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Musik

Songs des Jahres 2021

Und ein sozialkritisches Schlagzeugsolo später ist es soweit: Making disco a threat again!

Ich habe wieder ein bisschen länger gebraucht, aber ich möchte auf keinen Fall sein wie Spotify und Musikzeitschriften, die schon zwischen Oktober und Nikolaus auf ein Jahr zurückschauen. Sowas braucht ja auch Zeit und muss sich erst mal setzen — und dann muss man sich selber erst mal setzen, Songs in eine Reihenfolge bringen, die einem in dieser einen Millisekunde die richtige erscheint, obwohl es natürlich völlig absurd ist, Musik in irgendeine Rangliste zu bringen.

Jedenfalls: Hier sind wir! Und hier sind sie: Meine Top-25-Songs eines immer noch etwas mühsamen Jahres!

25. Chicago Sinfonietta – Dances In The Canebrakes (Arr. W.G. Still for Orchestra) : No. 3, Silk Hat And Walking Cane
Ich habe beschlossen, dass ich die Regeln für meine Liste selbst bestimmen kann, also gehen auch Klassik-Songs! „Dances In The Canebrakes“ ist eigentlich ein Klavierwerk der Schwarzen US-Komponistin Florence Price (1887-1953), das hier für Orchester arrangiert wurde und auf dem Album „Project W: Works by Diverse Women Composers“ erschien — und zwar schon 2019. Da mir dieser Umstand aber genau gerade eben erst aufgefallen ist und mich das Stück bis dahin so sehr durch mein Jahr 2021 begleitet hatte, dass ich es zwischenzeitlich als theme in dem Film, der mein Leben ist, wahrgenommen habe, ist mir das alles egal! Es ist ein großartiges Werk mit einem beeindruckenden Hintergrund, also steigen wir einfach hiermit ein!

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24. Aaron Lee Tasjan – Up All Night
Auch wenn ich es nicht für möglich gehalten hätte, gab es 2021 doch wieder ein paar Abende, an denen ich angemessen alkoholisiert den Heimweg aus der Innenstadt angetreten habe. Es war stets der perfekte Umstand, um diesen Queer-Folk-Power-Pop-Song in einer Lautstärke zu hören, die einem Apple Health dann hinterher wieder vorwurfsvoll um die Ohren haut.

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23. Adam Levine – Good Mood
Ich sage ja immer, dass es keine peinlichen Lieblingslieder geben kann, aber der Sänger von Maroon 5, der den Titelsong zum „Paw Patrol“-Kinofilm singt — das ist schon eine schwere Hypothek, die man sich selbst gegenüber erst mal rechtfertigen muss!
Tatsächlich hatte ich zuerst den Refrain als Werbepausen-Einleitungsmusik bei Fußball-Übertragungen gehört und sofort geliebt, weil ich seine maximale New-Radicals-Haftigkeit mochte. In Wahrheit hat der Songs nichts mit den New Radicals zu tun (anders als die Songs, die Adam Levine in dem sehr charmanten Film „Begin Again“ und dem dazugehörigen Soundtrack singt), aber das war dann auch schon egal. Keinen Song habe ich 2021 auf dem Fahrrad im Fitnessstudio öfter gehört als „Good Mood“ und wenn Ihr bei diesem Groove nicht mit hochspezialisierten Hundewelpen durch die Wohnung tanzen wollt, kann ich Euch auch nicht helfen!

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Musik Leben Gesellschaft

Another Decade Under The Influence: 2010

Dieser Eintrag ist Teil 1 von bisher 10 in der Serie Another Decade Under The Influence

Heute in zehn Wochen ist Silvester — und mit dem Jahr endet auch das Jahrzehnt. Vor zehn Jahren habe ich das zum Anlass genommen, hier im Blog eine zehnteilige Serie zu veröffentlichen, in der ich sehr, sehr länglich auf jedes einzelne Jahr, seine popkulturellen und persönlichen Momente zurückgeblickt habe. Ich hab nicht mehr so viel Zeit und Nerven, 10.000 Zeichen zu verballern, Ihr nicht mehr die Zeit und Aufmerksamkeitsspanne, das zu konsumieren — also gibt’s für jedes Jahr ein Foto und ein paar Stichworte. Say hello to #anotherdecadeundertheinfluence!

