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Don’t mention the war

1940 sag­te Gene­ral­feld­mar­schall Wil­helm Kei­tel über den deut­schen Dik­ta­tor Adolf Hit­ler, des­sen Armee gera­de Frank­reich und die BeNe­Lux-Staa­ten über­rannt hat­te, die­ser sei der „größ­te Feld­herr aller Zei­ten“. Nach der ver­hee­ren­den Nie­der­la­ge in der Schlacht um Sta­lin­grad mach­te die­se For­mu­lie­rung in der deut­schen Bevöl­ke­rung mit eher sar­kas­ti­scher Kon­no­ta­ti­on die Run­de und Hit­ler wur­de in Anleh­nung an den Abkür­zungs­wahn, der Deut­sche seit Jahr­hun­der­ten umtreibt, zum „GröFaZ“ erklärt.

Man darf davon aus­ge­hen, dass die For­mu­lie­rung – anders als das „Tau­send­jäh­ri­ge Reich“ – die Jahr­zehn­te über­dau­ert hat, denn im Novem­ber 2007 sag­te der dama­li­ge Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Wolf­gang Schäub­le auf dem Höhe­punkt der öffent­li­chen Dis­kus­si­on um die sog. Vor­rats­da­ten­spei­che­rung laut „taz“:

„Wir hat­ten den ‚größ­ten Feld­herrn aller Zei­ten‘, den GröFaZ, und jetzt kommt die größ­te Ver­fas­sungs­be­schwer­de aller Zei­ten“

Schäub­le schaff­te es damit in mei­ne Lis­te der Nazi-Ver­glei­che, die es damals zu einer gewis­sen Popu­la­ri­tät in der deut­schen Blogo­sphä­re brach­te, spä­ter mit Ergän­zun­gen in Dani­el Erks Buch „So viel Hit­ler war sel­ten“ für die Nach­welt fest­ge­hal­ten wur­de und inzwi­schen auch schon 15 Jah­re alt ist.

Man könn­te also schluss­fol­gern, dass die For­mu­lie­rung „größ­ter Irgend­was aller Zei­ten“ in Deutsch­land mit einer gewis­sen Vor­sicht ver­wen­det wer­den soll­te. Beson­ders, wenn es um Deutsch­land geht. Oder Krieg.

Und damit kom­men wir zur gest­ri­gen Bericht­erstat­tung von Bild.de über die Oscar-Ver­lei­hung und den deut­schen Anti­kriegs­film „Im Wes­ten nichts Neu­es“:

Holen wir heute unseren größten Oscar aller Zeiten?

Das ist kom­po­si­to­risch schon nah an der Per­fek­ti­on (wenn man unter „Per­fek­ti­on“ auch Din­ge ver­steht wie eine über­lau­fen­de Toi­let­te, die die gan­ze Woh­nung in Mit­lei­den­schaft zieht): der Sol­dat mit Stahl­helm; das fröh­lich dumm­stol­ze Stammtisch-„Wir“, das „Bild“ immer her­vor­holt, wenn gera­de Fuß­ball-WM ist oder ein Papst gewählt wird; die For­mu­lie­rung an sich – und natür­lich das Gold drum­her­um.

Im Arti­kel fasst der Bild.de-Autor sei­ne Ein­drü­cke vom Film so zusam­men:

Die Regie geni­al. Die Kame­ra anbe­tungs­wür­dig. Das Sze­nen­bild: Ein­fach nur krass.

„Okay“, hät­te ich gesagt. „Das pas­siert, wenn man Berufs­ein­stei­ger um die 25 Tex­te schrei­ben lässt: Die Spra­che ist etwas umgangs­sprach­li­cher und sie ver­wen­den aus Ver­se­hen For­mu­lie­run­gen, für die ihnen im ent­schei­den­den Moment die Gold­waa­gen-App auf dem Smart­phone fehlt.“

Stellt sich raus: Der Text ist von Bild.de-Redakteur Ralf Pör­ner. Und der müss­te inzwi­schen 60 sein.

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Bei Bild.de kann man was erleben

ozy.com ist eines die­ser sehr bun­ten, sehr ega­len Inter­net­por­ta­le mit wil­den Anris­sen und wenig Inhalt. Oder, wie Mathi­as Döpf­ner es nennt: „ein über­zeu­gen­des Bei­spiel für attrak­ti­ven digi­ta­len Jour­na­lis­mus“. Döpf­ner ist Vor­stands­vor­sit­zen­der der Axel Sprin­ger SE und in die­ser Funk­ti­on Mit­glied im Ver­wal­tungs­rat von OZY, in das Sprin­ger ganz gut inves­tiert hat.

Euge­ne S. Robin­son ist der „Dr. Som­mer“ von OZY, der Sex-Onkel, dem (angeb­li­che) Leser (angeb­li­che) Zuschrif­ten über ihre (angeb­li­chen) Erfah­run­gen, Mei­nun­gen und Sor­gen zum The­ma zukom­men las­sen, und die er mal lau­nig und meist sehr rät­sel­haft beant­wor­tet.

In sei­ner aktu­el­len Kolum­ne bit­tet eine Frau um Rat, die schreibt, gemein­sam mit einer ande­ren Frau im Hotel­zim­mer eines „berühm­ten Komi­kers, der nicht Bill Cos­by heißt und von allen geliebt wird“ gewe­sen zu sein:

We get to his room and we’re drin­king and having a good time, and he says out of the blue, „Do you gals mind if I jerk off?“ We laug­hed, becau­se we thought he was joking, until he pul­led it out and star­ted mas­tur­ba­ting. At this point, we moved to lea­ve quick­ly. He stood in front of the door and said, „Not until I finish.“ When he finis­hed, he moved and we left.

Die (angeb­li­chen) Frau­en sei­en sich unsi­cher, was ihnen da eigent­lich genau wider­fah­ren sei, schreibt die (angeb­li­che) Ver­fas­se­rin.

