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Familie Leben

Abschied von Omi

Ich weiß noch, wie ich im Febru­ar 2006 mit einer Kol­le­gin unter­wegs war, sie einen offen­bar unspek­ta­ku­lä­ren Anruf bekam, aber hin­ter­her sag­te: „Jedes Mal, wenn mei­ne Mut­ter anruft, den­ke ich, es ist was mit Omma!“ Damit fass­te sie etwas in Wor­te, was ich auch schon unter­be­wusst gedacht hat­te, und was ich seit­dem immer wie­der dach­te, wenn mein Han­dy anzeig­te, dass mei­ne Eltern anrie­fen.

Ich weiß im Gegen­satz dazu nicht so genau, wann das ange­fan­gen hat, dass ich an Weih­nach­ten und den Geburts­ta­gen mei­ner Groß­el­tern dach­te: „Ich fahr mal lie­ber nach Dins­la­ken; wer weiß, wie oft wir das noch zusam­men fei­ern?“, aber auch das muss jetzt über zehn Jah­re her sein.

Drei Anru­fe hat­te ich schon bekom­men (alle auf dem Fest­netz­te­le­fon): im Juli 2012, als mein ent­frem­de­ter Groß­va­ter gestor­ben war, ein Mann, den ich zuletzt Mit­te der 1990er Jah­re gese­hen hat­te und den ich in der Stadt nicht erkannt hät­te, wenn wir uns begeg­net wären; im August 2017, als mei­ne Groß­mutter müt­ter­li­cher­seits nach einer Ope­ra­ti­on im Kran­ken­haus starb, zu der sie sich mit den Wor­ten ver­ab­schie­det hat­te, es wäre nicht schlimm, wenn das jetzt schief gin­ge, wir bräuch­ten nicht trau­rig zu sein, es sei dann auch gut gewe­sen; Ende Dezem­ber 2017, 96 Stun­den nach­dem wir mit unse­rem Groß­va­ter väter­li­cher­seits noch ein­mal Weih­nach­ten gefei­ert und geahnt hat­ten, dass es das letz­te Mal sein wür­de, aber noch an ein letz­tes gemein­sa­mes Oster­fest geglaubt hat­ten.

Aber eine Groß­mutter war ja immer noch da, so wie sie immer dage­we­sen war: Omi, von der wir zwölf Enkel­kin­der wirk­lich fast immer nur als Omi spra­chen — so als gäbe es nur eine ein­zi­ge auf der Welt; die ande­ren beka­men ihren Namen ange­hängt, aber „Omi Sig­rid“ sag­ten wir wirk­lich sel­ten, es war doch eh klar, von wem wir spra­chen.

Mit jedem Geburts­tag und jedem Weih­nachts­fest sank – die tro­cke­nen Zah­len betrach­tet – die Wahr­schein­lich­keit, dass wir in einem Jahr noch ein­mal gemein­sam fei­ern kön­nen wür­den. In den Seu­chen­jah­ren 2020 und ’21 schaff­ten wir es immer­hin, ihren Geburts­tag auf der Ter­ras­se zu fei­ern; mit Mas­ken und Abstand, aber auch mit Sekt, so wie es sich gehör­te. 2020 saßen wir an Weih­nach­ten vor dem Tablet und wink­ten nach Dins­la­ken, in der Hoff­nung, dass die Phar­ma­in­dus­trie schnell genug sein wür­de, damit wir eine geimpf­te Omi noch ein­mal in den Arm neh­men könn­ten. Viel­leicht sogar zu Weih­nach­ten. Und auch wenn es 2021 kei­ne Fei­er in ihrem engs­ten Fami­li­en­kreis (Stand damals: 43 Per­so­nen) mehr gab, weil es ein­fach zu viel gewe­sen wäre und sie in gro­ßen Grup­pen nicht mehr gescheit zuhö­ren konn­te, so waren wir im Lau­fe der Fei­er­ta­ge doch fast alle noch mal bei ihr im Wohn­zim­mer, aßen Leb­ku­chen, die sie selbst­ver­ständ­lich selbst aus der Küche geholt hat­te, denn davon wür­de sie sich nie­mals abbrin­gen las­sen, und genos­sen das Geschenk, allen Wid­rig- und Wahr­schein­lich­kei­ten zum Trotz, noch ein­mal Weih­nach­ten mit Omi ver­brin­gen zu dür­fen.

Im Juni wur­de Omi – für uns Enkel­kin­der: plötz­lich; für ihre Kin­der, die sie Tag für Tag besuch­ten und umsorg­ten: abseh­bar – schwä­cher. Auf ein­mal schien die ent­schei­den­de Fra­ge, ob wir es noch mal an ihr Bett nach Dins­la­ken schaf­fen wür­den; ihr eine Son­nen­blu­me hin­stel­len könn­ten; noch ein­mal mit ihr spre­chen und uns bedan­ken kön­nen wür­den. Wir konn­ten. Es wur­den noch eini­ge Son­nen­blu­men und Gesprä­che und Ende August saß sie an ihrem 96. Geburts­tag wie selbst­ver­ständ­lich auf der Ter­ras­se, ließ Gesän­ge und Lob­prei­sun­gen eher wider­wil­lig über sich erge­hen, freu­te sich über neu­ge­bo­re­ne Uren­ke­lin­nen und fast 80-jäh­ri­ge Nich­ten, die zu Besuch gekom­men waren, und erhob natür­lich das obli­ga­to­ri­sche Glas Sekt.

