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Goodbye Trouble

Gestern war ich auf einer Trauerfeier. Und auf einem Klassentreffen. Und auf dem ersten (indoor) Konzert seit drei Jahren. Pale hatten zum One-Night-Only-Konzert ins Kölner Gloria gebeten und die Indie-Crowd, die vor 20 Jahren auf Visions-Partys Smirnoff Ice getrunken hatte, war geschlossen angetreten — mit Mützen über dem lichter werdenden Haar, ohne Trainingsjacken mit Städtenamen drauf und mit nur einem Bier in der Hand, denn man muss ja noch fahren und die Kinder werden so früh wach.

Die erste Welle der Ekstase schwappt schon hoch, als das Licht für die Vorband ausgeht. Pale hatten vage „Gäste“ und „Freunde“ angekündigt und so geht es als kollektive Selbstbestätigung durch, als wir sehen, dass es wirklich Thees Uhlmann ist, der da auf die Bühne schlurft. Doch – behold! – er ist nicht alleine, mit ihm kommt Marcus Wiebusch raus. Das macht Sinn, sind doch das letzte Pale-Album 2006 und das jetzt aber wirklich allerletzte Pale-Album 2022 beim Grand Hotel van Cleef erschienen, dem Label, das die beiden 2002 gegründet hatten und dessentwegen wir uns alle kennen und gute Musik hören. „Gebt dem Nachwuchs eine Chance“, scherzt Thees, dann spielen die beiden sechs Songs aus dem großen kettcar/Tomte/Thees-Uhlmann-Werk. Wir hätten auch 20 genommen, aber sie sind ja nur als Warm-Up hier und bringen das Gloria erfolgreich auf Betriebstemperatur. Leider auch buchstäblich.

Vor dem Pale-Konzert (Foto: Lukas Heinser)

Dann leuchtet der Pale-Schriftzug über der Bühne auf und die Band (oder das, was von ihr übrig ist) betritt unter einem der dicksten Auftrittsapplause, die ich je erlebt habe, das Scheinwerferlicht. Nach dem ersten Song sagt Sänger/Gitarrist Holger Kochs, er habe sich in den letzten Tagen eine lange Ansage ausgedacht und wieder verworfen, denn wir wüssten ja eh alle, warum wir da sind: „Für Christian!“

Christian Dang-anh war der Gitarrist von Pale, „der einzige richtige Musiker innerhalb der Band“, wie die anderen selbst sagen. 2019, zehn Jahre nach der Auflösung der Band, wurde bei ihm ein Gehirntumor diagnostiziert, was die Mitglieder auf die Idee brachte, wieder gemeinsam Musik zu machen. Schlagzeuger und Holgers Bruder Stephan Kochs hatte mit einer eigenen schweren Erkrankung zu kämpfen, dann kam die Pandemie und im Frühjahr 2021 ist Christian leider gestorben.

Aus diesen Sessions und Erfahrungen ist „The Night, The Dawn And What Remains“ entstanden, das wirklich allerletzte Album, dessen Songs heute Abend alle zur Aufführung kommen — neben den ganzen Hits, natürlich, wobei mir irgendwann auffällt, dass es false memory meinerseits war, zu glauben, ich hätte die Musik der Band „schon damals“ „immer viel“ gehört.

Zwischen den Songs sagt Holger so viele kluge Sachen über das Leben und die Gegenwart, die man genießen und feiern solle, dass ich mir denke, dass ich mir die alle merken werde. Jetzt könnte ich natürlich nichts mehr davon zitieren, aber das ist total egal, weil ich ja WEISS, dass er Recht hat.

Sie spielen „Man Of 20 Lives“ für Stephan, der heute nur im Publikum ist. Zu „Bigger Than Life“ werden im Hintergrund alte Videos und Bilder von Christian projiziert und ich denke mal wieder, wie so oft, über Musik: „This is my church / This is where I heal my hurts“. (Maxi Jazz von Faithless ist übrigens im Dezember auch gestorben.) Holger singt – „auch wenn’s pathetisch klingt“ – „Wake Up!“ für seine Kinder und ich stehe da inmitten einer wild zusammengewürfelten Gruppe alter Freunde und Bekannter, jetzt sind wir alle Väter, und ich muss mich gar nicht umgucken, weil ich weiß, dass wir gerade alle Tränen in den Augen haben. Das Publikum weiß auch, wann Holger Unterstützung gebrauchen kann, und umarmt ihn mit langem, frenetischen Applaus. Das Gloria ist heute ein einziger großer Liebeskreis. (Rocco Clein ist jetzt auch schon 19 Jahre tot.)

Beim Pale-Konzert (Foto: Lukas Heinser)

„Still You Feel“, eine Hymne auf die Musik, die einem Zuhause ist, nachdem man die furchtbare Heimatstadt verlassen hat, ist auf dem Album ein Duett mit Simon den Hartog von den Kilians. (Auf dem Popkultur-Altar auf dem Albumcover steht ein Mixtape namens „Hometown Mix“, dessen B-Seite mit „Dinslaken 2002“ beschriftet ist — Simons und meiner alten Heimatstadt und meinem Abi-Jahr. Ich bin mir auch nach Monaten noch nicht sicher, was das mit mir macht.) Und natürlich kommt Simon, den Holger als seine Lieblingsstimme in Deutschland bezeichnet, auch auf die Bühne im Gloria. Und er bleibt noch für einen zweiten Song: „Fight The Start“ von den Kilians. Ich habe diesen Song mindestens 30 Mal live gehört, im Publikum, beim Soundcheck, neben der Bühne — zuletzt vor neun Jahren, ein paar Leben her, und ich bin sehr froh, dass mir die ganze emotionale Bedeutung dieses Moments nicht schon gestern Abend aufgefallen ist, sondern erst jetzt. Durchatmen.

„Someday You Will Know“ („The last song of a band that already played its final show“) wird auf dem Album von einem Saxofon-Solo von Steve Norman von Spandau Ballet gekrönt — und es ist jetzt wirklich keine große Überraschung mehr, dass auch er heute Abend hier ist und mitspielt. (Tatsächlich wäre es auch nur konsequent gewesen, wenn zum abschließenden The-Jam-Cover „Town Called Malice“ Paul Weller zur Band hinzugestoßen wäre. Oder Noel Gallagher. Oder John Lennon, because why the fuck not?) Etwas überraschender ist schon, dass auch er für einen zweiten Song bleibt und wir so in den Genuss kommen, „Gold“ von Spandau Ballet auch einmal live zu hören. You’ve got the power to know you’re indestructible!

Er habe unterschätzt, wie viel 27 Songs sind, meint Holger lachend vor den letzten Zugaben, als er das Publikum bittet, gerne etwas lauter mitzusingen. Drei Stunden stehen sind auch schon ziemlich anstrengend, denke ich. Und drei Stunden Rückweg vom Club zum eigenen Bett haben sich früher auch nicht so schlimm angefühlt. Aber wer hätte gedacht, damals, als man anfing, Musik als etwas wahrzunehmen, was mehr ist als das, was im Radio zwischen den Politik-Beiträgen läuft, dass sie einem mal so viel bedeuten und einen durch schwere Zeiten (und großartige!) begleiten würde, dass sie mal zu Freundschaften führen würde und zu Abenden wie diesem?

This is how it feels when nothing can ever make you stop / This is how it feels when nothing’s wrong.

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Musik

Songs des Jahres 2021

Und ein sozialkritisches Schlagzeugsolo später ist es soweit: Making disco a threat again!

Ich habe wieder ein bisschen länger gebraucht, aber ich möchte auf keinen Fall sein wie Spotify und Musikzeitschriften, die schon zwischen Oktober und Nikolaus auf ein Jahr zurückschauen. Sowas braucht ja auch Zeit und muss sich erst mal setzen — und dann muss man sich selber erst mal setzen, Songs in eine Reihenfolge bringen, die einem in dieser einen Millisekunde die richtige erscheint, obwohl es natürlich völlig absurd ist, Musik in irgendeine Rangliste zu bringen.

Jedenfalls: Hier sind wir! Und hier sind sie: Meine Top-25-Songs eines immer noch etwas mühsamen Jahres!

25. Chicago Sinfonietta – Dances In The Canebrakes (Arr. W.G. Still for Orchestra) : No. 3, Silk Hat And Walking Cane
Ich habe beschlossen, dass ich die Regeln für meine Liste selbst bestimmen kann, also gehen auch Klassik-Songs! „Dances In The Canebrakes“ ist eigentlich ein Klavierwerk der Schwarzen US-Komponistin Florence Price (1887-1953), das hier für Orchester arrangiert wurde und auf dem Album „Project W: Works by Diverse Women Composers“ erschien — und zwar schon 2019. Da mir dieser Umstand aber genau gerade eben erst aufgefallen ist und mich das Stück bis dahin so sehr durch mein Jahr 2021 begleitet hatte, dass ich es zwischenzeitlich als theme in dem Film, der mein Leben ist, wahrgenommen habe, ist mir das alles egal! Es ist ein großartiges Werk mit einem beeindruckenden Hintergrund, also steigen wir einfach hiermit ein!

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24. Aaron Lee Tasjan – Up All Night
Auch wenn ich es nicht für möglich gehalten hätte, gab es 2021 doch wieder ein paar Abende, an denen ich angemessen alkoholisiert den Heimweg aus der Innenstadt angetreten habe. Es war stets der perfekte Umstand, um diesen Queer-Folk-Power-Pop-Song in einer Lautstärke zu hören, die einem Apple Health dann hinterher wieder vorwurfsvoll um die Ohren haut.