Robin­son ver­sucht sich an einer Ein­ord­nung und erhält von einem (angeb­li­chen) Poli­zis­ten die­se (angeb­li­che) Ant­wort:

„It’s a crime in Cali­for­nia. It’s a 236 PC, fal­se impri­son­ment, and may­be a 314 PC, inde­cent expo­sure. But the most important ques­ti­on is, did he have a freck­led dick?“

(Sie ahnen viel­leicht, war­um die Lek­tü­re die­ser Sei­te nicht zu mei­nem täg­li­chen Frei­zeit­ver­gnü­gen gehört.)

Robin­sons Text endet so:

Cri­mi­na­li­ty asi­de, I am going to gam­ble that no one’s ever writ­ten a let­ter like this about Brad Pitt. And not becau­se Brad Pitt has­n’t not done this eit­her. If you know what I mean.

Ooooo­kay …

Nach­dem wir uns alle geduscht und gesam­melt haben, schau­en wir mal, wie Bild.de die­se (angeb­li­che) Geschich­te über einen Vor­fall, der nach deut­schem Straf­recht mit bis zu einem Jahr Frei­heits­stra­fe geahn­det wer­den könn­te, auf der eige­nen Start­sei­te bewirbt:

Mein Sex-Erlebnis mit einem Promi

Nach­trag, 30. Okto­ber: Auf Twit­ter weist Brit­scil­la dar­auf hin, dass der vor­geb­li­che Brief an Euge­ne S. Robin­son erstaun­li­che Par­al­le­len zu einer Geschich­te auf­weist, die Gaw­ker schon vor drei­ein­halb Jah­ren auf­ge­schrie­ben hat­te.

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„New York Times“ richtet „Wetten dass ..?“ hin

Es reicht den deut­schen Medi­en nicht, über „Wet­ten dass ..?“ zu schrei­ben, wenn eine neue Aus­ga­be der Sams­tag­abend­show ansteht, live gesen­det wird oder gera­de aus­ge­strahlt wur­de. Die Zeit zwi­schen den Sen­dun­gen wird mit der Wie­der­auf­be­rei­tung weit­ge­hend bekann­ter Fak­ten gefüllt oder – ganz aktu­ell – mit der Sen­sa­ti­ons­mel­dung, dass nun sogar die „New York Times“ über die Sen­dung geschrie­ben habe.

Das „Han­dels­blatt“ erklärt in sei­ner Online-Aus­ga­be, die „Times“ „ver­rei­ße“ die Sen­dung, laut Bild.de („Mögen die Amis unse­re Shows nicht?“) und „Spie­gel Online“ „läs­tert“ die „Times“ und stern.de nennt den Arti­kel „wenig schmei­chel­haft“.

Nun kann es natür­lich an mir lie­gen, aber ich fin­de in dem Arti­kel „Stu­pid Ger­man Tricks, Wea­ring Thin on TV“ vom Ber­lin-Kor­re­spon­den­ten Nicho­las Kulish wenig, mit dem sich die­se fröh­li­chen Eska­la­tio­nen („Nanu, was haben die Amis bloß gegen ‚Wet­ten, dass..?‘ “, Bild.de) begrün­den las­sen. Aber ich hat­te ja schon nicht ganz ver­stan­den, wo genau Tom Hanks und Den­zel Washing­ton nach ihren Auf­trit­ten über die Sen­dung „geläs­tert“ haben sol­len: Hanks hat­te gesagt, er ver­ste­he die Sen­dung nicht, und Washing­ton hat­te erklärt, die Sen­dung sei ein „Show­for­mat aus einer ande­ren Zeit“. Wer das ernst­haft bestrei­tet, hat die Sen­dung noch nie gese­hen – was ihn natür­lich ander­seits dafür qua­li­fi­zie­ren wür­de, im Inter­net sei­ne Mei­nung dar­über kund zu tun.

Nun zieht also Kulish angeb­lich über die Sen­dung her, auch wenn sich sein Arti­kel für mich wie eine leicht fas­sungs­lo­se Sze­ne­rie­be­schrei­bung liest, die mit ein paar Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen und Zita­ten ver­se­hen wur­de. „Repor­ta­ge“ hät­ten wir das frü­her in der Schu­le genannt.

„Spie­gel Online“ schreibt:

In dem Arti­kel bekom­men alle – Mar­kus Lanz, die Wet­ten und auch die Live-Dol­met­scher – ihr Fett weg. Vor allem über das Herz­stück der Show, die Wet­ten, mokiert sich Kulish: „Schrul­lig“ nennt er sie und ver­gleicht sie mit „Stu­pid Human Tricks“, einem bekann­ten Ele­ment aus David Let­ter­mans „Late Night Show“, das aller­dings dort eine weni­ger gro­ße Bedeu­tung hat – und iro­nisch gemeint ist.

Noch mal: Es kann alles an mir lie­gen. Mir fehlt offen­bar das für Jour­na­lis­ten not­wen­di­ge Gen, in jedem Ereig­nis einen Eklat, in jedem Adjek­tiv eine Wer­tung und in allem, was ich nicht ver­ste­he, den Unter­gang des Abend­lan­des zu wit­tern. Aber ist „schrul­lig“ („wacky“) wirk­lich so ein wirk­mäch­ti­ges Qua­li­täts­ur­teil oder ist es nicht ein­fach eine Beschrei­bung des­sen, was da vor sich geht? Ich mei­ne: In der betref­fen­den Sen­dung ver­such­te offen­bar ein Mann mit einem Gabel­stap­ler, Mün­zen in eine Milch­fla­sche zu bewe­gen!

Aber wei­ter im Text:

Lanz selbst muss in dem Arti­kel mit eher wenig Platz aus­kom­men – und ohne ein Zitat. […]

Neben meh­re­ren deut­schen Medi­en – auch DER SPIEGEL wird aus­gie­big zitiert – kommt in dem „NYT“-Artikel auch Film- und TV-Regis­seur Domi­nik Graf zu Wort, als ein­zi­ger Bran­chen­ma­cher.

