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Wer kann am längsten?

Das mit den Charts ist natür­lich sowie­so so eine Sache: Bis vor weni­gen Jah­ren wur­den die Hit­pa­ra­den der meist­ver­kauf­ten Ton­trä­ger noch mit Hil­fe der Kno­chen von im Mond­licht geschlach­te­ten Hüh­nern errech­net. Mitt­ler­wei­le lis­ten sie tat­säch­li­che Ver­käu­fe auf, aber was drückt das schon aus, solan­ge die abso­lu­ten Zah­len geheim gehal­ten wer­den und man in man­chen Wochen angeb­lich schon mit drei­stel­li­gen Absatz­zah­len in die Top 100 kommt?

Die­se Woche wur­de den­noch eine klei­ne Sen­sa­ti­on gefei­ert: Die Band Unheil…

Moment, bevor ich wei­ter­schrei­be: Ich habe kei­ne Ahnung, wer oder was Unhei­lig ist oder wie ihre Musik klingt. Die Sin­gle „Gebo­ren um zu Leben“, die angeb­lich über Wochen die Charts und die Radio­sta­tio­nen domi­niert hat und in die­ser Zeit meh­re­re Mil­li­ar­den Male gekauft wur­de, habe ich ein ein­zi­ges Mal ver­se­hent­lich im Musik­fern­se­hen gese­hen. Ich fand’s nicht gut, aber auch zu egal, um mich dar­über auf­zu­re­gen, solan­ge es noch Revol­ver­held gibt.

Unhei­lig jeden­falls ist eine klei­ne Sen­sa­ti­on gelun­gen: 15 Mal stand ihr Album „Gro­ße Frei­heit“ auf Platz 1 der deut­schen Charts – ein Mal öfter als Her­bert Grö­ne­mey­ers „Ö“ von 1988.

Wich­tig ist hier das Wört­chen „öfter“, denn wäh­rend Grö­ne­mey­er 14 Wochen am Stück die Chart­spit­ze blo­ckier­te, gin­gen Unhei­lig immer mal wie­der „auf Eins“. Die Behaup­tung „am längs­ten“ wäre also falsch.

Und damit kom­men wir zu einer Pres­se­mit­tei­lung, die Media Con­trol, das Unter­neh­men, das in Deutsch­land die Charts ermit­telt, am Diens­tag ver­schick­te:

Unglaub­li­cher Rekord für den Gra­fen und sei­ne Band Unhei­lig: Zum 15. Mal ste­hen sie mit „Gro­ße Frei­heit“ an der Spit­ze der media con­trol Album-Charts – und legen damit das am längs­ten auf eins plat­zier­te deut­sche Album aller Zei­ten hin.

Dabei schloss man sich der For­mu­lie­rung von Unhei­ligs Plat­ten­fir­ma Uni­ver­sal an, die am Vor­tag ver­kün­det hat­te:

Seit die­ser Woche ist Unhei­lig mit dem aktu­el­len Album „Gros­se Frei­heit“ mit ins­ge­samt 15 Wochen an der Spit­ze der deut­schen Album­charts das am längs­ten auf Num­mer 1 plat­zier­te deut­sche Album aller Zei­ten!

Mit die­sen Vor­la­gen stan­den die Chan­cen auf eine feh­ler­freie Bericht­erstat­tung bei Null:

Die Plat­te „Gro­ße Frei­heit“ ist das am längs­ten auf eins plat­zier­te deut­sche Album in den deut­schen Charts.

(„Welt Online“)

Damit ist die Plat­te „das am längs­ten auf eins plat­zier­te deut­sche Album“.

(dpa)

Damit ist die Plat­te das am längs­ten auf Rang eins plat­zier­te deut­sche Album aller Zei­ten.

(„RP Online“)

Zum 15. Mal ste­hen sie mit ihrer Plat­te „Gro­ße Frei­heit“ an der Spit­ze der Album-Charts und legen damit das am längs­ten auf Platz 1 plat­zier­te deut­sche Album aller Zei­ten hin, wie Media Con­trol mit­teil­te.

