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Wie der Scorpions-Song

Man ver­gisst das ange­sichts immer neu­er Ver­fah­ren gegen Donald Trump, ange­sichts von sich über­schla­gen­den und inein­an­der ver­kei­len­der Kri­sen, schnell, aber es gab mal einen US-Prä­si­den­ten, der Barack Oba­ma hieß. Sein (erfolg­rei­cher) Wahl­kampf 2008 grün­de­te unter ande­rem auf dem von Bob, dem Bau­meis­ter, ent­lehn­ten Slo­gan „Yes, we can“, der als Mem eine zeit­lang die digi­ta­le und vor allem ana­lo­ge Welt beherrsch­te.

Bei der „Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung“ haben sie ein gutes Gedächt­nis (oder Archiv), denn so sah am Mon­tag der Sport­teil aus:

Grafik in der F.A.Z.: „Yes we Kane?“

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Blogging like it’s 2007

Nächs­te Woche wird die­ses Blog 14 Jah­re alt. Gera­de in der Anfangs­pha­se, als hier noch rich­tig viel los war, es ein Zusam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühl in der damals soge­nann­ten Blogo­sphä­re gab, und wir alle die Hybris hat­ten, zu glau­ben, Blogs könn­ten den Jour­na­lis­mus ver­än­dern (womög­lich gar zum Bes­se­ren), habe ich mich öfter dar­über auf­ge­regt, dass Online-Medi­en über Blogs schrie­ben, ohne sie zu ver­lin­ken (und das in einem Ton­fall, der sich im Nach­hin­ein allen­falls mit „jugend­li­cher Über­mut“ erklä­ren lässt).

Inzwi­schen sind „Blog­ger“ Men­schen, die auf Insta­gram teu­re Uhren in die Kame­ra hal­ten; der Jour­na­lis­mus hat unge­fähr alles, was am Inter­net immer schon schlecht war, über­nom­men; aber immer­hin fin­det man inzwi­schen selbst in vie­len Print-Medi­en QR-Codes, mit deren Hil­fe man auf im Text erwähn­te Inter­net­sei­ten gelan­gen kann.

So gese­hen ist der Text, den der „Spie­gel“ vor zwei Wochen über eine Aus­stel­lung über die First Ladies der US ver­öf­fent­lich­te, ziem­lich old­school:

Sie war im November kurz zu sehen, bevor das Museum wegen der Pandemie schließen musste. Die Onlineversion der Schau belegt die Aktualität von Gebräuchen und Phänomenen aus nur vorgeblich alten Zeiten.

Japp: Da wird auf die Onlin­ever­si­on einer Aus­stel­lung ver­wie­sen und es gibt kei­nen QR-Code und kei­ne URL, die dort­hin führt.

„Die Leser*innen in Deutsch­land könn­ten die Aus­stel­lung ja schließ­lich auch nicht sehen, wenn sie im Muse­um hängt“, möch­te mein 23-jäh­ri­ges Ich ergän­zen.

Mein 37-jäh­ri­ges Ich ist ein­fach so nett und schreibt: „Every Eye Is Upon Me: First Ladies of the United Sta­tes“ ist auf der Sei­te der Natio­nal Por­trait Gal­lery zu sehen.

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Furchtbar

Durch Umstän­de, die dies­mal nichts zur Sache tun, bin ich gera­de über eine rund zwei­ein­halb Jah­re alte Über­schrift auf bunte.de gestol­pert:

Kai Wiesinger: "Es ist furchtbar!"

Im Vor­spann steht:

Der Tod von Chan­tal de Freitas im Som­mer 2013 war über­ra­schend. Die damals 45-jäh­ri­ge Schau­spie­le­rin und getrennt leben­de Ehe­frau von Kai Wie­sin­ger starb plötz­lich und uner­war­tet. Zurück blie­ben ihre zwei Töch­ter – und ein trau­ern­der Kai Wie­sin­ger …

Und das kann man sich ja gut vor­stel­len, dass eine sol­che Situa­ti­on furcht­bar ist.

Allein – wenn man den dazu­ge­hö­ri­gen Arti­kel auf bunte.de kom­plett liest, stellt man fest, dass das Zitat in der Schlag­zei­le viel­leicht ein biss­chen … nen­nen wir es mal: aus dem Zusam­men­hang geris­sen ist:

"Es ist furchtbar, wie Medien ein falsches Bild von jemandem erschaffen können" Chantal de Freitas hinterließ zwei Töchter aus ihrer Ehe mit Kai Wiesinger. Im Interview mit dem Magazin "DONNA"​ spricht der 48-Jährige jetzt über die schwere Zeit. "Es ist furchtbar, wie Medien durch aus dem Zusammenhang gerissene Zitate ein falsches Bild von jemandem erschaffen können. Es ist sehr schwer, so etwas auszuhalten und dabei öffentlich keine Stellung zu beziehen."

Womög­lich braucht man gar nicht viel mehr als die­ses Bei­spiel, um das Wesen von Bou­le­vard­jour­na­lis­mus zu erklä­ren.

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Bei Bild.de kann man was erleben

ozy.com ist eines die­ser sehr bun­ten, sehr ega­len Inter­net­por­ta­le mit wil­den Anris­sen und wenig Inhalt. Oder, wie Mathi­as Döpf­ner es nennt: „ein über­zeu­gen­des Bei­spiel für attrak­ti­ven digi­ta­len Jour­na­lis­mus“. Döpf­ner ist Vor­stands­vor­sit­zen­der der Axel Sprin­ger SE und in die­ser Funk­ti­on Mit­glied im Ver­wal­tungs­rat von OZY, in das Sprin­ger ganz gut inves­tiert hat.

Euge­ne S. Robin­son ist der „Dr. Som­mer“ von OZY, der Sex-Onkel, dem (angeb­li­che) Leser (angeb­li­che) Zuschrif­ten über ihre (angeb­li­chen) Erfah­run­gen, Mei­nun­gen und Sor­gen zum The­ma zukom­men las­sen, und die er mal lau­nig und meist sehr rät­sel­haft beant­wor­tet.

In sei­ner aktu­el­len Kolum­ne bit­tet eine Frau um Rat, die schreibt, gemein­sam mit einer ande­ren Frau im Hotel­zim­mer eines „berühm­ten Komi­kers, der nicht Bill Cos­by heißt und von allen geliebt wird“ gewe­sen zu sein:

We get to his room and we’re drin­king and having a good time, and he says out of the blue, „Do you gals mind if I jerk off?“ We laug­hed, becau­se we thought he was joking, until he pul­led it out and star­ted mas­tur­ba­ting. At this point, we moved to lea­ve quick­ly. He stood in front of the door and said, „Not until I finish.“ When he finis­hed, he moved and we left.

Die (angeb­li­chen) Frau­en sei­en sich unsi­cher, was ihnen da eigent­lich genau wider­fah­ren sei, schreibt die (angeb­li­che) Ver­fas­se­rin.

Robin­son ver­sucht sich an einer Ein­ord­nung und erhält von einem (angeb­li­chen) Poli­zis­ten die­se (angeb­li­che) Ant­wort:

„It’s a crime in Cali­for­nia. It’s a 236 PC, fal­se impri­son­ment, and may­be a 314 PC, inde­cent expo­sure. But the most important ques­ti­on is, did he have a freck­led dick?“

(Sie ahnen viel­leicht, war­um die Lek­tü­re die­ser Sei­te nicht zu mei­nem täg­li­chen Frei­zeit­ver­gnü­gen gehört.)

Robin­sons Text endet so:

Cri­mi­na­li­ty asi­de, I am going to gam­ble that no one’s ever writ­ten a let­ter like this about Brad Pitt. And not becau­se Brad Pitt has­n’t not done this eit­her. If you know what I mean.

Ooooo­kay …

Nach­dem wir uns alle geduscht und gesam­melt haben, schau­en wir mal, wie Bild.de die­se (angeb­li­che) Geschich­te über einen Vor­fall, der nach deut­schem Straf­recht mit bis zu einem Jahr Frei­heits­stra­fe geahn­det wer­den könn­te, auf der eige­nen Start­sei­te bewirbt:

Mein Sex-Erlebnis mit einem Promi

Nach­trag, 30. Okto­ber: Auf Twit­ter weist Brit­scil­la dar­auf hin, dass der vor­geb­li­che Brief an Euge­ne S. Robin­son erstaun­li­che Par­al­le­len zu einer Geschich­te auf­weist, die Gaw­ker schon vor drei­ein­halb Jah­ren auf­ge­schrie­ben hat­te.

