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Musik Leben

18 Jahre, 18 Songs

Für Gün­ter und Jür­gen, die ich ohne die­ses Blog nie ken­nen­ge­lernt hät­te.
Und für Dör­te, die immer alles gele­sen hat.

Es war die nahe­lie­gends­te Idee der Welt: Zum 18. Geburts­tag des Blogs wäh­le ich einen Song aus jedem Jahr aus — fer­tig ist die Play­list!

Aber nach wel­chen Kri­te­ri­en? Ein­fach das Lied neh­men, das jeweils mei­ne Lis­te „Song des Jah­res“ ange­führt hat? Das wäre ja ein biss­chen lang­wei­lig — und sol­che Lis­ten gab es auch gar nicht in jedem Jahr.

Die Kaffeetasse aus dem ersten Coffee-And-TV-Logo

Also: 18 ande­re Songs. Wel­che, die ihr jewei­li­ges Jahr, aber auch die­ses Blog gut reprä­sen­tie­ren; die für mich eine per­sön­li­che Bedeu­tung haben; die ich auch heu­te noch höre. Eine halb­wegs aus­ge­wo­ge­ne Mischung aus Gen­res, Geschlech­tern und Spra­chen, also eben dann doch auch: Kon­text.

Und so wur­de aus einem klei­nen Gim­mick zum Jubi­lä­um eine aus­ufern­de Recher­che-Akti­on im eige­nen Leben ’n‘ Werk und einer der längs­ten Tex­te, der hier in den letz­ten 18 Jah­ren erschie­nen ist:

2007: Mika – Grace Kel­ly
Als die­ses Blog an den Start geht, sind Gitar­ren­mu­sik im All­ge­mei­nen und Indie­rock im Spe­zi­el­len noch ein Ding. Bei der damals noch statt­fin­den­den „Leser­wahl“ (ein Kon­strukt, das wir uns rela­tiv offen­sicht­lich von „Plat­ten­tests online“ abge­schaut haben), wird „A Weekend In The City“ von Bloc Par­ty (Wann habt Ihr zuletzt an die­se Band gedacht?) zum „Album des Jah­res“ gewählt und „Ruby“ von Kai­ser Chiefs (Oder an die­se Band?!) zum „Song des Jah­res“.

Auf mei­ner Jah­res­bes­ten­lis­te ganz vor­ne ist „Tonight I Have To Lea­ve It“ von Shout Out Louds, das ich auch ewig nicht mehr gehört habe. Und ganz ver­steckt, auf Platz 22: „Grace Kel­ly“ von Mika, ein etwas exal­tier­ter over-the-top-Pop­song mit Vau­de­ville- und Musi­cal-Anlei­hen von einem jun­gen Mann, den das Adjek­tiv „andro­gyn“ beglei­tet. (Es waren, wie gesagt, ande­re Zei­ten.) Ein Song, den mir „Plan B“, die etwas anspruchs­vol­le­re Musik­sen­dung von 1Live (ich unter­schied damals noch puber­tär zwi­schen „guter“ Indie- und „schlech­ter“ Main­stream-Musik; ande­re Zei­ten inde­ed), in die WG-Küche gebracht hat.

15 Jah­re spä­ter sit­ze ich beim Euro­vi­si­on Song Con­test in Turin in der deut­schen Kom­men­ta­to­ren­ka­bi­ne, zum neun­ten Mal als Assis­tent von Peter Urban, der wegen der aus­klin­gen­den COVID-19-Pan­de­mie von Ham­burg aus kom­men­tiert. Gelan­det war ich bei die­ser Ver­an­stal­tung über­haupt nur, weil Ste­fan Nig­ge­mei­er 2007 mei­ne Kom­men­ta­re in sei­nem Blog gele­sen und mich gefragt hat­te, ob ich mit ihm einen „Grand-Prix-Füh­rer“ schrei­ben wür­de. Der Rest ist Geschich­te, bzw. BILD­blog, Oslog, Dus­log, Baku­b­log, besag­ter Job als Kom­men­ta­to­ren-Assis­tent und mein Buch. Und die­ser Mika mit sei­nem Song über Grace Kel­ly (bzw. dar­über, wie man sich anpasst, um den Men­schen zu gefal­len) mode­riert da jetzt die­se Ver­an­stal­tung gemein­sam mit Lau­ra Pausi­ni und Ales­san­dro Cat­tel­an, er bringt inter­na­tio­na­len Gla­mour in eine (vor allem hin­ter den Kulis­sen) eher chao­ti­sche TV-Sen­dung und er singt ein Med­ley sei­ner Hits.

Es ist ein selt­sa­mer, rüh­ren­der full-cir­cle-Moment, der die größ­te Musik­show der Welt mit mei­ner alten WG-Küche und allem dazwi­schen kurz­schließt, und in einem Anfall von Geis­tes­ge­gen­wart und emo­tio­na­ler Über­for­de­rung schrei­be ich auf jener Social-Media-Platt­form, die damals noch Twit­ter heißt: „Es ist schön, an das Jahr 2007 erin­nert zu wer­den. Es ist noch schö­ner, dass in mei­nem Leben heu­te unge­fähr alles bes­ser ist als damals.“ Oder, mit Mikas Wor­ten: „Ca-ching!
[Songs 2007 von damals]

2008: The Hold Ste­ady – Con­s­truc­ti­ve Sum­mer
Die Leser*innen, die ich damals noch „Leser“ nen­ne, wäh­len „Sex On Fire“ von Kings Of Leon zum Song und „Heu­re­ka“ von Tom­te zum Album des Jah­res. Ich samm­le die wich­tigs­ten Nazi-Ver­glei­che (eine Kate­go­rie, der damals noch ein gewis­ser Unter­hal­tungs­fak­tor anzu­haf­ten scheint) und Barack-Oba­ma-Refe­ren­zen und arbei­te den Rest der Zeit fürs BILD­blog.

Mei­ne wich­tigs­te Quel­le für neue Musik ist „All Songs Con­side­red“, ein Pod­cast von NPR, der auch das Vor­bild für mei­ne eige­ne, kurz­le­bi­ge Musik­sen­dung bei Spo­ti­fy 2023/​24 wird. Hier sto­ße ich erst­mals auf The Hold Ste­ady, eine Band aus Brook­lyn (ursprüng­lich: Minneapolis/​St. Paul), die Geschich­ten von Ver­lie­rern und Under­dogs in hym­ni­schen Rock­songs erzählt wie sonst nur Bruce Springsteen. Ihr Album „Stay Posi­ti­ve“ bringt mich durch ein Jahr, von dem ich heu­te so gut wie nichts mehr weiß, des­halb las­se ich mir das Sym­bol vom Album­co­ver 2011 auf mei­ne Wade täto­wie­ren.

Auch ihre Musik bleibt: 2009 kau­fe ich mir alle Alben und höre sie rauf und run­ter (wie man es in einer Welt ohne Strea­ming eben so mach­te), 2010 rufe ich den „Con­s­truc­ti­ve Sum­mer“ aus: „We’­re gon­na build some­thing this sum­mer.“ Hier ent­ste­hen dann end­lich Erin­ne­run­gen, die für immer blei­ben wer­den, unter­malt von „Boys And Girls In Ame­ri­ca“, „Stay Posi­ti­ve“ und dem damals neu­en Nach­fol­ge-Album „Hea­ven Is When­ever“.
[Songs 2008 von damals]

2009: Kili­ans – Home­town
Nach über fünf Jah­ren im Stu­den­ten­wohn­heim muss ich mir mal lang­sam eine eige­ne Woh­nung suchen und ich über­le­ge: In Bochum blei­ben oder nach Ham­burg zie­hen? Es ist ein Jahr der gro­ßen Gefüh­le zwi­schen Welt erobern wol­len und zuhau­se ein­sper­ren, beglei­tet von der ganz gro­ßen, uner­füll­ten Lie­be.

Mei­ne Freun­de von den Kili­ans (Bru­der, Demo-CD, Thees Uhl­mann, Tom­te-Tour — you know the sto­ry!) ver­öf­fent­li­chen im April ihr zwei­tes Album „They Are Cal­ling Your Name“ und spie­len aus die­sem Anlass ein Kon­zert auf dem Hans-Böck­ler-Platz in Dins­la­ken, jener Stadt, in der wir alle – die Kili­ans, ich und die ganz gro­ße, uner­füll­te Lie­be – auf­ge­wach­sen waren. Ihr Song „Home­town“ ist das Ange­bot einer Hym­ne.

Die Band löst sich 2013 auf, da wird der Hans-Böck­ler-Platz gera­de mit einem Ein­kaufs­zen­trum über­baut. Wenn man heu­te „Dins­la­ken“ sagt, reagie­ren nicht mehr vie­le Men­schen mit „Aaaah, die Kili­ans!“ (aber – und das wird die Bür­ger­meis­te­rin freu­en – auch nicht mehr mit „Aaaah, der Wend­ler!“ oder „Aaaah, die Sala­fis­ten!“). Die Stadt hat sogar die Emscher­mün­dung ver­lo­ren. Aber Erin­ne­run­gen und Musik wer­den ja immer blei­ben.

(Ich ent­schei­de mich 2009 übri­gens für Bochum. My home­town.)

2010: Lena – Satel­li­te
„Irgend­wann musst Du Dir das mal vor Ort anschau­en“, hat­te Ste­fan Nig­ge­mei­er 2008 über den Euro­vi­si­on Song Con­test (damals und immer schon: „Euro­vi­si­on Song Con­test“) gesagt, aber weil Mos­kau schon damals kein Ort ist, an dem man ger­ne sein möch­te, ver­schie­ben wir unser Pro­jekt auf das Fol­ge­jahr und nach Oslo. Womit wir nicht rech­nen: dass in Deutsch­land ein regel­rech­ter ESC-Hype um eine 18-jäh­ri­ge Abitu­ri­en­tin aus Han­no­ver aus­bricht und die die­se merk­wür­di­ge Quatsch-Ver­an­stal­tung tat­säch­lich gewinnt. (Also: In der ers­ten Fol­ge des Oslog wet­te ich natür­lich genau das, aller­dings ohne auch nur einen ande­ren Wett­be­werbs­bei­trag zu ken­nen.)