Luki und Omi

Wenn ich in den letz­ten Jah­ren die Todes­an­zei­gen in der Zei­tung stu­dier­te (was ich aus einer Mischung aus „Memen­to mori“ und „Ich könn­te ja jeman­den ken­ne“ regel­mä­ßig tue), ver­gin­gen inzwi­schen manch­mal gan­ze Mona­te, ohne dass auch nur eine ein­zi­ge ver­stor­be­ne Per­son älter als Omi gewe­sen wäre. In die Nach­rich­ten schaff­ten es immer­hin Bet­ty White, Queen Eliza­beth II und Ange­la Lans­bu­ry, die alle­samt älter waren (wenn auch zum Teil nur weni­ge Mona­te). Ein­ge­denk der Welt­la­ge erschien es mir irgend­wann zumin­dest theo­re­tisch mög­lich, dass wir uns nie von Omi ver­ab­schie­den müs­sen wür­den, son­dern ein­fach alles vor ihr endet.

Nun: Der Anruf kam am Abend des 25. Okto­ber 2022. Nach Tagen, an denen sie nicht mehr geges­sen und getrun­ken hat­te, war Omi – man soll die­se For­mu­lie­rung in der Gegen­wart von Kin­dern ver­mei­den, denn Tote sind tot, sie kön­nen nicht wie­der auf­wa­chen; aber hier trifft sie dann eben doch mal in einem weni­ger als 50% meta­pho­ri­schen Sin­ne zu – fried­lich ein­ge­schla­fen.

Ich glau­be, es war Thees Uhl­mann, der mal gesagt hat, dass man ver­su­chen soll­te, Denk­mä­ler für die Men­schen zu errich­ten, denen sonst kei­ne Denk­mä­ler gebaut wer­den. Also habe ich bei Insta­gram ver­sucht, in Wor­te zu fas­sen, was Omi, ihre Süßig­kei­ten, ihre Hilfs­be­reit­schaft und Nächs­ten­lie­be und ihr Glau­be für mich bedeu­tet haben und immer bedeu­ten wer­den. Ich hab bei ihrem Beer­di­gungs­kaf­fee­trin­ken eine klei­ne Anspra­che gehal­ten, in der ich ver­sucht habe, ihr Leben (oder wenigs­tens die 39 Jah­re, die ich mit ihr ver­brin­gen durf­te) zu wür­di­gen. Ich wuss­te vor­her schon: Ich könn­te ein Buch schrei­ben über Omi, unse­re Fami­lie und das Ruhr­ge­biet, des­sen Geschich­te so eng mit der unse­rer Fami­lie ver­wo­ben ist. Und damit fan­ge ich jetzt an!

Die­ser Text erschien ursprüng­lich in mei­nem News­let­ter „Post vom Ein­hein­ser“, für den man sich hier anmel­den kann.

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Leben

In memoriam Renate Erichsen

Ich schrei­be jetzt seit über 25 Jah­ren: Schul­auf­sät­ze, Lied­tex­te, Dreh­bü­cher, Rezen­sio­nen, Arti­kel, Semi­nar­ar­bei­ten, Blog­ein­trä­ge, Vor­trä­ge, Wit­ze, Mode­ra­tio­nen, News­let­ter, Tweets, … 

Letz­te Woche gab es eine Pre­mie­re, auf die ich auch noch ein paar Jah­re hät­te ver­zich­ten kön­nen: Ich habe mei­ne ers­te Trau­er­re­de geschrie­ben und gehal­ten – auf mei­ne Oma, die heu­te vor einem Monat im Alter von 84 Jah­ren gestor­ben ist.

Ich habe lan­ge dar­über nach­ge­dacht, ob ich dar­über etwas schrei­ben soll, weil es ja nicht nur um mein Pri­vat­le­ben geht, son­dern auch um das mei­ner Oma und mei­ner Fami­lie, des­we­gen will ich nicht ins Detail gehen, aber ande­rer­seits war mei­ne Oma medi­al bis zuletzt fit, hat mein Blog (und ande­re) gele­sen, „Lucky & Fred“ gehört (wes­we­gen ich ihren Tod auch in der letz­ten Fol­ge the­ma­ti­siert habe) und mit uns Enkeln per Tele­gram kom­mu­ni­ziert (Whats­App lief nicht auf ihrem iPad). Außer­dem gab es ja sonst kei­ne Nach­ru­fe auf sie und mut­maß­lich wird man auch kei­ne Stra­ßen nach ihr benen­nen oder ihr Sta­tu­en errich­ten.

Rena­te Erich­sen, die für uns nur Omi Nate war, wur­de 1932 in Ber­lin gebo­ren, wäh­rend des Krie­ges floh ihre Fami­lie nach Feh­marn und ließ sich dann spä­ter in Dins­la­ken (of all places) nie­der. Sie war, wohl auch des­halb, poli­tisch und gesell­schaft­lich sehr inter­es­siert und woll­te von ihren Enke­lin­nen und Enkeln immer wis­sen, wie wir über bestimm­te Din­ge den­ken. 

Die Rena­tio­na­li­sie­run­gen, die in der EU – aber nicht nur dort – in den letz­ten Jah­ren zu beob­ach­ten waren, berei­te­ten ihr gro­ße Sor­gen, poli­ti­sche Strö­mun­gen wie AfD und Donald Trump auch. „Das habe ich alles schon mal erlebt“, sag­te sie dann und es gab kei­ne Zwei­fel dar­an, dass sie das nicht noch mal haben muss­te — und auch nie­man­dem sonst wünsch­te.