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In memoriam Hellmuth Karasek

Mei­ne ers­te Begeg­nung mit Pro­fes­sor Kara­sek liegt fast exakt zwan­zig Jah­re zurück: Mein Vater hat­te mich zu einer Ver­an­stal­tung mit­ge­nom­men, wo Kara­sek sein Buch „Mein Kino“ vor­stell­te und mit immer noch glü­hen­den Augen Namen wie Alfred Hitch­cock, Bil­ly Wil­der oder Mar­le­ne Diet­rich refe­rier­te, von denen ich über­wie­gend noch nie gehört hat­te. Ich hat­te damals noch nichts ande­res als Zei­chen­trick­fil­me und Fami­li­en­ko­mö­di­en aus Hol­ly­wood gese­hen.

Drei Jah­re spä­ter las ich sei­ne Bil­ly-Wil­der-Bio­gra­phie, die mich zu einem glü­hen­den Ver­eh­rer der bei­den mach­te: Wil­der wegen sei­ner Fil­me und sei­nes Humors, Kara­sek wegen sei­ner Fähig­keit, so zu schrei­ben, dass man beim Lesen immer sei­ne etwas quiet­schi­ge Stim­me zu hören glaub­te. Die Lesung von „Das Maga­zin“, zu der mich mei­ne Eltern mit­nah­men, habe ich nur besucht, um mir das Wil­der-Buch signie­ren und mit ihm kurz über „Eins, Zwei, Drei“ fach­sim­peln zu kön­nen. (Was man mit 15 auf dem Dorf halt so macht.) Es war dann jetzt lei­der auch unse­re letz­te Begeg­nung.

Für Lukas, viel Spaß! Herzlich, Hellmuth Karasek

Kara­seks Buch „Karam­bo­la­gen“, in dem er sei­ne Begeg­nun­gen mit berühm­ten Zeit­ge­nos­sen beschreibt (natür­lich auch mit Wil­der), wird eines Tages Vor­bild für mei­ne Text­samm­lung zum sel­ben The­ma sein. Hell­muth Kara­sek bekommt dann sein eige­nes Kapi­tel.

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Sack Reis in China

Was macht eigent­lich Ange­la Mer­kel?

Titelseite "Süddeutsche Zeitung" vom 7. Juli 2014

Titelseite "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 7. Juli 2014

Titelseite "Welt" vom 7. Juli 2014

Titelseite "Welt Kompakt" vom 7. Juli 2014

Das ist aber trotz­dem natür­lich nur ein hal­ber Gut­ten­berg.

[alle Titel­bil­der via „Mee­dia“]

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Das „Zeit Magazin“ schreibt sich um Kopf und Fuß

Frü­her war die Welt noch klar auf­ge­teilt: In der Tages­zei­tung am Früh­stücks­tisch und der Wochen­zei­tung oder dem Maga­zin im Ohren­ses­sel infor­mier­te man sich über Poli­tik, Wirt­schaft und Kul­tur (letz­te­re zumeist mit dem etwas hoch­nä­si­gen Prä­fix „Hoch“) und wenn man beim Arzt oder dem Fri­seur auf die Ver­rich­tung war­te­te, blät­ter­te man mit spit­zen Fin­gern in den soge­nann­ten Illus­trier­ten und las skan­da­lö­se Geschich­ten aus dem ver­meint­li­chen Pri­vat­le­ben von angeb­li­chen Pro­mi­nen­ten, die einem zumeist unbe­kannt und egal waren. Als ich in mei­ner Schul­zeit regel­mä­ßig zur Kran­ken­gy­mastik muss­te, war ich bes­tens über die Gescheh­nis­se der deut­schen Schla­ger­sze­ne infor­miert.

Heut­zu­ta­ge ist es schwer, irgend­wo hin­zu­le­sen, ohne mit skan­da­lö­sen Geschich­ten aus dem ver­meint­li­chen Pri­vat­le­ben von angeb­li­chen Pro­mi­nen­ten behel­ligt zu wer­den. „Spie­gel Online“ hat den Irr­sinn per­fek­tio­niert, belang­lo­se Mel­dun­gen nach­zu­er­zäh­len, die in ame­ri­ka­ni­schen Klatsch­blogs stan­den und deren Prot­ago­nis­ten, zumeist irgend­wel­che ame­ri­ka­ni­schen Tee­nie- oder Rea­li­ty-Stars, den eige­nen deut­schen Lesern zunächst umständ­lich vor­ge­stellt wer­den müs­sen.

Als die Ehe­leu­te Gwy­neth Palt­row (Oscar-Preis­trä­ge­rin) und Chris Mar­tin (Cold­play-Sän­ger) das Ende ihrer Bezie­hung mit einem Blog­ein­trag unter der Über­schrift „Con­scious Uncou­pling“ öffent­lich gemacht haben, war das vie­len the­ma­tisch sonst eher anders auf­ge­stell­ten Medi­en eine kul­tur­wis­sen­schaft­li­che Betrach­tung der Kon­zep­te „Ehe“ und „Tren­nung“ wert.

Im „Zeit“-Magazin gibt es eine Rei­he, die sich „Über das ech­te Leben“ nennt und sich unter dem augen­zwin­kern­den Rubrum „Gesell­schafts­kri­tik“ mit dem Pri­vat­le­ben von Pro­mi­nen­ten aus­ein­an­der­setzt. Der Blick­win­kel ist dabei – „Zeit“ halt – von oben her­ab, was schon des­halb ein biss­chen witz­los ist, weil ja selbst die schrot­tigs­ten Bou­le­vard­res­te­ram­pen die Objek­te ihrer Betrach­tun­gen nicht mehr umschwär­men, son­dern am liebs­ten ver­spot­ten, ger­ne auch post­hum.

Die­se Woche darf Peter Dau­s­end, im unech­ten Leben poli­ti­scher Kor­re­spon­dent der „Zeit“ in Ber­lin, ran. Er wid­met sich den Gerüch­ten, dass die Schau­spie­le­rin Uma Thur­man („Kill Bill“, „Pulp Fic­tion“) und der Regis­seur Quen­tin Taran­ti­no („Kill Bill“, „Pulp Fic­tion“) seit Neu­es­tem ein Paar sein sol­len (vgl. die übli­chen Klatsch­pos­til­len Bild.de, Bunte.de, Gala.de und Stern.de).

Er beginnt mit der Beschrei­bung einer Sze­ne aus „Kill Bill“, in der Uma Thur­mans nack­te Füße zu sehen sind, und doziert:

Nun muss man wis­sen, dass Quen­tin Taran­ti­no, der Kill Bill-Regis­seur, eine Vor­lie­be für Frau­en­fü­ße im All­ge­mei­nen und für die von Uma Thur­man im Beson­de­ren hat. Sie sei­en die schöns­ten, so hat er mal gesagt, die er je gese­hen habe.

Wer sich ein biss­chen inten­si­ver mit dem Werk Taran­ti­nos aus­ein­an­der­ge­setzt hat, weiß davon eben­so wie von dem Umstand, dass Thur­man für ihn lan­ge Jah­re das war, was daher­ge­lau­fe­ne Bil­dungs­bür­ger­feuil­le­to­nis­ten als „Muse“ bezeich­nen. ((In den letz­ten Jah­ren scheint die­se inspi­rie­ren­de Son­der­rol­le ein wenig auf den Schau­spie­ler Chris­toph Waltz über­ge­gan­gen zu sein, was man ein­fach mal im Hin­ter­kopf behal­ten soll­te, wenn man den Rest von Dau­s­ends Aus­füh­run­gen liest.))

Quen­tin Taran­ti­no und Uma Thur­man sind jetzt ein Paar, 21 Jah­re nach­dem sie zusam­men Pulp Fic­tion gedreht haben. Das erscheint auf den ers­ten Blick ganz wun­der­bar, zeigt es doch, dass der still lie­ben­de Mann immer auf ein Hap­py End hof­fen darf.

