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25 Jahre „Reload“

Dieser Eintrag ist Teil 8 von bisher 10 in der Serie 1999

Im Jahr 1999 erschienen jede Menge Alben, die für unsere Autor*innen prägend waren. Zu ihrem 25. Jubiläum wollen wir sie der Reihe nach vorstellen.

Tom Jones - Reload (abfotografiert von Lukas Heinser)

Zum ersten Mal von Tom Jones gehört habe ich, wie vermutlich die meisten Menschen meiner Generation, in „Mars Attacks!“, dem übersehenen Meisterwerk von Tim Burton. In dem Film greifen Marsianer die Erde an und sie tun das unter anderem in Las Vegas, während Tom Jones auf der Bühne eines Casino-Hotels steht und – natürlich – „It’s Not Unusual“ singt. Jones spielt sich selbst, er wird im weiteren Verlauf des Films mit Annette Bening und Janice Rivera zu den Tahoe-Höhlen fliehen und, nachdem die Marsianer besiegt sind und ein Falke auf seinem Arm gelandet ist, erneut „It’s Not Unusual“ anstimmen. Eines der Top-10-Enden der Filmgeschichte. (Falls Ihr „Mars Attacks!“ noch nie gesehen habt: Es ist, seit ich mit 13 im Kino war, einer meiner absoluten Lieblingsfilme. Auch mehr als 25 Jahre später muss ich immer noch sagen: 10/10, ein Meisterwerk für alle Zeiten. Guckt ihn Euch an!)

Für meine Eltern und ihre Generation war Tom Jones damals im Wesentlichen eine etwas abgehalfterte Witzfigur, nicht unähnlich den ehemaligen Schlagerstars, die bei Baumartkeröffnungen sangen. Es waren die zynischen 1990er und die Qualitäten, die es braucht, um Las Vegas residencies und Baumartkeröffnungen zu bestehen, wurden allenfalls von Götz Alsmann gewürdigt. Da konnte auch sein Mini-Comeback von 1994 nichts dran ändern, als er gemeinsam mit The Art Of Noise „Kiss“ von Prince coverte und mit seiner Version für nicht wenige Kritiker das Original übertraf.

Womöglich war es eine Mischung aus 1990er-„Ironie“ und Teenager-Trotz, aber irgendwie fand ich Tom Jones cool. Entsprechend überrascht war ich, als ich im Herbst 1999 in einem Elektronikmarkt ein neues Album von ihm sah, gemeinsam mit Gaststars wie The Cardigans, Robbie Williams, Natalie Imbruglia und Simply Red, die mir natürlich etwas sagten. Irgendwie muss ich auch erkannt haben, dass es sich um jede Menge Coverversionen und Neueinspielungen handelte, denn ich war enttäuscht, dass „It’s Not Unusual“ nicht dabei war, und so habe ich die CD zu diesem Zeitpunkt nicht gekauft.

Doch dann kam der Auftritt bei „Wetten, dass ..?“: Nina Persson und die Jungs hatten sich trotz aller eigenen Charterfolge vermutlich nie vorgestellt, einmal in dieser seltsamen deutschen Fernsehsendung, von der sich internationale Stars in first class lounges, Festival-Backstage-Bereichen und bei Preisverleihung fassungslos erzählen, vor einem sprechenden Bühnenbild (ja, in der Tat: ein brennendes Haus) einen Auftritt mit dem „Tiger“ zu absolvieren, bei dem sie so tun, als würden sie gerade ihre Version von „Burning Down The House“ live performen. Ich kannte das Original von den Talking Heads nicht (und war, als ich es dann endlich irgendwann mal hörte, nicht sonderlich beeindruckt), aber dieser Auftritt ließ mich direkt am darauffolgenden Montag zu R&K in Dinslaken fahren und „Reload“ doch noch kaufen.

