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Goodbye Trouble

Ges­tern war ich auf einer Trau­er­fei­er. Und auf einem Klas­sen­tref­fen. Und auf dem ers­ten (indoor) Kon­zert seit drei Jah­ren. Pale hat­ten zum One-Night-Only-Kon­zert ins Köl­ner Glo­ria gebe­ten und die Indie-Crowd, die vor 20 Jah­ren auf Visi­ons-Par­tys Smirn­off Ice getrun­ken hat­te, war geschlos­sen ange­tre­ten — mit Müt­zen über dem lich­ter wer­den­den Haar, ohne Trai­nings­ja­cken mit Städ­te­na­men drauf und mit nur einem Bier in der Hand, denn man muss ja noch fah­ren und die Kin­der wer­den so früh wach.

Die ers­te Wel­le der Eksta­se schwappt schon hoch, als das Licht für die Vor­band aus­geht. Pale hat­ten vage „Gäs­te“ und „Freun­de“ ange­kün­digt und so geht es als kol­lek­ti­ve Selbst­be­stä­ti­gung durch, als wir sehen, dass es wirk­lich Thees Uhl­mann ist, der da auf die Büh­ne schlurft. Doch – behold! – er ist nicht allei­ne, mit ihm kommt Mar­cus Wie­busch raus. Das macht Sinn, sind doch das letz­te Pale-Album 2006 und das jetzt aber wirk­lich aller­letz­te Pale-Album 2022 beim Grand Hotel van Cleef erschie­nen, dem Label, das die bei­den 2002 gegrün­det hat­ten und des­sent­we­gen wir uns alle ken­nen und gute Musik hören. „Gebt dem Nach­wuchs eine Chan­ce“, scherzt Thees, dann spie­len die bei­den sechs Songs aus dem gro­ßen kett­car/­Tom­te/­Thees-Uhl­mann-Werk. Wir hät­ten auch 20 genom­men, aber sie sind ja nur als Warm-Up hier und brin­gen das Glo­ria erfolg­reich auf Betriebs­tem­pe­ra­tur. Lei­der auch buch­stäb­lich.

Vor dem Pale-Konzert (Foto: Lukas Heinser)

Dann leuch­tet der Pale-Schrift­zug über der Büh­ne auf und die Band (oder das, was von ihr übrig ist) betritt unter einem der dicks­ten Auf­tritts­ap­plau­se, die ich je erlebt habe, das Schein­wer­fer­licht. Nach dem ers­ten Song sagt Sänger/​Gitarrist Hol­ger Kochs, er habe sich in den letz­ten Tagen eine lan­ge Ansa­ge aus­ge­dacht und wie­der ver­wor­fen, denn wir wüss­ten ja eh alle, war­um wir da sind: „Für Chris­ti­an!“

Chris­ti­an Dang-anh war der Gitar­rist von Pale, „der ein­zi­ge rich­ti­ge Musi­ker inner­halb der Band“, wie die ande­ren selbst sagen. 2019, zehn Jah­re nach der Auf­lö­sung der Band, wur­de bei ihm ein Gehirn­tu­mor dia­gnos­ti­ziert, was die Mit­glie­der auf die Idee brach­te, wie­der gemein­sam Musik zu machen. Schlag­zeu­ger und Hol­gers Bru­der Ste­phan Kochs hat­te mit einer eige­nen schwe­ren Erkran­kung zu kämp­fen, dann kam die Pan­de­mie und im Früh­jahr 2021 ist Chris­ti­an lei­der gestor­ben.

Aus die­sen Ses­si­ons und Erfah­run­gen ist „The Night, The Dawn And What Remains“ ent­stan­den, das wirk­lich aller­letz­te Album, des­sen Songs heu­te Abend alle zur Auf­füh­rung kom­men — neben den gan­zen Hits, natür­lich, wobei mir irgend­wann auf­fällt, dass es fal­se memo­ry mei­ner­seits war, zu glau­ben, ich hät­te die Musik der Band „schon damals“ „immer viel“ gehört.

Zwi­schen den Songs sagt Hol­ger so vie­le klu­ge Sachen über das Leben und die Gegen­wart, die man genie­ßen und fei­ern sol­le, dass ich mir den­ke, dass ich mir die alle mer­ken wer­de. Jetzt könn­te ich natür­lich nichts mehr davon zitie­ren, aber das ist total egal, weil ich ja WEISS, dass er Recht hat.

Sie spie­len „Man Of 20 Lives“ für Ste­phan, der heu­te nur im Publi­kum ist. Zu „Big­ger Than Life“ wer­den im Hin­ter­grund alte Vide­os und Bil­der von Chris­ti­an pro­ji­ziert und ich den­ke mal wie­der, wie so oft, über Musik: „This is my church /​ This is whe­re I heal my hurts“. (Maxi Jazz von Faithl­ess ist übri­gens im Dezem­ber auch gestor­ben.) Hol­ger singt – „auch wenn’s pathe­tisch klingt“ – „Wake Up!“ für sei­ne Kin­der und ich ste­he da inmit­ten einer wild zusam­men­ge­wür­fel­ten Grup­pe alter Freun­de und Bekann­ter, jetzt sind wir alle Väter, und ich muss mich gar nicht umgu­cken, weil ich weiß, dass wir gera­de alle Trä­nen in den Augen haben. Das Publi­kum weiß auch, wann Hol­ger Unter­stüt­zung gebrau­chen kann, und umarmt ihn mit lan­gem, fre­ne­ti­schen Applaus. Das Glo­ria ist heu­te ein ein­zi­ger gro­ßer Lie­bes­kreis. (Roc­co Clein ist jetzt auch schon 19 Jah­re tot.)

Beim Pale-Konzert (Foto: Lukas Heinser)

„Still You Feel“, eine Hym­ne auf die Musik, die einem Zuhau­se ist, nach­dem man die furcht­ba­re Hei­mat­stadt ver­las­sen hat, ist auf dem Album ein Duett mit Simon den Har­tog von den Kili­ans. (Auf dem Pop­kul­tur-Altar auf dem Album­co­ver steht ein Mix­tape namens „Home­town Mix“, des­sen B‑Seite mit „Dins­la­ken 2002“ beschrif­tet ist — Simons und mei­ner alten Hei­mat­stadt und mei­nem Abi-Jahr. Ich bin mir auch nach Mona­ten noch nicht sicher, was das mit mir macht.) Und natür­lich kommt Simon, den Hol­ger als sei­ne Lieb­lings­stim­me in Deutsch­land bezeich­net, auch auf die Büh­ne im Glo­ria. Und er bleibt noch für einen zwei­ten Song: „Fight The Start“ von den Kili­ans. Ich habe die­sen Song min­des­tens 30 Mal live gehört, im Publi­kum, beim Sound­check, neben der Büh­ne — zuletzt vor neun Jah­ren, ein paar Leben her, und ich bin sehr froh, dass mir die gan­ze emo­tio­na­le Bedeu­tung die­ses Moments nicht schon ges­tern Abend auf­ge­fal­len ist, son­dern erst jetzt. Durch­at­men.

„Some­day You Will Know“ („The last song of a band that alre­a­dy play­ed its final show“) wird auf dem Album von einem Saxo­fon-Solo von Ste­ve Nor­man von Span­dau Bal­let gekrönt — und es ist jetzt wirk­lich kei­ne gro­ße Über­ra­schung mehr, dass auch er heu­te Abend hier ist und mit­spielt. (Tat­säch­lich wäre es auch nur kon­se­quent gewe­sen, wenn zum abschlie­ßen­den The-Jam-Cover „Town Cal­led Mali­ce“ Paul Wel­ler zur Band hin­zu­ge­sto­ßen wäre. Oder Noel Gal­lag­her. Oder John Len­non, becau­se why the fuck not?) Etwas über­ra­schen­der ist schon, dass auch er für einen zwei­ten Song bleibt und wir so in den Genuss kom­men, „Gold“ von Span­dau Bal­let auch ein­mal live zu hören. You’­ve got the power to know you’­re indes­truc­ti­ble!