Als altes Thea­ter-Kind zieht mich die jähr­li­che Leis­tungs­schau der Büh­nen­tech­nik-Indus­trie sofort in ihren Bann und auch musi­ka­lisch ist das alles gar nicht mehr so schlimm, wenn man es nur oft genug gehört hat. Aber trotz der ein­schnei­den­den, im Nach­hin­ein lebens­weg­wei­sen­den Erfah­rung in Oslo traue ich mich nicht, „Satel­li­te“ auf mei­ne Jah­res­bes­ten­lis­te zu packen. Da sol­len auch wei­ter nur Indie-kre­di­be­le Sachen zu fin­den zu fin­den sein (und so igno­rie­re ich offen­bar auch das tol­le Take-That-mit-Rob­bie-Album „Pro­gress“ kom­plett). Das passt zu einem Jahr, in dem ich nicht gera­de dadurch auf­fal­le, irgend­wel­che Ent­schei­dun­gen zu tref­fen, son­dern mich lie­ber vom Großstadt‑, vor allem aber Nacht­le­ben rund um mei­ne neue Woh­nung in der Innen­stadt mit­rei­ßen las­se und als neu­er BILD­blog-Chef in Talk­shows gehe und zu Jour­na­lis­ten­kon­gres­sen ins Aus­land flie­ge. („It’s phy­sics /​ There’s no escape.“)

Hier also spä­te Genug­tu­ung für einen Song und ein Ereig­nis, ohne die ich heu­te nicht da wäre, wo ich bin, und ohne die der ESC in Deutsch­land immer noch als „Schla­ger-Grand-Prix“ fir­mie­ren wür­de, bei dem man ohne­hin nichts rei­ßen kann.
[Songs 2010 von damals]

2011: Thees Uhl­mann – 17 Wor­te
Mein Kum­pel Thees Uhl­mann ist im Jahr 2011 wie so oft wei­ter als ich: Vater gewor­den, Bezie­hung zer­bro­chen, dabei, das Glück im Klei­nen zu suchen. Ich bin vier bis fünf Aben­de die Woche im Frei­beu­ter im Bochu­mer Bermuda3eck und schrei­be neben­her das BILD­blog voll. Des­we­gen igno­rie­re ich Thees‘ selbst­be­ti­tel­tes Solo-Debüt damals auch rüpe­lig bei den „Alben des Jah­res“ (und lobe lie­ber das nächs­te ega­le Cold­play-Album), obwohl ich es wirk­lich oft höre.

Aber die­se Lis­te hier ist auch eine Chan­ce auf Wie­der­gut­ma­chung, denn sechs Jah­re spä­ter ste­he ich beim GHvC-Geburts­tag in Ham­burg im Nie­sel­re­gen: Vater gewor­den, Bezie­hung zer­bro­chen, dabei, das Glück im Klei­nen zu suchen. Also völ­lig ande­re Prio­ri­tä­ten und Prin­zi­pi­en: „Mei­ne Wahr­heit in 17 Wor­ten: /​ Ich hab ein Kind zu erzie­hen /​ Dir einen Brief zu schrei­ben /​ Und ein Fuß­ball-Team zu sup­port­en.“ (Bei Erschei­nen des Albums hat­te ich Thees eine SMS geschrie­ben, dass das nur 16 Wor­te wären, weil man „Fuß­ball­team“ zusam­men­schrei­be. Sei­ne Ant­wort kam natür­lich prompt: „Fuß­ball Team!“)

2021 sehe ich Thees Uhl­mann und Band live im Burg­thea­ter in Dins­la­ken (weil: natür­lich). Es ist mein ers­ter Kon­zert­be­such seit andert­halb Jah­ren, mein Sohn ist an mei­ner Sei­te, mei­ne Eltern irgend­wo in mei­nem Rücken, der VfL Bochum ist auf­ge­stie­gen. Wei­te Tei­le der Öffent­lich­keit sind wäh­rend der immer noch anhal­ten­den Pan­de­mie dem Wahn­sinn anheim­ge­fal­len, aber als Thees „17 Wor­te“ spielt, macht für mich alles Sinn: Wir sin­gen, um uns zu erin­nern.
[Songs 2011 von damals]

2012: Car­ly Rae Jep­sen – Call Me May­be
Die­ser beklopp­te Euro­vi­si­on Song Con­test hat mich nach Aser­bai­dschan ver­schla­gen. Ich sit­ze in Baku im Hotel­zim­mer, gucke rus­si­sches Musik­fern­se­hen und sehe die­ses Video. Als der Song zu Ende ist, zap­pe ich wei­ter und sehe das glei­che Video auf dem nächs­ten Kanal direkt noch mal von vorn. „Komi­sche Rus­sen“, den­ke ich, will den Song bei Face­book pos­ten und stel­le fest, dass ich mit „Call Me May­be“ einen inter­na­tio­na­len Hit ver­passt habe.

Wahr­schein­lich ist es die­ser Moment, in dem ich die­ses eli­tär-puber­tä­re Musik-nur-gut-fin­den-wenn-sie-sonst-kei­ner-hört-Din­gen auf­ge­be und end­lich frei bin, Din­ge gut zu fin­den, nur weil ich sie gut fin­de. Um Din­ge auch öffent­lich gut zu fin­den (jeden­falls meis­tens), star­ten Tom The­len und ich im Blog unse­ren Kino-Pod­cast „Cine­ma And Beer“.

„Befo­re you came into my life /​ I missed you so bad“ ist immer noch eine der bes­ten Zei­len, die je über roman­ti­sche Lie­be geschrie­ben wur­de — und das waren ja nun wirk­lich nicht weni­ge. Car­ly Rae Jep­sen in der Köl­ner Essig­fa­brik ist im Febru­ar 2020 mein letz­tes Kon­zert vor dem Lock­down (ist es nicht Magie, wie hier alles inein­an­der­greift?!) und die fröh­li­che Stim­mung die­ses durch­aus ESC-taug­li­chen Publi­kums trägt mich durch die ers­ten, dunk­len Mona­te der Iso­la­ti­on.
[Songs 2012 von damals]

2013: Daft Punk feat. Phar­rell Wil­liams & Nile Rogers – Get Lucky
Ich sit­ze in einem Auto, das mich vom Hotel zur Mal­mö Are­na bringt, neben mir: ESC-Kom­men­ta­to­ren­le­gen­de Peter Urban. Als wäre das nicht schon absurd genug, wippt die­ser 65-jäh­ri­ge Mann zur Musik aus dem Auto­ra­dio mit: „Get Lucky“ von Daft Punk, Phar­rell Wil­liams und Nile Rogers. Natür­lich kennt er das, denn es ist ja ein inter­na­tio­na­ler Super­hit, dem man nur schwer ent­kom­men kann, und Peter wür­de auch jede Men­ge deut­lich obsku­re­re Songs mit­sin­gen, die in den letz­ten ca. 50 Jah­ren erschie­nen sind, aber irgend­wie über­rascht es mich in die­sem Moment doch, denn Daft Punk, das sind doch die von Viva 2 (wo sie jetzt zuge­ge­be­ner­ma­ßen auch nicht zwin­gend zur Avant­gar­de gezählt hat­ten).

Die Domi­no­stei­ne, von denen die­ses Blog der ers­te war, haben mich hier­her gebracht, ins Epi­zen­trum des Enter­tain­ments. Nur einen Monat spä­ter sol­len sie mich zum Late-Night-Mei­nungs­ma­ga­zin „Tages­schaum“ mit Fried­rich Küp­pers­busch füh­ren und von dort zu unse­rem gemein­sa­men Pod­cast „Lucky & Fred“. Das Leben meint es gut mit mir, beruf­lich wie pri­vat.
[Songs 2013 von damals]

2014: Andrew McMa­hon In The Wil­der­ness – High Dive
Ich hät­te immer gesagt, dass das Jahr 2014 hier im Blog gar nicht statt­ge­fun­den hat, aber es gibt doch eini­ge Ein­trä­ge aus die­ser Zeit — die meis­ten als Teil der kurz­le­bi­gen Serie „Song des Tages“. Ich erin­ne­re mich an nichts, weil ich zu sehr mit ande­ren Sachen beschäf­tigt bin: Umzug, neue Jobs, Hoch­zeit pla­nen und absa­gen, Vater wer­den, irgend­wie ver­su­chen, mei­ne Bezie­hung zu ret­ten. Alles Din­ge, auf die einen Pop­kul­tur nur unzu­rei­chend vor­be­rei­tet; alles Din­ge, die für Pop­kul­tur wenig Zeit las­sen.

Das ers­te neue Album, das ich mit mei­nem Sohn höre, ist das Solo­de­büt von Andrew McMa­hon, der mich mit sei­nen Bands Some­thing Cor­po­ra­te und Jack’s Man­ne­quin jetzt auch schon mehr als zehn Jah­re beglei­tet. Er ist auch gera­de Papa gewor­den, so kann ich die Ver­ar­bei­tung mei­ner Lebens­wirk­lich­keit wie­der mal auf ihn abwäl­zen und ein­fach sei­ne Songs hören. Obwohl wir doch noch jung sind, ist da viel Nost­al­gie in sei­nen Tex­ten wie „High Dive“, aber Face­book ersetzt Knei­pen­aben­de mit Freund*innen ja auch nur bedingt.

2015: Ben Folds feat. yMu­sic – Pho­ne In A Pool
2015 ist dann tat­säch­lich das Jahr, das nicht war, denn ich schrei­be sen­sa­tio­nel­le sie­ben Blog­ein­trä­ge, von denen die meis­ten ursprüng­lich Face­book-Posts waren. Offen­bar schaf­fe ich es immer­hin ein paar Mal ins Kino. (Ach, „The Force Awa­kens“ ist von 2015?!) Ich kann mich an nichts erin­nern und es geht mir wirk­lich nicht gut.

Ein biss­chen Trost kommt von mei­nem ewi­gen Hel­den Ben Folds, der gera­de die vier­te Schei­dung (von inzwi­schen fünf) hin­ter sich hat und mit dem Kam­mer­mu­sik-Ensem­ble yMu­sic ein Album ein­spielt, auf dem auch sein ers­tes Kla­vier­kon­zert zu hören ist. (Wir gehen alle unter­schied­lich mit Lebens­kri­sen um.) In „Pho­ne In A Pool“ berich­tet er: „Found the love of my life again /​ Y’all knows what I means /​ And I’ll be back on the sofa in a pudd­le in a cou­ple of weeks“. Bei all dem Elend ist es schön, dass jemand, der mich mein hal­bes Leben lang beglei­tet, immer noch Songs schrei­ben kann, die so gut zu mei­nem eige­nen Leben pas­sen. Natür­lich gibt es am Ende des Jah­res kei­ne Lis­ten — ich hab ja eh viel zu wenig Musik gehört und wann hät­te ich die denn noch schrei­ben sol­len?

2016: Weezer – Cali­for­nia Kids
Neu­an­fang in einer eige­nen Woh­nung und das Vor­ha­ben, das Blog jetzt aber wirk­lich wie­der zu befeu­ern. Da passt es ganz gut, dass Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re, des­sent­we­gen ich als Teen­ager mit dem Schrei­ben ange­fan­gen hat­te, ein neu­es Buch ver­öf­fent­licht, unge­fähr zeit­gleich mit dem neu­en Album der von uns hoch ver­ehr­ten Pet Shop Boys und dem von Weezer. Alle drei Acts eint, dass ihr Schaf­fen nicht zu jedem Zeit­punkt ihrer Kar­rie­re den Ansprü­chen des eige­nen Publi­kums genüg­te, aber jetzt sind sie wie­der voll da.

