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Digital Gesellschaft

Die Kunst des stilvollen Entkommens

Aus einer aktuellen Pressemitteilung des Vergleichsportals fluege.de:

Wer trickreich bucht, kann dennoch sparen

Japan-Reisende, die derzeit spontan von Tokyo nach Deutschland fliegen möchten, müssen zurzeit viel Geld bezahlen – bis zu 8.200 Euro für ein Eco-Ticket. Das ergab eine Auswertung des größten deutschen Flugportals fluege.de (2 Mio. Nutzer im Monat, AGOF internet facts 2010-III). Wer Japans Katastrophe lieber stilvoll mit einem First-Class-Ticket entkommen möchte, der muss derzeit beispielsweise für einen Flug von Tokyo nach München sogar über 20.000 Euro bezahlen. (…)

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Print Politik

Verstrahlt

Für den “Westen”, das in Abwicklung befindliche Internetportal der WAZ-Gruppe, scheint der Wahlkampfauftritt von Angela Merkel in Unna das Ereignis des Tages gewesen zu sein. Immerhin wurde der Bericht darüber zwischenzeitlich an oberster Stelle auf der Startseite angeteasert:

Angela Merkel in Unna: Bundeskanzlerin sorgt für strahlende Gesichter. Unna. Nur strahlende Gesichter in der Unnaer Stadthalle. Der Auftritt von Bundeskanzlerin und CDU-Parteichefin Angela Merkel Samstagmittag im Rahmen des NRW-Landtagswahlkampfes war für die Unnaer Christdemokraten so etwas wie eine Krönungsmesse   weiterlesen...

Und wie die Gesichter gestrahlt haben:

  • Der lokale Parteivorsitzende Werner Porzybot strahlte natürlich.
  • Hubert Hüppe strahlte.
  • Ganz besonders strahlten Hanna Koppelmann, Alexandra Gaber und Rabea Lehmann in der nicht ganz voll besetzten Stadthalle (rund 700 Besucher).
  • Strahlendes Gesicht bei Stadthallen-Chef Horst Bresan: “Das war eine Punktlandung. Alles ist reibungslos gelaufen. Es hat überhaupt keine Probleme gegeben.”
  • Strahlendes Antlitz von Rudi Fröhlich, Leitungskraft bei der Unnaer Polizei.

Das ist natürlich ein sprachliches Mittel, das die Menschen da zu Beginn eines jeden Absatzes strahlen lässt. Und letztlich ist so ein Wahlkampfauftritt ja nichts anderes als eine Produkt-Präsentation, über die man auch nur schwer einen brauchbaren, objektiven Text schreiben kann — man kann ja schlecht aus Gründen der Ausgewogenheit bei allen anderen Parteien nachfragen, wie die eigentlich den Besuch der Kanzlerin in ihrer Stadt fanden. Und dennoch wirkt der Text über die “Regierungs-Chefin (schwarze Hose, hellbrauner Blazer)” geradezu grotesk überzeichnet. Die CDU-Mitgliederzeitschrift hätte kaum verklärender über Angela Merkel schreiben können, als es Jens Schopp für die “Westfälische Rundschau” getan hat.

Da bekam “der Ex-Bundestagsabgeordnete von der Kanzlerin von der Rednertribüne attestiert, er sei ‘der beste Behindertenbeauftragter der Bundesregierung, den man sich nur denken könne'”, Schülerinnen haben es “tatsächlich geschafft, Angela Merkel eine kleine, tönerne Friedenstaube samt Friedensbotschaft zu überreichen” und “selbst für Unnas Bürgermeister und SPD-Mitglied Werner Kolter war es mehr als nur ein Pflichttermin”. Die Bundeskanzlerin “gab sie sich staatsmännisch” und holte “nur gelegentlich” “die Wahlkampfkeule heraus”. Fehlt eigentlich nur noch, dass alle auf ihre Kosten kamen, immerhin sagte Merkel ja auch noch was “zur Erheiterung des Auditoriums”.