Er habe unter­schätzt, wie viel 27 Songs sind, meint Hol­ger lachend vor den letz­ten Zuga­ben, als er das Publi­kum bit­tet, ger­ne etwas lau­ter mit­zu­sin­gen. Drei Stun­den ste­hen sind auch schon ziem­lich anstren­gend, den­ke ich. Und drei Stun­den Rück­weg vom Club zum eige­nen Bett haben sich frü­her auch nicht so schlimm ange­fühlt. Aber wer hät­te gedacht, damals, als man anfing, Musik als etwas wahr­zu­neh­men, was mehr ist als das, was im Radio zwi­schen den Poli­tik-Bei­trä­gen läuft, dass sie einem mal so viel bedeu­ten und einen durch schwe­re Zei­ten (und groß­ar­ti­ge!) beglei­ten wür­de, dass sie mal zu Freund­schaf­ten füh­ren wür­de und zu Aben­den wie die­sem?

This is how it feels when not­hing can ever make you stop /​ This is how it feels when nothing’s wrong.

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Musik

Songs des Jahres 2022

Ich brau­che tra­di­tio­nell immer ein biss­chen län­ger, um mei­ne Songs des Jah­res zusam­men­zu­stel­len, aber ich fin­de das bes­ser, als das Jahr schon im Novem­ber ein­pa­cken zu wol­len; hier ist mein Blog mit mei­nen Regeln und außer­dem ist ja noch Janu­ar. Also: Hier sind – Stand jetzt – mei­ne Lieb­lings­lie­der des Jah­res 2022!

25. Death Cab For Cutie – Here To Fore­ver
Ben Gib­bards Lyrics sind ja mit­un­ter so spe­zi­fisch, dass sie schon zum Meme tau­gen. Das muss natür­lich nicht schlecht sein, im Gegen­teil:

In every movie I watch from the ’50s
There’s only one thought that swirls
Around my head now
And that’s that ever­yo­ne the­re on the screen
Yeah, ever­yo­ne the­re on the screen
Well, they’­re all dead now

Damit hat er ein­mal mehr einen Gedan­ken aus­for­mu­liert, den ich so oder so ähn­lich selbst schon oft hat­te. Und wenn Du dann am Tag nach dem Tod Dei­ner Groß­mutter im Wohn­zim­mer des Groß­el­tern­hau­ses stehst, auf einem Regal die Fotos all der Groß­tan­ten und ‑onkel, dann knal­len die­se Zei­len noch mal ganz neu in die offe­ne Wun­de: Die sind jetzt alle tot. Das neue Death-Cab-Album „Asphalt Mea­dows“ hat mich irgend­wie nicht so rich­tig abge­holt, aber die­ser Song wird immer Teil mei­ner Geschich­te sein.

24. Nina Chuba – Wild­ber­ry Lil­let
Ich bin jetzt in einem Alter, wo es zuneh­mend schwer wird, mit den jun­gen Leu­ten Schritt zu hal­ten – vor allem, wenn man kei­nen Bock hat, sich chi­ne­si­sche Spio­na­ge-Soft­ware aufs Han­dy zu laden. Ich habe die­ses Lied also erst rela­tiv spät in einem prä­his­to­ri­schen Medi­um namens Musik­fern­se­hen ent­deckt, aber mir war sofort klar, war­um das ein Hit ist: Die­se Hook, die gekonnt auf der Gren­ze zwi­schen „ein­gän­gig“ und „ner­vig“ hüpft; die­se Lyrics, die im klas­sischs­ten Sin­ne das durch­spie­len, was wir musi­cal thea­ter kids den „I Want“-Song nen­nen, und dabei sowohl im Dicke-Hose-Rap („Ich will Immos, ich will Dol­lars, ich will flie­gen wie bei Mar­vel“) abschöp­fen, als auch fast rüh­rend kind­lich („Will, dass alle mei­ne Freun­de bei mir woh­nen in der Stra­ße“) daher­kom­men; die­se fröh­lich-rum­pe­li­ge Pip­pi-Lang­strumpf-Hal­tung, mit der wie­der mal eine neue Gene­ra­ti­on ihren Teil vom Kuchen ein­for­dert – oder hier gleich die gan­ze Bäcke­rei („Ich hab‘ Hun­ger, also nehm‘ ich mir alles vom Buf­fet“). Und mit­ten­drin eine Zei­le, die man als immer jugend­li­chen Trotz lesen kann – oder als wahn­sin­nig trau­ri­gen Fata­lis­mus: „Ich will nicht alt wer­den“. Wenn man den Song feuil­le­to­nis­tisch nase­rümp­fend neben den „Fri­days For Future“-Aktivismus legt, wird man fest­stel­len, dass die Jugend (Nina Chuba ist da mit 24 gera­de noch im rich­ti­gen Alter für den Song) ganz schön wider­sprüch­lich sein kann: „We’­re the young gene­ra­ti­on, and we’­ve got some­thing to say“ hat­ten die Mon­kees ja schon 1967 gesun­gen – und dar­über hin­aus nichts zu sagen gehabt, wäh­rend zeit­gleich mal wie­der eine Zei­ten­wen­de aus­brach.

23. Har­ry Styl­es – As It Was
Damit hät­te jetzt auch nie­mand rech­nen kön­nen, dass aus­ge­rech­net „Take On Me“ von a‑ha mal zu einem der prä­gends­ten Ein­flüs­se auf eine neue Gene­ra­ti­on Pop­mu­sik wer­den wür­de: Schon „Blin­ding Lights“ von The Weeknd war von der legen­dä­ren Key­board-Hook … sagen wir mal: „inspi­riert“ und auch „As It Was“ kann eine gewis­se Ver­wandt­schaft nicht bestrei­ten. Aber ers­tens bit­te nichts gegen a‑ha und zwei­tens pas­siert hier in 2:47 Minu­ten (wäh­rend die Kino­fil­me immer län­ger wer­den, wer­den die Pop­songs immer kür­zer – die Men­schen haben ja auch nicht unend­lich viel Zeit) so viel, dass man kaum hin­ter­her kommt. Und über Har­ry Styl­es muss man ja eh nichts mehr sagen. ((Außer: Hat er jetzt eigent­lich Chris Pine ange­spuckt?))

22. The Natio­nal feat. Bon Iver – Weird Good­byes
„What your favo­ri­te sad dad band says about you“ titel­te McSweeney’s im Janu­ar 2022, dabei war der Witz da schon min­des­tens vier­ein­halb Jah­re alt. The Natio­nal und Bon Iver sind natür­lich auf bei­den Lis­ten und wenn sie nicht gera­de mit Tay­lor Swift Musik machen, machen sie die halt gemein­sam (dass Aaron Dess­ner von The Natio­nal und Jus­tin Ver­non von Bon Iver auch noch gemein­sam bei Big Red Machi­ne spie­len, ver­wirrt an die­ser Stel­le zwar nur, ich muss es aber erwäh­nen, weil sonst mei­ne Mit­glied­schaft in der „Musikjournalisten-Nerds“-Unterabteilung des Bochu­mer „Sad Dad“-Clubs in Gefahr wäre). So wie bei die­sem Song, der nicht Teil des neu­en The-Natio­nal-Albums sein wird, das inzwi­schen ange­kün­digt wur­de und „First Two Pages of Fran­ken­stein“ (man ahnt eine etwas umständ­li­che Refe­renz, die da irgend­wo als Witz im Hin­ter­grund lau­ert) heißt. Es ist trotz­dem ein schö­ner Song! Und die Band ver­kauft inzwi­schen „Sad Dad“-Merchandise.

21. Rae Mor­ris – No Woman Is An Island
Rae Mor­ris ist der ers­te und bis­her ein­zi­ge Act, der schon zwei Mal mei­ne Lis­te der „Songs des Jah­res“ ange­führt hat: 2012 und 2018. Rech­ne­risch wäre sie also erst 2024 wie­der dran, was ja auch gut sein kann. „No Woman Is An Island“ ist natür­lich auch nicht schlecht, ich hab nur eben 20 Songs (von ca. 4.000 gehör­ten) gefun­den, die ich 2022 bes­ser fand als die­se leicht thea­tra­li­sche (im Sin­ne von Büh­nen­auf­füh­rung, nicht im Sin­ne von über­trie­ben) Femi­nis­mus-Bal­la­de.