2010. Meine erste Wohnung, ganz für mich allein. Eine unglaublich aufwendige Renovierung (mein Papa hat mal eben neuen Estrich gegossen, bevor wir den Fußboden verlegt haben) und das Gefühl, endlich wieder ein Zuhause zu haben. So viele neue Freund*innen, so viele gute Gespräche, so viele Abende (und Nächte) im Freibeuter (wo ich nur in diesem Jahr, grob überschlagen, einen vierstelligen Betrag zurückgelassen, aber immerhin mehrere Musikquizze gewonnen habe). Zwei Winter wie auf Hoth und ein constructive summer. Ein legendäres Haldern-Festival, eine kaum minder legendäre Geburtstagsfeier, bei der die Leute auf den Tischen getanzt haben, bevor sie umfielen. (Die Tische. Und die Leute. Natürlich alles im Freibeuter.) Ein Kulturhauptstadtjahr mit gesperrter A40 und Loveparade-Katastrophe. Knutschen und Rauchen. Meine ersten Einsätze als DJ (die Leute ham getanzt, die Leute ham geschrien). Dienstreisen nach Oslo (mit Stefan Niggemeier und Lena Meyer-Landrut), London (mit meinem Onkel Thomas) und Rom. Mein neuer Job als BILDblog-Chefredakteur mit Auftritten im Fernsehen und Radio. Ein Jahr mit durchgetretenem Gaspedal (und das, obwohl ich, hahaha, vermutlich nicht mehr als 300 Kilometer mit dem Auto zurückgelegt habe) und exquisitem Soundtrack. And my head told my heart / Let love grow / But my heart told my head / This time no / This time no. You’re a beautiful girl and you’re a pretty good waitress / But Jesse I don’t think I’m the guy. Hallo, ich bin Lukas, 27, ich komme aus Bochum und das ist mein sogenanntes Leben. Ein Jahr, in dem selbst die leisen Momente laut waren. Da ist es gut, wenn man einen Platz hat, an den man sich zurückziehen kann (zum Schlafen und zum Arbeiten, denn was hab ich da wohl sonst noch gemacht?), und an dem einen keine Mitbewohner stören. Endlich wieder ein Zuhause, endlich angekommen und sofort aufgebrochen ins Leben.

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Diese Serie läuft parallel hier im Blog und auf Instagram.

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Musik

Everybody’s feelin’ warm and bright

Die Popkultur frisst ihre Eltern. Und Großeltern.

Beim Versuch, wirklich jeden Song, der zwischen 1963 …

Entschuldigung, ich höre gerade: es erwischt jetzt auch Werke aus dem fucking 19. Jahrhundert!

Ich komm noch mal rein!

Beim Versuch, wirklich jeden Song, der jemals geschrieben wurde, mit einem dem gleichen langweiligen Beat zu unterlegen und damit bei Spotify Millionen ein paar Mark zu verdienen, weil Ihr jungen Leute offenbar nur noch Songs hören wollt, wenn sie alle den gleichen Beat haben, hat es jetzt einen weiteren Hit meiner Jugend erwischt: “Dancing In The Moonlight”.

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Das … äh … Beeindruckendste an dieser Version ist gar nicht, dass man den Groove aus dem Hauptmotiv rausprügeln und durch einen anderen, zum hüftsteifen Stolperbeat passenden, ersetzen kann, – Nein! – das Beeindruckendste ist, dass es sich bei der 2000er Version von “Dancing In The Moonlight”, dem ersten, größten und (zumindest außerhalb Großbritanniens) traurigerweise auch einzigem Hit von Toploader (wir sprachen bereits darüber), auch schon um eine Coverversion handelte.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Coverversionen und Remixe sind unabdingbarer Bestandteil der Popkultur. Selbst die Beatles spielten zu Beginn ihrer Karriere andererleuts Songs nach, Matt Monros Version von “Yesterday” wurde noch vor dem Beatles-Original als Single veröffentlicht. Es spricht ja nichts dagegen, einen Song alle 20 bis 30 Jahre einer neuen Generation zugänglich zu machen.

