­len. Wenn einem das jemand vor zehn Jah­ren erzählt hät­te, als man am Tag der Ver­öf­fent­li­chung von „Black­box“ klei­ne Buch­lä­den in Dins­la­ken und Göt­tin­gen gestürmt hat …

Wenigs­tens sei­ne Lesun­gen (zuletzt ger­ne mit Chris­ti­an Ulmen) sind immer noch aus­ver­kauft. Und auch hier im drit­ten Stock über dem nächt­li­chen Media­park ist der Eins­li­ve Salon gut besucht. Außen an der Tür hängt immer noch ein Schild, das den Raum als „Kult­kom­plex­ca­fé“ bezeich­net, die­ser selt­sam absur­de Name, der in sei­ner Eigen­ar­tig­keit unbe­dingt erhal­tens­wert gewe­sen wäre, denn „Salon“ ist ja nun doch, mit Ver­laub, immer noch das, wo man zum Haa­re­schnei­den hin­geht.

Das ers­te Gespräch, das Sabi­ne Hein­rich mit Stuck­rad-Bar­re noch ohne Publi­kum im Stu­dio führ­te, ließ zwar nicht das Schlimms­te, aber doch Ungu­tes befürch­ten: Nach einem etwas umständ­li­chen „Sie oder Du“-Einstieg waren die bei­den unge­fähr eine Minu­te beim sehr uner­gie­bi­gen The­ma „Oster­mär­sche“ hän­gen geblie­ben, wobei Stuck­rads Ant­wor­ten zuse­hends knap­per und generv­ter klan­gen.

Doch dann steht sie vor einem und man ist sofort ver­zau­bert: Sabi­ne Hein­rich hört sich bes­ser an und sieht bes­ser aus als im Fern­se­hen, wie sie da auf der Büh­ne des Eins­li­ve Salons steht und dem Publi­kum erklärt, dass es die Han­dys nach der Lesung ger­ne wie­der anstel­len darf. Eins ihrer Hosen­bei­ne ist aus den Stie­feln gerutscht und hängt jetzt über dem Schuh, sie trägt ein wei­ßes T‑Shirt und einen Pfer­de­schwanz, und wenn sie so die Echo-Ver­lei­hung mode­riert hät­te, dann wäre das mit Rob­bie Wil­liams viel­leicht was gewor­den.

Jetzt aber betritt erst mal Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re die Büh­ne. Er sitzt nicht ein­fach schon da rum wie vie­le ande­re Autoren vor ihm, er braucht den Auf­tritt – und wenn es nur einer durch eine ganz nor­ma­le Zim­mer­tür ist. Hat er nicht frü­her sei­ne Lesun­gen auch mit „Let Me Enter­tain You“ eröff­net?

Benjamin von Stuckrad-Barre

DJ Lar­se legt irgend­wel­che Elek­tro-Musik auf, dann wird abwech­selnd gele­sen und getalkt, wobei sich zwei Din­ge abzeich­nen: Stuck­rad-Bar­re ist ein sehr guter Autor, aber ein noch bes­se­rer Per­for­mer, und Sabi­ne Hein­rich ist zwar eine wahn­sin­nig char­man­te Mode­ra­to­rin, aber eben auch eine eher nur mit­tel­gu­te Inter­viewe­rin.

Es ist ein denk­bar ungüns­ti­ge Kon­stel­la­ti­on: Eine auf­ge­reg­te Fra­ge­stel­le­rin trifft auf einen Talk­gast, der kei­ner­lei Bereit­schaft zeigt, die etwas unglück­lich for­mu­lier­ten Fra­gen wohl­wol­lend auf­zu­neh­men. „Was ist denn ein Sit­ten­ge­mäl­de?“ – „Naja ich mein das ist ein ganz schö­nes deut­sches Kom­po­si­tum. Sit­ten-Gemäl­de. Das ist ja … Heiz-Kör­per. Was ist ein Heiz­kör­per?“ – „Ich hab noch nie so ein Wort benutzt! Sit­ten­ge­mäl­de!“ – „Du bist zuviel mit Mat­thi­as Opden­hö­vel zusam­men.“

Es läuft nicht. Im Salon ist es heiß, sti­ckig, und sehr, sehr voll. Man könn­te jetzt die eige­ne Hand abna­gen (oder die des Sitz­nach­barn). Mag gar nicht auf­hö­ren, den Dia­log zwi­schen Sabi­ne Hein­rich und BvSB wie­der­zu­ge­ben, man kann ein­fach nicht weg­hö­ren.

