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Songs des Jahres 2012

Ich bin natürlich viel zu spät dran. Ich habe inzwischen mehrere Songs im Radio oder in Gaststätten gehört, die selbstverständlich noch auf die Liste gehört hätten, die ich aber schlichtweg vergessen habe. Und vermutlich habe ich die besten Sachen eh wieder nicht mitbekommen.

Egal.

Hier sind meine Songs des Jahres 2012:

25.The Killers – Runaways
“Battle Born”, das vierte reguläre Album der Killers, hat nicht die Übersongs wie “Hot Fuss”, es ist kein geschlossenes Meisterwerk wie “Sam’s Town”, aber auch nicht so unsortiert wie “Day & Age”. Kurzum: Es ist ein völlig okayes Album — und es hat “Runaways”, die neueste Springsteen-Hommage (Frau kennengelernt, schwanger geworden, geheiratet, Stimmung im Arsch — man kennt das) aus dem Hause Flowers. “We can’t wait till tomorrow”!

24. Calvin Harris feat. Example – We’ll Be Coming Back
Das Konzert von Example in der Kölner Essigfabrik war eines der besten und energiegeladensten, die ich 2012 besucht habe. Leider werde ich mit dem neuen Album “The Evolution Of Man” nicht richtig warm, aber diese Kollaboration mit Calvin Harris, die auf den Alben beider Künstler enthalten ist, ist schon sehr ordentlich geworden.

23. Frittenbude – Zeitmaschinen aus Müll
Ein Plädoyer für den Spaß, die Party, die Selbstzerstörung, ohne gleichzeitig gegen Spießertum und Bausparverträge zu hetzen. Die Kernaussage “Jeder Tag ist der beste Tag eines Lebens” ist vielleicht nicht sonderlich neu, aber sie rundet diesen melancholischen Carpe-Diem-Popsong wunderbar ab.

22. Santigold – Disparate Youth
Unseren jährlichen Mobilfunk-Werbesong gib uns auch heute wieder. Natürlich haben die sonnendurchfluteten Erlebnis-Bilder aus den Vodafone-Spots diesen ohnehin großen Song noch ein bisschen weiter mit Bedeutung aufgeladen, aber auch nach der Dauerbeschallung im Fernsehen (und mehr noch: im Internet) hat das Lied nichts von seiner Schönheit verloren.

21. Benjamin Gibbard feat. Aimee Mann – Bigger Than Love
Da veröffentlicht der Sänger von Death Cab For Cutie und The Postal Service das erste richtige Soloalbum unter eigenem Namen (“Former Lives”) und der beste Song ist wieder mal eine Kollaboration. Nach “Bigger Than Love” wünscht man sich, Gibbard und Mann hätten zusammen ein komplettes Album aufgenommen, so großartig harmonieren ihre beiden Stimmen und so schön ist das Ergebnis geworden.

20. The Gaslight Anthem – “45”
Ich würde sie ja gerne ignorieren, diese schrecklichen Kreationisten aus New Jersey, aber dafür machen sie leider immer noch viel zu gute Musik. “45” ist eben leider ein großartiger Opener zu einem ziemlich guten Album. Die Frage, ob man guten Künstlern nachsehen sollte, dass sie offensichtlich Idioten sind, klären wir dann eben später.

19. Kid Kopphausen – Das Leichteste der Welt
Seit dem 10. Oktober kann man Kid Kopphausen nicht mehr hören, ohne mitzudenken, dass Nils Koppruch, einer der zwei Köpfe dieser Band, starb, bevor es mit der Band richtig losgehen konnte. Hier singt nun die meiste Zeit Gisbert zu Knyphausen, der andere Kopf, und er singt so grandios Zeilen wie “Denn jeder Tag ist ein Geschenk, er ist nur scheiße verpackt”. Das ist so meilenweit weg von den Acts, die jedes Jahr den “Bundesvision Song Contest” unsicher machen, so sagenhaft gut, dass es wirklich keines Todesfalls bedurft hätte, um dieses Album noch besonderer zu machen. Aber so ist das Leben manchmal.