Das Album war für mich der Erstkontakt mit Acts wie The Divine Comedy, Barenaked Ladies, Portishead, Catatonia und Stereophonics und die erste CD in meiner Sammlung, auf der The Cardigans und James Dean Bradfield von den Manic Streets Preachers zu hören waren — Acts, bei denen ich, wie auch bei Robbie Williams, in der Folge einen gewissen Hang zum Komplettismus entwickeln sollte. Es machte mich nicht nur mit „Burning Down The House“ bekannt, sondern auch mit Songs wie „All Mine“ (Portishead), „Never Tear Us Apart“ (INXS) und wahrscheinlich auch „Lust For Life“ (Iggy Pop). Kurzum: Es war ein Crashkurs in Sachen Popkultur der vorangegangenen Jahrzehnte und der Gegenwart.

„Are You Gonna Go My Way“ (Lenny Kravitz) mit Robbie Williams wirkte nicht nur wegen des Titels wie die Übergabe eines Staffelstabs. „Sometimes We Cry“ von und mit Van Morrison, der als Einziger einen seiner eigenen Songs sang, rührt mich bis heute. James Dean Bradfield von den Manic Streets Preachers liefert bei „I’m Left, You’re Right, She’s Gone“ (Elvis Presley) eine der besten Gesangsleistungen seiner Karriere ab (Tom Jones schreibt, wenn ich das richtig erinnere, in seiner Autobiographie, dass er Angst hatte, ein Duett mit einem so begnadeten Sänger zu singen, und ganz ehrlich: Wenn Ihr keine Gänsehaut bekommt, wenn JDBs Stimme zum ersten Mal in den Song reingrätscht, kann ich Euch auch nicht helfen!). Selbst die Ideen, die auf dem Papier schlecht wirken, funktionieren im (hoffentlich weit aufgedrehten) Lautsprecher: Sollte man Iggy Pops „Lust For Life“ covern? Nein. Außer, wenn Chrissie Hynde von The Pretenders und Tom Jones singen. Dann unbedingt.

Dass ein Album mit 17 Tracks so seine Längen hat, lässt sich schwer vermeiden: „Ain’t That A Lot Of Love“ mit fucking Simply Red? „She Drives Me Crazy“ mit Zucchero? Ist doch schön, wenn Tom Jones so viele angesagte Acts zum Mitwirken bewegen konnte!

Der große Hit, der zu einem späten signature song werden sollte, war indes ein anderer: „Sex Bomb“, die einzige Neukomposition des Albums, aus der Feder des Hannoveraner Musikproduzenten Mousse T., der mit seinem Debüt-Hit „Horny ’98“ bereits gezeigt hatte, dass er stumpfes Rumpf-Gemumpf extrem cool und clubtauglich klingen lassen konnte. Heute würde man anders darüber denken, wenn ein 59-jähriger Mann mit gefärbtem Haupthaar einer mutmaßlich sehr viel jüngeren Frau den Refrain „Sexbomb, sexbomb you’re a sexbomb / You can give it to me, when I need to come along / Sexbomb, sexbomb you’re my sexbomb / And baby you can turn me on“ angedeihen lassen wollte, aber man muss Popkultur immer aus ihrem Zeitgeist lesen, wenn man sie irgendwie verstehen will, und der Zeitgeist der ausgehenden 1990er Jahre war eben so, dass ich ihn auf einer Website, die auch Minderjährige besuchen können, schlecht ausformulieren kann.

Einmal angefixt, tauchte ich natürlich in das Gesamtwerk des walisischen Tigers ein — und, meine Güte, waren da Hits, Hits, Hits! Gut: Die Mörderballade „Delilah“ wurde in den letzten Jahren von Sportveranstaltungen verbannt und auch die Sujets manch anderer Songs sind schlecht gealtert, aber diese Stimme, die immer über irgendwelchen State-of-the-art-Arrangements schwebte, lässt zumindest mich einen Tacken mehr durchgehen lassen als es bei anderen Acts der Fall wäre.