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Leben Musik

Was den Himmel erhellt

Ich erin­ne­re mich, wie ich am ers­ten Arbeits­tag des Jah­res 2006 die Post in der Musik­re­dak­ti­on von CT das radio öff­ne­te und dar­in die Pro­mo für die neue Tom­te-CD („Water­mark­ed #89“) lag. Wie ich die CD am Abend zum ers­ten Mal hör­te und wuss­te, dass ich viel Zeit mit die­sem Album ver­brin­gen wür­de.

Ich erin­ne­re mich, wie ich Thees Uhl­mann zum Inter­view im Düs­sel­dor­fer Zakk traf. Wie ich ihm unbe­hol­fen das Demo einer befreun­de­ten Band in die Hand drück­te, das ich eigent­lich für Simon Rass vom Grand Hotel van Cleef mit­ge­bracht hat­te, der aber gar nicht vor Ort war, und wie Thees zum ers­ten Mal die Kili­ans hör­te.

Ich erin­ner mich, wie ich um vier Uhr mor­gens in Dins­la­ken auf­stand und zum Düs­sel­dor­fer Flug­ha­fen fuhr, um nach Nürn­berg zu flie­gen (mein aller­ers­ter Flug ohne Eltern!). Wie ich mit dem Zug nach Erlan­gen wei­ter­fuhr, um die Kili­ans zu tref­fen, die jetzt, acht Wochen nach dem Inter­view, bei Tom­te im Vor­pro­gramm spiel­ten. Ich stell­te mich als Back­li­ner und Roa­die vor, bekam mei­nen eige­nen Back­stage-Pass und ver­gaß direkt am ers­ten Abend den Tep­pich, der auf der Büh­ne unter Micka Schür­manns Schlag­zeug lie­gen soll­te, in einer Ecke des E‑Werks.

Ich erin­ne­re mich dar­an, Tom­te vier Tage hin­ter­ein­an­der live zu sehen, die neu­en Songs zu hören, die ich schon in- und aus­wen­dig kann­te, und zu spü­ren, wie die­se Band auf der Wel­le der Emo­tio­nen surf­te, die ihnen ent­ge­gen­ge­bracht wur­de. An die Zei­le „Und du sag­test: Da ist zu viel Krebs in dei­ner Fami­lie“, die mir jeden Abend die Trä­nen in die Augen trieb, weil mein gelieb­ter Groß­on­kel gera­de im Kran­ken­haus lag und vier Mona­te spä­ter an die­ser Arsch­loch-Krank­heit starb. An Sound­checks, Back­stage­räu­me und den Deckel einer Roh­lings­pin­del, aus dem Thees Wodka‑O trank, bevor ich ihn auf die Stirn küss­te.

Ich erin­ne­re mich an zahl­rei­che Fes­ti­vals im Som­mer, auf denen ich Tom­te immer wie­der live sah, und wie wir beim Essen Ori­gi­nal so nass wur­den, dass das Was­ser beim Gehen aus unse­ren Schu­hen schwapp­te.

Ich erin­ne­re mich, wie ich für CT eine eige­ne Ver­si­on von „New York“ zusam­men­schnitt, weil die Album­ver­si­on zu lang war, aber auf der Sin­gle­ver­si­on das tol­le Intro fehl­te. (Ich glau­be, das ist ille­gal, und die Band und ihr Pro­du­zent Swen Mey­er könn­ten mich wahr­schein­lich heu­te noch ver­kla­gen.)

Ich erin­ne­re mich, wie ich im Sep­tem­ber für drei Mona­te zu mei­ner ame­ri­ka­ni­schen Fami­lie nach San Fran­cis­co flog und dach­te, dass es ja ein merk­wür­di­ger Zufall ist, dass Thees mit „Wal­ter & Gail“ ein Lied über sei­ne ame­ri­ka­ni­sche Fami­lie geschrie­ben hat­te.

Ich erin­ne­re mich, wie ich mit mei­nem Onkel nach New York flog, das damals wirk­lich noch die „Stadt mit Loch“ war. Dass ich am Chel­sea Hotel vor­bei­ging und wir am Sonn­tag­nach­mit­tag durch den Cen­tral Park spa­zier­ten und bei Son­nen­un­ter­gang das Reser­voir erreich­ten und wie ich dach­te, dass manch­mal ein­fach alles einen Sinn ergibt.

Ich erin­ne­re mich, wie ich im Dezem­ber wie­der in mei­nem WG-Zim­mer im Bochu­mer Stu­den­ten­wohn­heim saß, die Plat­te und „New York“ in all mei­nen Jah­res­bes­ten­lis­ten auf Platz 1 setz­te und dach­te, dass es wahr­schein­lich nie wie­der ein Album geben wür­de, das so eng mit mei­nem Leben ver­bun­den ist — und dass das auch okay sein wür­de.

Heu­te vor 15 Jah­ren erschien „Buch­sta­ben über der Stadt“ von Tom­te. L.Y.B.E.

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Another Decade Under The Influence: 2017

2017. Schnee! Mei­ne Oma zieht ins Senio­ren­heim. Ich habe eine neue Bril­le, ein „New Yorker“-Abo (plus Stoff­beu­tel) und eine The­ra­peu­tin — jetzt noch ein Cordsak­ko und ich bin ein ech­ter Ost­küs­ten-Intel­lek­tu­el­ler! Ein neu­es Tat­too. Ganz vie­le Aus­flü­ge mit U‑Bahnen, Stra­ßen­bah­nen und Zügen. Ich ent­wer­fe und baue mein ers­tes ganz eige­nes Möbel! The Ata­ris, Wan­da und Soul­wax live. Ostern ohne Eltern, aber mit eige­nem Kaf­fee­trin­ken. Wir fal­len run­ter wie Glit­zer auf Beton /​ Und malen die Stadt so bunt wie wir eben sind. ESC in Kiew: Dr. Peter Urban ist zum 20. Mal dabei, ich inzwi­schen auch schon zum ach­ten. Eltern-und-Kind-Tur­nen, ein Euphe­mis­mus für „Eltern die letz­te Lebens­en­er­gie aus­sau­gen“. Mein Mac­Book, treu­er Beglei­ter seit Dus­log-Tagen, raucht ab. End­lich wie­der Stadt­park-Nach­mit­ta­ge! I want a life, that’s all I need late­ly /​ I am ali­ve but all alo­ne. Mei­ne Oma ver­ab­schie­det sich für immer. I got loyal­ty, got royal­ty insi­de my DNA. Flug­zeu­ge gucken in Düs­sel­dorf. Wie die Star­ken die Schwa­chen, die Müden die Wachen /​ Umar­men, umar­men. Einen gan­zen Tag Geburts­tag fei­ern! Ein Fami­li­en­tref­fen in Frei­burg. kett­car sind zurück — aber sowas von! Wir gehen zur Eröff­nung von neu­en Stadt­bahn­hal­te­stel­len und Stra­ßen­bahn­li­ni­en. Ich hab jetzt lan­ge Haa­re. Plätz­chen­ba­cken und Weih­nachts­märk­te. Eine Schnee­ball­schlacht vor der eige­nen Haus­tür. Eine Modell­ei­sen­bahn unterm Weih­nachts­baum. An Weih­nach­ten wird klar: Das ist das letz­te Mal mit unse­rem Opa; was kei­ner ahnt: 96 Stun­den spä­ter ist er tot. Nobo­dy else will be the­re then /​ Nobo­dy else will be the­re. Ein­mal Sil­ves­ter mit Raclette und Blei­gie­ßen fei­ern, wie so ganz nor­ma­le Erwach­se­ne.

Ein ziem­lich okayes Jahr, auch wenn gleich zwei mei­ner Groß­el­tern gestor­ben sind. Ein Jahr, das aber auch eini­ger­ma­ßen öde gewe­sen wäre, wenn mei­ne bes­te Freun­din mich nicht stän­dig vor die Tür und ins Leben geschleift hät­te: zu Phil Coll­ins, ins Sta­di­on, auf die Cran­ger Kir­mes, zu 15 Jah­re Grand Hotel van Cleef, an mei­nem Geburts­tag ins Phan­ta­sia­land und ein Wochen­en­de nach Hol­land an den Strand. Und nicht eher schla­fen, bevor wir hier /​ Heu­te Nacht das Meer sehen /​ Spü­ren, wie kalt es wirk­lich ist.