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23. Adam Levine – Good Mood
Ich sage ja immer, dass es keine peinlichen Lieblingslieder geben kann, aber der Sänger von Maroon 5, der den Titelsong zum „Paw Patrol“-Kinofilm singt — das ist schon eine schwere Hypothek, die man sich selbst gegenüber erst mal rechtfertigen muss!
Tatsächlich hatte ich zuerst den Refrain als Werbepausen-Einleitungsmusik bei Fußball-Übertragungen gehört und sofort geliebt, weil ich seine maximale New-Radicals-Haftigkeit mochte. In Wahrheit hat der Songs nichts mit den New Radicals zu tun (anders als die Songs, die Adam Levine in dem sehr charmanten Film „Begin Again“ und dem dazugehörigen Soundtrack singt), aber das war dann auch schon egal. Keinen Song habe ich 2021 auf dem Fahrrad im Fitnessstudio öfter gehört als „Good Mood“ und wenn Ihr bei diesem Groove nicht mit hochspezialisierten Hundewelpen durch die Wohnung tanzen wollt, kann ich Euch auch nicht helfen!

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Musik

Acts des Jahres 2021

Hey, wie war denn Euer Jahr 2021 so? Genau. Mit Konzerten und Festivals war das ja alles noch so eine Sache, aber Musik war natürlich trotzdem da — und gerade zu Beginn des Jahres, als alles noch so richtig scheiße war (könnt Ihr Euch noch erinnern, dass wir im April eine Ausgangssperre hatten?!), hat sie getröstet und verbunden.

Nachdem ich zu Beginn des letzten Jahres großspurig verkündet hatte, nie wieder eine „Alben des Jahres“-Liste zu veröffentlichen, weil manche Acts gar keine Alben mehr veröffentlichen und andere gleich zwei, brauchte ich irgendeine andere Kategorie, in der ich zu Beginn des nächsten Jahres (ach, komm: is noch Anfang 2022!) Namen sortieren und mir erläuternde Texte aus den Fingern saugen können würde.

Herzlich Willkommen also bei meiner ersten „Acts des Jahres“-Liste, die es mir ermöglicht, ein bisschen über den Tellerrand hinauszuschauen:

10. Måneskin
Dass Italien irgendwann noch mal den ESC gewinnen würde, hatte in den letzten zehn Jahren deutlich in der Luft gelegen. Dass sie es mit einer Rockband tun würden, die klingt und aussieht, als wären ihre Mitglieder die letzten 45 Jahren eingefroren gewesen, nicht unbedingt — aber es hat dann auch nicht weiter überrascht. Womit nun wirklich nicht zu rechnen gewesen war: Dass diese ESC-Sieger*innen zwei Wochen nach dem Song Contest noch nicht vergessen waren; dass „I Wanna Be Your Slave“, die zweite Single aus ihrer EP „Tatro d’ira – Vol. 1“ (RCA/Sony; Apple Music, Spotify), in der sie relativ offen ungefähr alle sexuellen Spielarten durchdeklinieren, ein noch größerer Hit werden würde, der im Radio läuft und von deutschen Grundschulkindern begeistert mitgesungen wird; dass diese Band mit einer vier Jahre alten Coverversion die weltweiten Spotify-Charts anführen würde; dass sie bei Jimmy Fallon und „Saturday Night Live“ auftreten und für die relevantesten Musikfestivals beiderseits des Atlantiks gebucht werden würden.
Kurzum: So etwas hatte es in der 65-jährigen Geschichte des ESC (über die Ende Februar ein sehr lesenswertes Buch erscheint) noch nicht gegeben. Die Band hat den ESC ins 21. Jahrhundert katapultiert (worauf wir bei der neuen Bundesregierung noch warten) und ist nebenbei die erste mir bekannte Rockband seit vielen, vielen Jahren, die derart durchstartet.
So. Und jetzt stellen Sie sich bitte vor, Sie hätten zwei Wochen lang jeden Morgen zehn Meter von diesen soon to be-Megastars entfernt gefrühstückt und wären nicht einmal auf die Idee gekommen, nach einem gemeinsamen Selfie zu fragen!

9. Weezer
Was Taylor Swift kann, können Weezer schon lange: Zwei Alben in einem Jahr zu veröffentlichen passiert der Band jedenfalls nicht zum ersten Mal. Im September 2019 hatten sie ihr 14. Album „Van Weezer“ (Crush Music/Atlantic; Apple Music, Spotify) angekündigt, das im Mai 2020 erscheinen sollte. Wie so vieles andere wurde auch der Release dieses Albums verschoben — das Tribut an die großen Hair-Metal-Bands (das durch den zwischenzeitlichen Tod von Eddie van Halen eine zusätzliche Ebene erreicht hatte) erschien im Mai 2021 und war okay, aber nicht atemberaubend.
Interessanter war „OK Human“ (Crush Music/WEA; Apple Music, Spotify), das zweite Album, das Weezer zwischen der Fertigstellung und dem verspäteten Release von „Van Weezer“ aufgenommen hatten (was es so gesehen zu ihrem 15. Album macht, chronologisch aber natürlich „Van Weezer“ nach hinten drängt und somit offiziell Nr. 14 ist — aber die Beatles hatten „Abbey Road“ ja auch nach „Let It Be“ aufgenommen und vor diesem veröffentlicht).
Es wurde ohne elektrische Gitarren, aber mit einem 32-köpfigen Orchester eingespielt, was ihm den Sound eines Unplugged-Albums (oder von Ben Folds’ „So There“) verleiht, nur dass es zwölf brandneue Songs sind und keine neu eingespielten Hits. Es klingt also wärmer, enthält aber ansonsten klassische unwiderstehliche Weezer-Melodien und clevere Texte über das Leben in Zeiten von Gentrifizierung, Smartphones und unzähligen Zoom-Calls. Wenn „New Yorker“-Cartoons Musik wären, wären sie dieses Album!

8. Danger Dan
Ich hatte natürlich noch nie bewusst irgendwas von der Antilopen Gang gehört, als sich mein halber Freundeskreis überschlug, ich müsse jetzt unbedingt diese ZDF-Sendung schauen, in der ein Mann namens Danger Dan, der Mitglied besagter Hip-Hop-Band sei, gemeinsam mit Thees Uhlmann durch die Gegend ziehe und am Klavier seine neuen Solo-Songs spiele. Oooookay! Nicht alle Songs haben mich abgeholt, aber „Lauf davon“ ist natürlich ein Meisterwerk der Melancholie; gleichzeitig Punk und Romantik, als hätte sich Rio Reiser mit Igor Levit zusammengetan. „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ war mir erst einen Tacken zu Jan-Böhmermann-Twitter-ironisch, aber die dritte und vierte Strophe haben mich mit offenem Mund vor dem Fernseher sitzen lassen: Wie er da mit Ken Jebsen, Jürgen Elsässer, Alexander Gauland, AfD, rassistischen Polizisten abrechnet, so etwas hatte ich im Pop selten gehört.
Und dann kam „Eine gute Nachricht“ raus: Ein unendlich poetisches, komplett unpeinliches Liebeslied; eines der besten, das je geschrieben wurde — und das auf Deutsch!
Zum Album, das auch „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ (Antilopen Geldwäsche; Apple Music, Spotify) heißt, habe ich ein gespaltenes Verhältnis – manche Lieder sind mir zu „lustig“, auf ganze Länge ist es mir ein bisschen zu monoton, aber das ist eigentlich egal: Schreibt mal drei Songs, die so unterschiedlich reinhauen, und dann reden wir weiter!

7. Big Red Machine
Beim ersten Album war Big Red Machine noch die Mini-Supergroup von Justin Vernon (Bon Iver) und Aaron Dessner (The National) gewesen, in der Zwischenzeit hatten die beiden mit Taylor Swift für deren Meisterwerke „Folklore“ und „Evermore“ zusammengearbeitet und so kam die Präsidentin des Pop fürs zweite Album „How Long Do You Think It’s Gonna Last?“ (Jagjaguwar/37d03d; Apple Music, Spotify) zum Gegenbesuch vorbei und traf dort unter anderem auf Anaïs Mitchell, die Fleet Foxes (was ist eigentlich aus denen geworden?!), Sharon van Etten, Ben Howard und andere, die gemeinsam mit Vernon und erstaunlich viel Dessner, der zuvor noch nicht groß als Sänger in Erscheinung getreten war, melancholisch-hymnische Lieder anstimmten. (Dass es sich die Band erlauben kann, den gemeinsamen Song mit Michael Stipe gar nicht erst aufs Album zu packen, sagt schon viel aus!)
Nun läuft ein Album bei so vielen Stimmen schnell Gefahr, eher nach Mixtape zu klingen, aber was heißt hier „Gefahr“?! Wenn es ein so stimmungsvolles, in sich geschlossenes Mixtape ist, wer würde sich da beschweren?!

