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Don’t mention the war

1940 sag­te Gene­ral­feld­mar­schall Wil­helm Kei­tel über den deut­schen Dik­ta­tor Adolf Hit­ler, des­sen Armee gera­de Frank­reich und die BeNe­Lux-Staa­ten über­rannt hat­te, die­ser sei der „größ­te Feld­herr aller Zei­ten“. Nach der ver­hee­ren­den Nie­der­la­ge in der Schlacht um Sta­lin­grad mach­te die­se For­mu­lie­rung in der deut­schen Bevöl­ke­rung mit eher sar­kas­ti­scher Kon­no­ta­ti­on die Run­de und Hit­ler wur­de in Anleh­nung an den Abkür­zungs­wahn, der Deut­sche seit Jahr­hun­der­ten umtreibt, zum „GröFaZ“ erklärt.

Man darf davon aus­ge­hen, dass die For­mu­lie­rung – anders als das „Tau­send­jäh­ri­ge Reich“ – die Jahr­zehn­te über­dau­ert hat, denn im Novem­ber 2007 sag­te der dama­li­ge Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Wolf­gang Schäub­le auf dem Höhe­punkt der öffent­li­chen Dis­kus­si­on um die sog. Vor­rats­da­ten­spei­che­rung laut „taz“:

„Wir hat­ten den ‚größ­ten Feld­herrn aller Zei­ten‘, den GröFaZ, und jetzt kommt die größ­te Ver­fas­sungs­be­schwer­de aller Zei­ten“

Schäub­le schaff­te es damit in mei­ne Lis­te der Nazi-Ver­glei­che, die es damals zu einer gewis­sen Popu­la­ri­tät in der deut­schen Blogo­sphä­re brach­te, spä­ter mit Ergän­zun­gen in Dani­el Erks Buch „So viel Hit­ler war sel­ten“ für die Nach­welt fest­ge­hal­ten wur­de und inzwi­schen auch schon 15 Jah­re alt ist.

Man könn­te also schluss­fol­gern, dass die For­mu­lie­rung „größ­ter Irgend­was aller Zei­ten“ in Deutsch­land mit einer gewis­sen Vor­sicht ver­wen­det wer­den soll­te. Beson­ders, wenn es um Deutsch­land geht. Oder Krieg.

Und damit kom­men wir zur gest­ri­gen Bericht­erstat­tung von Bild.de über die Oscar-Ver­lei­hung und den deut­schen Anti­kriegs­film „Im Wes­ten nichts Neu­es“:

Holen wir heute unseren größten Oscar aller Zeiten?

Das ist kom­po­si­to­risch schon nah an der Per­fek­ti­on (wenn man unter „Per­fek­ti­on“ auch Din­ge ver­steht wie eine über­lau­fen­de Toi­let­te, die die gan­ze Woh­nung in Mit­lei­den­schaft zieht): der Sol­dat mit Stahl­helm; das fröh­lich dumm­stol­ze Stammtisch-„Wir“, das „Bild“ immer her­vor­holt, wenn gera­de Fuß­ball-WM ist oder ein Papst gewählt wird; die For­mu­lie­rung an sich – und natür­lich das Gold drum­her­um.

Im Arti­kel fasst der Bild.de-Autor sei­ne Ein­drü­cke vom Film so zusam­men:

Die Regie geni­al. Die Kame­ra anbe­tungs­wür­dig. Das Sze­nen­bild: Ein­fach nur krass.

„Okay“, hät­te ich gesagt. „Das pas­siert, wenn man Berufs­ein­stei­ger um die 25 Tex­te schrei­ben lässt: Die Spra­che ist etwas umgangs­sprach­li­cher und sie ver­wen­den aus Ver­se­hen For­mu­lie­run­gen, für die ihnen im ent­schei­den­den Moment die Gold­waa­gen-App auf dem Smart­phone fehlt.“

Stellt sich raus: Der Text ist von Bild.de-Redakteur Ralf Pör­ner. Und der müss­te inzwi­schen 60 sein.

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Wir müssen reden!

Vier Tage sind seit der Wahl Donald Trumps zum US-Prä­si­den­ten ver­gan­gen und ich habe seit­dem vie­le Tex­te gele­sen, war­um das über­ra­schend oder nicht über­ra­schend war, dass die Demo­kra­ten dar­an schuld sei­en oder die wei­ßen Män­ner, dass viel­leicht alles gar nicht so schlimm wird oder viel­leicht alles noch schlim­mer, dass wir mit den AfD-Wäh­lern reden müs­sen oder ihnen zuhö­ren, dass wir Ver­ständ­nis für sie zei­gen sol­len oder kla­re Kan­te. Kurz­um: Das links­li­be­ra­le Lager, in dem ich mich bewe­ge, ist min­des­tens genau­so gespal­ten wie die Gesell­schaft selbst. Der Motor hat gerat­tert, diver­se Warn­lam­pen sind ange­gan­gen, es kam Qualm aus der Motor­hau­be und die Tank­an­zei­ge leuch­te­te und jetzt ste­hen wir vor einem lie­gen­ge­blie­be­nen Auto und dis­ku­tie­ren dar­über, ob wir viel­leicht Luft in die Rei­fen hät­ten packen sol­len.

Manch­mal wird jetzt dar­auf hin­ge­wie­sen, dass nicht alle Trump-Wäh­ler Ras­sis­ten und/​oder Sexis­ten sei­en, was sicher­lich rich­tig ist. Aber sie sam­meln sich hin­ter einem Mann, der mit ras­sis­ti­schen Res­sen­ti­ments nur so um sich gewor­fen hat und bei dem alles dafür spricht, dass er Frau­en als Objek­te betrach­tet, mit denen er machen kann, was er will. Und das wirft ja dann doch Fra­gen auf. Nicht jeder, der einen ras­sis­ti­schen oder sexis­ti­schen Witz macht, ist des­halb auto­ma­tisch Ras­sist oder Sexist, aber es ist unse­re Auf­ga­be als Gesell­schaft, auf den ras­sis­ti­schen bzw. sexis­ti­schen Hin­ter­grund des Wit­zes auf­merk­sam zu machen und zu ver­ste­hen zu geben, dass wir so etwas nicht akzep­tie­ren. Wer das nicht ver­ste­hen will und mun­ter wei­ter macht, erhöht damit die Wahr­schein­lich­keit, dass er tat­säch­lich Ras­sist bzw. Sexist ist, deut­lich.

Ich glau­be, dass es eini­ger­ma­ßen müßig ist, sich öffent­lich mit Chef­pro­pa­gan­dis­ten wie Udo Ulfkot­te oder nam­haf­ten AfD-Poli­ti­kern zu bekämp­fen (und es schmerzt mich wirk­lich, eine For­mu­lie­rung wie „nam­haf­te AfD-Poli­ti­ker“ zu ver­wen­den). Die wird man auf kei­nen Fall über­zeu­gen kön­nen und deren Anhän­ger reagie­ren mit Ableh­nung, wenn man ihre Hel­den mit dem schwe­ren Gerät in die Man­gel nimmt, das für Volks­ver­het­zer, Lüg­ner und Popu­lis­ten not­wen­dig ist.

Aber wir kön­nen mit den „nor­ma­len Men­schen“ reden. (Ein­schub: Die­se For­mu­lie­rung klingt immer so, als sei­en auf­ge­klär­te, fort­schritt­li­che Lin­ke und Libe­ra­le kei­ne nor­ma­len Men­schen und als ob es irgend­ei­nen natür­li­chen Inter­es­sen­kon­flikt zwi­schen der Arbei­ter­klas­se und intel­lek­tu­el­ler ori­en­tier­ten Groß­städ­tern gäbe. Mei­ne Freun­de und ich sind erst mal genau­so nor­mal wie Bau­ern im All­gäu, Auto­me­cha­ni­ker in Sach­sen-Anhalt oder Werft­ar­bei­ter in Nie­der­sach­sen. Wenn jemand anfängt, ande­ren Men­schen Rech­te abzu­spre­chen, schwenkt er aus dem Bereich der Nor­ma­li­tät aus. Ein­schub Ende.) Nicht, indem wir ver­su­chen, ihnen die gesam­te Welt zu erklä­ren, son­dern indem wir ihnen von ande­ren Men­schen erzäh­len, die genau­so nor­mal sind und sich im aktu­el­len poli­ti­schen Kli­ma ernst­haf­te Sor­gen um ihr Leben und das ihrer Kin­der machen. Wir müs­sen Fak­ten aus­wen­dig ler­nen, Zah­len ken­nen und von Men­schen aus unse­rem Umfeld berich­ten. Wenn wir die Auf­stel­lun­gen aller Bun­des­li­ga­ver­ei­ne, die Sie­ger des Euro­vi­si­on Song Con­test seit 1956 und die Zita­te aus allen Fil­men von Mon­ty Python und Lori­ot ken­nen, kann es ja nicht so schwer sein, sich ein paar zusätz­li­che Infor­ma­tio­nen drauf­zu­schaf­fen.

Ich habe als direk­te, ers­te per­sön­li­che Kon­se­quenz aus Donald Trumps Wahl­er­folg ange­fan­gen, online mit Men­schen zu dis­ku­tie­ren. Nicht, sie beschimp­fen, son­dern ihnen mei­nen Stand­punkt zu erklä­ren und zu ver­su­chen, ihren Stand­punkt zu ver­ste­hen. Ich habe dabei zahl­rei­che Beschimp­fun­gen in mein Wohn­zim­mer gebrüllt, nur um zwei, drei Kom­men­ta­re spä­ter fest­zu­stel­len, dass wir inhalt­lich gar nicht so weit aus­ein­an­der­lie­gen. Zum Bei­spiel beim The­ma „Poli­ti­cal Cor­rect­ness“, die frü­her „Anstand“ hieß und die für vie­le Men­schen, auch sol­che, die weit davon ent­fernt sind, AfD zu wäh­len auf merk­wür­di­ge Art ein rotes Tuch dar­stellt. Ich ver­ste­he nicht, war­um Men­schen sich so schwer damit tun, auf Begrif­fe zu ver­zich­ten, durch die sich ande­re Men­schen ver­letzt oder aus­ge­grenzt füh­len. Es bricht einem doch kein Zacken aus der Kro­ne, wenn in einem Behör­den­schrei­bern „Bürger*Innen“ steht oder man zu einer Back­wa­re, die sowie­so schon alles ande­re als gesund und natür­lich ist, jetzt „Schaum­kuss“ sagen soll, obwohl man jah­re­lang ein ande­res Wort gebraucht hat.

