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Wie der Scorpions-Song

Man vergisst das angesichts immer neuer Verfahren gegen Donald Trump, angesichts von sich überschlagenden und ineinander verkeilender Krisen, schnell, aber es gab mal einen US-Präsidenten, der Barack Obama hieß. Sein (erfolgreicher) Wahlkampf 2008 gründete unter anderem auf dem von Bob, dem Baumeister, entlehnten Slogan „Yes, we can“, der als Mem eine zeitlang die digitale und vor allem analoge Welt beherrschte.

Bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ haben sie ein gutes Gedächtnis (oder Archiv), denn so sah am Montag der Sportteil aus:

Grafik in der F.A.Z.: „Yes we Kane?“

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Jan Böhmermanns Twitterwochen

Jan Böhmermann hat seine fernsehfreie Zeit genutzt, um ein Buch zu veröffentlichen, das er über elf Jahre geschrieben hat — nämlich in Form von Beiträgen auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Ich versuche eigentlich, Böhmermann und Twitter in meinem Leben möglichst wenig Raum zu geben, aber in den letzten Tagen konnte man kaum einen toten Fisch werfen, ohne irgendeinen Artikel oder ein Interview zum Buch zu treffen.

Vergangenen Donnerstag machte Böhmermann – natürlich auf Twitter – publik, dass die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (für die ich in der Vergangenheit eine Handvoll Texte geschrieben habe) ein mit ihm geführtes und druckfertiges Interview kurzfristig aus dem Blatt genommen habe; laut Böhmermann auf „persönliche Anweisung“ von FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube.

Der Tweet machte die Runde, die Empörung war groß, auch ich habe Böhmermanns „offenen Brief“ an Kaube retweetet — und mich am nächsten Morgen geärgert, dass ich mich da wieder im ersten emotionalen Moment vor einen PR-Karren habe spannen lassen. Böhmermann hatte geschrieben: „Sowas habe ich wirklich noch nie erlebt“, aber nach ein bisschen Nachdenken fiel mir ein, dass ich selbst vor acht Jahren im BILDblog über einen Fall geschrieben hatte, der zumindest ein Stück weit vergleichbar war: Diether Dehm, Bundestagsabgeordneter der Linken und als Musiker unter anderem am Text von Klaus Lages Hit „1000 und 1 Nacht (Zoom!)“ beteiligt, hatte damals ein neues Album herausgebracht, über das sogar Bild.de einen längeren, durchaus wohlwollenden Text veröffentlicht hatte. Der Text blieb nicht lange online.

Möglicherweise hatte Erika Steinbach, damals noch CDU-Bundestagsabgeordnete, etwas damit zu tun, denn sie hatte sich öffentlichkeitswirksam auf Twitter über die „Eloge“ auf Dehm beklagt. Diether Dehm, der in der Zwischenzeit durch eine unangenehme Nähe zu Verschwörungsfreaks wie Ken Jebsen auffällig geworden ist, hatte mir damals am Telefon erzählt, ihm seien Namen „aus den Fraktionsspitzen der drei Parteien“ CDU, SPD und FDP zu Ohren gekommen, die am Wochenende in der „Bild“-Redaktion „vorstellig geworden“ sein sollen, um sich über die positive Berichterstattung über ihn und seine neue CD zu beschweren. „Bild“ wollte damals, wie so oft, nicht auf unsere Fragen antworten.

Doch zurück zu Jan Böhmermann und seinem Twitter-Buch, das ich nicht gelesen habe und auch nicht lesen möchte, weil ich Böhmermanns Auftreten – gerade auf Twitter – wahnsinnig anstrengend finde. Nichts gegen ein bisschen Widersprüchlichkeit bei einer öffentlichen Persona, aber dieses Oszillieren zwischen Oberstufen-Sarkasmus, ernsthafter Empörung über gesellschaftliche Missstände und nur notdürftig ironisch gebrochener Eitelkeit ist mir ein bisschen zu viel.

Eine Freundin hat mir aber einen Ausschnitt aus dem Buch geschickt — aus einigermaßen naheliegenden Gründen:

USFO (Unser Star für Oslo): Ich bin für die Dunkelhaarige (Lena Meyer-Landrut).