Diese Verfahren sind ja viel älter als die Popkultur selbst: Seit der Antike bedienten sich Kulturschaffende bekannter (oder nicht mehr ganz so bekannter) Materialien, um daraus Ähnliches, Anderes und Neues zu schaffen. Immer wieder versuchten Maler, Schriftsteller und Musiker (die meiste Zeit über leider tatsächlich nur Männer), von der Bekanntheit und dem Erfolg eines bestehenden Werkes zu partizipieren und ihm ihren eigenen Stempel aufzudrücken.

Die Betonung liegt hier auf “eigen”, denn was wir in den letzten Jahren miterleben müssen, ist die Fließbandabfertigung mit einem Stempel nach der Deutschen Industrienorm im Bundesamt für Elektronische Klangerzeugung (Abteilungsleitung: Schulz, Robin): immer zwischen 120 und 125 Beats pro Minute, immer der gleiche Rhythmus mit Bassdrum auf 1 und 3 und Snare (oder Handclap) auf 2 und 4 und vielleicht ein paar mehr oder weniger tropischen Anklängen drumherum. Junge Menschen hören das offenbar zum Entspannen, mich macht es so rasend wie vier Stunden Smooth Jazz aus den Lautsprechern eines Hotelfrühstückraums mit der Heimeligkeit eines Autohauses (aber gut: mein liebstes Lied zum Runterkommen ist “Destroy Everything” von Hatebreed).

Das Elend lässt sich ziemlich gut zurückverfolgen zum Wankelmut-Remix von Asaf Avidans “Reckoning Song”, dem wir lustigerweise auch Julia Engelmanns “Eines Tages, Baby!” verdanken, weswegen man seine verheerende popkulturelle Tragweite kaum hoch genug bewerten kann.

Wenn ich, weil ich ansonsten keinen Kontakt zu dieser Musik hätte, aber auf dem Laufenden bleiben möchte, die Liste der meist gespielten Lieder auf Spotify (und seit Neuestem auch die offiziellen Charts, die inzwischen ganz entscheidend von Streams und nicht mehr wirklich von Verkäufen bestimmt werden) durchhöre, fühle ich mich zunehmend wie mein Vater, wenn der mir früher erklärte, alle Lieder einer Band, die ich mochte, klängen gleich. (Was mein Großvater sicherlich auch damals schon über die Rolling Stones gesagt hat — damals zu recht, natürlich!) Wenn ich das Lied höre, kann ich kann die geometrischen Formen und bunten Farben vom Plattencover (bzw. aus dem Lyric-Video) schon sehen, und umgekehrt.

Ich wünsche den jungen Menschen von Herzen ihr eigenes Ding und ihre eigene Subkultur, aber durch die gleichzeitige weltweite Verfügbarkeit von allem ist es leider wie mit den Instagram-Streams all dieser Individualisten auf den vielen Musikfestivals: irgendwie ist es am Ende alles gleich.

So. Genug Kulturpessimismus für heute: Bleiben Sie neugierig!

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Musik Literatur

And through it all

Früher waren Leute berühmt, weil sie etwas (z.B. malen, singen, schreiben, Kriege gewinnen) besonders gut konnten. Heute sind sie berühmt, weil sie das Eine gut konnten und jetzt etwas ganz anderes machen (z.B. Fernsehköche, Lena Meyer-Landrut, Donald Trump — wobei: was kann der schon?). Benjamin von Stuckrad-Barre war vor fast 20 Jahren der gefeierte Jung- bzw. Popliterat (“Popjungliterat” ging wohl irgendwie nicht), vor zwei Jahren der geläuterte Held seiner Autobiographie und ist jetzt binnen weniger Monate zum König von Instagram geworden. Gut: Über 18.000 Follower lachen echte Influencer natürlich, aber was er da in kurzer Zeit für eine (uh, ah) Community aufgebaut hat, ist schon beeindruckend. Erwachsene Leute, die sich weigern würden, einer Partei oder auch nur einem Sportverein beizutreten, filmen sich dabei, wie sie den (wirklich extrem catchygen) Titel seines neuen Buchs in die Kamera sagen: “Ich glaub, mir geht’s nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen — Remix 3”.

