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In memoriam Roger Willemsen

Elf Jah­re sind nicht das Alter, in dem ich mei­nen Sohn abend­li­che Talk­shows sehen las­sen wür­de, aber so alt war ich, als „Wil­lem­sens Woche“ auf Sen­dung ging, und ich war von Anfang an dabei — war­um auch immer. Ich weiß, dass ich an jenem Wochen­en­de bei mei­ner Oma über­nach­tet habe und wir die ers­te Aus­ga­be gemein­sam gese­hen haben. Die meis­ten wei­te­ren habe ich dann mit mei­nen Eltern geschaut oder auch allei­ne. Merk­wür­di­ges Kind, das ich war.

Die Sen­dung hat wie weni­ge ande­re mei­ne Erwar­tungs­hal­tung an gutes Fern­se­hen geprägt und ganz stark dazu bei­getra­gen, dass ich auch „was mit Medi­en“ machen woll­te. Roger Wil­lem­sen hat­te Men­schen zu Gast, die noch etwas zu erzäh­len hat­ten, und er wuss­te, wie man sie erzäh­len lässt. Sein Inter­view mit Hel­mut Mark­wort mag man heu­te eitel oder gar etwas bös­ar­tig fin­den, aber es zeigt, was ein Mode­ra­tor mit einer Hal­tung ist, und soll­te Stan­dard­werk an Jour­na­lis­ten­schu­len sein. Nicht min­der legen­där: Wie Wil­lem­sen und Fried­rich Küp­pers­busch, ein Mann, der mei­ne Vor­stel­lung von gutem Fern­se­hen eben­so mit­be­stimmt hat und den ich inzwi­schen mei­nen Freund nen­nen darf, die letz­te Aus­ga­be von Fried­richs ARD-Maga­zin „Pri­vat­fern­se­hen“ so lan­ge eigen­mäch­tig ver­län­ger­ten, bis die zen­tra­le Sen­de­lei­tung ent­nervt den Ste­cker zog.

Ich bin Roger Wil­lem­sen zwei Mal bei der Auf­zeich­nung sei­ner (natür­lich auch nicht sehr erfolg­rei­chen) WDR-Sen­dung „Nacht­kul­tur“ begeg­net (Anläs­se, bei denen ich auf Wim Wen­ders und Tom Tykwer traf — die ganz nor­ma­le Frei­zeit­be­schäf­ti­gung 16-jäh­ri­ger Ado­les­zen­ten) und habe ein paar Mal mit ihm gemailt. Ein­mal ging es um einen Bei­trag fürs BILD­blog, ein­mal um den sehr kom­pli­zier­ten und heu­te nur noch schwer nach­voll­zieh­ba­ren Vor­gang der Pres­se­stel­le der Stadt Dins­la­ken, die es irgend­wie geschafft hat­te, O‑Töne von Wil­lem­sen, Jörg Kachelm­ann, Ste­fan Nig­ge­mei­er und mir zu einem Pot­pour­ri der Klein­stadt-PR zu remi­xen (fra­gen Sie nicht).

Es ende­te jeden­falls mit die­sem Kom­men­tar Wil­lem­sens in Ste­fans Blog:

Wis­sen Sie, ich bin erleich­tert, dass es jetzt raus ist. Schon jah­re­lang lau­fe ich mit der Schuld durch die Welt, San­dra Schwarz­haupt gefragt zu haben, war­um sie in NY und nicht in Dins­la­ken woh­ne. Die­ser unrei­fe und ehr­ab­schnei­den­de Kom­men­tar zum Welt­zen­trum der Selbst­iro­nie hat mit frei­er Mei­nungs­äu­ße­rung nichts zu tun, er ist schäd­lich und dumm, bie­tet er doch der Pres­se­stel­le der Stadt Dins­la­ken die fei­ge Mög­lich­keit, sich zu bla­mie­ren. Es soll wie­der vor­kom­men.

Das Zitat schaff­te es 2008 noch ein­mal in den Jah­res­rück­blick der Lokal­aus­ga­be der „Rhei­ni­schen Post“ und „Es soll wie­der vor­kom­men“ ist seit­dem fes­ter Bestand­teil mei­nes rhe­to­ri­schen Werk­zeug­kas­tens.

Im letz­ten Jahr hat Roger Wil­lem­sen wegen einer Krebs­er­kran­kung alle Ter­mi­ne abge­sagt. Ich weiß, dass Krebs der „größ­te Wich­ser im gan­zen Land“ (Thees Uhl­mann) ist, aber aus der Fer­ne hat­te ich ein­fach gehofft, dass Roger Wil­lem­sen das über­ste­hen wer­de. In kind­li­cher Nai­vi­tät hat­te ich mir sogar aus­ge­malt, dass wir ihn nach sei­ner Gene­sung bei Lucky & Fred zu Gast haben wür­den. Es schmerzt mich, dass die­ser ego­is­ti­sche Wunsch jetzt nicht in Erfül­lung gehen wird, aber noch mehr schmerzt es mich, dass Roger Wil­lem­sen nun im Alter von gera­de ein­mal 60 Jah­ren gestor­ben ist. Men­schen wie ihn könn­ten wir die­ser Tage mehr denn je gebrau­chen.

Erhe­ben Sie sich also bit­te mit mir für den (immer noch unfass­bar gei­len) Titel­song von „Wil­lem­sens Woche“:

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Wette sich, wer kann

Die Nach­richt, dass die Unter­hal­tungs­sen­dung „Wet­ten, dass..?“ nach 33 Jah­ren ihren Geist auf­ge­ben wür­de, war der Redak­ti­on von „Spie­gel Online“ am Abend des 5. April sogar eine Brea­king News wert. Aut­op­sie und Trau­er­fei­er waren da bereits in vol­lem Gan­ge.

Das ZDF wur­de für sei­ne Pres­se­mit­tei­lungs­for­mu­lie­rung der „geän­der­ten Seh­ge­wohn­hei­ten“ mit Häme über­zo­gen – über­wie­gend von Men­schen, die ger­ne ame­ri­ka­ni­sche TV-Seri­en auf Com­pu­tern und Tablets schau­en und sich Sonn­tags­abends online ver­ab­re­den, um gemein­schaft­lich eine ein­zel­ne deut­sche TV-Serie schei­ße zu fin­den. Mar­kus Lanz und die Redak­ti­on wur­den zu den Allein­schul­di­gen erklärt, was auch Quatsch war: Zwar hat­ten der jovia­le Bau­markt­er­öff­nungs­ch­ar­meur und sei­ne Trup­pe im Hin­ter­grund, die es auch schon mal für eine gute Idee gehal­ten hat­te, sich völ­lig ohne Grund eine aus­schwei­fen­de Ras­sis­mus­de­bat­te an den Hals zu holen, tat­säch­lich kei­nen guten Job gemacht, aber das Pro­blem lag auch woan­ders. In einer Zeit, wo wirk­lich jeder durch Cas­ting­show und You­Tube zum „Star“ wer­den kann, braucht der Nor­mal­bür­ger kei­ne absei­ti­gen Bega­bun­gen mehr, um für einen Abend im Ram­pen­licht zu ste­hen. Man kann es jetzt zu mit­tel­fris­ti­ger TV-Pro­mi­nenz brin­gen, ohne Wärm­fla­schen auf­zu­pus­ten oder die Post­leit­zah­len aller deut­schen Städ­te benen­nen zu kön­nen. ((Oder ohne irgend­et­was zu kön­nen.)) Frank Elst­ner mel­de­te sich auf Twit­ter zu Wort und vie­ler­orts las man wie­der von Elst­ner, klei­nen Kin­dern in der Bade­wan­ne und im Bade­man­tel. ((Was jetzt viel­leicht ein biss­chen unglück­lich for­mu­liert ist.))

Immer wie­der kam das Bild auf, das Flo­ri­an Illies 2000 beschrie­ben hat­te: Wie er als Kind Sams­tags­abends, frisch geba­det und im Bade­man­tel auf der Couch sit­zen und „Wet­ten, dass..?“ mit Frank Elst­ner gucken durf­te. Illies beschrieb dies in sei­nem Best­sel­ler „Gene­ra­ti­on Golf“, des­sen Titel schon Teil des Pro­blems ist, zu dem wir gleich noch kom­men, und je mehr deckungs­glei­che Wort­mel­dun­gen in den Sozia­len Netz­wer­ken auf­schlu­gen, des­to boh­ren­der wur­de die Fra­ge: Hat­ten wir – das Per­so­nal­pro­no­men ist hier beson­ders wich­tig – wirk­lich so ähn­li­che Kind­heits­er­leb­nis­se oder brach sich hier gera­de die Erin­ne­rungs­ver­fäl­schung Raum, die sonst ger­ne auch schon mal ger­ne dafür sorgt, dass Men­schen sich detail­reich dar­an erin­nern, wo sie bei der Mond­lan­dung, der Ermor­dung John F. Ken­ne­dys, dem Mau­er­fall, dem Unfall­tod von Dia­na Spen­cer und am 11. Sep­tem­ber 2001 waren – nur, dass das oft gar nicht stimmt.