6. The Wallflowers
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass die Wallflowers neun Jahre nach ihrem letzten Album (das neben einer The-Clash-Huldigungs-Single nicht so richtig viel zu bieten hatte) und nach dem Ausstieg der letzten Bandmitglieder, die nicht Jakob Dylan hießen, überhaupt noch mal ein Album aufnehmen würden. Doch nach ein paar Vorab-Singles war „Exit Wounds“ (New West Records/LLC; Apple Music, Spotify) da und schloss eigentlich nahtlos an ihr 25 Jahre altes Erfolgsalbum „Bringing Down The Horse“ an: Americana-Musik über die ganz großen Themen, bei vier Songs grandios unterstützt durch Shelby Lynne.
Es ist Musik für Männer in Chucks und Karohemden, die langsam, aber sicher auf die 40 zugehen (oder schon lange darüber hinaus sind), aber in Zeiten wie diesen ist es toll, Musik zu haben, die wie ein großer Bruder oder ein junger Onkel zu einem kommt und sagt: „Hier ist ein Bier für Dich, mein Pick-Up-Truck steht vor der Tür — jetzt fahren wir in den Sonnenuntergang, schnacken ein bisschen und alles wird gut!“

5. Wild Pink
Es war wenig überraschend „All Songs Considered“, wo ich erstmals auf die Musik von Wild Pink traf. „A Billion Little Lights“ (Royal Mountain Records; Apple Music, Spotify), das dritte Album der New Yorker Band, erwies sich als die perfekte Frühlingsmusik: ein bisschen pastellig-optimistisch, ein bisschen schläfrig-melancholisch; zwischen Joshua Radin, Rogue Wave und Stars; organisch, mit gelegentlichen Country-Gitarren und cleveren Texten.
Vor zwölf, dreizehn Jahren wäre solche Musik bei „Scrubs“ oder in iPod-Werbespots gelaufen, heute hört man sie allenfalls noch auf dem Haldern-Pop-Festival — wenn es denn stattfindet.

4. Vanessa Peters
Lustig, wie man 2021 Musik entdeckt: Instagram hatte mir im Frühjahr das Video zu einem Song namens „Crazymaker“ als Werbung ausgespielt und ich hab den Song sofort auf meine Playlist gepackt. Im Herbst hab ich dann mal nachgeschaut, was die Sängerin dahinter noch so macht.
Hinter dem Namen „Vanessa Peters“ vermutete ich – deutsch ausgesprochen – erst mal eine Frau, die in irgendeiner frühen DSDS-Staffel mal den dritten Platz belegt hatte und/oder mal Vorletzte beim ESC wurde (man kann ihn aber bequem amerikanisch aussprechen, denn sie stammt aus Texas), und das Roy-Lichtenstein-für-Arme-Cover ihres Albums „Modern Age“ (Idol Records; Apple Music, Spotify) hat mich zunächst auch etwas abgeschreckt.
Oberflächlicher Scheiß, denn die Musik ist toll: Als hätten Aimee Mann, Suzanne Vega und Kathleen Edwards eine Supergroup gegründet. Sehr amerikanisch, obwohl die backing band komplett aus Italienern besteht.

3. Emily Scott Robinson
Ich hatte noch nie von Emily Scott Robinson gehört, als ihr drittes Album „American Siren“ (Oh Boy Records; Apple Music, Spotify) – natürlich – bei „All Songs Considered“ vorgestellt wurde. Das bittersüße Trennungslied „Let ’Em Burn“, das dort lief, repräsentiert das Album als Pianoballade musikalisch einerseits nicht so richtig, andererseits passt es aber auch perfekt in dieses Album mit seinen oft reduzierten Country- und Folksongs mit klugen und gesellschaftskritischen Texten.
Es ist das Album, das Kacey Musgraves 2021 leider nicht gemacht hat, es erinnert an Lori McKenna und Hem und es ist einfach wunderschön!

2. Meet Me @ The Altar
Hat jemand „queer POC all-girl pop-punk band“ gesagt? Count me in!
Natürlich war es auch wieder „All Songs Considered“, wo ich zum ersten Mal von Meet Me @ The Altar gehört habe. Musikalisch kann man sie als Teil des 2000er-Revivals, irgendwo zwischen blink-182 und Paramore, Taking Back Sunday und Avril Lavigne, ansehen (und sie sind eine der wenigen jungen Bands, die beim großen Zu-schön-um-wahr-zu-sein-Emo/Pop-Punk-Festival „When We Were Young“ in Las Vegas spielen werden), aber die Texte sind irgendwie reflektierter als die unserer damaligen Mitgröl-Hymnen.
Das ist die Energie, die ich im vergangenen Jahr gebraucht habe! Nach ihrer EP „Model Citizen“ (Fueled By Ramen; Apple Music, Spotify) hat die Band für 2022 ein Album angekündigt, was bei so jungen Leuten dann doch überraschend ist. Und schön.

1. Sir Simon & Burkini Beach
„Hä? Hast Du jetzt zwei Acts auf Platz 1 gepackt, Lukas?!“
Jau. We make up the rules as we go along.
Aber der Reihe nach: Sir Simon ist natürlich Simon Frontzek, der unter diesem Namen schon 2008 und 2011 zwei ganz tolle Indiepop-Alben veröffentlicht hatte, seitdem aber nichts eigenes mehr. Er spielt seit 2019 in der Band von Thees Uhlmann — und zwar zusammen mit Rudi Maier alias Burkini Beach. Als sie 2020 überraschend viel Zeit hatten, haben die beiden einfach zusammen zwei Alben geschrieben und aufgenommen: eben eins für Simon („Repeat Until Funny“, Comfort Noise; Apple Music, Spotify) und eins für Rudi („Best Western“, Comfort Noise; Apple Music, Spotify). Die sind im August am gleichen Tag erschienen und der letzte Song auf beiden Alben ist jeweils – und ich bin mir sehr sicher, dass es diese geniale, eigentlich total naheliegende Idee in der Musikgeschichte bisher noch nie gegeben hat – „Not Coming Home“, ein Duett zwischen den beiden.
Man kann diese Alben also kaum getrennt voneinander beurteilen — und das muss man auch gar nicht, denn sie sind beide wunderschön geworden und haben mich ab August durchs Jahr getragen. „Repeat Until Funny“ klingt, um mal meinen besten Freund zu zitieren, ein bisschen wie ein bisher unveröffentlichtes Weakerthans-Album, „Best Western“ wie eins von Death Cab For Cutie (und wir meinen nicht, dass es wie ein Abklatsch klingt, sondern dass da zwei Menschen, die Musik wirklich lieben und verinnerlicht haben, im Äther der Musik ihre eigenen Sprachen und Stimmlagen gefunden haben und diese jetzt mit uns teilen). Auch die Texte sind wirklich sehr klug und lustig, was ja bei deutschen Acts, die auf Englisch singen, jetzt auch nicht unbedingt immer der Fall ist. Also: Ja, es sind wirklich zwei gute Alben und weil man sie nicht trennen kann, stehen sie beide hier vorne! („Vorne“ im sonst eher ungebräuchlichen Sinne von „ganz am Ende des Textes“, aber eben auf Platz 1. Hier muss dieser Blog-Eintrag enden.)

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Musik Leben

Was den Himmel erhellt

Ich erinnere mich, wie ich am ersten Arbeitstag des Jahres 2006 die Post in der Musikredaktion von CT das radio öffnete und darin die Promo für die neue Tomte-CD („Watermarked #89“) lag. Wie ich die CD am Abend zum ersten Mal hörte und wusste, dass ich viel Zeit mit diesem Album verbringen würde.

Ich erinnere mich, wie ich Thees Uhlmann zum Interview im Düsseldorfer Zakk traf. Wie ich ihm unbeholfen das Demo einer befreundeten Band in die Hand drückte, das ich eigentlich für Simon Rass vom Grand Hotel van Cleef mitgebracht hatte, der aber gar nicht vor Ort war, und wie Thees zum ersten Mal die Kilians hörte.

Ich erinner mich, wie ich um vier Uhr morgens in Dinslaken aufstand und zum Düsseldorfer Flughafen fuhr, um nach Nürnberg zu fliegen (mein allererster Flug ohne Eltern!). Wie ich mit dem Zug nach Erlangen weiterfuhr, um die Kilians zu treffen, die jetzt, acht Wochen nach dem Interview, bei Tomte im Vorprogramm spielten. Ich stellte mich als Backliner und Roadie vor, bekam meinen eigenen Backstage-Pass und vergaß direkt am ersten Abend den Teppich, der auf der Bühne unter Micka Schürmanns Schlagzeug liegen sollte, in einer Ecke des E-Werks.

Ich erinnere mich daran, Tomte vier Tage hintereinander live zu sehen, die neuen Songs zu hören, die ich schon in- und auswendig kannte, und zu spüren, wie diese Band auf der Welle der Emotionen surfte, die ihnen entgegengebracht wurde. An die Zeile „Und du sagtest: Da ist zu viel Krebs in deiner Familie“, die mir jeden Abend die Tränen in die Augen trieb, weil mein geliebter Großonkel gerade im Krankenhaus lag und vier Monate später an dieser Arschloch-Krankheit starb. An Soundchecks, Backstageräume und den Deckel einer Rohlingspindel, aus dem Thees Wodka-O trank, bevor ich ihn auf die Stirn küsste.

Ich erinnere mich an zahlreiche Festivals im Sommer, auf denen ich Tomte immer wieder live sah, und wie wir beim Essen Original so nass wurden, dass das Wasser beim Gehen aus unseren Schuhen schwappte.

Ich erinnere mich, wie ich für CT eine eigene Version von „New York“ zusammenschnitt, weil die Albumversion zu lang war, aber auf der Singleversion das tolle Intro fehlte. (Ich glaube, das ist illegal, und die Band und ihr Produzent Swen Meyer könnten mich wahrscheinlich heute noch verklagen.)

Ich erinnere mich, wie ich im September für drei Monate zu meiner amerikanischen Familie nach San Francisco flog und dachte, dass es ja ein merkwürdiger Zufall ist, dass Thees mit „Walter & Gail“ ein Lied über seine amerikanische Familie geschrieben hatte.