Und so ist dieser Abend hier in der Bochumer Zeche ein bisschen wie die “Glow” im Kleinen. Für Leute, die mehr Bücher als Makeup zuhause haben. Erstmal den Backdrop (auf dem dann doch nur Platz für “Remix 3” war) bei Insta posten! In der Reihe hinter mir sagen Männer den Satz, den Männer im Jahr 2018 so sagen, wenn sie das mit der Rockstar-Karriere wirklich aufgegeben haben und die E-Gitarren als Deko im Pinterest-Wohnzimmer verstauben: “Lass mal ‘nen Podcast zusammen machen!”

Um kurz nach Acht geht das Saallicht aus, ein popkulturelles Maximal-Mashup erklingt und dann, als Aufmarschmusik: “The Heavy Entertainment Show” von Robbie Williams. Das lief aber beim letzten Mal vor zwei Jahren auch schon! Der Popliterat ist von Anfang an voll da und muss erstmal umständlich eine Noel-Gallagher-Fahne am Tisch befestigen (“Es ist halt schon einfacher, wenn man Joko und Klaas ist!”). Die hat er beim Konzert in Hamburg gekauft, von dem er ausführlich via Instagram-Story berichtet hatte — und ich lag im Bett, sah das auf meinem iPhone und fühlte mich ein bisschen, als wäre ich selbst dabei gewesen.

Das Wort “Lesung” hat es bei Stuckrad-Barre noch nie so richtig getroffen, fast wichtiger als die Texte ist das Drumherum, das Rumhibbeln und das Abschweifen. Als er dann trotzdem liest, steigt er direkt mit dem stärksten Text des Buches ein, einem Porträt über Jürgen Fliege, das ich schon bei Erstveröffentlichung in der “Welt” gelesen und gefeiert, danach aber für sechseinhalb Jahre vergessen hatte. Es ist ein Text der Sorte “Unsagbar gut, muss ich jetzt täglich drei Mal lesen, um mir zu merken, wie man eigentlich schreibt!”

Überhaupt: “Remix” (das eine wilde Sammlung von zuvor veröffentlichten Texten enthielt und damals gegen den ausdrücklichen Wunsch des Autors nicht “Remix 1” hieß) war im Sommer vor 18 Jahren das Buch, bei dem es bei mir “Klick” gemacht hat, und nach dem ich angefangen habe, eigene, sehr meinungsfreudige Texte zu schreiben und ins Internet zu stellen (wo sie hoffentlich weniger Leser*innen hatten als ich heute Follower auf Instagram). An “Festwertspeicher der Kontrollgesellschaft: Remix 2” kann ich mich kaum erinnern (und dem Autor geht es da vermutlich genauso), die Brillanz kam dann erst wieder mit “Auch Deutsche unter den Opfern” zum Vorschein.

All diesen Büchern ist gemein, dass es sich um Textsammlungen handelt, die Themen und vor allem die Qualität also etwas schwanken. Nach dem grandiosen Besuch beim TV-Pfarrer folgt also in der Live-Darbietung ein Text darüber, wie sich Stuckrad und seine Freundin Partnertattoos stechen lassen, weil sie so verliebt sind. Das ist im Buch schon einer der schwächsten Texte (die Faustregel, wonach glückliche Künstler keine gute Kunst erschaffen können, hat leider weiterhin Bestand), wird in der Gegenwart aber auch nur bedingt dadurch aufgewertet, dass Beziehung und Tattoos inzwischen schon wieder Geschichte sind.

Zur Auflockerung sollen danach alle, die auch bei Instagram sind, auf die Bühne, damit er uns fotografieren und hinterher taggen kann. Wir kommen der Aufforderung brav nach, in diesem Moment ist völlig unklar, ob das hier die Gründungsveranstaltung einer neuen Sekte ist und wie viel das noch (wenn überhaupt) mit Ironie zu tun hat. Wir stellen uns also zum ersten Klassenfoto seit 15, 20 Jahren auf und nachdem wir endlich richtig stehen und Stuckrad-Barre sein Foto gemacht hat, bedankt er sich so überschwänglich, dass langsam klar wird: der meint das ernst. Er macht sich ständig über diesen Instagram-Kram und seine Rolle darin lustig, aber er genießt es wirklich, diese Stimmung in die echte Welt zu holen: “Auf Instagram gibt’s keine Nazis, da gibt’s nur Herzen!” Hach.