18. Kendrick Lamar – Swimming Pools (Drank)
Es sind so viele Lobeshymnen über Kendrick Lamar und sein Debütalbum “good kid, m.A.A.d city” erschienen, dass ich keinerlei Ambitionen habe, dem noch etwas hinzuzufügen. Es ist ein wahnsinnig kluges Album, das vielleicht nicht im eigentlichen Sinne catchy ist, an dem wir aber vermutlich auch in 20, 30 Jahren noch unsere Freude haben werden. Und “Swimming Pools (Drank)” ist der beste Song darauf. Vielleicht.

17. Leslie Clio – Told You So
Während Thees Uhlmann solo Karriere macht, hat der Rest der letzten Tomte-Besetzung umgesattelt und ist jetzt Backing Band (bzw. im Falle von Niko Potthoff auch noch Produzent) von Leslie Clio, der – großer Gott, Musikjournalisten! – “deutschen Antwort auf Adele”. “Told You So” ist clever, knackig und entspannt und gemeinsam mit der Nachfolgesingle “I Couldn’t Care Less” lässt das Großes für das im Februar erscheinende Debütalbum “Gladys” erwarten.

16. Frank Ocean – Lost
Und noch so ein Album, das völlig zu Recht auf allen Bestenlisten weit vorne gelandet ist. Ich habe länger gebraucht, um mit “Channel Orange” warm zu werden, aber es wird tatsächlich bei jedem Hören noch besser. “Lost” ist der … nun ja: eingängigste Song des Albums, der ein bisschen schüchtern vor sich hin groovt.

15. Cro – Easy
Ja, der Song hätte auch schon 2011 auf der Liste stehen können. Ja, man kann das mit der Panda-Maske albern finden. Ja, die ständige Medienpräsenz (außer in der “WAZ”) nervt ein bisschen. Aber bitte: “Easy” ist immer noch ein großartiger Song. Die Zeilen mit “AC/Deasy” und “Washington, Deasy” zählen zum Cleversten, was im deutschsprachigen Hiphop je passiert ist — wobei die Konkurrenz da jetzt auch überschaubar ist.

14. Alex Clare – Up All Night
Keine Ahnung, warum die großen Hits von Alex Clare jetzt “Too Close” und “Treading Water” sind: “Up All Night” hat doch viel mehr Energie und ist viel abwechslungsreicher. Andererseits dürften die Auswirkungen auf den Straßenverkehr auch verheerend sein, wenn so ein Lied plötzlich im Formatradio läuft. Verglichen mit dem Rest des Albums, der zwischen Soul und Dubstep schwankt, ist der Refrain von “Up All Night” nämlich ein regelrechtes Brett. Andrew W.K., mit dem Drumcomputer nachempfunden.

13. Burial – Loner
Von der Radiovariante zum Untergrundhelden: Kaum ein Künstlername passt so gut zur Musik wie der von Burial. Die Doppel-EP “Street Halo / Kindred” ist das, was Massive Attack seit Jahren nicht mehr richtig hinbekommen, und “Loner” ist mit knackigen siebeneinhalb Minuten noch das zugänglichste Stück in diesem düsteren Gewaber. Unbedingt mit Kopfhörern und geschlossenen Augen genießen!

12. The Wallflowers feat. Mick Jones – Reboot The Mission
Nach sieben Jahren Pause und zwei sehr guten Soloalben von Jakob Dylan sind die Wallflowers zurück — und klingen plötzlich nach The Clash! Und, klar, wenn sie im Text Joe Strummer erwähnen, können sie für die Gitarre und den Gesang im Refrain gleich auch noch Mick Jones verpflichten. Und ich bin so einfach gestrickt, dass ich es grandios finde!

