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Unvordenkliche Pattitessen

Eigent­lich woll­te ich ja nur wis­sen, wie das Kon­zert von Pat­ti Smith in Frank­furt war. Aber schon nach den ers­ten zwei Sät­zen der Rezen­si­on der Repor­ta­ge des Arti­kels von Rose-Maria Gropp in der „Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung“ war mir klar, dass ich das nicht so ein­fach her­aus­fin­den wür­de:

Sie schrei­tet den Par­cours ihrer Mög­lich­kei­ten ganz ab, von bald vier Jahr­zehn­ten ist da zu spre­chen. Zeit scheint für Pat­ti Smith nicht ent­lang einer Schie­ne zu ver­lau­fen, son­dern ihr wie ein wei­ter, geräu­mi­ger Hof zur Ver­fü­gung zu ste­hen.

Irgend­je­mand hat also auf einem bald vier Jahr­zehn­te gro­ßen Hof – wie viel das wohl in Fuß­ball­fel­dern ist? – einen Mög­lich­kei­ten-Par­cours errich­tet, den Pat­ti Smith nun abzu­schrei­ten gedenkt.

Na ja, schau­en wir mal, wie lan­ge wir da mit­schrei­ten kön­nen:

Sie heizt ihren Auf­tritt an mit dem schar­fen alten Song „Free Money“, dann holt sie sich ihr Publi­kum schon näher mit jenem Charme, der ihre seit unvor­denk­li­chen Zei­ten bestehen­de Lie­be zu Euro­pa und sei­nen Dich­tern ver­sprüht: „I came to Frank­furt to see Goethe’s house“, dekla­miert sie zur Gitar­re und erzählt eine klei­ne Geschich­te von Zer­stö­rung und Wie­der­auf­bau, vom Geist, der weht, wo er das darf – „the­re in the light, the­re is Goethe’s desk“.

Ist das nicht ver­ant­wor­tungs­los, das Publi­kum so nah an einen auf­ge­heiz­ten Auf­tritt her­an­zu­ho­len? Zumal, wenn dort etwas sprüht. Aber was genau eigent­lich? Man­che Men­schen ver­sprü­hen ja schon mal Charme, bei Pat­ti Smith ver­sprüht aber offen­bar der Charme Lie­be. Und zwar eine, die seit unvor­denk­li­chen Zei­ten besteht. Na, das muss ja eine alte Lie­be sein. Gut, dass die nicht ros­tet, sonst wäre es noch gefähr­li­cher, da so nah dran zu ste­hen. Immer­hin weht da vor­ne auch noch ein Geist – oder darf er das genau dort nicht?

Es hat sich schon immer gelohnt, Pat­ti Smit­hs Tex­te zu ver­ste­hen und zu begrei­fen; denn sie ist ganz eigent­lich eine Dich­te­rin, und der Punk in ihr ist vor allem sprach­li­che Ent­äu­ße­rung, die Musik ihre Rhyth­mus­ma­schi­ne, die frei­lich längst nicht so sim­pel kon­stru­iert ist, wie sie vor­gibt, als wären da bloß ein paar Akkor­de zu grei­fen.

Es ent­behrt natür­lich nicht einer gewis­sen Iro­nie (ver­mut­lich einer sehr unsim­pel kon­stru­ier­ten), der­art umständ­lich über die Ver­ständ­lich­keit und Begreif­bar­keit von Tex­ten zu schrei­ben. Dass Frau Smith „ganz eigent­lich“ eine Dich­te­rin ist, hät­te man natür­lich erah­nen kön­nen ange­sichts der Tat­sa­che, dass die Dame schon ein Dut­zend Gedicht­bän­de ver­öf­fent­licht hat.

Über­ra­schen­der wäre es viel­leicht gewe­sen, wenn sie „ganz eigent­lich“ eine Kon­di­to­rin wäre, die die­se gan­zen künst­le­ri­schen und intel­lek­tu­el­len Auf­trit­te nur als Tar­nung benutzt, um in Ruhe rie­si­ge Schwarz­wäl­der Kirsch­tor­ten backen zu kön­nen. Die wären ihr dann sicher eine kuli­na­ri­sche Ent­äu­ße­rung.