Ich erinnere mich, wie ich mit meinem Onkel nach New York flog, das damals wirklich noch die „Stadt mit Loch“ war. Dass ich am Chelsea Hotel vorbeiging und wir am Sonntagnachmittag durch den Central Park spazierten und bei Sonnenuntergang das Reservoir erreichten und wie ich dachte, dass manchmal einfach alles einen Sinn ergibt.

Ich erinnere mich, wie ich im Dezember wieder in meinem WG-Zimmer im Bochumer Studentenwohnheim saß, die Platte und „New York“ in all meinen Jahresbestenlisten auf Platz 1 setzte und dachte, dass es wahrscheinlich nie wieder ein Album geben würde, das so eng mit meinem Leben verbunden ist — und dass das auch okay sein würde.

Heute vor 15 Jahren erschien „Buchstaben über der Stadt“ von Tomte. L.Y.B.E.

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Musik

Songs des Jahres 2019

Machen wir’s schnell: Hier sind also 25 Songs, die ich gestern Abend um 21:57:26 in exakt dieser Reihenfolge für die besten des zurückliegenden Jahres hielt!

25. Loyle Carner – Loose Ends
Ich komme ja generell deutlich besser mit britischem Hip Hop klar als mit amerikanischem (oder deutschem, hahaha), aber Loyle Carner ist wirklich besonders gut, weil sein Sound so unglaublich tight und organisch groovend ist, während er traurige Geschichten erzählt.

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24. J.S. Ondara – American Dream
Über das Album hab ich schon bei meinen Alben des Jahres geschrieben, hier also der Opener. Was ist der amerikanische Traum in Zeiten, in denen man mit den USA vor allem einen wahnsinnigen Reality-TV-Star verbindet, der irgendwie zum Präsidenten wurde? Hier klingt es fast nach einem Fiebertraum:

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23. Maggie Rogers – Light On
Die große Frage bei Maggie Rogers Debütalbum war natürlich: Würde sie es schaffen, nach “Alaska” weitere große Songs zu schreiben? “Light On” beantwortet diese Frage ziemlich eindeutig mit “Ja!” (Bin ich der Einzige, der im Refrain einen Hauch von “Shut Up And Dance” hört?!)

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22. Better Oblivion Community Center – Dylan Thomas
Wenn Phoebe Bridgers und Conor Oberst eine Indie-Folk-Supergroup gründen, ist das alleine natürlich schon mal super. Wenn dabei auch noch solche Songs rumkommen: Umso besser!

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21. Bear’s Den – Only Son Of The Falling Snow
Ich bin ja immer vergleichsweise spät mit meinen Bestenlisten: Viele Leute und Redaktionen veröffentlichen ihre bereits Anfang Dezember. Sie haben dann womöglich die Drei-Song-Ep verpasst, die Bear’s Den am Nikolaustag veröffentlicht haben — und damit diesen wundervollen Folksong!

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Musik

Alben des Jahres 2019

Alben spielen bekanntlich keine Rolle mehr — das Medium der Zukunft heißt Stream (oder eben halt Kassette)! Ich gebe zu, dass ich letztes Jahr zwar wahnsinnig viele Alben gehört habe, um sie für das inzwischen leider eingestellte “JWD”-Magazin zu besprechen (Guten Tag, suchen Sie zufällig noch einen Musikkolumnisten?!), aber in die allermeisten nicht mehr reingehört habe, nachdem meine Rezension fertig war.

Dafür habe ich ca. eine Million Songs gehört (zu deren besten wir dann als nächstes kommen), aber auch jede Menge EPs, die irgendwie streng genommen keine Alben sind, weil sie nur fünf bis sieben Songs enthalten, wobei man mit sieben Songs auch schon ein Album sein kann und … Puh.

Vielleicht ist es also das letzte Mal, dass ich mich im Januar hinsetze, um eine Liste zusammenzustellen, die in dieser Form nur wenige Millisekunden gültig ist und hinter dem 2. Platz eigentlich auch ausgewürfelt sein könnte. Aber heute war es noch mal soweit und hier sind sie nun: Meine zehn liebsten Alben des Jahres 2019!

10. Julia Jacklin – Crushing (Spotify, Apple Music)
Was bei Julia Jacklins Zweitwerk vor allem auffällt: Wie viel Raum die ganzen Indie-Folk-Songs hier haben! Die ruhigen, weil sie so spärlich instrumentiert sind, die lauteren, weil sie ihn sich einfach nehmen. Gleichzeitig sind sie einem als Hörer*in wahnsinnig nahe (aber nur so nahe, dass ich es auch noch ertragen kann). Ein Album, das sich die Aufmerksamkeit holt, die es verdient.

9. Ider – Emotional Education (Spotify, Apple Music)
Am Ende geht es in den allermeisten Liedern ja einigermaßen deckungsgleich um folgende Themen: die eigenen Gefühle, die Gefühle anderer, Beziehungen und warum sie nicht funktioniert haben, das Leben und was man daraus macht. So gesehen erfinden auch Ider das Rad nicht neu, aber wie Megan Marwick und Lily Somerville da in ihren Elektro-Indie-Pop-Songs über all diese Themen singen, das ist schon sehr, sehr gut!

8. Carly Rae Jepsen – Dedicated (Spotify, Apple Music)
Seit sie 2012 forderte, man solle sie vielleicht anrufen, kommt Carly Rae Jepsen alle paar Jahre mit einer Handvoll perfekter Popsongs um die Ecke, die wie für mich gemacht wirken. Auch auf ihrem vierten Album gibt es wieder eingängige Melodien und Grooves und Texte, mit denen sich Teenager und Thirtysomethings identifizieren können (letztere fühlen sich wegen dieses 80er-Sounds, der manchmal beinahe ein bisschen Gefahr läuft, ein Tacken zu viel des Guten zu sein, auch wohlig an die eigene Kindheit erinnert). Wie viel Spaß das alles macht, beweist die Queen of Roséwave auch bei ihrem Auftritt hinter Bob Boilens Schreibtisch beim Tiny Desk Concert.

7. Craig Finn – I Need A New War (Spotify, Apple Music)
Interessante Taktik: Im April ein Soloalbum rausbringen, im August dann eines mit der Hauptband (das wiederum zur Hälfte aus Songs besteht, die man in den Jahren zuvor schon als Singles rausgebracht hatte), im Oktober dann schon wieder eine neue Solo-Single. Keine Ahnung, ob wir uns Craig Finn als Workaholic, als Getriebenen oder als glücklichen Menschen vorstellen müssen — 2019 war er immerhin gut beschäftigt und hat neben dem besten Hold-Steady-Album seit „Stay Positive“ eben auch sein vielleicht bisher bestes Soloalbum veröffentlicht. Um wirklich zu verstehen, was hier textlich passiert, hilft es, mit Craig Finns Gesamtwerk vertraut zu sein, das mehrere Bands und Jahrzehnte umspannt und eher mit Fortsetzungsromanen als mit Lyrik zu vergleichen ist, aber man kann sich auch einfach von der Musik treiben lassen und seinem Sprechgesang als eine Art weiteres Instrument zuhören.

6. Maggie Rogers – Heard It In A Past Life (Spotify, Apple Music)
Wenn Joni Mitchell, Neneh Cherry, Suzanne Vega und Donna Summer gemeinsam ein Mädchen aufgezogen hätten, wäre das zwar ein griffiges Bild für leicht hilflose Musikjournalisten, beschriebe aber noch nicht annähernd, was hier, auf einem der sehnlichst erwarteten Debütalben des letzten Jahres, eigentlich genau los ist. Die Grenzen zwischen „organisch klar“ und „elektronisch verspielt“ verschwimmen ebenso wie die zwischen Melancholie und Euphorie, Folk und Disco, Tag und Nacht.

5. Loyle Carner — Not Waving, But Drowning (Spotify, Apple Music)
Den Albumtitel kennen Menschen mit pop culture overexposure natürlich schon aus „Ready For Drowning“ von den Manic Street Preachers, aber wer wusste schon, dass auch das nur eine Referenz auf ein Gedicht der Autorin Stevie Smith war? Eben! Bei Loyle Carner gibt’s das Gedicht im Titeltrack zu hören, an anderer Stelle spricht seine Mutter und wer sich von so etwas nicht abschrecken lässt, wird ein sensationelles Hip-Hop-Album entdecken, wie gemacht für Menschen, die behaupten, mit Hip Hop nichts anfangen zu können: Grooves wie auf 50 Jahre alten Soul-Platten, dominante Klavier- und Bläserklänge, kluge und nachdenkliche Texte — wenn die Kids demnächst im Englisch-Unterricht Loyle Carner durchnehmen, kann das nur für alle von Vorteil sein!

4. Bon Iver – i,i (Spotify, Apple Music)
Was mit Justin Vernon in einer einsamen Waldhütte begann, ist inzwischen ein großes Künstler*innen-Kollektiv mit Multimedia-Shows. Wieder zugänglicher als beim etwas rätselhaften (und natürlich trotzdem sehr, sehr guten) letzten Album „22, A Million“ kombinieren Bon Iver auf „i,i“ (klar, dass es auch diesmal kein „normaler“ Titel sein kann!) die Sounds der bisherigen drei Alben zu einem dröhnenden, knarzenden, groovenden, flirrenden, hymnischen, dichten, atmenden, umarmenden Gesamtwerk, das man vielleicht immer noch nicht ganz versteht, von dem man sich aber auf merkwürdige Art verstanden fühlt.