Das klingt auf den ers­ten Blick bei­na­he roman­tisch, kriegt dann aber doch ganz schnell die Kur­ve ins Gehäs­si­ge:

Wenn dann das Objekt der Begier­de einen Mil­li­ar­där aus Genf oder was ähn­lich Lang­wei­li­ges abschießt, muss man nur noch den eige­nen Über­gangs­part­ner ver­ab­schie­den – und schon kann man bis ans Lebens­en­de glück­lich sein.

Dass sich außer einem soge­nann­ten „Insi­der“ im bri­ti­schen Klatsch­ma­ga­zin „Clo­ser“ noch nie­mand zu den Gerüch­ten um Thur­man und Taran­ti­no geäu­ßert hat, ficht Dau­s­end nicht an. Ihm geht es um ganz ande­re Gerüch­te:

Ja, natür­lich gibt es Gerüch­te. Dass Taran­ti­no und Thur­man das Paar­sein nur simu­lie­ren, um für Vor­ab-PR zu sor­gen. Denn Taran­ti­no, so raunt man sich zu, möch­te dem­nächst den zwei­ge­teil­ten Kill Bill unter dem Titel Kill Bill: The Who­le Bloo­dy Affair als vier­stün­di­ges Gesamt-Rache­epos in die Kinos brin­gen.

Für einen kur­zen Moment scheint es, als hät­te Dau­s­end erkannt, wie egal das alles ist. Mit­ten in sei­nem Text schim­mert mono­li­thisch das Man­tra des Bou­le­vard­jour­na­lis­mus:

Ob die Gerüch­te nun stim­men oder nicht, spielt kei­ne Rol­le.

Aber er muss ja sei­ne merk­wür­di­ge Kolum­ne fül­len und tritt des­halb aufs Gas­pe­dal – und dahin, wo’s sonst noch weh tut:

Wir geben den bei­den sowie­so kei­ne Chan­ce. Unter­wür­fi­ge Bewun­de­rung, lie­bes­tol­les Hin­ter­her­he­cheln, hün­di­sche Unter­wer­fung, wie es Män­nern nach lan­gem Schmach­ten eigen ist – dafür hat der Star sei­ne Fans, nicht sei­nen Part­ner.

Wenn schon die Bezie­hungs­exper­ten vom renom­mier­ten deut­schen „Zeit Maga­zin“ den bei­den kei­ne Chan­ce geben, kön­nen die’s natür­lich gleich blei­ben las­sen – immer vor­aus­ge­setzt, es gibt über­haupt etwas, was sie blei­ben las­sen könn­ten.

Aber Frau­en­ver­ste­her Dau­s­end scheint sich ja eh bes­tens aus­zu­ken­nen:

Thur­man wird einen glücks­be­seel­ten Taran­ti­no nicht lan­ge ertra­gen. Wir freu­en uns jetzt schon auf den Film, mit dem der blut­ver­sprit­zen­de Rache­en­gel Taran­ti­no den Lie­bes­trot­tel in sich über­win­det und das Schei­tern sei­nes Lebens­trau­mes ver­ar­bei­tet. Und haben ein wenig Angst um Umas Füße.

Das ver­meint­lich pri­va­te Glück frem­der Men­schen als Witz­vor­la­ge für eine lau­ni­ge Kolum­ne. Das ist das „Zeit Maga­zin“.

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„Sein“ oder nicht „sein“

Am 21. August wur­de die ehe­ma­li­ge Sol­da­tin Chel­sea Man­ning, die der Whist­le­b­lower-Platt­form Wiki­leaks gehei­me Doku­men­te zuge­spielt hat­te, von einem US-Mili­tär­ge­richt zu 35 Jah­ren Haft ver­ur­teilt.

Wobei: Das stimmt so nicht. Damals hieß Chel­sea in der Öffent­lich­keit noch Brad­ley Man­ning und galt als Mann. Erst einen Tag spä­ter ließ sie ein State­ment ver­öf­fent­li­chen, in dem es hieß:

As I tran­si­ti­on into this next pha­se of my life, I want ever­yo­ne to know the real me. I am Chel­sea Man­ning. I am a fema­le. Given the way that I feel, and have felt sin­ce child­hood, I want to begin hor­mo­ne the­ra­py as soon as pos­si­ble. I hope that you will sup­port me in this tran­si­ti­on. I also request that, start­ing today, you refer to me by my new name and use the femi­ni­ne pro­no­un (except in offi­ci­al mail to the con­fi­ne­ment faci­li­ty).

Wer glei­cher­ma­ßen auf­ge­klärt wie naiv ist, hät­te anneh­men kön­nen, dass das The­ma damit schnell been­det war: Chel­sea Man­ning ist eine Frau, die in einem männ­li­chen Kör­per gebo­ren wur­de und einen männ­li­chen Vor­na­men getra­gen hat, jetzt aber expli­zit dar­um bit­tet, mit ihrem weib­li­chen Vor­na­men bezeich­net zu wer­den.

Die „New York Times“ erklär­te dann auch in einem Blog­ein­trag, mög­lichst schnell den Namen Chel­sea Man­ning und die weib­li­chen Pro­no­mi­na ver­wen­den und zum bes­se­ren Ver­ständ­nis für die Leser auf die Umstän­de die­ser Namens­än­de­rung zu ver­wei­sen. Der „Guar­di­an“ leg­te den Schal­ter von „Brad­ley“ auf „Chel­sea“ um und schrieb für­der­hin nur noch von „ihr“.

Aber so ein­fach war das alles natür­lich nicht.

Die „Ber­li­ner Zei­tung“ fass­te das ver­meint­li­che Dilem­ma am 24. August ein­drucks­voll zusam­men:

Brad­ley Man­ning möch­te fort­an als Frau leben und Chel­sea genannt wer­den. […] Der 25 Jah­re alte Sol­dat ließ erklä­ren, er habe sich seit sei­ner Kind­heit so gefühlt. Von nun an wol­le er nur noch mit sei­nem neu­en Namen ange­spro­chen wer­den. Auch sol­le künf­tig aus­schließ­lich das weib­li­che Pro­no­men „sie“ ver­wen­det wer­den, wenn über Man­ning gespro­chen wer­de. Eine ope­ra­ti­ve Geschlechts­um­wand­lung strebt Man­ning zunächst wohl nicht an.

Mit die­sem Wunsch hat Man­ning, der gut 700000 Geheim­do­ku­men­te an die Ent­hül­lungs­platt­form Wiki­leaks wei­ter­gab, Jour­na­lis­ten in den USA ver­wirrt und vor gro­ße Her­aus­for­de­run­gen gestellt. In den Mel­dun­gen über Man­nings Erklä­rung war ein­mal von „ihm“ die Rede, dann wie­der von Brad­ley Man­ning, „die“ nun eine Frau sein wol­le. Die einen ver­mie­den es pein­lich, Per­so­nal­pro­no­men zu ver­wen­den. Die ande­ren erklär­ten, sie wür­den solan­ge von „ihm“ spre­chen, wie Man­ning aus­se­he wie ein Mann.

Wie es die „Ber­li­ner Zei­tung“ selbst hält, wur­de in den fol­gen­den Wochen deut­lich:

5. Sep­tem­ber:

Die von Matthew H. 2009 besuch­te Ver­an­stal­tung des Cha­os Com­pu­ter Clubs war immer­hin öffent­lich. Sein Anteil an der Ver­ur­tei­lung des Whist­le­b­lo­wers Brad­ley Man­ning ist unklar. Und auch wenn der Umgang mit Man­ning nicht unse­ren Vor­stel­lun­gen ent­spricht: Er hat mili­tä­ri­sche Geheim­nis­se ver­ra­ten. Das ist auch deut­schen Sol­da­ten ver­bo­ten.

6. Sep­tem­ber:

Wie in letz­ter Zeit in Ber­lin häu­fi­ger der Fall, ste­hen mal wie­der lee­re Stüh­le auf der Büh­ne, dies­mal nicht für den mit Aus­rei­se­ver­bot beleg­ten Fil­me­ma­cher Jafar Panahi, son­dern für Edward Snow­den und Brad­ley Man­ning, die Ulrich Schrei­ber gern dabei­ge­habt hät­te. Lei­der sind sie aus bekann­ten Grün­den ver­hin­dert.