Hier die Nicht-Zita­te von Mar­kus Lanz:

„Some peo­p­le say that if any­thing could sur­vi­ve a nuclear strike, it would be cock­roa­ches and ‚Wet­ten, Dass …?,‘ “ said its host, Mar­kus Lanz, in an inter­view after the show wrap­ped. […]

„If only the Greeks were so careful with their money,“ Mr. Lanz said.

Und hier die aus­führ­li­chen „Spiegel“-Zitate:

Com­pli­ca­ting mat­ters fur­ther, the lea­ding Ger­man news­ma­ga­zi­ne, Der Spie­gel, repor­ted last month that Mr. Gottschalk’s brot­her may have had ques­tionable busi­ness dealings with seve­ral com­pa­nies who­se pro­ducts appeared on the show. […]

Der Spie­gel asked in its latest issue, „Why are Ger­mans the only ones slee­ping through the future of TV?“ The maga­zi­ne cal­led Ger­man pro­grams „fain­the­ar­ted, harm­less, pla­ce­bo tele­vi­si­on.“

Der, wie ich fin­de, schöns­te Satz aus Kulishs durch­aus lesens­wer­tem Arti­kel wird lei­der nir­gends zitiert. Dabei fasst er den Gegen­stand viel­leicht am Bes­ten zusam­men:

On a giant screen over­head a mon­ta­ge of movie clips show­ed the young film star Mat­thi­as Schweighöfer’s bare backside.

Mit Dank auch an Ulli.

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Rundfunk Digital

Diese Überschrift führt in die Irre

Herr der Quiz-Fragen starb mit 49! Günther Jauch: Sein Tod hat uns alle schockiert
Geben Sie’s zu: Für einen Augen­blick dach­ten Sie auch, Sie hät­ten die Nach­richt des Wochen­en­des ver­passt.

Doch anders als die­ser Bild.de-Screenshot vom Frei­tag sug­ge­riert, ist Gün­ther Jauch nicht tot. Gestor­ben ist Gün­ter Schrö­der, Grün­der und Geschäfts­füh­rer der Fir­ma Mind The Com­pa­ny, die sich die Fra­gen für „Wer wird Mil­lio­när?“ und ande­re Quiz­shows aus­denkt. Und scho­ckiert ist dies­mal nicht die „Bild“-Redaktion oder „ganz Deutsch­land“, das „uns“ ist Teil eines Zitats von Gün­ther Jauch.

Wer den Arti­kel liest, erfährt das auch alles. Nach dem ers­ten Schreck.

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Digital

Hoch im Interkurs

Ich weiß nicht, mit wel­chem Com­pu­ter­pro­gramm die Leu­te bei stylebook.de („Powered by Bild.de“) ihre Tex­te so aus dem Eng­li­schen über­tra­gen las­sen, aber irgend­et­was sagt mir, dass es aus der Schweiz stammt:

Darum geht es im Film: Der brotlose Ex-Soldat George Duroy (Pattinson) begibt sich in das Wirrwarr eines Pariser Verlagshauses. Um zu Einfluss und Macht zu gelangen, bezirzt er drei Damen (Uma Thurman, Christina Ricci und Kristen Scott Thomas). Dabei schreckt er auch nicht vor sexuellem Interkurs mit den verheirateten (!) Frauen zurück.

Mit Dank an Harald M.

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Warum „Bild“ wohl über Herzog herzog?

Irgend­wann wird „Bild“ in der Rubrik „Ver­lie­rer des Tages“ mal über irgend­ei­ne Per­son schrei­ben: „XXX wur­de in einer gro­ßen deut­schen Bou­le­vard­zei­tung zum Ver­lie­rer des Tages erklärt. BILD meint: Zu Recht“

Bis es soweit ist, begnügt sich die Zei­tung mit sol­chen Vari­an­ten:

Verlierer: Kult-Regisseur Werner Herzog (69, "Fitzcarraldo") wurde in der Schule die Liebe zur Musik (vorerst) ausgetrieben. Fast eine Stunde habe der Lehrer ihn vor der Klasse stehen lassen, um ihn zum Singen zu zwingen. "Ich sang und schwor mir, nie wieder zu singen", verriet Herzog der "Zeit". BILD meint: Has(s)t du Töne?!

Das ergibt unge­fähr gar kei­nen Sinn. Nach der glei­chen Logik könn­te „Bild“ einem Kriegs­heim­keh­rer sein Kriegs­trau­ma vor­wer­fen oder einem Fern­seh­mo­de­ra­tor, des­sen ver­meint­li­ches Pri­vat­le­ben in der Bou­le­vard­pres­se aus­ge­brei­tet wur­de, des­sen Abnei­gung gegen­über der sel­bi­gen.

Es gibt auch kei­nen Anhalts­punkt, war­um „Bild“ Her­zog heu­te einen aus­wi­schen kön­nen woll­te: Im (hoch­gra­dig ver­stö­ren­den) „Zeit“-Artikel äußert sich der Regis­seur nicht über die Zei­tung oder Frie­de Sprin­ger, ja gera­de ges­tern war bei Bild.de anläss­lich des 20. Todes­ta­ges von Klaus Kin­ski noch ein Inter­view mit Her­zog erschie­nen.

Auch ein Blick ins „Bild“-Archiv macht nicht schlau­er, för­der­te aber eine schö­ne Bild­un­ter­schrift vom 23. April 2010 zuta­ge:

Alt-Bun­des­prä­si­dent Wer­ner Her­zog mit sei­ner Frau Alex­an­dra Frei­frau von Ber­li­chin­gen

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Digital Gesellschaft

„Nazi“ und „Papst“ gehen immer

Län­ger kei­nen Nazi-Ver­gleich mehr im Blog gehabt …

Abhil­fe schafft da die Schau­spie­le­rin Sus­an Saran­dan, seit jeher poli­tisch aktiv. Sie hat­te sich laut „News­day“ in einem Inter­view mit ihrem Schau­spiel-Kol­le­gen Bob Bala­ban am Wochen­en­de wie folgt geäu­ßert:

She was dis­cus­sing her 1995 film „Dead Man Wal­king,“ based on the anti-death-penal­ty book by Sis­ter Helen Pre­jean, a copy of which she sent to the pope.