Tom Jones war – nach den Prinzen 1994 – tatsächlich das zweite große Popkonzert, das ich in meinem Leben besuchte (im Mai 2000 mit meinen Eltern und meinem Bruder in der Arena Oberhausen; das Konzertplakat, das mein Vater auf dem Heimweg von einem Maschendrahtzaun abmontierte, könnte immer noch im Keller meiner Eltern stehen) und auch wenn natürlich keiner der „Reload“-Gäste dabei war, war es ein Erlebnis. Jones legte in der weiteren Folge einen beeindruckenden dritten (oder vierten oder fünften) Karriere-Akt hin, indem er aufhörte, seine Haare zu färben, und begann, Folk- und Americana-Alben aufzunehmen (ich habe im letzten Jahr zufällig festgestellt, dass er eine Version von „Charlie Darwin“ von The Low Anthem veröffentlicht hat!). Das hatte Folgen, denn als ich ihn zum zweiten Mal live sah, spielte er die meisten seiner Klassiker in kaum wiederzuerkennenden Arrangements. Das Publikum wirkte ein bisschen enttäuscht, aber mit damals schon 79 Jahren hatte er sich das Recht erarbeitet, seine Songs derart zu dylanisieren. Der überraschende Ort dieses überraschenden Auftritts: das Burgtheater Dinslaken.

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Tom Jones – Reload
(Gut/V2, 16. September 1999)
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Lucky & Fred: Episode 8

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Wir blicken zurück auf das Jahr 2014 und seine bizarrste Bewegung: Pegida. Nachdem wir uns von diesem Schock erholt haben, sprechen wir über Udo Jürgens, das Medienexil und das Wort des Jahres 2015.

(Wir haben die Sendung vor den traurigen Ereignissen in Paris aufgezeichnet.)

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Rundfunk Gesellschaft Kultur Fernsehen

Wette sich, wer kann

Die Nachricht, dass die Unterhaltungssendung “Wetten, dass..?” nach 33 Jahren ihren Geist aufgeben würde, war der Redaktion von “Spiegel Online” am Abend des 5. April sogar eine Breaking News wert. Autopsie und Trauerfeier waren da bereits in vollem Gange.

Das ZDF wurde für seine Pressemitteilungsformulierung der “geänderten Sehgewohnheiten” mit Häme überzogen — überwiegend von Menschen, die gerne amerikanische TV-Serien auf Computern und Tablets schauen und sich Sonntagsabends online verabreden, um gemeinschaftlich eine einzelne deutsche TV-Serie scheiße zu finden. Markus Lanz und die Redaktion wurden zu den Alleinschuldigen erklärt, was auch Quatsch war: Zwar hatten der joviale Baumarkteröffnungscharmeur und seine Truppe im Hintergrund, die es auch schon mal für eine gute Idee gehalten hatte, sich völlig ohne Grund eine ausschweifende Rassismusdebatte an den Hals zu holen, tatsächlich keinen guten Job gemacht, aber das Problem lag auch woanders. In einer Zeit, wo wirklich jeder durch Castingshow und YouTube zum “Star” werden kann, braucht der Normalbürger keine abseitigen Begabungen mehr, um für einen Abend im Rampenlicht zu stehen. Man kann es jetzt zu mittelfristiger TV-Prominenz bringen, ohne Wärmflaschen aufzupusten oder die Postleitzahlen aller deutschen Städte benennen zu können. ((Oder ohne irgendetwas zu können.)) Frank Elstner meldete sich auf Twitter zu Wort und vielerorts las man wieder von Elstner, kleinen Kindern in der Badewanne und im Bademantel. ((Was jetzt vielleicht ein bisschen unglücklich formuliert ist.))