Jens Schopp ist offenbar nicht, wie ich ursprünglich angenommen hatte, ein Schüler, der im Auftrag der “Westfälischen Rundschau” zur mit staunendem Blick von der ersten Politikveranstaltung seines Lebens berichtet: Er ist Redakteur der Zeitung.

Dass derart bratwurstige Texte am Montag in Unna in der gedruckten Zeitung erscheinen, ist das eine — Lokaljournalismus ist die Hölle, ich würde nie im Leben dorthin zurückkehren und habe neben Mitleid vor allem Respekt übrig für jene Journalisten, die sich in die Tiefen von Vereinen und Kleinkunst und das Spannungsfeld verschiedenster Interessenverbände begeben, die sofort mit der Kündigung von Abos drohen. Warum man derartige Artikel als Aufmacher auf die Startseite eines ambitionierten Nachrichtenportals packt, ist mir allerdings schleierhaft.

Warum man solche Kommentare stehen lässt, allerdings auch:

Sone Ostarschschlampe kann selbst die blöden paderborner Landbrotärsche begeistern ist ja sonst nix los bei den Flachmännern. Die würden sogar bei einem Wildschweinauftritt Hurra rufen! #1 von P:M:, vor 2 Stunden

Nachtrag, 28. März: Der “Westen” hat – mal mit, mal ohne Hinweis – wüst in den Kommentaren herummoderiert und dabei auch den hier zitierten Kommentar entfernt.

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Digital Leben

Schöner Onanieren mit Bild.de

Entschuldigung, ich muss was gestehen: Ich hab’s schon wieder getan. Ich wollte ja eigentlich nicht, aber jetzt hab ich wieder auf so einen Sex-Artikel geklickt, diesmal bei Bild.de, und schon nach dem ersten Absatz fühlte ich mich einigermaßen … äh: überfahren:

Sex ist ein wunderbarer Weg, um zu sich selbst zu finden. Doch bis wir die „Auffahrt“ und den passenden Partner zu diesem Abenteuer gefunden haben, stellen wir uns vor lauter Unsicherheiten immer wieder selbst ein Bein. Wir verlieren uns in Ausreden, lassen uns von den Vorlieben anderer beirren, werden zu „Geisterfahrern“ in unserer Sex-Sackgasse. Im schlimmsten Fall resignieren wir und beobachten das Geschehen vom „Standstreifen“…

Wie man sich selbst ein Bein stellen kann, wenn der eine Fuß auf der Kupplung und der andere auf dem Gaspedal ruht, ist mir nicht ganz klar. Vielleicht bei Automatikwagen. Klar ist hingegen: Wenn einem in einer Sackgasse Geisterfahrer entgegenkommen, muss es sich wohl um eine Einbahnstraße handeln. Und aus einer Sackgasse, die gleichzeitig eine Einbahnstraße ist, kommt man natürlich nie wieder raus.

Haben Sie jetzt gerade beim Wort “Sackgasse” gekichert? Na, dann gab es doch bei “Standstreifen” vermutlich kein Halten mehr, oder? In jedem Fall: Super, aber viel zu früh. Zum Lachorgasmus kommen (hihihi) wir erst später.

Bild.de-Autorin Meike Meyruhn hat die “US-Sexlehrerin” Barbara Carrellas aufgetan (nicht zu verwechseln mit den 106 “Sex-Lehrerinnen” aus der “Galerie der Schande”), die all denen die Welt erklärt, die dachten, bei Tantra handele es sich wahlweise um ein Gebirge, eine Straßenbahn oder einen Schäferhund. Falsch:

Tantra ist eine Lebensphilosophie. Wer Tantra-Sex praktiziert, liebt bewusst, strebt eine Art kosmische Vereinigung im Hier und Jetzt an. Und einen Partner brauchen Sie dazu nicht!