Aber wie sieht’s eigent­lich mit dem näher gehol­ten Publi­kum aus?

Längst hat sie die Hal­le auf ihrer Sei­te – die­je­ni­gen, die mit ihr den lan­gen Weg seit den Sieb­zi­gern gegan­gen sind, und die vie­len Jun­gen, die viel­leicht gekom­men sind, um eine leben­de Legen­de zu betrach­ten; ihnen wird eine veri­ta­ble Erschei­nung zuteil, die ihr Publi­kum anzieht wie ein Magnet die Spä­ne.

War der lan­ge Weg jetzt eine Schie­ne oder ein Hof? Ich kom­me da immer durch­ein­an­der. Jeden­falls scheint das Publi­kum inzwi­schen an Pat­ti Smith zu kle­ben, bzw. an einer veri­ta­blen Erschei­nung. Aber wo geho­belt wird …

An Pat­ti Smit­hs Sei­te steht immer wie­der und unver­brüch­lich Len­ny Kaye in sei­ner fort­wäh­rend schö­nen, eher alt­eu­ro­päi­schen Melan­cho­lie, schlank und edel ergraut, noch immer ein Aus­nah­me­gi­tar­rist, der sich indes­sen mit einem Hauch Iro­nie, vor allem wenn er singt, ganz in den Dienst sei­ner Front­frau stellt.

Als ich Pat­ti Smith live gese­hen habe (vor sechs Jah­ren beim Hald­ern Pop), wirk­te sie eini­ger­ma­ßen zart. Erstaun­lich, dass an ihrer Sei­te den­noch Platz für eine kom­plet­te Hal­le und einen Aus­nah­me­gi­tar­ris­ten ist. Und was das für ein Aus­nah­me­gi­tar­rist ist: Einer, der immer wie­der und unver­brüch­lich steht (an Pat­ti Smit­hs Sei­te) und der offen­bar in fort­wäh­rend schö­ner, eher alt­eu­ro­päi­schen Melan­cho­lie – nicht irgend­ei­ner: sei­ner! – edel ergraut ist. Er könn­te aber auch nur in die­ser Melan­cho­lie ste­hen, so genau gibt das die Gram­ma­tik nicht her. Sicher ist: Er steht und stellt sich dabei ganz in den Dienst sei­ner Front­frau. Das tut er natür­lich „indes­sen“, weil die­ses Wort auf Sei­te 137 des Nach­schla­ge­werks „Wor­t­he zum bedeu­tungs­schwan­ger in Tex­ten her­um­ste­hen“ (3., aktu­al. Auf­la­ge, Wei­mar 1871) zu fin­den ist.

Die­se Dya­de ist von hohem Reiz, und wenn die bei­den auf den Stahl­sai­ten ihrer akus­ti­schen Gitar­ren ein Duett geben, das groß­ar­tig aus­ufert in etwas, das frü­her die Ses­si­on einer Band gehei­ßen hät­te, dann ist da ein sol­cher Moment, für den Kon­zer­te gemacht sind.

Die gute Nach­richt zuerst: Eine Dya­de ist nicht – wie ursprüng­lich von mir ange­nom­men – ein Fisch.

Ses­si­ons hei­ßen jetzt also irgend­wie anders, aber wie sie hei­ßen, weiß Frau Gropp nicht – oder sie will es uns nicht mit­tei­len. Jeden­falls ist das Duett der rei­zen­den Dya­de erst groß­ar­tig in etwas aus­geu­fert und dann war da plötz­lich ein Moment – nicht irgend­ei­ner: ein sol­cher! -, für den Kon­zer­te gemacht sind. Hof­fent­lich wuss­te der den gan­zen Auf­wand zu schät­zen.

Aber zurück zur Fra­ge, wie es denn eigent­lich war, das Kon­zert. Zieht man sämt­li­che Adjek­ti­ve und Adver­bi­en ab, wäre der Arti­kel nur noch halb so lang. bleibt eine Erkennt­nis:

Mit Pathos wird Geschich­te gemacht.