Sabi­ne Hein­rich sagt: „Hör mal, in dei­nem Buch war mal die Rede von Müs­li mit Brom­bee­ren.“
BvSB: „Ja, das ist sai­son­ab­hän­gig. Nä?“
Hein­rich: „Pflückst du die sel­ber in dei­nem eige­nen Gar­ten?“
BvSB: „Im Super­markt.“
Hein­rich: „Eige­ner Bio­gar­ten.“
BvSB: „GARTEN?!? Nein, nein. Gär­ten gilt es wirk­lich zu ver­mei­den. Das ist ja der Anfang vom Ende.“
Hein­rich: „Du hast ja auch kei­ne Küche, hast du gesagt.“
BvSB: „Aber das mit dem Gar­ten stimmt! Ja, nee, nein. Gär­ten.“

Es geht so wei­ter. Frau Hein­rich frag­te, wie Herr von Stuck­rad-Bar­re lebt, wie er wohnt, was er von Möbeln hält, ob er denn sel­ber kocht (Ant­wort: „Nein!“). Er kann sich offen­sicht­lich nicht ent­schei­den, ob er Frau Hein­rich jetzt wirk­lich per­ma­nent auf­lau­fen las­sen soll oder nicht und schwankt dann zwi­schen abso­lu­ter Sabo­ta­ge des Gesprächs und mit­lei­di­gem Nach­ge­ben.

Und man will ja Sabi­ne Hein­rich nett fin­den! Und ein biss­chen Mit­leid mit ihr haben, weil Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re sich so bockig zeigt! Aber dann sagt sie Sachen, da ist man froh, dass ihr Gesprächs­part­ner ent­spre­chend reagiert:

„Ich hab dich bei Jörg Tha­de­usz in der Sen­dung gehört, als Pod­cast, lie­be Grü­ße an den Jörg, und der hat dich gefragt, -“
„Jetzt wird’s aber ein biss­chen pri­vat, oder?“, unter­bricht Stuck­rad-Bar­re erneut, zurecht, leicht amü­siert.
„Es kann ja sein, dass Jörg die­se Sen­dung beim Lau­fen hört“, gibt Frau Hein­rich tap­fer zu beden­ken.
„Na dann aber auch schö­ne Grü­ße. Lie­ber Jörg, es war schön mit dir in Leip­zig.“ Zu Frau Hein­rich, ver­schwö­re­ri­scher Unter­ton: „Mein­ze der hört das?“ – „Bestimmt!“ – „Jörg? Sol­len wir in Bochum zusam­men lesen oder in Dort­mund?“

Und jetzt raten Sie, wer im Publi­kum an die­ser Stel­le nicht an sich hal­ten kann und laut „Bochum!“ ruft. Stuck­rad-Bar­re wen­det sich dar­auf­hin dem Publi­kum zu und will das aus­dis­ku­tie­ren, aber da wirft sich Frau Hein­rich dazwi­schen: „Darf ich jetzt bit­te mal mei­ne Fra­ge durch­brin­gen?!“ Sie darf. Aber sie hät­te es auch las­sen kön­nen.

Irgend­wann liest Stuck­rad-Bar­re Aus­schnit­te aus dem längs­ten Text des Buches, in dem er von der Ent­ste­hung der letz­ten Udo-Lin­den­berg-Plat­te berich­tet. Was bei der Lesung nur am Ran­de anklingt: Es ist einer der per­sön­lichs­ten und inten­sivs­ten Tex­te, den der Autor je ver­öf­fent­licht hat. Kommt Lin­den­berg zu Wort, par­odiert Stuck­rad den typi­schen Ton­fall des Musi­kers, was sehr, sehr pein­lich wir­ken könn­te (steht nicht irgend­wo im Früh­werk des Pop­li­te­ra­ten, dass Lin­den­berg an Par­odis­ten-Schu­len in der ers­ten Stun­de auf dem Lehr­plan stün­de?), hier aber magi­scher­wei­se funk­tio­niert. Als Sabi­ne Hein­rich im inzwi­schen legen­dä­ren Ange­la-Mer­kel-Inter­view die Rol­le der Kanz­le­rin liest, ist sie aller­dings ihrer­seits so klug, auf jed­we­den Par­odie-Ver­such zu ver­zich­ten.

Um Mit­ter­nacht ist die Sen­dung vor­bei, Kar­frei­tag und das Tanz­ver­bot. Es ist wie­der 2010 und Eins­li­ve klingt auch wie­der so. Alle sind wie­der so alt, wie sie sich füh­len, und Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re signiert Bücher.