Bei einem unse­rer Tele­fon­ge­sprä­che nach dem Brexit-Refe­ren­dum im ver­gan­ge­nen Jahr beklag­te sie sich dar­über, dass so weni­ge jun­ge Men­schen zur Wahl gegan­gen waren — aber auch und vor allem, dass so vie­le alte Men­schen über die Zukunft der Jun­gen abge­stimmt und ihnen damit die Zukunft ver­baut hät­ten. Obwohl sie, wie sie oft erwähn­te, eine klei­ne Ren­te hat­te, stimm­te sie bei Wah­len lie­ber so ab, wie sie es für „die jun­gen Leu­te“ (also: uns) für rich­tig hielt.

All das und eini­ge ande­re Din­ge habe ich ver­sucht, in mei­ne Rede ein­zu­bau­en und dabei fest­ge­stellt, dass das auf ein paar Sei­ten Text gar nicht so ein­fach ist. Klar: Auch in mei­nen jour­na­lis­ti­schen Arbei­ten ist nie Platz für alles, aber die füh­len sich nicht an, als müss­ten sie ein The­ma (oder in die­sem Fall: ein Leben) qua­si „abschlie­ßend“ ver­han­deln.

Vor der Trau­er­fei­er war es auch so, dass ich haupt­säch­lich an mei­ne Rede gedacht habe, was sich einer­seits total ego­is­tisch und fehl am Plat­ze anfühl­te, ande­rer­seits aber eine ganz gute emo­tio­na­le Ablen­kung war — und ich woll­te ja auch, dass die Rede eini­ger­ma­ßen gut und vor allem ange­mes­sen wird.

Ich habe des­halb auch noch mal die Rede gegoo­gelt, die Thees Uhl­mann von Tom­te im Febru­ar 2004 (Wahn­sinn, wie lang das schon wie­der her ist!) auf der Beer­di­gung von Roc­co Clein gehal­ten hat — für mei­ne Zwe­cke nur bedingt hilf­reich, aber auch all die Jah­re spä­ter immer noch groß, gewal­tig und trös­tend. Und bei der Suche bin ich auch auf ein Dop­pel­in­ter­view mit Thees und Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re gesto­ßen, das letz­tes Jahr im „Musik­ex­press“ erschie­nen ist. Die bei­den lie­gen mir ja eh sehr am Her­zen (im Sin­ne von: ich wür­de ohne die bei­den ver­mut­lich gar nicht schrei­ben — oder zumin­dest nicht so, wie ich es jetzt – auch hier, gera­de in die­sem Moment – tue), aber es ist auch so ein schö­nes Gespräch, in dem es auch um beson­de­re Men­schen geht.

Und so erschien mir der Rück­weg aus Dins­la­ken nach Trau­er­fei­er, Urnen­bei­set­zung, Kaf­fee­trin­ken und sehr engem fami­liä­ren Bei­sam­men­sein dann auch der rich­tig Zeit­punkt, um nach Jah­ren mal wie­der „Hin­ter all die­sen Fens­tern“ zu hören, das Album mit dem Tom­te damals in mein Leben gekracht waren und das ich damals ganz oft im Zug von Dins­la­ken nach Bochum und zurück gehört hat­te.

Es war sicher­lich auch den beson­de­ren Umstän­den geschul­det, dass mich das Album noch ein­mal mit­ten ins Herz traf: „Schreit den Namen mei­ner Mut­ter, die mich hielt“, „Das war ich, der den weg­brach­te, den Du am längs­ten kennst“, „Es könn­te Trost geben, den es gilt zu sehen, zu erken­nen, zu buch­sta­bie­ren“, „Von den Men­schen berührt, die an dem Fried­hof stan­den, am Ende eines Lebens“ — ich hät­te mir sofort das gesam­te Album täto­wie­ren las­sen kön­nen.

Die­ses Gefühl, dass da jemand vor inzwi­schen 15 Jah­ren ein paar Tex­te geschrie­ben hat, die etwas mit sei­nem dama­li­gen Leben zu tun hat­ten, und dass die­se Tex­te dann zu ver­schie­de­nen Zeit­punk­ten im eige­nen Leben in einem genau die wun­den Stel­len tref­fen und gleich­zei­tig weh­tun und beim Hei­len hel­fen: Wahn­sinn! Immer wie­der aufs Neue!

Und dann noch mal die liner notes zum Album lesen und immer wie­der nicken und sich ver­stan­den füh­len. Mei­ne Oma hat Zeit ihres Lebens alle Lite­ra­tur ver­schlun­gen, derer sie hab­haft wer­den konn­te — „ich habe mehr durch Musik gelernt, als durch Biblio­the­ken“, sang wie­der­um Thees Uhl­mann auf der fina­len Tom­te-Plat­te.

Im Übri­gen hat sich her­aus­ge­stellt, dass so ein Tod (zumin­dest, wenn er nach einem lan­gen und erfüll­ten Leben kam und die Ver­stor­be­ne sich ange­mes­sen ver­ab­schie­den konn­te) ein viel­leicht etwas absei­ti­ger, aber zuver­läs­si­ger Gesprächs­mo­tor ist. Ich habe jeden­falls in den letz­ten Wochen vie­le sehr gute Gesprä­che mit engen Freun­den, aber auch ganz ande­ren Men­schen geführt.

Die­ser Text erschien ursprüng­lich in mei­nem News­let­ter „Post vom Ein­hein­ser“, für den man sich hier anmel­den kann.

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Musik

In memoriam Prince

Jetzt also Prin­ce.

Ich wür­de lügen, wenn ich jetzt behaup­te­te, dass der Mann und sei­ne Musik eine gro­ße Rol­le in mei­nem Leben gespielt hät­ten. Mein iTu­nes zeigt exakt zwei sei­ner Songs („Pur­ple Rain“, natür­lich, und „Cin­na­mon Girl“), aber wäh­rend ich die Son­der­sen­dung auf Radio Eins höre, stel­le ich fest, dass da doch eini­ge sehr fei­ne Songs in sei­nem Œuvre vor­kom­men – und eini­ge völ­lig aus­ufern­de, über­pro­du­zier­te, mit­hin selbst­ver­lieb­te und damit für mich eher unhör­ba­re.