Ich für mei­nen Teil bin zum Bei­spiel zu jung, um jemals bewusst „Wet­ten, dass..?“ mit Frank Elst­ner gese­hen zu haben. Ich erin­ne­re mich an eine Aus­ga­be, in der jemand mit­hil­fe hand­li­cher Schrott­bal­len sagen konn­te, um was für ein Auto es sich zuvor gehan­delt hat­te. Es mag mein ers­ter bewuss­ter Kon­takt mit der Sen­dung gewe­sen sein, der Mode­ra­tor war wohl schon Tho­mas Gott­schalk und wenn es da drau­ßen jeman­den gibt, der auf Anhieb sagen kann, ob das stimmt, wann die Sen­dung lief und aus wel­cher Mehr­zweck­hal­le die Sen­dung damals kam, dann ist es jetzt zu spät, um aus die­ser Insel­be­ga­bung noch Kapi­tal zu schla­gen.

Frank Elst­ner, das war für mich der Mode­ra­tor von „Nase vorn“, dem viel­leicht über­am­bi­tio­nier­tes­ten Unter­hal­tungs­show­ver­such, bis es ProSiebenSat1 mit der „Mil­lio­närs­wahl“ ver­such­te, und der teil­wei­se live von der Trab­renn­bahn in Dins­la­ken über­tra­gen wur­de, in deren buch­stäb­li­cher Wurf­wei­te unse­re dama­li­ge Woh­nung lag. Mit gro­ßem Eifer glotz­te ich damals jede Sams­tag­abend­show weg, die das öffent­lich-recht­li­che Fern­se­hen Ende der 1980er, Anfang der 1990er auf die Gebüh­ren­zah­ler los­ließ, ((„Ver­ste­hen Sie Spaß?“ mit Pao­la und Kurt Felix! Der „Flit­ter­abend“! Die „Gold­mil­li­on“!)) zur Not zwang ich mei­ne Groß­el­tern (und nicht anders­her­um), mit mir den „Musi­kan­ten­stadl“ zu schau­en – es war eben Sams­tag­abend, ich war da und woll­te unter­hal­ten wer­den! Am Liebs­ten aber die „Rudi Car­rell Show“ ((Ich bin unsi­cher, wann genau ich begriff, dass die Kan­di­da­ten – „gera­de noch im Rei­se­bü­ro, jetzt auf unse­rer Show­büh­ne!“ – sich gar nicht so schnell umzie­hen konn­ten, son­dern dort mit vor­ab auf­ge­zeich­ne­ten Bei­trä­gen gear­bei­tet wur­de, fürch­te aber, es ist noch gar nicht sooo lan­ge her.)) und spä­ter „Geld oder Lie­be“ mit Jür­gen von der Lip­pe, das ich im Nach­hin­ein ger­ne zur bes­ten Sams­tag­abend­show aller Zei­ten ver­klä­re. Wenn es mir gelän­ge, heu­te etwas ähn­lich harm­los-anar­chisch-unter­halt­sa­mes zu kon­zi­pie­ren, wäre ich ein gemach­ter Mann.

„Wet­ten, dass..?“, jeden­falls, ist im Begriff, sehr bald Geschich­te zu sein, und all jene, die damals tat­säch­lich oder gefühlt im Bade­man­tel zuge­schaut hat­ten, gaben sich dem hin, was seit „Gene­ra­ti­on Golf“ All­ge­mein­gut ist: der fra­ter­ni­sie­ren­den, leicht aniro­ni­sier­ten Nost­al­gie derer, die für ech­te Nost­al­gie nicht nur zu jung sind, son­dern auch zu wenig erlebt hat­ten. Und weil die Ver­tre­ter die­ser … nun ja: Gene­ra­ti­on heu­te an den ent­schei­den­den Stel­len bun­des­deut­scher Online­diens­te und Medi­en­sei­ten sit­zen, kann man die­se Erin­ne­run­gen über­all lesen, wo sie von Men­schen mit den glei­chen tat­säch­li­chen oder gefühl­ten Erin­ne­run­gen kom­men­tiert wer­den, auf dass sich auch die Nach­ge­bo­re­nen damit infi­zie­ren und sich spä­ter fel­sen­fest dar­an erin­nern, wie sie damals selbst auf der Couch …

„Kids today get­tin‘ old too fast /​ They can’t wait to grow up so they can kiss some ass /​ They get nost­al­gic about the last ten years /​ Befo­re the last ten years have pas­sed“, hat Ben Folds mal gesun­gen. Das ist inzwi­schen neun Jah­re her und die Ent­wick­lung der Sozia­len Netz­wer­ke hat seit­dem nicht gera­de zu einer Ent­span­nung der Situa­ti­on bei­getra­gen. „Throw­back Thurs­day“ nen­nen sie es, wenn Men­schen am Don­ners­tag beson­ders pein­li­che ((Zu irgend­ei­ner Zeit hät­te man gesagt: „affi­ge“.)) Fotos von sich selbst in einem jün­ge­ren Zustand auf Face­book oder Twit­ter pos­ten, was beson­ders reiz­voll ist, wenn die Men­schen Anfang Zwan­zig und die Fotos selbst noch nicht mal im Grund­schul­al­ter sind. Jan Böh­mer­mann ((Je nach Bezugs­ge­ne­ra­ti­on der Harald Schmidt oder Ste­fan Raab sei­ner eige­nen Gene­ra­ti­on.)) sorg­te im Früh­jahr mit einem „So waren die 90er“-Video für Furo­re im deutsch­spra­chi­gen Inter­net, 90er-Par­ties erfreu­en sich schon seit eini­ger Zeit wach­sen­der Beliebt­heit und ich saß auch schon stock­nüch­tern inmit­ten unter­schied­lich alko­ho­li­sier­ter Men­schen auf Par­ties, starr­te auf einen Lap­top­bild­schirm und nahm einen You­Tube-Rei­gen von Mr. Pre­si­dent, Take That, Echt und Tic Tac Toe mit einer stets wech­seln­den Mischung aus Fas­zi­na­ti­on, Abscheu, Nost­al­gie, Fas­sungs­lo­sig­keit und Begeis­te­rung zur Kennt­nis. Es waren Men­schen mit ansons­ten ver­mut­lich tadel­lo­sem Musik­ge­schmack, aber nie­mand kam auf die Idee, wenigs­tens mal zur Abwechs­lung Inter­pre­ten wie Nir­va­na, Oasis oder Pearl Jam in die Run­de zu wer­fen. Das war auch nicht mehr mit dem lei­di­gen The­ma Über­i­ro­ni­sie­rung zu erklä­ren.

Mein Vater ver­ab­scheut heu­te mit gro­ßer Hin­ga­be vie­les, was sich auf den angeb­lich reprä­sen­ta­ti­ven Hit-Sam­plern sei­ner Jugend fin­det, ((Mungo Jer­ry! The Lovin‘ Spoon­ful!)) trotz feh­len­den Alters wal­tet bei mir eine erschüt­tern­de Mil­de: Ich könn­te jeder­zeit aus­führ­lich und fun­diert begrün­den, war­um Sun­ri­se Ave­nue gro­ße Grüt­ze sind, wür­de mich aber im Zwei­fels­fall ver­mut­lich dazu hin­rei­ßen las­sen, „What Is Love?“ von Had­da­way wort­reich gegen jed­we­de Kri­tik zu ver­tei­di­gen.

Die Musik, die heu­te dort ange­sagt ist, wo Indie­be­reich und Main­stream klei­nen Grenz­ver­kehr pfle­gen, klingt oft, als sei sie schon min­des­tens 40 Jah­re alt. Vor zehn, fünf­zehn Jah­ren wur­den hau­fen­wei­se Fern­seh­se­ri­en der 70er und 80er fürs Kino adap­tiert, heu­te sind plötz­lich Fern­seh­se­ri­en erfolg­reich, die auf 20 Jah­re alten Kino­fil­men basie­ren. Und das ist erst der Anfang.

Der Herm frag­te letz­te Woche auf Twit­ter:

Kurz dar­auf ging dann ein neu­er „Terminator“-Trailer online.

Über das Phä­no­men der „Retro­ma­nie“ sind inzwi­schen Arti­kel und gan­ze Bücher geschrie­ben wor­den. Und, klar: Wenn Kul­tur­epo­chen nicht mehr 50 oder 100 Jah­re dau­ern, son­dern nur ein paar Mona­te ((Oder gar 140 Zei­chen.)), kön­nen sie auch schnel­ler wie­der­kom­men. Die Renais­sance rekur­rier­te noch auf ein Zeit­al­ter, das seit etwa 800 Jah­ren vor­bei war.