Das Ding ist: Das ist Quatsch.

Der „Witz“ an diesem Tweet war ja, dass im Finale von „Unser Star für Oslo“, dem deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest 2010, zwei dunkelhaarige Frauen gegeneinander antraten: Lena Meyer-Landrut, die die Sendung und schließlich auch den ESC in Oslo gewann, und Jennifer Braun, deren Song „I Care For You“ anschließend noch ein bisschen Radio-Airplay abbekam (und bei dem ich mir wirklich nicht sicher bin, ob ich ihn jemals wiedererkannt hätte).

Natürlich kann es sein, dass Jan Böhmermann, als er den Tweet für sein Buch auswählte und mit Anmerkungen versah, sich einfach nicht mehr daran erinnerte, dass an jenem Abend zwei dunkelhaarige Frauen auf der TV-Bühne gestanden hatten und sein Tweet also durchaus in jenem Moment auch eine Spur von Humor enthalten hatte. Das wäre allerdings ein bemerkenswerter Zufall, wenn man sich das durchaus angespannte Verhältnis zwischen ihm und Lena Meyer-Landrut vor Augen hält.

Und dann war da ja noch meine ganz persönliche Twitter-Begegnung mit Jan Böhmermann:

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Sack Reis in China

Was macht eigentlich Angela Merkel?

Titelseite "Süddeutsche Zeitung" vom 7. Juli 2014

Titelseite "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 7. Juli 2014

Titelseite "Welt" vom 7. Juli 2014

Titelseite "Welt Kompakt" vom 7. Juli 2014

Das ist aber trotzdem natürlich nur ein halber Guttenberg.

[alle Titelbilder via “Meedia”]

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Politik Gesellschaft Print

“Sein” oder nicht “sein”

Am 21. August wurde die ehemalige Soldatin Chelsea Manning, die der Whistleblower-Plattform Wikileaks geheime Dokumente zugespielt hatte, von einem US-Militärgericht zu 35 Jahren Haft verurteilt.

Wobei: Das stimmt so nicht. Damals hieß Chelsea in der Öffentlichkeit noch Bradley Manning und galt als Mann. Erst einen Tag später ließ sie ein Statement veröffentlichen, in dem es hieß:

As I transition into this next phase of my life, I want everyone to know the real me. I am Chelsea Manning. I am a female. Given the way that I feel, and have felt since childhood, I want to begin hormone therapy as soon as possible. I hope that you will support me in this transition. I also request that, starting today, you refer to me by my new name and use the feminine pronoun (except in official mail to the confinement facility).

Wer gleichermaßen aufgeklärt wie naiv ist, hätte annehmen können, dass das Thema damit schnell beendet war: Chelsea Manning ist eine Frau, die in einem männlichen Körper geboren wurde und einen männlichen Vornamen getragen hat, jetzt aber explizit darum bittet, mit ihrem weiblichen Vornamen bezeichnet zu werden.

Die “New York Times” erklärte dann auch in einem Blogeintrag, möglichst schnell den Namen Chelsea Manning und die weiblichen Pronomina verwenden und zum besseren Verständnis für die Leser auf die Umstände dieser Namensänderung zu verweisen. Der “Guardian” legte den Schalter von “Bradley” auf “Chelsea” um und schrieb fürderhin nur noch von “ihr”.

Aber so einfach war das alles natürlich nicht.

Die “Berliner Zeitung” fasste das vermeintliche Dilemma am 24. August eindrucksvoll zusammen:

Bradley Manning möchte fortan als Frau leben und Chelsea genannt werden. […] Der 25 Jahre alte Soldat ließ erklären, er habe sich seit seiner Kindheit so gefühlt. Von nun an wolle er nur noch mit seinem neuen Namen angesprochen werden. Auch solle künftig ausschließlich das weibliche Pronomen “sie” verwendet werden, wenn über Manning gesprochen werde. Eine operative Geschlechtsumwandlung strebt Manning zunächst wohl nicht an.