Immer wieder kam das Bild auf, das Florian Illies 2000 beschrieben hatte: Wie er als Kind Samstagsabends, frisch gebadet und im Bademantel auf der Couch sitzen und “Wetten, dass..?” mit Frank Elstner gucken durfte. Illies beschrieb dies in seinem Bestseller “Generation Golf”, dessen Titel schon Teil des Problems ist, zu dem wir gleich noch kommen, und je mehr deckungsgleiche Wortmeldungen in den Sozialen Netzwerken aufschlugen, desto bohrender wurde die Frage: Hatten wir – das Personalpronomen ist hier besonders wichtig – wirklich so ähnliche Kindheitserlebnisse oder brach sich hier gerade die Erinnerungsverfälschung Raum, die sonst gerne auch schon mal gerne dafür sorgt, dass Menschen sich detailreich daran erinnern, wo sie bei der Mondlandung, der Ermordung John F. Kennedys, dem Mauerfall, dem Unfalltod von Diana Spencer und am 11. September 2001 waren — nur, dass das oft gar nicht stimmt.

Ich für meinen Teil bin zum Beispiel zu jung, um jemals bewusst “Wetten, dass..?” mit Frank Elstner gesehen zu haben. Ich erinnere mich an eine Ausgabe, in der jemand mithilfe handlicher Schrottballen sagen konnte, um was für ein Auto es sich zuvor gehandelt hatte. Es mag mein erster bewusster Kontakt mit der Sendung gewesen sein, der Moderator war wohl schon Thomas Gottschalk und wenn es da draußen jemanden gibt, der auf Anhieb sagen kann, ob das stimmt, wann die Sendung lief und aus welcher Mehrzweckhalle die Sendung damals kam, dann ist es jetzt zu spät, um aus dieser Inselbegabung noch Kapital zu schlagen.

Frank Elstner, das war für mich der Moderator von “Nase vorn”, dem vielleicht überambitioniertesten Unterhaltungsshowversuch, bis es ProSiebenSat1 mit der “Millionärswahl” versuchte, und der teilweise live von der Trabrennbahn in Dinslaken übertragen wurde, in deren buchstäblicher Wurfweite unsere damalige Wohnung lag. Mit großem Eifer glotzte ich damals jede Samstagabendshow weg, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen Ende der 1980er, Anfang der 1990er auf die Gebührenzahler losließ, ((“Verstehen Sie Spaß?” mit Paola und Kurt Felix! Der “Flitterabend”! Die “Goldmillion”!)) zur Not zwang ich meine Großeltern (und nicht andersherum), mit mir den “Musikantenstadl” zu schauen — es war eben Samstagabend, ich war da und wollte unterhalten werden! Am Liebsten aber die “Rudi Carrell Show” ((Ich bin unsicher, wann genau ich begriff, dass die Kandidaten – “gerade noch im Reisebüro, jetzt auf unserer Showbühne!” – sich gar nicht so schnell umziehen konnten, sondern dort mit vorab aufgezeichneten Beiträgen gearbeitet wurde, fürchte aber, es ist noch gar nicht sooo lange her.)) und später “Geld oder Liebe” mit Jürgen von der Lippe, das ich im Nachhinein gerne zur besten Samstagabendshow aller Zeiten verkläre. Wenn es mir gelänge, heute etwas ähnlich harmlos-anarchisch-unterhaltsames zu konzipieren, wäre ich ein gemachter Mann.

“Wetten, dass..?”, jedenfalls, ist im Begriff, sehr bald Geschichte zu sein, und all jene, die damals tatsächlich oder gefühlt im Bademantel zugeschaut hatten, gaben sich dem hin, was seit “Generation Golf” Allgemeingut ist: der fraternisierenden, leicht anironisierten Nostalgie derer, die für echte Nostalgie nicht nur zu jung sind, sondern auch zu wenig erlebt hatten. Und weil die Vertreter dieser … nun ja: Generation heute an den entscheidenden Stellen bundesdeutscher Onlinedienste und Medienseiten sitzen, kann man diese Erinnerungen überall lesen, wo sie von Menschen mit den gleichen tatsächlichen oder gefühlten Erinnerungen kommentiert werden, auf dass sich auch die Nachgeborenen damit infizieren und sich später felsenfest daran erinnern, wie sie damals selbst auf der Couch …