Das heißt: Aus sprach­wis­sen­schaft­li­cher Sicht habe ich da sogar ein gewis­ses Ver­ständ­nis. Bücher über Gram­ma­tik und Recht­schrei­bung waren anfangs deskrip­tiv, irgend­wel­che Leu­te haben also alle paar Jah­re oder Jahr­zehn­te auf­ge­schrie­ben, wie die Men­schen gera­de so gespro­chen und geschrie­ben haben. Der „Duden“, wie wir ihn seit unse­rer Schul­zeit ken­nen, fun­gier­te aber schon als Unter­schei­dung zwi­schen „rich­tig“ und „falsch“ (es ist halt auch ein­fa­cher, wenn man weiß, wovon der ande­re schreibt). Dann kam die soge­nann­te Recht­schreib­re­form und ein Gre­mi­um hat­te plötz­lich ganz vie­le neue Vor­schlä­ge für Schreib­wei­sen, die sich aber nicht an dem ori­en­tier­ten, wie die Leu­te schrie­ben (denn die schrie­ben ja so, wie es bis­her im Duden stand), son­dern die manch­mal ver­ständ­li­che, manch­mal falsch abge­lei­te­te neue Vor­schlä­ge waren. Nicht nur, dass (Ach­tung, Ach­tung: das „dass“ ist ein schö­nes Bei­spiel!) die Leu­te plötz­lich anders schrei­ben soll­ten ohne zu wis­sen war­um, die Zei­tun­gen hiel­ten sich nicht dar­an, in den Schu­len gab es ein Hin und Her im Lehr­plan und letzt­lich weiß seit 20 Jah­ren unge­fähr nie­mand mehr, was „rich­tig“ und was „falsch“ ist. Spra­che ist aber etwas, was uns Men­schen ganz nahe ist, die wir alle benut­zen. Selbst Men­schen, die von Geburt an nicht hören kön­nen, nut­zen sehr häu­fig eine Gebär­den­spra­che – wes­we­gen sie – Hal­lo, Poli­ti­cal Cor­rect­ness! – auch nicht „taub­stumm“ sind, son­dern „gehör­los“. Wir alle benut­zen Spra­che, über­all auf der Welt. Spra­che wird von mehr Men­schen genutzt als Autos, es kön­nen mehr Men­schen spre­chen als schwim­men, wir nut­zen Spra­che, um uns gegen­sei­tig bei Face­book anzu­schrei­en, aber auch, um unse­ren Liebs­ten mit­zu­tei­len, was wir für sie emp­fin­den. Wenn da jemand an unse­ren Wort­schatz her­an­möch­te, ist das irri­tie­rend, viel­leicht sogar erschre­ckend und wenn man dann noch zufäl­lig mal irgend­was über Geor­ge Orwells „1984“ gele­sen hat, ist der Schrei, hier sei die „Sprach­po­li­zei“ am Werk, nicht mehr weit.

Vor 30 Jah­ren war es total nor­mal, in öffent­li­chen Gebäu­den, Gast­stät­ten, sogar in Zügen und Flug­zeu­gen zu rau­chen. Jeder ein­zel­ne Rau­cher konn­te die Luft für hun­dert Men­schen um ihn her­um ver­pes­ten und deren Gesund­heit gefähr­den. Inzwi­schen gibt es einen brei­ten gesell­schaft­li­chen Kon­sens, dass Rauch­ver­bo­te in öffent­li­chen Gebäu­den, Zügen und Flug­zeu­gen in Ord­nung sind (bei Gast­stät­ten ist das schwie­ri­ger und mei­ne eige­ne Posi­ti­on zu dem The­ma könn­te drei wei­te­re Blog-Ein­trä­ge fül­len, denen ich mich ger­ne wid­men will, wenn wir wie­der Zeit für die etwas weni­ger drän­gen­den Pro­ble­me haben), dass man eher nicht raucht, wenn Kin­der in der Nähe sind und dass Rau­chen gene­rell nicht so doll für die Gesund­heit ist. Die­se Rauch­ver­bo­te kamen natür­lich auch auf Druck von Bür­ger­initia­ti­ven zustan­de, die Poli­tik muss­te sie aber von oben her­ab durch­set­zen – gegen den erklär­ten Wil­len der mäch­ti­gen Tabak­lob­by. Ein „Lasst uns doch ein­fach alle mal auf­hö­ren, in der Stra­ßen­bahn zu rau­chen“ hät­te kei­nen Erfolg gehabt. Die­se Rauch­ver­bo­te sind für alle bes­ser, aber sie zwin­gen Rau­cher dazu, vor die Tür zu gehen oder stun­den­lan­ge Bahn- und Flug­rei­sen ohne Niko­tin­zu­fuhr durch­zu­ste­hen, was tat­säch­lich wahn­sin­nig anstren­gend sein kann.

„Bürger*Innen“, „Schaum­kuss“ und „gehör­los“ tun nie­man­dem weh. Nie­mand bekommt des­we­gen Schmacht. Ja, es kann sogar jeder, der die­se Begrif­fe nicht mag, voll­kom­men legal ande­re benut­zen. Er soll­te sich nur nicht wun­dern, wenn er von ande­ren Men­schen schief ange­schaut wird, weil die im Lau­fe der Zeit eine stär­ke­re Sen­si­bi­li­tät dafür ent­wi­ckelt haben. Denn Spra­che hat auch Macht und prägt das Den­ken. (Das ist jetzt schwer ver­ein­facht aus­ge­drückt, aber ich habe das Gefühl, mit mei­nem Mans­plai­ning hier schon genug Lese­rin­nen und Leser ver­lo­ren zu haben. Ent­schul­di­gung, aber ich ver­su­che wirk­lich, das alles Schritt für Schritt ver­ständ­lich zu machen und ich hab das auch mal stu­diert.) Ich möch­te nicht, dass mein Kind in einer Welt auf­wächst, wo „schwul“ und „behin­dert“ als Syn­ony­me für „doof“, „schlecht“ oder „schei­ße“ ver­wen­det wer­den. Denn selbst wer dar­auf beharrt, nichts gegen Schwu­le und Men­schen mit Behin­de­rung zu haben, sorgt sonst dafür, dass die­se Begrif­fe nega­tiv kon­no­tiert sind. Und wäh­rend ich ganz gut damit leben kann, dass Voka­beln wie „geil“ oder „Chip“ im Lau­fe der Zeit ihre Bedeu­tung geän­dert bzw. meh­re­re Bedeu­tun­gen haben, fin­de ich es inak­zep­ta­bel, dass Begrif­fe, die eine Bevöl­ke­rungs­grup­pe beschrei­ben, in einem ande­ren Kon­text als abwer­tend benutzt wer­den.

Mei­ne Mut­ter hat sich in den 1980er Jah­ren mit ande­ren Eltern zusam­men­ge­tan, um lokal gegen Umwelt­ver­schmut­zung, Atom­kraft­wer­ke und den Kli­ma­wan­del zu kämp­fen. Es ist unfass­bar, dass wir nicht nur die­se Pro­ble­me noch nicht in den Griff bekom­men haben, son­dern wir jetzt auch noch ganz ernst­haft vor Pro­ble­men ste­hen, die damals schon seit Jahr­zehn­ten über­stan­den schie­nen. Aber so ist eben jetzt die Lage, also müs­sen wir da ran und gleich­zei­tig für die völ­li­ge Gleich­stel­lung von Frau­en, der LGBTI-Com­mu­ni­ty und Men­schen mit Behin­de­rung auf der einen Sei­te kämp­fen, wäh­rend wir auf der ande­ren Sei­te mit Leu­ten dis­ku­tie­ren, die die sim­pels­ten men­schen­recht­li­chen Errun­gen­schaf­ten auf den Prüf­stand stel­len wol­len.

Wir müs­sen also jetzt mit den Leu­ten in der Knei­pe reden, in der Stra­ßen­bahn, im Sta­di­on, schlimms­ten­falls sogar beim Fami­li­en­kaf­fee. Wir dür­fen nicht die Augen ver­dre­hen und gleich „Nazi!“ den­ken, wenn jemand etwas sagt, was nicht unse­rer Mei­nung ent­spricht. Wir müs­sen klar­stel­len, dass uni­ver­sel­le Men­schen­rech­te nicht ver­han­del­bar sind, und in Detail­fra­gen den Aus­tausch suchen. Wir müs­sen sagen, dass wir es auch nicht gut fin­den, wenn mus­li­mi­sche Frau­en gezwun­gen wer­den, ein Kopf­tuch zu tra­gen, es aber auch nicht ver­tret­bar ist, sie dazu zu zwin­gen, kei­nes zu tra­gen, wenn sie denn eins tra­gen wol­len. Und wir müs­sen bei der Fra­ge: „Und wie soll man das unter­schei­den?“ sagen, dass wir das jetzt auch nicht wis­sen, dass es aber kei­ne Lösung sein kann, eine Volks­grup­pe unter Gene­ral­ver­dacht zu stel­len. (Es aber ande­rer­seits auch nicht in Ord­nung ist, alle Men­schen, die ein Pro­blem damit haben, dass Mus­li­mas ein Kopf­tuch tra­gen, ohne wei­te­re Dis­kus­si­on als „Faschis­ten“ zu brand­mar­ken.)