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Another Decade Under The Influence: 2012

2012. Ein WDR-Kame­ra­team in mei­ner Woh­nung, das mich für eine Repor­ta­ge über „Bild“ inter­viewt. Eine East-17-Auto­gramm­stun­de in einem Köl­ner Ein­kaufs­zen­trum. Viel auf Kon­zer­ten gewe­sen, viel im Schau­spiel­haus Bochum. Berg­werks­be­sich­ti­gung: Nach vier Gene­ra­tio­nen Berg­leu­ten über mir bin ich zum ers­ten und letz­ten Mal unter Tage. Man­che Freund­schaf­ten hal­ten län­ger, als man denkt. Mei­ne klei­ne Schwes­ter ver­lobt sich. Ein ESC in Baku und eine Bewer­bung für neue Auf­ga­ben. Ein Abend auf Ina Mül­lers Küchen­bank mit Ste­fan Nig­ge­mei­er und Mich­a­lis Pan­te­lou­ris. Baby, bit­te mach Dir nie mehr Sor­gen um Geld! Ein blink-182-Kon­zert, auf dem bei „All The Small Things“ die Welt ste­hen bleibt und sich danach in die ande­re Rich­tung wei­ter­dreht. Und wenn Du mich küsst /​ Schreibt Noel wie­der Songs für Liam. Ein toter Opa, den ich nicht kann­te. Ein Som­mer im Stadt­park und ein biss­chen in Ber­lin. Zehn Jah­re Grand Hotel van Cleef in Ham­burg mit allen, die zur Fami­lie gehö­ren. Die ers­te Geburts­tags­par­ty zuhau­se und die Geburts­stun­de des Insti­tuts für Apo­ka­lyp­ti­schen Schla­ger. „The Fault In Our Stars“, eines der beein­dru­ckends­ten Bücher, das ich je gele­sen habe. Ein Tages­aus­flug zum Bewer­bungs­ge­spräch nach Mün­chen. Schon wie­der so vie­le Aben­de in Knei­pen und WG-Küchen. Hearts from hell col­l­i­de /​ On fire’s high­way tonight /​ We drea­med it, now we know. Der Welt­un­ter­gang fällt (vor­erst) aus, aber etwas Neu­es beginnt. Nicht, was man emp­fin­det /​ Es ist das, was man tut.

Ein Jahr, in dem alles gleich­zei­tig statt­fand, und das sich anfühl­te wie ein Leben: lang, laut, bunt, lus­tig, trau­rig, zwi­schen Pau­se­tas­te, Vor- und Zurück­spu­len. I need time to stop moving /​ I need time to stay use­l­ess. Ein Jahr vol­ler Musik, mit der wei­tes­ten Anrei­se zu einem Kon­zert ever: Um das 13 Jah­re alte Trau­ma eines ver­pass­ten Kon­zerts zu über­win­den, flie­ge ich bis nach Man­ches­ter, um Ben Folds Five end­lich live zu sehen. Fresh white snow for miles /​ Every foot­step will be mine.

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Endlich einmal etwas, das länger als vier Jahre hält

In „Almost Famous“ warnt der Musik­jour­na­list Les­ter Bangs sei­nen jun­gen Kol­le­gen Wil­liam Mil­ler davor, sich mit Musi­kern anzu­freun­den. Die woll­ten eh nur, dass man gut über sie schrei­be, und wenn die Distanz weg sei, kön­ne man auch gleich auf­hö­ren.

So gese­hen habe ich mei­ne Musik­jour­na­lis­ten-Kar­rie­re im Früh­jahr 2006 in den Wind geschos­sen, als ich Thees Uhl­mann nicht nur das Demo einer jun­gen Nach­wuchs­band aus mei­ner nie­der­rhei­ni­schen Hei­mat in die Hand gedrückt habe, son­dern acht Wochen spä­ter auch noch als Teil des Tom­te/Ki­li­ans-Tros­ses durch den Süden der Repu­blik getourt bin.

Das ers­te Album, das ich Anfang des Jah­res bei CT das radio aus dem Berg von Bemus­te­rungs­post gefischt hat­te, war die „Buch­sta­ben über der Stadt“ gewe­sen, deren Songs ich dann vier Aben­de hin­ter­ein­an­der live gehört habe, und als ich Anfang Novem­ber im Cen­tral Park am Reser­voir (ja, das aus „New York“) stand, dach­te ich: Von so einem Jahr kann man sich nur erho­len, wenn man beim ESC live vor Ort ist, wenn Deutsch­land gewinnt.

Jah­re­lang tra­fen wir uns immer wie­der in den Back­stage­räu­men nord­rhein-west­fä­li­scher Indie­rock-Ver­an­stal­tungs­or­te, auf Fes­ti­vals und im legen­dä­ren, inzwi­schen natür­lich geschlos­se­nen, Dins­la­ke­ner Jäger­hof, wo Thees mich bei der Kili­ans-Release­par­ty auf die Stirn küss­te. (Die genaue­ren Details sind mir ent­fleucht und ich möch­te dies­be­züg­lich nur Fal­co para­phra­sie­ren.)

Thees Uhlmann und Lukas Heinser, 2009

Wie es sich für eine ordent­li­che Freund­schaft gehört, wur­de unse­re aber auch auf eine har­te Pro­be gestellt: Tom­te lie­fen nach jede Men­ge Line-Up-Wech­seln aus und Thees ver­öf­fent­lich­te 2011 ein selbst­be­ti­tel­tes Solo­al­bum, mit dem ich auch nach gründ­li­chem Hören irgend­wie nicht warm wur­de. Auf „Wal­ter & Gail“ hat­te er 2006 noch gegen das Mit­tel­maß ange­sun­gen, jetzt fei­er­te er „Das Mäd­chen von Kas­se 2“ und das Leben auf dem Dorf, obwohl doch alle Songs, die wir jemals gut gefun­den hat­ten, davon han­del­ten, das Scheiß-Leben auf dem Land end­lich hin­ter sich zu las­sen. Ich fühl­te mich betro­gen.

Thees war damals wei­ter als ich: Vater gewor­den, Bezie­hung zer­bro­chen, dabei, das Glück im Klei­nen zu suchen. Nun wäre es bescheu­ert, zum bes­se­ren Ver­ständ­nis von Pop-Plat­ten die eige­nen Plä­ne vom Fami­li­en­le­ben zu sabo­tie­ren, aber ein paar Jah­re stand ich da in sei­nen Schu­hen und als Thees und sei­ne Band vor zwei Jah­ren in Ham­burg auf dem 15. Geburts­tag sei­nes Labels Grand Hotel van Cleef spiel­ten, stell­te ich fest, dass ich die Songs des ers­ten Solo­al­bums mit gro­ßer Hin­ga­be und Gän­se­haut mit­sang („Mei­ne Wahr­heit in 17 Wor­ten: Ich hab ein Kind zu erzie­hen, Dir einen Brief zu schrei­ben und ein Fuß­ball Team zu sup­port­en“). Dann kam die­se Mil­li­se­kun­de, als inmit­ten die­ses Sets mit Solo-Songs das Schlag­zeug-Intro zu einem Tom­te-Song erklang und noch ehe mein Gehirn exakt erfasst hat­te, wel­cher das eigent­lich war, war ich in der Luft und in mei­ner Erin­ne­rung habe ich für die nächs­ten 4 Minu­ten und 20 Sekun­den den Boden nicht mehr berührt – ich flog, wäh­rend ich mir gemein­sam mit dem Text zu „Schreit den Namen mei­ner Mut­ter“ die See­le aus dem Leib brüll­te, und alles war aus Gold. Fünf Tage zuvor war mei­ne Oma gestor­ben und das hier war genau das, was ich in die­sem Moment brauch­te, die letz­ten drei Jah­re gebraucht hät­te.