„The last one,“ she said, „not this Nazi one we have now.“ Bala­ban gent­ly tut-tut­ted, but Saran­don only repea­ted her remark.

Die deut­schen Medi­en grif­fen den Ver­gleich mit mehr als 24-stün­di­ger Ver­spä­tung auf und hat­ten somit den Vor­teil, die (erwart­ba­re) Empö­rung gleich mit­neh­men zu kön­nen:

Die jüdi­sche Anti-Defa­ma­ti­on League bezeich­ne­te die mut­maß­li­che Bemer­kung als „ver­stö­rend, schwer belei­di­gend und voll­kom­men unan­ge­bracht“. Die Bür­ger­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on Catho­lic League for Reli­gious and Civil Rights nann­te den angeb­li­chen Kom­men­tar „obs­zön“.

In ganz eige­ne Sphä­ren schraubt sich „Spie­gel Online“ mit dem Remix einer Reu­ters-Mel­dung. Schon im Vor­spann ver­sucht sich der Autor an einer Art Meta-Ver­gleich:

Will­kom­men in der Lars-von-Trier-Liga für ent­gleis­te Film-Grö­ßen: Die Schau­spie­le­rin Sus­an Saran­don hat Papst Bene­dikt auf einem Film­fes­ti­val in New York als Nazi bezeich­net. Ihr Inter­view­part­ner ver­such­te, Schlim­me­res zu ver­hin­dern.

Und wenn Sie jetzt sagen: „Hä? Lars von Trier hat­te doch in einem irr­lich­tern­den Gedan­ken­strom irgend­wel­che pro­mi­nen­ten Ver­tre­ter des Drit­ten Reichs genannt und sich dann, gleich­sam als Poin­te der Pro­vo­ka­ti­on, selbst als ‚Nazi‘ bezeich­net. Das hat ja wohl außer dem Wort ‚Nazi‘ (und der damit ver­knüpf­ten erwart­ba­ren Empö­rung) nichts mit dem aktu­el­len Fall zu tun!“, dann bewei­sen Sie damit nur, dass Sie nicht für „Spie­gel Online“ arbei­ten könn­ten.

Der Arti­kel schließt näm­lich mit die­sen Sät­zen:

Saran­don wird nun in den kom­men­den Tagen erfah­ren, wie sehr sich die Öffent­lich­keit an Nazi-Ver­glei­chen von Pro­mi­nen­ten abar­bei­tet. Der däni­sche Regis­seur Lars von Trier hat­te sich auf den Film­fest­spie­len in Can­nes erfolg­reich um Kopf und Kra­gen gere­det und Sym­pa­thie für Adolf Hit­ler bekun­det. Nach einem Empö­rungs­t­s­una­mi ermit­telt nun sogar die Staats­an­walt­schaft.

Nun könn­ten die Fäl­le von Saran­don und von Trier kaum wei­ter von­ein­an­der ent­fernt sein: Bei der einen ist es ein Skan­dal, weil sie den ehren­wer­ten Bene­dikt XVI. recht unspe­zi­fisch einen „Nazi“ gehei­ßen hat, beim ande­ren war es ein Skan­dal, weil er Hit­ler und Speer gelobt und sich dann auf der Suche nach einem Aus­gang aus dem rhe­to­ri­schen Füh­rer­bun­ker in die Selbst­be­zich­ti­gung als „Nazi“ zu ret­ten ver­sucht hat­te.

Aber viel­leicht meint „Spie­gel Online“ mit dem ver­un­glück­tes­ten Nazi-Ver­gleichs­ver­gleich aller Zei­ten ja etwas ganz ande­res: „Sag ein­fach mal öfter ‚Nazi‘, und wir schrei­ben auch wie­der über Dich!“

Nach­trag, 18 Uhr: Bild.de bemüht sich über­ra­schen­der­wei­se um ein wenig Rela­ti­vie­rung:

Nun muss man wis­sen, dass im US-ame­ri­ka­ni­schen Wort­schatz die Bezeich­nung „Nazi“ auch für kal­te, herr­sche­ri­sche Per­son gebraucht wird – aller­dings bleibt ein fah­ler Bei­geschmack, der bei Bill Dono­hue, Prä­si­dent der katho­li­schen Liga, für Empö­rung sorgt.

Am Ende dreht dann aber auch die­ser Arti­kel ab:

Wie schnell die Bezeich­nung „Nazi“ nach hin­ten los­ge­hen kann, zeig­te sich im Mai bei den Film­fest­spie­len in Can­nes. Star-Regis­seur Lars von Trier (55, „Melan­cho­lia“) mit Hit­ler-freund­li­chen Äuße­run­gen nicht nur für einen Skan­dal, son­dern auch für sei­nen Aus­schluss vom renom­mier­ten Fes­ti­val gesorgt.

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Jugend hetzt

Bild gibt den Pleite-Griechen die Drachmen zurück

Ich ken­ne Paul Ron­z­hei­mer nicht per­sön­lich. Er ist Redak­teur im Par­la­ments­bü­ro der „Bild“-Zeitung. Heu­te wird er gemein­sam mit sei­nem Kol­le­gen Niko­laus Blo­me den mit 10.000 Euro dotier­ten Her­bert Quandt Medi­en-Preis für ihre gemein­sa­me Arti­kel-Serie „Geheim­ak­te Grie­chen­land“ erhal­ten. (Mehr dazu bei Ste­fan Nig­ge­mei­er.)