Wir müs­sen die­sen Leu­ten sagen, dass Rechts­po­pu­lis­ten viel­leicht Pro­ble­me benen­nen, dann aber nur Sün­den­bö­cke prä­sen­tie­ren und kei­ne Lösungs­an­sät­ze, die irgend­wie rea­lis­tisch oder mora­lisch oder legal sind. Dass Schwu­le und Les­ben end­lich wirk­lich hei­ra­ten und eine Fami­lie grün­den wol­len und dass deren Leben dadurch viel bes­ser wird, aber das Leben kei­ner ein­zi­gen Hete­ro-Fami­lie des­we­gen schlech­ter. Dass wir, wenn die Poli­tik die­ses lang­wie­ri­ge Orchi­deen­the­ma Gleich­be­rech­ti­gung end­lich mal abge­hakt hat (was nach mei­ner Ein­schät­zung fast an einem Tag in Bun­des­tag und Bun­des­rat zu schaf­fen sein könn­te), sofort über ande­re The­men spre­chen kön­nen. Dass „Vic­tim Bla­ming“ noch so ein doo­fes, neu­es Aka­de­mi­ker­wort sein mag, dass aber auch nie­mand „selbst schuld“ ist, wenn er oder sie Opfer eines Ver­bre­chens wird. Dass frem­de Men­schen in der eige­nen Hei­mat kei­ne Gefahr sein müs­sen, son­dern auch eine Chan­ce dar­stel­len kön­nen. Dass man nie­mals Men­schen gegen­ein­an­der aus­spie­len soll­te. Dass Jour­na­lis­ten kei­ne „Regie­rungs­agen­da“ vor­an­trei­ben, son­dern manch­mal höchs­tens ein biss­chen faul und auf ihre eige­ne Welt fokus­siert sind. Dass Exper­ten nicht ein­ge­bil­de­te, welt­frem­de Affen sind und man sich mit Zahn­schmer­zen, Aus­schlag oder Herz­in­farkt ja auch ger­ne in fach­män­ni­scher Obhut wüss­te. Dass Clau­dia Roth ganz sicher nicht die Sha­ria ein­füh­ren will. Dass die Fra­ge, ob hier irgend­ein Abend­land isla­mi­siert wer­den könn­te, bald kei­ne Rol­le mehr spie­len wird, weil wir, wenn wir den Kli­ma­wan­del (den es übri­gens tat­säch­lich gibt!) nicht ganz schnell in den Griff bekom­men, bald weder Abend­land noch Mus­li­me haben. Und wir müs­sen ihnen sagen, dass „die da oben“ nicht machen, was sie wol­len, son­dern dass Poli­tik wahn­sin­nig kom­plex ist.

Ich für mei­nen Teil kann eini­ger­ma­ßen damit leben, dass Poli­ti­ker von mei­ner Lebens­wirk­lich­keit kei­ne Ahnung haben – ich habe ja umge­kehrt auch kein Inter­es­se an Details über Ver­kehrs­aus­schüs­se, Ergän­zungs­an­trä­ge zu Ver­ord­nun­gen und die­sem gan­zen Kram. Ich tue mich ehr­lich gesagt etwas schwer damit, Poli­ti­ker über­haupt gegen ihre Kri­ti­ker zu ver­tei­di­gen, denn es gibt zahl­rei­che Din­ge, die mich an der Poli­tik auf­re­gen (und die steu­er­li­che Bes­ser­stel­lung kin­der­lo­ser Ehe­paa­re gegen­über unver­hei­ra­te­ten Eltern ist nur das wich­tigs­te Bei­spiel), und ich sehe Lob­by­is­mus und den Ein­fluss von Groß­kon­zer­nen mit Sor­ge. Ich glau­be aber auch, dass die meis­ten Mit­glie­der des Bun­des­ta­ges schon im Gro­ßen und Gan­zen ihr Bes­tes geben. Mit mir haben in den letz­ten Jah­ren kei­ne Poli­ti­ker gespro­chen. Ich aber auch nicht mit ihnen.

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„Sein“ oder nicht „sein“

Am 21. August wur­de die ehe­ma­li­ge Sol­da­tin Chel­sea Man­ning, die der Whist­le­b­lower-Platt­form Wiki­leaks gehei­me Doku­men­te zuge­spielt hat­te, von einem US-Mili­tär­ge­richt zu 35 Jah­ren Haft ver­ur­teilt.

Wobei: Das stimmt so nicht. Damals hieß Chel­sea in der Öffent­lich­keit noch Brad­ley Man­ning und galt als Mann. Erst einen Tag spä­ter ließ sie ein State­ment ver­öf­fent­li­chen, in dem es hieß:

As I tran­si­ti­on into this next pha­se of my life, I want ever­yo­ne to know the real me. I am Chel­sea Man­ning. I am a fema­le. Given the way that I feel, and have felt sin­ce child­hood, I want to begin hor­mo­ne the­ra­py as soon as pos­si­ble. I hope that you will sup­port me in this tran­si­ti­on. I also request that, start­ing today, you refer to me by my new name and use the femi­ni­ne pro­no­un (except in offi­ci­al mail to the con­fi­ne­ment faci­li­ty).

Wer glei­cher­ma­ßen auf­ge­klärt wie naiv ist, hät­te anneh­men kön­nen, dass das The­ma damit schnell been­det war: Chel­sea Man­ning ist eine Frau, die in einem männ­li­chen Kör­per gebo­ren wur­de und einen männ­li­chen Vor­na­men getra­gen hat, jetzt aber expli­zit dar­um bit­tet, mit ihrem weib­li­chen Vor­na­men bezeich­net zu wer­den.

Die „New York Times“ erklär­te dann auch in einem Blog­ein­trag, mög­lichst schnell den Namen Chel­sea Man­ning und die weib­li­chen Pro­no­mi­na ver­wen­den und zum bes­se­ren Ver­ständ­nis für die Leser auf die Umstän­de die­ser Namens­än­de­rung zu ver­wei­sen. Der „Guar­di­an“ leg­te den Schal­ter von „Brad­ley“ auf „Chel­sea“ um und schrieb für­der­hin nur noch von „ihr“.

Aber so ein­fach war das alles natür­lich nicht.

Die „Ber­li­ner Zei­tung“ fass­te das ver­meint­li­che Dilem­ma am 24. August ein­drucks­voll zusam­men:

Brad­ley Man­ning möch­te fort­an als Frau leben und Chel­sea genannt wer­den. […] Der 25 Jah­re alte Sol­dat ließ erklä­ren, er habe sich seit sei­ner Kind­heit so gefühlt. Von nun an wol­le er nur noch mit sei­nem neu­en Namen ange­spro­chen wer­den. Auch sol­le künf­tig aus­schließ­lich das weib­li­che Pro­no­men „sie“ ver­wen­det wer­den, wenn über Man­ning gespro­chen wer­de. Eine ope­ra­ti­ve Geschlechts­um­wand­lung strebt Man­ning zunächst wohl nicht an.

Mit die­sem Wunsch hat Man­ning, der gut 700000 Geheim­do­ku­men­te an die Ent­hül­lungs­platt­form Wiki­leaks wei­ter­gab, Jour­na­lis­ten in den USA ver­wirrt und vor gro­ße Her­aus­for­de­run­gen gestellt. In den Mel­dun­gen über Man­nings Erklä­rung war ein­mal von „ihm“ die Rede, dann wie­der von Brad­ley Man­ning, „die“ nun eine Frau sein wol­le. Die einen ver­mie­den es pein­lich, Per­so­nal­pro­no­men zu ver­wen­den. Die ande­ren erklär­ten, sie wür­den solan­ge von „ihm“ spre­chen, wie Man­ning aus­se­he wie ein Mann.

Wie es die „Ber­li­ner Zei­tung“ selbst hält, wur­de in den fol­gen­den Wochen deut­lich:

5. Sep­tem­ber:

Die von Matthew H. 2009 besuch­te Ver­an­stal­tung des Cha­os Com­pu­ter Clubs war immer­hin öffent­lich. Sein Anteil an der Ver­ur­tei­lung des Whist­le­b­lo­wers Brad­ley Man­ning ist unklar. Und auch wenn der Umgang mit Man­ning nicht unse­ren Vor­stel­lun­gen ent­spricht: Er hat mili­tä­ri­sche Geheim­nis­se ver­ra­ten. Das ist auch deut­schen Sol­da­ten ver­bo­ten.

6. Sep­tem­ber:

Wie in letz­ter Zeit in Ber­lin häu­fi­ger der Fall, ste­hen mal wie­der lee­re Stüh­le auf der Büh­ne, dies­mal nicht für den mit Aus­rei­se­ver­bot beleg­ten Fil­me­ma­cher Jafar Panahi, son­dern für Edward Snow­den und Brad­ley Man­ning, die Ulrich Schrei­ber gern dabei­ge­habt hät­te. Lei­der sind sie aus bekann­ten Grün­den ver­hin­dert.

Bei der „Süd­deut­schen Zei­tung“ gibt es offen­bar auch kei­ne Emp­feh­lun­gen und Richt­li­ni­en wie bei der „New York Times“ – und noch nicht mal eine kla­re Linie. Am 2. Sep­tem­ber schrieb die „SZ“:

Auf Trans­pa­ren­ten for­dern die Teil­neh­mer, dass US-Prä­si­dent Barack Oba­ma sei­nen Frie­dens­no­bel­preis an die Geheim­da­ten-Ent­hül­ler Chel­sea Man­ning und Edward Snow­den abtre­ten sol­le.