Bei der „Süd­deut­schen Zei­tung“ gibt es offen­bar auch kei­ne Emp­feh­lun­gen und Richt­li­ni­en wie bei der „New York Times“ – und noch nicht mal eine kla­re Linie. Am 2. Sep­tem­ber schrieb die „SZ“:

Auf Trans­pa­ren­ten for­dern die Teil­neh­mer, dass US-Prä­si­dent Barack Oba­ma sei­nen Frie­dens­no­bel­preis an die Geheim­da­ten-Ent­hül­ler Chel­sea Man­ning und Edward Snow­den abtre­ten sol­le.

Und eine Woche spä­ter:

Anders gefragt: Hät­ten ame­ri­ka­ni­sche Diens­te eine sol­che Anfra­ge zuge­las­sen, wenn ein deut­scher Dienst sich um Hin­ter­grün­de zum Trei­ben eines bekann­ten ame­ri­ka­ni­schen Jour­na­lis­ten inter­es­siert hät­te? Da kön­nen, trotz aller Nar­re­tei­en und Ver­här­tun­gen der ame­ri­ka­ni­schen Poli­tik im Kampf gegen Whist­le­b­lower wie Brad­ley Man­ning oder Edward Snow­den ame­ri­ka­ni­sche Behör­den emp­find­sam reagie­ren.

Am 7. Okto­ber nun wie­der:

Schließ­lich, so schrei­ben eini­ge, sei er ein Visio­när, gleich­zu­set­zen mit der Wiki­leaks-Infor­man­tin Chel­sea Man­ning oder dem NSA-Whist­le­b­lower Edward Snow­den .

„Bild“ hat­te in ganz weni­gen Zei­len klar­ge­macht, wie wenig sich die Redak­ti­on um die Bit­te von Chel­sea Man­ning schert: In ihren „Fra­gen der Woche“ am 24. August frag­te die Bou­le­vard­zei­tung „Kommt Man­ning in den Frau­en­knast?“ und ant­wor­te­te:

Nein! Obwohl der zu 35 Jah­ren Gefäng­nis ver­ur­teil­te Wiki­leaks-Infor­mant Brad­ley Man­ning (25) ab sofort als Frau namens Chel­sea leben und sich einer Hor­mon­be­hand­lung unter­zie­hen will (BILD berich­te­te), kam er in das Män­ner­ge­fäng­nis Fort Lea­ven­worth (US-Staat Kan­sas). Ein Armee­spre­cher sag­te, dass dort weder Hor­mon­the­ra­pien noch chir­ur­gi­sche Ein­grif­fe zur Geschlechts­um­wand­lung bezahlt wer­den.

Der Unter­schied zum „Spie­gel“ ist da aller­dings mar­gi­nal:

Man­ning fühlt sich schon län­ger als Frau, nach sei­ner Ver­ur­tei­lung will er auch so leben. […] Am Mitt­woch ver­ur­teil­te ihn ein Mili­tär­ge­richt dafür zu 35 Jah­ren Gefäng­nis, abzu­sit­zen in Fort Lea­ven­worth, Kan­sas. Zwar kann Man­ning auf vor­zei­ti­ge Ent­las­sung hof­fen – doch bis dahin steht ihm eine har­te Zeit bevor: Sei­ne Mit­in­sas­sen sind aus­nahms­los Män­ner, eine Ver­le­gung in ein Frau­en­ge­fäng­nis ist nicht geplant.

Die Deut­sche Pres­se-Agen­tur tat sich anfangs noch schwer mit dem Geschlecht. Am 4. Sep­tem­ber schrieb die dpa:

Die Mis­si­on des angeb­li­chen US-Agen­ten soll dem Bericht zufol­ge öffent­lich gewor­den sein, nach­dem er im Juni die­ses Jah­res als Zeu­ge im Pro­zess gegen den Whist­le­b­lower Brad­ley Man­ning vor einem ame­ri­ka­ni­schen Mili­tär­ge­richt in Mary­land auf­ge­tre­ten sei. Man­ning wur­de spä­ter zu 35 Jah­ren Haft ver­ur­teilt, weil er Wiki­Leaks rund 800.000 Geheim­do­ku­men­te über­ge­ben hat­te. Der Ex-Sol­dat war eine Art Zeu­ge der Ankla­ge der Mili­tär­staats­an­wäl­te.

Im Rah­men ihrer Bericht­erstat­tung zum Frie­dens­no­bel­preis letz­te Woche schrieb die dpa dann:

Unter den bekann­ten Kan­di­da­ten in die­sem Jahr ist auch Chel­sea Man­ning (frü­her Brad­ley Man­ning). Dem eins­ti­gen US-Whist­le­b­lower räumt der Prio-Direk­tor aber wenig Chan­cen ein. „Es gibt kei­nen Zwei­fel, dass die Ent­hül­lun­gen sehr zur inter­na­tio­na­len Debat­te über Über­wa­chung bei­getra­gen haben“, sagt Harp­vi­ken. Ethisch und mora­lisch reflek­tie­re Man­ning aber zu wenig, was sie getan habe.

Tat­säch­lich hat­te die Agen­tur in der Zwi­schen­zeit die Ent­schei­dung getrof­fen, zukünf­tig immer von „Wiki­leaks-Infor­man­tin Chel­sea Man­ning“ zu schrei­ben und im wei­te­ren Text­ver­lauf mög­lichst schnell zu erklä­ren, dass Chel­sea als Brad­ley Man­ning vor Gericht gestan­den habe. Wie mir ihr Spre­cher Chris­ti­an Röwekamp auf Anfra­ge erklär­te, hat die dpa nach Abstim­mung mit ande­ren Agen­tu­ren am 6. Sep­tem­ber eine ent­spre­chen­de Pro­to­koll­no­tiz in ihr Regel­werk „dpa-Kom­pass“ auf­ge­nom­men, in dem sonst etwa die Schreib­wei­sen bestimm­ter Wör­ter gere­gelt wer­den.

Der Evan­ge­li­sche Press­dienst epd war da offen­bar nicht dabei. Er schrieb am 11. Okto­ber:

Gute Chan­cen auf den Frie­dens­no­bel­preis wur­den auch dem frü­he­ren US-Prä­si­den­ten Bill Clin­ton, dem Wiki­Leaks-Infor­man­ten Brad­ley Man­ning und der afgha­ni­schen Men­schen­recht­le­rin Sima Samar ein­ge­räumt.

Wie ein­fach es eigent­lich geht, hat­te die „FAZ“ am 9. Sep­tem­ber bewie­sen:

Der Umgang mit Chel­sea (vor­mals Brad­ley) Man­ning, die Cau­sa Snow­den mit trans­at­lan­ti­scher Sip­pen­haft gegen ihn unter­stüt­zen­de Jour­na­lis­ten und der Umgang mit den Geheim­dienst- und Mili­tär-Whist­le­b­lo­wern ins­ge­samt zeigt über­deut­lich, welch unkon­trol­lier­te Macht der „deep sta­te“ der Diens­te mitt­ler­wei­le hat und wie unbe­rührt von öffent­li­chem Pro­test er agiert.

Am 5. Okto­ber schrieb die „FAZ“ dann aller­dings wie­der:

Ohne die von Brad­ley Man­ning an die Ent­hül­lungs­platt­form Wiki­leaks gelie­fer­ten gehei­men Regie­rungs­do­ku­men­te hät­te Maz­zet­ti man­che Zusam­men­hän­ge nicht rekon­stru­ie­ren kön­nen.

Nun zäh­len die The­men­fel­der Trans­gen­der und Trans­se­xua­li­tät im Jahr 2013 immer noch zu den etwas außer­ge­wöhn­li­che­ren, sind aber zumin­dest immer mal wie­der in Sicht­wei­te des Main­streams. Bali­an Busch­baum etwa, der als Yvonne Busch­baum eine erfolg­rei­che Stab­hoch­sprin­ge­rin war, ist häu­fi­ger in Talk­shows zu Gast und wird dort mehr oder weni­ger augen­zwin­kernd angel­anzt, wie das denn jetzt so sei mit einem … hihi: Penis. Der Ame­ri­ka­ner Tho­mas Bea­tie durf­te als „schwan­ge­rer Mann“ die Kurio­si­tä­ten­ka­bi­net­te der Bou­le­vard­me­di­en fül­len. Mina Capu­to wur­de mal Keith genannt und war als Sän­ger von Life Of Ago­ny bekannt und Lau­ra Jane Grace von der Band Against Me! begann ihre Kar­rie­re als Tom Gabel – was die Komi­ker von „Spie­gel Online“ sei­ner­zeit zu der pie­tät­vol­len Über­schrift „Gabel unterm Mes­ser“ inspi­riert hat­te.