Und so ist in einer Zeit, in der angeb­lich alles indi­vi­du­el­ler wird ((Mode- und Ein­rich­tungs­blogs spre­chen da eine etwas ande­re Spra­che.)), die Erin­ne­rung an „Dolo­mi­ti“, „Yps“ und „Rai­der“ („heißt jetzt ‚Twix‚“) das, was die Men­schen hei­me­lig zusam­men­bringt. Die Jea­nette-Bie­der­mei­er-Epo­che.

Um „Wet­ten dass..?“ wird jetzt bis zuletzt ein Gewe­se gemacht, das die Show selbst seit min­des­tens zehn Jah­ren nicht mehr gerecht­fer­tigt hat. Aber so ist das in Deutsch­land: Wir haben ja kul­tu­rell nicht so viel und wenn wir doch mal jeman­den haben, wer­den die­je­ni­gen so sehr gefei­ert, bis sie nie­mand mehr ernst­haft ertra­gen kann. Stich­wort: Til Schwei­ger, Jan Josef Lie­fers, Hele­ne Fischer, Unhei­lig. Alle vier sind am Sams­tag bei der letz­ten Sen­dung dabei.

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q.e.d. (Super-Selbstreferentialität)

Ich war heu­te Nach­mit­tag bei Phoe­nix zu Gast, um über das The­ma „Nach­rich­ten­quel­le Inter­net – Medi­en im Wan­del“ zu spre­chen. Ich glau­be nicht, dass Sie was ver­passt haben, aber die Sen­dung wird mor­gen Mit­tag um 12 auch noch mal wie­der­holt.

Die Kern­the­se, auf die die Mode­ra­to­rin Marei­ke Bokern, Fre­de­rik Pleit­gen von CNN Inter­na­tio­nal und ich uns am Ende geei­nigt haben, war unge­fähr: Das Inter­net ist toll, aber man darf nicht alles glau­ben, was dort steht.

Und damit kom­men wir zu dem Tweet, mit dem CNN Ger­ma­ny auf die Sen­dung hin­ge­wie­sen hat:

Heute 16h auf Phoenix: Nachrichtenquelle Internet - Medien im Wandel: Mareike Bokern im Talk mit CNNs @fpleitgenCNN und @Lukas_Heinser

Dabei bin ich gar nicht bei Twit­ter – schon gar nicht als @Lukas_Heinser.

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Fernsehen ohne Kaffee

Ges­tern Abend wur­den in Ber­lin die Echos ver­lie­hen. Der Ver­an­stal­ter, der Bun­des­ver­band Musik­in­dus­trie e.V., bezeich­net den Echo kon­se­quent als „einen der wich­tigs­ten Musik­prei­se der Welt“, nach wel­chen Kri­te­ri­en die Prei­se genau ver­lie­hen wer­den, weiß nie­mand so genau, ver­mut­lich nicht ein­mal Prof. Die­ter Gor­ny. Eine gro­ße Rol­le spie­len auf alle Fäl­le die Ver­kaufs­zah­len, wes­we­gen der Abend eini­ger­ma­ßen erwart­bar aus­ging. Ande­rer­seits: Nur ein Preis für Tim Bendz­ko, statt Revol­ver­held haben wenigs­tens Jupi­ter Jones gewon­nen und der Hip-Hop/Ur­ban-Preis ging immer­hin an den sym­pa­thi­schen Cas­per statt an den homo­pho­ben Bushi­do.

Die Preis­ver­lei­hung aber, bis vor vier Jah­ren bei RTL von Oli­ver Geis­sen und/​oder Frau­ke Ludo­wig asep­tisch weg­mo­de­riert, war der ARD dann doch erstaun­lich gut gelun­gen: Vom gro­ßen Ope­ning mit den fünf größ­ten Radio­hits des ver­gan­ge­nen Jah­res (Jupi­ter Jones, Fri­da Gold, Andre­as Bou­ra­ni, Tim Bendz­ko und Revol­ver­held – don’t get me star­ted), das noch ein biss­chen unt­erprobt wirk­te, in Zukunft aber funk­tio­nie­ren soll­te, über die ange­nehm kurz gehal­te­nen Zwi­schen­mo­de­ra­tio­nen von Ina Mül­ler und Bar­ba­ra Schö­ne­ber­ger bis hin zu den vie­len, vie­len Auf­trit­ten (Kraft­klub mit Cas­per, Tim Bendz­ko mit Shag­gy!) war das ein kurz­wei­li­ger, bun­ter Abend, der das bes­te aus dem raus­hol­te, was in Deutsch­land als Inven­tar der Unter­hal­tungs­in­dus­trie zur Ver­fü­gung steht. Und ich weiß, wie schwer das ist, ich habe es letz­tes Jahr als Co-Autor der Echo-Ver­lei­hung selbst ver­sucht.

* * *

Heu­te Abend wird der Adolf-Grim­me-Preis ver­lie­hen, die viel­leicht renom­mier­tes­te Aus­zeich­nung, die es in Deutsch­land für Fern­seh­sen­dun­gen gibt. Die Preis­über­ga­be fin­det mit ver­gleichs­wei­se wenig pyro­tech­ni­schem Ein­satz im Stadt­thea­ter Marl statt und die Chan­cen ste­hen hoch, dass Sie noch nie eine der gewür­dig­ten Sen­dun­gen gese­hen haben, weil die­se von den Sen­dern, die sie bestellt und finan­ziert haben, zu absur­des­ten Zei­ten ver­sen­det wur­den, auf dem alten Sen­de­platz des Test­bilds.

Selbst die Grim­me­preis­ver­lei­hung selbst, eher pro­tes­tan­ti­scher Ern­te­dank­got­tes­dienst als katho­li­sches Hoch­amt, wird von 22.25 Uhr bis 23.55 Uhr auf 3sat ver­klappt. Dabei kann man da wenigs­tens immer ein paar Minu­ten Aus­schnit­te aus den hoch­klas­si­gen, zumeist (aber nicht aus­schließ­lich) depri­mie­ren­den Fern­seh­spie­len und Doku­men­ta­tio­nen sehen, die man im Lau­fe des Jah­res so ver­passt hat.

* * *

Es ist also nicht so, dass es in Deutsch­land gar kein gutes Fern­se­hen gäbe, aber man muss danach suchen – und es wird selbst von den öffent­lich-recht­li­chen Sen­dern bewusst ver­hin­dert. Die brei­te Mas­se ist genau­so mut‑, belang- und lieb­los, wie das, was an deut­scher Pop­mu­sik im Radio oder halt beim Echo läuft.

Mal­te Wel­ding hat für die „Ber­li­ner Zei­tung“ eine gro­ße Abrech­nung mit dem deut­schen Fern­se­hen ver­fasst, die auch eine Abrech­nung mit dem gesam­ten Kul­tur­be­trieb, ja eigent­lich der gan­zen Bun­des­re­pu­blik ist.

Hier mal eine der mode­ra­te­ren Pas­sa­gen:

Was Chi­na im Fuß­ball, das ist Deutsch­land in der Unter­hal­tung. Ein Ent­wick­lungs­land. Ein Ent­wick­lungs­land aller­dings, des­sen Unter­hal­tungs­be­am­te sich gebär­den, als hät­ten sie den begeh­ba­ren Klei­der­schrank erfun­den, und das ein Schwei­negeld hat. Da wer­den Film­bäl­le gege­ben, die gera­de durch den Gla­mour­ver­such am Ende doch immer so aus­se­hen wie die Abi­fei­er der Jean-Sans-Terre-Ober­schu­le.

Das deut­sche Fern­se­hen steht so patsch­zu­frie­den im eige­nen Saft, dass es mit gro­ßer Fröh­lich­keit dar­in ersau­fen wird, in der Kar­ne­vals­brü­he aus Küs­ten­wa­chen­wie­der­ho­lun­gen und Seri­en mit Tie­ren in der Haupt­rol­le und Selbst­ver­si­che­rungs­ka­ba­retts­en­dun­gen und Redak­tio­nen nach Par­tei­pro­porz, die Polit­sen­dun­gen simu­lie­ren, und ist die Ren­te sicher und kippt der Euro und stirbt das Land? Ja, das Land stirbt. Vor Lan­ge­wei­le.

Mal­te Wel­ding: Stirbt das Land vor Lan­ge­wei­le?

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Ein Abend mit Soße

Dafür, dass ich gele­gent­lich als „Medi­en­jour­na­list“ bezeich­net wer­de, kon­su­mie­re ich ver­gleichs­wei­se wenig Medi­en: Ich habe kein Abon­ne­ment einer Tages­zei­tung oder Zeit­schrift, ich höre täg­lich etwa 20 Minu­ten Radio am Früh­stücks­tisch und sehe außer­halb von Fuß­ball­über­tra­gun­gen und „Wer wird Mil­lio­när?“ eigent­lich kaum frei­wil­lig fern.