Also eigent­lich eine gute Gele­gen­heit, dar­über zu schrei­ben und über ande­re Din­ge, die mir Freu­de berei­ten, aber das Inter­net ist damals im wesent­li­chen Face­book und dort sind wir alle damit beschäf­tigt, mit irgend­wel­chen AfD-Anhän­gern zu dis­ku­tie­ren, die irgend­wo etwas Dum­mes kom­men­tiert haben. Um die­sem gan­zen Irr­sinn zu ent­flie­hen, schrei­be ich nicht etwa wie­der mehr ins Blog, son­dern star­te mei­nen eige­nen News­let­ter. Da macht das Schrei­ben immer­hin auch Spaß.

Weezer, jeden­falls, ken­ne ich seit mehr als 20 Jah­ren, als das Video zu „Bud­dy Hol­ly“ bei „Hit-Clip“ lief und auf der Win­dows-95-CD-Rom ent­hal­ten war. Jetzt ver­öf­fent­li­chen sie schon das vier­te Album namens „Weezer“ (nach dem blau­en, dem grü­nen und dem roten Album jetzt ganz Beat­les-mäßig das wei­ße), das mei­nen Sohn und mich auf vie­len Aus­flü­gen zum Kem­n­ader See beglei­tet und ihr bes­tes seit Jahr­zehn­ten ist. Der ope­ning cut „Cali­for­nia Kids“ han­delt von den glück­li­chen jun­gen Men­schen aus dem Gol­den Sta­te, die einem das Leben ret­ten. Ich nen­ne Kali­for­ni­en ger­ne „my home away from home“, was viel­leicht etwas prä­ten­ti­ös ist, aber ich hab da halt Fami­lie und es ist auch der ein­zi­ge Ort außer­halb des Ruhr­ge­biets, an dem ich je so viel Zeit am Stück ver­bracht habe. Der Staat bleibt auch nach der Wahl von Donald Trump zum US-Prä­si­den­ten das (natür­lich eher theo­re­ti­sche) Ide­al, das ich bewun­de­re, genau­so wie ich Men­schen auch lie­ber aus der Fer­ne toll fin­de — Cali­for­nia Kids halt.

2017: kett­car – Ankunfts­hal­le
Als die­ses Blog an den Start geht, haben kett­car bereits zwei Alben ver­öf­fent­licht: ihr Debüt „Du und wie­viel von Dei­nen Freun­den“, ein instant clas­sic, und – beglei­tet von Fern­seh­auf­trit­ten und ganz­sei­ti­gen Zei­tungs­ar­ti­keln – den Nach­fol­ger „Von Spat­zen und Tau­ben, Dächern und Hän­den“. Trotz­dem schrei­be ich in all den Jah­ren rela­tiv weni­ge Tex­te über die­se Band, die mir so wich­tig ist. Viel­leicht weil ich den­ke, dass das eh klar ist.

2017 liegt das letz­te (eher okaye) kett­car-Album fünf Jah­re zurück, Mar­cus Wie­busch hat in der Zwi­schen­zeit ein (ziem­lich gutes) Solo­al­bum ver­öf­fent­licht, aber plötz­lich ist die Band wie­der ein Macht­block mit­ten in Euro­pa: Ihre stets kla­re poli­ti­sche Hal­tung, die Jah­re vor­her noch ein biss­chen folk­lo­ris­tisch anmu­te­te, ist inzwi­schen not­wen­dig, aber neben Songs wie „Som­mer ’89“, „Wagen­burg“ und „Mann­schafts­auf­stel­lung“ gibt es auch jene, die sich anfüh­len wie Pola­roids (oder Ins­ta-Posts) aus dem All­tag. „Die Stra­ßen unse­res Vier­tels“ ersetzt eine gan­ze Fern­seh­se­rie über das Fami­li­en­le­ben in Hips­ter-Vier­teln, ohne sich für eine Sekun­de Harald-Schmidt-mäßig über Hafer­milch lus­tig zu machen; „Trost­brü­cke Süd“ ist ein Kame­ra­schwenk durch einen Lini­en­bus vol­ler Men­schen, die auf­ste­hen, atmen, sich anzie­hen und hin­ge­hen, und „Ankunfts­hal­le“ der Blog-Ein­trag, News­let­ter oder Song, den ich immer hat­te schrei­ben wol­len: ein Lob­lied auf die hei­len­de Kraft von Flug­ha­fen-Ankunfts­hal­len, wo Men­schen sich nach lan­ger Zeit der Tren­nung wie­der in die Arme fal­len.

Als kett­car und Thees Uhl­mann im August im Ham­bur­ger Nie­sel­re­gen 15 Jah­re Grand Hotel van Cleef fei­ern, ist weni­ge Tage zuvor mei­ne Oma gestor­ben, die hier von Anfang an mit­ge­le­sen hat­te. Ende Dezem­ber liegt mein Opa im Ster­ben und ich fah­re mit mei­nem Sohn zum Düs­sel­dor­fer Flug­ha­fen, Men­schen in der Ankunfts­hal­le gucken.
[Songs des Jah­res 2017 damals]

2018: Rae Mor­ris – Do It
Hat­te ich oben – also vor ca. 18.000 Zei­chen – nicht noch geschrie­ben, dass in die­ser Lis­te expli­zit nicht die jewei­li­gen Songs des Jah­res auf­tau­chen sol­len? Well: We make up the rules as we go along!

Rae Mor­ris hat sich ihre Son­der­rol­le hier im Blog ver­dient: Weil ich mich 2012 instant­ly in ihren Song „Don’t Go“ aus dem (eigent­li­chen) Seri­en­fi­na­le von „Skins“ (der ein­zi­gen Fern­seh­se­rie neben „Die Brü­cke“, von der ich alle Fol­gen gese­hen habe) ver­liebt habe; weil sie der ers­te (und bis heu­te ein­zi­ge) Act in der Geschich­te die­ses Blogs ist, der in einem Jahr (2018) mei­nen per­sön­li­chen „Song des Jah­res“ und mein „Album des Jah­res“ ver­öf­fent­licht hat (das haben Tom­te 2006 zwar auch geschafft, aber halt sechs Wochen, bevor die­ses Blog an den Start ging, also zählt das nur an unge­ra­den Wochen­ta­gen ohne Neu­mond); weil sie der ers­te (und bis heu­te ein­zi­ge) Act ist, der zwei Mal mei­nen per­sön­li­chen Song des Jah­res (2012 und 2018) geschrie­ben hat.

Irgend­wie alles tro­cke­ner Sta­tis­tik-Kram ange­sichts eines Songs, der davon han­delt, auf die Zwei­fel zu pfei­fen und sich kopf­über in die Lie­be zu stür­zen. Rae Mor­ris singt das über ihren musi­ka­li­schen Part­ner und heu­ti­gen Ehe­mann Fryars und sie macht das so toll, dass ich mit ihr an die gro­ße Lie­be glau­ben will, die sich anfühlt wie Feu­er­werk aus­sieht. Doch mei­ne Ver­su­che, „Do It“ in „Joko Win­ter­scheidts Druckerzeug­nis“ zum Som­mer­hit des Jah­res zu pushen, schei­tern und Men­schen wie ich blei­ben bes­ser allein.

Aber, so den­ke ich heu­te, eigent­lich ist die­ses Blog hier ja auch nichts ande­res als die Umset­zung des Gedan­kens „We could just do it“: Gestar­tet als „die Online-Zei­tung, die wir ger­ne lesen wür­den“ (puh!), konn­te ich mich hier an der Tas­ta­tur und vor der Kame­ra aus­to­ben, aus­pro­bie­ren und dar­an wach­sen, um dann für Zei­tun­gen und Fern­seh­sen­dun­gen zu arbei­ten, die ich frü­her nur rezi­piert hat­te. Wenn man aus 18 Jah­ren Cof­fee And TV unbe­dingt irgend­et­was ler­nen will, dann, dass Selbst­er­mäch­ti­gung manch­mal (es gehört ja auch bei mir sicher­lich eini­ges an Glück dazu) wirk­lich funk­tio­nie­ren kann.
[Songs des Jah­res 2018 damals]

2019: LOKI – The Girl With No Eyes
Für die, die hier ernst­haft Buch füh­ren (also: für mich), mag es etwas über­ra­schend sein, dass ein Song, der auf Platz 59 einer Jah­res­bes­ten­lis­te stand, ein Jahr reprä­sen­tie­ren soll. Nun: Ers­tens kön­nen wir uns glaub ich dar­auf eini­gen, dass es eh schon ein ganz klei­nes biss­chen wahn­sin­nig ist, einen „Platz 59“ auf einer per­sön­li­chen Bes­ten­lis­te zu haben; zwei­tens habe ich erst bei der Durch­sicht mei­ner diver­sen Lis­ten, Ein­trä­ge und Play­lists fest­ge­stellt, dass ich tat­säch­lich schon mal Musik von LOKI gehört haben muss, bevor ich sie letz­tes Jahr beim Fes­ti­val Sounds Like Sugar in Her­ne gese­hen habe und so begeis­tert war, dass ich sie beim Bochum Total direkt wie­der sehen muss­te.

Damit steht „The Girl With No Eyes“, des­sen Bon-Iver-Haf­tig­keit mich schon 2019 über­zeugt haben muss, näm­lich für etwas ande­res: Für das wil­de Über­an­ge­bot an Wer­ken (oder: „Con­tent“, wie die Arsch­lö­cher sagen, die in ihrem Leben nicht einen ein­zel­nen genui­nen Gedan­ken hat­ten), aus dem wir theo­re­tisch wäh­len kön­nen, das aber auch das Risi­ko birgt, alles belie­big und egal zu machen. Dass es etwas ande­res ist, tage­lang in phy­si­schen Läden nach einer CD zu fahn­den und sie dann end­lich zu fin­den, als ein­fach alles immer sofort (terms and con­di­ti­ons app­ly) zur Ver­fü­gung zu haben, hab ich schon 2016 auf­ge­schrie­ben. Es ist seit­dem nicht weni­ger gewor­den. Wenn ich mich nicht mehr an irgend­wel­che Acts erin­nern kann (natür­lich auch, weil ihre Namen nur noch über Bild­schir­me flim­mern und nicht aus­ge­druckt vor mir lie­gen, was mei­nem Gehirn immer­hin ein biss­chen hel­fen wür­de), ist es alles ein biss­chen viel.

Ich selbst tra­ge fröh­lich zum Über­an­ge­bot bei: Mit Fried­rich Küp­pers­busch ste­he ich jetzt regel­mä­ßig auf Büh­nen in Dort­mund und Ber­lin, um „Lucky & Fred“ vor Publi­kum auf­zu­zeich­nen. Da kommt das Thea­ter-Kind von frü­her wie­der zum Vor­schein, Applaus ist immer noch die stärks­te Wäh­rung. Weil Likes dage­gen abstin­ken und dort eh nichts mehr los ist, lösche ich am Sil­ves­ter­abend mei­nen Face­book-Account. Im Nach­hin­ein möch­te ich sagen: Ich habe schon düm­me­re Din­ge zu einem schlech­te­ren Zeit­punkt gemacht.
[Songs des Jah­res 2019 damals]

2020: Tay­lor Swift – Epi­pha­ny
Alles beginnt so schön mit wei­te­ren Live-Auf­trit­ten und Kon­zert­be­su­chen bei kett­car, Ider und Car­ly Rae Jep­sen. Und dann endet alles: Kon­zer­te, Kin­der­gar­ten, Bun­des­li­ga, sogar der Euro­vi­si­on Song Con­test wird erst­mals abge­sagt. „Wegen Coro­na“ wird ein soge­nann­tes geflü­gel­tes Wort, was auch irgend­wie zu den ver­damm­ten Flug­hun­den auf dem Nass­markt von Wuhan passt, die uns die gan­ze Schei­ße (mut­maß­lich) ein­ge­brockt haben.