Vie­le haben in ihrem Bekann­ten­kreis kei­ne Trans­men­schen (oder wis­sen nichts davon) und wis­sen nicht, wie sie mit einem umge­hen soll­ten. Für Jour­na­lis­ten, die aus der Fer­ne über sie schrei­ben, ist es aber mei­nes Erach­tens erst ein­mal nahe­lie­gend, die Namen und Per­so­nal­pro­no­mi­na zu ver­wen­den, die sich die betref­fen­den Per­so­nen erbe­ten haben. Und Chel­sea Man­ning hat dies expli­zit getan.

In ver­gleichs­wei­se all­täg­li­chen Situa­tio­nen schei­nen Jour­na­lis­ten übri­gens weni­ger über­for­dert: Muham­mad Ali und Kareem Abdul-Jab­bar waren schon bekann­te Sport­ler, als sie zum Islam kon­ver­tier­ten und ihre neu­en Namen annah­men. Durch Ehe­schlie­ßun­gen und ‑schei­dun­gen wech­sel­ten Schau­spie­le­rin­nen wie Robin Wright, Poli­ti­ke­rin­nen wie Kris­ti­na Schrö­der und Schmuck­de­si­gne­rin­nen wie Ales­san­dra Pocher ihre Namen und die Pres­se zog mit. Und der Fern­seh­mo­de­ra­tor Max Moor hieß bis zum Früh­jahr die­ses Jah­res Die­ter, was – nach einem kur­zen Moment des Nase­rümp­fens und Drü­ber­lus­tig­ma­chens – inzwi­schen auch kei­nen mehr inter­es­siert.

Hof­fent­lich braucht es weni­ger als 35 Jah­re, bis Chel­sea Man­nings Bit­te von den deut­schen Medi­en erhört wird.

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Und sie war 16

Die Sprin­ger-Bou­le­vard­zei­tung „B.Z.“ ver­öf­fent­licht heu­te den ers­ten Teil ihrer Bücher-Edi­ti­on „Klas­si­ker der Welt­li­te­ra­tur, mit Fleisch­wurst nach­emp­fun­den“:

Die Hertha-Lolita

Wenn Sie sich jetzt fra­gen: „Wor­um geht’s?“, hilft Ihnen die „B.Z.“ ger­ne mit einem rhe­to­ri­schen Fra­gen­ka­ta­log wei­ter:

Wor­um geht es? Um Sex? Ja. Sex mit einer 16-Jäh­ri­gen? Ja. Sex, auch mit einem ver­hei­ra­te­ten Mann? Ja. Sex im Kin­der­zim­mer, wäh­rend unten die klei­nen Geschwis­ter spiel­ten? Ja.

Sex im Him­mel­bett und Satz­bau aus der Höl­le? Aber hal­lo!

Nichts davon ist so ver­bo­ten, wie es sich anhört. Deut­sches Recht.

Und nichts davon soll sich so sab­bernd anhö­ren, wie es ist. Deut­scher Jour­na­lis­mus.

Im sieb­ten Absatz sind die „B.Z.“-Autoren immer noch damit beschäf­tigt, ihr The­ma weit­räu­mig zu umfah­ren:

Es geht um eine Cli­que von Fuß­ball­pro­fis, die das Herz und den Kör­per einer 16-Jäh­ri­gen unter­ein­an­der tausch­ten wie Schul­hof-Jun­gen ihre Pani­ni-Bil­der.

Die ers­ten Leser dürf­ten an die­ser Stel­le bereits aus­ge­stie­gen sein, denn die „B.Z.“ hat da bereits erklärt, dass sie kei­ne Namen nen­nen wird:

Wir müs­sen und wol­len das Mäd­chen schüt­zen. Wir dür­fen die Her­tha-Spie­ler nicht nen­nen – aus juris­ti­schen Grün­den.

Die Fuß­bal­ler hei­ßen des­halb „Her­tha-Spie­ler 1“, „Her­tha-Spie­ler 2“ und „Her­tha-Spie­ler 3“. „Einer ist ver­hei­ra­tet, einer hat eine Freun­din.“

Die „B.Z.“ schreibt von einem „bizar­ren Rei­gen“, den sie mit genug schmut­zi­gen Eck­da­ten anrei­chert, um den Leser bei der Stan­ge zu hal­ten, von dem sie sich aber auch immer wie­der mit Wer­tun­gen („Macho-Stolz“) zu distan­zie­ren ver­sucht.

Und auch wenn die „B.Z.“ vie­le ver­meint­li­che Details nennt („über Face­book zum Sex auf­ge­for­dert“, „1000 Euro für Oral­sex“, „Es gibt einen Schreib­tisch, eine Couch, ein Bett, einen gro­ßen Flach­bild­fern­se­her in der Ecke“), bleibt eine Fra­ge übrig: Was ist das eigent­lich für eine jun­ge Frau, die mit drei Fuß­ball­pro­fis in die Kis­te steigt – und dann mit die­ser Geschich­te zur „B.Z.“ rennt und den sym­pa­thi­schen Repor­tern „über 20 Sei­ten Text und neun Fotos“ zusteckt?

Die­se Fra­ge wird auch durch die­se Kurz­cha­rak­te­ri­sie­rung nicht beant­wor­tet, mit der die „B.Z.“ neben den skan­dal­gei­len und den fuß­ball­gei­len Lesern offen­sicht­lich auch noch ganz ande­re anspre­chen will:

Zum Tref­fen mit der B.Z. kommt das Mäd­chen in Hot­pants und Trä­ger­shirt. Es ist sich, kei­ne Fra­ge, sei­ner sexu­el­len Aus­strah­lung voll bewusst – und wirkt den­noch wie ein Kind. Die ver­schie­den­far­big lackier­ten Fin­ger- und Zehen­nä­gel, ihre Mäd­chen­stim­me.

„Mein Gott, ich höre mich an wie eine Schlam­pe“, sagt das Mäd­chen mit­ten im Inter­view und schlägt die Hän­de vor sein Gesicht. „Ich schä­me mich dafür.“

Ich wäre ver­sucht zu behaup­ten, das Ren­nen um den ekligs­ten Text des Jah­res sei damit ent­schie­den, aber:

Lesen Sie im nächs­ten Teil: Die Sache mit dem Mäd­chen spricht sich in Her­tha-Krei­sen her­um. Immer mehr Spie­ler mel­den sich – mit ein­deu­ti­gen Ange­bo­ten.

Nach­trag, 29. August: Die Fort­set­zung der – offen­bar kom­plett erfun­de­nen – Geschich­te gibt’s im BILD­blog.

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„New York Times“ richtet „Wetten dass ..?“ hin

Es reicht den deut­schen Medi­en nicht, über „Wet­ten dass ..?“ zu schrei­ben, wenn eine neue Aus­ga­be der Sams­tag­abend­show ansteht, live gesen­det wird oder gera­de aus­ge­strahlt wur­de. Die Zeit zwi­schen den Sen­dun­gen wird mit der Wie­der­auf­be­rei­tung weit­ge­hend bekann­ter Fak­ten gefüllt oder – ganz aktu­ell – mit der Sen­sa­ti­ons­mel­dung, dass nun sogar die „New York Times“ über die Sen­dung geschrie­ben habe.

Das „Han­dels­blatt“ erklärt in sei­ner Online-Aus­ga­be, die „Times“ „ver­rei­ße“ die Sen­dung, laut Bild.de („Mögen die Amis unse­re Shows nicht?“) und „Spie­gel Online“ „läs­tert“ die „Times“ und stern.de nennt den Arti­kel „wenig schmei­chel­haft“.

Nun kann es natür­lich an mir lie­gen, aber ich fin­de in dem Arti­kel „Stu­pid Ger­man Tricks, Wea­ring Thin on TV“ vom Ber­lin-Kor­re­spon­den­ten Nicho­las Kulish wenig, mit dem sich die­se fröh­li­chen Eska­la­tio­nen („Nanu, was haben die Amis bloß gegen ‚Wet­ten, dass..?‘ “, Bild.de) begrün­den las­sen. Aber ich hat­te ja schon nicht ganz ver­stan­den, wo genau Tom Hanks und Den­zel Washing­ton nach ihren Auf­trit­ten über die Sen­dung „geläs­tert“ haben sol­len: Hanks hat­te gesagt, er ver­ste­he die Sen­dung nicht, und Washing­ton hat­te erklärt, die Sen­dung sei ein „Show­for­mat aus einer ande­ren Zeit“. Wer das ernst­haft bestrei­tet, hat die Sen­dung noch nie gese­hen – was ihn natür­lich ander­seits dafür qua­li­fi­zie­ren wür­de, im Inter­net sei­ne Mei­nung dar­über kund zu tun.