Jetzt aber hat­te ich außer­plan­mä­ßig einen beschäf­ti­gungs­frei­en Abend und weil etwa­ige Dead­lines noch viel zu weit weg waren, um mich halb­fer­ti­gen Pro­jek­ten zu wid­men, such­te ich mir eine Stel­le, an der mei­ne Couch noch nicht kom­plett durch­ge­le­gen ist, und schal­te­te den Fern­se­her ein. Das dau­ert bei mei­nem Digi­tal­re­cei­ver etwa 20 Sekun­den und erklärt viel­leicht, war­um ich so ungern fern­se­he.

Nach einer kur­zen Zap­ping-Ein­ge­wöh­nungs­pha­se lan­de­te ich beim MDR, einem für mich hoch­gra­dig rät­sel­haf­ten Sen­der. Ich geriet mit­ten hin­ein in „Echt – Das Maga­zin zum Stau­nen“, wo gera­de ein paar Feu­er­wehr­leu­te in ein Gebäu­de ein­dran­gen und sofort bewusst­los zu Boden gin­gen. Alles an die­ser Sen­dung wirk­te wie das, was ich von RTL 2 in Erin­ne­rung hat­te: Die nach­ge­stell­ten Sze­nen, die dazu­ge­hö­ri­ge Ton­spur mit dra­ma­ti­scher Musik und bedeu­tungs­schwan­ge­rem Off-Spre­cher, die Inter­views mit Betrof­fe­nen – sogar das Aus­se­hen der Bauch­bin­den, auf denen ihr Name stand. Alles schrie „Action“, und der Kon­trast zu dem bie­de­ren MDR-Logo oben rechts hät­te kaum grö­ßer sein kön­nen.

Tra­di­tio­nell spie­ßi­ges Regio­nal­fern­se­hen war Gott­sei­dank nur einen Tas­ten­druck ent­fernt, beim Hes­si­schen Rund­funk, der gera­de „Die Lieb­lings­ge­rich­te der Hes­sen“ kür­te. Dabei han­delt es sich um eine die­ser Lis­ten-Sen­dun­gen mit „pro­mi­nen­ten“ Stich­wort­ge­bern, die in den drit­ten Pro­gram­me der ARD inzwi­schen alle ande­ren For­ma­te erset­zen. Vom „Focus“ haben die Pro­gramm­ma­cher gelernt, dass sich alles in absur­den Ran­kings abbil­den lässt, und das wird jetzt gna­den­los durch­ge­zo­gen. Allein der HR hat im ver­gan­ge­nen Jahr 25 die­ser Sen­dun­gen aus­ge­strahlt, die Erst­aus­strah­lung der „Lieb­lings­ge­rich­te“ liegt immer­hin schon zwei­ein­halb Mona­te zurück. Ich kam gera­de recht­zei­tig, um u.a. den Komi­ker Bodo Bach, den ARD-Bör­sen­ex­per­ten Frank Leh­mann und ande­re, mir nicht bekann­te Hes­sen bei der Lob­prei­sung der „Grü­nen Soße“ zu beob­ach­ten. Mit gro­ßer Ernst­haf­tig­keit spra­chen sie über die Varie­tä­ten der Rezep­tur, konn­ten mir das gezeig­te Essen oder gene­rell die hes­si­sche Lebens­art dabei aber auch nicht schmack­haf­ter machen.

Auf Eins Extra erwisch­te ich im Anschluss die End­aus­läu­fer einer Wie­der­ho­lung von „Hart aber fair“, was ich eigent­lich aus Prin­zip nicht gucken kann. Im spe­zi­el­len Fall sprach aber gera­de Prof. Hell­muth Kara­sek über die Gemein­sam­kei­ten von Robert Musils „Die Ver­wir­run­gen des Zög­lings Tör­leß“ und dem Inter­net, nach­dem kurz zuvor der mir durch zahl­rei­che Tele­fon­ge­sprä­che bekann­te Medi­en­an­walt Ralf Höcker erklärt hat­te, wie man unlieb­sa­me Infor­ma­tio­nen über sich aus dem Inter­net löschen las­sen kann. „Was zum Hen­ker ist denn da das The­ma“, dach­te ich und war auch schon gefan­gen genom­men von Kara­sek, Höcker, Tho­mas Gott­schalk, Ross Ant­o­ny und Mir­jam Weich­sel­braun, die die Fra­ge ver­han­del­ten, wie viel Öffent­lich­keit der Mensch ver­tra­ge. Der­lei Fern­seh­dis­kus­sio­nen sind ja in der Regel so ergie­big wie Dis­kus­sio­nen im Inter­net, also: gar nicht, und das war doch mal eine schö­ne Erkennt­nis, dass das Inter­net, das Fern­se­hen und Robert Musil so viel gemein­sam haben. Außer­dem muss­te ich durch Zufall die ein­zi­ge Talk­show des Jah­res erwischt haben, in der weder Peter Hint­ze noch Niko­laus Blo­me saßen. Nicht mal Richard David Precht war anwe­send, dafür mach­te Kara­sek den ahnungs­lo­sen Frank Plas­berg kurz mit der Radio­theo­rie des Ber­tolt Brecht bekannt.

Zeit für den ZDF Info­ka­nal und den Mann, auf den ich schon den gan­zen Abend gewar­tet hat­te: Adolf Hit­ler. Irgend­ein His­to­ri­ker oder Medi­en­wis­sen­schaft­ler wird sicher schon her­aus­ge­fun­den haben, dass Hit­ler dank der vie­len Doku­men­ta­tio­nen auf n‑tv, N24 und eben ZDF info fast 70 Jah­re nach Kriegs­en­de pro Tag mehr Sen­de­zeit hat als zu Leb­zei­ten im staat­li­chen Rund­funk. Im kon­kre­ten Fall saß Hit­ler mal wie­der im Bun­ker. Auf einen Spoi­ler-Alert kann ich glaub ich ver­zich­ten, aber eine digi­tal ani­mier­te Kame­ra­fahrt durch den Pri­vat­raum, in dem Hit­ler und Eva Braun star­ben, hat­te ich noch nicht gese­hen. Die anschlie­ßen­de Schil­de­rung, wie ein Zeu­ge den Füh­rer auf­ge­fun­den hat­te, war dann lei­der nicht bebil­dert.

Nicht mit Ani­ma­tio­nen geiz­te auch die anschlie­ßen­de Doku­men­ta­ti­on über den Vesuv und die Gefahr, die von ihm aus­ging. Als hät­te Roland Emme­rich Pli­ni­us den Jün­ge­ren ver­filmt, konn­ten die Zuschau­er den kom­men­den Unter­gang Nea­pels beob­ach­ten, anmo­de­riert von drei armen Wis­sen­schaft­lern, die in einer Lager­hal­le Spiel­sze­nen­ar­tig die Rah­men­hand­lung geben muss­ten. Zusam­men­fas­send lässt sich wohl sagen, dass man so einem Vul­kan­aus­bruch bes­ser aus dem Weg gehen soll­te, wenn er sich denn so ereig­nen soll­te, wie er „zumin­dest nicht unwahr­schein­lich“ skiz­ziert, ach was: in Öl gemalt wur­de.

Da auch Umschal­ten bei mei­nem Recei­ver unan­stän­dig viel Zeit in Anspruch nimmt, blieb ich wei­ter beim ZDF Info­ka­nal, wo sie im Anschluss einen PKW fern­steu­er­ten. Na gut, dann viel­leicht doch noch mal von vor­ne durch­zap­pen. Im Ers­ten tra­fen sich inzwi­schen „Men­schen bei Maisch­ber­ger“ und nach dem irri­tie­ren­den „Hart aber Fair“-Erlebnis war hier wie­der alles wie erwar­tet: Da saßen fünf, sechs Leu­te in einer Sofa­land­schaft und schrie­en sich an. Puh, schnell wei­ter. Im ZDF erklär­te Harald Lesch, wir Men­schen, „Sie, ich, wir alle“, wür­den zu 92 Pro­zent aus Ster­nen­staub bestehen. Das habe auch Nova­lis schon geschrie­ben, nur anders gemeint.

Das reich­te. Ich konn­te nicht mehr.

Musik!


Moby – We Are All Made Of Stars von EMI_​Music

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Auswärtsspiel: TVLab

Auf ZDF_​neo star­tet dem­nächst das „TVLab“, wo völ­lig neu­ar­ti­ge TV-Kon­zep­te vor­ge­stellt und erprobt wer­den sol­len.

Beglei­tet wird das Pro­jekt von einem Blog und ich hat­te die Ehre, den ers­ten Ein­trag zu ver­fas­sen. Die Aus­gangs­fra­ge lau­te­te „Wor­über sol­len wir reden, wenn nicht über das Fern­se­hen?“ und – ohne zu viel zu ver­ra­ten – ich kom­me zu dem Schluss: über nichts, bit­te!