11. Kathleen Edwards – Change The Sheets
Ich glaube, wenn ich alles zusammenzähle, ist Kathleen Edwards meine Lieblingssängerin: Diese wunderschöne Stimme, diese Stimmungsvollen Songs und die Bilder, die ihre Musik entstehen lässt! Und dann ist “Voyageur”, ihr viertes Album, auch noch von Justin Vernon von Bon Iver produziert und enthält Songs wie “Change The Sheets”! Toll!

10. Bob Mould – The Descent
Gut, Bob-Mould-Alben klingen immer gleich und viel Abwechslung gibt es auch auf “Silver Age” nicht. Aber als einzelner Song kann so etwas wunderbar funktionieren und was der Ex-Sänger von Hüsker Dü und Sugar da mit 52 aus dem Ärmel schüttelt, kriegen manche Musiker unter 30 nicht auf die Kette. Die Formel “Gitarrengeschrammel plus hymnische Chöre” ist natürlich denkbar einfach, kriegt mich aber fast immer.

09. Cloud Nothings – Stay Useless
Dieser Song ist erst ganz spät auf meiner Liste gelandet, als Stephen Thompson ihn in der Jahresbestenlistenshow von “All Songs Considered” gespielt hat und ich festgestellt habe, dass ich ihn schon das halbe Jahr über im Freibeuter gehört hatte. Natürlich auch denkbar einfach in seiner Wirkmächtigkeit, aber ich find’s gut, wenn ich weiß, was ich will, und das auch bekomme.

08. Carly Rae Jepsen – Call Me Maybe
Ich saß in Baku im Hotelzimmer, guckte russisches Musikfernsehen und sah dieses Video. Als der Song zu Ende war, zappte ich weiter und sah das Video auf dem nächsten Kanal direkt noch mal von vorn. “Komische Russen”, dachte ich, wollte den Song bei Facebook posten und stellte dann fest, dass ich bisher einen internationalen Hit verpasst hatte. “Call Me Maybe” mag mittlerweile ein ganz kleines bisschen nerven, aber es ist einer der besten Popsongs, der in diesem Jahrtausend geschrieben wurde (über die Produktion können wir uns streiten) und “Before you came into my life I missed you so bad” eine ganz rührende Zeile Teenager-Poesie. Popkulturtheoretisch spannend ist natürlich auch die Erkenntnis, dass die ganz großen Megahits (“Somebody That I Used To Know”, “Gangnam Style” und eben “Call Me Maybe”) inzwischen immer auch mit Webphänomenen einhergehen oder sogar aus ihnen entstehen.

07. Kraftklub – Songs für Liam
Noch so ein Song, den nicht mal Einslive totspielen konnte. So clever wurde Popkultur in deutschsprachigen Songtexten selten verhandelt, so wirkungsvoll wurden die Black Eyed Peas und Til Schweiger selten gedisst, so gut wurde der Wunsch, geküsst zu werden, selten begründet. Außerdem freut man sich ja über jede junge Band, die sich mal nicht von der Folkplattensammlung ihrer Eltern hat beeinflussen lassen.

06. First Aid Kit – Emmylou
… womit wir bei zwei schwedischen Teenagern wären, die maßgeblich von der Folkplattensammlung ihrer Eltern beeinflusst wurden. Ich verehre First Aid Kit, seit ich sie vor vier Jahren auf dem By:Larm in Oslo gesehen habe, und war etwas enttäuscht, dass ihr Debütalbum 2010 dann vergleichsweise egal ausfiel. Das haben sie jetzt mit “The Lion’s Roar” ausgeglichen, dem wundervollen Nachfolger. “Emmylou” wirft mit textlichen und musikalischen Referenzen nur so um sich und macht klar, dass sich Johanna und Klara Söderberg so intensiv mit der Materie beschäftigt haben, dass sie statt dieses Songs auch eine Habilitationsschrift hätten anfertigen können. Die wäre allerdings kaum so schön geworden.