Nun zieht also Kulish angeb­lich über die Sen­dung her, auch wenn sich sein Arti­kel für mich wie eine leicht fas­sungs­lo­se Sze­ne­rie­be­schrei­bung liest, die mit ein paar Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen und Zita­ten ver­se­hen wur­de. „Repor­ta­ge“ hät­ten wir das frü­her in der Schu­le genannt.

„Spie­gel Online“ schreibt:

In dem Arti­kel bekom­men alle – Mar­kus Lanz, die Wet­ten und auch die Live-Dol­met­scher – ihr Fett weg. Vor allem über das Herz­stück der Show, die Wet­ten, mokiert sich Kulish: „Schrul­lig“ nennt er sie und ver­gleicht sie mit „Stu­pid Human Tricks“, einem bekann­ten Ele­ment aus David Let­ter­mans „Late Night Show“, das aller­dings dort eine weni­ger gro­ße Bedeu­tung hat – und iro­nisch gemeint ist.

Noch mal: Es kann alles an mir lie­gen. Mir fehlt offen­bar das für Jour­na­lis­ten not­wen­di­ge Gen, in jedem Ereig­nis einen Eklat, in jedem Adjek­tiv eine Wer­tung und in allem, was ich nicht ver­ste­he, den Unter­gang des Abend­lan­des zu wit­tern. Aber ist „schrul­lig“ („wacky“) wirk­lich so ein wirk­mäch­ti­ges Qua­li­täts­ur­teil oder ist es nicht ein­fach eine Beschrei­bung des­sen, was da vor sich geht? Ich mei­ne: In der betref­fen­den Sen­dung ver­such­te offen­bar ein Mann mit einem Gabel­stap­ler, Mün­zen in eine Milch­fla­sche zu bewe­gen!

Aber wei­ter im Text:

Lanz selbst muss in dem Arti­kel mit eher wenig Platz aus­kom­men – und ohne ein Zitat. […]

Neben meh­re­ren deut­schen Medi­en – auch DER SPIEGEL wird aus­gie­big zitiert – kommt in dem „NYT“-Artikel auch Film- und TV-Regis­seur Domi­nik Graf zu Wort, als ein­zi­ger Bran­chen­ma­cher.

Hier die Nicht-Zita­te von Mar­kus Lanz:

„Some peo­p­le say that if any­thing could sur­vi­ve a nuclear strike, it would be cock­roa­ches and ‚Wet­ten, Dass …?,‘ “ said its host, Mar­kus Lanz, in an inter­view after the show wrap­ped. […]

„If only the Greeks were so careful with their money,“ Mr. Lanz said.

Und hier die aus­führ­li­chen „Spiegel“-Zitate:

Com­pli­ca­ting mat­ters fur­ther, the lea­ding Ger­man news­ma­ga­zi­ne, Der Spie­gel, repor­ted last month that Mr. Gottschalk’s brot­her may have had ques­tionable busi­ness dealings with seve­ral com­pa­nies who­se pro­ducts appeared on the show. […]

Der Spie­gel asked in its latest issue, „Why are Ger­mans the only ones slee­ping through the future of TV?“ The maga­zi­ne cal­led Ger­man pro­grams „fain­the­ar­ted, harm­less, pla­ce­bo tele­vi­si­on.“

Der, wie ich fin­de, schöns­te Satz aus Kulishs durch­aus lesens­wer­tem Arti­kel wird lei­der nir­gends zitiert. Dabei fasst er den Gegen­stand viel­leicht am Bes­ten zusam­men:

On a giant screen over­head a mon­ta­ge of movie clips show­ed the young film star Mat­thi­as Schweighöfer’s bare backside.

Mit Dank auch an Ulli.

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Leser fragen, Horst Seidenfaden belehrt

Vor zwei Mona­ten berich­te­ten wir im BILD­blog über unge­kenn­zeich­ne­te Nivea-Wer­bung im Inter­net­auf­tritt der „Hessischen/​Niedersächsischen All­ge­mei­nen“ (HNA). Der Kol­le­ge Mats Schö­nau­er hat­te dafür auch einen Fra­gen­ka­ta­log an den Chef­re­dak­teur der Zei­tung, Horst Sei­den­fa­den, geschickt.

Sei­den­fa­dens Ant­wort fiel etwas unter­kühlt aus:

Sehr geehr­ter Herr Schö­nau­er,

ich ken­ne Sie nicht, erken­ne auch kei­nen Hin­weis auf eine seriö­se Tätig­keit, fin­de das Vor­ge­hen bemer­kens­wert unpro­fes­sio­nell und wüss­te nicht, war­um ich mei­ne Zeit für Ihre Anfra­ge spen­den soll­te.

Gruß
Horst Sei­den­fa­den

Ich weiß nicht, ob es Mats trös­tet, aber das war offen­sicht­lich kein Ein­zel­fall.

Die HNA hat auf ihrer Inter­net­sei­te ein neu­es Pro­jekt gestar­tet, das sie als „Fra­gen zum Redak­ti­ons­all­tag der HNA“ bezeich­net:

Anre­gun­gen, Kri­tik, Fra­gen – was immer Sie auf dem Her­zen haben, schrei­ben Sie uns eine E‑Mail an online@hna.de – wir lei­ten die­se an Horst Sei­den­fa­den wei­ter. Er steht Ihnen Rede und Ant­wort.

Wer schon ein­mal in einer Redak­ti­on gear­bei­tet hat, weiß, dass dort mit­un­ter sehr, sehr merk­wür­di­ge Post von Lesern ankommt. In der Regel set­zen sich Leu­te ja nicht hin, um die wie­der mal gelun­ge­ne oder wenigs­tens okaye Bericht­erstat­tung zu lob­prei­sen, son­dern um zu kri­ti­sie­ren und Ein­bli­cke in tie­fe Abgrün­de zu gewäh­ren. Man tut gut dar­an, auf sol­che Zuschrif­ten nicht zu reagie­ren – beson­ders, wenn die Alter­na­ti­ve eine Ant­wort von Horst Sei­den­fa­den ist.

Kloog­schie­ter (Nick­na­me des Ver­fas­sers, die E‑Mail-Adres­se ist der Redak­ti­on bekannt) woll­te Fol­gen­des wis­sen:

„Mich wür­de sehr ernst­haft inter­es­sie­ren, war­um sich die deut­sche Jour­na­lie so schwer damit tut, ver­meint­li­che Tabu­the­men auf­zu­grei­fen, gleich ob dies eine unkon­trol­lier­te Zuwan­de­rung, Son­der­rech­te für Juden und Mus­li­me, Aus­län­der­kri­mi­na­li­tät o.ä. betrifft. Stän­dig auf die 12jährige deut­sche Geschich­te hin­zu­wei­sen kann da ja wohl nicht ziel­füh­rend sein, zumal dies heu­te kei­nen mün­di­gen Bür­ger mehr hin­ter dem Ofen her­vor­lockt.“

Horst Sei­den­fa­den: Jour­nail­le bezeich­net in des Wor­tes Bedeu­tung eine hin­ter­häl­tig-gemei­ne Art von Jour­na­lis­ten und Zei­tun­gen. Da ich weder die HNA noch ihre Mit­ar­bei­ter dazu zäh­len kann, kann ich zu der Anmer­kung auch nichts sagen.

Okay, das ist viel­leicht nicht der glück­lichs­te Auf­takt für eine drei­tei­li­ge Fra­ge-Ant­wort-Rei­he.

Nächs­te Fra­ge:

Kai Boed­ding­haus stell­te die­se Fra­ge:

Was ist da dran? http://www.bildblog.de/43907/niveau-ist-keine-hautcreme‑5/. Mich ken­nen Sie ja, des­we­gen dürf­te ange­sichts Ihrer Trans­pa­renz­of­fen­si­ve eine Beant­wor­tung kein Pro­blem sein. Die Fra­gen der BILD­blog-Betrei­ber in die­sem Kon­text sind tat­säch­lich genau auch die mei­nen. Ich freue mich sehr auf Ihre Ant­wort und bedan­ke mich schon jetzt für Ihre Bemü­hun­gen.

