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Tied To The 90’s

„It’s hard to explain the soft dif­fe­ren­ces bet­ween life in the 2020s and life in the 1990s to any per­son who did not expe­ri­ence both of tho­se peri­ods as an adult“, schreibt Chuck Klos­ter­man auf Sei­te 6 sei­nes Buchs über die Neun­zi­ger und auch wenn ich das Jahr­zehnt nur als Kind bzw. Teen­ager mit­er­lebt habe, war ich schon mit dem glei­chen Bei­spiel kon­fron­tiert, das er einen Absatz spä­ter bringt: Erklärt mal einem Acht­jäh­ri­gen, war­um man frü­her Musik nicht ein­fach bei Spo­ti­fy gehört hat, son­dern CDs kau­fen muss­te!

„The Nineties“ von Chuck Klosterman (Foto: Lukas Heinser)

Anders als die alber­nen „Weißt Du noch?“-Paraden im deut­schen Fern­se­hen, in denen sich irgend­wel­che Halb-Pro­mis schen­kel­klop­fend dar­an erin­nern, dass es Songs, Trends und Ereig­nis­se tat­säch­lich gege­ben hat, setzt Klos­ter­man alles in Bezug zuein­an­der: Poli­tik, Gesell­schaft, Sport und natür­lich Pop­kul­tur reflek­tie­ren bei ihm immer ein­an­der und sie reflek­tie­ren ihre Zeit, denn, auch das wird im Buch immer wie­der deut­lich: Man kann die Ver­gan­gen­heit nicht durch die Bril­le der Gegen­wart erklä­ren.

Erwart­ba­rem stellt er längst Ver­ges­se­nes gegen­über; er hat sich durch zeit­ge­nös­si­sche Medi­en und Stu­di­en gefres­sen und alles zu einem wahn­sin­nig guten Buch zusam­men­ge­mixt, das zwar (wie er selbst sagt) kei­ne wis­sen­schaft­li­che Publi­ka­ti­on ist, aber auch Nach­ge­bo­re­nen hel­fen dürf­te, jenes Jahr­zehnt zu ver­ste­hen, das zwi­schen Ende des Kal­ten Krie­ges und 9/​11 eine Zeit rela­ti­ver Ruhe dar­stell­te und in dem die Wahr­neh­mung der Welt noch nicht frag­men­tiert war. Eine Zeit, in der „das Inter­net“ zwar schon exis­tier­te, aber kei­ne bedeu­ten­de Rol­le spiel­te, und in dem Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­ten und Nach­rich­ten­sen­der als voll­kom­men aus­tausch­bar gal­ten.

Klos­ter­man ist ohne­hin einer mei­ner abso­lu­ten Lieb­lings-Autoren und total prä­gend für mei­ne Arbeit und mei­nen Blick auf die Welt. „The Nine­ties“ wirkt, als habe jemand, der sehr viel mehr weiß als ich, ein Buch über mich geschrie­ben: über Nir­va­na und „The Matrix“, über VHS-Rekor­der und die Prä­si­dent­schaft von Bill Clin­ton. Es ist ein Buch, bei dem ich trau­rig war, als es zu Ende war, und in dem ich woh­nen möch­te!

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Gesellschaft Leben

Das anderste Weihnachten aller Zeiten

Vor uns liegt ein Weih­nachts­fest, das so anders ist, als wir es gewohnt sind — so zumin­dest der Tenor in Medi­en, Politiker*innen-Statements und per­sön­li­chen Gesprä­chen. Dabei ist „anders sein“ bei aller Tra­di­ti­on etwas, was Weih­nach­ten eben­so aus­macht wie unver­hei­ra­te­te Groß­on­kel. Klar: Alle glück­li­chen Weih­nachts­fes­te glei­chen ein­an­der, aber wie viel Pro­zent Über­ein­stim­mung braucht es ana­log zur DNA-Ana­ly­se in der Foren­sik, damit es ein Weih­nach­ten „wie immer“ ist?