05. kettcar – Rettung
Damit wäre jetzt auch nicht mehr zwingend zu rechnen gewesen, dass kettcar zehn Jahre nach ihrem grandiosen Debütalbum noch mal das beste Liebeslied veröffentlichen würden, das je geschrieben wurde. Doch, wirklich: Das muss man auch erst mal bringen, die besoffen kotzende Freundin zu besingen und mit “Guten Morgen, Liebe meines Lebens” zu schließen. “Liebe ist das was man tut”, lehrt uns Marcus Wiebusch hier ganz praktisch. Und musikalisch ist das auch eine der besten kettcar-Nummern.

04. Macklemore & Ryan Lewis – Thrift Shop
Wenn 2012 nicht ausgerechnet das erste Ben-Folds-Five-Album seit 13 Jahren erschienen und auch noch wahnsinnig gut ausgefallen wäre, wäre “The Heist” von Macklemore & Ryan Lewis mein Album des Jahres geworden. Auf der einen Seite gibt es dort unglaublich anrührende Songs wie “Same Love” und “Wing$”, auf der anderen so einen funkelnden Wahnsinn wie “Thrift Shop”, der eigentlich niemanden kalt lassen kann. Unbedingt auch das Video ansehen!

03. Japandroids – Fire’s Highway
Wie Sie gleich sehen werden, gab es 2012 für mich drei große Strömungen: Melancholische Klavierballaden, Hiphop und Garagenrockbretter. Hier der bestplatzierte Vertreter der letztgenannten Kategorie. “Celebration Rock” ist, wie Stephen Thompson bei “All Songs Considered” richtig bemerkt hat, das vielleicht am passendsten betitelte Album der Musikgeschichte: Acht Songs in 35 Minuten, ein durchgetretenes Gaspedal und Freude am eigenen Lärm. In allen anderen Bestenlisten taucht “The House That Heaven Built” auf, bei mir eben “Fire’s Highway”. Gitarrengeschrammel plus hymnische Chöre, Sie kennen das Prinzip.

02. Ben Folds Five – Away When You Were Here
Ich will ganz ehrlich sein: Ich hatte nicht damit gerechnet, dass “The Sound Of The Life Of The Mind” überhaupt ein gutes Album werden würde. 13 Jahre Warten waren einfach zu viel. Dass es letztlich ein sehr gutes Album geworden ist, liegt an Songs wie “Away When You Were Here”: Die Melodie klingt schon beim ersten Hören, als kenne man das Lied seit seiner Kindheit, und dass Ben Folds ein Lied an einen verstorbenen Vater singt, während sein eigener Vater noch lebendig und bei bester Gesundheit ist, untermauert seine Songwriter-Qualitäten. Jeder Depp kann besingen, was er fühlt oder sieht, aber mit fiktiven Geschichten derart zu Herzen zu rühren, das können nur wenige. Ben Folds kann es, natürlich.

01. Rae Morris – Don’t Go
Ich habe nicht viele TV-Serien komplett gesehen. Wenn ich es dann doch ausnahmsweise mal tue, sind die Abschlusslieder gleich mit besonderer Bedeutung aufgeladen. Das war mit Peter Gabriels “The Book Of Love” am Ende von “Scrubs” so (die Unzumutbarkeiten der neuen Folgen verschweigen wir einfach) und so war es auch mit “Don’t Go” am Ende von “Skins”. Dass auch diese Serie jetzt noch einen Appendix bekommt (der hoffentlich/mutmaßlich nicht so schlimm wird wie der von “Scrubs”), können wir an dieser Stelle getrost unterschlagen, so berührend und emotional verdichtet ist die Montage zu diesem Lied, das ich seitdem rauf und runter gehört habe — obwohl das zunächst gar nicht so einfach war. Ein schlichtes Lied einer jungen Singer/Songwriterin aus England, aber auch ein sehr schönes.