Und eine Woche spä­ter:

Anders gefragt: Hät­ten ame­ri­ka­ni­sche Diens­te eine sol­che Anfra­ge zuge­las­sen, wenn ein deut­scher Dienst sich um Hin­ter­grün­de zum Trei­ben eines bekann­ten ame­ri­ka­ni­schen Jour­na­lis­ten inter­es­siert hät­te? Da kön­nen, trotz aller Nar­re­tei­en und Ver­här­tun­gen der ame­ri­ka­ni­schen Poli­tik im Kampf gegen Whist­le­b­lower wie Brad­ley Man­ning oder Edward Snow­den ame­ri­ka­ni­sche Behör­den emp­find­sam reagie­ren.

Am 7. Okto­ber nun wie­der:

Schließ­lich, so schrei­ben eini­ge, sei er ein Visio­när, gleich­zu­set­zen mit der Wiki­leaks-Infor­man­tin Chel­sea Man­ning oder dem NSA-Whist­le­b­lower Edward Snow­den .

„Bild“ hat­te in ganz weni­gen Zei­len klar­ge­macht, wie wenig sich die Redak­ti­on um die Bit­te von Chel­sea Man­ning schert: In ihren „Fra­gen der Woche“ am 24. August frag­te die Bou­le­vard­zei­tung „Kommt Man­ning in den Frau­en­knast?“ und ant­wor­te­te:

Nein! Obwohl der zu 35 Jah­ren Gefäng­nis ver­ur­teil­te Wiki­leaks-Infor­mant Brad­ley Man­ning (25) ab sofort als Frau namens Chel­sea leben und sich einer Hor­mon­be­hand­lung unter­zie­hen will (BILD berich­te­te), kam er in das Män­ner­ge­fäng­nis Fort Lea­ven­worth (US-Staat Kan­sas). Ein Armee­spre­cher sag­te, dass dort weder Hor­mon­the­ra­pien noch chir­ur­gi­sche Ein­grif­fe zur Geschlechts­um­wand­lung bezahlt wer­den.

Der Unter­schied zum „Spie­gel“ ist da aller­dings mar­gi­nal:

Man­ning fühlt sich schon län­ger als Frau, nach sei­ner Ver­ur­tei­lung will er auch so leben. […] Am Mitt­woch ver­ur­teil­te ihn ein Mili­tär­ge­richt dafür zu 35 Jah­ren Gefäng­nis, abzu­sit­zen in Fort Lea­ven­worth, Kan­sas. Zwar kann Man­ning auf vor­zei­ti­ge Ent­las­sung hof­fen – doch bis dahin steht ihm eine har­te Zeit bevor: Sei­ne Mit­in­sas­sen sind aus­nahms­los Män­ner, eine Ver­le­gung in ein Frau­en­ge­fäng­nis ist nicht geplant.

Die Deut­sche Pres­se-Agen­tur tat sich anfangs noch schwer mit dem Geschlecht. Am 4. Sep­tem­ber schrieb die dpa:

Die Mis­si­on des angeb­li­chen US-Agen­ten soll dem Bericht zufol­ge öffent­lich gewor­den sein, nach­dem er im Juni die­ses Jah­res als Zeu­ge im Pro­zess gegen den Whist­le­b­lower Brad­ley Man­ning vor einem ame­ri­ka­ni­schen Mili­tär­ge­richt in Mary­land auf­ge­tre­ten sei. Man­ning wur­de spä­ter zu 35 Jah­ren Haft ver­ur­teilt, weil er Wiki­Leaks rund 800.000 Geheim­do­ku­men­te über­ge­ben hat­te. Der Ex-Sol­dat war eine Art Zeu­ge der Ankla­ge der Mili­tär­staats­an­wäl­te.

Im Rah­men ihrer Bericht­erstat­tung zum Frie­dens­no­bel­preis letz­te Woche schrieb die dpa dann:

Unter den bekann­ten Kan­di­da­ten in die­sem Jahr ist auch Chel­sea Man­ning (frü­her Brad­ley Man­ning). Dem eins­ti­gen US-Whist­le­b­lower räumt der Prio-Direk­tor aber wenig Chan­cen ein. „Es gibt kei­nen Zwei­fel, dass die Ent­hül­lun­gen sehr zur inter­na­tio­na­len Debat­te über Über­wa­chung bei­getra­gen haben“, sagt Harp­vi­ken. Ethisch und mora­lisch reflek­tie­re Man­ning aber zu wenig, was sie getan habe.

Tat­säch­lich hat­te die Agen­tur in der Zwi­schen­zeit die Ent­schei­dung getrof­fen, zukünf­tig immer von „Wiki­leaks-Infor­man­tin Chel­sea Man­ning“ zu schrei­ben und im wei­te­ren Text­ver­lauf mög­lichst schnell zu erklä­ren, dass Chel­sea als Brad­ley Man­ning vor Gericht gestan­den habe. Wie mir ihr Spre­cher Chris­ti­an Röwekamp auf Anfra­ge erklär­te, hat die dpa nach Abstim­mung mit ande­ren Agen­tu­ren am 6. Sep­tem­ber eine ent­spre­chen­de Pro­to­koll­no­tiz in ihr Regel­werk „dpa-Kom­pass“ auf­ge­nom­men, in dem sonst etwa die Schreib­wei­sen bestimm­ter Wör­ter gere­gelt wer­den.

Der Evan­ge­li­sche Press­dienst epd war da offen­bar nicht dabei. Er schrieb am 11. Okto­ber:

Gute Chan­cen auf den Frie­dens­no­bel­preis wur­den auch dem frü­he­ren US-Prä­si­den­ten Bill Clin­ton, dem Wiki­Leaks-Infor­man­ten Brad­ley Man­ning und der afgha­ni­schen Men­schen­recht­le­rin Sima Samar ein­ge­räumt.

Wie ein­fach es eigent­lich geht, hat­te die „FAZ“ am 9. Sep­tem­ber bewie­sen:

Der Umgang mit Chel­sea (vor­mals Brad­ley) Man­ning, die Cau­sa Snow­den mit trans­at­lan­ti­scher Sip­pen­haft gegen ihn unter­stüt­zen­de Jour­na­lis­ten und der Umgang mit den Geheim­dienst- und Mili­tär-Whist­le­b­lo­wern ins­ge­samt zeigt über­deut­lich, welch unkon­trol­lier­te Macht der „deep sta­te“ der Diens­te mitt­ler­wei­le hat und wie unbe­rührt von öffent­li­chem Pro­test er agiert.

Am 5. Okto­ber schrieb die „FAZ“ dann aller­dings wie­der:

Ohne die von Brad­ley Man­ning an die Ent­hül­lungs­platt­form Wiki­leaks gelie­fer­ten gehei­men Regie­rungs­do­ku­men­te hät­te Maz­zet­ti man­che Zusam­men­hän­ge nicht rekon­stru­ie­ren kön­nen.

Nun zäh­len die The­men­fel­der Trans­gen­der und Trans­se­xua­li­tät im Jahr 2013 immer noch zu den etwas außer­ge­wöhn­li­che­ren, sind aber zumin­dest immer mal wie­der in Sicht­wei­te des Main­streams. Bali­an Busch­baum etwa, der als Yvonne Busch­baum eine erfolg­rei­che Stab­hoch­sprin­ge­rin war, ist häu­fi­ger in Talk­shows zu Gast und wird dort mehr oder weni­ger augen­zwin­kernd angel­anzt, wie das denn jetzt so sei mit einem … hihi: Penis. Der Ame­ri­ka­ner Tho­mas Bea­tie durf­te als „schwan­ge­rer Mann“ die Kurio­si­tä­ten­ka­bi­net­te der Bou­le­vard­me­di­en fül­len. Mina Capu­to wur­de mal Keith genannt und war als Sän­ger von Life Of Ago­ny bekannt und Lau­ra Jane Grace von der Band Against Me! begann ihre Kar­rie­re als Tom Gabel – was die Komi­ker von „Spie­gel Online“ sei­ner­zeit zu der pie­tät­vol­len Über­schrift „Gabel unterm Mes­ser“ inspi­riert hat­te.

Vie­le haben in ihrem Bekann­ten­kreis kei­ne Trans­men­schen (oder wis­sen nichts davon) und wis­sen nicht, wie sie mit einem umge­hen soll­ten. Für Jour­na­lis­ten, die aus der Fer­ne über sie schrei­ben, ist es aber mei­nes Erach­tens erst ein­mal nahe­lie­gend, die Namen und Per­so­nal­pro­no­mi­na zu ver­wen­den, die sich die betref­fen­den Per­so­nen erbe­ten haben. Und Chel­sea Man­ning hat dies expli­zit getan.

In ver­gleichs­wei­se all­täg­li­chen Situa­tio­nen schei­nen Jour­na­lis­ten übri­gens weni­ger über­for­dert: Muham­mad Ali und Kareem Abdul-Jab­bar waren schon bekann­te Sport­ler, als sie zum Islam kon­ver­tier­ten und ihre neu­en Namen annah­men. Durch Ehe­schlie­ßun­gen und ‑schei­dun­gen wech­sel­ten Schau­spie­le­rin­nen wie Robin Wright, Poli­ti­ke­rin­nen wie Kris­ti­na Schrö­der und Schmuck­de­si­gne­rin­nen wie Ales­san­dra Pocher ihre Namen und die Pres­se zog mit. Und der Fern­seh­mo­de­ra­tor Max Moor hieß bis zum Früh­jahr die­ses Jah­res Die­ter, was – nach einem kur­zen Moment des Nase­rümp­fens und Drü­ber­lus­tig­ma­chens – inzwi­schen auch kei­nen mehr inter­es­siert.

Hof­fent­lich braucht es weni­ger als 35 Jah­re, bis Chel­sea Man­nings Bit­te von den deut­schen Medi­en erhört wird.