Popkultur-Freund*innen ver­glei­chen die Stra­ßen mit jenen aus dem Zom­bie­film „28 Days Later“ und wir ler­nen die Wohn­zim­mer von Kolleg*innen und Rock­stars ken­nen, die von dort aus Mini-Kon­zer­te in die Welt strea­men (die Rock­stars, nicht die Kolleg*innen). Die Leu­te erschei­nen all das mit erstaun­li­chem Gleich­mut zu ertra­gen, aber die­ses Bild bekommt – um eine wei­te­re Phra­se zu ver­mei­den – schnell Ris­se: Als sich im April eine Frau, die vor einem Café war­ten muss, um Kuchen zum Mit­neh­men zu kau­fen, über die „Gesund­heits­dik­ta­tur“ beschwert, bin ich viel zu über­rascht und scho­ckiert, ihr vor­zu­schla­gen, dass wir ger­ne gemein­sam einen Bekann­ten von mir, der Arzt in Padua ist, anru­fen könn­ten und sie ja mal mit dem spre­chen kön­ne, wenn er nicht gera­de dabei ist, um Leben zu kämp­fen.

Es ist ein Vor­ge­schmack auf das, was kommt: Weil man sich jetzt nir­gend­wo mehr in die Augen gucken kann, ver­ges­sen nahe­zu alle, dass sie online mit ande­ren Men­schen dis­ku­tie­ren. Man­che von uns nut­zen die vie­le freie Zeit, um sich über Ras­sis­mus fort­zu­bil­den, ande­re, um sich zu radi­ka­li­sie­ren. Ich schrei­be viel in mei­nen News­let­ter und wenig ins Blog, star­te aber zusam­men mit Sue Reind­ke immer­hin einen neu­en Pod­cast namens „Bist Du noch wach?“

In all das hin­ein ver­öf­fent­licht Tay­lor Swift, die nach einer abge­sag­ten Welt-Tour­nee auch zu viel Frei­zeit hat, ein Album, das sie in den ers­ten Mona­ten des Lock­downs mit Aaron Dess­ner von The Natio­nal auf­ge­nom­men hat, remo­te. „Folk­lo­re“ wird zum Sound­track des ers­ten Coro­na-Som­mers und über­zeugt selbst jene, die ihrer Musik bis­her kri­tisch gegen­über­ge­stan­den hat­ten. Mit „Ever­mo­re“ erscheint ein paar Mona­te spä­ter noch so ein gro­ßer Wurf. Nach dem groß­ar­ti­gen „1989“ von 2014 hab ich end­lich die nächs­te era, in der ich mich ein­rich­ten kann. Es ist der Sound­track zu sehr aus­gie­bi­gen Spa­zier­gän­gen durch die ver­schie­de­nen Nach­bar­schaf­ten hier in Bochum. Und mit­ten­drin ein Song über Sol­da­ten und Men­schen im Gesund­heits­we­sen, über das Ster­ben in Ein­sam­keit und über das Wei­ter­ma­chen der Über­le­ben­den: „Epi­pha­ny“. „Someone’s daugh­ter, someone’s mother /​ Holds your hand through pla­s­tic now“ sind Zei­len, die mir auf ewig die Trä­nen in die Augen trei­ben und einen Klos in den Hals drü­cken wer­den. Die gute Nach­richt: Mei­ne Omi, die mit 94 noch allein in ihrem viel zu gro­ßen Haus wohnt, über­lebt all das ohne Anste­ckung. Das ist nicht ihr Song.
[Songs des Jah­res 2020 damals]

2021: Meet Me @ The Altar – Never Gon­na Chan­ge
2021 ist die etwas öde Fort­set­zung des Seu­chen­jah­res, aber als Far­ce: Hash­tag Oster­ru­he. Die Amts­zeit von Donald Trump endet, die von Ange­la Mer­kel auch. In Rot­ter­dam, wo der ESC unter Pan­de­mie-Bedin­gun­gen statt­fin­det, lau­tet der schon 2019 erson­ne­ne Slo­gan pas­sen­der­wei­se „Open Up“. Den Som­mer ver­brin­ge ich damit, mein Buch über den Song Con­test zu schrei­ben, an Omis Geburts­tag und an Weih­nach­ten sind wir wie­der alle ver­eint.

In Aachen tref­fe ich einen mei­ner aller­größ­ten Hel­den: Micha­el Sti­pe von R.E.M. Er ist so bezau­bernd, wie ich erhofft hat­te, und gibt mir das Gefühl, als sei ich der aller­ers­te Mensch, der „You’­ve chan­ged my life“ zu ihm sagt. Der VfL Bochum steigt nach elf Jah­ren wie­der in die Bun­des­li­ga auf. Natu­re is heal­ing.

Mei­ne aktu­el­le Lieb­lings­band heißt Meet Me @ The Altar, que­er Women of Color aus den USA, die Pop-Punk zwi­schen Avril Lavi­gne, Para­mo­re und Blink-182 machen. Zum ers­ten Mal hören tue ich von ihnen bei – natür­lich – „All Songs Con­side­red“ auf – natür­lich – einem mei­ner lan­gen Spa­zier­gän­ge, in Erin­ne­rung blei­ben mir ihre EP „Model Citi­zen“ und der Song „Never Gon­na Chan­ge“ aber vor allem als Sound­track zu den ers­ten Besu­chen im Fit­ness­stu­dio, die jetzt wie­der mög­lich sind.
[Songs des Jah­res 2021 von damals]

2022: Maro – Sau­da­de, Sau­da­de
Am Ende wird es das Jahr gewe­sen sein, das ich so lang gefürch­tet hat­te: das, in dem mei­ne Omi stirbt. Es wer­den lan­ge vier Mona­te des Abschieds, die ihren Kin­dern alles abver­lan­gen, aber es ist eine Zeit des bewuss­ten, lie­be­vol­len Abschieds und der Lie­be in ihrer reins­ten Form.

All das ahne ich noch nicht, als ich beim ESC in Turin sit­ze und völ­lig gebannt (das eng­li­sche Wort mes­me­ri­zed ken­nen wir im Deut­schen lei­der nicht, obwohl es doch auf einen deut­schen Arzt zurück­geht) dem Auf­tritt der por­tu­gie­si­schen Künst­le­rin fol­ge, die das spe­zi­fisch por­tu­gie­si­sche Gefühl sau­da­de besingt, das mit „ver­mis­sen“ nur unzu­rei­chend über­setzt wer­den kann und das sie nach dem Tod ihres gelieb­ten Groß­va­ters emp­fin­det. „Sau­da­de, Sau­da­de“ erreicht am Ende einen tol­len 9. Platz, Deutsch­land hat auch teil­ge­nom­men. Aller­spä­tes­tens hier in Turin ist der ESC nicht mehr die leicht tra­shi­ge Quatsch-Ver­an­stal­tung, als die er noch galt, als Ste­fan und ich 2007 erst­ma­lig dar­über gebloggt haben. Er ist ein ech­tes Musik­fes­ti­val, bei dem man Gen­res und Acts vor­ge­stellt bekommt, auf die man sonst viel­leicht nie gesto­ßen wäre. Wer hier noch alles doof fin­det, mag wahr­schein­lich ein­fach kei­ne Musik.

Mein Buch über die­se Ver­an­stal­tung erscheint qua­si zeit­gleich mit Beginn des rus­si­schen Angriffs­kriegs gegen die Ukrai­ne, was mir eine ordent­lich Por­ti­on der Freu­de raubt. Als ich den Release trotz­dem mit Freund*innen in mei­ner Stamm­knei­pe feie­re, ste­cke ich mich (end­lich) mit COVID-19 an und bin immer noch reich­lich außer Atem, als ich das Buch in einer klei­nen gro­ßen Live­show in der Zeche Carl in Essen vor­stel­le. Irgend­wie schaf­fe ich es sogar, in die­sem Jahr noch einen Pod­cast zu pro­du­zie­ren: die Talk­sen­dung „Woher ken­nen wir uns?“
[Songs des Jah­res 2022 damals]

2023: Foo Figh­ters – Res­cued
Omi und Tay­lor Haw­kins sind im sel­ben Jahr gestor­ben, was inso­fern beson­ders tra­gisch ist, als der Schlag­zeu­ger der Foo Figh­ters 46 Jah­re jün­ger gewe­sen war. Dave Grohl hat­te zum drit­ten Mal einen sei­ner bes­ten Freun­de ver­lo­ren, Mona­te spä­ter sei­ne Mut­ter. Ob das der Beginn einer etwas ver­spä­te­ten mid­life-cri­sis war, in deren Ver­lauf jene Toch­ter ent­stand, die „außer­halb mei­ner Ehe“ gebo­ren wur­de, wie er auf Insta­gram schrieb, ver­mag ich nicht zu beur­tei­len — es war zumin­dest der Aus­lö­ser, „But Here We Are“ auf­zu­neh­men, das bes­te Foo-Figh­ters-Album seit fast 25 Jah­ren, auf dem er wie­der ein­mal Trau­er in Wut ver­wan­delt und umge­kehrt.

„Res­cued“ ist einer der ers­ten Songs, den ich in mei­ner klei­nen Musik­sen­dung spie­le, die ich in einem Anfall beson­de­rer Geis­tes­ge­gen­wart auch „Cof­fee And TV“ genannt habe. Sie ist das, wor­auf ich Jahr­zehn­te lang gewar­tet hat­te: die Mög­lich­keit, Songs in einem Pod­cast zu spie­len, ohne in einem kost­spie­li­gen Büro­kra­tie­ge­wit­ter namens „GEMA“ unter­zu­ge­hen. Das Ergeb­nis kann man zwar nur beim fins­te­ren Tech-Kon­zern Spo­ti­fy hören, aber ent­schei­den­der ist für mich eh, sowas über­haupt machen zu kön­nen. Aber wie so oft mit den schö­nen Din­gen im Inter­net: Nur ein Jahr spä­ter zieht Spo­ti­fy den Ste­cker und schafft die Mög­lich­keit, sol­che Musik­sen­dun­gen zu bau­en, direkt wie­der ab.

„But Here We Are“ wird auch 2024 wie­der für mich da sein: Als mei­ne gelieb­te Tan­te Dör­te stirbt, eine groß­ar­ti­ge Grund­schul­leh­re­rin, höre ich den Song, den Dave Grohl für sei­ne ver­stor­be­ne Mut­ter Vir­gi­nia geschrie­ben hat, die eben­falls Leh­re­rin gewe­sen war: „The Tea­cher“.