Mei­ne Ver­bin­dung zu Prin­ce ist eher zwei­ter Hand: Ein Bekann­ter mei­ner Eltern arbei­te­te im War­ner-Press­werk in Als­dorf, was ich im Alter von etwa acht Jah­ren wahn­sin­nig auf­re­gend fand, denn: „Manch­mal kom­men auch die Musi­ker vor­bei, um sich das Werk anzu­se­hen. Mari­us Mül­ler-Wes­tern­ha­gen war mal da und Phil Coll­ins auch.“ Die­ser Mann nun erzähl­te am Kaf­fee­tisch mei­ner Eltern die Geschich­te, dass Prin­ce ein Album habe ver­öf­fent­li­chen wol­len, des­sen kom­plett schwar­ze Hül­le mit schwar­zem Text bedruckt wer­den soll­te – eigent­lich soll­te nicht mal ein Bar­code drauf zu sehen sein. Am Frei­tag vor der geplan­ten Ver­öf­fent­li­chung habe es einen Anruf gege­ben, dass Prin­ce das Album nicht mehr ver­öf­fent­li­chen wol­le und so hät­ten die Ange­stell­ten an einem Sams­tag auf dem Werks­hof gestan­den und die Ton­trä­ger unter eine Pla­nier­rau­pe (oder ein ähn­li­ches Gerät) gewor­fen. Aller­dings sei­en bei die­ser Akti­on nicht alle Exem­pla­re (ich kann mich wirk­lich nicht erin­nern, ob in der Geschich­te von LPs oder CDs die Rede war oder der Bekann­te die­ses Detail aus­ließ) ver­nich­tet wor­den: Ein paar sei­en auch in den Schreib­tisch­schub­la­den der Mit­ar­bei­ter ver­schwun­den und andern­orts wie­der auf­ge­taucht.

Die­se Geschich­te kann man heu­te – mit leicht abwei­chen­den Fak­ten – in der Wiki­pe­dia nach­le­sen. Im Jahr 1991 aber war es bei­na­he exklu­si­ves Spe­zi­al­wis­sen, das für einen Jun­gen, der gera­de in die Welt der Pop­kul­tur hin­ein­stol­pert, einen unschätz­ba­ren Wert hat­te – und des­halb bis zum heu­ti­gen Tag von mir nie wei­ter­ge­ge­ben wur­de. Bit­te­schön!

Mei­ne zwei­te zen­tra­le Prin­ce-Erin­ne­rung ist die, wie Sascha Lobo eines Tages ins BILD­blog-Büro kam, im Tür­rah­men die Zei­le „My name is Prin­ce“ sang und sag­te, er müs­se die­ses Album jetzt sofort hören. Wie noch­mal unser W‑Lan-Pass­wort sei.

Na ja – und dann natür­lich das hier:

08.Prince.-.1999 from Mau­ricio Ona­te on Vimeo.

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Fernsehen Rundfunk

In memoriam Roger Willemsen

Elf Jah­re sind nicht das Alter, in dem ich mei­nen Sohn abend­li­che Talk­shows sehen las­sen wür­de, aber so alt war ich, als „Wil­lem­sens Woche“ auf Sen­dung ging, und ich war von Anfang an dabei — war­um auch immer. Ich weiß, dass ich an jenem Wochen­en­de bei mei­ner Oma über­nach­tet habe und wir die ers­te Aus­ga­be gemein­sam gese­hen haben. Die meis­ten wei­te­ren habe ich dann mit mei­nen Eltern geschaut oder auch allei­ne. Merk­wür­di­ges Kind, das ich war.

Die Sen­dung hat wie weni­ge ande­re mei­ne Erwar­tungs­hal­tung an gutes Fern­se­hen geprägt und ganz stark dazu bei­getra­gen, dass ich auch „was mit Medi­en“ machen woll­te. Roger Wil­lem­sen hat­te Men­schen zu Gast, die noch etwas zu erzäh­len hat­ten, und er wuss­te, wie man sie erzäh­len lässt. Sein Inter­view mit Hel­mut Mark­wort mag man heu­te eitel oder gar etwas bös­ar­tig fin­den, aber es zeigt, was ein Mode­ra­tor mit einer Hal­tung ist, und soll­te Stan­dard­werk an Jour­na­lis­ten­schu­len sein. Nicht min­der legen­där: Wie Wil­lem­sen und Fried­rich Küp­pers­busch, ein Mann, der mei­ne Vor­stel­lung von gutem Fern­se­hen eben­so mit­be­stimmt hat und den ich inzwi­schen mei­nen Freund nen­nen darf, die letz­te Aus­ga­be von Fried­richs ARD-Maga­zin „Pri­vat­fern­se­hen“ so lan­ge eigen­mäch­tig ver­län­ger­ten, bis die zen­tra­le Sen­de­lei­tung ent­nervt den Ste­cker zog.

Ich bin Roger Wil­lem­sen zwei Mal bei der Auf­zeich­nung sei­ner (natür­lich auch nicht sehr erfolg­rei­chen) WDR-Sen­dung „Nacht­kul­tur“ begeg­net (Anläs­se, bei denen ich auf Wim Wen­ders und Tom Tykwer traf — die ganz nor­ma­le Frei­zeit­be­schäf­ti­gung 16-jäh­ri­ger Ado­les­zen­ten) und habe ein paar Mal mit ihm gemailt. Ein­mal ging es um einen Bei­trag fürs BILD­blog, ein­mal um den sehr kom­pli­zier­ten und heu­te nur noch schwer nach­voll­zieh­ba­ren Vor­gang der Pres­se­stel­le der Stadt Dins­la­ken, die es irgend­wie geschafft hat­te, O‑Töne von Wil­lem­sen, Jörg Kachelm­ann, Ste­fan Nig­ge­mei­er und mir zu einem Pot­pour­ri der Klein­stadt-PR zu remi­xen (fra­gen Sie nicht).