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Gesellschaft Leben

Glühwürmchen

Ich muss Sie gera­de noch mal in mei­ner Eigen­schaft als gelern­ter Varie­tä­ten­lin­gu­ist behel­li­gen. Kim­ber­ly Hop­pe, „LEU­TE-Kolum­nis­tin“ der Mün­che­ner Abend­zei­tung und berühmt für ihre ein­fühl­sa­men Twit­ter-Repor­ta­gen, ist da bei ihren inves­ti­ga­ti­ven Recher­chen im Prä-Okto­ber­fest­li­chen Mün­chen auf ein ganz ein neu­es Wort gesto­ßen:

Es ist das Wort des Jah­res: VORGLÜHEN.

Frü­her gab’s das Phä­no­men auch schon, aller­dings kein so lus­ti­ges Wort dazu. Ja, ich als Nicht-Katho­li­kin geste­he und tue Buße: Ich habe frü­her Augus­ti­ner-Fla­schen im Ruck­sack (’tür­lich East­pack) auf die Wiesn ins Schot­ten­ha­mel-Zelt geschmug­gelt und nach der ers­ten Maß heim­lich in den Krug nach­ge­schenkt. Schließ­lich war das Bier zu DM-Prei­sen schon viel zu teu­er und ich war jung und brauch­te das Geld für was ande­res. Gut. Nein: schlecht. Auf jeden Fall lan­ge her.

Nun ist Frau Hop­pe knapp drei Jah­re älter als ich, was mir ers­tens die Mög­lich­keit ein­räumt, doch noch was aus mei­nem Leben zu machen, ihre „lan­ge her“-Prosa zwei­tens ein biss­chen bemüht erschei­nen lässt, und drit­tens die Fra­ge auf­wirft, war­um sie erst jetzt, im Jahr 2009, auf die­ses beknack­te, mir nie son­der­lich krea­tiv erschei­nen­de, Wort gesto­ßen ist. Mir ist defi­ni­tiv eine Situa­ti­on von vor sie­ben Jah­ren erin­ner­lich, in der das Wort „Vor­glü­hen“ fiel, aber es kann sich auch schon bedeu­tend län­ger in mei­nem pas­si­ven Wort­schatz befin­den.

Man muss ja nicht gleich einen Kübel Bier Hohn über einer „LEU­TE-Kolum­nis­tin“ aus­lee­ren, die offen­bar die letz­ten Jah­re hin­ter dem Mond gelebt hat, aber rein inter­es­se­hal­ber (und weil mei­ne Eltern sich immer freu­en, wenn ich irgend­wo andeu­ten kann, dass sich ihre Inves­ti­ti­on in mein Stu­di­um gelohnt hat) wüss­te ich jetzt ger­ne von Ihnen:

War Ihnen die Voka­bel „Vor­glü­hen“ als vor-par­ty­li­che Druck­be­tan­kung mit alko­ho­li­schen Geträn­ken schon vor der Lek­tü­re von Frau Hop­pes Lebens­beich­te bekannt? Wenn ja: Wie lan­ge?

(Klar, dass das eige­ne Alter und die Regi­on, in der man auf­ge­wach­sen ist, auch hier wie­der erheb­lich zu einem stim­mi­gen Gesamt­bild bei­tra­gen wür­den.)

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Unvordenkliche Pattitessen

Eigent­lich woll­te ich ja nur wis­sen, wie das Kon­zert von Pat­ti Smith in Frank­furt war. Aber schon nach den ers­ten zwei Sät­zen der Rezen­si­on der Repor­ta­ge des Arti­kels von Rose-Maria Gropp in der „Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung“ war mir klar, dass ich das nicht so ein­fach her­aus­fin­den wür­de:

Sie schrei­tet den Par­cours ihrer Mög­lich­kei­ten ganz ab, von bald vier Jahr­zehn­ten ist da zu spre­chen. Zeit scheint für Pat­ti Smith nicht ent­lang einer Schie­ne zu ver­lau­fen, son­dern ihr wie ein wei­ter, geräu­mi­ger Hof zur Ver­fü­gung zu ste­hen.

Irgend­je­mand hat also auf einem bald vier Jahr­zehn­te gro­ßen Hof – wie viel das wohl in Fuß­ball­fel­dern ist? – einen Mög­lich­kei­ten-Par­cours errich­tet, den Pat­ti Smith nun abzu­schrei­ten gedenkt.

Na ja, schau­en wir mal, wie lan­ge wir da mit­schrei­ten kön­nen:

Sie heizt ihren Auf­tritt an mit dem schar­fen alten Song „Free Money“, dann holt sie sich ihr Publi­kum schon näher mit jenem Charme, der ihre seit unvor­denk­li­chen Zei­ten bestehen­de Lie­be zu Euro­pa und sei­nen Dich­tern ver­sprüht: „I came to Frank­furt to see Goethe’s house“, dekla­miert sie zur Gitar­re und erzählt eine klei­ne Geschich­te von Zer­stö­rung und Wie­der­auf­bau, vom Geist, der weht, wo er das darf – „the­re in the light, the­re is Goethe’s desk“.

Ist das nicht ver­ant­wor­tungs­los, das Publi­kum so nah an einen auf­ge­heiz­ten Auf­tritt her­an­zu­ho­len? Zumal, wenn dort etwas sprüht. Aber was genau eigent­lich? Man­che Men­schen ver­sprü­hen ja schon mal Charme, bei Pat­ti Smith ver­sprüht aber offen­bar der Charme Lie­be. Und zwar eine, die seit unvor­denk­li­chen Zei­ten besteht. Na, das muss ja eine alte Lie­be sein. Gut, dass die nicht ros­tet, sonst wäre es noch gefähr­li­cher, da so nah dran zu ste­hen. Immer­hin weht da vor­ne auch noch ein Geist – oder darf er das genau dort nicht?

Es hat sich schon immer gelohnt, Pat­ti Smit­hs Tex­te zu ver­ste­hen und zu begrei­fen; denn sie ist ganz eigent­lich eine Dich­te­rin, und der Punk in ihr ist vor allem sprach­li­che Ent­äu­ße­rung, die Musik ihre Rhyth­mus­ma­schi­ne, die frei­lich längst nicht so sim­pel kon­stru­iert ist, wie sie vor­gibt, als wären da bloß ein paar Akkor­de zu grei­fen.

Es ent­behrt natür­lich nicht einer gewis­sen Iro­nie (ver­mut­lich einer sehr unsim­pel kon­stru­ier­ten), der­art umständ­lich über die Ver­ständ­lich­keit und Begreif­bar­keit von Tex­ten zu schrei­ben. Dass Frau Smith „ganz eigent­lich“ eine Dich­te­rin ist, hät­te man natür­lich erah­nen kön­nen ange­sichts der Tat­sa­che, dass die Dame schon ein Dut­zend Gedicht­bän­de ver­öf­fent­licht hat.

Über­ra­schen­der wäre es viel­leicht gewe­sen, wenn sie „ganz eigent­lich“ eine Kon­di­to­rin wäre, die die­se gan­zen künst­le­ri­schen und intel­lek­tu­el­len Auf­trit­te nur als Tar­nung benutzt, um in Ruhe rie­si­ge Schwarz­wäl­der Kirsch­tor­ten backen zu kön­nen. Die wären ihr dann sicher eine kuli­na­ri­sche Ent­äu­ße­rung.

Aber wie sieht’s eigent­lich mit dem näher gehol­ten Publi­kum aus?

Längst hat sie die Hal­le auf ihrer Sei­te – die­je­ni­gen, die mit ihr den lan­gen Weg seit den Sieb­zi­gern gegan­gen sind, und die vie­len Jun­gen, die viel­leicht gekom­men sind, um eine leben­de Legen­de zu betrach­ten; ihnen wird eine veri­ta­ble Erschei­nung zuteil, die ihr Publi­kum anzieht wie ein Magnet die Spä­ne.

War der lan­ge Weg jetzt eine Schie­ne oder ein Hof? Ich kom­me da immer durch­ein­an­der. Jeden­falls scheint das Publi­kum inzwi­schen an Pat­ti Smith zu kle­ben, bzw. an einer veri­ta­blen Erschei­nung. Aber wo geho­belt wird …

An Pat­ti Smit­hs Sei­te steht immer wie­der und unver­brüch­lich Len­ny Kaye in sei­ner fort­wäh­rend schö­nen, eher alt­eu­ro­päi­schen Melan­cho­lie, schlank und edel ergraut, noch immer ein Aus­nah­me­gi­tar­rist, der sich indes­sen mit einem Hauch Iro­nie, vor allem wenn er singt, ganz in den Dienst sei­ner Front­frau stellt.

Als ich Pat­ti Smith live gese­hen habe (vor sechs Jah­ren beim Hald­ern Pop), wirk­te sie eini­ger­ma­ßen zart. Erstaun­lich, dass an ihrer Sei­te den­noch Platz für eine kom­plet­te Hal­le und einen Aus­nah­me­gi­tar­ris­ten ist. Und was das für ein Aus­nah­me­gi­tar­rist ist: Einer, der immer wie­der und unver­brüch­lich steht (an Pat­ti Smit­hs Sei­te) und der offen­bar in fort­wäh­rend schö­ner, eher alt­eu­ro­päi­schen Melan­cho­lie – nicht irgend­ei­ner: sei­ner! – edel ergraut ist. Er könn­te aber auch nur in die­ser Melan­cho­lie ste­hen, so genau gibt das die Gram­ma­tik nicht her. Sicher ist: Er steht und stellt sich dabei ganz in den Dienst sei­ner Front­frau. Das tut er natür­lich „indes­sen“, weil die­ses Wort auf Sei­te 137 des Nach­schla­ge­werks „Wor­t­he zum bedeu­tungs­schwan­ger in Tex­ten her­um­ste­hen“ (3., aktu­al. Auf­la­ge, Wei­mar 1871) zu fin­den ist.