Der Bei­trag bei blog.zdf.de

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Tief im Western mit der „Aktuellen Stunde“

Es gibt im deut­schen Fern­se­hen ver­mut­lich kaum eine Nach­rich­ten­sen­dung, die so per­fekt ist wie die „Aktu­el­le Stun­de“ im WDR Fern­se­hen. Die Dop­pel­mo­de­ra­tio­nen, deren Nach­ah­mung sich als Par­ty­spiel emp­fiehlt, sind aku­rat vor­be­rei­tet und wer­den rou­ti­niert abge­spult. Kei­ne Hebung der Augen­braue, kein Schul­ter­zu­cken ist Zufall, alles ist geplant. Selbst im Ange­sicht von Kata­stro­phen wie bei der Love Para­de ste­hen die­se Mode­ra­ti­ons­ro­bo­ter Seit an Seit und impro­vi­sie­ren schein­bar von einem inter­nen Tele­promp­ter ab.

Doch die Sen­dung, die ich als Kind mit Begeis­te­rung schau­te und die zu mode­rie­ren damals mein größ­ter Traum war, hat – eben­so wie das ande­re eins­ti­ge Infor­ma­ti­ons­flagg­schiff des West­deut­schen Rund­funks, das „Mit­tags­ma­ga­zin“ auf WDR 2 – die Jahr­zehn­te nicht unbe­scha­det über­stan­den: Die Bei­trä­ge könn­ten auch aus jedem x‑beliebigen Bou­le­vard-Maga­zin (pri­vat wie öffent­lich-recht­lich) stam­men. Wenn man sich ein­mal klar gewor­den ist, wie albern es ist, einen Text im Wech­sel von zwei Per­so­nen spre­chen zu las­sen, sind die Dop­pel­mo­de­ra­tio­nen nicht mehr ernst zu neh­men – doch bei genau­er Betrach­tung reden die Mode­ra­to­ren sowie­so häu­fig gro­ben Unfug.

Aus ver­schie­de­nen Grün­den, von denen mir eini­ge selbst schlei­er­haft sind, habe ich am Mon­tag mal wie­der die „Aktu­el­le Stun­de“ gese­hen. Die Sen­dung wird irri­tie­ren­der­wei­se seit zwei­ein­halb Jah­ren von Tho­mas Bug mode­riert, der sich vor­her vie­le Jah­re Mühe gege­ben hat­te, auf kei­nen Fall seri­ös zu wir­ken, und nun das Gegen­teil ver­sucht.

Nach­dem diver­se Flüs­se über diver­se Ufer getre­ten sind und diver­se Kel­ler und Gär­ten über­flu­tet haben, ist es Zeit für die gro­ße wei­te Welt der For­mel 1 und deren neu­en Welt­meis­ter Sebas­ti­an Vet­tel, der „lei­der nicht aus Ker­pen“ kommt. Und das ist natür­lich ein Alp­traum für so einen Sen­der, der sich auf Nord­rhein-West­fa­len kon­zen­triert: Ein Star, der aus Hes­sen stammt.

„Die Deut­schen freu­en sich im All­ge­mei­nen“, erklärt Susan­ne Wie­se­ler, um die ent­schei­den­de Fra­ge hin­zu­zu­fü­gen: „Aber was macht das mit den Ker­pe­nern im Beson­de­ren?“

Es pas­siert, was zu befürch­ten war: Das Team der „Aktu­el­len Stun­de“ war vor Ort und hat es sich ange­guckt:

Stacheldraht in Kerpen.

Todes­strei­fen! Über eine melan­cho­li­sche Slide Gui­tar schwa­dro­niert der Off-Spre­cher: „Was wur­de hier geju­belt? Jetzt läuft die Fei­er anders­wo.“ Aber statt eines Step­pen­läu­fers, der pas­send zur Musik durchs Bild geweht wird, folgt ein har­ter Schnitt auf jubeln­de Hep­pen­hei­mer (nicht zu Ver­wech­seln mit Pap­pen­hei­mern, die gibt’s bei Schil­ler), dann wie­der das nicht gera­de blü­hen­de Leben in Ker­pen:

Das blühende Leben in Kerpen.

(Dass der Repor­ter aus­ge­rech­net bei die­sem zar­ten Pflänz­lein erklärt, Ker­pen sei mal „die For­mel-1-Stadt“ gewe­sen, ist ange­sichts die­ses wenig umwelt­freund­li­chen Sports eine schö­ne Wort-Bild-Sche­re, aber im Kon­text des Bei­trags noch völ­lig harm­los.)

Wäh­rend aber­mals die Slide Gui­tar los­sli­det, wech­selt das Kame­ra­team in die Gast­stät­te „Alt­ker­pen“ und befragt zwei Frau­en mit pfif­fi­gen Bril­len­ge­stel­len:

Keck bebrillte Kerpenerinnen sprechen in WDR-Mikrofone.

„Wie Fas­tel­ovend“ sei es gewe­sen, als Micha­el Schu­ma­cher damals gewon­nen habe – und im Rhein­land ist das wohl posi­tiv besetzt. Doch jetzt ist alles anders, sol­len uns die Bil­der des Glä­ser spü­len­den Wirts (es ist Mon­tag­nach­mit­tag, drau­ßen ist es noch hell) und die schon wie­der her­ans­li­den­de Slide Gui­tar sagen.

Und der Off-Spre­cher natür­lich: „Und jetzt: Wie­der ist ein Deut­scher Welt­meis­ter. Aber kein Ker­pe­ner. Und? Nei­disch?“

„Nein!“, rufen da die Frau­en, „im Gegen­teil!“, und das wäre unge­fähr der Punkt gewe­sen, an dem ich als Redak­ti­ons­lei­ter gesagt hät­te: „Nee, tut mir leid, Jungs. Mit dem Auf­hän­ger funk­tio­niert die Geschich­te über­haupt nicht. Könnt Ihr es nicht noch mal irgend­wie anders ver­su­chen?“

Zaun an der Kerpener Kartbahn (Ruhetag).

Sebas­ti­an Vet­tel, nein: „Der Sebas­ti­an Vet­tel“ sei ja „immer­hin“ schon mal in Ker­pen gewe­sen, erzählt der Spre­cher: „Ein paar Run­den“ habe er auf der Kart­bahn gedreht – da sei was los gewe­sen. Aber heu­te? „Aber heu­te? Ist Ruhe­tag auf der Kart­bahn“, heißt es in die­ser völ­lig wider­na­tür­li­chen Kom­men­tar­spra­che aus dem Off und für einen Moment könn­te man glau­ben, der Ruhe­tag habe irgend­was mit Sebas­ti­an Vet­tel und dem immensen Image­ver­lust zu tun, den Ker­pen am Sonn­tag erlit­ten hat.

Jetzt aber schnell zurück in die Innen­stadt und zu der ver­damm­ten Slide Gui­tar:

Straße in Kerpen (fast menschenleer).

„Heu­te war irgend­wie Ruhe­tag in ganz Ker­pen“, sagt der Mann und man begreift lang­sam, wel­che Leis­tung Autoren und Schau­spie­ler bei „Switch Rel­oa­ded“ voll­brin­gen müs­sen, um die­sen gan­zen Irr­sinn, der da im deut­schen Fern­se­hen völ­lig ernst gemeint wird, über­haupt noch sati­risch zu über­hö­hen.

Allein die nächs­ten Sät­ze sind der­art inko­hä­rent, dass ein „Brat fett­los mit Sala­mo Ohne“ zwi­schen­drin auch nicht mehr groß auf­fal­len wür­de: „Welt­meis­ter­stadt, das ist sechs Jah­re her. Und irgend­wie ist das auch völ­lig okay so. Zumin­dest für man­che Ker­pe­ner.“

„War­um soll ich denn nei­disch sein?“, fragt ein mil­de fas­sungs­lo­ser Kiosk­be­sit­zer, um dann mit einem unglück­lich gewähl­ten Ver­gleich dem Repor­ter neue Muni­ti­on zu lie­fern: Ob Ham­burg denn nei­disch sei, wenn Bay­ern Meis­ter …

„Oooooh!“, wehrt der Repor­ter da ab und wir wol­len mal ganz ver­ges­sen, dass Vet­tel gera­de nicht deut­scher Meis­ter gewor­den ist, son­dern Welt­meis­ter. Ein Pas­sant darf sagen, dass er „Hypes um Auto­fah­rer“ nicht so gut fin­det, und es erscheint inzwi­schen bei­na­he logisch, wenn der Off-Spre­cher dar­an anschließt: „Kei­ne Sor­ge: Dass der Schu­mi-Hype zurück­kehrt ins ‚Alt­ker­pen‘, das ist unwahr­schein­lich. Obwohl: Die Damen sind sich da noch nicht so ganz einig.“

Eines blei­be den Ker­pe­nern aber, erklärt der Mann mit der Mär­chen­on­kel-Stim­me: „Sie wur­den sie­ben Mal Welt­meis­ter, Hep­pen­heim durf­te erst ein­mal jubeln.“

An die­ser Stel­le endet der Bei­trag. Immer­hin ohne einen wei­te­ren Ein­satz der ver­fick­ten Slide Gui­tar.