“Kids today gettin’ old too fast / They can’t wait to grow up so they can kiss some ass / They get nostalgic about the last ten years / Before the last ten years have passed”, hat Ben Folds mal gesungen. Das ist inzwischen neun Jahre her und die Entwicklung der Sozialen Netzwerke hat seitdem nicht gerade zu einer Entspannung der Situation beigetragen. “Throwback Thursday” nennen sie es, wenn Menschen am Donnerstag besonders peinliche ((Zu irgendeiner Zeit hätte man gesagt: “affige”.)) Fotos von sich selbst in einem jüngeren Zustand auf Facebook oder Twitter posten, was besonders reizvoll ist, wenn die Menschen Anfang Zwanzig und die Fotos selbst noch nicht mal im Grundschulalter sind. Jan Böhmermann ((Je nach Bezugsgeneration der Harald Schmidt oder Stefan Raab seiner eigenen Generation.)) sorgte im Frühjahr mit einem “So waren die 90er”-Video für Furore im deutschsprachigen Internet, 90er-Parties erfreuen sich schon seit einiger Zeit wachsender Beliebtheit und ich saß auch schon stocknüchtern inmitten unterschiedlich alkoholisierter Menschen auf Parties, starrte auf einen Laptopbildschirm und nahm einen YouTube-Reigen von Mr. President, Take That, Echt und Tic Tac Toe mit einer stets wechselnden Mischung aus Faszination, Abscheu, Nostalgie, Fassungslosigkeit und Begeisterung zur Kenntnis. Es waren Menschen mit ansonsten vermutlich tadellosem Musikgeschmack, aber niemand kam auf die Idee, wenigstens mal zur Abwechslung Interpreten wie Nirvana, Oasis oder Pearl Jam in die Runde zu werfen. Das war auch nicht mehr mit dem leidigen Thema Überironisierung zu erklären.

Mein Vater verabscheut heute mit großer Hingabe vieles, was sich auf den angeblich repräsentativen Hit-Samplern seiner Jugend findet, ((Mungo Jerry! The Lovin’ Spoonful!)) trotz fehlenden Alters waltet bei mir eine erschütternde Milde: Ich könnte jederzeit ausführlich und fundiert begründen, warum Sunrise Avenue große Grütze sind, würde mich aber im Zweifelsfall vermutlich dazu hinreißen lassen, “What Is Love?” von Haddaway wortreich gegen jedwede Kritik zu verteidigen.

Die Musik, die heute dort angesagt ist, wo Indiebereich und Mainstream kleinen Grenzverkehr pflegen, klingt oft, als sei sie schon mindestens 40 Jahre alt. Vor zehn, fünfzehn Jahren wurden haufenweise Fernsehserien der 70er und 80er fürs Kino adaptiert, heute sind plötzlich Fernsehserien erfolgreich, die auf 20 Jahre alten Kinofilmen basieren. Und das ist erst der Anfang.

Der Herm fragte letzte Woche auf Twitter:

Kurz darauf ging dann ein neuer “Terminator”-Trailer online.

Über das Phänomen der “Retromanie” sind inzwischen Artikel und ganze Bücher geschrieben worden. Und, klar: Wenn Kulturepochen nicht mehr 50 oder 100 Jahre dauern, sondern nur ein paar Monate ((Oder gar 140 Zeichen.)), können sie auch schneller wiederkommen. Die Renaissance rekurrierte noch auf ein Zeitalter, das seit etwa 800 Jahren vorbei war.

Und so ist in einer Zeit, in der angeblich alles individueller wird ((Mode- und Einrichtungsblogs sprechen da eine etwas andere Sprache.)), die Erinnerung an “Dolomiti”, “Yps” und “Raider” (“heißt jetzt ‘Twix'”) das, was die Menschen heimelig zusammenbringt. Die Jeanette-Biedermeier-Epoche.