Anfang August kam nun end­lich das ers­te musi­ka­li­sche Lebens­zei­chen seit sechs Jah­ren: die Sin­gle „Fünf Jah­re nicht gesun­gen“. Mein Sohn und ich waren gera­de zu Besuch in Ber­lin, er schlief neben mir im Bett, als ich um Mit­ter­nacht Spo­ti­fy öff­ne­te und auf „Play“ drück­te:

Ich wür­de nicht behaup­ten, dass ich kom­plett ver­ste­he, wovon Thees da singt, aber die Stel­len, die ich ver­ste­he, füh­le ich sehr hart. Drei Wochen spä­ter war ich beim Kon­zert in Essen, was auf den Tag zehn Jah­re nach einem der letz­ten Tom­te-Kon­zer­te war, das ich gemein­sam mit den Kili­ans besucht hat­te. Thees und ich sahen uns nach der Show zum ers­ten Mal seit Jah­ren wie­der, ich bestell­te brav Grü­ße von mei­ner Mut­ter („Der Thees hat mir damals beim Kili­ans-Kon­zert den Tipp gege­ben, ein­fach Taschen­tü­cher ins Ohr zu stop­fen, wenn es zu laut ist. Das ist gut!“ – wenn das nicht Rock’n’Roll ist, weiß ich es auch nicht!) und wir sab­bel­ten über The Clash, „Paw Pat­rol“ und Ber­lin, als hät­ten wir uns vor ein paar Wochen zuletzt gese­hen.

Thees Uhlmann und Lukas Heinser, 2019

Eine Woche spä­ter bekam ich vom Grand Hotel das zuge­schickt, was im Jahr 2019 einer gebrann­ten Bemus­te­rungs-CD ent­spricht: Einen per­so­na­li­sier­ten Strea­ming-Link, unter dem ich Thees‘ neu­es Album „Jun­kies und Sci­en­to­lo­gen“ hören konn­te. Ich klick­te drauf, leg­te den Sound mei­nes Mac­Books auf mei­ne Anla­ge und drück­te etwas unsi­cher auf „Play“. Fünf­zig Minu­ten spä­ter saß ich erschöpft (ich hat­te ein paar Mal head­ban­gend durch die Woh­nung hüp­fen müs­sen) und auf­ge­wühlt (ich hat­te ein paar Mal Trä­nen in den Augen gehabt) auf mei­ner Couch und ver­fluch­te mich dafür, dass ich an dem Abend ver­ab­re­det war und das Album jetzt nicht direkt zehn Mal hin­ter­ein­an­der hören konn­te.

Olli Schulz sagt, „Jun­kies und Sci­en­to­lo­gen“ sei das Bes­te, was Thees seit „Hin­ter all die­sen Fens­tern“ gemacht hat, was ich nur des­we­gen nicht unter­schrei­ben kann, weil deren Nach­fol­ger „Buch­sta­ben über der Stadt“ bei mir eben so eine unglaub­li­che Son­der­stel­lung ein­nimmt. Genau­so wie kett­car die lan­ge Pau­se vor „Ich vs. Wir“ so gut getan hat, dass sie mal eben ihr viel­leicht bes­tes Album auf­ge­nom­men haben, ist auch Thees nach so lan­gem War­ten auf dem Höhe­punkt sei­nes Schaf­fens: Auf „Jun­kies und Sci­en­to­lo­gen“ sind er und sei­ne Band musi­ka­lisch so tight wie sel­ten, text­lich ist er noch bes­ser gewor­den.

Thees hat ja schon immer ver­sucht, Denk­mä­ler zu errich­ten, hier beschrif­tet er die Mes­sing­ta­feln teil­wei­se ganz schlicht: „Avicii“ ist tat­säch­lich ein völ­lig uniro­ni­sches Lob­lied auf den ver­stor­be­nen DJ, den er ger­ne geret­tet hät­te; „Katy Gray­son Per­ry“ schon ein Stück kom­ple­xer, weil er sowohl die ame­ri­ka­ni­sche Sän­ge­rin als auch den bri­ti­schen Künst­ler gemein­sam zu sei­nem Label holen will. In „Was wird aus Han­no­ver“ fei­ert er die Stadt, die vor allem für ihre völ­li­ge Egal­heit bekannt ist, und singt über deren bekann­tes­te Band: „Du hast über die Scor­pi­ons gelacht, aber die sind in ‚Stran­ger Things‘ “ – da muss man die Serie nicht mal geguckt haben, um zu ver­ste­hen, wie er das meint.

Die­ses Abkul­ten von Men­schen, berühm­ten wie unbe­kann­ten, erreicht im Titel­track sei­nen Höhe­punkt: Die Stro­phen sind eine ein­zi­ge Anein­an­der­rei­hung von Wid­mun­gen („Für das Mäd­chen im Ramo­nes Shirt“, „Für jeden, der in sei­ner Stra­ße Stol­per­stei­ne poliert“, „Für die Vier­fal­tig­keit der Bobs: Bob Mar­ley, Bob Dylan, Bob Andrews und Bob Ross“), der Refrain ein leuch­ten­der Ben­ga­lo im Mor­gen­grau­en:

Aber die Zukunft ist unge­schrie­ben
Die Zukunft ist so schön vakant
Und ich kom­me dich besu­chen
Egal ob Stamm­heim oder Bun­des­kanz­ler­amt

Da haben wir in vier Zei­len: Ein Joe-Strum­mer-Zitat, ein Fremd­wort, das sonst kaum in Lied­tex­ten auf­taucht, und das Name-Che­cking von zwei zen­tra­len Orten der deut­schen Nach­kriegs­ge­schich­te. Nenn mir einen die­ser jun­gen Deutsch­pop-Clowns, der etwas Ähn­li­ches hin­be­kom­men wür­de!

Natür­lich konn­te man Thees die­ses Pathos sei­ner Tex­te auch schon immer vor­wer­fen. Aber es ist ein ande­res Pathos als das von „Auf uns“ oder „Tage wie die­ser“, denn Thees‘ Lie­der tau­gen nicht zur Unter­ma­lung von Fuß­ball­tur­nier-Super­cuts. Viel­leicht gibt es für Außen­ste­hen­de auf dem Papier auch gar kei­nen Unter­schied, aber für mich ist es auch eine her­me­neu­ti­sche Kate­go­rie, wer da spricht oder singt. Ich weiß noch, wie ich damals erst die Tex­te von Tom­te und dann Thees selbst ken­nen­lern­te und dach­te: Da ist jemand, der packt das in Wor­te, was ich irgend­wo in mir drin gefühlt habe und nie­mals hät­te aus­drü­cken kön­nen. Thees gab mir das Voka­bu­lar für Lie­bes­be­kun­dun­gen, The­ra­pie­sit­zun­gen und Blog-Ein­trä­ge.

Mor­gen erscheint „Jun­kies und Sci­en­to­lo­gen“ dann offi­zi­ell. Für mich endet damit die­se Pha­se, in der man sich wie ein Mit­ver­schwö­rer füh­len kann, weil man Songs kennt, die erst weni­ge Men­schen gehört haben. Aber ich bin mir sicher, dass es da drau­ßen Tau­sen­de gibt, die die­se Lie­der genau­so lie­ben wer­den wie ich und denen sie genau­so viel (und gleich­zei­tig etwas völ­lig ande­res) bedeu­ten wer­den.

Im letz­ten Lied der Plat­te singt Thees:

Ich bin der Letz­te mit einem Bier­glas in einer Welt vol­ler Cham­pa­gner
Die Welt ist von sich selbst besof­fen, aber ich bleib beim Bier

Du Astra, ich Fie­ge! Auf „Jun­kies und Sci­en­to­lo­gen“!

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Eine Liebe zur Musik, eine Liebe zu den Tönen

Ich hab’s ver­passt: Am Sonn­tag jähr­te sich zum zehn­ten Mal das Tom­te-Kon­zert im Düs­sel­dor­fer Zakk, weni­ge Tage vor Ver­öf­fent­li­chung der „Buch­sta­ben über der Stadt“. Ich war zum Inter­view mit Thees Uhl­mann ver­ab­re­det und ent­spre­chend früh da, war aber trotz­dem etwas erstaunt, als mich der Künst­ler dann höchst­selbst auf dem Han­dy anrief und zum Gespräch bat.