Im Mit­schnitt der Sen­dung in der WDR-Media­thek fehlt der Bei­trag.

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Im Fernsehen

Das sind mehr Rän­der als Augen, die ich da sehe. Es sind mei­ne Rän­der, da im Spie­gel, was mir an jedem ande­ren Tag reich­lich egal wäre, heu­te aber nicht. Heu­te bin ich in einer Fern­seh­sen­dung zu Gast und woll­te dabei ungern aus­se­hen wie Vat­ter Hein per­sön­lich.

Seit ich im Janu­ar „Chef“ vom BILD­blog gewor­den bin, kamen immer wie­der Inter­view-Anfra­gen von ver­schie­dens­ten Medi­en und wenn man sol­che Auf­merk­sam­keit nicht gewohnt ist, kei­ne Sekre­tä­rin hat, aber gut erzo­gen ist, sagt man erst jedem Anru­fer zu und anschlie­ßend immer wie­der das Glei­che. Am Sym­pa­thischs­ten waren meist die Gesprä­che mit den Cam­pus­ra­di­os, aber ab dem fünf­ten Inter­view wuss­te ich, dass ich nie einen Hol­ly­wood-Film dre­hen wür­de – bei den inter­na­tio­na­len Inter­view-Mara­tho­nen wür­de ich mich irgend­wann selbst ver­let­zen, weil ich mich selbst viel zu oft das­sel­be sagen gehört hät­te.

Aber Fern­se­hen, das woll­te ich dann doch mal mit­ma­chen. Zumal die Anfra­ge von einem die­ser ARD-Digi­tal­sen­der kam, die auch nicht viel mehr Zuschau­er haben als Dins­la­ken Ein­woh­ner. „Da kann man ja erst mal üben, bevor man irgend­wann unvor­be­rei­tet bei Gott­schalk auf der Couch sitzt“, dach­te ich und fuhr nach Köln.

Das heißt: Bis ich nach Köln fah­ren durf­te, muss­te ich erst mal einen Fra­ge­bo­gen mit sen­sa­tio­nell unbe­ant­wort­ba­ren Fra­gen („Haben Sie ein Lieb­lings­buch?“, „Wie wür­den Sie sich beschrei­ben?“) beant­wor­ten, auf des­sen Grund­la­ge dann eine Redak­teu­rin ein ein­stün­di­ges tele­fo­ni­sches Vor­ge­spräch mit mir führ­te, aus dem dann die Fra­gen für das eigent­li­che Inter­view kon­den­siert wur­den.

Man macht sich als Zuschau­er ja kei­ne Gedan­ken, wie viel Auf­wand dahin­ter steckt, ein paar reden­de Köp­fe auf die hei­mi­sche Matt­schei­be zu pro­ji­zie­ren. Also von dem gan­zen tech­ni­schen Kram inklu­si­ve Erfin­dung der Braun’schen Röh­re und den Rund­funk­wel­len mal ab.

Stilleben in einer WDR-Garderobe.

Und jetzt sit­ze ich hier in der Gar­de­ro­be im (geschätzt) vier­ten Unter­ge­schoss des Film­hau­ses des West­deut­schen Rund­funks in Köln, sehe aus wie Man­ny Cala­ve­ra und wer­de von einer Gar­de­ro­bie­re gefragt, ob ich „das“ (mei­nen roten Kapu­zen-Swea­ter) anlas­sen wol­le.

„Ich hät­te auch noch ein Hemd“, fan­ge ich vor­sich­tig an, „aber ich weiß nicht, ob das nicht zu klein­ge­mus­tert ist.“

Das hat­te man mir näm­lich gesagt, mehr­fach: Kein Grün, kein Gelb, nicht zu viel Weiß und um Him­mels Wil­len bit­te nicht klein­ge­mus­tert. Die net­te Gar­de­ro­bie­re (nett sind sie über­haupt alle hier unten, obwohl sie hier ohne Tages­licht und fri­sche Luft arbei­ten müs­sen und man es durch­aus ver­stün­de, wenn sie sich des­halb von Blut ernähr­ten) geht mal fra­gen und weil mein Hemd nicht zu klein­ka­riert ist, geht sie es gleich auch noch auf­bü­geln. Das letz­te Mal, als irgend­ei­nes mei­ner Hem­den auf­ge­bü­gelt wur­de, leb­te ich noch bei mei­nen Eltern.

Dann darf ich in die Mas­ke und die ist natür­lich bit­ter nötig: „Es tut mir sehr leid, aber mei­ne Augen­rin­ge sind heu­te noch tie­fer als sonst“, begin­ne ich ent­schul­di­gend, „dabei war ich ges­tern extra früh im Bett.“
„Krie­gen wir hin“, sagt die net­te Mas­ken­bild­ne­rin und beginnt mit umfang­rei­che­ren Stu­cka­ti­ons­ar­bei­ten, wie man sie von der Decken­sa­nie­rung Ber­li­ner Alt­bau­ten aus der Grün­der­zeit kennt.

Neben mir sitzt Anja Back­haus, die Mode­ra­to­rin der Sen­dung, die mit ihrer Mas­ke schon durch ist, und betreibt Small Talk. Wir spre­chen über den öffent­li­chen Per­so­nen­nah­ver­kehr, Wup­per­tal und den dro­hen­den Abriss des Köl­ner Schau­spiel­hau­ses. Bloß nichts aus dem Inter­view vor­weg­neh­men, damit der Talk­gast spä­ter nicht gleich im ers­ten Satz irgend­was mit „wie gesagt“ ant­wor­tet.

Nach ein paar Minu­ten guckt mich ein fri­scher jun­ger Mann aus dem Spie­gel an und ich über­le­ge kurz, wie lan­ge ich wohl üben müss­te, bis ich es sel­ber hin­krieg­te, mich so zu schmin­ken. So für jeden Tag. Mei­ne Haa­re darf ich, wie jeden Tag, selbst ver­strub­beln, was ich sehr gewis­sen­haft und lan­ge tue, bis es so aus­sieht, als hät­te ich exakt nichts dar­an getan. „Eitel­keit ist eine der sie­ben Tod­sün­den“, höre ich mei­ne katho­li­sche Groß­mutter sagen, dre­he mich um, sehe aber nie­man­den.

Dann geht es ins Stu­dio, wo Anja und ich in sty­li­schen Lounge-Ses­seln Platz neh­men, in denen man ganz phan­tas­tisch lie­gen kann. Nur auf­recht sit­zen geht schlecht, wäre aber im Ide­al­fall wich­tig. Wir haben viel Zeit, um die Posi­tio­nie­rung unse­rer Bei­ne aus­zu­tes­ten, denn zunächst ein­mal müs­sen wir rich­tig ein­ge­leuch­tet wer­den. Wäh­rend wir unse­re Bei­ne mal links, mal rechts anein­an­der vor­bei­schie­ben und dabei ver­su­chen, weder ver­krampft zu wir­ken noch uns die Hüf­ten aus­zu­ku­geln, wer­den über unse­ren Köp­fen vie­le Schein­wer­fer ein­ge­schal­tet, von denen jeder ein­zel­ne aus­reicht, um eine Tief­kühl­piz­za auf­zu­ba­cken. Ich ver­su­che, nicht nach oben zu star­ren, aber sonst sind da nur eine rie­si­ge grü­ne Wand und drei Kame­ras, in die ich auch nicht gucken soll­te. Wenigs­tens kann man sei­ne Hän­de bequem so auf den Ses­seln plat­zie­ren, dass ich nicht Gefahr lau­fe, die gan­ze Zeit über wüst zu ges­ti­ku­lie­ren, wie ich das sonst tue, wenn ich rede.

Anja redet hin und wie­der mit dem Regis­seur, den ich aber nicht hören kann, weil er sich in einem Knopf in Anjas Ohr ver­steckt hat. Als er über die Stu­dio-Laut­spre­cher spricht, sagt er „Vor­war­nung fürs Stu­dio“ und das klingt ein biss­chen nach Rake­ten­start.

Beim ers­ten Ver­such stimmt etwas mit Anjas Anmo­de­ra­ti­on nicht, beim zwei­ten läuft irgend­was ande­res schief, aber da habe ich die ers­te Fra­ge schon beant­wor­tet. Jetzt also noch mal, wobei ich so tun muss, als wür­de ich die Fra­ge zum ers­ten Mal hören und beant­wor­ten. Aber wozu war ich in der Unter­stu­fen-Thea­ter-AG mei­nes Gym­na­si­ums?

