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Everybody’s feelin’ warm and bright

Die Popkultur frisst ihre Eltern. Und Großeltern.

Beim Versuch, wirklich jeden Song, der zwischen 1963 …

Entschuldigung, ich höre gerade: es erwischt jetzt auch Werke aus dem fucking 19. Jahrhundert!

Ich komm noch mal rein!

Beim Versuch, wirklich jeden Song, der jemals geschrieben wurde, mit einem dem gleichen langweiligen Beat zu unterlegen und damit bei Spotify Millionen ein paar Mark zu verdienen, weil Ihr jungen Leute offenbar nur noch Songs hören wollt, wenn sie alle den gleichen Beat haben, hat es jetzt einen weiteren Hit meiner Jugend erwischt: “Dancing In The Moonlight”.

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Das … äh … Beeindruckendste an dieser Version ist gar nicht, dass man den Groove aus dem Hauptmotiv rausprügeln und durch einen anderen, zum hüftsteifen Stolperbeat passenden, ersetzen kann, – Nein! – das Beeindruckendste ist, dass es sich bei der 2000er Version von “Dancing In The Moonlight”, dem ersten, größten und (zumindest außerhalb Großbritanniens) traurigerweise auch einzigem Hit von Toploader (wir sprachen bereits darüber), auch schon um eine Coverversion handelte.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Coverversionen und Remixe sind unabdingbarer Bestandteil der Popkultur. Selbst die Beatles spielten zu Beginn ihrer Karriere andererleuts Songs nach, Matt Monros Version von “Yesterday” wurde noch vor dem Beatles-Original als Single veröffentlicht. Es spricht ja nichts dagegen, einen Song alle 20 bis 30 Jahre einer neuen Generation zugänglich zu machen.

Diese Verfahren sind ja viel älter als die Popkultur selbst: Seit der Antike bedienten sich Kulturschaffende bekannter (oder nicht mehr ganz so bekannter) Materialien, um daraus Ähnliches, Anderes und Neues zu schaffen. Immer wieder versuchten Maler, Schriftsteller und Musiker (die meiste Zeit über leider tatsächlich nur Männer), von der Bekanntheit und dem Erfolg eines bestehenden Werkes zu partizipieren und ihm ihren eigenen Stempel aufzudrücken.

Die Betonung liegt hier auf “eigen”, denn was wir in den letzten Jahren miterleben müssen, ist die Fließbandabfertigung mit einem Stempel nach der Deutschen Industrienorm im Bundesamt für Elektronische Klangerzeugung (Abteilungsleitung: Schulz, Robin): immer zwischen 120 und 125 Beats pro Minute, immer der gleiche Rhythmus mit Bassdrum auf 1 und 3 und Snare (oder Handclap) auf 2 und 4 und vielleicht ein paar mehr oder weniger tropischen Anklängen drumherum. Junge Menschen hören das offenbar zum Entspannen, mich macht es so rasend wie vier Stunden Smooth Jazz aus den Lautsprechern eines Hotelfrühstückraums mit der Heimeligkeit eines Autohauses (aber gut: mein liebstes Lied zum Runterkommen ist “Destroy Everything” von Hatebreed).

Das Elend lässt sich ziemlich gut zurückverfolgen zum Wankelmut-Remix von Asaf Avidans “Reckoning Song”, dem wir lustigerweise auch Julia Engelmanns “Eines Tages, Baby!” verdanken, weswegen man seine verheerende popkulturelle Tragweite kaum hoch genug bewerten kann.

Wenn ich, weil ich ansonsten keinen Kontakt zu dieser Musik hätte, aber auf dem Laufenden bleiben möchte, die Liste der meist gespielten Lieder auf Spotify (und seit Neuestem auch die offiziellen Charts, die inzwischen ganz entscheidend von Streams und nicht mehr wirklich von Verkäufen bestimmt werden) durchhöre, fühle ich mich zunehmend wie mein Vater, wenn der mir früher erklärte, alle Lieder einer Band, die ich mochte, klängen gleich. (Was mein Großvater sicherlich auch damals schon über die Rolling Stones gesagt hat — damals zu recht, natürlich!) Wenn ich das Lied höre, kann ich kann die geometrischen Formen und bunten Farben vom Plattencover (bzw. aus dem Lyric-Video) schon sehen, und umgekehrt.

Ich wünsche den jungen Menschen von Herzen ihr eigenes Ding und ihre eigene Subkultur, aber durch die gleichzeitige weltweite Verfügbarkeit von allem ist es leider wie mit den Instagram-Streams all dieser Individualisten auf den vielen Musikfestivals: irgendwie ist es am Ende alles gleich.

So. Genug Kulturpessimismus für heute: Bleiben Sie neugierig!