Die­se Dya­de ist von hohem Reiz, und wenn die bei­den auf den Stahl­sai­ten ihrer akus­ti­schen Gitar­ren ein Duett geben, das groß­ar­tig aus­ufert in etwas, das frü­her die Ses­si­on einer Band gehei­ßen hät­te, dann ist da ein sol­cher Moment, für den Kon­zer­te gemacht sind.

Die gute Nach­richt zuerst: Eine Dya­de ist nicht – wie ursprüng­lich von mir ange­nom­men – ein Fisch.

Ses­si­ons hei­ßen jetzt also irgend­wie anders, aber wie sie hei­ßen, weiß Frau Gropp nicht – oder sie will es uns nicht mit­tei­len. Jeden­falls ist das Duett der rei­zen­den Dya­de erst groß­ar­tig in etwas aus­geu­fert und dann war da plötz­lich ein Moment – nicht irgend­ei­ner: ein sol­cher! -, für den Kon­zer­te gemacht sind. Hof­fent­lich wuss­te der den gan­zen Auf­wand zu schät­zen.

Aber zurück zur Fra­ge, wie es denn eigent­lich war, das Kon­zert. Zieht man sämt­li­che Adjek­ti­ve und Adver­bi­en ab, wäre der Arti­kel nur noch halb so lang. bleibt eine Erkennt­nis:

Mit Pathos wird Geschich­te gemacht.

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The End Is The Beginning Is The End

Als ich noch über eine aka­de­mi­sche Kar­rie­re nach­dach­te, hielt ich es als begeis­ter­ter Varie­tä­ten­lin­gu­ist für eine gute Idee, mei­ne Dok­tor­ar­beit über Brot­enden zu schrei­ben (die Alter­na­tiv­idee hieß „Ficken, Bum­sen, Bla­sen – Eine Ety­mo­lo­gie der Sex-Spra­che“). Denn, so hat­te ich gelernt: Die­se Din­ger hei­ßen über­all anders.

Eine ansehn­li­che Lis­te mit Bezeich­nun­gen (sowie mit Namen für das Kern­ge­häu­se eines Apfels) hat­te ich schon begon­nen – und es steht Ihnen natür­lich frei, die­se in den Kom­men­ta­ren zu ergän­zen. Ich erfuhr, dass es sogar Dör­fer gibt, in denen der Anfang und das Ende eines Bro­tes unter­schied­li­che Bezeich­nun­gen haben. Da ist man dann schnell im Grenz­ge­biet von Lin­gu­is­tik und Phi­lo­so­phie.

Schwie­rig wür­de es da natür­lich bei so einem Kan­di­da­ten der kubis­ti­schen Pha­se:

Quadratisch, praktisch, Brot
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Da lacht der Anglist

Unbe­kann­te haben sich in der ver­gan­ge­nen Woche einen Spaß draus gemacht, Todes­mel­dun­gen zu streu­en. Opfer davon waren unter ande­rem Pop­s­tern­chen Brit­ney Spears (27), Schau­spie­ler Jeff Gold­blum (56), Schau­spie­le­rin Nata­lie Port­man (28) – und jetzt auch Schau­spie­ler und Womanzi­ner Geor­ge Cloo­ney (48).

Sowas ist natür­lich nicht lus­tig.

Zumin­dest nicht, bis man weiß, auf wel­cher Sei­te die­se Mel­dung steht:

www.die-topnews.de

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Blog am Bein

Writer's block

Kürz­lich wohn­te ich einer Dis­kus­si­on bei, bei der es um die (zuge­ge­be­ner­ma­ßen sehr neben­säch­li­che) Fra­ge ging, ob es eigent­lich „der Blog“ oder „das Blog“ hei­ße. Mein Stand­punkt war, dass ich zwar „das Blog“ sagen wür­de, aber beim bes­ten Wil­len nicht wüss­te, war­um. Viel­leicht, um Ver­wechs­lun­gen mit „der Block“ (damn you, Aus­laut­ver­här­tung!) zu ver­mei­den. Aber wozu hat man Ger­ma­nis­tik und Anglis­tik stu­diert und sei­ne B.A.-Arbeit über die Ver­än­de­run­gen in der Inter­net­spra­che geschrie­ben?

Bevor wir uns dem kon­kre­ten Fall nähern, müs­sen wir zwei grund­sätz­li­che Pro­ble­me erwäh­nen: Ers­tens gibt es im Deut­schen Unter­schie­de zwi­schen gram­ma­ti­schem (Genus) und bio­lo­gi­schem (Sexus) Geschlecht, die dazu füh­ren, dass sprach­lich alle Hun­de männ­lich, alle Kat­zen weib­lich und alle Mäd­chen säch­lich sind. ((Beson­ders das mit den Mäd­chen ist ein unge­klär­tes Pro­blem, dem des­sen sich Sprach- und Gen­der­wis­sen­schaf­ten drin­gend anneh­men soll­ten.)) Da die Arti­kel (bestimm­te wie unbe­stimm­te) vom gram­ma­ti­schen Geschlecht abhän­gen, muss man zu jedem Wort auch sei­nen Genus dazu­ler­nen. Dar­aus folgt auch, dass man zwei­tens für jedes Fremd- oder Lehn­wort ein gram­ma­ti­sches Geschlecht fest­le­gen muss. So sagt man „das Trot­toir“ (im Fran­zö­si­schen ein Mas­ku­li­num), „die Toi­let­te“ (im Fran­zö­si­schen auch Femi­ni­num) und „der Cap­puc­ci­no“ (im Ita­lie­ni­schen eben­falls Mas­ku­li­num).

Ver­su­chen wir, die Kur­ve Rich­tung „Blog“ zu krat­zen, und nähern uns der Welt von Com­pu­tern (mask.) und Inter­net (neu­tr.): So sagt man in Deutsch­land „die E‑Mail“, was sich damit erklä­ren lie­ße, dass die deut­sche Über­set­zung („E‑Post“) eben­falls femi­nin ist. ((Schlimm wird’s bei einem Wort wie „blog­ger“, das für weib­li­che wie männ­li­che Per­so­nen steht, für Deut­sche aber nach einer männ­li­chen Endung aus­schaut. Spä­tes­tens bei „girl­fri­end“ emp­fiehlt es sich, auf fremd­sprach­li­che Voka­beln zu ver­zich­ten und ein­fach den deut­schen Begriff „Freun­din“ zu ver­wen­den.)) In Öster­reich und der Schweiz heißt es aber „das E‑Mail“, womit wir den Salat end­gül­tig hät­ten.

Neh­men wir der Ein­fach­heit hal­ber trotz­dem mal für einen Moment an, die deut­sche Über­set­zung bestim­me allei­ne den Arti­kel. „Blog“ ist die Kurz­form von „Web­log“, was sich wie­der­um auf „log“ bezieht, wozu das „Oxford Eng­lish Dic­tion­a­ry“ Fol­gen­des zu berich­ten weiß:

log /​lɒg/​ n.¹ ME. [Ori­gin unknown] I 1 A bul­ky mass of wood; esp. an unhewn por­ti­on of a fel­led tree, or a length cut off for use as fire­wood. ME. b Sur­fing. A lar­ge or hea­vy surf­board. M20. 2 a A hea­vy pie­ce of wood, fas­ten­ed to the leg of a per­son or an ani­mal to impe­de move­ment. L16. b Mil. Hist. A form of punish­ment wher­eby a hea­vy weight was chai­ned to an offender‘s leg to be drag­ged or car­ri­ed around as the per­son moved. M19. 3 A pie­ce of quar­ried sla­te befo­re it is split into lay­ers. E18. 4 In pl. A jail, a lock-up. Aus­tral. slang. L19.

[…]

II 5 An appa­ra­tus for ascer­tai­ning the speed of a ship, con­sis­ting of a float atta­ched to a line wound on a reel. Also, any other appa­ra­tus for the same pur­po­se. L16. 6 a A book con­tai­ning a detail­ed dai­ly record of a ship‘s voya­ge; a log­book. E19. b A sys­te­ma­tic record of things done, found, expe­ri­en­ced, etc., as (a)a record of dis­co­veries or varia­ti­ons at suc­ces­si­ve depths in dril­ling a well; a graph or chart dis­play­ing this infor­ma­ti­on; (b) a record with details of jour­neys kept by a lor­ry dri­ver; (c) a record of what is broad­cast by a radio or tele­vi­si­on sta­ti­on; (d) Com­pu­ting a sequen­ti­al file of tran­sac­tions on a data­ba­se. E20. c A list or sum­ma­ry of claims for a wage increase etc. Freq. more ful­ly log of claims. Aus­tral. E20.

(The New Shorter Oxford Eng­lish Dic­tion­a­ry on his­to­ri­cal prin­ci­ples; Edi­ted by Les­lie Brown; Oxford, 1993.)

Wäre ich gezwun­gen, die­sem Ein­trag eine ein­zi­ge deut­sche Voka­bel zuzu­ord­nen, wür­de ich mich wohl für „Klotz“ ent­schei­den. ((Der Spie­gel­fech­ter hat­te bei einer ähn­li­chen Dis­kus­si­on auf freitag.de ange­führt, das eng­li­sche Wort „log“ stam­me vom alt­is­län­di­schen und alt­nor­we­gi­schen „lag“ ab, was „umge­fal­le­ner Baum­stamm“ hei­ße – ich will nicht aus­schlie­ßen, dass er da tat­säch­lich mehr wuss­te als das Oxford Dic­tion­a­ry, hal­te die­se Infor­ma­ti­on aber auch eher für Bonus­wis­sen, das uns bei der kon­kre­ten Fra­ge­stel­lung nicht wei­ter­hilft.)) Er deckt den Bereich I kom­plett ab und passt im Bereich II zumin­dest noch zur Num­mer 5. Außer­dem ist er ähn­lich schön laut­ma­le­risch.