Nun ist das mit der Vereinigung ohne Partner so eine Sache: Die Chancen, dass Deutschland noch eine Wiedervereinigung mitmacht, sind seit dem Ende der DDR beispielsweise rapide gesunken.

Aber was komm ich jetzt mit der DDR an? Es ging ja um Sex. Bild.de empfiehlt natürlich, direkt das Buch der Sex-Lehrerin Sexlehrerin zu kaufen, aber ein paar Auszüge gibt es dann doch noch:

Plane das Date vorher oder sei spontan.

(Vermutlich abhängig davon, ob der Hahn auf dem Mist kräht oder nicht.)

Egal was du machst, stöpsle Telefon, Computer und Fernseher aus, außer du willst einen erotischen Film in deine Szene einbauen.

Der letzte Halbsatz ist sehr wichtig, denn wie oft ist die Betrachtung eines erotischen Films schon daran gescheitert, dass das Telefon ausgestöpselt war?

Erlaube dir, deine Pläne zu ändern, wenn deine Stimmung schwingt, aber bleib bei deinem Rendezvous!

Wer kennt sie nicht, die berühmten Stimmungsschwingungen beim Rendezvous ([ʀɑ̃de ˈvu], französisch: ‚Verabredung‘, wörtlich: ‚treffen Sie sich‘) mit sich selbst?

Egal was du machst, denke daran, bewusst zu atmen. Das beruhigt deinen Geist und lenkt die Aufmerksamkeit auf deinen Körper.

Gut, dass man da alleine ist: Wer hätte beim Gedanken an bewusste Atmung und der Aufmerksamkeit auf den Körper noch Zeit, sich um jemand anderen zu kümmern? Also: Frauen vielleicht, aber Männer sind ja bekanntlich nicht Multitasking-fähig. (Deswegen atmen Männer übrigens auch nie beim Sex. Jetzt wissen Sie’s!)

Nimm die Gefühle an, die hochkommen. Vielleicht verwandelt sich dein Orgasmus in einen Schrei-, Wut- oder Lachorgasmus. Erlaube dir alles, was dein Körper heute erfahren will.

Damit wären wir dann beim Lachorgasmus. Laut Google handelt es sich dabei zwar um etwas eher Unsexuelles (nämlich das, was in den 1990er Jahren am Niederrhein “schrott lachen” hieß), aber wer würde Barbara Carrellas schon widersprechen wollen? Vielleicht hat es auch was mit dem “Kitzelsex” zu tun, den Bild.de erst kürzlich gefeiert hat — faszinierenderweise ohne den sehr naheliegenden Kalauer “Werden Sie zum Kitzler!”

Jedenfalls: Wenn Lachen beim (sexuellen) Orgasmus, dann bitte allein! Ihr Partner könnte sonst ähnlich entgeistert reagieren wie wenn Sie dabei jodeln.

Wenn du dich nicht sonderlich sexy fühlst, dann nimm das wahr und respektiere es. Vielleicht willst du dich ins Bett kuscheln und endlich das Buch lesen, für das du dir nie Zeit genommen hast. Gebe dir das, was du willst. Bereite dir

Leider werden wir nie erfahren, was man sich bereiten soll, denn mit diesen Worten enden die guten Ratschläge. Aber das gehört vermutlich zum Tantra dazu: den Höhepunkt einfach … wegzulassen.

Wichtiger ist eh:

Gebe dir das, was du willst.

… aber vermeide korrekte Imperative!

Falls Ihnen dieser Artikel jetzt zu lang war (Sie wissen schon: die Kunst des Herauszögerns), hier noch einmal die Kurzform: “Hol dich doch einfach mal wieder gepflegt einen runter!”

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Musik Print

Unvordenkliche Pattitessen

Eigentlich wollte ich ja nur wissen, wie das Konzert von Patti Smith in Frankfurt war. Aber schon nach den ersten zwei Sätzen der Rezension der Reportage des Artikels von Rose-Maria Gropp in der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” war mir klar, dass ich das nicht so einfach herausfinden würde:

Sie schreitet den Parcours ihrer Möglichkeiten ganz ab, von bald vier Jahrzehnten ist da zu sprechen. Zeit scheint für Patti Smith nicht entlang einer Schiene zu verlaufen, sondern ihr wie ein weiter, geräumiger Hof zur Verfügung zu stehen.