Das alles wäre ange­denk der Grie­chen­land-Bericht­erstat­tung von „Bild“ schon bizarr genug, aber Ron­z­hei­mer ist ein paar Jah­re jün­ger als ich. Wie die meis­ten Jung­jour­na­lis­ten begann auch Ron­z­hei­mer sei­ne Kar­rie­re bei einer Regio­nal­zei­tung, in sei­nem Fall der „Emder Zei­tung“, sei­nen ers­ten Auf­tritt vor einem Mil­lio­nen­pu­bli­kum hat­te er im Febru­ar 2005 im „Quiz mit Jörg Pila­wa“ im ARD-Vor­abend. Anschlie­ßend muss er auf die schie­fe Bahn gera­ten sein, denn vom Janu­ar bis Juni 2008 besuch­te er die Axel Sprin­ger Aka­de­mie.

Bei Sprin­ger mach­te er als­bald Kar­rie­re: Mit Anfang Zwan­zig frag­te er einen drei­mal so alten Jugend­for­scher, wie „die Jugend von heu­te“ denn so ticke, nach einem hal­ben Jahr bei „Welt kom­pakt“ wech­sel­te er zu „Bild“. Ers­te Meri­ten erwarb er sich dort, als er mit einer Kol­le­gin den dama­li­gen SPD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Jörg Tauss ins „Bild-Ver­hör“ nahm, gegen den damals wegen des Besit­zes von kin­der­por­no­gra­phi­schem Mate­ri­al ermit­telt und der spä­ter des­we­gen ver­ur­teilt wur­de. Auf dem Höhe­punkt der Dis­kus­si­on um die soge­nann­ten Inter­net­sper­ren (die Älte­ren wer­den sich erin­nern) stell­te Ron­z­hei­mer Tauss dann als durch­ge­knall­ten Per­vers­ling dar und trug so zur Stim­mungs­ma­che von „Bild“ für die heu­te längst ver­ges­se­nen Plä­ne der dama­li­gen Bun­des­fa­mi­li­en­mi­nis­te­rin Ursu­la von der Ley­en bei.

Vor­läu­fi­ger Höhe­punkt von Ron­z­hei­mers noch jun­ger Kar­rie­re bei „Bild“ (und damit ein Tief­punkt für die deutsch-grie­chi­schen Bezie­hun­gen und die Rol­le des Jour­na­lis­mus in Deutsch­land) war der Tag, an dem er „den Plei­te-Grie­chen die Drach­men zurück“ gab. Da stand er auf dem Athe­ner Omo­nia-Platz und wedel­te mit Drach­men-Schei­nen im Gegen­wert von 30 Euro.

Und das Irre: Vie­le jubeln und rei­ßen sich dar­um…

In der Per­son Ron­z­hei­mers, der zu die­sem Zeit­punkt schon eini­ge Drecks­ar­beit für die Volks­ver­het­zungs-Taskforce von „Bild“ erle­digt hat­te, über­schritt die Zei­tung an jenem Tag end­gül­tig die Gren­ze zwi­schen Bericht­erstat­ter und Akteur. Es war ein „wir“ („Bild“, Deutsch­land, die Guten) gegen ein „die“ (die Plei­te-Grie­chen) gewor­den, dar­an ließ der Schluss sei­nes „Arti­kels“ kei­ne Zwei­fel:

Seit Tagen spe­ku­lie­ren grie­chi­sche und eng­li­sche Zei­tun­gen dar­über, dass die „Bank of Greece“ angeb­lich bereits ein Not­pro­gramm zur Rück­kehr zur Drach­me vor­be­rei­tet.

Das wäre auch für unse­ren Euro das Bes­te …

Ron­z­hei­mers Arbeit blieb nicht fol­gen­los:

Auch BILD.de-Reporter Paul Ron­z­hei­mer bekam die Anti-Stim­mung vie­ler Grie­chen zu spü­ren. Vie­le sind sau­er auf die Deut­schen, blaff­ten ihn in Athen an.

Einer droht mit der Faust, brüllt: „Ver­schwin­det hier!“ Ein ande­rer: „Ihr Deut­schen wollt uns doch am Abgrund sehen…“

Und über das Inter­net bekommt der Repor­ter seit Tagen dut­zen­de Hass-Emails. Der Inhalt: Immer wie­der NS-Ver­glei­che…

Neben sei­nen inten­si­ven Abriss­ar­bei­ten am deutsch-grie­chi­schen Ver­hält­nis und einem Aus­flug zu den inter­es­san­ter­wei­se nicht so genann­ten Plei­te-Iren fand Ron­z­hei­mer noch die Zeit, isla­mo­pho­be Inter­es­sen zu bedie­nen: Im Okto­ber 2010 berich­te­te er im Rah­men der „Bild“-Serie „Wenn Mul­ti-Kul­ti zum Irr­sinn wird“ über den „Islam-Miet­ver­trag“ für ein Ber­li­ner Hoch­haus. Weil die mus­li­mi­schen Besit­zer der Geschäfts­im­mo­bi­lie ihren poten­ti­el­len Mie­tern „Glücks­spie­le …, Pro­sti­tu­ti­on, Ver­kauf, Pro­duk­ti­on, Ver­trieb oder Ver­mark­tung von Alko­hol oder Schwei­ne­fleisch, zins­ba­sier­tes Bank­ge­schäft, Finanz­ge­schäf­te oder Finanz­dienst­leis­tun­gen sowie Ver­si­che­rungs­ge­schäft, mit Aus­nah­me von Ver­si­che­run­gen auf Gegen­sei­tig­keit“ unter­sag­ten, brüll­te Ron­z­hei­mer staats­tra­gend in die Welt:

Es ist ein Fall, der viel­leicht mehr über Inte­gra­ti­on in Deutsch­land ver­rät als alle Poli­ti­ker-Dis­kus­sio­nen zusam­men.