Da war das Jahr, wo ich mich an Hei­lig­mor­gen erbrach, nicht mit in die Kir­che konn­te und Fami­li­en­es­sen und Besche­rung auf der Couch ver­brach­te; das letz­te Weih­nach­ten in der alten Woh­nung und das ers­te im neu­en Haus. Das Jahr, in dem mein Groß­va­ter erklär­te, dass es ihm zu anstren­gend gewor­den sei, der Ver­tei­lung und Ent­pa­ckung der Geschen­ke Drit­ter bei­woh­nen zu müs­sen, wes­we­gen es ab da nur noch sorg­sam beschrif­te­te Kuverts mit Geld­schei­nen gab. Oder das letz­te „rich­ti­ge“ Weih­nach­ten, so wie wir es gewohnt waren: drei Kin­der, Mama und Papa und die drei Groß­el­tern. Das war im Jahr 2011 und mei­nem Tage­buch ent­neh­me ich, dass es schon damals „nicht mehr das­sel­be“ war, weil der Gemein­de­pfar­rer, der uns alle getauft und kon­fir­miert hat­te, zwi­schen­zeit­lich in den Ruhe­stand gegan­gen war. Als mein Groß­va­ter im Jahr 2017 bei sei­ner all­jähr­li­chen Weih­nachts­an­spra­che auf die sonst übli­che Schluss­for­mel „… und hof­fen wir, dass der Lie­be Gott uns nächs­tes Jahr noch ein­mal an die­ser Stel­le hier zusam­men­führt“ ver­zich­te­te, wuss­ten wir alle, dass es das letz­te Weih­nachts­fest mit ihm sein wür­de. Was nie­mand ahnen konn­te (außer er selbst, womög­lich): 96 Stun­den spä­ter war er tot.

Für mich ist erst Weih­nach­ten, wenn ich am Nach­mit­tag des Hei­li­gen Abends „Pati­ence“ von Take That gehört habe — ein Song, der nun wirk­lich unter kei­nen Umstän­den ein Weih­nachts­lied ist. Der Grund dafür ist glei­cher­ma­ßen banal wie magisch (also wie das Leben selbst): Ende 2006 lief die gro­ße Come­back-Sin­gle der eins­ti­gen Boy­band im Radio rauf und run­ter — so auch auf der Rück­fahrt vom Weih­nachts­got­tes­dienst zu unse­rem Eltern­haus im Radio. Ein Jahr spä­ter saßen wir Kin­der gemein­sam in Mamas altem Ford Fies­ta, fuh­ren wie­der von der Kir­che zu den Eltern und im Radio lief wie­der die­ser Song, was – ange­sichts einer fünf­mi­nü­ti­gen Auto­fahrt und einer selbst bei WDR 2 mehr als ein­stel­li­gen Zahl von Lie­dern in den Rota­ti­ons­lis­ten – dann doch min­des­tens ein erstaun­li­cher Zufall war. In den Fol­ge­jah­ren ging ich auf Num­mer Sicher, brach­te den Song auf mei­nem iPho­ne mit nach Dins­la­ken und spiel­te ihn auf dem Weg von der Innen­stadt nach Epping­ho­ven ab. Das ist viel­leicht drei, vier Mal pas­siert und ich war über 20, als es begann, aber es ist mehr Weih­nachts­tra­di­ti­on als der Film „Drei Hasel­nüs­se für Aschen­brö­del“, von dem ich noch nie in mei­nem Leben auch nur eine Minu­te gese­hen habe.

Was ich mei­ne ist: Weih­nach­ten ist immer anders und im Grun­de genom­men dann auch immer ähn­lich, wes­we­gen Komö­di­en über Fami­li­en­weih­nach­ten auch so gut funk­tio­nie­ren: Weil sie die frei­wil­li­gen und unfrei­wil­li­gen Ritua­le; die Freu­de und das Elend; die Wie­der­ho­lun­gen, die alle so lan­ge mit den Augen rol­len las­sen, bis sie nicht mehr statt­fin­den und die Augen für­der­hin nicht mehr gerollt, son­dern feucht wer­den; und den Ver­such, Weih­nach­ten „wie immer“ bege­hen zu wol­len, auf den kleins­ten gemein­sa­men Nen­ner run­ter­bre­chen und in der tra­gi­schen Poin­te gip­feln, dass Weih­nach­ten eben lei­der genau­so wird wie immer.