Irgendjemand hat also auf einem bald vier Jahrzehnte großen Hof – wie viel das wohl in Fußballfeldern ist? – einen Möglichkeiten-Parcours errichtet, den Patti Smith nun abzuschreiten gedenkt.

Na ja, schauen wir mal, wie lange wir da mitschreiten können:

Sie heizt ihren Auftritt an mit dem scharfen alten Song „Free Money“, dann holt sie sich ihr Publikum schon näher mit jenem Charme, der ihre seit unvordenklichen Zeiten bestehende Liebe zu Europa und seinen Dichtern versprüht: „I came to Frankfurt to see Goethe’s house“, deklamiert sie zur Gitarre und erzählt eine kleine Geschichte von Zerstörung und Wiederaufbau, vom Geist, der weht, wo er das darf – „there in the light, there is Goethe’s desk“.

Ist das nicht verantwortungslos, das Publikum so nah an einen aufgeheizten Auftritt heranzuholen? Zumal, wenn dort etwas sprüht. Aber was genau eigentlich? Manche Menschen versprühen ja schon mal Charme, bei Patti Smith versprüht aber offenbar der Charme Liebe. Und zwar eine, die seit unvordenklichen Zeiten besteht. Na, das muss ja eine alte Liebe sein. Gut, dass die nicht rostet, sonst wäre es noch gefährlicher, da so nah dran zu stehen. Immerhin weht da vorne auch noch ein Geist — oder darf er das genau dort nicht?

Es hat sich schon immer gelohnt, Patti Smiths Texte zu verstehen und zu begreifen; denn sie ist ganz eigentlich eine Dichterin, und der Punk in ihr ist vor allem sprachliche Entäußerung, die Musik ihre Rhythmusmaschine, die freilich längst nicht so simpel konstruiert ist, wie sie vorgibt, als wären da bloß ein paar Akkorde zu greifen.

Es entbehrt natürlich nicht einer gewissen Ironie (vermutlich einer sehr unsimpel konstruierten), derart umständlich über die Verständlichkeit und Begreifbarkeit von Texten zu schreiben. Dass Frau Smith “ganz eigentlich” eine Dichterin ist, hätte man natürlich erahnen können angesichts der Tatsache, dass die Dame schon ein Dutzend Gedichtbände veröffentlicht hat.

Überraschender wäre es vielleicht gewesen, wenn sie “ganz eigentlich” eine Konditorin wäre, die diese ganzen künstlerischen und intellektuellen Auftritte nur als Tarnung benutzt, um in Ruhe riesige Schwarzwälder Kirschtorten backen zu können. Die wären ihr dann sicher eine kulinarische Entäußerung.

Aber wie sieht’s eigentlich mit dem näher geholten Publikum aus?

Längst hat sie die Halle auf ihrer Seite – diejenigen, die mit ihr den langen Weg seit den Siebzigern gegangen sind, und die vielen Jungen, die vielleicht gekommen sind, um eine lebende Legende zu betrachten; ihnen wird eine veritable Erscheinung zuteil, die ihr Publikum anzieht wie ein Magnet die Späne.

War der lange Weg jetzt eine Schiene oder ein Hof? Ich komme da immer durcheinander. Jedenfalls scheint das Publikum inzwischen an Patti Smith zu kleben, bzw. an einer veritablen Erscheinung. Aber wo gehobelt wird …

An Patti Smiths Seite steht immer wieder und unverbrüchlich Lenny Kaye in seiner fortwährend schönen, eher alteuropäischen Melancholie, schlank und edel ergraut, noch immer ein Ausnahmegitarrist, der sich indessen mit einem Hauch Ironie, vor allem wenn er singt, ganz in den Dienst seiner Frontfrau stellt.