Jetzt nachhören: Meine Top 25 bei Spotify.

Und weil ich hier eh schon so viel über die Alben geschrieben habe, gibt’s deren Bestenliste diesmal unkommentiert.

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Musik

I woke up to the Sound of German hip hop in my head

Es nützt ja nichts mehr, das zu leugnen: Ich glaube, ich mag jetzt deutschsprachigen Hip-Hop. Zumindest teilweise.

Alles begann mit der “Echo”-Verleihung im März, als Casper mit seinem Album “XOXO” in der Kategorie “Hip-Hop / Urban” obsiegte. “Toll: Wenigstens dieser sympathische Schluffi und nicht so homophobe Honks wie Bushido oder Sido”, dachte ich, klickte bei Caspers Facebook-Profil auf “Gefällt mir” und kaufte “XOXO” sofort bei iTunes.

Dann dauerte es ein bisschen, bis ich mich in das Album reingefunden hatte, aber inzwischen haben drei Songs in meinem iTunes die Höchstwertung von fünf Sternen. Hier ist einer davon:

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Als Casper beim Geburtstagsfestival vom Grand Hotel van Cleef vorletzten Sonntag in Hamburg als Überraschungsgast auf die Bühne kam, um erst bei Thees Uhlmanns “Und Jay-Z singt uns ein Lied” mitzurappen und dann mit der Band sein eigenes Uhlmann-Duett “XOXO” performte, war das einer der großartigsten Momente, den ich dieses Jahr auf einem Konzert erlebt habe.

Über Cro hatte ich ja neulich schon geschrieben, hier aber auch noch mal ein Fünf-Sterne-Song:

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Seit ein paar Wochen läuft jetzt die gemeinsame Single von Marteria, Yasha & Miss Platnum im Radio. Und nach ein paar Durchgängen war ich mir sicher, dass mir auch “Lila Wolken” gefällt:

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Und irgendwann werden die Plattenfirmen sicher auch verstanden haben, dass Hörer, denen ein Song gefällt, diesen am Liebsten sofort kaufen würden — und nicht erst ein paar verdammte Wochen später.

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Baby guck mich an, ich bin ein Rockstar

Die gute Nachricht: Auch nach fünf Jahren intensiverer Beschäftigung mit den eher unschönen Seiten des Journalismus glaube ich offenbar immer noch an das Gute in der Branche.

Die schlechte Nachricht: Deswegen habe ich gestern Unfug geschrieben.

In meinem Cro-Konzertbericht hatte ich behauptet, dass wegen des Foto-Verbots für Presse-Fotografen in der Lokalpresse keine Konzertrezensionen erschienen sind. Das war blauäugig.

Die “Ruhr Nachrichten” beenden ihren Artikel mit einer kritischen enttäuschten Anmerkung zum Foto-Verbot:

Wenig nachvollziehbar war indes, dass das Management des Künstlers kurzfristig alle Fotografen vom Konzert ausgeschlossen hatte. Etwa drei Stunden vor der Show wurde mitgeteilt, dass keine Fotos von externen (Presse-)Fotografen angefertigt werden dürfen. Lediglich die vom Management freigegebenen Bilder durften im Nachgang der Show benutzt werden. Ob solche Extra-Würste tatsächlich von Nöten sind, darf bezweifelt werden. Immerhin profitiert auch der Künstler selbst von der Arbeit der Fotografen und der Presse vor Ort.

Dafür wurden während des Konzerts tausende Handyfotos gemacht und Videos gedreht, die schon wenig später im Internet kursierten. Konsequenterweise hätte Cros Management auch alle Handys einkassieren lassen müssen – so bleibt ein fader Beigeschmack. Auch wenn das Konzert richtig gut war.