Dou­glas Adams hat­te in den 1980er Jah­ren die Idee, ein Com­pu­ter­pro­gramm zu ent­wi­ckeln, das die stets deckungs­glei­chen Aus­sa­gen des dama­li­gen US-Prä­si­den­ten Ronald Rea­gan von allei­ne repro­du­ziert, mit dem Fern­ziel, irgend­wann sämt­li­che wich­ti­gen Politiker*innen durch Künst­li­che Intel­li­gen­zen zu erset­zen, die sich dann mit­ein­an­der unter­hal­ten. Adams konn­te Donald Trump nicht vor­her­se­hen, aber er hat im Grun­de genom­men Face­book und Twit­ter vor­weg­ge­nom­men, wo sich jede Men­ge Bots und ein­zel­ne ver­wirr­te, ein­sa­me See­len in einem fort­wäh­ren­den Nicht-Dia­log befin­den. Aber wenn die Mensch­heit aus­stür­be (ein Gedan­ke, der, bei Licht bese­hen, sel­ten so nahe­lie­gend war wie im Jahr 2020), könn­ten Spo­ti­fy-Play­lis­ten, Strea­ming­diens­te und die zen­tra­len Logis­tik-Pro­gram­me der Back­wa­ren-Indus­trie jähr­lich ein Weih­nachts­fest emu­lie­ren. Robo­ter an ver­wais­ten Pro­duk­ti­ons­stra­ßen wür­den sich mit Tas­sen vol­ler Glüh­wein, auf denen „Weih­nachts­markt Müns­ter 1993“ steht und deren Hen­kel schon etwas beschä­digt sind, zupros­ten und sich – wo tech­nisch mög­lich – gegen­sei­tig unan­ge­mes­sen berüh­ren, wäh­rend Smart-Home-Gerä­te die Woh­nun­gen in allen Far­ben des Regen­bo­gens blin­ken las­sen.

Und irgend­wo wür­de eine Kaf­fee­ma­schi­ne beseelt den­ken: „Alles wie immer!“

Ich wün­sche Euch und Euren Lie­ben trotz allem fro­he und besinn­li­che Weih­nach­ten im klei­nen Kreis, Gesund­heit und uns allen ein bes­se­res Jahr 2021!

Die­ser Text erschien ursprüng­lich in mei­nem News­let­ter „Post vom Ein­hein­ser“, für den man sich hier anmel­den kann.

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Gesellschaft Politik Rundfunk

Germany’s Next Topvictim

Sie wol­len sich nicht an Coro­na-Schutz­maß­nah­men hal­ten, glau­ben an Ver­schwö­rungs­theo­rien und ver­glei­chen sich mit Opfern des Natio­nal­so­zia­lis­mus: Mit den sog. „Quer­den­kern“ stimmt eine gan­ze Men­ge nicht.

Aber ist es klug, ihren wir­ren Ansich­ten so viel Auf­merk­sam­keit zu schen­ken? War­um wird eigent­lich immer die NS-Zeit zu haar­sträu­ben­den Ver­glei­chen her­an­ge­zo­gen? Und was wären Ver­glei­che, die ein biss­chen mehr Sinn erge­ben? Ein paar Ideen dazu gibt es hier im Video:

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Gesellschaft Leben

Entsetzen in Dinslaken: Der Wendler dreht durch!

Für Dins­la­ken, die sym­pa­thi­sche Stadt im Grü­nen, ist es der schwers­te Schick­sals­schlag seit dem Ende des Stein­koh­le­berg­baus: Der größ­te Sohn der Stadt ist plötz­lich Coro­na-Leug­ner! Ein Bei­trag über das bis­he­ri­ge Lebens­werk Micha­el Wend­lers und dar­über, was sein Melt­down für sei­ne alte Hei­mat bedeu­tet.

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Digital Gesellschaft

Bist Du noch wach? — 6. Wie geht noch mal Konzentration?

Wor­um geht es bei den dies­jäh­ri­gen Nobel­prei­sen und wel­che guten Nach­rich­ten gab es in letz­ter Zeit? Das sind nur zwei der Fra­gen, denen Sue und Lukas in der neu­es­ten Fol­ge auf den Grund gehen.