Als er die Tür zum Back­stage­raum öff­ne­te, trug er einen Blink-182-Kapu­zen­pull­over, hat­te ein Rot­wein­glas in der Hand und grins­te mich an. Es war unser zwei­tes Inter­view, wovon er aber ver­mut­lich nichts wuss­te. Ich hat­te das Album schon seit Anfang des Jah­res und war schwer begeis­tert, muss­te aber erst noch was ande­res los­wer­den:
„Hi, ist Simon nicht da? Ich hät­te hier ein Demo für ihn. Sind Bekann­te von mir, die machen so Strokes-mäßi­gen Indie­rock.“

Und Thees sag­te so was wie: „Zeig mal hier“, guck­te auf die Track­list und sag­te tri­um­phie­rend: „Gott sei Dank, sie sin­gen Eng­lisch!“ Dann leg­te er die CD in sei­nen Lap­top und drück­te auf Play. Zu den ers­ten Tak­ten von „At All“ sang er „Ein Volk steht wie­der auf …“, weil der Beat was von kett­cars „Dei­che“ hat. Er skipp­te sich durch die sechs Songs und sag­te die gol­de­nen Wor­te: „Wenn ich die mor­gen noch geil fin­de, wenn ich wie­der nüch­tern bin, dann sign ich die!“ Dann erst konn­te ich mein Inter­view begin­nen.

Als Ger­ne Poets, der Mana­ger, wäh­rend des Inter­views kurz vor­bei­schau­te, erklär­te ihm Thees im Über­schwung, er habe gera­de ein Demo gehört und wer­de eine neue Band beim Grand Hotel van Cleef unter Ver­trag neh­men. Ger­ne dach­te ver­mut­lich das glei­che wie ich: „Ja, klar. Laber­la­ber!“ Acht Wochen spä­ter stand ich im E‑Werk in Erlan­gen und sah die Kili­ans im Vor­pro­gramm von Tom­te spie­len.

Seit­dem ist viel pas­siert: Die Bands gibt es nicht mehr, eini­ge von uns sind Väter gewor­den, die meis­ten Leu­te habe ich seit Jah­ren nicht gese­hen. Aber die­se vier Tage, die ich mit Tom­te und den Kili­ans auf Tour war, als wir in Stutt­gart im Copy Shop hun­der­te von CD-Book­lets nach­dru­cken las­sen muss­ten und auf allen ver­füg­ba­ren Lap­tops die­se EP gebrannt haben (teil­wei­se am Merch­stand: „Hi, ich hät­te ger­ne die CD von der Vor­grup­pe!“ — „Ja, klei­nen Moment, gleich ist wie­der eine fer­tig!“), als ich die Songs von Tom­te Abend für Abend gehört habe, als sich mein Leben wie „Almost Famous“ anfühl­te und wir für eine kur­ze Zeit über­zeugt davon waren, dass es im Leben nichts wich­ti­ge­res, bedeut­sa­me­res und grö­ße­res geben kön­ne als Rock­mu­sik, das alles wird für immer blei­ben. Auf einem Platz in mei­nem Herz steht Dein Name an der Wand und ich will, dass Du es erfährst.

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Never Go To Work Again

Ich habe noch ziem­lich leb­haft vor Augen, wie mein klei­ner Bru­der mir irgend­wann Ende Sep­tem­ber 2005 ein paar MP3s mit dem Hin­weis schick­te: „Hier, das sind Kum­pels von mir – hör Dir das mal an!“ Ich hat­te unge­fähr 20 Sekun­den gehört, als mein Unter­kie­fer buch­stäb­lich her­un­ter­klapp­te. „Kum­pels von Dir, ja? Aus Dins­la­ken?! Nicht aus New York?!“

Rund vier Wochen spä­ter sah ich die Band zum ers­ten Mal live, am viel­leicht un-rock’n’rol­ligs­ten Ort der Welt: Im Bochu­mer „Haus der Freun­de“ auf einer Par­ty des Modell­stu­di­en­gangs Medi­zin. Neben einem kal­ten Buf­fet stan­den fünf Jungs mit ihren Instru­men­ten und ich weiß noch, dass ich damals dach­te: „Das sind ja noch Kin­der!“ Gerockt haben sie damals aber schon wie die ganz Gro­ßen und so notier­te ich am fol­gen­den Tag in mei­nem Tage­buch:

The Kili­ans ges­tern waren so fein, wie ich es erwar­tet hat­te. Mann, die wer­den hof­fent­lich mal rich­tig groß.

Vier Mona­te spä­ter spiel­te die Band im Vor­pro­gramm von Tom­te – ein Tri­umph­zug durch die mit­tel­gro­ßen Kon­zert­hal­len der Repu­blik. Der Arti­kel aus dem Band­na­men ver­schwand, das Debüt­al­bum wur­de von der Musik­pres­se vor­sich­tig eupho­risch auf­ge­nom­men, die Band wur­de zwei Mal für die „Eins­li­ve-Kro­ne“ nomi­niert und erspiel­te sich als Sup­port von Cold­play, auf den Fes­ti­vals und in den Clubs der Repu­blik eine treue Fan­ge­mein­de.

Aus den Kin­dern von damals sind inzwi­schen erwach­se­ne Män­ner gewor­den und das ist auch der Grund, war­um die Kili­ans jetzt den Ste­cker zie­hen:

Job, Stu­di­um und Fami­lie lie­ßen sich kaum mit einer Fes­ti­valsai­son oder gar einem neu­en Album ver­ei­nen.

Bevor die Band in die ewi­gen Jagd­grün­de – oder in den Lim­bus vor der Come­back-Tour – geschickt wird und sich die Jün­ge­ren nur noch an das Sam­ple in Cros „Ein­mal um die Welt“ erin­nern kön­nen, haben die Kili­ans im Som­mer eine Abschieds­tour ange­kün­digt.

Unter der kna­cki­gen Über­schrift „Das letz­te Mal live und in Far­be, fresh und unbe­kannt, die Strokes vom Nie­der­rhein“ geht es in zwei Wochen ein letz­tes Mal auf die Stra­ße:

Tourplakat4. Dezem­ber: Düs­sel­dorf, Zakk
5. Dezem­ber: Ham­burg, Knust
6. Dezem­ber: Dort­mund, FZW (VISIONS Par­ty)
7. Dezem­ber: Bre­men, Tower
8. Dezem­ber: Ber­lin, Post­bahn­hof
10. Dezem­ber: Han­no­ver, Lux
11. Dezem­ber: Mün­chen, Back­stage
12. Dezem­ber: Stutt­gart, Kel­ler Klub
13. Dezem­ber: Wies­ba­den, Schlacht­hof
15. Dezem­ber: Köln, Gebäu­de 9

Das „Haus der Freun­de“ in Bochum oder die Kath­rin-Türks-Hal­le in Dins­la­ken sind dies­mal also nicht dabei, aber für den Dort­mun­der Auf­tritt ver­lo­sen wir mit der freund­li­chen Unter­stüt­zung vom Grand Hotel van Cleef 2x2 Gäs­te­lis­ten­plät­ze.

Beant­wor­ten Sie dazu bit­te fol­gen­de Fra­ge: Wel­chen Kili­ans-Song hat Cro bei „Ein­mal um die Welt“ gesam­pelt?

Die Gewin­ner wer­den unter all denen gezo­gen, die die rich­ti­ge Ant­wort bis zum 3. Dezem­ber 2013, 23:59:59, an gewinnegewinnegewinne@coffeeandtv.de schi­cken, und anschlie­ßend benach­rich­tigt.

Klein­ge­druck­tes: Die E‑Mails und dazu­ge­hö­ri­gen E‑Mail-Adres­sen wer­den nur für das Gewinn­spiel ver­wen­det und danach ent­sorgt. Jeder Teil­neh­mer darf nur eine E‑Mail schi­cken. Der Rechts­weg ist aus­ge­schlos­sen.

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Musik

Was macht ein Klischee zum Klischee?

Ich bekomm ja irgend­wie gar nichts mehr mit.

Im April, zum Record Store Day, hat­te das Ham­bur­ger Tra­di­ti­ons­la­bel Grand Hotel van Cleef bekannt­ge­ge­ben, dass Label­grün­der und kett­car-Chef Mar­cus Wie­busch eine Solo-EP ver­öf­fent­li­chen wer­de. (Auf­merk­sa­me Beob­ach­ter von Wie­buschs Leben ’n‘ Werk wis­sen natür­lich, dass es sich dabei nicht um sei­ne „ers­te“ Solo-Ver­öf­fent­li­chung han­delt.) Ich hab die Vinyl-Schei­be am Record Store Day nicht bekom­men und das gan­ze dann völ­lig aus den Augen ver­lo­ren.