Es ende­te jeden­falls mit die­sem Kom­men­tar Wil­lem­sens in Ste­fans Blog:

Wis­sen Sie, ich bin erleich­tert, dass es jetzt raus ist. Schon jah­re­lang lau­fe ich mit der Schuld durch die Welt, San­dra Schwarz­haupt gefragt zu haben, war­um sie in NY und nicht in Dins­la­ken woh­ne. Die­ser unrei­fe und ehr­ab­schnei­den­de Kom­men­tar zum Welt­zen­trum der Selbst­iro­nie hat mit frei­er Mei­nungs­äu­ße­rung nichts zu tun, er ist schäd­lich und dumm, bie­tet er doch der Pres­se­stel­le der Stadt Dins­la­ken die fei­ge Mög­lich­keit, sich zu bla­mie­ren. Es soll wie­der vor­kom­men.

Das Zitat schaff­te es 2008 noch ein­mal in den Jah­res­rück­blick der Lokal­aus­ga­be der „Rhei­ni­schen Post“ und „Es soll wie­der vor­kom­men“ ist seit­dem fes­ter Bestand­teil mei­nes rhe­to­ri­schen Werk­zeug­kas­tens.

Im letz­ten Jahr hat Roger Wil­lem­sen wegen einer Krebs­er­kran­kung alle Ter­mi­ne abge­sagt. Ich weiß, dass Krebs der „größ­te Wich­ser im gan­zen Land“ (Thees Uhl­mann) ist, aber aus der Fer­ne hat­te ich ein­fach gehofft, dass Roger Wil­lem­sen das über­ste­hen wer­de. In kind­li­cher Nai­vi­tät hat­te ich mir sogar aus­ge­malt, dass wir ihn nach sei­ner Gene­sung bei Lucky & Fred zu Gast haben wür­den. Es schmerzt mich, dass die­ser ego­is­ti­sche Wunsch jetzt nicht in Erfül­lung gehen wird, aber noch mehr schmerzt es mich, dass Roger Wil­lem­sen nun im Alter von gera­de ein­mal 60 Jah­ren gestor­ben ist. Men­schen wie ihn könn­ten wir die­ser Tage mehr denn je gebrau­chen.

Erhe­ben Sie sich also bit­te mit mir für den (immer noch unfass­bar gei­len) Titel­song von „Wil­lem­sens Woche“:

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Film Kultur Print

In memoriam Hellmuth Karasek

Mei­ne ers­te Begeg­nung mit Pro­fes­sor Kara­sek liegt fast exakt zwan­zig Jah­re zurück: Mein Vater hat­te mich zu einer Ver­an­stal­tung mit­ge­nom­men, wo Kara­sek sein Buch „Mein Kino“ vor­stell­te und mit immer noch glü­hen­den Augen Namen wie Alfred Hitch­cock, Bil­ly Wil­der oder Mar­le­ne Diet­rich refe­rier­te, von denen ich über­wie­gend noch nie gehört hat­te. Ich hat­te damals noch nichts ande­res als Zei­chen­trick­fil­me und Fami­li­en­ko­mö­di­en aus Hol­ly­wood gese­hen.

Drei Jah­re spä­ter las ich sei­ne Bil­ly-Wil­der-Bio­gra­phie, die mich zu einem glü­hen­den Ver­eh­rer der bei­den mach­te: Wil­der wegen sei­ner Fil­me und sei­nes Humors, Kara­sek wegen sei­ner Fähig­keit, so zu schrei­ben, dass man beim Lesen immer sei­ne etwas quiet­schi­ge Stim­me zu hören glaub­te. Die Lesung von „Das Maga­zin“, zu der mich mei­ne Eltern mit­nah­men, habe ich nur besucht, um mir das Wil­der-Buch signie­ren und mit ihm kurz über „Eins, Zwei, Drei“ fach­sim­peln zu kön­nen. (Was man mit 15 auf dem Dorf halt so macht.) Es war dann jetzt lei­der auch unse­re letz­te Begeg­nung.

Für Lukas, viel Spaß! Herzlich, Hellmuth Karasek

Kara­seks Buch „Karam­bo­la­gen“, in dem er sei­ne Begeg­nun­gen mit berühm­ten Zeit­ge­nos­sen beschreibt (natür­lich auch mit Wil­der), wird eines Tages Vor­bild für mei­ne Text­samm­lung zum sel­ben The­ma sein. Hell­muth Kara­sek bekommt dann sein eige­nes Kapi­tel.

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Film

Hebt die Gläser für John Keating

Ges­tern, auf dem Weg nach hau­se, hat­te ich die Idee, „Reiß die Trau­er aus den Büchern“ von Jupi­ter Jones zum heu­ti­gen Song des Tages zu machen. Zum einen, weil es auch nach zehn Jah­ren immer noch ein unglaub­lich guter Song ist, aber auch ein biss­chen, um mich und alle ande­ren dar­an zu erin­nern, wie die­se Band mal ange­fan­gen hat. Und wegen der Text­zei­le „Hebt die Glä­ser für John Kea­ting“.