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Song des Tages: Toploader – Dancing In The Moonlight

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Zum ersten Mal gehört: Irgendwann im Sommer 2000, als der Song im Radio rauf und runter lief.

Wer musiziert da? Eine Band aus Eastbourne, die damals vor allem im Vereinigten Königreich unfassbar erfolgreich, aber nie wirklich kredibel war. Die Band gibt’s übrigens wieder. Bei dem Song handelt es sich um ein Cover, das Original stammt von der amerikanischen Band King Harvest.

Warum gefällt mir das? Heute vor allem aus nostalgischen Gründen. Es errinnert mich an den Spätsommer und Herbst 2000, als ich mich an den Wochenenden abends mit meinen Freunden am Rhein getroffen habe. Dieses Lied lief damals ständig im Radio, auf Kassette oder MD (Mini Disc, das waren so kleine Plastikdinger, wo man Musik drauf aufnehmen konnte — keine Ahnung, was das sollte) und später auch auf CD, weil ich das Album zum Geburtstag bekam. Musik hatte damals noch eine viel längere Haltbarkeit und so haben mich “Dancing In The Moonlight” und “Onkas Big Moka” lange begleitet.

Der Song und das Video sind auch Dokumente einer Zeitenwende: Das hier sind, obwohl das Album im Jahr 2000 erschien, eindeutig noch die Neunziger. Die Produktion (Das Orgelsolo! Die Congas! Das Schlagzeug!) und der Look (Die Lederjacke! Die Koteletten! Sogar das verdammte Haus, in dem dieses Video spielt und in dem ich damals unbedingt wohnen wollte!) atmen noch voll den Geist von Cool Britannia, der hier allerdings schon deutlich angestaubt ist und schon beinahe ausschließlich als Zitat (nicht) funktioniert. Das waren Zeiten!

[Alle Songs des Tages]

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Autumnsongs

Als ich heute Morgen erwachte, war draußen Herbst. “Nun ja”, dachte ich, “das kann ja mal passieren!” Ich verwarf meine eigentlichen Blogpläne für heute, warf iTunes an und mich nebst Buch aufs Bett. Dann war mir aber doch für einen Moment langweilig und deshalb stelle ich jetzt hier exklusiv die Top Twenty meiner liebsten Herbst-Alben vor:

20. Manic Street Preachers – This Is My Truth Tell Me Yours (VÖ: 25. August 1998)
Überlebensgroßer Britpop des walisischen Trios. Jeder Song eine Hymne, jedes Streichinstrument eine Umarmung.
Definitiver Herbstsong: “The Everlasting”

19. The Smashing Pumpkins – Adore (VÖ: 2. Juni 1998)
Die unendliche Traurigkeit der zum Trio geschrumpften Pumpkins ging weiter. Billy Corgan spielt mit Drumcomputern rum und ist doch reduzierter denn je.
Definitiver Herbstsong: “Blank Page”

18. Dan Bern – New American Language (VÖ: 6. Mai 2002)
Amerikanischer Singer/Songwriter, der das exakte Mittelding zwischen Bob Dylan und Elvis Costello ist. Schade, dass das keiner kennt.
Definitiver Herbstsong: “Albuquerque Lullaby”

17. Get Cape. Wear Cape. Fly – The Chronicles Of A Bohemian Teenager (VÖ: 16. Februar 2007)
Der Junge mit der Gitarre und dem Drumcomputer aus Großbritannien. Muss sich eigentlich noch im kalendarischen Herbst beweisen, wird das aber sicher schaffen.
Definitiver Herbstsong: “Call Me Ishmael”

16. Toploader – Onka’s Big Moka (VÖ: 14. August 2000)
Das One Hit Wonder mit dem Bubblegum Radiopop. Trotzdem ist nicht nur das Albumcover wunderbar herbstlich, sondern auch die Musik.
Definitiver Herbstsong: “Only For A While”

15. Embrace – If You’ve Never Been (VÖ: 5. September 2001)
Die Britpop-Brüder, die nicht Oasis sind, mit ihrem eigentlich schwächsten Album. Trotzdem ein echter Herbst-Dauerbrenner mit einigen großen Melodien.
Definitiver Herbstsong: “Make It Last”

14. The Fray – How To Save A Life (VÖ: 27. Oktober 2006)
Collegerock auf dem Klavier, gemacht von vier überzeugten Christen aus Denver. Man muss schon einen Soft Spot für eine gewisse Menge Pathos haben, dann ist es aber großartig.
Definitiver Herbstsong: “Heaven Forbid”

13. Radiohead – Kid A (VÖ: 29. September 2000)
Das große, sperrige Meisterwerk der besten Band unserer Zeit. Unbeschreiblich und unbeschreiblich gut.
Definitiver Herbstsong: “How To Disappear Completely”