IN BERLIN GIBT ES JETZT DEN ERSTEN MIETVERTRAG MIT ISLAM-KLAUSEL!

Was genau sol­che Auf­la­gen „über Inte­gra­ti­on in Deutsch­land“ ver­ra­ten, ver­riet Ron­z­hei­mer dann zwar nicht, dafür muss­te er sich vom Deut­schen Mie­ter­bund erklä­ren las­sen, dass der Ver­mie­ter einer gewerb­lich genutz­ten Immo­bi­lie „alle mög­li­chen Bedin­gun­gen stel­len“ darf. Die öffent­li­che Ord­nung oder die freie Markt­wirt­schaft schei­nen dadurch nicht wirk­lich in Gefahr, denn „in dem Gebäu­de in Ber­lin sind meh­re­re Eta­gen nicht belegt“.

Im Dezem­ber durf­te Ron­z­hei­mer mit den ein­schlä­gig erfah­re­nen Kol­le­gen Rolf Klei­ne und Gui­do Bran­den­burg wild, aber ahnungs­los auf der ARD rum­ha­cken, weil die „aus­ge­rech­net kurz vor Weih­nach­ten“ (also am 8. Juni) die Aus­strah­lung ihres Pro­gramms über den Satel­li­ten Hot­bird ein­ge­stellt hat­te und die deut­schen Sol­da­ten in Afgha­ni­stan „nur noch in die Röh­re“ schau­en konn­ten.

Ron­z­hei­mers bis­he­ri­ges Lebens­werks erweckt nicht unbe­dingt den Ein­druck, als sei er jemand, der sich über­mä­ßig für Details oder grö­ße­re Zusam­men­hän­ge inter­es­siert. Damit wäre er bei „Bild“ frei­lich nur einer unter vie­len, aber Ron­z­hei­mer ist gera­de mal 25 Jah­re alt. Und da setzt mei­ne Vor­stel­lungs­kraft aus.

Was bringt jeman­den, der bei Face­book angibt, die „Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung“, den „Inde­pen­dent“, „Guar­di­an“, die „New York Times“ und den „New Yor­ker“ zu mögen (wit­zi­ger­wei­se aber auch „Grie­chen­land Zei­tung, Athens News, Ber­lin, Breath­ta­king Athens (All about Tra­vel /​ Visit Athens ), Greece“), dazu, in Euro­pas größ­ter Bou­le­vard­zei­tung Halb­wahr­hei­ten und plum­pe Het­ze zu ver­brei­ten? In einem Alter, in dem die meis­ten ande­ren Men­schen kei­ne Tages­zei­tung lesen? Laut Tarif­ver­trag ver­dient ein Redak­teur im 1. bis 3. Berufs­jahr fast 3.000 Euro brut­to, aber das allein kann doch kei­ne Erklä­rung sein.

Man muss ja noch nicht mal Max Goldt bemü­hen, der jeden, „der zu die­ser Zei­tung bei­trägt“, als „gesell­schaft­lich abso­lut inak­zep­ta­bel“ bezeich­net hat­te, denn es ist ja nicht nur der Umstand, dass Ron­z­hei­mer für „Bild“ arbei­tet, son­dern vor allem das wie. Man wüss­te zu ger­ne, was in ihm vor­ging, als er da in Athen stand und „mit Drach­men-Schei­nen wedel­te wie mit Bana­nen vor Affen im Zoo“ (Mich­a­lis Pan­te­lou­ris). Ich wüss­te gern, ob sei­ne Eltern stolz sind auf das, was ihr Sohn da macht, oder ob sie sich für ihn schä­men. Ich mei­ne: 25, das ist jün­ger als mei­ne klei­ne Schwes­ter!

Mein Welt­bild lässt es zuge­ge­be­ner­ma­ßen schon nur schwer zu, dass Men­schen unter 80 in die Jun­ge Uni­on oder bei den Jung­li­be­ra­len ein­tre­ten und ihre hoch­schul­po­li­ti­schen Metz­ger damit nicht nur wäh­len, son­dern sel­ber Teil davon sind. Ande­rer­seits ver­zei­he ich jedem hoch­ta­len­tier­ten Jung­fuß­bal­ler einen Wech­sel zum FC Bay­ern, auch wenn sich die wenigs­ten dort durch­set­zen. Aber ein Kerl wie Ron­z­hei­mer, der lässt mich völ­lig rat­los zurück. Er ist ja offen­sicht­lich nicht dumm, man muss also anneh­men, dass er sehr genau weiß, an was für men­schen­ver­ach­ten­den, bös­wil­li­gen Kam­pa­gnen er da flei­ßig mit­ar­bei­tet.

Mehr noch: Ron­z­hei­mer scheint sich bei sei­ner Arbeit ja rich­tig wohl zu füh­len. Was treibt die­sen offen­sicht­lich Getrie­be­nen an? Woher kommt sein Hass auf die Grie­chen? Oder hat er gar kei­nen Hass und hetzt nur gegen das gan­ze Volk, weil er es kann – und bei „Bild“ auch soll? Und wäre letz­te­res nicht sogar noch schlim­mer?

Vor rund zwan­zig Jah­ren gab es bei „Bild“ schon mal einen jun­gen Über­flie­ger mit läs­si­ger Fri­sur und sty­li­scher Bril­le. Sein Name: Kai Diek­mann. Vor Paul Ron­z­hei­mer liegt womög­lich eine gro­ße Zukunft.

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About A Girl

Okay, das war schon blöd von Bild.de, auf den gefake­ten Twit­ter-Account von Emin­ems Toch­ter rein­zu­fal­len. Und hin­ter­her zu berich­ten, dass alle, inklu­si­ve man selbst, auf die Fäl­schung rein­ge­fal­len ist, den Ursprungs­ar­ti­kel aber unver­än­dert online zu las­sen, ist auch nicht so rich­tig cle­ver.