Es braucht schon sehr wenig Selbstachtung, um eine Konzertkritik, die so schließt, dann mit zwei der vom Management freigegebenen Bilder zu bebildern. Da kann man einem bockigen Kleinkind, das statt Gemüse lieber Fast Food möchte, den Burger auch gleich auf dem Silbertablett servieren.

Diese Merkwürdigkeit verblasst allerdings völlig gegen das Fass, das die “WAZ” gleichzeitig aufgemacht und zum Überlaufen gebracht hat.

Im überregionalen Kulturteil gab Georg Howahl Cro einen “kleinen Fototipp für Pandarapper” mit auf den Weg:

Lieber Cro, wenn Du dich demnächst, an einem einsamen, kalten Winterabend mal wieder selbst auf den einschlägigen Netzkanälen suchst: Wäre es da nicht schön, wenn du zur Abwechslung auch mal ein gutes Bild oder Video von dir fändest? Denk mal drüber nach!

“Zur Abwechslung”, weil es auf YouTube “zwölf (!) krächzende, unscharfe Wackelvideos” von Cros Auftritt in Bochum zu sehen gebe, was allerdings bei genauer Betrachtung erstaunlich wenig mit der Frage zu tun hat, ob Fotografen Fotos (also: Standbilder ohne Ton) von dem Auftritt machen durften.

Auf der gleichen Seite erklärte der Bochumer Lokalredakteur Jürgen Stahl:

Die WAZ hat sich entschlossen, auf eine Kritik des Cro-Auftritts zu verzichten. Keine Fotos, keine Konzertbesprechung.

Eine klare, nachvollziehbare Ansage, die nur leicht davon konterkariert wird, dass die “WAZ” nicht einen, nicht zwei, sondern gleich drei Konzertbesprechungen veröffentlicht hat.

Eine erschien im Lokalteil von Hattingen, eine im Lokalteil von Witten und eine im Lokalteil von Bochum.

Letztere geschrieben von dem Jürgen Stahl, der erklärt hatte, die “WAZ” werde keine Kritik des Konzertes veröffentlichen. Seinen WAZ-Kollegen Ingo Otto (in Bochum berühmt für seine besondere Gabe, bei wirklich jedem Thema und Motiv noch eine blonde junge Frau im Bild zu platzieren) zitiert Stahl mit den Worten, einen kompletten Ausschluss wie bei Cro habe er noch nie erlebt.

Stahl erklärt, dass die Organisatoren keine Schuld treffe, dann wiederholt er seine Ankündigung:

Auf weitere Informationen aus dem Sparkassenzelt müssen die WAZ-Leser verzichten. Die Redaktion hat sich entschlossen, über das 75-minütige Cro-Gastspiel nicht zu berichten. Keine Fotoerlaubnis, keine Konzertbesprechung.

Dann referiert er aber doch noch, dass “sämtliche 4200 jungen Besucher die Hitzeschlacht unbeschadet überstanden” haben, dass “etliche Kinder und Jugendliche (90 Prozent weiblich) schon Stunden vor Konzertbeginn auf Einlass” gewartet hatten, “um sich die begehrten Plätze direkt vor der Bühne zu sichern”, der “größte Teenie-Aufmarsch der letzten Jahre in Bochum” ohne besondere Zwischenfälle verlaufen sei und dass angesichts der Temperaturen im Zelt das Mitbringen eigener Getränke erlaubt war.

Gut: Kein Wort über die Musik, aber Stahl hat es trotzdem geschafft, mit dem Konzert, über das er kein Wort verlieren wollte, eine halbe Seite zu füllen. Das musste er natürlich auch, denn der Platz war ja vermutlich fest eingeplant, außerdem war der Redakteur ja auch extra vor Ort gewesen.