12. The Finn Brothers – Everyone Is Here (VÖ: 20. August 2004)
Neil und Tim Finn haben mit Split Enz und Crowded House beinahe im Alleingang die Musikgeschichte Neuseelands und Australien geschrieben. Als Finn Brothers schreiben sie daran weiter.
Definitiver Herbstsong: “Edible Flowers”

11. Kashmir – Zitilites (VÖ: 11. August 2003)
Die Wiederaufnahme von “Kid A” mit anderen, dänischen Mitteln. Kashmir machen alles richtig und sichern sich einen Platz in den Musikannalen, Kategorie: “Ständig übersehene Genies”.
Definitiver Herbstsong: “The Aftermath”

10. Maximilian Hecker – Infinite Love Songs (VÖ: 28. September 2001)
Sie können Falsettgesang und hoffnungslos romantische Texte nicht ausstehen? Dann werden Sie mit diesem Album nicht glücklich werden. Alle anderen schon.
Definitiver Herbstsong: “The Days Are Long And Filled With Pain”

09. The Cardigans – Long Gone Before Daylight (VÖ: 24. März 2003)
Mit diesem Folk-Album zeigten die Cardigans endgültig allen, dass sie kein Bubblegum Pop One Hit Wonder sind. Und wer vorher noch nicht in Nina Persson verliebt war, war es danach.
Definitiver Herbstsong: “You’re The Storm”

08. Death Cab For Cutie – Plans (VÖ: 29. August 2005)
Mit “O.C., California” und einem Majorlabel im Rücken eroberten DCFC endlich die Welt im Sturm. Wäre aber auch zu schade gewesen, wenn man dieses großartige Indiepop-Album übersehen hätte.
Definitiver Herbstsong: “Different Names For The Same Thing”

07. Muff Potter – Heute wird gewonnen, bitte (VÖ: 15. September 2003)
Nach Jahren des Übens und Fingerwundspielens an der Deutschpunk-Front waren Muff Potter bereit für ihr Meisterwerk. 14 Songs zwischen Bordsteinkante und Mond, die alles um einen herum vergessen machen.
Definitiver Herbstsong: “Das Ernte 23 Dankfest”

06. The Postal Service – Give Up (VÖ: 28. April 2003)
Death-Cab-Sänger Ben Gibbard und Dntel-Mastermind Jimmy Tamborello zeigen auf zehn Songs, dass sich Elektronik und Folksongs nicht ausschließen müssen – und die Welt von Indiedisco-DJs und Soundtrack-Kompilierern war hinfort nicht mehr die Selbe.
Definitiver Herbstsong: “The District Sleeps Alone Tonight”

05. Coldplay – Parachutes (VÖ: 21. Juli 2000)
Bevor sie Fußballstadien und Vorabendserien beschallten, waren Coldplay für einen Herbst die kleinen verhuschten Indienerds, die einen über unerfüllte Lieben und nasskalte Heimwege vom Schulsport hinwegtrösteten. We live in a beautiful world und everthing’s not lost.
Definitiver Herbstsong: “We Never Change”

04. Ben Folds – Rockin’ The Suburbs (VÖ: 11. September 2001)
Das erste Soloalbum nach dem Ende von Ben Folds Five, erschienen an dem Tag, nach dem nichts mehr so war wie zuvor. Großartige Songs voller Klaviere und Melancholie – und voller Witz und Ironie.
Definitiver Herbstsong: “Carrying Cathy”

03. Starsailor – Love Is Here (VÖ: 19. Oktober 2001)
Sie sollten die nächsten Coldplay werden, wenn nicht auch noch Jeff und Tim Buckley und möglicherweise Nick Drake – das konnte ja kaum klappen. Starsailor lieferten trotzdem ein unglaublich großartiges Album ab – und ließen Coldplay dann den Vortritt bei der Weltkarriere.
Definitiver Herbstsong: “Fever”

02. R.E.M. – Automatic For The People (VÖ: 1. Oktober 1992)
R.E.M. schafften den endgültigen Sprung vom Geheimtipp zu Megastars – sonst änderte sich nichts. Wer wissen will, wie sowas geht, sollte das Album hören.
Definitiver Herbstsong: Alle – einfach alle.

01. Travis – The Man Who (VÖ: 28. Mai 1999)
Kein Wunder, dass das Album in Deutschland erst im Herbst so richtig seine Hörer fand: der Sommer ’99 war einfach zu trocken für “Why Does It Always Rain On Me?”. Wer die Bedeutung des Wortes “Melancholie” erfahren will, ist hier richtig. Alle anderen auch.
Definitiver Herbstsong: “Turn”