Wer­fen wir auch noch einen (wenig auf­schluss­rei­chen) Blick ins mit­tel­eng­li­sche Wör­ter­buch („ME“ = „Midd­le Eng­lish“):

loglog(ge n. (1); lok n. (2); lough.

log(ge n. (1) [Cp. ML log­gum.] (a) An uns­haped pie­ce of wood, sta­ve, stick; (b) as sur­na­me.

(Midd­le Eng­lish Dic­tion­a­ry; Sher­man M. Kuhn, Edi­tor & John Rei­dy, Asso­cia­te Edi­tor; Ann Arbor, 1968.)

Das eng­li­sche Wort „web­log“ könn­te also mit eini­ger Berech­ti­gung als „Netz­klotz“ über­setzt wer­den, womit es ein Mas­ku­li­num wäre. Der Duden, über des­sen Rol­le man auch erst ein­mal strei­ten müss­te, lässt übri­gens „das“ und „der“ zu:

1. Blog, das, auch: der; -s, -s [engl. blog, gek. aus: weblog, →Weblog] (EDV Jargon): Weblog. ...

Ich bevor­zu­ge wie gesagt „das Blog“ ((Weil ich es sinn­voll fin­de, wenn sach­li­che Din­ge auch sach­li­che Arti­kel haben.)) und fin­de „der Blog“ etwas merk­wür­dig, aber merk­wür­dig fin­de ich ja auch regio­nal­sprach­li­che Vari­an­ten wie „ein­ge­schal­ten“ statt „ein­ge­schal­tet“ oder „ich bin gestan­den“ statt „ich habe gestan­den“ und das macht sie ja auch nicht falsch.

Spra­che ist – da wie­der­ho­le ich mich ger­ne – etwas Leben­di­ges und die Mehr­heit hat immer Recht. Soll­te sich also „der Blog“ durch­set­zen, wür­de das zwar ver­mehrt zu Ver­wech­se­lun­gen von „der Blog“ und „der Block“ füh­ren, aber man müss­te es akzep­tie­ren, wenn man nicht gegen Wind­müh­len kämp­fen will.

Zu den Blog-nahen Sprach­ver­än­de­run­gen zäh­len auch „Blog“ als Syn­onym für „Blog­ein­trag“ (Mat­thi­as Matus­sek ver­öf­fent­licht ja regel­mä­ßig „neue Blogs“) und „Blog­ger“ als Bezeich­nung für Blog­le­ser und ‑kom­men­ta­to­ren. Das sind natür­lich schon erheb­li­che Bedeu­tungs­ver­schie­bun­gen bzw. ‑erwei­te­run­gen, aber sowas ist bei jun­gen The­men­ge­bie­ten Blogs völ­lig nor­mal.

Viel ent­schei­den­der als die Fra­ge, ob es „der Blog“ oder „das Blog“ heißt, ist doch die, was drin­steht wer mir die vier Stun­den Lebens­zeit ersetzt, die ich in der Uni-Biblio­thek ver­plem­pert habe.

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Leben Radio Rundfunk

I’m single bilingual

Ich war noch nicht ganz wach und hör­te nur mit einem hal­ben Ohr hin, als auf WDR 5 eine Repor­ta­ge über Sin­gles in Deutsch­land lief. Den­noch hin­ter­ließ die Frau, die tap­fer ver­kün­de­te, sie brau­che gar kei­nen Part­ner, bei mir blei­ben­den Ein­druck.

Den Grad ihrer inne­ren Ver­zweif­lung konn­te man dem Satz ent­neh­men, mit dem sie ihre Aus­füh­run­gen schloss:

Wenn ich total despe­ra­te wäre, viel­leicht.

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Seinen oder nicht Seinen

Wir müs­sen noch mal auf die Num­mer mit der gemein­sa­men Wer­be­ak­ti­on von Tchi­bo und Esso unter dem Slo­gan „Jedem den Sei­nen“ zurück­kom­men. Zwar hat sie es nicht auf die Titel­sei­te von „Bild“ geschafft, aber die media­le Auf­merk­sam­keit, die die „Frank­fur­ter Rund­schau“ in bes­ter „Bild“-Manier selbst gene­riert hat­te, hat mich dann doch ein wenig über­rascht.

Beson­ders inter­es­sant fand ich die Ansich­ten, mit denen sich Vol­ker Nickel, der Spre­cher des Deut­schen Wer­be­rats, von der „taz“ zitie­ren lässt:

„Offen­sicht­lich haben alle Fil­ter ver­sagt, weil kein Wis­sen vor­han­den war, dass dahin­ter irgend­et­was ande­res ste­cken könn­te.“ Er glaubt, dass die fehl­ge­lei­te­te Kaf­fee­kam­pa­gne nur ein Sym­ptom für die gesell­schaft­li­che Ent­wick­lung ist. „In 40 Jah­ren wis­sen wahr­schein­lich noch weni­ger Men­schen über die Bedeu­tung sol­cher Sät­ze Bescheid“, sagt er. „Des­we­gen ist es Auf­ga­be der Schu­len und Medi­en, dass die Ereig­nis­se wäh­rend des Natio­nal­so­zia­lis­mus in unse­ren Köp­fen wach blei­ben.“

Herr Nickel ver­tritt damit die gegen­tei­li­ge Posi­ti­on der Mei­nung, die hier in den Kom­men­ta­ren vor­herrsch­te, und wünscht sich offen­sicht­lich eine schwar­ze Lis­te der Sät­ze und Wör­ter, die seit 1945 und für alle Zeit nicht mehr ver­wend­bar sind. (Oder, wie der gro­ße Nazi-Wör­ter-Exper­te Johan­nes B. Ker­ner sagen wür­de: die „nicht gehen“. Gar nicht.)

Der groß­ar­ti­ge und oft über­se­he­ne Song­wri­ter Dan Bern hat 2002 die „Swas­tika EP“ ver­öf­fent­licht, auf der sich auch der Song „My Litt­le Swas­tika“ („Mein klei­nes Haken­kreuz“) befin­det. Im Text heißt es unter ande­rem:

the chi­ne­se had it for 20,000 years
the nazis took it and made it spell tears
still has power to hurt a litt­le bit
but now I’m deco­ra­ting my house with it

Dan Bern darf das: er ist Jude (sei­ne Begleit­band heißt The Inter­na­tio­nal Jewish Ban­king Con­spi­ra­cy), sei­ne Eltern haben den Holo­caust knapp über­lebt. In einem Inter­view erklär­te er aus­führ­lich, war­um er das Haken­kreuz als Sym­bol umdeu­ten will und wie dies gesche­hen soll.

Nun liegt Berns Posi­ti­on unge­fähr in der Mit­te zwi­schen „from­mer Wunsch“ und „etwas welt­fremd“ und lässt sich auch schlecht ver­all­ge­mei­nern: Natür­lich wären die Irri­ta­tio­nen berech­tigt, die die Bun­des­agen­tur für Arbeit aus­lö­sen wür­de, wenn sie mor­gen „Arbeit macht frei“ zu ihrem Slo­gan erwähl­te. Und wenn Ange­la Mer­kel ein­mal kei­ne Lust mehr auf ihre unge­bro­che­ne Popu­la­ri­tät bei den deut­schen Wäh­lern haben soll­te, müss­te sie nur dar­auf bestehen, fort­an als „Füh­re­rin“ ange­spro­chen zu wer­den.

Der grund­sätz­li­che Gedan­ke, dass man sich bestimm­te Berei­che des All­tags nicht von irgend­wel­chen Arsch­lö­chern weg­neh­men las­sen soll­te, ist aber ein klu­ger. Wer sich ernst­haft an Wor­ten wie „Füh­rer­schein“ reibt, der bewahrt damit nicht das Andenken der Opfer, son­dern der ver­hilft der Nazi-Ban­de von damals zum post­hu­men letz­ten Sieg – mal ganz davon ab, dass das Ver­bot oder die Selbst­zen­sur bei bestimm­ten Begrif­fen inhalt­lich sehr viel näher am Drit­ten Reich dran wäre als die Ver­wen­dung der Begrif­fe selbst.

Es ist schwer zu über­bie­ten­der Zynis­mus, eine anti­ke Gerech­tig­keits­for­mel auf das Tor eines Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers zu schrei­ben – die Losung aber des­halb zum unzi­tier­ba­ren bösen Wort ernen­nen zu wol­len, ist unge­fähr so däm­lich, wie ein Ver­bot von Toten­köp­fen, schwar­zen Leder­män­teln und Pech­fa­ckeln zu for­dern.

Situa­tio­nen wie die­se erfor­dern etwas, was dem deut­schen Volk (hihihi) seit jeher fehlt: Fin­ger­spit­zen­ge­fühl. Es muss etwas geben zwi­schen dem „Schluss­strich“, den man­che for­dern, und der abso­lu­ten Empö­rung, die noch immer irgend­je­mand emp­fin­det, wenn ihn ein Jour­na­list anruft und um eine Stel­lung­nah­me zu die­sem oder jenem „Nazi-Skan­dal“ bit­tet, von dem der Empör­te oft genug in die­sem Moment zum ers­ten Mal hört.

Und damit sind wir wie­der bei „Jedem den Sei­nen“: Eine selt­sam alter­tüm­li­che For­mu­lie­rung, fin­den Sie nicht?