Also onkelt Stahl auch noch in einem Kommentar:

Wir Medienmenschen machen im Umgang mit Prominenten immer wieder eine Erfahrung: Je größer der Name, desto unkomplizierter die Zusammenarbeit. Im Musikgeschäft ist es besonders auffällig. Beispiel Zeltfestival 2012: Während die Rock-Legenden von Status Quo sofort und gerne zu einem WAZ-Lesertreffen bereit waren, ließ Newcomer Cro eine entsprechende Anfrage unserer Zeitung lange unbeantwortet, um schließlich abzulehnen. Schade, aber bei weitem nicht so skandalös wie das Arbeitsverbot, dass der Jüngling kurzerhand offenbar willkürlich vor seinem Konzert “erließ”. Wer derart selbstherrlich mit Fans und Medien umgeht, wird alsbald wieder dort landen, wo er hergekommen ist: ganz unten.

Nun mögen Status Quo für Jürgen Stahl einen großen Namen haben, aber es geht ja um etwas ganz anderes als WAZ-Lesertreffen. Und beim Thema “exzentrische Wünsche bezüglich Konzertfotos” sind Künstler wie Linkin Park, Coldplay, Britney Spears, The Offspring, Tom Jones und Rammstein schon negativ aufgefallen. Große Namen, wahnsinnig komplizierte Zusammenarbeiten.

Auch ist Cro ja nicht “selbstherrlich mit Fans und Medien” umgegangen, sondern “nur” mit Medien. Dass die das nicht gut finden, ist klar und verständlich, aber es ist ja auch nicht der Untergang des Abendlandes oder der Pressefreiheit, nicht über ein Konzert berichten zu können. Denn was ist ein Konzert? Menschen bezahlen Geld dafür, damit sie anderen Menschen beim Musizieren zusehen können. Ob Dritte, die kein Geld bezahlt haben, hinterher drüber schreiben, ist da erst mal ziemlich zweitrangig.

Klar: Ohne Medien wäre kaum ein Popstar da, wo er heute ist. (Wobei: Wie viele Hörer mag Cro der “WAZ” und den “Ruhr Nachrichten” verdanken?) Wenn man sich dann aber den mühsam gefüllten Platz in der Zeitung und Jürgen Stahls billiges “ganz unten”-Gerumpel anschaut, stellt sich schon die Frage, wer hier eigentlich wen dringender braucht.

Die Antwort weiß Ed Sheeran, der passenderweise nächsten Dienstag beim Zeltfestival Ruhr spielt. Schauen wir mal, ob mit Fotografen und Lokalredakteuren oder ohne.

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Wir waren hier

Wir sind alt, sehr alt. Die vielen jungen, meist weiblichen Menschen um uns herum könnten unsere Kinder sein — zumindest, wenn wir damals so früh geschlechtsreif gewesen wären wie sie offensichtlich heute. Trotzdem bietet uns niemand einen Sitzplatz an, so dass wir auf der 24-minütigen Fahrt mit dem Shuttlebus stehen müssen. Wenigstens ist der klimatisiert.

Am Ziel (“Freizeitbad Heveney”) herrscht eine Stimmung wie auf einem Schulausflug zum One-Direction-Konzert. Morgen ist der letzte Ferientag und heute war es den ganzen Tag so heiß, dass Mama und Papa nichts sagen können, wenn ihre Töchter wenig mehr anhaben als beim Ausflug ins Freibad. Das hier ist aber Konzert, genauer: Festival.

Ich fühle mich schon wieder so alt, wenn ich denke, dass ich keinen Bock mehr auf Zeltplätze voller Skinny Jeans, Wasserpfeifen und Akustikgitarren habe, aber es ist doch wahr: Konzerte besuchen und anschließend im eigenen Bett schlafen und am nächsten Morgen duschen können, das hat eine gewisse Lebensqualität, auch wenn Punk natürlich anders geht.