Heu­te erwach­te ich zu der Nach­richt, dass Robin Wil­liams, der den Leh­rer John Kea­ting in Peter Weirs „Der Club der toten Dich­ter“ gespielt hat­te, gestor­ben ist.

Wir haben „Der Club der toten Dich­ter“ in der zehn­ten Klas­se im Deutsch­un­ter­richt gele­sen, was inso­fern ein biss­chen absurd ist, weil es sich um ein ursprüng­lich eng­lisch­spra­chi­ges Buch han­del­te, das auf Grund­la­ge des Dreh­buchs zu einem Hol­ly­wood-Film geschrie­ben wur­de. Und „gele­sen“ habe ich es, wie unge­fähr alle Lek­tü­ren in der Schul­zeit, allen­falls quer. Natür­lich haben wir uns auch den Film ange­se­hen, von dem ich weni­ger über Lite­ra­tur gelernt habe (noch heu­te wer­de ich mit Lyrik nicht so rich­tig warm), aber viel über unpas­sen­de Syn­the­si­zer-Klän­ge und über Pathos.

Die Schluss­sze­ne, wenn die Schü­ler auf ihre Tische stei­gen und die ers­te Zei­le aus Walt Whit­mans „O Cap­tain! My Cap­tain!“ rezi­tie­ren, wäh­rend Ihr Leh­rer John Kea­ting abbe­ru­fen wird, traf mich mit unge­heu­rer Wucht ins Herz. Sie sorg­te dafür, dass ich im Real Life häu­fig von Abschie­den etwas ent­täuscht war, weil sie mit die­ser Fik­ti­on nicht mit­hal­ten konn­ten. Ich sehe eine direk­te Linie zwi­schen die­ser Sze­ne und mei­ner Begeis­te­rung für leicht melo­dra­ma­ti­sche ame­ri­ka­ni­sche Pop­kul­tur („Dawson’s Creek“, Springsteen, Bücher von John Green) und für die Lie­der von Tom­te. Schon an nor­ma­len Tagen kann ich die­se Sze­ne nicht anschau­en, ohne Gän­se­haut und feuch­te Augen zu bekom­men.

Mei­ne ers­te rich­ti­ge „Begeg­nung“ mit Robin Wil­liams lag zu die­ser Zeit schon fünf Jah­re zurück: Mit zehn hat­te ich „Mrs. Doubt­fi­re“ gese­hen und für eini­ge Jah­re zu mei­nem Lieb­lings­film erko­ren. Ich muss den Film in die­ser Zeit buch­stäb­lich Dut­zen­de Male gese­hen haben.

Robin Wil­liams spielt dar­in den Vater Dani­el Hil­lard, der sei­ne Kin­der nach der Tren­nung von sei­ner Frau zu sel­ten sehen darf und sich des­halb als Kin­der­mäd­chen ver­klei­det, um ihnen den­noch nahe sein zu kön­nen. Ich bezweif­le, dass mir das als Zehn­jäh­ri­gem auf­ge­fal­len ist und es ist schon Jah­re her, dass ich den Film zuletzt gese­hen habe, aber in der Erin­ne­rung ist es eine unglaub­li­che Mischung aus Kla­mauk und Warm­her­zig­keit, die die­sen Film aus­macht — und aus schreck­li­chen 90er-Jah­re-Kla­mot­ten.

Die jetzt zitier­ten essen­ti­el­len Robin-Wil­liams-Fil­me wie „König der Fischer“ oder „Hook“ habe ich nie gese­hen, aber vie­le ande­re: „Juman­ji“, „Good Mor­ning, Viet­nam“, „Good Will Hun­ting“ und die deut­lich düs­te­re­ren „One Hour Pho­to“ und „Insom­nia“, in denen er den Psy­cho­pa­then hin­ter der Mas­ke des net­ten Jeder­manns gab. Wer, wie ich, die Fil­me über­wie­gend der deut­schen Syn­chron­fas­sung ken­nen­ge­lernt hat, für den ist Wil­liams‘ Gesicht untrenn­bar mit der Stim­me von Peer Augus­t­in­ski ver­knüpft, der zwi­schen­durch nach einem Schlag­an­fall lan­ge pau­sie­ren muss­te. Es ist sicher­lich nicht ein­fach, jeman­den wie Wil­liams zu spre­chen, der in den alber­nen Sze­nen selbst stän­dig die Stim­me wech­sel­te und in ande­ren Momen­ten eine unge­heu­re Weis­heit, Ruhe und Melan­cho­lie aus­strah­len konn­te, aber Augus­t­in­ski hat dies meis­ter­haft gemacht.

Robin Wil­liams war irgend­wie immer in Sicht­wei­te, so wie der etwas merk­wür­di­ge Onkel in einer Fami­lie, von dem man mal gute, mal schlech­te Nach­rich­ten hört: in den letz­ten Jah­ren las man von einem Ent­zug, einer Herz-OP und von einem Come­di­an, der nach Jahr­zehn­ten des Strau­chelns mit sich selbst im Rei­nen schien. Sei­ne neue TV-Serie „The Cra­zy Ones“ – von der ich Dank der Kurz­at­mig­keit von Pro­Sie­ben eine Fol­ge gese­hen habe – wur­de nach nur einer Staf­fel ein­ge­stellt, aber es gab wohl recht kon­kre­te Plä­ne für eine Fort­set­zung von „Mrs. Doubt­fi­re“.

Robin Wil­liams ist im Alter von 63 Jah­ren gestor­ben. Er litt offen­bar an Depres­sio­nen, was einen Rei­gen von „Trau­ri­ger Clown“-Artikeln nach sich zie­hen dürf­te. Dabei war er deut­lich mehr als nur das.

Hebt die Glä­ser für Robin Wil­liams!