Wir wol­len wis­sen, war­um man auf Papier bes­ser lesen kann als am Bild­schirm, und wie groß die Deut­sche Ein­heit wirk­lich ist.

Wir zer­pflü­cken den pop­kul­tu­rel­len Kanon und sagen end­lich die Wahr­heit über schlech­te Fern­seh­se­ri­en, Bücher und Bands!

Wenn Ihr uns schrei­ben wollt (zum Bei­spiel, weil Ihr eige­ne Fra­gen habt), könnt Ihr das unter bistdunochwach@coffeeandtv.de tun!

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Gesellschaft

Bist Du noch wach? — 5. Was bringt Dich zum Lachen?

In der fünf­ten Fol­ge „Bist Du noch wach?“ spre­chen Sue und Lukas über Tan­nen­bäu­me, Tier­vi­de­os und lebens­wer­te Städ­te.

Lukas ver­rät exklu­siv den lus­tigs­ten Witz der Welt und die Schön­heit des Ruhr­ge­biets — außer­dem lachen wir sehr viel und es geht sehr viel um Nudeln.

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Bist Du noch wach? — 4. Sind wir schon nach Corona?

Zurück aus der kur­zen Som­mer­pau­se wid­men sich Sue und Lukas wie­der den ele­men­ta­ren Fra­gen des Lebens: Wie schenkt man, ohne Feh­ler zu machen? Wer wird Bundeskanzler*in? Ist Coro­na end­lich vor­bei?

Außer­dem spre­chen die bei­den über die Wech­sel­wir­kung von Musik und Lie­bes­kum­mer und dar­über, wie man einer mid­life cri­sis begeg­net. Außer­dem kommt über­ra­schend viel Laven­del vor.

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Digital Gesellschaft

Bist Du noch wach? — 3. Was steht auf Deiner Bucket List?

In der neu­en Fol­ge „Bist Du noch wach?“ benut­zen Sue und Lukas so schö­ne Wör­ter wie „Bucket List“ und „Cele­bri­ty Crush“ und bren­nen auch sonst ein Feu­er­werk für Liebhaber*innen der Lin­gu­is­tik ab (Koch/​Oesterreicher, 1994).

Sue warnt vor gewünsch­ten Hän­ge­mat­ten, Lukas davor, ihn anzu­ru­fen, und gemein­sam machen sie sich auf die Suche nach ihrer eige­nen Krea­ti­vi­tät.

E‑Mails (zum Bei­spiel mit eige­nen Fra­gen oder exklu­si­ven Schimpf­wör­tern für das Boh­ren in Alt­bau­woh­nun­gen) neh­men wir unter bistdunochwach@coffeeandtv.de ent­ge­gen!

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Digital Gesellschaft Literatur

Bist Du noch wach? — 2. Kannst Du gut mit Lob umgehen?

In der zwei­ten Fol­ge spre­chen Sue und Lukas unter ande­rem über Bücher, die ihr Leben nach­hal­tig ver­än­dert haben — was nahe­lie­gen­der­wei­se zu einer Dis­kus­si­on über pro­ble­ma­ti­sche Songs von Ade­le und Bruce Springsteen führt.

Es geht um Netz-Bekannt­schaf­ten, die Fra­ge, war­um Lukas nicht exis­tiert, und um Leben und Tod. Dafür spre­chen wir nicht über Din­ge, bei denen man ein­fach wort­los gehen darf, wenn sie jemand anders sagt.

Wenn Ihr uns schrei­ben wollt (zum Bei­spiel, weil Ihr eige­ne Fra­gen habt). könnt Ihr das jetzt unter bistdunochwach@coffeeandtv.de tun!

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Lukas’ Bücher:

  • Dou­glas Adams: „Per Anhal­ter durch die Gala­xis“
  • Hell­muth Kara­sek: „Bil­ly Wil­der — Eine Nah­auf­nah­me“
  • Johann Wolf­gang Goe­the: „Die Lei­den des jun­gen Wert­hers“
  • John Green: „The Fault in our Stars“ („Das Schick­sal ist ein mie­ser Ver­rä­ter“)
  • Wolf­gang Herrn­dorf: „Tschick“
  • Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re: „Remix“

Sues Bücher:

  • Nick Horn­by: „High Fide­li­ty“
  • Gary Kel­ler: „The One Thing“
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Gesellschaft Leben

Bist Du noch wach? — 1. Was würdest Du Deinem jüngeren Ich gerne sagen?