Um “Wetten dass..?” wird jetzt bis zuletzt ein Gewese gemacht, das die Show selbst seit mindestens zehn Jahren nicht mehr gerechtfertigt hat. Aber so ist das in Deutschland: Wir haben ja kulturell nicht so viel und wenn wir doch mal jemanden haben, werden diejenigen so sehr gefeiert, bis sie niemand mehr ernsthaft ertragen kann. Stichwort: Til Schweiger, Jan Josef Liefers, Helene Fischer, Unheilig. Alle vier sind am Samstag bei der letzten Sendung dabei.

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Rundfunk Print

“New York Times” richtet “Wetten dass ..?” hin

Es reicht den deutschen Medien nicht, über “Wetten dass ..?” zu schreiben, wenn eine neue Ausgabe der Samstagabendshow ansteht, live gesendet wird oder gerade ausgestrahlt wurde. Die Zeit zwischen den Sendungen wird mit der Wiederaufbereitung weitgehend bekannter Fakten gefüllt oder – ganz aktuell – mit der Sensationsmeldung, dass nun sogar die “New York Times” über die Sendung geschrieben habe.

Das “Handelsblatt” erklärt in seiner Online-Ausgabe, die “Times” “verreiße” die Sendung, laut Bild.de (“Mögen die Amis unsere Shows nicht?”) und “Spiegel Online” “lästert” die “Times” und stern.de nennt den Artikel “wenig schmeichelhaft”.

Nun kann es natürlich an mir liegen, aber ich finde in dem Artikel “Stupid German Tricks, Wearing Thin on TV” vom Berlin-Korrespondenten Nicholas Kulish wenig, mit dem sich diese fröhlichen Eskalationen (“Nanu, was haben die Amis bloß gegen ‘Wetten, dass..?'”, Bild.de) begründen lassen. Aber ich hatte ja schon nicht ganz verstanden, wo genau Tom Hanks und Denzel Washington nach ihren Auftritten über die Sendung “gelästert” haben sollen: Hanks hatte gesagt, er verstehe die Sendung nicht, und Washington hatte erklärt, die Sendung sei ein “Showformat aus einer anderen Zeit”. Wer das ernsthaft bestreitet, hat die Sendung noch nie gesehen — was ihn natürlich anderseits dafür qualifizieren würde, im Internet seine Meinung darüber kund zu tun.

Nun zieht also Kulish angeblich über die Sendung her, auch wenn sich sein Artikel für mich wie eine leicht fassungslose Szeneriebeschreibung liest, die mit ein paar Hintergrundinformationen und Zitaten versehen wurde. “Reportage” hätten wir das früher in der Schule genannt.

“Spiegel Online” schreibt:

In dem Artikel bekommen alle – Markus Lanz, die Wetten und auch die Live-Dolmetscher – ihr Fett weg. Vor allem über das Herzstück der Show, die Wetten, mokiert sich Kulish: “Schrullig” nennt er sie und vergleicht sie mit “Stupid Human Tricks”, einem bekannten Element aus David Lettermans “Late Night Show”, das allerdings dort eine weniger große Bedeutung hat – und ironisch gemeint ist.

Noch mal: Es kann alles an mir liegen. Mir fehlt offenbar das für Journalisten notwendige Gen, in jedem Ereignis einen Eklat, in jedem Adjektiv eine Wertung und in allem, was ich nicht verstehe, den Untergang des Abendlandes zu wittern. Aber ist “schrullig” (“wacky”) wirklich so ein wirkmächtiges Qualitätsurteil oder ist es nicht einfach eine Beschreibung dessen, was da vor sich geht? Ich meine: In der betreffenden Sendung versuchte offenbar ein Mann mit einem Gabelstapler, Münzen in eine Milchflasche zu bewegen!

Aber weiter im Text:

Lanz selbst muss in dem Artikel mit eher wenig Platz auskommen – und ohne ein Zitat. […]

Neben mehreren deutschen Medien – auch DER SPIEGEL wird ausgiebig zitiert – kommt in dem “NYT”-Artikel auch Film- und TV-Regisseur Dominik Graf zu Wort, als einziger Branchenmacher.