Pod­cast der Sen­dung her­un­ter­la­den

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Nicht intelligent genug

Im Janu­ar 2006 schrieb der „Musik­ex­press“ im Jah­res­rück­blick auf 2005:

Jetzt haben sogar die Rol­ling Stones ein Lied über Ulf Pos­ch­ardt geschrie­ben: „Sweet Neo­con“. […] Die deut­schen Neo­kon­ser­va­ti­ven ver­ber­gen sich hin­ter der „Initia­ti­ve Neue Markt­wirt­schaft“, eine Agen­tur, die erfolg­reich ihre The­men setz­te. Zuletzt ver­such­ten sie uns ein­zu­re­den → „Du bist Deutsch­land“. Der Höhe- bzw. Tief­punkt der neo­li­be­ra­len Debat­te war erreicht, als der Kul­tur­wis­sen­schaft­ler und angeb­li­che ex-Lin­ke Ulf Pos­ch­ardt („DJ Cul­tu­re“) vor den Wah­len allen Erns­tes for­der­te: Wes­ter­wel­le wäh­len gut, denn: FDP = mutig, radi­kal, wich­tig und irgend­wie auch: Pop. Ja, alles klar, gute Nacht.

Ein Jahr spä­ter war Pos­ch­ardt Chef­re­dak­teur beim Launch der deut­schen Aus­ga­be der „Vani­ty Fair“, die er nach nicht mal einem Jahr wie­der ver­ließ. Seit­dem hat­te ich erfri­schend wenig von ihm gehört, aber er fun­giert jetzt offen­bar als Her­aus­ge­ber von „Rol­ling Stone“, „Metal Ham­mer“ und – ver­damm­te Iro­nie – „Musik­ex­press“.

Außer­dem ist Pos­ch­ardt stell­ver­tre­ten­der Chef­re­dak­teur der „Welt am Sonn­tag“, in der er heu­te umständ­lich über zwei Bücher schreibt, die vor zehn Jah­ren erschie­nen sind: „Tris­tesse Roya­le“ und „Gene­ra­ti­on Golf“.

Nach aller­lei gesell­schafts- und kul­tur­ge­schicht­li­cher Ein­ord­nung, an der eini­ges stim­men mag und eini­ges gewollt erscheint, schwingt sich Pos­ch­ardt zu sei­ner Kern­aus­sa­ge auf:

Im neu­en Kabi­nett sind Figu­ren wie Rös­ler, Rött­gen, Gut­ten­berg und Wes­ter­wel­le Aktua­li­sie­rung jenes kokett Adret­ten, das mit Stall­ge­ruch so wenig anfan­gen kann wie mit Her­ren­wit­zen. Die post­he­roi­sche Ele­ganz ist bei den jün­ge­ren Poli­ti­kern mit einem Hauch Popu­lis­mus ver­setzt, um das Zeit­ge­nös­si­sche wähl­bar wer­den zu las­sen.

Es macht kei­nen Spaß, sich durch Pos­ch­ardts Text zu quä­len, aber eigent­lich muss man das ja auch nicht. Denn wie frag­te Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re in dem Buch, über das Pos­ch­ardt schreibt?

War­um sind wir nicht intel­li­gent genug, nicht so oft über Ulf Pos­ch­ardt zu spre­chen?

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Wir haben uns für die Erbsensuppe entschieden

Die gelern­te Natur­wis­sen­schaft­le­rin Mer­kel wird die­se Art Beweis­füh­rung zulas­sen müs­sen: Um ein unbe­kann­tes Ele­ment zu erfor­schen, kann es hilf­reich sein, die Dar­an­hef­ten­den und Drum­her­um­schwir­ren­den zu defi­nie­ren. Wenn sie zum stets in ihrer Nähe schlei­chen­den Pofalla blickt, nickt er meist sofort. Oder schüt­telt den Kopf. Was halt gera­de gewünscht wird. Sei­ne Grö­ße ist allein durch Unter­wer­fung bedingt.

Der Typus Pofalla wird nicht abge­sto­ßen von Mer­kel, anders als wider­stän­di­ge­re Cha­rak­te­re.

Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re, das ver­gisst man ger­ne, hat ja nur einen Roman und eine Hand­voll fik­tio­na­ler Tex­te ver­öf­fent­licht. Den Groß­teil sei­nes Werks machen jour­na­lis­ti­sche Arbei­ten aus, beson­ders Repor­ta­gen.