Mit diesem Wunsch hat Manning, der gut 700000 Geheimdokumente an die Enthüllungsplattform Wikileaks weitergab, Journalisten in den USA verwirrt und vor große Herausforderungen gestellt. In den Meldungen über Mannings Erklärung war einmal von “ihm” die Rede, dann wieder von Bradley Manning, “die” nun eine Frau sein wolle. Die einen vermieden es peinlich, Personalpronomen zu verwenden. Die anderen erklärten, sie würden solange von “ihm” sprechen, wie Manning aussehe wie ein Mann.

Wie es die “Berliner Zeitung” selbst hält, wurde in den folgenden Wochen deutlich:

5. September:

Die von Matthew H. 2009 besuchte Veranstaltung des Chaos Computer Clubs war immerhin öffentlich. Sein Anteil an der Verurteilung des Whistleblowers Bradley Manning ist unklar. Und auch wenn der Umgang mit Manning nicht unseren Vorstellungen entspricht: Er hat militärische Geheimnisse verraten. Das ist auch deutschen Soldaten verboten.

6. September:

Wie in letzter Zeit in Berlin häufiger der Fall, stehen mal wieder leere Stühle auf der Bühne, diesmal nicht für den mit Ausreiseverbot belegten Filmemacher Jafar Panahi, sondern für Edward Snowden und Bradley Manning, die Ulrich Schreiber gern dabeigehabt hätte. Leider sind sie aus bekannten Gründen verhindert.

Bei der “Süddeutschen Zeitung” gibt es offenbar auch keine Empfehlungen und Richtlinien wie bei der “New York Times” — und noch nicht mal eine klare Linie. Am 2. September schrieb die “SZ”:

Auf Transparenten fordern die Teilnehmer, dass US-Präsident Barack Obama seinen Friedensnobelpreis an die Geheimdaten-Enthüller Chelsea Manning und Edward Snowden abtreten solle.

Und eine Woche später:

Anders gefragt: Hätten amerikanische Dienste eine solche Anfrage zugelassen, wenn ein deutscher Dienst sich um Hintergründe zum Treiben eines bekannten amerikanischen Journalisten interessiert hätte? Da können, trotz aller Narreteien und Verhärtungen der amerikanischen Politik im Kampf gegen Whistleblower wie Bradley Manning oder Edward Snowden amerikanische Behörden empfindsam reagieren.

Am 7. Oktober nun wieder:

Schließlich, so schreiben einige, sei er ein Visionär, gleichzusetzen mit der Wikileaks-Informantin Chelsea Manning oder dem NSA-Whistleblower Edward Snowden .

“Bild” hatte in ganz wenigen Zeilen klargemacht, wie wenig sich die Redaktion um die Bitte von Chelsea Manning schert: In ihren “Fragen der Woche” am 24. August fragte die Boulevardzeitung “Kommt Manning in den Frauenknast?” und antwortete:

Nein! Obwohl der zu 35 Jahren Gefängnis verurteilte Wikileaks-Informant Bradley Manning (25) ab sofort als Frau namens Chelsea leben und sich einer Hormonbehandlung unterziehen will (BILD berichtete), kam er in das Männergefängnis Fort Leavenworth (US-Staat Kansas). Ein Armeesprecher sagte, dass dort weder Hormontherapien noch chirurgische Eingriffe zur Geschlechtsumwandlung bezahlt werden.

Der Unterschied zum “Spiegel” ist da allerdings marginal:

Manning fühlt sich schon länger als Frau, nach seiner Verurteilung will er auch so leben. […] Am Mittwoch verurteilte ihn ein Militärgericht dafür zu 35 Jahren Gefängnis, abzusitzen in Fort Leavenworth, Kansas. Zwar kann Manning auf vorzeitige Entlassung hoffen – doch bis dahin steht ihm eine harte Zeit bevor: Seine Mitinsassen sind ausnahmslos Männer, eine Verlegung in ein Frauengefängnis ist nicht geplant.