2024: Ezra Coll­ec­ti­ve feat. Yaz­min Lacey – God Gave Me Feet For Dancing
Das ist mir in all den Jah­ren auch noch nicht pas­siert, dass ich – trotz aller Play­lis­ten, Noti­zen-Apps und Zet­tel – beim Zusam­men­stel­len der „Alben“ oder „Acts des Jah­res“ ein Album bzw. einen Act kom­plett ver­ges­se. Ob’s am Alter liegt oder dem schon erwähn­ten Über­an­ge­bot?

Immer­hin habe ich hier die Gele­gen­heit, den Feh­ler schnell halb­wegs wett­zu­ma­chen: „God Gave Me Feet For Dancing“ von Ezra Coll­ec­ti­ve und Yaz­min Lacey. Ezra Coll­ec­ti­ve sind eine Jazz-Fusi­on-Band aus Lon­don, die Ele­men­te aus Afro­beat, Calyp­so, Reg­gae, Hip-Hop, Soul und Jazz ver­bin­den und deren Songs bei BBC Radio 6 Music, mei­ner aktu­el­len Haupt­quel­le für neue Musik, rauf und run­ter läuft. Es ist die­se Musik, die ich mit dem leicht­fü­ßi­gen Som­mer 2024 ver­bin­de, als wir alle den­ken, dass Kama­la Har­ris US-Prä­si­den­tin wer­den wird, und die Olym­pi­schen Spie­le in Paris ein Gefühl von Hoff­nung, Zuver­sicht und Gemein­schaft ver­mit­teln, das wir so lan­ge ver­misst hat­ten. Sich ein paar Mona­te spä­ter über die eige­ne ver­meint­li­che Nai­vi­tät lus­tig zu machen, wäre aber auch zynisch.
[Songs des Jah­res 2024 von „damals“]

Epi­log
„Am Ende wird alles okay sein — und wenn es nicht okay ist, ist es nicht das Ende“, hat der bra­si­lia­ni­sche Autor Fer­nan­do Sabi­no geschrie­ben und Weezer nann­ten ihr 2015er Album „Ever­y­thing Will Be Alright In The End“. „Schwimm für die Songs, die noch geschrie­ben wer­den“, hat Mar­cus Wie­busch von kett­car auf sei­nem Solo­al­bum gesun­gen — und dabei Andrew McMa­hon refe­ren­ziert. Alles hängt immer mit allem zusam­men.

Social Media ist, spä­tes­tens seit sich die Tech-Olig­ar­chen um Donald Trump scha­ren, ein dumps­ter fire, das unse­re See­len und Gehir­ne ver­zehrt. Doch das hier sind nur die ers­ten 18 Jah­re und die ers­ten 18 Songs. Cof­fee And TV ist mein Zuhau­se und ich pla­ne zu blei­ben, mein Freund.

Denn wie sang einst Gra­ham Coxon in jenem Blur-Song, des­sen Titel wir uns damals ein­fach gemopst haben?

Take me away from this big bad world
And agree to mar­ry me
So we can start over again

(Auf das mit dem Hei­ra­ten wür­de ich nach den oben erwähn­ten Erfah­run­gen aller­dings ger­ne ver­zich­ten.)

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Musik

Ein Abend mit Craig Finn & Marcus Wiebusch, neue Musik von kettcar, Ruti, Dan Bern, Sevdaliza — und „I’m Just Ken“

Bevor er einen Blu­men­strauß vol­ler neu­er Songs prä­sen­tiert, erzählt Euch Lukas von der Ver­an­stal­tung, die er ges­tern besucht hat: Craig Finn von The Hold Ste­ady und Mar­cus Wie­busch von kett­car haben in Köln über ihre Arbeit gespro­chen und Songs vor­ge­tra­gen.

Dann geht’s wei­ter mit Musik von Ruti, Dan Bern, Sev­da­li­za – und mit Lukas’ Ohr­wurm der Woche: „I’m Just Ken“ aus dem „Barbie“-Soundtrack.

Alle Songs:

  • Craig Finn – God In Chi­ca­go
  • kett­car – Doug & Flo­rence
  • Ruti – Bubb­le­house Boun­ce (Move As One)
  • Mar­ya­ka – Last Night
  • Dan Bern – Bible
  • Sev­da­li­za feat. Ely­an­na – Good Tor­tu­re
  • Wino­na Figh­ter – I’m In The Mar­ket To Plea­se No One
  • Ryan Gosling – I’m Just Ken

Show­no­tes:

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Musik

Podcast: Episode 1

Vor zwei­ein­halb Jah­ren hat Spo­ti­fy ange­kün­digt, dass sie bald ein Fea­ture aus­rol­len wür­den, mit dem man eige­ne Musik-Pod­casts erstel­len kann. Man müss­te dafür nur Mode­ra­tio­nen auf­neh­men und mit Songs kom­bi­nie­ren, die bei Spo­ti­fy ver­füg­bar sind — fer­tig! Ich hat­te zu die­sem Zeit­punkt seit etwa 13 Jah­ren (so lang muss es damals unge­fähr her­ge­we­sen sein, dass ich zum ers­ten Mal „All Songs Con­side­red“ von NPR Music gehört hat­te) dar­auf gewar­tet, einen eige­nen Musik-Pod­cast star­ten zu kön­nen, der gleich­zei­tig legal und bezahl­bar ist (ers­te­res ermög­licht die GEMA seit eini­gen Jah­ren mit einem eige­nen Tarif, der zwei­te­res aus­schließt) und war ent­spre­chend sto­ked: Zwei Tage rann­te ich wie high durch mei­ne Woh­nung, war völ­lig begeis­tert und plan­te schon mal die ers­ten zwan­zig, drei­ßig Aus­ga­ben.

Dann pas­sier­te: nichts. Im letz­ten Som­mer habe ich noch mal kurz dar­an gedacht, aber ich befürch­te­te schon, dass das Fea­ture den Weg aller wirk­lich sinn­vol­len Web-Anwen­dun­gen (der Goog­le Rea­der, der Komm-Küs­sen-But­ton bei jetzt.de, die Cen­ten­ni­al-Bulb-Web­cam) gegan­gen und ver­schwun­den sei. Dann schrieb mir vor zwei Wochen eine Freun­din, es gebe jetzt bei Spo­ti­fy die Mög­lich­keit, Pod­casts mit Musik zu ver­öf­fent­li­chen, und das sei doch etwas, was gut zu mir pas­sen wür­de.

Nun, ladies and gen­tle­men und alle in-bet­ween: Hier ist „Cof­fee And TV“, der Pod­cast!

In der ers­ten Fol­ge spie­le ich u.a. neue Songs von Amil­li, The Hold Ste­ady und Mar­ya­ka und obwohl ich ein biss­chen aus der Übung war, hat es wahn­sin­nig Spaß gemacht, nach ca. 16 Jah­ren mal wie­der eine Musik­sen­dung zu mode­rie­ren. Also mach ich das jetzt öfters. Lei­der kann man den Pod­cast aus den oben beschrie­ben Grün­den nur auf Spo­ti­fy hören und wenn man kein zah­len­der Pre­mi­um-Mem­ber ist, gibt es auch nur 30-sekün­di­ge Aus­schnit­te und nicht die gan­zen Songs zu hören, aber ich fin­de, es ist bedeu­tend bes­ser als nichts!

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Musik

Songs des Jahres 2021

Und ein sozi­al­kri­ti­sches Schlag­zeug­so­lo spä­ter ist es soweit: Making dis­co a thre­at again!

Ich habe wie­der ein biss­chen län­ger gebraucht, aber ich möch­te auf kei­nen Fall sein wie Spo­ti­fy und Musik­zeit­schrif­ten, die schon zwi­schen Okto­ber und Niko­laus auf ein Jahr zurück­schau­en. Sowas braucht ja auch Zeit und muss sich erst mal set­zen – und dann muss man sich sel­ber erst mal set­zen, Songs in eine Rei­hen­fol­ge brin­gen, die einem in die­ser einen Mil­li­se­kun­de die rich­ti­ge erscheint, obwohl es natür­lich völ­lig absurd ist, Musik in irgend­ei­ne Rang­lis­te zu brin­gen.

Jeden­falls: Hier sind wir! Und hier sind sie: Mei­ne Top-25-Songs eines immer noch etwas müh­sa­men Jah­res!

25. Chi­ca­go Sin­fo­ni­et­ta – Dances In The Cane­bra­kes (Arr. W.G. Still for Orches­tra) : No. 3, Silk Hat And Wal­king Cane
Ich habe beschlos­sen, dass ich die Regeln für mei­ne Lis­te selbst bestim­men kann, also gehen auch Klas­sik-Songs! „Dances In The Cane­bra­kes“ ist eigent­lich ein Kla­vier­werk der Schwar­zen US-Kom­po­nis­tin Flo­rence Pri­ce (1887–1953), das hier für Orches­ter arran­giert wur­de und auf dem Album „Pro­ject W: Works by Diver­se Women Com­po­sers“ erschien – und zwar schon 2019. Da mir die­ser Umstand aber genau gera­de eben erst auf­ge­fal­len ist und mich das Stück bis dahin so sehr durch mein Jahr 2021 beglei­tet hat­te, dass ich es zwi­schen­zeit­lich als the­me in dem Film, der mein Leben ist, wahr­ge­nom­men habe, ist mir das alles egal! Es ist ein groß­ar­ti­ges Werk mit einem beein­dru­cken­den Hin­ter­grund, also stei­gen wir ein­fach hier­mit ein!

24. Aaron Lee Tas­jan – Up All Night
Auch wenn ich es nicht für mög­lich gehal­ten hät­te, gab es 2021 doch wie­der ein paar Aben­de, an denen ich ange­mes­sen alko­ho­li­siert den Heim­weg aus der Innen­stadt ange­tre­ten habe. Es war stets der per­fek­te Umstand, um die­sen Que­er-Folk-Power-Pop-Song in einer Laut­stär­ke zu hören, die einem Apple Health dann hin­ter­her wie­der vor­wurfs­voll um die Ohren haut.

23. Adam Levi­ne – Good Mood
Ich sage ja immer, dass es kei­ne pein­li­chen Lieb­lings­lie­der geben kann, aber der Sän­ger von Maroon 5, der den Titel­song zum „Paw Patrol“-Kinofilm singt – das ist schon eine schwe­re Hypo­thek, die man sich selbst gegen­über erst mal recht­fer­ti­gen muss!
Tat­säch­lich hat­te ich zuerst den Refrain als Wer­be­pau­sen-Ein­lei­tungs­mu­sik bei Fuß­ball-Über­tra­gun­gen gehört und sofort geliebt, weil ich sei­ne maxi­ma­le New-Radi­cals-Haf­tig­keit moch­te. In Wahr­heit hat der Songs nichts mit den New Radi­cals zu tun (anders als die Songs, die Adam Levi­ne in dem sehr char­man­ten Film „Begin Again“ und dem dazu­ge­hö­ri­gen Sound­track singt), aber das war dann auch schon egal. Kei­nen Song habe ich 2021 auf dem Fahr­rad im Fit­ness­stu­dio öfter gehört als „Good Mood“ und wenn Ihr bei die­sem Groo­ve nicht mit hoch­spe­zia­li­sier­ten Hun­de­wel­pen durch die Woh­nung tan­zen wollt, kann ich Euch auch nicht hel­fen!