Horst Sei­den­fa­den: Hal­lo, Herr Boed­ding­haus, zunächst eine klei­ne, aber für mich nicht unwich­ti­ge Kor­rek­tur: ich ken­ne Sie nicht – ich weiß ledig­lich, wer Sie sind.

*seufz*

Aber Horst Sei­den­fa­den, der über­ra­schen­der­wei­se nie als Stu­di­en­rat gear­bei­tet hat, kommt ja dann doch noch zur … äh: Sache.

Die Fra­gen aus dem Bild­blog sind ja eini­ge Tage alt, schön, dass auch Sie mitt­ler­wei­le drauf gesto­ßen sind. In der Tat haben wir in die­sem Bereich unse­rer Web­site einen Feh­ler gemacht, den wir – auf­merk­sam gewor­den durch die­sen Hin­wies – mitt­ler­wei­le kor­ri­giert haben. das ist mei­nes Wis­sens auch den Bild­blog-Machern durch unse­re Online-Redak­ti­on mit­ge­teilt wor­den, wir ach­ten künf­tig ver­stärkt auf die Tren­nung von kom­mer­zi­el­len und redak­tio­nel­len Inhal­ten. Da wir den Feh­ler ja zuge­ge­ben haben und unse­re Leh­ren dar­aus zie­hen erüb­rigt sich auch die Beant­wor­tung der Fra­gen. Ziel eines sol­chen Blogs soll­te es ja sein, Din­ge zu ver­bes­sern – das ist erfolgt.

Mit zuneh­men­der Lek­tü­re drängt sich der Ein­druck auf, dass die Redak­teu­re von hna.de ihren Chef­re­dak­teur nicht son­der­lich mögen. Sonst hät­ten sie ihm sei­ne alt­klu­gen Ein­lei­tungs­sät­ze ein­fach vor Ver­öf­fent­li­chung aus den Ant­wor­ten getilgt.

So muss sich der Leser, der eine Fra­ge zur Urhe­ber­nen­nung bei abge­druck­ten Fotos gestellt hat­te, von Sei­den­fah­ren „zunächst ein­mal“ beleh­ren las­sen, dass es kein „Deut­sches Pres­se­ge­setz“ gebe – das sei Län­der­sa­che. Dem Leser, der frag­te, wie die HNA-Redak­ti­on Feh­ler ver­mei­de bzw. kor­ri­gie­re, erklärt der Chef­re­dak­teur, „zunächst ein­mal“ sei „jeder Redak­teur für sei­nen Text oder den eines frei­en Mit­ar­bei­ters, den er bear­bei­tet, ver­ant­wort­lich“.

Ande­rer­seits muss­te er sich von sei­nen Lesern auch ganz schön was anhö­ren:

Jür­gen Töll­ner merk­te Fol­gen­des an:

Scha­de, dass die HNA nicht über­par­tei­lich ist, sie­he auch 1,5 Sei­ten „Lobes­hym­ne Mer­kel“ vor der Nie­der­sach­sen­wahl und teil­wei­se auf Bild­zei­tungs­ni­veau agiert. Aber solan­ge Sie Herr Sei­den­fa­den die Fäden in der Hand hal­ten, wird sich dar­an nichts ändern. Wegen feh­len­der Alter­na­ti­ve bin ich noch HNA-Leser, aber nicht mehr lan­ge.

Ich ken­ne die HNA zu wenig, um die Kri­tik des Lesers beur­tei­len zu kön­nen, aber in die­sem Fall ist Horst Sei­den­fa­den mal so freund­lich, mir und allen ande­ren sein Blatt genau­er vor­zu­stel­len:

Horst Sei­den­fa­den: Die HNA war im ver­gan­ge­nen Jahr von der Abo-Ent­wick­lung her die erfolg­reichs­te Zei­tung in Hes­sen. Unser Online-Auf­tritt hat bei den Besu­chen noch ein­mal 15 Pro­zent zuge­legt. Der Spit­zen­wert war 177.000 Visits am Tag. Mit ande­ren Wor­ten: So falsch kann das Kon­zept nicht sein – dass dies nicht jedem passt, liegt in der Natur der Sache.

Auch Zei­tun­gen sind Kon­sum­pro­duk­te und wenn sie so pola­ri­sie­ren, wie wir es vor allem in unse­ren Lokal­tei­len ver­su­chen, gibt es auch man­chen, dem die Sup­pe nicht schmeckt. Das ist übri­gens Bestand­teil des Kon­zepts. Ich ken­ne nur ein Print-Pro­dukt, dass mit dem Kon­zept, everybody’s dar­ling zu sein, Erfolg hat: Die Aste­rix-Hef­te. Wie auch immer – das Mer­ke-Inter­view als Lobes­hym­ne zu bezeich­nen hal­te ich schon für eine sehr grob gepi­xel­te Betrach­tung. Wenn eine Regio­nal­zei­tung wie die HNA zum ers­ten Mal in ihrer Geschich­te die Chan­ce hat, ein Exklu­siv-Inter­view mit der Regie­rungs­chefin zu machen, dann muss man dar­aus kei­nen 60-Zei­len-Arti­kel machen.

Und was die grund­sätz­li­che Beur­tei­lung des Blat­tes betrifft: Die HNA gilt in der Bran­che in Deutsch­land als eine der füh­ren­den Zei­tun­gen was Inno­va­ti­on, Leser­ori­en­tie­rung, Inter­ak­ti­vi­tät und Mul­ti­me­dia­li­tät betrifft. Aber bei man­chen gilt der Pro­phet im eige­nen Lan­de eben nichts. Natür­lich kön­nen wir Ihre Kri­tik­punk­te auch gern näher bespre­chen – wenn Sie wol­len, rufen Sie mich ein­fach an.

Ich neh­me an, Horst Sei­den­fa­den fährt ein Auto mit Hybris-Antrieb.

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Papier ist geduldig

Ges­tern gab es gleich zwei schlech­te Nach­rich­ten im Medi­en­sek­tor: Das Stadt­ma­ga­zin „Prinz“ wird im Dezem­ber zum letz­ten Mal als gedruck­te Aus­ga­be erschei­nen und die „Frank­fur­ter Rund­schau“ mel­de­te Insol­venz an.

Sofort ging das Gerau­ne wie­der los, Print sei tot. Wahr­schein­lich konn­te man auch wie­der das Idio­ten­wort „Tot­holz­me­di­en“ lesen. Ger­ne wür­de ich die­sen Leu­ten ins Gesicht schrei­en, dass sie Unrecht haben. Das Pro­blem ist: Ich wür­de mir selbst nicht glau­ben. Das Pro­blem bin ich selbst.

Das letz­te Mal, dass ich ein Prin­ter­zeug­nis gekauft habe, war die Sep­tem­ber/Ok­to­ber-Aus­ga­be der „Spex“. Davor hat­te ich in die­sem Jahr viel­leicht fünf, sechs ande­re Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten gekauft. Nicht, weil ich die Pro­duk­te schei­ße fän­de, im Gegen­teil, aber: Wann soll ich die denn lesen?

Viel­leicht liegt es dar­an, dass ich von zuhau­se aus arbei­te – mein Weg vom Früh­stücks- zum Schreib­tisch beträgt sie­ben Meter, der Gang zur Tages­zei­tung im Brief­kas­ten wäre ein Umweg. Als ich im ers­ten Semes­ter mei­nes Stu­di­ums noch täg­lich von Dins­la­ken nach Bochum gepen­delt bin, habe ich in die­ser Zeit jeden Monat „Musik­ex­press“, „Rol­ling Stone“, „Visi­ons“ und „Galo­re“ gele­sen, dazu zahl­rei­che Bücher und an man­chen Tagen gar Zei­tun­gen. Tat­säch­lich habe ich alle Zeit­schrif­ten, die ich 2012 gekauft habe, in Bahn­hofs­ki­os­ken erwor­ben. Aber auf Zug­fahr­ten kann ich auch end­lich mal in Ruhe Pod­casts hören oder ein Buch lesen – oder halt die gan­ze Zeit auf den Bild­schirm mei­nes iPho­nes star­ren.