Hier die Nicht-Zitate von Markus Lanz:

“Some people say that if anything could survive a nuclear strike, it would be cockroaches and ‘Wetten, Dass …?,'” said its host, Markus Lanz, in an interview after the show wrapped. […]

“If only the Greeks were so careful with their money,” Mr. Lanz said.

Und hier die ausführlichen “Spiegel”-Zitate:

Complicating matters further, the leading German newsmagazine, Der Spiegel, reported last month that Mr. Gottschalk’s brother may have had questionable business dealings with several companies whose products appeared on the show. […]

Der Spiegel asked in its latest issue, “Why are Germans the only ones sleeping through the future of TV?” The magazine called German programs “fainthearted, harmless, placebo television.”

Der, wie ich finde, schönste Satz aus Kulishs durchaus lesenswertem Artikel wird leider nirgends zitiert. Dabei fasst er den Gegenstand vielleicht am Besten zusammen:

On a giant screen overhead a montage of movie clips showed the young film star Matthias Schweighöfer’s bare backside.

Mit Dank auch an Ulli.

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Liveblog: “Wetten dass..?” mit Markus Lanz

Es ist angeblich das TV-Ereignis des Jahres: Heute Abend übernimmt ein Mann namens Markus Lanz die Moderation einer TV-Sendung namens “Wetten dass..?”

Wenn die Technik funktioniert, werden Oliver Thiemann und ich diesen jetzt schon legendären Abend hier in einem Liveblog festhalten.

Das ZDF überträgt zwar schon ab 19.25 Uhr einen sogenannten Countdown, aber wir starten erst gegen 20 Uhr mit unserem Liveblog. Man muss es ja auch nicht übertreiben.

[liveblog]

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Der charmante Froschkoch mit der blonden Laune

Seit heute ist offiziell, dass Markus Lanz die Nachfolger von Thomas Gottschalk als “Wetten, dass..?!”-Moderator antreten wird. Christopher Keil, Medienredakteur der “Süddeutschen Zeitung”, hat die Gelegenheit genutzt, am Sonntagabend schnell noch einen Text dazu im Internet zu deponieren, der vermutlich morgen auch gedruckt im Blatt erscheinen wird.

Sein Problem: Die Logik war noch im Wochenend-Kurzurlaub — und hatte die deutsche Sprache mitgenommen.

Er wird nicht mit einem Assistenten oder einer Assistentin arbeiten, so viel steht fest. Gottschalk, der mittlerweile versucht, für die ARD eine halbstündige Late Light Show vor der Tagesschau durchzusetzen, stand zuletzt die attraktive Schweizerin Michelle Hunziker zur Seite.

Gottschalk versucht, “Gottschalk live” “durchzusetzen”? Nicht eher “auszusitzen” oder so?

Keil weiter über Gottschalk:

Er war darin ein großer Entertainer, ein Virtuose des Mainstream, der “Wetten dass ..?” als deutschen Staatszirkus mit blonder Laune und lockigem Humor führte.

Vielleicht könnte die Bundeswehr, wenn sie alle afghanischen Mohnfelder zerstört hat, kurz bei einem Einsatz im eigenen Land die Stilblütenwiesen des Christopher Keil umpflügen? Womöglich bliebe uns dann auch ein vollends rätselhafter Absatz wie dieser hier erspart:

Sehr schnell wurde die Frage gestellt, was “Wetten, dass ..?” ohne ihn künftig wert und wer ihm als Nachfolger ebenbürtig sei. Viele meldeten sich und verkündeten, sie stünden nicht zur Verfügung – ohne je bedacht worden zu sein, und Günther Jauch war der Einzige, der es nicht ernst gemeint hatte. Über andere wie Nazan Eckes wurde spekuliert, dabei, das wird sie selbst am besten wissen, reichte es bei ihr nicht einmal zur Spekulation.