Dies­mal klappt alles und wir befin­den uns plötz­lich mit­ten in einem Gespräch. Ich gucke Anja kon­zen­triert an (was für sie ziem­lich sicher beun­ru­hi­gend wir­ken muss), wäh­rend ich die Fra­gen beant­wor­te, die stel­len­wei­se ech­tes Nach­den­ken erfor­dern. Da zeigt sich dann auch der Sinn und Nut­zen des Vor­ge­sprächs: Man­che Fra­gen spie­len gezielt auf eine Ant­wort an, die ich der Redak­teu­rin vor drei Tagen am Tele­fon gege­ben habe und jetzt idea­ler­wei­se wie­der­ho­len soll­te, wenn ich mich noch an sie erin­nern wür­de.

Dass das hier eine Auf­zeich­nung sein wür­de ist klar, aber wir pro­du­zie­ren vor für in drei Wochen. Bezug­nah­men zum Zeit­ge­sche­hen gilt es also eher zu ver­mei­den – ein biss­chen schwie­rig, wenn man über Medi­en spre­chen soll. Die Fra­ge „Was war in den letz­ten Wochen beson­ders krass in den Medi­en?“, beant­wor­te ich ele­gant mit einem Ver­weis auf einen BILD­blog-Ein­trag von ges­tern. Also: „vor ein paar Wochen“. Hol­ly­wood, ich kom­me!

Der Talk ist schnell vor­bei, aber zwölf­ein­halb Minu­ten sind mehr, als einem als ein­zel­ner Gast in der „NDR Talk­show“ zuste­hen. Ich bin also ganz zufrie­den mit dem, was wir alles abge­han­delt haben. Es wird noch ein Extra-Clip fürs Inter­net gedreht, den wir vier Mal wie­der­ho­len, weil immer irgend­was schief läuft. Dann darf ich gehen.

In der (Nein: mei­ner) Gar­de­ro­be packe ich has­tig zusam­men und ver­ges­se dabei prompt die unan­ge­bro­che­ne Packung Kek­se, die dort für mich bereit­stand. Dabei hat man doch so sel­ten Gele­gen­heit, sich sei­ne Rund­funk­ge­büh­ren der­art direkt zurück­zu­ho­len.

Als ich in den Köl­ner Nie­sel­re­gen tre­te, bin ich noch geschminkt, aber wie­der allei­ne. Nie­mand um mich, der fragt, ob ich zufrie­den bin, ob ich irgend­was brau­che, ob alles in Ord­nung ist. Nie­mand, der mir freund­lich zunickt. Die ers­ten Minu­ten ist das – nach gera­de mal zwei­ein­halb Stun­den im Fern­seh­stu­dio – ziem­lich irri­tie­rend. „Hol­ly­wood- oder Rock­stars wür­den jetzt Dro­gen neh­men“, den­ke ich und gehe statt­des­sen Freun­de besu­chen.

EINS­WEI­TER­ge­fragt
Frei­tag, 16. April 2010
Um 20.01 Uhr auf Eins Fes­ti­val

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Digital Fernsehen

Aufguss 2009 – The wahl to end all wahls

Das Jahr nähert sich sei­nem Ende, man ist im Weih­nachts­stress, denkt schon über eine ange­mes­se­ne Sil­ves­ter­par­ty nach und im Fern­se­hen lau­fen Jah­res­rück­bli­cke. Ver­har­ren wir doch ein­mal für einen Moment in Dank­bar­keit, dass nur ein Jahr­zehnt endet und wir nicht schon wie­der auf ein gan­zes Jahr­hun­dert oder gar Jahr­tau­send zurück­bli­cken müs­sen. Denn das wäre ja wohl rich­tig anstren­gend.

Aufguss 2009

Auch in die­sem Jahr haben Sie wie­der die Gele­gen­heit, in 20 Kate­go­rien die bes­ten Irgend­was­se des zurück­lie­gen­den Kalen­der­jah­res zu bestim­men – Songs und Alben wie gehabt in Hornby’schen Top-Five-Lis­ten.

Im Gro­ßen und Gan­zen hat das mit der Abstim­mung in den letz­ten Jah­ren gut geklappt, wes­we­gen ich die Erläu­te­rung der Spiel­re­geln auf weni­ge Minu­ten beschrän­ken möch­te:

Jeder Leser darf ein­mal abstim­men. Über­le­gen Sie sich also vor­her gut, wen und was Sie zu wäh­len geden­ken.

Die Kate­go­rien soll­ten eigent­lich selbst­er­klä­rend sein. Die Bezeich­nung “… des Jah­res” legt nahe, dass es sich bei Ihrer Wahl um Ver­öf­fent­li­chung und Ereig­nis­se han­deln soll­te, die zwi­schen dem 1. Janu­ar und dem 31. Dezem­ber 2009 statt­ge­fun­den haben. Dabei sind wir so toll­kühn und beschrän­ken das nicht auf den deut­schen Markt. Bei Büchern und Fil­men, die in Deutsch­land erschie­nen sind, soll­te trotz­dem der deut­sche Titel notiert wer­den, bei hier­zu­lan­de unver­öf­fent­lich­ten Kul­tur­pro­duk­ten der jewei­li­ge Ori­gi­nal­ti­tel.

Wich­tig! Bei Alben, Songs, Vide­os und Büchern bit­te stets nach dem Mus­ter “$Künst­ler – $Titel” vor­ge­hen, also bei­spiels­wei­se „Nir­va­na – Never­mind“ oder „Her­mann Hes­se – Step­pen­wolf“ schrei­ben. Nur ohne Anfüh­rungs­zei­chen.

Zu gewin­nen gibt es auch was:

  • Das Grand Hotel van Cleef stif­tet drei (jawohl: drei) GHvC-Fan­pa­ke­te. Die­se bestehen jeweils aus der Spe­cial Edi­ti­on von „Brot­her. Sis­ter. Bores!“ von Pale, „Glass Flo­or“ von Mari­ti­me, den Sin­gles zu „48 Stun­den“ von kett­car und „Baby Melan­cho­lie“ der Han­sen Band, sowie einem GHvC-Schlüs­sel­band.
  • Die Pro­mo­ti­on-Werft stif­tet ein Mul­ti­me­dia-Paket bestehend aus der 7″-Picture-Vinylsingle „For What It’s Worth“ von Pla­ce­bo, dem Buch „Von Musi­kern Machern und Mobil­toi­let­ten – 40 Jah­re Open Air Geschich­te“ und der Sin­gle „Mas­ter & Ser­vant“ von Nou­vel­le Vague feat. Mar­tin Gore.
  • Über­zahl Pro­mo­ti­on stif­tet ein CD-Paket mit „The­re Is An Oce­an That Divi­des“ von Scott Matthew, „We Used To Think The Free­way Sound­ed Like A River“ von Rich­mond Fon­taine, „Fami­ly“ von Le Loup und „It Feels So Good When I Stop“ von Joe Per­nice.
  • Revol­ver Pro­mo­ti­on stif­tet ein exklu­si­ves Sky­pe-Kon­zert von Hel­gi Jons­son. (Die­ses Kon­zert wird unter den Teil­neh­mern hier und auf nicorola.de ver­lost.)
  • Cof­fee And TV selbst stellt wie­der ein Mix­tape mit den bes­ten Songs des Jah­res zusam­men. Nicht nur für Kas­set­ten­mäd­chen!
Gewinne, Gewinne, Gewinne

Wenn Sie am Ende der Abstim­mung Ihre Kon­takt­da­ten ange­ben, wer­den Sie auch gefragt, wel­chen Preis Sie ger­ne gewin­nen wür­den. Für jeden Gewinn wird ein­zeln gelost. Soll­ten sich für einen Preis gar kei­ne Inter­es­sen­ten fin­den, wird er unter den ver­blie­be­nen Per­so­nen ver­lost.

Jetzt ver­nei­gen wir uns alle noch kurz in Demut und Dank­bar­keit vor Horst Motor, der die gebrauch­ten Wahl­com­pu­ter aus Flo­ri­da besorgt und die gan­ze Ver­ka­be­lung gemacht hat, und dann hät­ten wir’s glaub ich auch.

Been­den Sie das „Super­wahl­jahr“ 2009 doch ein­fach mal mit einer

Abstim­mung
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Auswärtsspiel: Einheitsbrei

Jah­re­lang war ich fest davon über­zeugt, dass mei­ne ältes­te Live-TV-Erin­ne­rung vom 9. Novem­ber 1989 stammt. Jeden­falls erin­ne­re ich mich dar­an, wie Men­schen mit Häm­mern auf eine bun­te Mau­er ein­schlu­gen. Im Ver­lauf des Erin­ne­rungs­over­kills in den ver­gan­ge­nen Wochen fiel mir aller­dings auf, dass ich als Kin­der­gar­ten­kind wohl kaum Abends nach 23 Uhr vor dem elter­li­chen Fern­se­her geses­sen haben dürf­te. (Genau genom­men möch­te ich ins Blaue hin­ein ein­fach mal bezwei­feln, dass es damals über­haupt Live­bil­der gab, denn um 23 Uhr stand doch sicher schon der Sen­de­schluss vor der Tür der drei Fern­seh­pro­gram­me.)