„Bist Du noch wach?“ und ande­re gro­ße und klei­ne Fra­gen des Lebens: In der ers­ten Fol­ge ihrer neu­en Pod­cast-Rei­he spre­chen Sue und Lukas unter ande­rem über Freund­schaf­ten mit sich selbst, Fuß­ball und Ablauf­da­ten für Frau­en. Lukas erzählt die schöns­ten Par­ty-Anek­do­ten von Kon­fron­ta­tio­nen mit Sicher­heits­be­hör­den und die bei­den geben wich­ti­ge Tipps zum Selbst­fri­sie­ren — und was sie ihren jün­ge­ren Ichs sonst noch mit auf den Weg geben wür­den.

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Gesellschaft

Was ist Zeit?

Joni Mit­chell hat ja bekannt­lich mal gefragt, ob es nicht so sei, dass man erst wis­se, was man habe, wenn es weg sei. Die Fra­ge war rhe­to­risch gemeint, aber mei­ne Ant­wort lau­tet meis­tens lei­der: Nein. Ich mer­ke es erst, wenn die Din­ge wie­der da sind.

Im Früh­ling bin ich über­rascht, wel­chen posi­ti­ven Ein­fluss Son­ne und Wär­me auf mei­ne Lau­ne haben. Wenn ich ans Meer kom­me, fra­ge ich mich, war­um ich so lan­ge nicht am Meer war. Und wenn ich mit Men­schen unter­wegs bin, die ich sehr mag, wun­der ich mich, dass ich das nicht öfter tue.

Mein Vor­teil, auf den ers­ten Blick: Das Kon­zept „Ver­mis­sen“ ist mir nahe­zu fremd, ich schlur­fe genüg­sam durch mein Leben. Der Nach­teil, natür­lich: Ich mer­ke gar nicht, wie mei­ne Lau­ne lang­sam schlech­ter wird, dass mir etwas fehlt, dass ich mir mal etwas vor­neh­men soll­te, was mir Freu­de macht.

Im Moment fragt nie­mand, ob ich mit auf ein Kon­zert kom­men will (Anzahl pro­ak­tiv selb­stän­dig besuch­ter Kon­zer­te in den letz­ten fünf Jah­ren: drei), ob wir mal was trin­ken gehen sol­len, ob ich mit zu einer obsku­ren Kul­tur­ver­an­stal­tung möch­te, gegen die ich mich erst sträu­be und von der ich hin­ter­her den­ke, dass ich sowas viel öfter machen soll­te. Im Moment gibt es qua­si nichts, was statt­fin­det.

Will­kom­me­ne Ablen­kung lie­fern der ers­te Som­mer­re­gen (Es roch wirk­lich nach Som­mer­re­gen, obwohl nur ein leich­ter Nie­sel­re­gen bei 14°C run­ter ging!), der Flie­der­busch in unse­rem Vor­gar­ten (War der schon immer da?) oder das ers­te „per­fek­te Spiel“ (also: alle 18 Fra­gen rich­tig beant­wor­tet) seit Jah­ren bei „Quiz­du­ell“.

Was es wirk­lich für mich bedeu­tet, dass der ESC in die­sem Jahr nicht statt­fin­det, habe ich erst halb­wegs ver­stan­den, als ich „Der klei­ne Song Con­test“ mit Andi Knoll im ORF gese­hen habe: Da waren neben den Songs, die wir die­ses Jahr in Rot­ter­dam hät­ten hören sol­len (und die lei­der unwie­der­bring­lich aus der ESC-Geschich­te raus­fal­len wer­den, weil sie nicht für 2021 ver­wen­det wer­den dür­fen, auch wenn vie­le Län­der bereits ange­kün­digt haben, im nächs­ten Jahr den glei­chen Act zu schi­cken, der für 2020 geplant war), auch jede Men­ge Aus­schnit­te aus den letz­ten Jah­ren zu sehen und zu hören und das erin­ner­te mich dar­an, wie die­se Wochen immer aus­se­hen: Viel Arbeit, wenig Schlaf, vie­le pap­pi­ge Sand­wi­ches, aber auch wahn­sin­nig viel Spaß mit dem eige­nen Team und den inter­na­tio­na­len Kolleg*innen und eine unver­gleich­li­che Show!