Als ich Patti Smith live gesehen habe (vor sechs Jahren beim Haldern Pop), wirkte sie einigermaßen zart. Erstaunlich, dass an ihrer Seite dennoch Platz für eine komplette Halle und einen Ausnahmegitarristen ist. Und was das für ein Ausnahmegitarrist ist: Einer, der immer wieder und unverbrüchlich steht (an Patti Smiths Seite) und der offenbar in fortwährend schöner, eher alteuropäischen Melancholie – nicht irgendeiner: seiner! – edel ergraut ist. Er könnte aber auch nur in dieser Melancholie stehen, so genau gibt das die Grammatik nicht her. Sicher ist: Er steht und stellt sich dabei ganz in den Dienst seiner Frontfrau. Das tut er natürlich “indessen”, weil dieses Wort auf Seite 137 des Nachschlagewerks “Worthe zum bedeutungsschwanger in Texten herumstehen” (3., aktual. Auflage, Weimar 1871) zu finden ist.

Diese Dyade ist von hohem Reiz, und wenn die beiden auf den Stahlsaiten ihrer akustischen Gitarren ein Duett geben, das großartig ausufert in etwas, das früher die Session einer Band geheißen hätte, dann ist da ein solcher Moment, für den Konzerte gemacht sind.

Die gute Nachricht zuerst: Eine Dyade ist nicht – wie ursprünglich von mir angenommen – ein Fisch.

Sessions heißen jetzt also irgendwie anders, aber wie sie heißen, weiß Frau Gropp nicht — oder sie will es uns nicht mitteilen. Jedenfalls ist das Duett der reizenden Dyade erst großartig in etwas ausgeufert und dann war da plötzlich ein Moment – nicht irgendeiner: ein solcher! -, für den Konzerte gemacht sind. Hoffentlich wusste der den ganzen Aufwand zu schätzen.

Aber zurück zur Frage, wie es denn eigentlich war, das Konzert. Zieht man sämtliche Adjektive und Adverbien ab, wäre der Artikel nur noch halb so lang. bleibt eine Erkenntnis:

Mit Pathos wird Geschichte gemacht.

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Was Killerchen nicht lernt …

Die Sammlung “Die geschmacklosesten Einleitungssätze aller Zeiten” wird zwar gerade erst eröffnet, aber die “Chemnitzer Morgenpost” dürfte sich schon mal einen Platz in der ewigen Ruhmeshalle erkämpft haben:

MÜHLAU - Früh übt sich, was ein Holzklotz-Killer werden will: Drei Tage nach Verurteilung des Oldenburgers Nicolai H. (31) warfen jetzt auf der A72 zwei Kinder von einer Brücke aus Steine auf die Fahrbahn. Eine Fahrerin (53) entkam dem Tode nur knapp.

Mit Dank an BILDblog-Hinweisgeber Fabian H.

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Die ungelegten Blues-Eier des Milchkaffee-Gedächtnisses

Wer auch immer den Sack mit den Stilblüten in der Dinslakener Lokalredaktion der “Rheinischen Post” vergessen hat: er sollte ihn schleunigst abholen!

Der Umzug des Stadtarchivs ins Johannahaus hätte sicher Charme. Die historische Bedeutung des Gemäuers, das noch dazu im Herzen der Altstadt und in unmittelbarere Nähe zum städtischen Museum Voswinckelshof liegt, passte hervorragend für die Unterbringung des „städtischen Gedächtnisses“. Doch noch handelt es sich bei dieser Lösung um ein völlig ungelegtes Ei.