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Für Neil Armstrong

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Opossum-Possen

Ich gehe zu Guns­ten der „Mit­tel­deut­schen Zei­tung“ mal davon aus, dass es sich um eine Nach­richt extra für Kin­der han­delt, die da eher ver­se­hent­lich im regu­lä­ren Online-Auf­tritt gelan­det ist:

Es gibt trau­ri­ge Nach­rich­ten aus dem Leip­zi­ger Zoo: Hei­di lebt nicht mehr! Das Opos­sum ist am Mitt­woch gestor­ben. Hei­di war wegen ihrer Augen in Deutsch­land und ande­ren Län­dern sehr bekannt gewor­den: Ihre Augen stan­den nicht ganz gera­de. Sie schiel­te. Das fan­den die Men­schen put­zig.

Aber Kin­der hin oder her – es ist schon bemer­kens­wert, wie fried­lich die­se zwei Sät­ze da ein­fach neben­ein­an­der ste­hen:

Am Mitt­woch ist Hei­di an Alters­schwä­che gestor­ben. Ein Tier­arzt hat sie ein­ge­schlä­fert.

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If Only

Das ist natür­lich ein wahn­sin­nig ego­is­ti­scher Gedan­ke, aber ich hat­te mir das anders vor­ge­stellt. Ich hat­te gedacht, dass ich mich mit etwa 50 Jah­ren dar­auf ein­stel­len müss­te, von den Hel­den mei­ner Kind­heit und Jugend Abschied zu neh­men (von denen aus dem Plat­ten­schrank mei­ner Eltern über­nom­me­nen Hel­den viel­leicht etwas frü­her).

Dou­glas Adams starb im Jahr 2001, mit unfass­ba­ren 49 Jah­ren. Elliott Smith (34) und John­ny Cash (71) star­ben, bevor ich mich rich­tig mit ihrem Werk beschäf­tigt hat­te. Als Heath Led­ger (28), Micha­el Jack­son (50) und Ste­phen Gate­ly (33) star­ben, ver­schwan­den plötz­lich Leu­te, die ich beim Auf­wach­sen irgend­wie in mei­nem Sicht­feld gehabt hat­te.

Jay Rea­tard war 29, als ich wuss­te (wie­der so ein ego­is­ti­scher Gedan­ke), dass ich nie eines sei­ner Kon­zer­te wür­de besu­chen kön­nen. Stuart Cable war auch gera­de mal 40 – und die Ste­reo­pho­nics hat­ten mit 16, 17 schon eine gro­ße Rol­le in mei­nem Leben gespielt.

Jetzt also Frank Gier­ing, der Mann mit den trau­rigs­ten Augen. „Abso­lu­te Gigan­ten“, der wohl größ­te Film, der einem 16-Jäh­ri­gen vor die Füße fal­len kann, und des­sen Mischung aus Sehn­sucht, Par­ty und Melan­cho­lie natür­lich all das vor­weg­nahm, was da im eige­nen Leben noch so kom­men soll­te. Oder habe ich ver­sucht, mein eige­nes Erwach­sen­wer­den durch die Kame­ra­lin­se von „Abso­lu­te Gigan­ten“ zu sehen? Wie kann man denn nicht bei Son­nen­auf­gang auf der Rück­bank eines Autos sit­zen, ohne „Wie spät ist es eigent­lich?“ zu fra­gen und dabei an Frank Gier­ing zu den­ken.

Es war ja nur eine Mel­dung, auf einer nicht gera­de ver­trau­ens­wür­di­gen News­ti­cker-Sei­te im Inter­net. Kei­ne Quel­len­an­ga­be. Aber war­um soll­te man Falsch­mel­dun­gen über Schau­spie­ler ver­brei­ten, die nicht gera­de auf den Klatsch­sei­ten der Trash­me­di­en zuhau­se sind? Also: War­ten und goo­geln und dabei Inter­views fin­den, die man vor der Ahnung eines viel zu frü­hen Todes natür­lich sofort ganz anders liest. Aber was muss das für ein zer­brech­li­cher Mann gewe­sen sein, wenn man das jetzt so liest. Schei­ße, wie­so denn „gewe­sen sein“? Und dann die Bestä­ti­gun­gen.

Es gab in mei­nem Leben kei­ne Berüh­rungs­punk­te mit Frank Gier­ing. Sebas­ti­an Schip­per, den Regis­seur von „Abso­lu­te Gigan­ten“, habe ich vor acht Jah­ren auf der Ber­li­na­le getrof­fen, wobei „über­fal­len“ viel­leicht das rich­ti­ge­re Wort ist: Ich sah ihn von wei­tem, rief sei­nen Namen, rann­te ihm auf­ge­regt hin­ter­her und muss wie ein Was­ser­fall gewirkt haben, als ich ihm sag­te, wie viel mir sein Film bedeu­te. (Dass Schip­pers wei­te­re Fil­me eher so „geht so“ waren, lässt das Debüt natür­lich noch ein biss­chen hel­ler strah­len.) Mit Flo­ri­an Lukas und Antoine Monot Jr., den ande­ren „Gigan­ten“, habe ich E‑Mail- und Tele­fon­in­ter­views geführt, in denen ich gar nicht an „Abso­lu­te Gigan­ten“ vor­bei­kam. Von Frank Gier­ing kann­te ich nur die­sen einen beein­dru­cken­den Film, der aus­ge­reicht hat, um ihn unsterb­lich zu machen – ein Adjek­tiv, das plötz­lich glei­cher­ma­ßen unpas­send wie trös­tend wir­ken kann.