Was ich per­sön­lich aber haar­sträu­bend däm­lich fand, ist eine ganz ande­re Sache. Beim lus­ti­gen Rät­sel­spaß, um wes­sen Toch­ter es sich denn han­deln kön­ne, hat Bild.de auch Kurt Cobain im Ange­bot:

Handelt es sich bei dem gesuchten Papa um die verstorbene Rock-Legende Kurt Cobain († 28)?

28?!?

Jedes Kind (also: jedes Kind, das allei­ne auf dem Schul­hof steht, weil es unglaub­lich uncool und nerdig ist, aber in zehn Jah­ren sau­cool sein wird, wäh­rend die heu­te coo­len Kin­der dann mit Anzug und Kra­wat­te an ihrem Schreib­tisch in der Spar­kas­se hocken) weiß, dass Kurt Cobain zum „Club 27“ gehört und dem­nach – eben­so wie Jimi Hen­drix, Jim Mor­ri­son, Janis Jop­lin und Bri­an Jones – mit 27 gestor­ben ist.

Ich beto­ne das auch, weil ich seit Novem­ber älter bin, als Kurt Cobain je gewor­den ist.

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Dem „Spiegel“ weht eine steife Hybrise ins Gesicht

Vor sechs Wochen schrieb ich hier im Blog, es hand­le sich bei „The Euro­pean” um ein „kon­ser­va­ti­ves Inter­net­ma­ga­zin, des­sen erklär­tes Ziel es ist, inner­halb der nächs­ten Jah­re so wich­tig zu wer­den, wie es sich selbst seit dem ers­ten Tag nimmt“.

Damit lag ich anschei­nend falsch: „The Euro­pean“ sieht sich selbst nicht als kon­ser­va­tiv, son­dern als Platt­form, auf der die „gro­ßen gesell­schaft­li­chen Debat­ten“ „dis­kur­siv“ „ver­han­delt“ wer­den, wie Chef­re­dak­teur Alex­an­der Gör­lach im Namen der Redak­ti­on klar­stell­te. Außer­dem ist „The Euro­pean“ bereits wich­tig – womög­lich sogar, und das ist die eigent­li­che Sen­sa­ti­on, noch wich­ti­ger, als es sich selbst nimmt.

Jeden­falls hat Chef­re­dak­teur Alex­an­der Gör­lach ges­tern (offen­bar nur in sei­nem eige­nen Namen) erklärt:

SPIEGEL fürchtet die Konkurrenz von The European

Huch! Ein Blatt mit mehr als 60-jäh­ri­ger Tra­di­ti­on, das von vie­len aus Gewohn­heit immer noch für ein füh­ren­des Nach­rich­ten­ma­ga­zin gehal­ten wird, hat Angst vor einem … äh: „Blog“, das seit sech­zehn Mona­ten am Start ist? Also qua­si das Face­book des Pole­mi­sie­rens Mei­nungs­jour­na­lis­mus?

Scheint so:

Gan­ze vier Kolum­nen durf­te Mat­thi­as Matus­sek für uns schrei­ben. Die Chef­re­dak­ti­on des Maga­zins hat ihm, so ver­lau­te­te aus Krei­sen des Nach­rich­ten­blat­tes, wei­te­re Publi­ka­tio­nen als Kolum­nist auf The Euro­pean ver­bo­ten. Begrün­dung: The Euro­pean sei ein direk­ter Kon­kur­rent des Ham­bur­ger Nach­rich­ten­por­tals. Das ehrt The Euro­pean natür­lich. Wir grü­ßen die Ham­bur­ger Kol­le­gen.

Das „Ver­bot“ dürf­te vor allem eine arbeits­recht­li­chen Hin­ter­grund haben: Ein Redak­teur darf nicht ein­fach für ein Medi­um arbei­ten, das ver­gleich­ba­re Inhal­te anbie­tet – egal, wie groß oder klein, wich­tig oder egal es ist. Gör­lach sieht das erwar­tungs­ge­mäß anders:

Uns zeigt die ner­vö­se Reak­ti­on des Medi­en­rie­sen, dass uns der Wurf eines Online-Maga­zins, das aus­schließ­lich auf poin­tier­ten Mei­nungs- und Debat­ten­jour­na­lis­mus setzt, gelun­gen ist.

Seit Sep­tem­ber 2010 stellt Gör­lach für Bild.de übri­gens den „Blog-Radar“ zusam­men, in dem er zusam­men­fasst, was „das Netz“ (also meis­tens die Autoren von „The Euro­pean“) von die­sem oder jenen The­ma hal­ten. So berich­te­te er im Novem­ber bei­spiels­wei­se, das „Netz“ lau­fe „Sturm gegen Abzo­cke bei Weih­nachts­lie­dern“, und schloss sich damit der erschre­cken­den Ahnungs­lo­sig­keit vie­ler Medi­en an. Sein „Blog-Radar“ vom 2. Dezem­ber war dann bis heu­te der letz­te. Womög­lich schei­nen sie bei „The Euro­pean“ Bild.de noch als Kon­kur­renz zu betrach­ten. Immer­hin.

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und Sprite

Die Über­schrift des Tages (wenigs­tens, nach­dem Bild.de das syn­tak­tisch unglück­li­che „Geert Wil­ders – Hass-Pre­di­ger for­dert sei­ne Ent­haup­tung“ geän­dert hat), ent­neh­men wir heu­te der Web­site des Dort­mun­der Musik­ma­ga­zins „Visi­ons“:

Korn - eine Band im Kornfeld

Da kann man sich vor­stel­len, wie der Zet­tel aus­sah, auf dem die Alter­na­tiv­vor­schlä­ge stan­den:

  • Immer, wenn ich trau­rig bin
  • Das letz­te Ein­korn
  • Korn In The U.S.A.
  • Rock­korn
  • Kor­ned Beef
  • irgend­was mit blin­den Hüh­nern

Nach­trag, 16.40 Uhr: Tag, Abend, …

Schiller als Chiller

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Wer kann am längsten?