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Musik Leben Gesellschaft

Another Decade Under The Influence: 2010

Die­ser Ein­trag ist Teil 1 von bis­her 10 in der Serie Ano­ther Deca­de Under The Influence

Heu­te in zehn Wochen ist Sil­ves­ter — und mit dem Jahr endet auch das Jahr­zehnt. Vor zehn Jah­ren habe ich das zum Anlass genom­men, hier im Blog eine zehn­tei­li­ge Serie zu ver­öf­fent­li­chen, in der ich sehr, sehr läng­lich auf jedes ein­zel­ne Jahr, sei­ne pop­kul­tu­rel­len und per­sön­li­chen Momen­te zurück­ge­blickt habe. Ich hab nicht mehr so viel Zeit und Ner­ven, 10.000 Zei­chen zu ver­bal­lern, Ihr nicht mehr die Zeit und Auf­merk­sam­keits­span­ne, das zu kon­su­mie­ren – also gibt’s für jedes Jahr ein Foto und ein paar Stich­wor­te. Say hel­lo to #ano­ther­de­ca­de­un­dertheinfluence!

2010. Mei­ne ers­te Woh­nung, ganz für mich allein. Eine unglaub­lich auf­wen­di­ge Reno­vie­rung (mein Papa hat mal eben neu­en Est­rich gegos­sen, bevor wir den Fuß­bo­den ver­legt haben) und das Gefühl, end­lich wie­der ein Zuhau­se zu haben. So vie­le neue Freund*innen, so vie­le gute Gesprä­che, so vie­le Aben­de (und Näch­te) im Frei­beu­ter (wo ich nur in die­sem Jahr, grob über­schla­gen, einen vier­stel­li­gen Betrag zurück­ge­las­sen, aber immer­hin meh­re­re Musik­quiz­ze gewon­nen habe). Zwei Win­ter wie auf Hoth und ein con­s­truc­ti­ve sum­mer. Ein legen­dä­res Hald­ern-Fes­ti­val, eine kaum min­der legen­dä­re Geburts­tags­fei­er, bei der die Leu­te auf den Tischen getanzt haben, bevor sie umfie­len. (Die Tische. Und die Leu­te. Natür­lich alles im Frei­beu­ter.) Ein Kul­tur­haupt­stadt­jahr mit gesperr­ter A40 und Love­pa­ra­de-Kata­stro­phe. Knut­schen und Rau­chen. Mei­ne ers­ten Ein­sät­ze als DJ (die Leu­te ham getanzt, die Leu­te ham geschrien). Dienst­rei­sen nach Oslo (mit Ste­fan Nig­ge­mei­er und Lena Mey­er-Land­rut), Lon­don (mit mei­nem Onkel Tho­mas) und Rom. Mein neu­er Job als BILD­blog-Chef­re­dak­teur mit Auf­trit­ten im Fern­se­hen und Radio. Ein Jahr mit durch­ge­tre­te­nem Gas­pe­dal (und das, obwohl ich, haha­ha, ver­mut­lich nicht mehr als 300 Kilo­me­ter mit dem Auto zurück­ge­legt habe) und exqui­si­tem Sound­track. And my head told my heart /​ Let love grow /​ But my heart told my head /​ This time no /​ This time no. You’­re a beau­tiful girl and you’­re a pret­ty good wai­tress /​ But Jes­se I don’t think I’m the guy. Hal­lo, ich bin Lukas, 27, ich kom­me aus Bochum und das ist mein soge­nann­tes Leben. Ein Jahr, in dem selbst die lei­sen Momen­te laut waren. Da ist es gut, wenn man einen Platz hat, an den man sich zurück­zie­hen kann (zum Schla­fen und zum Arbei­ten, denn was hab ich da wohl sonst noch gemacht?), und an dem einen kei­ne Mit­be­woh­ner stö­ren. End­lich wie­der ein Zuhau­se, end­lich ange­kom­men und sofort auf­ge­bro­chen ins Leben.

Die­se Serie läuft par­al­lel hier im Blog und auf Insta­gram.

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Musik

The District Sleeps Alone Tonight

Guten Mor­gen,

mein Name ist Lukas und ich soll­te eigent­lich längst schla­fen. Aber dann hab ich bei You­Tube ein Video ent­deckt:

Einer mei­ner Lieb­lings­mu­si­ker covert einen mei­ner Lieb­lings­songs von einer mei­ner Lieb­lings­bands! Das muss ich natür­lich noch gucken und dann …

Okay: Frank Tur­ner covert noch einen Song von The Hold Ste­ady, aber dies­mal mit einem Band­mit­glied von The Hold Ste­ady! Aber danach kann ich ja …

Okay: „Con­s­truc­ti­ve Sum­mer“ mag ich aus per­sön­li­chen Grün­den noch ein biss­chen mehr, aber danach soll­te ich …

What the … ? Frank Tur­ner covert einen Song einer mei­ner ande­ren Lieb­lings­bands!

Und noch einen! („Plea From A Cat Named Virt­ute“ hal­te ich per­sön­lich ja für einen der bes­ten Tex­te, der je geschrie­ben wur­de – was um so bemer­kens­wer­ter ist, wenn man bedenkt, was mit ande­ren Men­schen pas­siert ist, die Tex­te aus der Sicht einer Kat­ze geschrie­ben haben.)

ARGH! Gibt es irgend­ei­nen mei­ner Lieb­lings­songs, den Frank Tur­ner nicht geco­vert hat?

Ich muss jetzt wirk­lich aus­ma­chen, aber weil sich der Kreis hier so wun­der­bar schließt:

Noch ein Song von The Pos­tal Ser­vice, geco­vert von einem noch abso­lut­e­ren Lieb­lings­mu­si­ker.

Gute Nacht!

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Musik

Song des Tages: The Hold Steady – Constructive Summer

Zum ers­ten Mal gehört: Im Som­mer 2008, als das vier­te Hold-Ste­ady-Album „Stay Posi­ti­ve“ erschien.

Wer musi­ziert da? Eine Band aus Brook­lyn (ursprüng­lich aus Minneapolis/​St. Paul, Min­ne­so­ta), deren Wur­zeln im Hard­core lie­gen, die aber heu­te Rock­mu­sik macht.

War­um gefällt mir das? Ich mag die Mischung aus roher Ener­gie und Ver­spielt­heit (die­ses Jim-Stein­man-Kla­vier!), ich mag die Lyrics über Par­ties, Freund­schaft und Som­mer (und Joe Strum­mer!) und ich lie­be The Hold Ste­ady. Und in ca. zwei Stun­den ste­he ich im Köl­ner Luxor und sehe sie mir zum zwei­ten Mal live an.

[Alle Songs des Tages — auch als Spo­ti­fy-Play­list]

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Musik Rundfunk

Von Stimmen und Tassen

Wenn Sie eine Drei­vier­tel­stun­de Zeit und ein biss­chen was für Musik übrig haben, soll­ten Sie sich die­se Key­note anse­hen, die Dave Grohl, „the unof­fi­ci­al Mayor of Rock ’n‘ Roll“ (Ste­phen Thomp­son), ver­gan­ge­ne Woche beim South By Sou­thwest Music Fes­ti­val in Aus­tin, TX gehal­ten hat:

Ich mag ja die­se ame­ri­ka­ni­sche Art, die­se Mischung aus Lako­nie und Pathos, und ich muss­te schon stark an mich hal­ten, nicht sofort die E‑Gitarre ein­zu­stöp­seln und mei­nen Nach­barn mei­ne immer noch kläg­li­chen Ver­su­che, das „Mon­key Wrench“-Riff nach­zu­spie­len, um die Ohren zu hau­en.

Und wenn Sie dann noch etwas Zeit haben und noch ein wenig mehr Inspi­rie­ren­des über Musik zu sich neh­men wol­len, dann lesen Sie bit­te die­sen Blog­ein­trag, den Anke Grö­ner ver­gan­ge­ne Woche dar­über geschrie­ben hat, was es für sie bedeu­tet, „Tos­ca“ ((Für alle, deren Musik­zeit­strahl auch erst mit den Beat­les beginnt: „Tos­ca“ ist laut Wiki­pe­dia eine Oper von Gia­co­mo Puc­ci­ni aus dem Jahr 1900.)) zu sin­gen:

Ich habe einen unge­heu­ren Respekt vor dem Mann bzw. vor sei­nen Wer­ken, und des­we­gen dau­ert es jede blö­de Woche immer ein biss­chen, bis ich mich wirk­lich traue, den ers­ten Ton von mir zu geben. Das ist so, als ob du als Rie­sen-Bie­be­ris­ta das ers­te Mal vor ihm stehst und nur „Hal­lo“ sagen willst, aber dich irgend­wie nicht traust, denn man kann ja nicht ein­fach so als klei­ner Fan dem Super­star „Hal­lo“ sagen. Im Kopf glau­be ich immer, dass so ziem­lich alle Töne, die ich sin­ge, total schief sind und kräch­zig und schlimm und dass noch kein Fens­ter zer­sprun­gen ist, wenn ich das b“ sin­ge, ist eh ein Wun­der. Aber da ist plötz­lich das „Hal­lo“: Ich kann das b“ näm­lich sin­gen. Und es strengt nicht mal an. Jeden­falls brau­che ich kei­ne Kraft dafür.

Ich wer­fe bei­de Tex­te, Dave Groh­ls Key­note und Anke Grö­ners Blog­ein­trag, jetzt ein­fach mal zusam­men, was viel­leicht ein biss­chen unzu­läs­sig ist, aber letzt­lich geht es bei­de Male dar­um, sei­ne Stim­me und damit den eige­nen Platz in der Welt zu fin­den. Und wenn Dave Grohl sagt, dass es nur dar­auf ankom­me, wie man selbst sei­ne Stim­me fin­de, dann hat er ver­dammt recht. Es soll­te Phil­ipp Poi­sel, Max Her­re oder Ben Howard sehr, sehr egal sein, dass ich mit ihren Stim­men so rein gar nichts anfan­gen kann. Selbst, dass ich ihre Songs nicht hören mag, soll­te für sie völ­lig uner­heb­lich sein. Ich habe da die­se etwas hip­pie­mä­ßi­ge Ein­stel­lung, dass Musik ihre Berech­ti­gung hat, wenn sie nur einer Per­son etwas bedeu­tet – ein­zi­ge Aus­nah­me: Nazi-Rock.