Die Idee, im Frühjahr 2018 einen Text über die Fußball-WM 2010 zu lesen, ist dann geradezu absurd, aber drumherum kommen wieder so viele Ausschweifungen, dass Jogi Löws babyblauer Babykashmir-Pullovera jetzt wirklich kaum noch was zur Sache tut. Dafür gibt es Geschichten aus dem Chateau Marmont, “in dem ich aus Image-Gründen lebe — zumindest so lange, bis die ganze Kohle aufgebraucht ist und ich wieder auf Lesereise gehen muss”, und eine Diskussion mit einer Zuschauerin über Tocotronic (inkl. Hörprobe und Ausführungen darüber, dass man als Fan die Schuld für das Nicht-mehr-Verstehen eines Idols bei sich selbst suchen sollte). Als Zugabe, für die er aber gar nicht erst von der Bühne geht, dann den wiederum sehr guten Text über ein Madonna-Konzert, bei dem das mit dem ständigen “Remix” jetzt endlich mal Sinn ergibt (oder so ähnlich), weil Stuckrad den Namen “Madonna” (beinahe) konsequent durch “Bettina Böttinger” ersetzt.

Ein Lied habe er noch für uns, sagt er schließlich und aus der augenzwinkernden Popkulturreferenz wird plötzlich Ernst, denn vom Band (sagt man noch “Band”?) läuft jetzt plötzlich eine Live-Version von Robbie Williams’ “Angels” und der Popliterat wird zum Sänger (und das nicht mal schlecht):

Das ist nun plötzlich no surface, all feeling: Anders als niedere Unterhaltungskünstler wie Jan Böhmermann es vielleicht machen würden, ist das hier keine Pose mit Fluchtmöglichkeit auf die Ironie-Ebene. Benjamin von Stuckrad-Barre meint das hier alles völlig ernst: Er singt ein Lied, das er liebt, und ist umgeben von Menschen, die sich freuen, hier zu sein. Um das jetzt doof zu finden, muss man entweder sehr kaltherzig sein oder mit Popkultur so gar nichts anfangen können (was aufs Selbe rauskommt).

Am Bücherstand dürfen wir uns alle selber auf dem Gruppenfoto markieren, der Autor signiert und posiert lange für Fotos, die natürlich alle auf Instagram landen. Falls es so etwas gibt, fühlt es sich an wie die denkbar positivste Version eines Klassentreffens. Auch wenn wir da alle natürlich eigentlich nie hingehen würden.

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Musik

Beim Heimwerken von den Esten lernen

Vielleicht erinnern Sie sich ja noch an den ESC 2011 in Düsseldorf und an die estnische Teilnehmerin:

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Getter Jaani hat in diesem Jahr einen Vertrag mit Universal Music Baltics unterschrieben und dieser nordeuropäische Außenposten der letzten größten Plattenfirma der Welt hat offenbar Größeres vor.

Die erste Veröffentlichung war im Sommer die Single “Something Good”, zu der es jetzt auch ein Video gibt:

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Ich mag den Song: Die Strophen versprechen ein bisschen mehr, als der Refrain dann einlösen kann, aber es klingt absolut zeitgemäß und nur ein bisschen wie ein Lied, das Taylor Swift und Selena Gomez dankend abgelehnt haben.

Das Video lässt mich allerdings etwas rätselnd zurück: Erleben die jungen Zuschauer überhaupt noch den Anfang des Songs, wenn davor erst mal 35 Sekunden nichts passiert? Ist dies das erste Musikvideo, dessen Storyboard ausschließlich aus dem Pinterest-Board “Altbauwohnung in 20 Minuten selbst sanieren, damit sie voll hygge aussieht” bestand? Sehen Musikvideos im Jahr 2017 wirklich aus wie Instagram-Versionen eines Werbespots für Bausparkassen? Und, apropos Werbespot: Getter Jaani hat offensichtlich einen Deal mit Nike — aber auch mit Chiquita? War der Sportartikelhersteller am Ende schlecht beraten, Turnschuhe für ein paar Hundert Euro geschickt zu haben, während der Bananen-Händler einfach nur durch den Umstand, dass man seine Kartons auch wahnsinnig gut für Umzüge zweckentfremden kann, fast die gleiche air time bekommt?