Das mit den Charts ist natür­lich sowie­so so eine Sache: Bis vor weni­gen Jah­ren wur­den die Hit­pa­ra­den der meist­ver­kauf­ten Ton­trä­ger noch mit Hil­fe der Kno­chen von im Mond­licht geschlach­te­ten Hüh­nern errech­net. Mitt­ler­wei­le lis­ten sie tat­säch­li­che Ver­käu­fe auf, aber was drückt das schon aus, solan­ge die abso­lu­ten Zah­len geheim gehal­ten wer­den und man in man­chen Wochen angeb­lich schon mit drei­stel­li­gen Absatz­zah­len in die Top 100 kommt?

Die­se Woche wur­de den­noch eine klei­ne Sen­sa­ti­on gefei­ert: Die Band Unheil…

Moment, bevor ich wei­ter­schrei­be: Ich habe kei­ne Ahnung, wer oder was Unhei­lig ist oder wie ihre Musik klingt. Die Sin­gle „Gebo­ren um zu Leben“, die angeb­lich über Wochen die Charts und die Radio­sta­tio­nen domi­niert hat und in die­ser Zeit meh­re­re Mil­li­ar­den Male gekauft wur­de, habe ich ein ein­zi­ges Mal ver­se­hent­lich im Musik­fern­se­hen gese­hen. Ich fand’s nicht gut, aber auch zu egal, um mich dar­über auf­zu­re­gen, solan­ge es noch Revol­ver­held gibt.

Unhei­lig jeden­falls ist eine klei­ne Sen­sa­ti­on gelun­gen: 15 Mal stand ihr Album „Gro­ße Frei­heit“ auf Platz 1 der deut­schen Charts – ein Mal öfter als Her­bert Grö­ne­mey­ers „Ö“ von 1988.

Wich­tig ist hier das Wört­chen „öfter“, denn wäh­rend Grö­ne­mey­er 14 Wochen am Stück die Chart­spit­ze blo­ckier­te, gin­gen Unhei­lig immer mal wie­der „auf Eins“. Die Behaup­tung „am längs­ten“ wäre also falsch.

Und damit kom­men wir zu einer Pres­se­mit­tei­lung, die Media Con­trol, das Unter­neh­men, das in Deutsch­land die Charts ermit­telt, am Diens­tag ver­schick­te:

Unglaub­li­cher Rekord für den Gra­fen und sei­ne Band Unhei­lig: Zum 15. Mal ste­hen sie mit „Gro­ße Frei­heit“ an der Spit­ze der media con­trol Album-Charts – und legen damit das am längs­ten auf eins plat­zier­te deut­sche Album aller Zei­ten hin.

Dabei schloss man sich der For­mu­lie­rung von Unhei­ligs Plat­ten­fir­ma Uni­ver­sal an, die am Vor­tag ver­kün­det hat­te:

Seit die­ser Woche ist Unhei­lig mit dem aktu­el­len Album „Gros­se Frei­heit“ mit ins­ge­samt 15 Wochen an der Spit­ze der deut­schen Album­charts das am längs­ten auf Num­mer 1 plat­zier­te deut­sche Album aller Zei­ten!

Mit die­sen Vor­la­gen stan­den die Chan­cen auf eine feh­ler­freie Bericht­erstat­tung bei Null:

Die Plat­te „Gro­ße Frei­heit“ ist das am längs­ten auf eins plat­zier­te deut­sche Album in den deut­schen Charts.

(„Welt Online“)

Damit ist die Plat­te „das am längs­ten auf eins plat­zier­te deut­sche Album“.

(dpa)

Damit ist die Plat­te das am längs­ten auf Rang eins plat­zier­te deut­sche Album aller Zei­ten.

(„RP Online“)

Zum 15. Mal ste­hen sie mit ihrer Plat­te „Gro­ße Frei­heit“ an der Spit­ze der Album-Charts und legen damit das am längs­ten auf Platz 1 plat­zier­te deut­sche Album aller Zei­ten hin, wie Media Con­trol mit­teil­te.

(Bild.de)

Und weil die Anzahl der Chart­plat­zie­run­gen kei­ner­lei Schlüs­se auf die tat­säch­li­chen Absatz­zah­len zulässt, ist die For­mu­lie­rung von motor.de beson­ders falsch:

Damit ver­drängt Bernd Hein­rich Graf, wie der Musi­ker mit bür­ger­li­chen Namen heißt, sei­nen Kol­le­gen Her­bert Grö­ne­mey­er vom ewi­gen Thron der am meist­ver­kauf­ten deutsch­spra­chi­gen Pop-Alben aller Zei­ten.

Das Schö­ne ist: Es ist alles noch kom­pli­zier­ter. Media Con­trol ist näm­lich erst seit 1977 für die Erfas­sung der deut­schen Musik­charts zustän­dig, vor­her oblag die­se Auf­ga­be dem Maga­zin „Musik­markt“. Und das führ­te vom 31. Mai bis zum 3. Okto­ber 1974 – und damit geschla­ge­ne 18 Wochen – „Otto 2“ von Otto Waal­kes auf Platz 1. Somit wür­den Unhei­lig, die heu­te mal wie­der von der Spit­zen­po­si­ti­on gefal­len sind, noch vier Wochen feh­len zum Rekord.

Aber auch hier gibt es wie­der einen Haken: Der „Musik­markt“ hat die Charts damals noch Monats­wei­se ver­öf­fent­licht, man kann also nicht sagen, ob sich wäh­rend der 18 Wochen nicht viel­leicht mal das eine oder ande­re Album für eine Woche bes­ser ver­kauft hat als „Otto 2“.

Wie gesagt: Das mit den Charts ist so eine Sache. Aber was wären die Medi­en und die Plat­ten­fir­men ohne sie?

Mit Dank auch an Mar­co Sch.