Letz­te Woche fiel mir dann wie­der ein, dass ich die EP ja auch digi­tal kau­fen könn­te – seit­dem läuft „Nur ein­mal rächen“ bei mir auf Dau­er­ro­ta­ti­on:

Mal davon ab, dass das neben „Safe And Sound“ die ein­gän­gigs­te Blä­ser-Hook­li­ne des Jah­res sein dürf­te, ist das auch text­lich ein gro­ßer Wurf: Die Geschich­te vom ewi­gen Nerd („Nur Einmal Rächen, Digger“), der es geschafft hat und jetzt auf die – schon bei R.E.M. zitier­te – Geor­ge-Her­bert-Sen­tenz setzt, wonach ein gutes Leben die bes­te Rache sei. Das klingt schon beim zwei­ten Hören nicht mehr ganz so über­zeu­gend und genau die­ses Kip­peln auf dem schma­len Grat macht den Reiz die­ses Lie­des aus.

Das dazu­ge­hö­ri­ge Album soll, wie Mar­cus Wie­busch im April mit­teil­te, „bald“ erschei­nen.

Schon das zwei­te Solo­al­bum ver­öf­fent­licht Thees Uhl­mann, inzwi­schen dann wohl tat­säch­lich Ex-Sän­ger von Tom­te und ein wei­te­rer GHvC-Label­grün­der. Mit dem Erst­werk „Thees Uhl­mann“ bin ich ja nie so recht warm gewor­den und es spricht vie­les dafür, dass mich der Nach­fol­ger „#2“ noch käl­ter las­sen wird.

Oder auch: noch rat­lo­ser.

Schö­nes Video, war sicher nicht bil­lig, aber … puh.

Die Aus­sa­ge, jemand kön­ne „auch das Tele­fon­buch von Wup­per­tal vor­sin­gen“ ist ja eher sel­ten wört­lich zu neh­men und auf den Wiki­pe­dia-Ein­trag zum 7. März zu über­tra­gen.

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Musik

Haut es mit Edding an die Wände

Irgend­wann im Herbst 2002 sag­te ein Kum­pel zu mir: „Ey, ich war grad auf der Visi­ons-Par­ty. kett­car haben gespielt, die könn­ten Dir auch gefal­len!“ Also mach­te ich das, was man damals so mach­te, ging in die Tausch­bör­sen und schau­te, was es dort so gab.

Ich weiß nicht mehr ganz genau, wel­ches Lied ich dann als ers­tes gehört habe, aber es müss­te „Im Taxi wei­nen“ oder „Genau­er betrach­tet“ gewe­sen sein. Letz­te­res ist bis heu­te mei­ne Lieb­lings­lied von kett­car, ers­te­res berühr­te mich damals auf Anhieb, ohne dass ich gleich ver­stan­den hät­te, wor­um es eigent­lich ging. Über­haupt hat­ten die Songs über frisch geschei­ter­te Bezie­hun­gen, Par­ty­näch­te mit den bes­ten Freun­den und das Schei­tern von Lebens­ent­wür­fen ver­gleichs­wei­se wenig mit mei­ner Lebens­wirk­lich­keit als Zivil­dienst­leis­ten­der in einer nie­der­rhei­ni­schen Klein­stadt zu tun – aber ich lieb­te sie von Anfang an.

Nach ein paar Wochen kauf­te ich mir in der CD-Abtei­lung der Dro­ge­rie Mül­ler in Essen dann end­lich „Du und wie­viel von Dei­nen Freun­den“, das mich seit­dem geprägt hat wie kaum ein ande­res Album. Über Jah­re waren die Tex­te, die ich in mein pri­va­tes Blog häm­mer­te, und die Musik-Rezen­sio­nen, die ich im Inter­net ver­öf­fent­lich­te, voll von direk­ten Zita­ten aus und Ver­wei­sen auf kett­car-Songs.

Na dann herz­li­chen Glück­wunsch.
Das Geld kommt aus der Wand.
Ent­schul­di­gung, sind Sie? Wir müs­sen Ihnen mit­tei­len.
Und wer bei zehn noch steht hat recht.
Das Gegen­teil von gut ist gut gemeint.
Komm schon, Groß­hirn, wünsch mir Glück.
Die Sum­me unse­res All­tags in zwei gepack­ten Kof­fern.
Die­ses Bild ver­dient Applaus.
Der Tag an dem wir uns „We’­re gon­na live fore­ver“ auf die Ober­schen­kel täto­wier­ten.
Solang die dicke Frau noch singt, ist die Oper nicht zu Ende.
Mein Skate­board kriegt mein Zahn­arzt, den Rest kriegt mein Fri­seur.
Ist man jetzt, wo man nicht mehr high ist, froh dass es vor­bei ist?
Ich dan­ke der Aca­de­my.
Auf­ste­hen, atmen, anzie­hen und hin­ge­hen, zurück­kom­men, essen und ein­se­hen zum Schluss, dass man wei­ter­ma­chen muss.

Von …But Ali­ve und Ran­t­an­plan, den Vor­gän­ger­bands von kett­car, hat­te ich damals natür­lich schon gehört, hat­te sie aber nicht genug auf dem Schirm gehabt, um von Anfang an mit­zu­krie­gen, wie Mar­cus Wie­busch und Rei­mer Bus­torff erst kett­car und dann, weil kei­ne Plat­ten­fir­ma der Repu­blik das Album raus­brin­gen woll­te, gemein­sam mit Thees Uhl­mann das Grand Hotel van Cleef grün­de­ten. Aber ab Dezem­ber 2002 war ich dabei.

Ich erin­ne­re mich an mein ers­tes kett­car-Kon­zert im Zakk in Düs­sel­dorf im Janu­ar 2003, an den Tour­ab­schluss im Index in Voer­de (of all places!) und an die vie­len, vie­len Kon­zer­te in klei­nen Clubs, grö­ße­ren Hal­len und auf Fes­ti­vals, die danach kamen. An die lan­gen Mona­te, in denen ich gefühlt nur ein Album im Disc­man hat­te.

Ich erin­ne­re mich an mei­ne ers­te Rei­se nach Ham­burg und dar­an, wie ich am Haupt­bahn­hof „Du und wie­viel von Dei­nen Freun­den“ ein­leg­te und es auf der S‑Bahn-Fahrt nach St. Pau­li bei­na­he schaff­te, dass „Lan­dungs­brü­cken raus“ an genau der rich­ti­gen Stel­le lief. Dass ich damals nach Ham­burg zie­hen woll­te, wegen „Abso­lu­te Gigan­ten“ und die­ser Band.

Ich erin­ne­re mich dar­an, wie ich wegen einer Ver­ket­tung von Zufäl­len als einer der Ers­ten die Pro­mo zum zwei­ten Album „Von Spat­zen und Tau­ben, Dächern und Hän­den“ zuge­schickt bekam, weil ich eine Pres­se­info dazu schrei­ben soll­te. Der Text wur­de glück­li­cher­wei­se nie ver­öf­fent­licht, weil Thees Uhl­mann auch einen geschrie­ben hat­te, der natür­lich bes­ser und näher dran war. Und ich erin­ne­re mich dar­an, wie ich dann am Ver­öf­fent­li­chungs­tag bei ElPi in Bochum stand und die Spe­cial Edi­ti­on des Albums nach hau­se schlepp­te.

Ich erin­ne­re mich an die Bei­trä­ge in den „Tages­the­men“, bei „Poly­lux“ und an die fast ganz­sei­ti­ge Geschich­te in der „Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Sonn­tags­zei­tung“, an die vie­len Kon­zer­te, die ich zum zwei­ten Album besucht habe, und an das Pla­kat zum Album, das mei­ne gute Freun­din Mar­ti­na Dri­gnat gestal­tet hat­te, und das jah­re­lang an mei­ner Zim­mer­tür im Stu­den­ten­wohn­heim hing (abwech­selnd innen und außen).