 Dinslaken (RP) Tango schmeckt nach Sommer und duftet nach bitter-süßem Milchkaffee, zumindest wenn „Quadro Nuevo“ ihn spielen. Bei der Fantastival-Jazznacht im Burginnenhof lud das Quartett zu einer sinnlichen Reise durch Europa ein.  In Polen hat die Sonne den Blues. Sie ist müde, und so schwermütig, dass der anschließende Spaziergang durch die engen Gassen Neapels im beinahe verklungenen Italien der 20er Jahre geradezu verträumt daher kommt, federleicht, warm, zärtlich.

Disclosure: Genau dort habe ich meine ersten journalistischen Gehversuche unternommen.

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Rundfunk Fernsehen

Bata Man

Gestern hab ich mal wieder “Das perfekte Promi-Dinner” geguckt. Ich tue das sehr gerne, besonders, wenn ich währenddessen essen kann. Plötzlich kam ein älterer Herr ins Bild und ich dachte “Ach, guck mal da!” Dann erst stellte ich fest, dass ich Bata Illic streng genommen gar nicht kenne, also jedenfalls nicht in einem Maße, das eine solche Freude und Überraschung gerechtfertigt hätte.

Bis vor einem Monat wusste ich von Bata Illic gerade mal, dass er vor vielen Jahren einen Hit namens “Michaela” gehabt hatte, dass er aussah wie Franz Josef Wagner, und dass er nicht an der Schuhfirma Bata beteiligt war. ((Danach hatte ihn Roger Willemsen vor fast ebenso vielen Jahren bei “Willemsens Woche” mal gefragt.)) In der Zwischenzeit aber war Bata Illic ins RTL-Dschungelcamp eingezogen und war dort bis zum letzten Tag verblieben. War er dort anfangs kaum aufgefallen, hatte er mit seiner ersten Dschungelprüfung, bei der er mit Ratten sprach und diese von seinen friedvollen Absichten zu überzeugen versuchte, die Herzen der Zuschauer erobert. Ich habe von jungen Damen gehört, die ihn am liebsten als Opi mitgenommen hätten.

Überhaupt: “Ich bin ein Star, holt mich hier raus” dürfte sich für die RTL-Redakteure zum Super-GAU entwickelt haben. Statt sich anzukeifen und in Grabenkämpfe zu verfallen, konnte man den Prominenten ((Ich finde es so unfair, die Dschungel-Camper als “Prominente” mit Anführungszeichen zu bezeichnen. Zumindest einem Teil der Bevölkerung dürfte jeder Einzelne bekannt gewesen sein und wenn man “Prominenter” mal mit “jemand, von dem sich Menschen gemeinsame Handyfotos wünschen” übersetzt, sollten alle zehn als Prominente durchgehen. Außerdem bin ich neulich versehentlich in eine Autogrammstunde von Martin Stosch hineingeraten, bei der es für die zahlreichen Besucherinnen zwei “Abendessen” (mit Anführungszeichen) mit dem Star zu gewinnen gab.)) bei Selbstfindung und Gruppenkuscheln zusehen. Ross Antony und Michaela Schaffrath waren mir vorher unbekannt bis egal gewesen, aber es war schon ein Erlebnis, dem anfangs völlig hysterischen Ross bei der Überwindung seiner Ängste zuzusehen oder eine Frau zu erleben, die mit ihrer inneren Ruhe und Güte die ganze Truppe zusammenhielt und so gar nicht dem Klischee des überall apostrophierten Ex-Pornostars entsprach. Diese Staffel entwickelte sich dann auch versehentlich zum Gegenentwurf aller Castingshows, wo innerhalb weniger Wochen aus Nobodies Stars gemacht werden: Plötzlich saßen da Stars, die viele nicht kannten, im Dschungel, redeten auf eine ganz eigenartig poetische Art belangloses Zeug und machten sich bei übertriebenen Kindergeburtstagsspielen zum Affen. Der Unterschied zu “Zimmer frei!” bestand teilweise nur noch in den Moderatoren und der Reaktion der Öffentlichkeit.