Mir wird also die­ses Jahr der ESC feh­len, vie­len ande­ren das Fes­ti­val, Stadt­fest oder Sport­er­eig­nis, das sie teil­wei­se seit Jahr­zehn­ten besu­chen — und das auch irgend­wie das Jahr struk­tu­riert. Denn neben Weih­nach­ten und Geburts­tag (bei jun­gen Men­schen oder deren Eltern noch: die gro­ßen Feri­en) sind es ja sol­che Ereig­nis­se, auf die man sich sofort wie­der freut, wenn sie gera­de vor­bei sind.

Ein Jahr ohne Events ist wie ein Tag kom­plett ohne Uhr: Natür­lich kann man sich auf­grund natür­li­cher Bege­ben­hei­ten grob ori­en­tie­ren, wel­che Jah­res- oder Tages­zeit gera­de ist, aber es ist doch irgend­wie eine gro­ße Stre­cke Zeit, die da unbe­hau­en vor einem liegt.

Über­haupt neh­me ich Zeit gera­de völ­lig neu wahr: Die Wochen­ta­ge ver­lie­ren immer wei­ter an Bedeu­tung (aber das tun sie bei mir schon, seit ich kei­ne Stun­den­plä­ne mehr habe, an denen ich mich ori­en­tie­ren kann), aber auch die Tage an sich. Wenn man nur noch ein­mal pro Woche ein­kau­fen geht, ist Zeit etwas völ­lig ande­res, als wenn man spä­tes­tens jeden zwei­ten Tag im Super­markt steht. Immer­hin habe ich so gelernt, mir zu über­le­gen, was ich in ein paar Tagen essen wol­len könn­te.

Vor ein paar Tagen ist der Lock­down dann auch in mei­nen Träu­men ange­kom­men: Ich war irgend­wo, wo viel zu vie­le Men­schen waren (also: das, was man vor sechs Wochen noch etwas wohl­wol­lend als „beleb­ten Platz“ bezeich­net hät­te), und dann fin­gen die auch noch zu hus­ten und zu nie­sen an. Da wuss­te ich: Mein Unter­be­wusst­sein hat es sich wohl schon mal in der neu­en Welt bequem gemacht.

Die­ser Text erschien ursprüng­lich in mei­nem News­let­ter „Post vom Ein­hein­ser“, für den man sich hier anmel­den kann.

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Lucky & Fred, Episode 35

Am Abend des 24. Janu­ar 2020 ver­sam­mel­ten sich 80.000 Men­schen im Dort­mun­der West­fa­len­sta­di­on, obwohl sie genau­so gut ins nahe gele­ge­ne Fletch Biz­zel hät­ten gehen kön­nen, um Lucky und Fred bei ihren unter­halt­sa­men Aus­füh­run­gen zuzu­hö­ren.

Im Publi­kum fin­den sich trotz­dem genug Motor­rad fah­ren­de Omas, die sich aber nicht so recht über öffent­lich-recht­li­che Sati­re empö­ren wol­len. Wir erklä­ren, wie man ein „Unwort des Jah­res“ baut, Fred geht der „extra­le­ga­len Tötung“ auf den Grund, Lucky hält ein Solo-Refe­rat über den „Megxit“ und wir ver­ra­ten end­lich, wer drin­gend ins Dschun­gel­camp gehört!

Außer­dem spre­chen wir über rech­te und lin­ke Gewalt, Organ­spen­de­aus­wei­se, Freds Kar­rie­re in Hol­ly­wood, Luckys beim ESC, loben eine ori­gi­nel­le Ange­lo­bung und lan­den irgend­wie immer wie­der bei „Bild“.

Show­no­tes:

Kar­ten für die nächs­ten Live­shows:
17. Febru­ar, Ber­lin
27. März, Dort­mund