Ich erin­ne­re mich an „Sylt“, das drit­te Album, zu dem ich erst kei­nen rech­ten Zugang fand, und das, als ich dann in die Erwach­se­nen­welt von Öko­no­mie, Abschie­den und Älter­wer­den hin­ein­stol­per­te, schon da war und auf mich war­te­te. Ich erin­ne­re mich an das Kon­zert in Dort­mund im Okto­ber 2009, bei dem Mar­cus Wie­busch Tex­te und Akkor­de ver­gaß und die Band vor den Augen der Zuschau­er aus­ein­an­der zu fal­len droh­te. Sie stan­den auf und mach­ten wei­ter.

Ich erin­ne­re mich ans Bochum Total 2011, als kett­car ihren neu­en Song „Nach Süden“ spiel­ten, über einen Mann der nach andert­halb Jah­ren die Krebs­sta­ti­on im Kran­ken­haus lebend ver­lässt. Es war auf den Tag genau der fünf­te Jah­res­tag der Beer­di­gung eines sehr lie­ben Ver­wand­ten, der das nicht geschafft hat­te, und ich stand da mit Gän­se­haut und feuch­ten Augen und woll­te die Band wie so oft umar­men.

Im Früh­jahr erschien dann „Zwi­schen den Run­den“, das vier­te Album der Band. Es war, wie schon „Sylt“, anders, nicht so leicht zugäng­lich und weit von den Hym­nen der ers­ten bei­den Alben ent­fernt. Aber es beginnt mit „Ret­tung“, dem schöns­ten Lie­bes­lied, das je geschrie­ben wur­de:

Ende August fei­er­te das Grand Hotel sei­nen zehn­ten Geburts­tag auf der Trab­renn­bahn in Ham­burg. kett­car spiel­ten als letz­tes und ihr Auf­tritt war von Anfang an wie ein Klas­sen­tref­fen – nur im posi­ti­ven Sin­ne. Um mich her­um stan­den lau­ter Men­schen, die mit kett­car erwach­sen gewor­den waren, und es tat gut zu sehen, dass die Band immer noch da war. Bei „Lan­dungs­brü­cken raus“, an der wich­ti­gen Stel­le „2002 the year Schwach­sinn bro­ke“, ging plötz­lich Pyro­tech­nik los und es reg­ne­te Gold. Eigent­lich ein biss­chen too much für die­se beschei­de­ne Band, die es nie drauf ange­legt hat, im Radio gespielt zu wer­den, aber in die­sem Moment ver­dammt ange­mes­sen.

kett­car waren schon kurz vor der Neu­es­ten Deut­schen Wel­le da gewe­sen, und sie sind jetzt immer noch da, wo man kaum noch das Radio ein­schal­ten kann, ohne von einem die­ser neu­en Schla­ger­hei­nis ange­nu­schelt zu wer­den, auf die das Adjek­tiv zutrifft, dass kett­car damals viel­leicht sogar erfun­den haben: „befind­lich­keits­fi­xiert“. Von mei­nen Hel­den von damals sind sie die letz­ten Ver­blie­be­nen: Tom­te sind ein­fach nicht mehr da und Thees Uhl­mann besingt tote Fische, muff pot­ter. haben sich selbst den Ste­cker gezo­gen und Jupi­ter Jones, denen ich ihren spä­ten Durch­bruch ja eigent­lich wirk­lich von Her­zen gön­ne, spie­len jetzt gemein­sam mit Ana­sta­cia und fuck­ing Mick Huck­nall („The Voice Of Sim­ply Red“) bei der „AIDA Night of the Proms“.

Am Frei­tag erschien „Du und wie­viel von Dei­nen Freun­den“ in der „10 Jah­re Delu­xe Edi­ti­on“, die man viel­leicht nicht ganz zwin­gend braucht, wenn man eh schon alles von kett­car hat, aber die mit die­sem wun­der­schö­nen Trai­ler daher­kommt:

Am Sonn­tag habe ich kett­car beim Visi­ons West­end in Dort­mund wie­der live gese­hen, zum ins­ge­samt 15. Mal, wenn ich rich­tig gezählt habe. Es war einer ihren bes­ten Auf­trit­te. Die Men­schen, an die ich beim Hören den­ke, sind im Lau­fe der Jah­re ande­re gewor­den, aber die Songs sind immer noch so gigan­tisch groß wie damals, als ich sie zum ers­ten Mal gehört habe.

I’d like to thank the aca­de­my (aca­de­my, aca­de­my).

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I woke up to the Sound of German hip hop in my head

Es nützt ja nichts mehr, das zu leug­nen: Ich glau­be, ich mag jetzt deutsch­spra­chi­gen Hip-Hop. Zumin­dest teil­wei­se.

Alles begann mit der „Echo“-Verleihung im März, als Cas­per mit sei­nem Album „XOXO“ in der Kate­go­rie „Hip-Hop /​ Urban“ obsieg­te. „Toll: Wenigs­tens die­ser sym­pa­thi­sche Schluf­fi und nicht so homo­pho­be Hon­ks wie Bushi­do oder Sido“, dach­te ich, klick­te bei Cas­pers Face­book-Pro­fil auf „Gefällt mir“ und kauf­te „XOXO“ sofort bei iTu­nes.

Dann dau­er­te es ein biss­chen, bis ich mich in das Album rein­ge­fun­den hat­te, aber inzwi­schen haben drei Songs in mei­nem iTu­nes die Höchst­wer­tung von fünf Ster­nen. Hier ist einer davon:

Als Cas­per beim Geburts­tags­fes­ti­val vom Grand Hotel van Cleef vor­letz­ten Sonn­tag in Ham­burg als Über­ra­schungs­gast auf die Büh­ne kam, um erst bei Thees Uhl­manns „Und Jay‑Z singt uns ein Lied“ mit­zu­rap­pen und dann mit der Band sein eige­nes Uhl­mann-Duett „XOXO“ per­form­te, war das einer der groß­ar­tigs­ten Momen­te, den ich die­ses Jahr auf einem Kon­zert erlebt habe.

Über Cro hat­te ich ja neu­lich schon geschrie­ben, hier aber auch noch mal ein Fünf-Ster­ne-Song:

Seit ein paar Wochen läuft jetzt die gemein­sa­me Sin­gle von Mar­te­ria, Yasha & Miss Plat­num im Radio. Und nach ein paar Durch­gän­gen war ich mir sicher, dass mir auch „Lila Wol­ken“ gefällt:

Und irgend­wann wer­den die Plat­ten­fir­men sicher auch ver­stan­den haben, dass Hörer, denen ein Song gefällt, die­sen am Liebs­ten sofort kau­fen wür­den – und nicht erst ein paar ver­damm­te Wochen spä­ter.

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Musik

Es ist nicht immer Delmenhorst

Und Sie hat­ten schon gedacht, ich hät­te es ver­ges­sen:

Heu­te ist die neue Sin­gle der Kili­ans erschie­nen. Es han­delt sich dabei um den Song „Home­town“, den ich hier schon ein­mal geprie­sen hat­te, und der laut Simon den Har­tog trotz allem nicht von Dins­la­ken han­delt.

Trotz­dem hät­te ich es natür­lich irgend­wie fun­ky gefun­den, das Video in Dins­la­ken zu dre­hen, aber es ist auch so ganz hübsch gewor­den:

[Direkt­link]

Viel­leicht erklärt Chris Mar­tin dem Simon ja bei den Cold­play-Kon­zer­ten ja noch, wie man das mit dem Rück­wärts­sin­gen noch bes­ser hin­kriegt …

Eine B‑Seite gibt’s übri­gens auch bei der Sin­gle: Einen „Hometown“-Remix der Sala­zar Brot­hers (die wo die neue Man­do Diao gemacht haben), den man sich auch ohne Kau­fen bei last.fm anhö­ren kann.

Die Sin­gle gibt’s in allen bekann­ten Down­loads­to­res. Die Kili­ans, vie­le ande­re Bands und die Über­schrift-inspi­rie­ren­den Ele­ment Of Crime gibt es noch mor­gen und über­mor­gen beim Fest van Cleef.

Zir­kel­schluss-Epi­so­de zum Abschluss: Vor­ges­tern saß ich mit Simon den Har­tog in einem Köl­ner Bus, als eine Frau im Micha­el-Wend­ler-T-Shirt ein­stieg. Ich bin ja immer noch der Mei­nung, man müss­te Micha­el Wend­ler feat. Kili­ans zum Grand Prix nach Trom­sø schi­cken.