Es wirkt nicht so, als wüsste Keil um die Bedeutung des Verbs “bedenken”. Andererseits verblasst dieser Satz in seiner (nicht eben geringen) Merkwürdigkeit vollständig gegenüber dem nachfolgenden: Über Nazan Eckes wurde spekuliert, aber es reichte nicht einmal zur Spekulation? Also quasi die Spekulation interrupta, die sich auf dem Weg zu sich selbst verlaufen hatte?

Über Thomas Bellut, den designierten ZDF-Intendanten, an dessen 57. Geburtstag “das Treffen” in einem italienischen Restaurant in Mainz stattgefunden hatte, weiß Keil immerhin zu berichten, dass der gebürtiger Niedersachse sei. Inwiefern das in einem Zusammenhang damit steht, dass Bellut “offenbar belastbar und auch durch Schlagzeilen nicht zu erschüttern” sei, weiß wohl nur Christopher Keil. Oder – haha – Christian Wulff.

Vielleicht interessiert sich Keil aber privat auch einfach nur für Chaostheorien, weswegen er Schlussfolgerungen wie diese hier für sinnvoll hält:

Weil sich Lanz privat für die Polargebiete interessiert, könnte es aber sein, dass das ZDF ein Winter-“Wetten, dass ..?” einführt und offenbar spricht das ZDF mit Lanz auch über eine Ausgabe Kinder-“Wetten, dass ..?”. Mit Gottschalk gab es eine Sommershow, die bevorzugt in der Stierkampf-Arena von Palma de Mallorca stattfand.

Woher Keil das mit der Kinder-Sendung weiß? Nun, er scheint einen charmanten, gut aussehenden Informanten zu haben:

Dass Lanz als Dritter gefragt wurde, bedeutet nicht, dass er dritte Wahl ist. In seinen Talkshows erfährt man vieles über Menschen, viel mehr als gerade bei den meisten, wenn auch viel Belangloses. Doch Lanz kennt seine Gäste, er lässt sich auf sie ein, bietet ihnen charmant die Stirn. Man darf sich von seinen guten Manieren, seinem guten Aussehen und seinem guten Ton, den er trifft, nicht täuschen lassen.

… denn in Wahrheit ist Lanz was? Ein gemeingefährlicher Irrer? Ein ungehobelter Rohling? Ein hässlicher Schiefsänger?

Stellt sich raus: In Wahrheit ist Lanz ein phantastischer Investigativjournalist.

Als neulich Vizekanzler Philipp Rösler bei ihm war, begrüßte ihn Lanz mit dem Lob: Er, der FDP-Boss Rösler, sei ja in seinen politischen Reden zuweilen komischer als Harald Schmidt. Rösler hat sich daraufhin für eine halbe Stunde sehr geliebt, hat bei der Wiedergabe des Streits mit der Bundeskanzlerin in der Frage Gauck jedes Maß für Vernunft und wohl auch Anstand verloren. Er erklärte noch einmal, was es mit seinem Gleichnis vom Frosch auf sich hatte, der nicht merkt, wie er gekocht wird, sofern man das kalte Wasser, in dem er sitzt, langsam erhitzt. Alle haben sehr über Rösler gelacht, auch Rösler über sich. Dass er der Frosch im Wasser war, den Lanz in aller Ruhe zum Kochen brachte, merkte er nicht.

Das deckt sich nicht ganz mit dem Eindruck, den ich oder sonst jemand von der Sendung gehabt hätte, in der Lanz als komplett distanzloser Märchenonkel vollends die Orientierung zwischen Unterwürfigkeit, Kumpelei und Überheblichkeit verloren hatte. Aber gut: Lanz hat den Frosch Philipp Rösler gekocht. Das wird er künftig nicht mehr können, denn Lanz “wird seine nächtlichen Gesprächsrunden im Zweiten weiterführen, seine Kochsendung am Freitag allerdings abgeben”.