Und die kann der Mann, der kürz­lich vom Maga­zin „Cice­ro“ sehr schön por­trä­tiert wur­de, auch immer noch schrei­ben – man kriegt davon nur nichts mit, weil sie in Zei­tun­gen wie der „Welt am Sonn­tag“ ver­öf­fent­licht wer­den.

Dass es über Mer­kel, je län­ger sie regiert, immer weni­ger Wit­ze gibt, ist auch merk­wür­dig. Wenn Oppo­si­ti­on, Her­aus­for­de­rer und Kom­men­ta­to­ren ihr man­geln­de Greif­bar­keit vor­hal­ten und queck­silb­ri­ge Posi­tio­nen, klingt das hilf­los. Wenn aber den Wit­ze­ma­chern zu ihr nichts mehr ein­fällt, müs­sen wir das viel­leicht ernst neh­men.

Sei­ne Repor­ta­ge über eine Zug­fahrt mit Ange­la Mer­kel kann ich Ihnen nur wärms­tens emp­feh­len, nicht zuletzt wegen des sagen­haf­ten Nicht-Inter­views, aus dem man mehr über die Kanz­le­rin erfährt als aus vier Jah­ren Regie­rungs­ver­ant­wor­tung:

Wenn Sie aus dem Zug schau­en, was für ein Land sehen Sie?

Ich sehe ein ziem­lich intak­tes Land, im Ver­gleich zu ande­ren Län­dern, in denen man schon so war.

(Man! Län­der, in denen man schon so war! Das ers­te, was einem ein Psy­cho­the­ra­peut bei­bringt: Sagen Sie nicht „man“, sagen Sie „ich“. Das ers­te, was man als Pro­fi­po­li­ti­ker wahr­schein­lich lernt: öfter mal „man“ sagen, dann kann nichts groß pas­sie­ren.)

„Wie war die Wurst?“ von Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re bei welt.de.

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You and I, we’re gonna live forever

Von meh­re­ren Sei­ten wur­de der Wunsch an mich her­an­ge­tra­gen, ich möge mich in die­sem Publi­ka­ti­ons­or­gan doch bit­te zum Aus­stieg Noel Gal­lag­hers bei Oasis äußern. Nor­ma­ler­wei­se wäre das ein guter Grund, gar nicht erst über einen Text nach­zu­den­ken, son­dern den Bitt­stel­lern den Vogel und den Weg zur Tür zu zei­gen. Aber Oasis sind ja nicht irgend­ei­ne Band und die Dis­kus­sio­nen der letz­ten Tage legen den Ver­dacht nahe, dass das The­ma uns Pop­kul­tur­ge­schä­dig­te min­des­tens so sehr beschäf­tigt wie der Tod von Micha­el Jack­son.

Touristenfotos aus der Brtipop-HölleAlso, zunächst ein­mal: Ich glau­be nicht, dass der Aus­stieg von Dau­er sein wird. Noel Gal­lag­her ist zwar das letz­te Band­mit­glied, das vom Durch­bruch bis vor kur­zem dabei war (wir erin­nern uns: auch Liam war ja zwi­schen­zeit­lich irgend­wie mal aus­ge­stie­gen), inso­fern wiegt das viel­leicht etwas schwe­rer, aber bei Licht bese­hen sind Oasis doch wie die­se Pär­chen im Freun­des­kreis, die sich immer wie­der tren­nen und immer wie­der zusam­men­fin­den – bei­des zum Leid­we­sen aller Unbe­tei­lig­ten. Ein Nach­ruf wird das hier also nicht wer­den.

Schon gar nicht auf eine Band, die selbst wun­der­bar in Wor­te pack­te, wor­an sich nie jemand gehal­ten hat:

Plea­se don’t put your life in the hands
Of a rock ’n’ roll band
Who’ll throw it all away

Alle Dis­ku­tan­ten haben ein­hel­lig die Mei­nung ver­tre­ten, dass der letz­te rich­tig gute Oasis-Song schon län­ger her sei – nur über den genau­en Zeit­punkt und Titel ist man sich uneins. Ich wür­de vor sie­ben Jah­ren anset­zen, auf „Hea­then Che­mis­try“ mit den letz­ten Über-Bal­la­den „Stop Crying Your Heart Out“ und „Litt­le By Litt­le“ und dem Klein­od „She Is Love“. „Fal­ling Down“ auf dem letzt­jäh­ri­gen „Dig Out Your Soul“ war auch nicht schlecht, aber das darf man alles nicht mit den alten Sachen ver­glei­chen.