3. J.S. Ondara – Tales Of America (Spotify, Apple Music)
Ich finde ja, dass es nur selten nötig ist, die Biographie eines Künstlers zu kennen, um sich seinem Werk zu nähern. Im Fall von J.S. Ondara sollte man aber vielleicht wissen, dass der junge Mann in Kenia aufwuchs, nach einer Diskussion darüber, ob „Knocking On Heaven’s Door“ von Guns ’n’ Roses oder jemand anderem sei, Bob Dylan für sich entdeckte und, nachdem er dessen Gesamtwerk in sich aufgesogen hatte, beschloss, in dessen Heimat Minnesota auszuwandern. Was für eine grandiose Geschichte (bei der es, nebenbei bemerkt, auch nicht ganz so wichtig ist, ob er schon eine Tante in Minnesota wohnen hatte, bei der er unterkommen konnte — Popkultur ist keine Politik, sie ist der einzige Ort, an dem Fakten eine untergeordnete Rolle spielen dürfen!), die allerdings auch nicht viel wert wäre, wenn die Musik doof wäre. Das ist sie auf „Tales Of America“ allerdings ganz und gar nicht: Es ist ein grandioses Folk-Album, dem man das Jahr 2019 jetzt nicht wirklich anhört!

2. Lizzo – Cuz I Love You (Spotify, Apple Music)
Der Opener „Cuz I Love You“ ist noch keine zehn Sekunden alt, da hat man schon einen guten Eindruck von dem bekommen, wozu Lizzo und ihre Musiker*innen in der Lage sind — es folgen aber noch jede Menge weitere Gelegenheiten, sich von dieser Frau und ihrem Album komplett umhauen zu lassen. Big-Band-Sound, Hip Hop, Funk, Rock: kann sie alles! „Crazy, sexy, cool, baby / With or without makeup / Got nothing to prove / But I’ma show you how I do“ singt sie und macht es dann „like a girl“ — was in diesem Fall natürlich bedeutet: mit harter Arbeit, einem bisschen Wut im Bauch und ganz viel Spaß. Meine Fresse, was macht dieses Album Bock!

1. Thees Uhlmann – Junkies und Scientologen (Spotify, Apple Music)
Ich hatte ja ehrlich gesagt nicht mehr mit viel gerechnet, als Thees Uhlmann sein drittes Soloalbum ankündigte: zu groß und alles überstrahlend waren die Tomte-Platten „Hinter all diesen Fenstern“ und „Buchstaben über der Stadt“ für mich gewesen, zu wenig hatte ich mit den Solo-Sachen anzufangen gewusst. Und dann hörte ich zum ersten Mal „Junkies und Scientologen“ und war völlig umgehauen: Dass die ersten vier Songs eines Albums durchweg genial sind, kennt man ja vielleicht von „Hot Fuss“ von den Killers, fünf von „Clarity“ von Jimmy Eat World, aber acht Megahits hintereinander, das hat noch nicht mal „London Calling“ von The Clash („Jimmy Jazz“, puuuuuh!)! Und auch danach sackt das Level nur minimal ab, um aber wieder auf allerhöchstem Niveau zu enden — die beste Stelle des Albums: Dieses gebrüllte „Ich frage Dich“ in „Immer wenn ich an Dich denke, stirbt etwas in mir“, 80 Sekunden vor Album-Ende! Was bis dahin alles passiert: Hymnen auf Stephen King, Avicci, Katy Perry und Hannover, Gedanken wie „Wie ein Sonntagabend nach einer Landtagswahl“ oder „Ich bin der Fahrer, der die Frauen nach HipHop Videodrehs nach Hause fährt“ und so viel mehr Zeilen, die man mit erhobener Faust lautstark mitsingen will. Ein Album, das sich anfühlt wie nach Hause zu kommen, wie drei Derbysiege in einer Woche, wie endlich mit der Frau, die man seit zehn Jahren toll fand, zu knutschen (vermute ich mal — ich hab ihre Nummer an Silvester endlich gelöscht) — aber das habe ich ja im September schon aufzuschreiben versucht. Genial!

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Leben

Another Decade Under The Influence: 2019

Dieser Eintrag ist Teil 10 von bisher 10 in der Serie Another Decade Under The Influence

2019. Ich fahre endlich mal zum Eurosonic und schaue mir ca. 500 neue Acts an. Wir treten tatsächlich im verdammten Berlin auf! Schneemann bauen im Garten. Zum ersten Mal mit Kind ins Stadion, der VfL Bochum verliert, wir kommen trotzdem wieder. Im JWD erscheint mein bisher wichtigster Text. When I see your face / The future that awaits / Another city rising from the dust / Neon lights the way. Ich quatsche dem Grand Hotel van Cleef den nächsten Deal an die Backe. Osterferien mit Koos Konijn und Einkaufszentrum. ESC in Tel Aviv: Ich schwimme zum ersten Mal im Mittelmeer, wir fahren E-Scooter am Strand und dürfen den letzten Live-Auftritt von Madonna miterleben. Die ersten Videoabende. Ich finde immer noch zuverlässig die falschen Leute toll. Just the sight of you is getting the best out of me. In Bochum sind die Dinos los, in Dinslaken der Tiger. So viele Ausflüge und Bahnen! Ich schreibe zum ersten Mal seit Jahren neue Songs. muff potter. sind zurück, Thees Uhlmann auch! Mit dem Kind auf die Fridays-for-future-Demo. Burn, Palo Alto, burn! Ich hab zum ersten Mal seit 25 Jahren ein aktuelles Gladbach-Trikot und nur eine Woche später startet die Borussia die längste Tabellenführung seit 42 Jahren. Familientreffen am Niederrhein. Endlich wieder Nordsee, zum ersten Mal seit acht Jahren wieder eine Woche Urlaub am Stück! Should meditate, should work out more / Should read until my brain gets sore / Meet someone, go far away / Try being socially less strange. „Star Wars“ um 10 Uhr morgens im Multiplex. Ein total entspanntes Weihnachtsfest. Lass uns noch einmal zusammen schrein: / Menschen wie ich bleiben besser allein.

Ein Jahr mit Neueinspielungen der größten Hits der 90er, 00er, 10er und von heute. Das war schon ganz schön gut! Hallo, ich bin Lukas, 36, ich komme aus Bochum und meine Hobbys sind Musik und Fußball! There’s a few things I need / But I’ve money for paying / And if you’ve enough room / I’ll consider staying.

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Musik

Endlich einmal etwas, das länger als vier Jahre hält

In “Almost Famous” warnt der Musikjournalist Lester Bangs seinen jungen Kollegen William Miller davor, sich mit Musikern anzufreunden. Die wollten eh nur, dass man gut über sie schreibe, und wenn die Distanz weg sei, könne man auch gleich aufhören.

So gesehen habe ich meine Musikjournalisten-Karriere im Frühjahr 2006 in den Wind geschossen, als ich Thees Uhlmann nicht nur das Demo einer jungen Nachwuchsband aus meiner niederrheinischen Heimat in die Hand gedrückt habe, sondern acht Wochen später auch noch als Teil des Tomte/Kilians-Trosses durch den Süden der Republik getourt bin.

Das erste Album, das ich Anfang des Jahres bei CT das radio aus dem Berg von Bemusterungspost gefischt hatte, war die “Buchstaben über der Stadt” gewesen, deren Songs ich dann vier Abende hintereinander live gehört habe, und als ich Anfang November im Central Park am Reservoir (ja, das aus “New York”) stand, dachte ich: Von so einem Jahr kann man sich nur erholen, wenn man beim ESC live vor Ort ist, wenn Deutschland gewinnt.

Jahrelang trafen wir uns immer wieder in den Backstageräumen nordrhein-westfälischer Indierock-Veranstaltungsorte, auf Festivals und im legendären, inzwischen natürlich geschlossenen, Dinslakener Jägerhof, wo Thees mich bei der Kilians-Releaseparty auf die Stirn küsste. (Die genaueren Details sind mir entfleucht und ich möchte diesbezüglich nur Falco paraphrasieren.)

Thees Uhlmann und Lukas Heinser, 2009

Wie es sich für eine ordentliche Freundschaft gehört, wurde unsere aber auch auf eine harte Probe gestellt: Tomte liefen nach jede Menge Line-Up-Wechseln aus und Thees veröffentlichte 2011 ein selbstbetiteltes Soloalbum, mit dem ich auch nach gründlichem Hören irgendwie nicht warm wurde. Auf “Walter & Gail” hatte er 2006 noch gegen das Mittelmaß angesungen, jetzt feierte er “Das Mädchen von Kasse 2” und das Leben auf dem Dorf, obwohl doch alle Songs, die wir jemals gut gefunden hatten, davon handelten, das Scheiß-Leben auf dem Land endlich hinter sich zu lassen. Ich fühlte mich betrogen.

Thees war damals weiter als ich: Vater geworden, Beziehung zerbrochen, dabei, das Glück im Kleinen zu suchen. Nun wäre es bescheuert, zum besseren Verständnis von Pop-Platten die eigenen Pläne vom Familienleben zu sabotieren, aber ein paar Jahre stand ich da in seinen Schuhen und als Thees und seine Band vor zwei Jahren in Hamburg auf dem 15. Geburtstag seines Labels Grand Hotel van Cleef spielten, stellte ich fest, dass ich die Songs des ersten Soloalbums mit großer Hingabe und Gänsehaut mitsang (“Meine Wahrheit in 17 Worten: Ich hab ein Kind zu erziehen, Dir einen Brief zu schreiben und ein Fußball Team zu supporten”). Dann kam diese Millisekunde, als inmitten dieses Sets mit Solo-Songs das Schlagzeug-Intro zu einem Tomte-Song erklang und noch ehe mein Gehirn exakt erfasst hatte, welcher das eigentlich war, war ich in der Luft und in meiner Erinnerung habe ich für die nächsten 4 Minuten und 20 Sekunden den Boden nicht mehr berührt — ich flog, während ich mir gemeinsam mit dem Text zu “Schreit den Namen meiner Mutter” die Seele aus dem Leib brüllte, und alles war aus Gold. Fünf Tage zuvor war meine Oma gestorben und das hier war genau das, was ich in diesem Moment brauchte, die letzten drei Jahre gebraucht hätte.