Ich fin­de es viel merk­wür­di­ger als sonst etwas, dass ein solch sper­ri­ger Slo­gan im Jahr 2009 an Tank­stel­len für Kaf­fee wer­ben soll. Mich wür­de wirk­lich inter­es­sie­ren, wie die­se Kam­pa­gne aus­ge­se­hen hat, was sich die Macher dabei gedacht haben und was mit dem Spruch über­haupt gemeint war. Aber im Inter­net fin­de ich nir­gends ein Foto von den Pla­kat­mo­ti­ven, fast alle Arti­kel zu dem The­ma sind mit dem Tor aus Buchen­wald bebil­dert. Mir fehlt der Kon­text um zu ent­schei­den, ob die Kam­pa­gne nun wirk­lich eine „nicht zu über­bie­ten­de Geschmack­lo­sig­keit“ war, wie Salo­mon Korn sie (natür­lich nur bis zur nächs­ten, nicht zu über­bie­ten­den Geschmack­lo­sig­keit) nann­te, ob dahin­ter eine ori­gi­nel­le Idee steck­te, oder ob sie ein­fach nur banal und doof war. Und die Frei­heit, sol­che Urtei­le selbst fäl­len zu dür­fen, hät­te ich als mün­di­ger Bür­ger eigent­lich schon ganz ger­ne.

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Houston, wir haben eine Herausforderung

Manch­mal stol­pert man über Tex­te, die erschei­nen einem auf den ers­ten Blick wirr. Dann liest man sie noch­mal und fragt sich, was einem der Autor damit sagen woll­te. Beim drit­ten Lesen wüss­te man dann ger­ne, ob da nicht viel­leicht der Hus­ten­saft abge­lau­fen war.

Lesen Sie die fol­gen­den Zei­len also ruhig mehr­fach:

Die Kanz­le­rin spricht nicht von Welt­schmerz, dem schö­nen Begriff des baye­ri­schen Dich­ters Jean Paul. Sie wählt statt des Ger­ma­nis­mus’ den Angli­zis­mus „Her­aus­for­de­rung“. Alles, was für den Deut­schen ein Pro­blem ist, nennt der US-Ame­ri­ka­ner Her­aus­for­de­rung. Das ist die Wur­zel des „Yes-we-can“-Optimismus’ eines Barack Oba­ma. Der Deut­sche stellt sich natur­ge­mäß der Her­aus­for­de­rung, die ihm eben­so natür­lich zur Her­ku­les­auf­ga­be gerät. Das ist die Wur­zel des „No we can’t“-Pessimismus’ der deut­schen Kanz­le­rin.

Beim Ver­ständ­nis die­ser Pas­sa­ge ist weder der Kon­text hilf­reich noch die fol­gen­de Erklä­rung zur Per­son des Ver­fas­sers Georg Than­scheidt:

Der Autor ist stell­ver­tre­ten­der Chef­re­dak­teur der AZ

[via Bre­mer Sprach­blog]

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Eine Sprache vor die Deutschen

T-Shirt-Aufdruck in fremder Sprache (vielleicht bald verboten).

Die CDU-Basis hat ihre Par­tei­spit­ze über­stimmt. Lei­der nicht bei irgend­ei­ner rele­van­ten Ent­schei­dung über Per­so­nal- oder Poli­tik­fra­gen, son­dern bei einem The­ma, das nicht viel kos­tet, aber inten­si­ve Dis­kus­sio­nen ver­spricht: die Par­tei will jetzt die deut­sche Spra­che ins Grund­ge­setz auf­neh­men.

dpa tickert dazu:

Saar­lands Minis­ter­prä­si­dent Peter Mül­ler mein­te hin­ge­gen, die Par­tei müs­se sich klar dazu beken­nen, «was den Staat aus­macht». Neben der Flag­ge gehö­re dazu auch die deut­sche Spra­che.

Das ist natür­lich schon mal ein Super-Anfang, der in die glei­che Ker­be schlägt wie Bun­des­tags­prä­si­dent Nor­bert Lam­mert im Som­mer die­ses Jah­res:

Es gebe „für die Kul­tur und das Selbst­ver­ständ­nis die­ses Lan­des kei­nen wich­ti­ge­ren Fak­tor als die Sprache“.Sie sei „noch wich­ti­ger als die Fest­le­gung auf Ber­lin als Haupt­stadt und auf Schwarz-Rot-Gold als Landesfarben“.Beides reg­le das Grund­ge­setz, die Spra­che „lei­der nicht“.

Zunächst ein­mal soll­te man den bei­den Her­ren also ste­cken, dass auch die Natio­nal­hym­ne nicht im Grund­ge­setz ver­an­kert ist – aber deren Ein­bin­dung woll­ten sie ver­mut­lich erst im nächs­ten Jahr for­dern.

Kom­men wir nun zur For­de­rung an sich: Kon­kret soll Arti­kel 22 des Grund­ge­set­zes um ein „Die Spra­che in der Bun­des­re­pu­blik ist Deutsch“ ergänzt wer­den. Das ist natür­lich schon mal ein gutes Bei­spiel für die Schön­heit der deut­schen Spra­che: Ein halb­fer­ti­ger Satz mit Hilfs­verb, der noch dazu gar nichts aus­sagt.

Denn was soll das hei­ßen, „die Spra­che“ „ist Deutsch“? Wür­de man die Amts­spra­che fest­le­gen wol­len, wäre das noch ver­ständ­lich – aber die ist schon im Ver­wal­tungs­ver­fah­rens­ge­setz gere­gelt. Und was hie­ße das für den Kreis Nord­fries­land und die Insel Hel­go­land, wo auch Frie­sisch als Amts­spra­che zuge­las­sen ist?

Die deut­sche Spra­che mache also „den Staat aus“, fin­det Peter Mül­ler, stu­dier­ter Jurist. Müs­sen denn Din­ge, die den Staat „aus­ma­chen“ (was auch immer Mül­ler damit meint) und die uns in jedem Moment über­all in die­sem Land umge­ben, noch gesetz­lich gere­gelt wer­den?

Es gibt eigent­lich nur zwei Les­ar­ten für die­se For­de­rung: Die eine wür­de es den Bas­ti­an Sicks und Wolf Schnei­ders die­ser Repu­blik erlau­ben, gegen jeden „Ser­vice Point“ eine Ver­fas­sungs­kla­ge anzu­stren­gen. Die ande­re wäre die Ansa­ge, dass jeder, der in die­sem Land lebt, gefäl­ligst und jeder­zeit Deutsch zu spre­chen habe. So oder so klingt es wie die staats­recht­li­che Umset­zung des unsäg­li­chen Slo­gans „Der Klü­ge­re spricht deutsch“ des idio­ti­schen „Ver­eins Deut­scher Spra­che“.

Lin­gu­is­ten ler­nen im ers­ten Semes­ter: Spra­che ist einem stän­di­gen Wan­del unter­wor­fen. Spra­che ist kein scheu­es Reh, das unter Arten­schutz gestellt und von staat­li­cher Sei­te gepflegt wer­den muss. Spra­che wird gespro­chen und geschrie­ben und wenn sie nicht gespro­chen wird, stirbt sie aus. Wir dürf­ten uns sicher sein, dass jun­ge Men­schen heu­te in Social Net­works und SMS-Nach­rich­ten mehr Text pro­du­zie­ren, als unse­re Eltern­ge­nera­ti­on je hand­schrift­lich geschrie­ben hat. Auch wenn die Mül­lers, Schnei­ders und Sicks es nicht begrei­fen wol­len: Die­se jun­gen Men­schen kom­mu­ni­zie­ren in der Spra­che, die in die­sem Moment den Stand der deut­schen Spra­che dar­stellt. Wenn es über­haupt Spra­chen gibt, die in Deutsch­land eines gesetz­li­chen Schut­zes bedür­fen, dann sind es die Regio­nal­spra­chen und Dia­lek­te (die streng lin­gu­is­tisch betrach­tet kei­ne Spra­chen, son­dern Varie­tä­ten sind).

Ganz schnell ist man bei dem The­ma ja dann immer bei Goe­the, Schil­ler und Adal­bert Stif­ter und der Behaup­tung, dass man so „schö­nes“ Deutsch heut­zu­ta­ge gar nicht mehr höre. Die­ser Aus­sa­ge lie­gen gleich meh­re­re Denk­feh­ler zugrun­de: Ers­tens ist Schön­heit sub­jek­tiv, zwei­tens haben auch zur Zeit der Wei­ma­rer Klas­sik die wenigs­ten Bau­ern schö­ne, druck­rei­fe Sät­ze gespro­chen (geschwei­ge denn geschrie­ben), und drit­tens emp­fiehlt einem jede treu­sor­gen­de Buch­händ­le­rin bei Inter­es­se sicher ger­ne ein paar Dut­zend zeit­ge­nös­si­scher Autoren, die mit der deut­schen Spra­che form­voll­endet umzu­ge­hen ver­ste­hen.

Das Per­fi­de an der Num­mer mit dem Grund­ge­setz ist natür­lich auch: Wer im Bun­des­tag gegen die­sen alber­nen Vor­schlag stim­men wür­de, dürf­te sein Gesicht mit ziem­li­cher Sicher­heit am nächs­ten Tag auf der Titel­sei­te der „Bild“-Zeitung (krea­tivs­ter Umgang mit deut­scher Spra­che: „Wir sind Papst“) wie­der­fin­den, ver­se­hen mit der Fra­ge „Was haben Sie gegen unse­re schö­ne deut­sche Spra­che?“

Für den Beginn wür­de es also viel­leicht rei­chen, wenn unse­re Poli­ti­ker ein wenig nach­däch­ten, bevor sie ihre Mün­der öff­ne­ten, und wenn unse­re Zei­tun­gen uns auch mal ab und an mit ein paar aus­ge­wähl­ten For­mu­lie­run­gen erfreu­ten. Ich bin sicher: zwei Drit­tel der Bevöl­ke­rung hät­ten damit Pro­ble­me, aber das war in der Goe­the­zeit ja nicht anders.

Einen wie üblich sehr fun­dier­ten Arti­kel zum The­ma „Amts­spra­che Deutsch“ hat Ana­tol Ste­fa­no­witsch bereits vor andert­halb Jah­ren im Bre­mer Sprach­blog ver­öf­fent­licht.