Und während mich das Format “Reality TV” normalerweise überhaupt nicht interessiert, weil ich schon nicht wissen will, wie falsch sich meine Nachbarn ernähren oder wie grauenhaft sie ihre Wohnung eingerichtet haben, finde ich die Prominenten-Ableger davon meistens ganz großartig. Es gibt kaum einen besseren Weg, Leute etwas über Leute zu erfahren, als ihnen beim Dschungel-Bewohnen oder Essen zuzusehen. Danach braucht man keine Paparazzi mehr.

Die “Promidinner”-Redakteure hatten dann auch eine an “Lost” erinnernde Akribie bei der Zusammensetzung der gestrigen Köche an den Tag gelegt: Neben Bata Illic waren John Jürgens, Sohn der Schlagerlegende Udo Jürgens; Kriemhild Jahn, Sopranistin und Ehefrau von Schlagerproduzentenlegende Ralph Siegel, sowie Heydi Núñez Gómez vertreten, die auch schon mal im RTL-Dschungel war und mit Ralph Siegel eine Platte aufgenommen hatte. Und während sich die anderen Kandidaten mit exquisiten und exotischen Gerichten zu übertrumpfen versuchten, servierte Bata Illic eine Rohkostplatte mit literweise Mayonnaise, frittierte Schnitzel nach einem Rezept seiner “Schwiegermama” und eine Rumtorte, deren Zuckerguss noch vor dem Fernseher Zahnschmerzen verursachte. Las er auf den Menü-Karten der anderen Karten etwas, was seiner Frau Olga gefallen könnte, wollte er gleich eine doggy bag für sie ordern, und immer, wenn er für die Kochkünste der Anderen Punkte verteilen sollte, tat er das mit den Worten “Ich freue mich, ihm/ihr zehn Punkte geben zu dürfen”, und man glaubte ihm diese Freude genauso wie jedes einzelne “wunderschön”. ((Dass er sich strikt weigerte, mit dem Essen zu beginnen, bevor die Gastgeberin Platz genommen hatte, und er den Damen jedesmal, wenn sie sich hinsetzen wollten, umständlich den Stuhl ranschieben wollte, zeigt, dass sein Kommentar im Dschungel zu (ich glaube) DJ Tomekk “Wir zwei sind Gentlemen” zumindest zur Hälfte vollkommen richtig war.))

Noch mehr als im Dschungel oder am Esstisch erfährt man über Menschen nur, wenn man sieht, wie sie leben. Bata Illic und seine Olga leben in einem Haus, das mit seinen terracottafarbenen Wänden, runden Türzargen, selbst geschriebenen Ikonen, barocken Kommoden und englischen Clubsesseln wie ein wüst, aber liebevoll zusammengestelltes Museum wirkt. Wer die beiden miteinander reden sieht, wird dem Mann jedes Wort jedes Schlagertextes abnehmen. Bei Kriemhild Jahn und Ralph Siegel zuhause gibt es einen gläsernen Fahrstuhl, die Küche liegt (wenn ich das richtig verstanden habe) im Keller und der Esstisch steht in einem Raum, der aussieht wie die Lobby eines Hotels in Las Vegas.

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Kultur

Schild-Schelte

Liebe Herren,

eines Tages kommt für jeden von uns der Moment, wo wir den ersten Anzug kaufen müssen. Manchmal anlässlich der ersten heiligen Kommunion oder der Konfirmation, manchmal anlässlich des Examens oder einer Hochzeit (eigene oder andere), manchmal auch erst anlässlich der Einsargung.1

Die Auswahl kann oft sehr lange dauern und für alle Beteiligten sehr erschöpfend sein. Aber ganz egal, für welche Marke Sie sich entscheiden und ob der Anzug am Ende fünfzig oder zweitausend Euro kostet:

Gehen Sie um Himmels Willen sicher, das kleine Herstellerlogo, das beim Kauf am linken Jackettärmel festgenäht ist, vor dem ersten Tragen zu entfernen!!!!!1

Uff!

Danke!

1 Gut, dann müssen wir ihn streng genommen nicht selbst kaufen