Jeden­falls war ich sehr ent­täuscht, als ich fest­stell­te, dass mei­ne ältes­te Live-TV-Erin­ne­rung dann wohl doch eher vom Sams­tag, 11. Novem­ber 1989 stammt und wahr­schein­lich noch nicht mal eine Live-TV-Erin­ne­rung ist.

JEDENFALLS: Der 6. Jahr­gangs der elec­tro­nic media school (ems) in Pots­dam hat zum gro­ßen Mau­er­fall-Jubi­lä­um die Inter­net­sei­te einheits-brei.de gestar­tet. Für die­ses Pro­jekt wur­den auch ein paar Blog­ger gefragt, wie ihnen die dies­jäh­ri­gen Fei­er­lich­kei­ten gefal­len hät­ten und was sie in fünf Jah­ren nicht wie­der sehen wol­len. Ich war einer der Befrag­ten und bin beim Ver­such, mich auf die gewünsch­ten „drei bis vier Sät­ze“ zu beschrän­ken, mal wie­der geschei­tert.

„So bit­te nicht mehr!“ auf einheits-brei.de

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14 Millionen Schläfer

Ges­tern Abend hat­ten sie mich so weit, da war ich plötz­lich einer der vie­len Mil­lio­nen Deut­schen, die sich Gün­ther Jauch als Bun­des­kanz­ler wünsch­ten.

Zuge­ge­ben: Nach dem „TV-Duell“, des­sen VHS-Auf­zeich­nun­gen seit heu­te früh in Apo­the­ken als Mit­tel gegen Schlaf­lo­sig­keit zu haben sind (aller­dings nur auf Rezept!), hät­te ich auch Rein­hold Beck­mann noch als sprit­zig und sym­pa­thisch emp­fun­den. Aber das hat­te schon was, wie Jauch sich da in sei­ner ehe­ma­li­gen Bei­na­he-Sen­dung – die jetzt „Anne Will“ heißt – im Ses­sel fläz­te, gut­ge­launt das eben Durch­lit­te­ne in Wor­te fass­te, die auch an jedem Stamm­tisch hät­ten fal­len kön­nen, und dann als Zuga­be noch das aus­sprach, was ich zuvor auch gedacht hat­te: Schwarz-Rot macht jetzt noch zwei, drei Jah­re wei­ter, dann kommt der gro­ße Knall und das gro­ße Expe­ri­ment und dann ist Klaus Wowe­reit mit Hil­fe der Links­par­tei Kanz­ler.

Mit­ten in die­ser The­ra­pie­sit­zung der Selbst­hil­fe­grup­pe „Gro­ße Koali­ti­on“ hat­te sich eine Erin­ne­rung in mein Bewusst­sein geschli­chen, die da zum wirk­lich fal­schen Zeit­punkt kam: Ich muss­te ein Jahr zurück­den­ken, an den Wahl­kampf in den USA, an die Fern­seh­de­bat­ten, die cha­ris­ma­ti­schen Kan­di­da­ten auf bei­den Sei­ten, an die „Schick­sals­wahl“ und den zum Heils­brin­ger dekla­rier­ten Barack Oba­ma. Nach dem Beam­ten­mi­ka­do zur Prime­time hät­te auch Rudolf Schar­ping noch einen glaub­wür­di­gen Heils­brin­ger abge­ge­ben.

Anders als bei der Bun­des­tags­wahl vor sie­ben Jah­ren, wo „Stoi­ber ver­hin­dern“ noch eine Art von Sys­tem­kampf aus­ge­strahlt hat­te, geht es die­ses Jahr um nichts. Die Regie­rungs­ko­ali­ti­on ist uner­heb­lich, das Volk wird aus uner­find­li­chen Grün­den sowie­so der Mei­nung sein, dass Ange­la Mer­kel eine gute „Arbeit“ mache. Das Signal des gest­ri­gen „Duells“ (wer eine Aus­sa­ge trifft, hat ver­lo­ren) war ganz klar: Deutsch­land ist ein Land, das jeder füh­ren kann, der sich irgend­wann mal für die geho­be­ne Beam­ten­lauf­bahn qua­li­fi­ziert hat. Man muss kei­ne Ideen haben, für Deut­sche ist es völ­lig aus­rei­chend, wenn sie ver­wal­tet wer­den.

Zu scha­de, dass Gün­ther Jauch nicht antritt.

Alles Wich­ti­ge zum TV-Duell hat Peer im FAZ.net-Fernsehblog noch mal zusam­men­ge­fasst.

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Ottos Mob kotzt

Es ist das beherr­schen­de The­ma der Medi­en­sei­ten deutsch­spra­chi­ger Online­ma­ga­zi­ne am heu­ti­gen Tag: der unglaub­lich unsym­pa­thi­sche Kan­di­dat Hans-Mar­tin, der bei „Schlag den Raab“ eine hal­be Mil­lio­nen Euro gewon­nen hat. Weni­ger gegönnt hat das deut­sche TV-Publi­kum einen Sieg zuletzt der ita­lie­ni­schen Fuß­ball­na­tio­nal­mann­schaft am 4. Juli 2006.

Falls Sie die Sen­dung ver­passt haben soll­ten und sich fra­gen, war­um ein ein­zel­ner Spiel­show-Kan­di­dat stär­ke­re Emo­tio­nen aus­löst als ein gan­zer Bun­des­tags­wahl­kampf, beant­wor­tet Ste­fan Nig­ge­mei­er Ihnen die ers­te Fra­ge im FAZ.net-Fernsehblog. Zur Beant­wor­tung der zwei­ten Fra­ge hof­fe ich noch einen Psy­cho­lo­gen zu gewin­nen.

Noch wäh­rend die Sen­dung lief, wur­den Hans-Mar­tin-Hass­grup­pen bei Stu­diVZ gegrün­det und T‑Shirt-Moti­ve ange­fer­tigt, die sich über den Kan­di­da­ten lus­tig mach­ten (das habe ich alles nur gele­sen – unter ande­rem in einem inzwi­schen wie­der gelösch­ten Arti­kel bei Opi­nio, dem Leser-schrei­ben-für-Leser-Por­tal von „RP Online“ und bei community-management.de).

Die deutsch­spra­chi­ge Netz­com­mu­ni­ty … Nee, anders: Die deutsch­spra­chi­ge Netz­com­mu­ni­ty gibt es natür­lich nicht, da kommt man ja in Teu­fels Küche, wenn man die irgend­wie zusam­men­fas­sen wür­de. Es sind eben immer Hun­der­te von Indi­vi­du­en, die fast wort­gleich das glei­che in den Äther schie­ßen (bei Twit­ter gut zu erken­nen am „RT:“, das in Sachen Aus­sa­ge­kraft noch weit unter dem „Me too!!!!1“ der AOL-Use­net-Ära und unter dem „Like“-Button bei Face­book liegt).

Hun­der­te Indi­vi­du­en gaben sich also jeder für sich die größ­te Mühe, alle Kli­schees vom digi­ta­len Mob zu bestä­ti­gen: „Hassmar­tin“ tauf­ten sie den Kan­di­da­ten und straf­ten damit gleich auch noch all jene Lügen, die gedacht hat­ten, hirn­freie­re Namens­wit­ze als „Zen­sur­su­la“ könn­ten nun wirk­lich kei­nem Men­schen über 13 mehr ein­fal­len. Für ein „#pira­ten+“ war in den Tweets dann lei­der kein Platz mehr, das hät­te man doch schön kom­bi­nie­ren kön­nen.

Twit­ter ist ja eh nicht gera­de als das Medi­um bekannt, das den Sie­ges­zug der Auf­klä­rung end­lich abschlie­ßen könn­te: 140 Zei­chen kann man auch eben schnell tip­pen, ohne dass man das Gehirn zwi­schen Gal­le und Fin­ger schal­ten müss­te. Twit­tern ist oft genug der Sieg des Affekts über die Reflek­ti­on, Haupt­sa­che man ist der Schnells­te – beson­ders bei der Eska­la­ti­on. Heu­te ste­hen die Web‑2.0er fas­sungs­los vor den rau­chen­den Trüm­mern ihres eige­nen „Pogroms“ (natür­lich auch nicht alle) und wir­ken dabei ein biss­chen wie die Schü­ler am Ende von „Die Wel­le“, als ihnen gesagt wird, dass sie alle gute Nazis abge­ge­ben hät­ten.