(Bild.de)

Und weil die Anzahl der Chart­plat­zie­run­gen kei­ner­lei Schlüs­se auf die tat­säch­li­chen Absatz­zah­len zulässt, ist die For­mu­lie­rung von motor.de beson­ders falsch:

Damit ver­drängt Bernd Hein­rich Graf, wie der Musi­ker mit bür­ger­li­chen Namen heißt, sei­nen Kol­le­gen Her­bert Grö­ne­mey­er vom ewi­gen Thron der am meist­ver­kauf­ten deutsch­spra­chi­gen Pop-Alben aller Zei­ten.

Das Schö­ne ist: Es ist alles noch kom­pli­zier­ter. Media Con­trol ist näm­lich erst seit 1977 für die Erfas­sung der deut­schen Musik­charts zustän­dig, vor­her oblag die­se Auf­ga­be dem Maga­zin „Musik­markt“. Und das führ­te vom 31. Mai bis zum 3. Okto­ber 1974 – und damit geschla­ge­ne 18 Wochen – „Otto 2“ von Otto Waal­kes auf Platz 1. Somit wür­den Unhei­lig, die heu­te mal wie­der von der Spit­zen­po­si­ti­on gefal­len sind, noch vier Wochen feh­len zum Rekord.

Aber auch hier gibt es wie­der einen Haken: Der „Musik­markt“ hat die Charts damals noch Monats­wei­se ver­öf­fent­licht, man kann also nicht sagen, ob sich wäh­rend der 18 Wochen nicht viel­leicht mal das eine oder ande­re Album für eine Woche bes­ser ver­kauft hat als „Otto 2“.

Wie gesagt: Das mit den Charts ist so eine Sache. Aber was wären die Medi­en und die Plat­ten­fir­men ohne sie?

Mit Dank auch an Mar­co Sch.

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Die Quotenfrau

Mir ist ent­ge­gen aller sta­tis­ti­schen Wahr­schein­lich­keit nie­mand bekannt, von dem ich weiß, daß er (oder sie) eine Andrea-Berg-CD besitzt. Dabei scheint die­se pseu­do­ver­ruch­te Schla­ger­ver­brei­tungs­un­we­sent­lich­keit doch mit elf Mal Gold und fünf Mal Pla­tin in jedem zwei­ten deut­schen CD-Schrank zu ste­hen – und damit die deut­sche Plat­ten­in­dus­trie im Allein­gang zu ret­ten. Dann mel­det der Musik­markt auch noch, daß die­se Frau einen ganz neu­en Charts­re­kord auf­ge­stellt hat:

Etwas mehr als sechs Jah­re nach der Ver­öf­fent­li­chung bricht Schla­ger­star Andrea Berg mit ihrem Album „Best Of“ einen his­to­ri­schen Rekord und setzt sich mit 313 Wochen Ver­weil­dau­er in den deut­schen Album-Charts an die Spit­ze der lang­le­bigs­ten Alben der Chart­ge­schich­te.

Respekt. Denn damit hat aus­ge­rech­net Frau Berg geschafft, was die For­de­run­gen der unsäg­li­chen Deutsch­quo­ten­an­hän­ger end­gül­tig fürs Klo qua­li­fi­ziert: Deut­sche Musik fin­det auch ohne Quo­ten statt. Dumm nur, daß damit die eigent­lich sehr vor­zeig­ba­re Lang­le­big­keits­bi­lanz der deut­schen Charts­ge­schich­te eher beschmutzt als ver­schö­nert wird:

Sie ver­weist damit den bis­he­ri­gen Spit­zen­rei­ter, Pink Floyds „Wish You Were Here“ (312 Wochen), auf Platz zwei. Es fol­gen die Beat­les mit den bei­den Alben „1962–1966“ (297 Wochen) und „1967–1970“ (285 Wochen) sowie das „Grea­test Hits“-Album von Simon & Gar­fun­kel (242 Wochen), die alle­samt in den Sieb­zi­ger Jah­ren in die Charts ein­stie­gen.

Frü­her war alles bes­ser. Oder so.