Es ist bescheu­ert, Tex­te auf einer Flä­che lesen zu wol­len, die klei­ner ist als mein Hand­tel­ler, und wir wer­den ver­mut­lich eines Tages alle dafür bezah­len. Aber es ist auch so herr­lich prak­tisch, in der S‑Bahn, im Café oder mor­gens noch vor dem Auf­ste­hen im Bett zu lesen, was gera­de in der Welt pas­siert. Ein Buch wür­de ich so nie lesen wol­len, aber Nach­rich­ten? War­um nicht!

Gemes­sen dar­an ist die Tages­zei­tung, die ich auf dem Weg zum Bäcker kau­fen könn­te, natür­lich alt. Dass sie des­halb über­flüs­sig sei, ist natür­lich auch so ein Quatsch-Argu­ment der Inter­net-Apo­lo­ge­ten: Schon vor 30 Jah­ren konn­te es einem pas­sie­ren, dass die „Tages­schau“ um 20 Uhr berich­te­te, was man schon im „Mor­gen­ma­ga­zin“ auf WDR 2 gehört hat­te. Es geht ja nicht nur um die rei­ne Nach­richt, son­dern auch um deren Auf­be­rei­tung. Und selbst wer den gan­zen Tag am Inter­net hängt, wird nicht alles mit­be­kom­men haben, was sich an die­sem Tag ereig­net hat. Ande­rer­seits ist der Nutz­wert einer Zei­tung, die fast aus­schließ­lich die glei­chen Agen­tur­mel­dun­gen bringt, die am Vor­tag schon auf zwei­tau­send Inter­net­sei­ten zu lesen waren, tat­säch­lich gering. Das gilt lei­der auch für eine Lokal­zei­tung, die ihre schö­nen Ent­hül­lun­gen schon vor­ab im eige­nen Web­por­tal ver­öf­fent­licht hat.

Natür­lich liest man Zei­tun­gen ganz anders als Web­sei­ten: Das Auge streift Mel­dun­gen, Über­schrif­ten und Fotos, nach denen man nie gesucht hät­te, die einen aber den­noch anspre­chen kön­nen – nicht sel­ten zur eige­nen Über­ra­schung. Ich lie­be gut gemach­te Zei­tun­gen, trotz­dem lese ich sie nicht. Ich weiß auch, was gutes Essen ist, trotz­dem geht nichts in der Welt über Bur­ger, Cur­ry­wurst und Piz­za. Aber war­um bin ich, war­um sind wir Men­schen so?

Es kann mir nie­mand erzäh­len, dass die Lek­tü­re eines Tex­tes auf einem Bild­schirm (egal ob Smart­phone, Tablet oder Moni­tor) mit der eines Buchs ver­gleich­bar ist. Der Text ist der­sel­be, aber „Lek­tü­re“ ist dann offen­bar doch etwas ande­res als schlich­tes Lesen. Schon ein Taschen­buch fühlt sich nicht so wer­tig an wie eine gebun­de­ne Aus­ga­be mit Lese­bänd­chen, die digi­ta­le Text­an­zei­ge ist dage­gen ein Witz. ((Ander­seits kann eine Voll­text­su­che schon sehr, sehr prak­tisch sein.)) Aber offen­sicht­lich gibt es Men­schen, denen das an die­ser Stel­le dann viel­be­schwo­re­ne sinn­li­che Lese­er­leb­nis nicht so wich­tig ist. Ich wür­de ja auch kei­ne 20 Euro für eine Fla­sche Wein bezah­len.

Mein Ver­hält­nis zu Vinyl-Schall­plat­ten ist eher theo­re­ti­scher Natur: Ich habe nur ein paar, das meis­te sind Sin­gles, die ich aus einer Mischung von Schnäpp­chen­jagd, Witz und Sam­mel­lei­den­schaft erwor­ben habe. ((Eine spa­ni­sche Pres­sung von „Sep­tem­ber“ von Earth, Wind And Fire? Klar! Die Ori­gi­nal­auf­la­ge von San­die Shaws „Pup­pet On A String“? Brauch ich als ESC-Fan natür­lich drin­gend!)) Ich besit­ze nicht mal eine ordent­li­che Ste­reo­an­la­ge, auf der ich die Din­ger abspie­len könn­te, weiß aber natür­lich um den legen­dä­ren Ruf von Vinyl. Mei­ne Sozia­li­sa­ti­on fand mit CDs statt und ehr­lich gesagt fra­ge ich mich manch­mal schon, war­um anfäl­li­ge Schall­plat­ten bes­ser sein sol­len als die dann doch recht robus­ten Sil­ber­schei­ben. Und natür­lich sind CDs für mich viel wer­ti­ger als MP3s, auch wenn ich vie­le CDs nur ein­mal aus der Hül­le neh­me, um sie in MP3s zu ver­wan­deln. Aber MP3s sind für mich immer noch bes­ser als Strea­ming-Diens­te wie Spo­ti­fy: Da „habe“ ich ja wenigs­tens noch die Datei. Bei einem Strea­ming-Dienst habe ich Zugang zu fast allen Ton­trä­gern der letz­ten 50 Jah­re, wodurch jedes Album qua­si völ­lig wert­los wird, auch wenn ich im Monat zehn Euro dafür bezah­le, alles hören zu kön­nen. Den­noch nut­ze ich Spo­ti­fy, wenn auch eher für Klas­si­sche Musik und zum Vor­hö­ren von Alben, die ich mir dann spä­ter kau­fe. Ich gucke auch DVDs auf einem Lap­top, des­sen Bild­schirm unge­fähr Din-A-4-Grö­ße hat und des­sen Auf­lö­sung höher ist als die der DVD selbst.

Scha­det es also dem Pro­dukt, wenn das Medi­um als weni­ger wer­tig emp­fun­den wird? Ich fin­de ja. Ich habe im Inter­net gran­dio­se Tex­te gele­sen, die ich glaub ich noch bes­ser gefun­den hät­te, wenn ich sie auf Papier gele­sen hät­te. Nur, dass ich sie auf Papier nie gele­sen hät­te, weil ich sie dort nie gesucht und gefun­den hät­te. Und weil ich zu wenig Zeit habe, noch bedruck­tes Papier zu lesen, weil ich fast den gan­zen Tag vor dem Inter­net sit­ze. Es ist bekloppt!

Die meis­ten Men­schen, die ich ken­ne, haben kein beson­de­res Ver­hält­nis zu Pfer­den oder Autos, sie wol­len nur mög­lichst schnell an irgend­ei­nem Ziel ankom­men. Das Auto ist schnel­ler als das Pferd – bas­ta! Das war vor hun­dert Jah­ren schlecht für die Pfer­de­züch­ter und Huf­schmie­de, aber so ist das. Der Auto­mo­bil­in­dus­trie gin­ge es auch noch bedeu­tend schlech­ter, wenn wir end­lich alle Rake­ten­ruck­sä­cke hät­ten oder uns bea­men könn­ten.

Die meis­ten Men­schen wol­len auch ein­fach nur Musik hören. Von den Arsch­lö­chern mal ab, denen es egal ist, ob die Musi­ker dafür auch ent­spre­chend ent­lohnt wer­den, ist das völ­lig legi­tim, sie brau­chen kei­ne sie­ben CD-Rega­le in der Woh­nung und Delu­xe-Box­sets. Ihre Umzü­ge sind mut­maß­lich auch weni­ger anstren­gend.

Es gibt offen­sicht­lich Men­schen, die Bücher lesen, die kei­ne Bücher mehr sind. Auch das ist legi­tim und beim Umzug von Vor­teil. Ich kann das nicht ver­ste­hen, aber ich kann schon nicht ver­ste­hen, wie man sich Roma­ne aus der Büche­rei aus­lei­hen kann: Wenn mir ein Buch gefällt, will ich Stel­len unter­strei­chen und es anschlie­ßend, als Tro­phäe und zum Wie­der­her­vor­ho­len, im Regal ste­hen haben.

Die meis­ten Men­schen brau­chen aber offen­bar auch kei­ne gedruck­ten Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten mehr – außer, sie zie­hen gera­de um. Ich wür­de das gern eben­falls merk­wür­dig fin­den. Aber ich bin ja offen­bar genau­so.