Hier, beim Zeltfestival Ruhr, soll Punk aber auch gar nicht gehen, sondern Rap. Oder präziser: Raop. Selbsternannter König dieses Subgenres ((vgl. Wendler, Michael: Der König des Popschlagers.)) ist Cro und wenn Sie noch nie von dem Mann mit der Pandamaske gehört haben, waren Sie vermutlich blinder Passagier auf dem Marsroboter Curiosity. Mit “Easy” hatte der junge Mann das Kunststück fertiggebracht, einen Song erst als Teil eines Mixtapes zu verschenken und anschließend bei kommerzieller Veröffentlichung mit dem Lied trotzdem auf Platz 2 der Charts zu gehen. Sein Album “Raop” ging direkt auf 1, blieb dort zunächst vier Wochen, musste dann für eine Woche den Amigos den Vortritt lassen, wird aber am Freitag wieder auf die Spitzenposition gehen. Einen größeren Popstar gibt es zur Zeit in Deutschland nicht.

Das zeigt sich auch daran, dass am Nachmittag die Ansage an die Pressevertreter ergeht, dass beim Auftritt keine Fotografen zugelassen sind. In der Lokalpresse werden entsprechend keine Konzertrezensionen erscheinen.* Es ist ja durchaus noch verständlich, wenn ein (angeblich) 19-Jähriger öffentlich nur mit Maske auftreten und abgebildet werden will, aber bei Fotoverboten auf Konzerten wird’s dann doch peinlich. Zumal die mehr als 4.000 Teenager im Zelt natürlich fotografieren und filmen, was das iPhone hergibt.

Erst mal aber kreischen sie. Als das Licht ausgeht, als der Beat losgeht, als Cro auf die Bühne kommt. Waren wir auch mal so? Bestimmt. Die Zeit, wo man sich wochenlang auf Konzerte freut, Tage vorher nur die Musik des auftretenden Künstlers hört, alle Texte auswendig kann und sich aufbrezelt wie später nur noch für Abiball und Hochzeit, ist kurz und kostbar. Wenn man im fortgeschrittenen Alter nicht gerade in ein Paralleluniversum wie den Eurovision Song Contest stolpert, ist es mit dem Fandom irgendwann einfach vorbei.

Hier steht es hingegen in voller Blüte: Das größte Zelt ist ausverkauft, was man nicht ahnen würde, wenn man weiter hinten steht. Die ganze Masse der Besucher ist auf zwei Drittel der Fläche komprimiert. Arme sind in der Luft, die Lyrics parat und die Leute begeistert. Ein paar Meter hinter der Meute stehen wir, noch ein paar Meter dahinter: Eltern. Wir sind doch nicht die Ältesten!

Cro live in Bochum

Die Stimmung ist hehr, die Samples sind clever zusammengesucht (Bloc Party, Caesars, Kilians), kein Track dauert länger als drei Minuten. Wenn man vorher noch keinen Song von Cro gehört hat, kann man das hier nicht verstehen: Die Texte nicht und den Ausnahmezustand der Menschen nicht. Letzteres erklärt sich aber vor allem durch Erstere, denn Cros Texte lohnen tatsächlich die nähere Betrachtung. Wäre ich noch zwanzig Jahre älter, würde ich schreiben, da habe jemand den Nerv einer Generation getroffen, sei zu deren Stimme geworden. Vielleicht fehlt einem irgendwann der Zugang zu Zeilen wie “Wir schicken SMS, denn wir haben kein’ Bock zu reden / Und kein Plan, was du ernsthaft brauchst / Komm drück auf Like, sie gefällt dir doch auch”, aber irgendwo zwischen 12 und 30 kann das noch verdammt bedeutsam sein.

Nach 45 Minuten ist erst mal Schluss, dann kommt der fast halbstündige Zugabenblock inkl. “Easy”. Die Hütte brennt, Herr Cro muss kaum noch was machen, das Publikum rappt selbst. Wir auch. Wenn alt sein so weitergeht, kann ich damit leben.

*) Nachtrag, 22. August: Oder eben doch. “Ruhr Nachrichten” halt.