Anfang August kam nun endlich das erste musikalische Lebenszeichen seit sechs Jahren: die Single “Fünf Jahre nicht gesungen”. Mein Sohn und ich waren gerade zu Besuch in Berlin, er schlief neben mir im Bett, als ich um Mitternacht Spotify öffnete und auf “Play” drückte:

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Ich würde nicht behaupten, dass ich komplett verstehe, wovon Thees da singt, aber die Stellen, die ich verstehe, fühle ich sehr hart. Drei Wochen später war ich beim Konzert in Essen, was auf den Tag zehn Jahre nach einem der letzten Tomte-Konzerte war, das ich gemeinsam mit den Kilians besucht hatte. Thees und ich sahen uns nach der Show zum ersten Mal seit Jahren wieder, ich bestellte brav Grüße von meiner Mutter (“Der Thees hat mir damals beim Kilians-Konzert den Tipp gegeben, einfach Taschentücher ins Ohr zu stopfen, wenn es zu laut ist. Das ist gut!” — wenn das nicht Rock’n’Roll ist, weiß ich es auch nicht!) und wir sabbelten über The Clash, “Paw Patrol” und Berlin, als hätten wir uns vor ein paar Wochen zuletzt gesehen.

Thees Uhlmann und Lukas Heinser, 2019

Eine Woche später bekam ich vom Grand Hotel das zugeschickt, was im Jahr 2019 einer gebrannten Bemusterungs-CD entspricht: Einen personalisierten Streaming-Link, unter dem ich Thees’ neues Album “Junkies und Scientologen” hören konnte. Ich klickte drauf, legte den Sound meines MacBooks auf meine Anlage und drückte etwas unsicher auf “Play”. Fünfzig Minuten später saß ich erschöpft (ich hatte ein paar Mal headbangend durch die Wohnung hüpfen müssen) und aufgewühlt (ich hatte ein paar Mal Tränen in den Augen gehabt) auf meiner Couch und verfluchte mich dafür, dass ich an dem Abend verabredet war und das Album jetzt nicht direkt zehn Mal hintereinander hören konnte.

Olli Schulz sagt, “Junkies und Scientologen” sei das Beste, was Thees seit “Hinter all diesen Fenstern” gemacht hat, was ich nur deswegen nicht unterschreiben kann, weil deren Nachfolger “Buchstaben über der Stadt” bei mir eben so eine unglaubliche Sonderstellung einnimmt. Genauso wie kettcar die lange Pause vor “Ich vs. Wir” so gut getan hat, dass sie mal eben ihr vielleicht bestes Album aufgenommen haben, ist auch Thees nach so langem Warten auf dem Höhepunkt seines Schaffens: Auf “Junkies und Scientologen” sind er und seine Band musikalisch so tight wie selten, textlich ist er noch besser geworden.

Thees hat ja schon immer versucht, Denkmäler zu errichten, hier beschriftet er die Messingtafeln teilweise ganz schlicht: “Avicii” ist tatsächlich ein völlig unironisches Loblied auf den verstorbenen DJ, den er gerne gerettet hätte; “Katy Grayson Perry” schon ein Stück komplexer, weil er sowohl die amerikanische Sängerin als auch den britischen Künstler gemeinsam zu seinem Label holen will. In “Was wird aus Hannover” feiert er die Stadt, die vor allem für ihre völlige Egalheit bekannt ist, und singt über deren bekannteste Band: “Du hast über die Scorpions gelacht, aber die sind in ‘Stranger Things'” — da muss man die Serie nicht mal geguckt haben, um zu verstehen, wie er das meint.

Dieses Abkulten von Menschen, berühmten wie unbekannten, erreicht im Titeltrack seinen Höhepunkt: Die Strophen sind eine einzige Aneinanderreihung von Widmungen (“Für das Mädchen im Ramones Shirt”, “Für jeden, der in seiner Straße Stolpersteine poliert”, “Für die Vierfaltigkeit der Bobs: Bob Marley, Bob Dylan, Bob Andrews und Bob Ross”), der Refrain ein leuchtender Bengalo im Morgengrauen:

Aber die Zukunft ist ungeschrieben
Die Zukunft ist so schön vakant
Und ich komme dich besuchen
Egal ob Stammheim oder Bundeskanzleramt

Da haben wir in vier Zeilen: Ein Joe-Strummer-Zitat, ein Fremdwort, das sonst kaum in Liedtexten auftaucht, und das Name-Checking von zwei zentralen Orten der deutschen Nachkriegsgeschichte. Nenn mir einen dieser jungen Deutschpop-Clowns, der etwas Ähnliches hinbekommen würde!

Natürlich konnte man Thees dieses Pathos seiner Texte auch schon immer vorwerfen. Aber es ist ein anderes Pathos als das von “Auf uns” oder “Tage wie dieser”, denn Thees’ Lieder taugen nicht zur Untermalung von Fußballturnier-Supercuts. Vielleicht gibt es für Außenstehende auf dem Papier auch gar keinen Unterschied, aber für mich ist es auch eine hermeneutische Kategorie, wer da spricht oder singt. Ich weiß noch, wie ich damals erst die Texte von Tomte und dann Thees selbst kennenlernte und dachte: Da ist jemand, der packt das in Worte, was ich irgendwo in mir drin gefühlt habe und niemals hätte ausdrücken können. Thees gab mir das Vokabular für Liebesbekundungen, Therapiesitzungen und Blog-Einträge.

Morgen erscheint “Junkies und Scientologen” dann offiziell. Für mich endet damit diese Phase, in der man sich wie ein Mitverschwörer fühlen kann, weil man Songs kennt, die erst wenige Menschen gehört haben. Aber ich bin mir sicher, dass es da draußen Tausende gibt, die diese Lieder genauso lieben werden wie ich und denen sie genauso viel (und gleichzeitig etwas völlig anderes) bedeuten werden.

Im letzten Lied der Platte singt Thees:

Ich bin der Letzte mit einem Bierglas in einer Welt voller Champagner
Die Welt ist von sich selbst besoffen, aber ich bleib beim Bier

Du Astra, ich Fiege! Auf “Junkies und Scientologen”!

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Digital Gesellschaft

Straßenbahn des Todes

Dies ist kein Abschied, denn ich war nie willkommen
Will auf und davon und nie wiederkommen
Kein Lebewohl, will euch nicht kennen
Die Stadt muss brennen

(Casper – Im Ascheregen)

Ich hab in diesem Jahr schon mehrfach Social-Media-Pausen gemacht, die “digital detox” zu nennen ich mich scheue: Als mein Sohn Kita-Ferien hatte, wenn wir mal übers Wochenende oder etwas länger weggefahren sind, hab ich Facebook und Twitter einfach ausgelassen. Zum einen, weil die iPhones-Apps im Vergleich zur richtigen Nutzung (ich bin vermutlich der einzige Mensch Mitte Dreißig, für den ein Computer mit Bildschirm, Tastatur und Browser die “richtige” Anwendung ist und ein Smartphone maximal eine hilfreiche Krücke für unterwegs, aber das ist mir – wie so vieles – egal) einfach noch unpraktischer sind (und das will schon was heißen), zum anderen, weil ich gemerkt habe, dass Social Media mir schlecht Laune macht.

Jetzt war ich übers Wochenende am Meer, hab gerade wieder den Laptop aufgeklappt, kurz in Facebook reingeguckt und schon wäre die ganze wunderbare Erholung (Strahlend blauer Himmel, knallende Sonne und 24 Grad Mitte Oktober! 17 Grad Wassertemperatur! In der Nordsee!) fast wieder weg gewesen.

Und dann traf mich die Erkenntnis und ich hatte endlich einen Vergleich bzw. eine Metapher für das gefunden, was mich an Social Media so sehr nervt, dass ich geradezu von “krank machen” sprechen würde: Es ist, als säße man in der Straßenbahn und könnte die Gedanken jedes einzelnen Menschen mithören. Da sitzt ein Mann, der gerade seinen Job verloren hat und nicht weiß, wie es weitergehen soll. Dort ist eine Frau, die gerade auf dem Weg in die Klinik ist: Ihre Mutter hat Krebs im Endstadium. Hier sitzt ein 16-jähriges Mädchen, dessen Freund, ihre erste große Liebe, gerade Schluss gemacht hat und schon mit einer anderen zusammen ist. Und da drüben ein kleiner Junge, dessen Hamster gestern gestorben ist.

Natürlich sitzen da auch welche, denen es gut geht: Eine Familie auf dem Weg in den Zoo. Ein alter Mann, der gerade seinen neugeborenen Urenkel besucht hat und sich gleich eine Dose Linsensuppe warmmachen wird, sein Leibgericht. Eine junge Frau auf dem Weg zum ersten Date — sie weiß es noch nicht, aber sie wird den Mann später heiraten und eine glückliche Familie mit ihm gründen. Doch ihre Gedanken sind nicht so laut, weil sie nicht immer nur um das eine schlechte Ding kreisen, sondern sie entspannt und glücklich in sich ruhen. Eher das Schnurren einer zufriedenen Katze — und damit unhörbar im Vergleich zu dem Geschrei einer Metallstange, die sich in einem sehr großen Getriebe verkantet hat.