Die Deutsche Presse-Agentur tat sich anfangs noch schwer mit dem Geschlecht. Am 4. September schrieb die dpa:

Die Mission des angeblichen US-Agenten soll dem Bericht zufolge öffentlich geworden sein, nachdem er im Juni dieses Jahres als Zeuge im Prozess gegen den Whistleblower Bradley Manning vor einem amerikanischen Militärgericht in Maryland aufgetreten sei. Manning wurde später zu 35 Jahren Haft verurteilt, weil er WikiLeaks rund 800.000 Geheimdokumente übergeben hatte. Der Ex-Soldat war eine Art Zeuge der Anklage der Militärstaatsanwälte.

Im Rahmen ihrer Berichterstattung zum Friedensnobelpreis letzte Woche schrieb die dpa dann:

Unter den bekannten Kandidaten in diesem Jahr ist auch Chelsea Manning (früher Bradley Manning). Dem einstigen US-Whistleblower räumt der Prio-Direktor aber wenig Chancen ein. “Es gibt keinen Zweifel, dass die Enthüllungen sehr zur internationalen Debatte über Überwachung beigetragen haben”, sagt Harpviken. Ethisch und moralisch reflektiere Manning aber zu wenig, was sie getan habe.

Tatsächlich hatte die Agentur in der Zwischenzeit die Entscheidung getroffen, zukünftig immer von “Wikileaks-Informantin Chelsea Manning” zu schreiben und im weiteren Textverlauf möglichst schnell zu erklären, dass Chelsea als Bradley Manning vor Gericht gestanden habe. Wie mir ihr Sprecher Christian Röwekamp auf Anfrage erklärte, hat die dpa nach Abstimmung mit anderen Agenturen am 6. September eine entsprechende Protokollnotiz in ihr Regelwerk “dpa-Kompass” aufgenommen, in dem sonst etwa die Schreibweisen bestimmter Wörter geregelt werden.

Der Evangelische Pressdienst epd war da offenbar nicht dabei. Er schrieb am 11. Oktober:

Gute Chancen auf den Friedensnobelpreis wurden auch dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton, dem WikiLeaks-Informanten Bradley Manning und der afghanischen Menschenrechtlerin Sima Samar eingeräumt.

Wie einfach es eigentlich geht, hatte die “FAZ” am 9. September bewiesen:

Der Umgang mit Chelsea (vormals Bradley) Manning, die Causa Snowden mit transatlantischer Sippenhaft gegen ihn unterstützende Journalisten und der Umgang mit den Geheimdienst- und Militär-Whistleblowern insgesamt zeigt überdeutlich, welch unkontrollierte Macht der “deep state” der Dienste mittlerweile hat und wie unberührt von öffentlichem Protest er agiert.

Am 5. Oktober schrieb die “FAZ” dann allerdings wieder:

Ohne die von Bradley Manning an die Enthüllungsplattform Wikileaks gelieferten geheimen Regierungsdokumente hätte Mazzetti manche Zusammenhänge nicht rekonstruieren können.

Nun zählen die Themenfelder Transgender und Transsexualität im Jahr 2013 immer noch zu den etwas außergewöhnlicheren, sind aber zumindest immer mal wieder in Sichtweite des Mainstreams. Balian Buschbaum etwa, der als Yvonne Buschbaum eine erfolgreiche Stabhochspringerin war, ist häufiger in Talkshows zu Gast und wird dort mehr oder weniger augenzwinkernd angelanzt, wie das denn jetzt so sei mit einem … hihi: Penis. Der Amerikaner Thomas Beatie durfte als “schwangerer Mann” die Kuriositätenkabinette der Boulevardmedien füllen. Mina Caputo wurde mal Keith genannt und war als Sänger von Life Of Agony bekannt und Laura Jane Grace von der Band Against Me! begann ihre Karriere als Tom Gabel — was die Komiker von “Spiegel Online” seinerzeit zu der pietätvollen Überschrift “Gabel unterm Messer” inspiriert hatte.

Viele haben in ihrem Bekanntenkreis keine Transmenschen (oder wissen nichts davon) und wissen nicht, wie sie mit einem umgehen sollten. Für Journalisten, die aus der Ferne über sie schreiben, ist es aber meines Erachtens erst einmal naheliegend, die Namen und Personalpronomina zu verwenden, die sich die betreffenden Personen erbeten haben. Und Chelsea Manning hat dies explizit getan.