Und natür­lich hat Grohl des wei­te­ren recht, wenn er sagt, man kön­ne den „Wert“ von Musik nicht ein­fach so bestim­men – und als kna­cki­ge Bei­spie­le ein­fach mal „Gang­nam Style“ und Atoms For Peace auf­führt. Ich hat­te auf mei­ner Lis­te der bes­ten Songs 2012 ja an rela­tiv pro­mi­nen­ter Stel­le „Call Me May­be“ von Car­ly Rae Jep­sen auf­ge­führt, wofür ich mir von man­chen Freun­den Fra­gen nach mei­nem Geis­tes­zu­stand gefal­len las­sen muss­te. ((Dabei müss­ten die doch am Bes­ten wis­sen, wie ich so drauf bin.)) Dabei lie­be ich den Song noch heu­te und er berei­tet mir deut­lich mehr Freu­de, als irgends­o­ei­ne ange­sag­te neue Indie­band aus Eng­land. Und nur dar­um soll­te es gehen: Wel­che Musik einem Freu­de berei­tet, nicht, wel­che Musik man hören „soll­te“, um irgend­wo dazu zu gehö­ren.

Ich möch­te, weil ich ein­mal in Fahrt bin, nun völ­lig unzu­läs­si­ger­wei­se auch noch einen Text von Alex­an­der Gor­kow aus der heu­ti­gen „Süd­deut­schen Zei­tung“ ((Online nicht ver­füg­bar.)) hin­zu­zie­hen, der vor­der­grün­dig von dem geschei­ter­ten Inter­view­ver­such von Hin­nerk Baum­gar­ten an Kat­ja Rie­mann han­delt. Es geht aber dann rela­tiv schnell und auch rela­tiv furi­os um sehr viel mehr, kurz um Clint East­wood (auch „schwie­rig“) und dann um unge­fähr alles:

Im Umgang vie­ler Medi­en mit unse­ren Künst­lern nun aber offen­bart sich eine über­aus deut­sche Betrach­tung des Künst­ler­tums an sich – und so eben auch des Künst­lers oder der Künst­le­rin: Es regiert bei uns en gros eine mit­tel­al­ter­li­che, min­des­tens klein­staat­li­che, mit­nich­ten renais­sance­haf­te, geschwei­ge denn auf­klä­re­ri­sche Sehn­sucht, wenn es um die Publi­kums­kunst geht.

Es regiert statt­des­sen, gespeist durch alle Arten von Medi­en, vor allem aber durch die Unter­hal­tungs­blät­ter und eben die TV-Sen­der, die urdeut­sche Vor­stel­lung vom Künst­ler als fah­ren­dem Schar­la­tan, der mit Schna­bel­schu­hen und Schel­len­müt­ze dafür zu sor­gen hat, einer furcht­ba­ren Ansamm­lung trü­ber, ver­blö­de­ter Tas­sen – der soge­nann­ten Bevöl­ke­rung – die Zeit bis zum Exitus zu ver­trei­ben.

Es ist, gera­de im dar­stel­len­den Gewer­be und befeu­ert von den gro­ßen auch öffent­lich-recht­li­chen Fern­seh­an­stal­ten, der aller­dümms­te Eska­pis­mus, der der Maxi­me zu fol­gen hat, dass jene Bevöl­ke­rung nicht zu über­for­dern sei. Die vie­len sen­sa­tio­nel­len deut­schen Schau­spie­le­rin­nen und Schau­spie­ler haben des­halb nicht etwa in ers­ter Linie gut zu sein. Gin­ge es danach, wäre Vero­ni­ca Fer­res kein Star, sie wür­den auf einer Brettl­büh­ne her­um­knö­deln. Deut­sche Schau­spie­le­rin­nen und Schau­spie­ler haben, zumal ihnen fast immer zu Unrecht uner­mess­li­cher mate­ri­el­ler Reich­tum ange­dich­tet wird („die Rei­chen und die Schö­nen“), zu parie­ren.

Die Hal­tung dahin­ter lau­tet: Bring mir Freu­de, oder ich bring dich um.

Wie konn­te es jetzt pas­sie­ren, dass ich von den durch­weg posi­ti­ven Tex­ten von Dave Grohl und Anke Grö­ner so schnell bei die­sem kul­tur­pes­si­mis­ti­schen Wut­an­fall von Alex­an­der Gor­kow gelan­det bin? Es sind wohl irgend­wie zwei Sei­ten einer Medail­le, der Spaß an der Kunst und deren mit­un­ter uner­freu­li­che Rezep­ti­on auf der ande­ren Sei­te.

Da ich posi­tiv enden möch­te, hier ein­fach noch schnell ein Song einer mei­ner abso­lu­ten Lieb­lings­bands, des­sen Bot­schaft mei­ne lin­ke Wade ziert!

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Musik

Babies Of The 80’s

Am Abend des 24. März 2009 tra­ten in Ham­burg Franz Fer­di­nand und Man­do Diao auf und damit gegen­ein­an­der an.

Einen der­art Ziel­grup­pen­zer­fet­zen­den Abend hat Köln am 15. Juni 2010 nicht ganz erlebt – aber es war ver­dammt nah dran: Wäh­rend im Luxor die wie­der­ver­ein­ten Get Up Kids auf­spiel­ten, leg­ten The Hold Ste­ady im Gebäu­de 9 los.

Bei bei­den Kon­zer­ten gleich­zei­tig war ver­mut­lich nie­mand, aber dies hier wäre nicht das Dienst­leis­tungs­blog Cof­fee And TV, wenn wir dafür nicht eine Lösung gefun­den hät­ten:

Kon­zert­be­richt The Get Up Kids
Kon­zert­be­richt The Hold Ste­ady

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Musik

Gesammelte Platten April 2010

Die­ser Ein­trag ist Teil 4 von bis­her 8 in der Serie Gesam­mel­te Plat­ten

Blunt Mecha­nic – World Record
Man soll ja Plat­ten nicht nur auf­grund ihrer Cover beur­tei­len, aber: Gott, ist das nied­lich! Ähem … Das ist also das Ein-Mann-Pro­jekt von Ben Bar­nett, der neue US-Import auf Grand Hotel van Cleef. Wobei es schon ein biss­chen über­ra­schend ist, dass das Album von 2009 ist – vom Sound her könn­te es auch bereits 15 Jah­re alt sein und der Hoch­zeit von Pave­ment, Lemon­heads, Weezer und They Might Be Giants ent­stam­men. Unauf­ge­reg­ter ame­ri­ka­ni­scher Indie­rock eben. Alles schep­pert und rauscht ein biss­chen, aber genau die­ses etwas Schrä­ge macht das Album so sym­pa­thisch. (LH, Rezen­si­ons­exem­plar)

Bro­ken Social Sce­ne – For­gi­ve­ness Rock Record
Wie erklärt man das jetzt? Die­se Band war da, als mir etwas abhan­den kam. Wie beschreibt man jetzt die­ses Musi­ker­kol­lek­tiv aus Kana­da, das Feist, Emi­ly Hai­nes und Wahn­sinn­s­al­ben und Sound­tracks her­vor­ge­bracht hat?
Und was sagt man dann über die­ses neue Album „For­gi­ve­ness Rock Record“?
Ein Ver­such. Man ist ja vie­les gewöhnt bei den Bro­ken Social Sce­n­es­ters, es gibt da Alben von Ihnen, die rein Instru­men­tal sind und einen weg­bla­sen, dann kom­men Alben, bei denen die Lyrics allei­ne einen umhau­en, und dann fängt die neue Plat­te mit „World Sick“ an und dann passiert’s: Alles fließt zusam­men – Melo­die, Text, Arran­ge­ment und Gesang und man ist mit­ten­drin, in der Bro­ken Social Sce­ne, die bei die­sem Album alle ihre Sub­kul­tu­ren zum bes­ten ver­schmol­zen haben. Sieb­zi­ger­jah­re-Tau­mel­rock und Waber­syn­thie­or­gel­parts, Strei­cher und Key­boards – fast jeder Song ist eine klei­ne Hym­ne für sich allein. Und wer hät­te nach „You For­get It In Peo­p­le“ gedacht, dass die Bro­ken Social Sce­ne nicht in ihre Ein­zel­tei­le zer­springt, son­dern im Kol­lek­tiv so ein Album raus­bringt?
Jeden­falls bin ich mir sicher, dass die­ses mal bei die­sem Alben auch eini­ge noch nicht gewuss­te Lücken ihre Bro­ken-Socia- Sce­ne-Fül­lung erhal­ten.
High­lights: Kann ich jeden Song hier hin schrei­ben? Wenn ich dann doch aus­wäh­len muss: World Sick, Art House Direc­tor und Me In The Base­ment. (AK)

Jakob Dylan – Women And Coun­try
Offi­zi­ell lie­gen die Wall­flowers nur auf Eis, aber so rich­tig wür­de es mich nicht stö­ren, wenn Jakob Dylan sei­ne Haupt­band nicht mehr wie­der­auf­er­ste­hen lie­ße – die hat­ten zwar die Hits und die grö­ße­ren Pop­songs, aber seit Dylan solo unter­wegs ist, hat er noch ein­mal einen gro­ßen Sprung als Musi­ker gemacht. Nach der völ­lig redu­zier­ten Rick-Rubin-Pro­duk­ti­on auf „See­ing Things“ sorgt dies­mal T‑Bone Bur­nett für einen vol­le­ren Süd­staa­ten­sound. Neko Case und Kel­ly Hogan sind als Back­ground-Sän­ge­rin mit dabei und ver­lei­hen den düs­ter vor sich hin­stap­fen­den Songs damit noch eine ganz eige­ne Note. In den Tex­ten geht es um apo­ka­lyp­ti­sche Bil­der und Fins­ter­nis, aber drun­ter macht es Jakob Dylan ja seit Jah­ren schon nicht mehr. Man kann die­ses Album kaum hören, ohne vor dem geis­ti­gen Auge die Step­pen­läu­fer in der Abend­son­ne im Staub tan­zen zu sehen. In sei­ner ver­meint­lich stoi­schen Ruhe liegt eine unge­heu­re Kraft, die einen fest­hält und run­ter­zieht – nur damit die Musik einen im nächs­ten Moment sanft über die Din­ge hebt. Groß­ar­ti­ge Auf­trit­te von Dylan und sei­ner Begleit­band auch bei NPR und Day­trot­ter. (LH, Rezen­si­ons­exem­plar)