Weißt du, was ich manch­mal den­ke? Es müß­te immer Musik da sein. Bei allem, was du machst. Und wenn’s so rich­tig schei­ße ist, dann ist wenigs­tens noch die Musik da. Und an der Stel­le, wo sie am aller­schöns­ten ist, da müß­te die Plat­te sprin­gen, und du hörst immer nur die­sen einen Moment.

(Sebas­ti­an Schip­per: „Abso­lu­te Gigan­ten“, Euro­pa Ver­lag Hamburg/​Wien 1999)

Musik!

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Word Gets Around

2010 scheint sich uner­freu­li­cher­wei­se als Jahr des gro­ßen Musi­ker­ster­bens in die Geschichts­bü­cher bren­nen zu wol­len: Stuart Cable, der frü­he­re Schlag­zeu­ger der Ste­reo­pho­nics, ist tot.

Wie mitt­ler­wei­le eigent­lich üblich, erreich­te mich die trau­ri­ge Nach­richt per Face­book.

Ich hät­te es aber auch zufäl­lig auf der Start­sei­te von – hold your breathBild.de erfah­ren kön­nen:

Stereophonics:
Ex-Drummer Stuart Cable ist tot

Nicht erfah­ren hät­te ich es hin­ge­gen (Stand 14.55 Uhr) auf den „News“-Seiten der Musik­zeit­schrif­ten „Visi­ons“, „Musik­ex­press“ und „Rol­ling Stone“. Aber was hät­te ich auch da gewollt?

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Another day the music died

Bud­dy Hol­ly, Elvis Pres­ley und John Len­non waren schon tot, als ich gebo­ren wur­de. Mar­vin Gaye starb, als ich ein hal­bes Jahr alt war.

Bei Miles Davis und Fred­die Mer­cu­ry habe ich erst sehr spät fest­ge­stellt, wer die eigent­lich waren und was sie gemacht haben.

Am 9. April 1994 saß ich bei mei­nen Groß­el­tern vor dem Fern­se­her, um „Elf 99“ oder „Satur­day“ (oder wie auch immer das Vox-Jugend­ma­ga­zin damals hieß) zu sehen, als in den Nach­rich­ten zu grie­se­li­gen Bil­dern aus Seat­tle ver­kün­det wur­de, dass Kurt Cobain sich erschos­sen habe. Ich war immer etwas zu jung für Nir­va­na, aber da war ich zum ers­ten Mal sowas wie ent­setzt, dass ein Musi­ker gestor­ben war.

Dass Tupac Shakur und Big­gie Smalls erschos­sen wur­den, krieg­te ich völ­lig am Ran­de mit, ohne jemals ihre Musik gehört zu haben.

Der Tod von Geor­ge Har­ri­son war zu erwar­ten gewe­sen, trotz­dem war ich trau­rig, als ich im Novem­ber 2001 beim Ein­rich­ten des Video­re­cor­ders mei­ner Groß­mutter zufäl­lig die Nach­rich­ten sah.

Obwohl ich mich erst nach sei­nem Tod mit John­ny Cash und sei­ner Musik beschäf­tigt habe, war ich betrof­fen, als ich (wie­der­um bei mei­nen Groß­el­tern im Fern­se­hen) davon erfuhr.

Ich wuss­te zu wenig über Elliott Smith, aber die Umstän­de sei­nes Todes, die­se zwei Mes­ser­sti­che ins Herz, waren für mich immer ein gewal­ti­ges State­ment.

Ges­tern Abend guck­te ich ganz harm­los durchs Inter­net, als ich las, dass Micha­el Jack­son gestor­ben sei. Als kri­ti­scher Medi­en­be­ob­ach­ter woll­te ich das lan­ge nicht gel­ten las­sen, aber als CNN (die ja schon den US-Prä­si­den­ten aus­ge­ru­fen hat­ten) Jack­son für tot erklär­te, wuss­te ich, dass auch die­ses Kapi­tel geschlos­sen war.

Wie­der war es ein Künst­ler, von dem ich zu Leb­zei­ten kein beson­de­rer Anhän­ger gewe­sen war, aber weder Jack­sons – hier passt der Begriff aus­nahms­wei­se mal – tra­gi­sches Leben noch sein Ein­fluss auf die Pop­mu­sik und ‑kul­tur meh­re­rer Gene­ra­tio­nen kön­nen einen kalt las­sen. Ohne Micha­el Jack­son klän­gen Jus­tin Tim­ber­la­ke und Rihan­na, ja ver­mut­lich sogar vie­le Rock­bands, heu­te anders – oder es gäbe sie schlicht gar nicht.

Komisch, dass ich jetzt gera­de sei­ne Musik hören muss.

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Klickbefehl (15)

Es gibt Tage, da hal­te ich das Inter­net für einen gro­ßen Irr­tum. Die Idee, dass jeder sei­ne noch so ent­rück­te Mei­nung in die Welt schrei­en darf, erscheint mir unend­lich dumm, und ich wür­de am Liebs­ten mei­nen Com­pu­ter im nächst­ge­le­ge­nen Fluss ver­sen­ken. Aber durch Bochum fließt kein Fluss.

Und dann gibt es Tage, an denen lese ich im Inter­net Tex­te, die so klug, so toll geschrie­ben und so anrüh­rend sind, dass ich mich fra­ge, wie Men­schen ohne die­ses Medi­um leben kön­nen.

Heu­te ist ein Tag der zwei­ten Sor­te, denn Tors­ten Dewi hat einen wun­der­ba­ren Text geschrie­ben über einen frü­he­ren Arbeits­kol­le­gen, der kürz­lich ver­stor­ben ist. Und die­sen Text soll­ten Sie lesen: „Der Max Fried­mann, den ich kann­te…“