Aber mehr noch: Nicht nur ich kann all diese Gedanken hören — alle können einander hören. Und die, die selbst schon völlig durch sind, schreien dann die anderen an: “Sie sind eh unfähig, völlig klar, dass Sie entlassen wurden!”, “Interessiert mich nicht mit Deiner Mutter, jeder muss mal sterben!”, “Dumme Schlampe! Was lässt Du Dich auch mit so einem Typen ein? Schlechter Männergeschmack und keinerlei Menschenkenntnis!”, “Hamster sind eh hässlich und dumm!”

Das ist kein Ort, an dem ich gerne wäre. Da möchte ich nicht mal fehlen.

Und doch setze ich mich dem regelmäßig freiwillig aus — oder glaube, es tun zu müssen. Weil ich beruflich wissen muss, “was das Netz so sagt”. Bei Facebook sieht die Wahrheit eher so aus: Journalistenkollegen berichten Journalistenkollegen, was in der Welt so Schlechtes los ist. “Normale” Menschen aus meinem Umfeld posten schon kaum noch bei Facebook. Und, klar: Es ist die Aufgabe von Journalisten, zu berichten — auch und vor allem über Schlechtes. Aber dann doch vielleicht in einem Medium? Facebook war mal als digitales Wohnzimmer gestartet, inzwischen weiß niemand mehr, was es genau sein soll/will, nur, dass es so gefährlich ist, dass es mutmaßlich durch externe Manipulation die US-Wahl mit entschieden haben könnte. Die wenigsten Dinge starten als leicht schrammelige Wohnzimmer-Couch und landen als Atombombe.

Und natürlich: Es sind extreme Zeiten. Der Brexit, die US-Wahl, der Aufstieg der AfD, jetzt die Wahl in Österreich — wenn die Offenbarung von der Redaktion des “Economist” geschrieben worden wäre, kämen darin vermutlich weniger Schafe und Siegel vor und mehr von solchen Schlagzeilen. Die letzten Tage waren geprägt von immer neuen Enthüllungen über den ehemaligen Filmproduzenten und hoffentlich angehenden Strafgefangenen Harvey Weinstein, dessen Umgangsformen gegenüber Frauen allenfalls mit denen des amtierenden US-Präsidenten zu vergleichen sind. Nach zahlreichen Frauen, die von Weinstein belästigt oder gar vergewaltigt wurden, melden sich jetzt auch viele zu Wort, die in anderen Situationen Opfer von beschissenem Verhalten widerlicher Männer geworden sind. Und, Spoiler-Alert: Es sind viele. Verdammt viele. Mutmaßlich einfach alle.

Auftritt weitere Arschlöcher: “PR-Aktion!”, “Dich würde doch eh niemand anpacken!”, “Habt Ihr doch vor vier Jahren schon gepostet, #aufschrei!” Und während man sich mit der Hoffnung retten kann, dass sich diesmal vielleicht wirklich etwas ändern könnte (einiges deutet darauf hin, dass Harvey Weinstein tatsächlich von jener Hollywood-Gesellschaft ausgeschlossen werden könnte, die sich allzulang in seinem Licht gesonnt hatte), kommen die nächsten Kommentare rein und man zweifelt daran, ob da überhaupt noch irgendwo irgendwas zu retten ist.

Nimm einen ganz normalen Typen, so wie er im Buche steht
Gib diesem Typen Anonymität
Gib ihm Publikum, das nicht weiß, wer er ist
Du kriegst das dümmste Arschloch, das man nicht vergisst

(Marcus Wiebusch – Haters Gonna Hate)

Es gibt verdiente Kollegen wie Sebastian Dalkowski, die sich wirklich die Mühe machen, denen, die sich nicht für Fakten interessieren, weiterhin Fakten entgegenzusetzen. Die all den kleinen und großen Scheiß, den die so apostrophierten Besorgten Bürger und ihre medialen Fürsprecher so von sich geben, gegenchecken — und dafür wieder nur Hass und Spott ernten. Für Menschen wie ihn haben kettcar “Den Revolver entsichern” geschrieben, den klugen Schlusssong des grandiosen neuen Albums “Ich vs. Wir”, in dem sie auch die vielleicht zentralste Frage unserer Zeit stellen: “What’s so funny about peace, love, and understanding?”

Aber selbst, wenn Sebastian ein oder zwei Menschen überzeugen sollte (was ich, so viel Optimismus ist durchaus noch da, einfach mal hoffe), muss ich jeden Morgen bei ihm lesen, welche Sau jene Leute, die Vokabeln wie “Gutmenschen” und “Banhofsklatscher” verwenden, um damit Menschen zu bezeichnen, die noch nicht ganz so viel Welthass, Pessimismus und Misanthropentum in ihren Herzen tragen wie sie selbst, jetzt wieder durchs Dorf getrieben haben. Und ich weiß, dass man es als “ignorant” und “unprofessionell” abtun kann, wenn ich all das nicht mehr hören und lesen will, aber: krank und verbittert nütze ich der Welt noch weniger. Ich hab sechs Jahre BILDblog gemacht — wenn ich heute wissen will, was in Julian Reichelts Kopf wieder schief gelaufen ist, kann ich das bei den Kollegen nachlesen, die unsere Arbeit dankenswerterweise immer noch weiterführen. Ich muss das nicht zwischen den vereinzelten Kinderfotos entfernter Bekannter in meinem Facebook-Feed haben. Das gute Leben findet inzwischen eh bei Instagram statt.

Ich wollte nie große Ansagen machen wie “Ich hab mich jetzt bei Twitter abgemeldet” — muss ja jeder selbst wissen, kann ja jeder halten, wie er/sie will, wirkt auch immer ein bisschen eitel. Nur: Facebook und Twitter haben mittlerweile eine Macht, die ihren Erfindern kaum klar ist. Sie kommen nicht mehr klar mit dem Irrsinn, der dort abgeht. Und dazu kommt noch der ganze Quatsch, dass richtige Medien ihre Inhalte dort abkippen, um wenigstens ein paar Krümel abzubekommen. Natürlich interessiert es Facebook und Twitter kein bisschen, wenn ihnen ein unbedeutender Blogger aus Bochum alle verfügbaren Mittelfinger zeigt, aber: Hey, immerhin bin ich Blogger! Immerhin hab ich hier ein Zuhause im Internet. Und wenn mir einer auf den Teppich pisst, kann ich ihn achtkantig rauswerfen.

Ich weiß, dass Teile der Welt immer schlecht waren, sind und sein werden — ich brauche nicht die tägliche Bestätigung. Wie können es uns hier so gemütlich machen, wie es in dieser Welt (die übrigens auch ganz viele wundervolle Teile hat) eben geht. Und dann hab ich ja auch noch meinen Newsletter.

Ich hab ein Kind zu erzieh’n,
Dir einen Brief zu schreiben
Und ein Fußball Team zu supporten.

(Thees Uhlmann – 17 Worte)

PS: Am Meer war es übrigens wirklich wunderschön, das kriegt kein Social Media dieser Welt kaputt!

Gestern am Strand von Scheveningen

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Leben

In memoriam Renate Erichsen

Ich schreibe jetzt seit über 25 Jahren: Schulaufsätze, Liedtexte, Drehbücher, Rezensionen, Artikel, Seminararbeiten, Blogeinträge, Vorträge, Witze, Moderationen, Newsletter, Tweets, … 

Letzte Woche gab es eine Premiere, auf die ich auch noch ein paar Jahre hätte verzichten können: Ich habe meine erste Trauerrede geschrieben und gehalten — auf meine Oma, die heute vor einem Monat im Alter von 84 Jahren gestorben ist.

Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich darüber etwas schreiben soll, weil es ja nicht nur um mein Privatleben geht, sondern auch um das meiner Oma und meiner Familie, deswegen will ich nicht ins Detail gehen, aber andererseits war meine Oma medial bis zuletzt fit, hat mein Blog (und andere) gelesen, “Lucky & Fred” gehört (weswegen ich ihren Tod auch in der letzten Folge thematisiert habe) und mit uns Enkeln per Telegram kommuniziert (WhatsApp lief nicht auf ihrem iPad). Außerdem gab es ja sonst keine Nachrufe auf sie und mutmaßlich wird man auch keine Straßen nach ihr benennen oder ihr Statuen errichten.

Renate Erichsen, die für uns nur Omi Nate war, wurde 1932 in Berlin geboren, während des Krieges floh ihre Familie nach Fehmarn und ließ sich dann später in Dinslaken (of all places) nieder. Sie war, wohl auch deshalb, politisch und gesellschaftlich sehr interessiert und wollte von ihren Enkelinnen und Enkeln immer wissen, wie wir über bestimmte Dinge denken. 

Die Renationalisierungen, die in der EU – aber nicht nur dort – in den letzten Jahren zu beobachten waren, bereiteten ihr große Sorgen, politische Strömungen wie AfD und Donald Trump auch. “Das habe ich alles schon mal erlebt”, sagte sie dann und es gab keine Zweifel daran, dass sie das nicht noch mal haben musste — und auch niemandem sonst wünschte.