Ich habe in den letz­ten Tagen einen Ver­gleich bemüht, von dem ich ver­ges­sen hat­te, dass ich ihn schon beim gro­ßen Jah­res­rück­blick ver­wen­det hat­te: Näm­lich den, dass es mit Oasis sei wie mit einem alten Schul­freund – „das Wie­der­se­hen ist herz­lich, man denkt an alte Zei­ten, trinkt zwei Bier und geht wie­der getrenn­ter Wege“.

Oasis waren ja unge­fähr zwei Som­mer lang so groß, wie die Ultras sie heu­te noch sehen. Auf dem Höhe­punkt abzu­tre­ten haben nicht mal Nir­va­na geschafft. Danach kommt eben die Ver­wal­tung der eige­nen Errun­gen­schaf­ten und dafür kann man dann ruhig den Rol­ling-Stones-Weg ein­schla­gen. Und denen ging es ja in den Acht­zi­gern auch nicht beson­ders.

Ich kam (wie unge­fähr jeder ande­re) über „Won­der­wall“ zu Oasis. Auf „Bra­vo Hits 12“ und das ist ja Grund genug, den Song heu­te zu has­sen. „Solo­al­bum“ von Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re – und Sie dach­ten, wir spre­chen bei Oasis von einem Absturz in die Bedeu­tug­nslo­sig­keit – häm­mer­te mir die Band ins Bewusst­sein, danach wur­den alle bis­her erschie­ne­nen CDs gekauft und bei jeder Neu­erschei­nung das Geld brav in den Laden getra­gen.

Die Pflicht­schul­dig­keit, immer noch jedes neue Album kau­fen und irgend­wie mögen zu müs­sen, habe ich bei Oasis gelernt. Eine objek­ti­ve Beur­tei­lung von Künst­lern, von denen ich mehr als drei Plat­ten habe, ist mir bis heu­te unmög­lich. (Ein­zi­ge Aus­nah­me: „Inten­si­ve Care“ von Rob­bie Wil­liams. So eine Scheiß­plat­te muss man wirk­lich erst mal machen.)

Im Gegen­satz zu ande­ren Brit­pop-Fans glau­be ich auch heu­te noch an den Glau­bens­krieg Oasis vs. Blur. Ich war immer Oasis-Fan, von Blur habe ich nur das Best Of. Cof­fee And TV heißt natür­lich trotz­dem nach einem Blur-Song, auch wenn die Band wenig aus­schlag­ge­bend war für die Wahl. Und es ist natür­lich die ganz beson­de­re Iro­nie der Pop­kul­tur, dass aus­ge­rech­net im Jahr 2009 – rund 15 Jah­re nach den Gol­den Years of Brit-Pop – Blur plötz­lich ein gefei­er­tes Come­back hin­le­gen und bei Oasis das Mas­ter­mind aus­steigt. Bes­ser tan­zen konn­te man frei­lich immer schon zu Blur.

Oasis wer­den wie­der­kom­men, dar­an habe ich kei­nen Zwei­fel. Die Band hat in ihrer Kar­rie­re ver­mut­lich mehr Kon­zer­te abge­sagt, als die Babysham­bles je gespielt haben. Sich klamm­heim­lich aus einem Fes­ti­val-Line-Up zu steh­len, ist mies, denn das Geld kriegt man nicht wie­der – auch nicht, wenn statt­des­sen Deep Pur­ple spie­len.

Und wenn Noel Gal­lag­her nicht in ein, zwei Jah­ren wie­der auf der Büh­ne steht, als sei nichts gesche­hen, dann gilt immer noch, was ein guter Freund und Ex-Oasis-Fan mein­te: „Eine Band ist doch nicht weg, wenn sie sich auf­löst. Die Plat­ten wird es immer geben.“

In die­sem Sin­ne: „You and I, we’­re gon­na live fore­ver!“

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Leben Literatur

Die Omelette-Maschine: Heiner Müller zum Achtzigsten

Den trau­rigs­ten Moment mei­ner aka­de­mi­schen Lauf­bahn erleb­te ich eines Frei­tags­mor­gens in einem Pop­li­te­ra­tur-Semi­nar. Eine Grup­pe von Kom­mi­li­to­nen hielt ein Refe­rat über Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re und an einer Stel­le (in „Black­box“) gibt es neben einer gan­zen Rei­he ande­rer Zita­te auch eines von Hei­ner Mül­ler: „Alles ist Mate­ri­al.“

Und was sag­te die­ser Ger­ma­nis­tik-Stu­dent im durch­aus nicht mehr ers­ten Semes­ter?

„Hei­ner Mül­ler, also der Mann vom ‚RTL Nacht­jour­nal‘ …“