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Unterwegs Gesellschaft

Als man damals nach Hamburg kam

Ich wünsch­te wirk­lich, es wür­de nicht stim­men, aber natür­lich muss­te sich die „Du und wie­viel von Dei­nen Freun­den“ von kett­car in mei­nem Sony-Disc­man dre­hen, als ich heu­te vor 20 Jah­ren mit der U3 vom Haupt­bahn­hof nach St. Pau­li fuhr und über den Spiel­bu­den­platz ging. Mit mei­ner dama­li­gen Freun­din hat­te ich mich auf den Weg nach Ham­burg gemacht; die ers­te gemein­sa­me Rei­se, ein Besuch bei Inter­net­freun­den, vor allem aber natür­lich im Mythos Ham­burg.

Das Grand Hotel van Cleef und sei­ne Acts, Bands wie Toco­tro­nic und Die Ster­ne und „Abso­lu­te Gigan­ten“ — die Stadt und vor allem die Gegend um St. Pau­li, Karo­li­nen­vier­tel und Stern­schan­ze waren durch die Pop­kul­tur der Gegen­wart und jüngs­ten Ver­gan­gen­heit so auf­ge­la­den, dass sie zumin­dest für uns eigent­lich schon den glei­chen tou­ris­ti­schen Stel­len­wert hat­ten wie Michel, Fisch­markt und Lan­dungs­brü­cken (die natür­lich gleich dop­pelt): hin­ge­hen, Foto machen, abha­ken, dort gewe­sen sein. Ich war gera­de erst auf dem Sprung von Dins­la­ken nach Bochum, aber so, wie die­se coo­len Men­schen in Cord­ho­sen und Trai­nings­ja­cken mit einem Stadt­na­men-Schrift­zug drauf, die die ent­schei­den­den paar Jah­re älter waren als ich mit 20 und irgend­was „Krea­ti­ves“ mach­ten, so woll­te ich auch ein­mal sein und leben: Plat­ten kau­fen bei Zar­doz, abends ein­fach vor die Tür gehen und ein Kon­zert besu­chen; Miles in der Tanz­hal­le St. Pau­li, Ash im Logo, mit der Bier­fla­sche in der Hand vorm Molo­tow ste­hen.

Wenn ich die Fotos von damals betrach­te, sehe ich vor allem, was nicht mehr da ist: die Esso-Hoch­häu­ser und die Tank­stel­le davor, der Astra-Turm, der Kai­spei­cher A ohne Elb­phil­har­mo­nie drauf — ich war, wie bei mei­nem ers­ten Ber­lin-Besuch 1995, recht­zei­tig dage­we­sen, um heu­te nost­al­gisch zu sein. Dabei sind die wah­ren Opfer natür­lich die, die da jahr­zehn­te­lang gewohnt haben. Die Gen­tri­fi­zie­rung ist über Ham­burg hin­weg­ge­rauscht, alles ist voll mit Bio-Super­märk­ten, Las­ten­rä­dern, Cafés und altern­den Hip­stern, die jetzt Eltern sind und aus­se­hen wie ich und mei­ne peer group hier in Bochum — nur, dass wir viel weni­ger Mie­te zah­len. Wir sind alle Teil des Pro­blems; die Inves­to­ren fol­gen den Krea­ti­ven wie Gei­er; am Ende wol­len wir alle eine licht­durch­flu­te­te Alt­bau­schei­ße. Aber sowas wie die Hafen City, das haben wir doch nie gewollt!

2009 hat­te ich über­legt, nach Ham­burg zu zie­hen, aber es war mir damals schon zu teu­er. Ich lie­be die Stadt noch immer: das Licht, die Luft an der Elbe, das Schan­zen­vier­tel, trotz all der Gen­tri­fi­zie­rung, und der schöns­te Regio­lekt, den das Deut­sche zu bie­ten hat. In mei­ner DNA bin ich zu zwei Ach­teln Ham­bur­ger und ich bil­de mir ein, dass sich das bemerk­bar macht (die zwei Ach­tel Aache­ner Revier spü­re ich null­kom­ma­nu­ll). Eini­ge der bes­ten Men­schen, die ich ken­ne, leben in Ham­burg. Falls ich Bochum jemals ver­las­se, dann nur für Ham­burg, Wien oder San Fran­cis­co. I’d like to thank the aca­de­my (aca­de­my, aca­de­my).