Bei einem unserer Telefongespräche nach dem Brexit-Referendum im vergangenen Jahr beklagte sie sich darüber, dass so wenige junge Menschen zur Wahl gegangen waren — aber auch und vor allem, dass so viele alte Menschen über die Zukunft der Jungen abgestimmt und ihnen damit die Zukunft verbaut hätten. Obwohl sie, wie sie oft erwähnte, eine kleine Rente hatte, stimmte sie bei Wahlen lieber so ab, wie sie es für “die jungen Leute” (also: uns) für richtig hielt.

All das und einige andere Dinge habe ich versucht, in meine Rede einzubauen und dabei festgestellt, dass das auf ein paar Seiten Text gar nicht so einfach ist. Klar: Auch in meinen journalistischen Arbeiten ist nie Platz für alles, aber die fühlen sich nicht an, als müssten sie ein Thema (oder in diesem Fall: ein Leben) quasi “abschließend” verhandeln.

Vor der Trauerfeier war es auch so, dass ich hauptsächlich an meine Rede gedacht habe, was sich einerseits total egoistisch und fehl am Platze anfühlte, andererseits aber eine ganz gute emotionale Ablenkung war — und ich wollte ja auch, dass die Rede einigermaßen gut und vor allem angemessen wird.

Ich habe deshalb auch noch mal die Rede gegoogelt, die Thees Uhlmann von Tomte im Februar 2004 (Wahnsinn, wie lang das schon wieder her ist!) auf der Beerdigung von Rocco Clein gehalten hat — für meine Zwecke nur bedingt hilfreich, aber auch all die Jahre später immer noch groß, gewaltig und tröstend. Und bei der Suche bin ich auch auf ein Doppelinterview mit Thees und Benjamin von Stuckrad-Barre gestoßen, das letztes Jahr im “Musikexpress” erschienen ist. Die beiden liegen mir ja eh sehr am Herzen (im Sinne von: ich würde ohne die beiden vermutlich gar nicht schreiben — oder zumindest nicht so, wie ich es jetzt – auch hier, gerade in diesem Moment – tue), aber es ist auch so ein schönes Gespräch, in dem es auch um besondere Menschen geht.

Und so erschien mir der Rückweg aus Dinslaken nach Trauerfeier, Urnenbeisetzung, Kaffeetrinken und sehr engem familiären Beisammensein dann auch der richtig Zeitpunkt, um nach Jahren mal wieder “Hinter all diesen Fenstern” zu hören, das Album mit dem Tomte damals in mein Leben gekracht waren und das ich damals ganz oft im Zug von Dinslaken nach Bochum und zurück gehört hatte.

Es war sicherlich auch den besonderen Umständen geschuldet, dass mich das Album noch einmal mitten ins Herz traf: “Schreit den Namen meiner Mutter, die mich hielt”, “Das war ich, der den wegbrachte, den Du am längsten kennst”, “Es könnte Trost geben, den es gilt zu sehen, zu erkennen, zu buchstabieren”, “Von den Menschen berührt, die an dem Friedhof standen, am Ende eines Lebens” — ich hätte mir sofort das gesamte Album tätowieren lassen können.

Dieses Gefühl, dass da jemand vor inzwischen 15 Jahren ein paar Texte geschrieben hat, die etwas mit seinem damaligen Leben zu tun hatten, und dass diese Texte dann zu verschiedenen Zeitpunkten im eigenen Leben in einem genau die wunden Stellen treffen und gleichzeitig wehtun und beim Heilen helfen: Wahnsinn! Immer wieder aufs Neue!

Und dann noch mal die liner notes zum Album lesen und immer wieder nicken und sich verstanden fühlen. Meine Oma hat Zeit ihres Lebens alle Literatur verschlungen, derer sie habhaft werden konnte — “ich habe mehr durch Musik gelernt, als durch Bibliotheken”, sang wiederum Thees Uhlmann auf der finalen Tomte-Platte.

Im Übrigen hat sich herausgestellt, dass so ein Tod (zumindest, wenn er nach einem langen und erfüllten Leben kam und die Verstorbene sich angemessen verabschieden konnte) ein vielleicht etwas abseitiger, aber zuverlässiger Gesprächsmotor ist. Ich habe jedenfalls in den letzten Wochen viele sehr gute Gespräche mit engen Freunden, aber auch ganz anderen Menschen geführt.

Dieser Text erschien ursprünglich in meinem Newsletter “Post vom Einheinser”, für den man sich hier anmelden kann.

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Musik

Eine Liebe zur Musik, eine Liebe zu den Tönen

Ich hab’s verpasst: Am Sonntag jährte sich zum zehnten Mal das Tomte-Konzert im Düsseldorfer Zakk, wenige Tage vor Veröffentlichung der “Buchstaben über der Stadt”. Ich war zum Interview mit Thees Uhlmann verabredet und entsprechend früh da, war aber trotzdem etwas erstaunt, als mich der Künstler dann höchstselbst auf dem Handy anrief und zum Gespräch bat.

Als er die Tür zum Backstageraum öffnete, trug er einen Blink-182-Kapuzenpullover, hatte ein Rotweinglas in der Hand und grinste mich an. Es war unser zweites Interview, wovon er aber vermutlich nichts wusste. Ich hatte das Album schon seit Anfang des Jahres und war schwer begeistert, musste aber erst noch was anderes loswerden:
“Hi, ist Simon nicht da? Ich hätte hier ein Demo für ihn. Sind Bekannte von mir, die machen so Strokes-mäßigen Indierock.”

Und Thees sagte so was wie: “Zeig mal hier”, guckte auf die Tracklist und sagte triumphierend: “Gott sei Dank, sie singen Englisch!” Dann legte er die CD in seinen Laptop und drückte auf Play. Zu den ersten Takten von “At All” sang er “Ein Volk steht wieder auf …”, weil der Beat was von kettcars “Deiche” hat. Er skippte sich durch die sechs Songs und sagte die goldenen Worte: “Wenn ich die morgen noch geil finde, wenn ich wieder nüchtern bin, dann sign ich die!” Dann erst konnte ich mein Interview beginnen.

Als Gerne Poets, der Manager, während des Interviews kurz vorbeischaute, erklärte ihm Thees im Überschwung, er habe gerade ein Demo gehört und werde eine neue Band beim Grand Hotel van Cleef unter Vertrag nehmen. Gerne dachte vermutlich das gleiche wie ich: “Ja, klar. Laberlaber!” Acht Wochen später stand ich im E-Werk in Erlangen und sah die Kilians im Vorprogramm von Tomte spielen.

Seitdem ist viel passiert: Die Bands gibt es nicht mehr, einige von uns sind Väter geworden, die meisten Leute habe ich seit Jahren nicht gesehen. Aber diese vier Tage, die ich mit Tomte und den Kilians auf Tour war, als wir in Stuttgart im Copy Shop hunderte von CD-Booklets nachdrucken lassen mussten und auf allen verfügbaren Laptops diese EP gebrannt haben (teilweise am Merchstand: “Hi, ich hätte gerne die CD von der Vorgruppe!” — “Ja, kleinen Moment, gleich ist wieder eine fertig!”), als ich die Songs von Tomte Abend für Abend gehört habe, als sich mein Leben wie “Almost Famous” anfühlte und wir für eine kurze Zeit überzeugt davon waren, dass es im Leben nichts wichtigeres, bedeutsameres und größeres geben könne als Rockmusik, das alles wird für immer bleiben. Auf einem Platz in meinem Herz steht Dein Name an der Wand und ich will, dass Du es erfährst.

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Musik

Was macht ein Klischee zum Klischee?

Ich bekomm ja irgendwie gar nichts mehr mit.

Im April, zum Record Store Day, hatte das Hamburger Traditionslabel Grand Hotel van Cleef bekanntgegeben, dass Labelgründer und kettcar-Chef Marcus Wiebusch eine Solo-EP veröffentlichen werde. (Aufmerksame Beobachter von Wiebuschs Leben ‘n’ Werk wissen natürlich, dass es sich dabei nicht um seine “erste” Solo-Veröffentlichung handelt.) Ich hab die Vinyl-Scheibe am Record Store Day nicht bekommen und das ganze dann völlig aus den Augen verloren.

Letzte Woche fiel mir dann wieder ein, dass ich die EP ja auch digital kaufen könnte — seitdem läuft “Nur einmal rächen” bei mir auf Dauerrotation:

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Mal davon ab, dass das neben “Safe And Sound” die eingängigste Bläser-Hookline des Jahres sein dürfte, ist das auch textlich ein großer Wurf: Die Geschichte vom ewigen Nerd (“Nur Einmal Rächen, Digger”), der es geschafft hat und jetzt auf die – schon bei R.E.M. zitierte – George-Herbert-Sentenz setzt, wonach ein gutes Leben die beste Rache sei. Das klingt schon beim zweiten Hören nicht mehr ganz so überzeugend und genau dieses Kippeln auf dem schmalen Grat macht den Reiz dieses Liedes aus.

Das dazugehörige Album soll, wie Marcus Wiebusch im April mitteilte, “bald” erscheinen.

Schon das zweite Soloalbum veröffentlicht Thees Uhlmann, inzwischen dann wohl tatsächlich Ex-Sänger von Tomte und ein weiterer GHvC-Labelgründer. Mit dem Erstwerk “Thees Uhlmann” bin ich ja nie so recht warm geworden und es spricht vieles dafür, dass mich der Nachfolger “#2” noch kälter lassen wird.

Oder auch: noch ratloser.

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Schönes Video, war sicher nicht billig, aber … puh.

Die Aussage, jemand könne “auch das Telefonbuch von Wuppertal vorsingen” ist ja eher selten wörtlich zu nehmen und auf den Wikipedia-Eintrag zum 7. März zu übertragen.