In vergleichsweise alltäglichen Situationen scheinen Journalisten übrigens weniger überfordert: Muhammad Ali und Kareem Abdul-Jabbar waren schon bekannte Sportler, als sie zum Islam konvertierten und ihre neuen Namen annahmen. Durch Eheschließungen und -scheidungen wechselten Schauspielerinnen wie Robin Wright, Politikerinnen wie Kristina Schröder und Schmuckdesignerinnen wie Alessandra Pocher ihre Namen und die Presse zog mit. Und der Fernsehmoderator Max Moor hieß bis zum Frühjahr dieses Jahres Dieter, was – nach einem kurzen Moment des Naserümpfens und Drüberlustigmachens – inzwischen auch keinen mehr interessiert.

Hoffentlich braucht es weniger als 35 Jahre, bis Chelsea Mannings Bitte von den deutschen Medien erhört wird.

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Hasende Begeisterung

In Zeitungen ist ja öfter Quark zu finden. Aber selten ist er dabei so gut in Form wie heute auf der “FAZ”:

Teilchen erfolgreich beschleunigt

[via Mutti]

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99 Kriegsminister

Falls Sie heute noch nicht am Kiosk waren: Lassen Sie’s! Es lohnt sich nicht.

Folgendes hätte Sie in etwa erwartet:

Titelseite "Süddeutsche Zeitung", 13. November 2009

Titelseite "Frankfurter Allgemeine Zeitung", 13. November 2009

Titelseite "Der Tagesspiegel", 13. November 2009

Titelseite "Berliner Zeitung", 13. November 2009

Titelseite "Welt Kompakt", 13. November 2009

Titelseite "Braunschweiger Zeitung", 13. November 2009

Titelseite "Ruhr Nachrichten", 13. November 2009

Gut, es geht natürlich auch … anders:

Titelseite "Bild", 13. November 2009

Titelseite "Hamburger Morgenpost", 13. November 2009

Titelseite "Berliner Kurier", 13. November 2009

Zwei Titelgeschichten zum Preis von einer bekommen nur die Leser der “Abendzeitung”:

Titelseite "Abendzeitung", 13. November 2009

[Alle Titelseiten via Meedia]

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Unvordenkliche Pattitessen

Eigentlich wollte ich ja nur wissen, wie das Konzert von Patti Smith in Frankfurt war. Aber schon nach den ersten zwei Sätzen der Rezension der Reportage des Artikels von Rose-Maria Gropp in der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” war mir klar, dass ich das nicht so einfach herausfinden würde:

Sie schreitet den Parcours ihrer Möglichkeiten ganz ab, von bald vier Jahrzehnten ist da zu sprechen. Zeit scheint für Patti Smith nicht entlang einer Schiene zu verlaufen, sondern ihr wie ein weiter, geräumiger Hof zur Verfügung zu stehen.

Irgendjemand hat also auf einem bald vier Jahrzehnte großen Hof – wie viel das wohl in Fußballfeldern ist? – einen Möglichkeiten-Parcours errichtet, den Patti Smith nun abzuschreiten gedenkt.

Na ja, schauen wir mal, wie lange wir da mitschreiten können:

Sie heizt ihren Auftritt an mit dem scharfen alten Song „Free Money“, dann holt sie sich ihr Publikum schon näher mit jenem Charme, der ihre seit unvordenklichen Zeiten bestehende Liebe zu Europa und seinen Dichtern versprüht: „I came to Frankfurt to see Goethe’s house“, deklamiert sie zur Gitarre und erzählt eine kleine Geschichte von Zerstörung und Wiederaufbau, vom Geist, der weht, wo er das darf – „there in the light, there is Goethe’s desk“.

Ist das nicht verantwortungslos, das Publikum so nah an einen aufgeheizten Auftritt heranzuholen? Zumal, wenn dort etwas sprüht. Aber was genau eigentlich? Manche Menschen versprühen ja schon mal Charme, bei Patti Smith versprüht aber offenbar der Charme Liebe. Und zwar eine, die seit unvordenklichen Zeiten besteht. Na, das muss ja eine alte Liebe sein. Gut, dass die nicht rostet, sonst wäre es noch gefährlicher, da so nah dran zu stehen. Immerhin weht da vorne auch noch ein Geist — oder darf er das genau dort nicht?