The Hold Ste­ady – Hea­ven Is When­ever
Jah­re­lang waren The Hold Ste­ady an mir vor­bei­ge­rauscht, dann tra­fen sich mich mit „Stay Posi­ti­ve“ mit vol­ler Wucht und ich muss­te alle Alben haben. Jetzt also der ers­te Album­re­lease als Fan und die­se ganz beson­de­re Mischung aus Vor­freu­de und Angst vor Ent­täu­schung – zumal Key­boar­der Franz Nico­lay die Band ja gera­de erst ver­las­sen hat­te. Der Ope­ner „The Sweet Part Of The City“ beginnt schlep­pend und mit slide gui­tars und lässt mich etwas rat­los zurück. Aber dann: „Soft In The Cen­ter“ mit einem Refrain, der gleich­zei­tig die Arme aus­brei­tet und um einen schlingt (ver­su­chen Sie das mal als Mensch!); „The Weeken­ders“ mit ganz vie­len „Woooo-hoooo“-Chören und U2-mäßi­gen Stro­phen; in der ers­ten Sin­gle „Hur­ri­ca­ne J“ klafft die Sche­re zwi­schen eupho­ri­scher Musik und resi­gnier­tem Text – das Album läuft und es läuft rund. Die Lyrics sind wie­der vol­ler Par­ty-Beschrei­bun­gen und Selbst­zi­ta­te (und eini­ger wun­der­schön wind­schie­fer Lie­bes­er­klä­run­gen), die Musik vol­ler Ener­gie. „Hea­ven Is When­ever“ braucht ein paar Anläu­fe und es ist sicher nicht das bes­te Hold-Ste­ady-Album (das ist „Boys And Girls In Ame­ri­ca“), aber es gibt kei­nen Grund zur Ent­täu­schung. (LH)

Sophie Hun­ger – 1983
Ein wil­des Kind. Eine wider­spens­ti­ge Frau. Feuil­le­ton­lieb­ling und eine der­je­ni­gen, die man auch wirk­lich als „Künst­le­rin“ bezei­chenen kann. Über­all auf der Welt auf­ge­wach­sen, Enke­lin von Schwei­zer Urvä­tern, eigent­lich nicht kate­go­ri­sier­bar. Am aller­wich­tis­ten aber ist, dass sie eine wahn­sin­nig begab­te Musi­ke­rin ist. Irgend­wo zwi­schen Jazz, Folk­lo­re, Pop. Uni­ver­sal­ta­lent. Uni­ver­sal­mu­sik.
Wer Inter­views mit ihr sieht, sieht einen sehr eigen­wil­li­gen Men­schen. Sophie Hun­ger ist sehr grad­li­nig, was ihre Aus­sa­gen betrifft, was man bei ihr eigent­lich eher nicht erwar­tet. Sie ist schwer greif­bar. Fra­gen in Inter­views wer­den seziert und auf den Punkt gebracht. Die Tex­te sind Mosai­ke oder eher Emo­tio­nen die man dann beim Hören spürt. Und man ver­gisst manch­mal bei all der Ernst­haf­tig­keit, wie viel Spaß ihr die Musik bringt. Viel­leicht ist das ihr Über­ra­schungs­mo­ment.
Das zwei­te Album „1983“ ist ein Wech­sel­bad der Hör­ge­füh­le. Heiß, kalt, laut und lei­se. Aber immer mit­ten ins Herz oder ins Ohr. Ihr wisst schon, das Organ, das Musik als ers­tes fühlt. Schon ihr Debüt­al­bum „Mon­day Ghost“ war ver­zau­bernd. Zumin­dest bin ich dem Zau­ber der Sophie Hun­ger erle­gen gewe­sen und bin es immer noch.
Viel­leicht passt Zau­ber sehr gut zu die­sem Album. Ein wenig exzen­trisch, ein wenig eigen­wil­lig aber eben Sophie Hun­ger pur.
High­lights: „Lea­ve Me With The Mon­keys“, „Your Per­so­nal Reli­gi­on“ und „Invin­ci­b­le“: „Some­whe­re in the Hin­du­kush /​ Lives the grea­test poet /​ Scribb­ling sings into the dust /​ And we will never know it“. (AK)

Jón­si – Go
Noch so ein Band­lea­der mit Solo­al­bum: Wäh­rend Sigur Rós ger­ne mal etwas län­ger brau­chen, nutzt deren Sän­ger die aktu­el­le Krea­tiv- und Baby­pau­se, um ein Album nach dem ande­ren raus­zu­hau­en. Letz­tes Jahr das Pro­jekt „Rice­boy Sleeps“, jetzt also ein offi­zi­el­les Solo­al­bum. Schon wegen Jón Þór Bir­gis­sons cha­rak­te­ris­ti­scher Stim­me erin­nert das natür­lich immer wie­der an die Haupt­band, aber dann klingt es doch wie­der ganz anders. Songs wie „Ani­mal Arith­me­tic“ oder „Boy Lili­koi“ sind zu Musik geron­ne­ne Eupho­rie, aber auch Melan­cho­li­ker bekom­men genug Stoff. Der Span­nungs­bo­gen fällt nach den … äh: Par­ty­songs (auf sol­che Par­ties wür­de ich wirk­lich, wirk­lich ger­ne mal ein­ge­la­den wer­den) am Anfang kon­ti­nu­ier­lich ab, bis man am Ende bei „Hen­gilás“ die Ster­ne auf­ge­hen sieht. Ach ja: Das Wort „Schwe­re­lo­sig­keit“ soll­te auch noch in die­ser Rezen­si­on ste­hen. Tut’s ja jetzt. Toll! (LH)

The Radio Dept. – Clinging To A Sche­me
Wir befin­den uns in einem Land, in dem die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung im Süden des Lan­des lebt, Inte­gra­ti­on eigent­lich Stan­dard ist und seit Jah­ren Musik in die Welt kata­pul­tiert, das man allein beim Wort­as­so­zia­ti­ons­spiel jedes Stadt-Land-Fluss-Spiel gewin­nen könn­te. Hier Euer 10-Punk­te-Bonus für R – The Radio Dept.
Die Her­ren Radio Dept. kom­men aus Lund, bestehen aus drei Mit­glie­dern, haben seit Grün­dung 1995 ihre Beset­zung ein paar mal gewech­selt und schwim­men zwi­schen Dream Pop, Show­ga­ze und dem Indie­o­zan hin und her. Ich kann­te die Her­ren nicht, bin durch glück­li­chen Recher­che­zu­fall drü­ber gestol­pert und beim Hören hän­gen geblie­ben.
Eigen­wil­lig ist ja immer gut. Eigen­wil­lig­keit über­schrei­tet Gen­re­gren­zen. The Radio Dept. haben auf ihrem drit­ten Album für mich als Erst­hör­ling alles rich­tig gemacht. Schlaue Melo­dien, ein wenig schwe­di­sche Melan­cho­lie und Talent für Kom­po­si­ti­on. An den rich­ti­gen Ecken bleibt man hän­gen und auch sonst haben sie ihr Ziel für mei­nen Geheim­tipp erreicht.
High­lights in no par­ti­cu­lar order: „You Stop­ped Making Sen­se“, „Never Fol­low Suit“ und „Heaven’s On Fire“. (AK)

Mit­ar­beit an die­ser Aus­ga­be:
AK: Anni­ka Krü­ger
LH: Lukas Hein­ser

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Positive Jam

Ich dach­te ja schon, es wäre die Krö­nung in Sachen Hel­den-Kol­la­bo­ra­ti­on, dass Ben Folds und Nick Horn­by gemein­sam an einem Album arbei­ten (Cof­fee And TV berich­te­te).

Jetzt lese ich, dass Craig Finn, der Sän­ger der von mir hoch­ver­ehr­ten The Hold Ste­ady, gemein­sam mit dem lang­jäh­ri­gen David-Let­ter­man-Autoren Tom Ruprecht an einer Kino­ad­ap­ti­on von Chuck Klos­ter­mans „Far­go Rock City“ arbei­tet.

Zwar kann ich mir im Moment noch nicht ganz vor­stel­len, wie aus einem Buch, das zu wei­ten Tei­len aus dem Theo­re­ti­sie­ren von Hea­vy Metal, Hair Metal und Hard Rock besteht, eine Film­ko­mö­die wer­den könn­te, aber ich ver­traue den bei­den Autoren, die den Film zusam­men mit Klos­ter­man pro­du­zie­ren, da voll. Außer­dem wer­den hier­zu­lan­de alber­ne Quatsch-Rat­ge­ber wie „War­um Män­ner nicht zuhö­ren und Frau­en schlecht ein­par­ken“ zu Kino­pro­duk­tio­nen geprü­gelt, da ist eine Coming-of-age-Geschich­te im länd­li­chen North Dako­ta mit ganz viel Musik sicher der nahe­lie­gen­de­re Stoff.

Aber was für pop­kul­tu­rel­le Mas­hups mit mei­nen per­sön­li­chen Hel­den fin­den als nächs­tes statt? Neh­men Thees Uhl­mann und Max Goldt ein gemein­sa­mes Album auf? Ver­tont Fran Hea­ly die „Cal­vin & Hobbes“-Comics von Bill Wat­ter­son? Nimmt sich Ben Gib­bard ein Buch von Jack Kerouac vor?

Oh.

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Musik

A trotter a day …

Mit Geheim­tipps ist es ja immer so eine Sache: Ein Teil der Leu­te, denen man davon berich­tet, guckt einen mit­lei­dig an und sagt „aber das ist doch soooooo alt“ (im Inter­net wird das meist weit weni­ger freund­lich aus­ge­drückt), wäh­rend einem ein ande­rer Teil der Leu­te (nicht sel­ten die, von denen man gedacht hat­te, sie wür­den „aaaalt“ sagen) dank­bar um den Hals fällt. Oder sowas in der Art.

Weil eine Per­son der zwei­ten Grup­pe zehn der ers­ten über­tönt, möch­te ich Ihnen heu­te Day­trot­ter ans Herz legen.

Das ist ein Web­site, auf der man sich exklu­si­ve Auf­nah­men ver­schie­dens­ter Bands und Künst­ler anhö­ren kann. Oder (nach einer kur­zen Anmel­dung) her­un­ter­la­den. Kos­ten­los. Legal.

So ziem­lich alles, was im (meist nord­ame­ri­ka­ni­schen) Indie-Bereich Rang und Namen hat, war schon min­des­tens ein­mal im Day­trot­ter-Stu­dio: Death Cab For Cutie, Bon Iver, The Hold Ste­ady, Rogue Wave, Ron Sexs­mith, The Ting Tings, Vam­pi­re Weekend, Ingrid Micha­el­son, Fleet Foxes oder The Acorn z.B., die ich Ihnen schon drin­gend emp­feh­len woll­te, seit ich sie im Vor­pro­gramm von Bon Iver gese­hen habe.

Auf der Sei­te kann man also wun­der­bar neue Musik ent­de­cken (und anders als bei MySpace, You­Tube oder last.fm auch für unter­wegs her­un­ter­la­den), wäh­rend man sich als Fan über die ein­ma­li­gen Auf­nah­men freut, deren Arran­ge­ments mit­un­ter von den Album­ver­sio­nen abwei­chen. Man­che Künst­ler spie­len auch Cover­ver­sio­nen. Aber Vor­sicht: Wenn man ein­mal ins Archiv hin­ab­ge­stie­gen ist, kann es schon mal sein, dass man dort meh­re­re Stun­den ver­bringt.

So etwas ähn­li­ches nur ohne Down­loads (da hät­te ver­mut­lich auch die GEMA wie­der was gegen) und mit klei­ne­rem Archiv gibt es übri­gens auch in Deutsch­land: bei Rote Rau­pe.