Es hat sich schon immer gelohnt, Patti Smiths Texte zu verstehen und zu begreifen; denn sie ist ganz eigentlich eine Dichterin, und der Punk in ihr ist vor allem sprachliche Entäußerung, die Musik ihre Rhythmusmaschine, die freilich längst nicht so simpel konstruiert ist, wie sie vorgibt, als wären da bloß ein paar Akkorde zu greifen.

Es entbehrt natürlich nicht einer gewissen Ironie (vermutlich einer sehr unsimpel konstruierten), derart umständlich über die Verständlichkeit und Begreifbarkeit von Texten zu schreiben. Dass Frau Smith “ganz eigentlich” eine Dichterin ist, hätte man natürlich erahnen können angesichts der Tatsache, dass die Dame schon ein Dutzend Gedichtbände veröffentlicht hat.

Überraschender wäre es vielleicht gewesen, wenn sie “ganz eigentlich” eine Konditorin wäre, die diese ganzen künstlerischen und intellektuellen Auftritte nur als Tarnung benutzt, um in Ruhe riesige Schwarzwälder Kirschtorten backen zu können. Die wären ihr dann sicher eine kulinarische Entäußerung.

Aber wie sieht’s eigentlich mit dem näher geholten Publikum aus?

Längst hat sie die Halle auf ihrer Seite – diejenigen, die mit ihr den langen Weg seit den Siebzigern gegangen sind, und die vielen Jungen, die vielleicht gekommen sind, um eine lebende Legende zu betrachten; ihnen wird eine veritable Erscheinung zuteil, die ihr Publikum anzieht wie ein Magnet die Späne.

War der lange Weg jetzt eine Schiene oder ein Hof? Ich komme da immer durcheinander. Jedenfalls scheint das Publikum inzwischen an Patti Smith zu kleben, bzw. an einer veritablen Erscheinung. Aber wo gehobelt wird …

An Patti Smiths Seite steht immer wieder und unverbrüchlich Lenny Kaye in seiner fortwährend schönen, eher alteuropäischen Melancholie, schlank und edel ergraut, noch immer ein Ausnahmegitarrist, der sich indessen mit einem Hauch Ironie, vor allem wenn er singt, ganz in den Dienst seiner Frontfrau stellt.

Als ich Patti Smith live gesehen habe (vor sechs Jahren beim Haldern Pop), wirkte sie einigermaßen zart. Erstaunlich, dass an ihrer Seite dennoch Platz für eine komplette Halle und einen Ausnahmegitarristen ist. Und was das für ein Ausnahmegitarrist ist: Einer, der immer wieder und unverbrüchlich steht (an Patti Smiths Seite) und der offenbar in fortwährend schöner, eher alteuropäischen Melancholie – nicht irgendeiner: seiner! – edel ergraut ist. Er könnte aber auch nur in dieser Melancholie stehen, so genau gibt das die Grammatik nicht her. Sicher ist: Er steht und stellt sich dabei ganz in den Dienst seiner Frontfrau. Das tut er natürlich “indessen”, weil dieses Wort auf Seite 137 des Nachschlagewerks “Worthe zum bedeutungsschwanger in Texten herumstehen” (3., aktual. Auflage, Weimar 1871) zu finden ist.

Diese Dyade ist von hohem Reiz, und wenn die beiden auf den Stahlsaiten ihrer akustischen Gitarren ein Duett geben, das großartig ausufert in etwas, das früher die Session einer Band geheißen hätte, dann ist da ein solcher Moment, für den Konzerte gemacht sind.

Die gute Nachricht zuerst: Eine Dyade ist nicht – wie ursprünglich von mir angenommen – ein Fisch.

Sessions heißen jetzt also irgendwie anders, aber wie sie heißen, weiß Frau Gropp nicht — oder sie will es uns nicht mitteilen. Jedenfalls ist das Duett der reizenden Dyade erst großartig in etwas ausgeufert und dann war da plötzlich ein Moment – nicht irgendeiner: ein solcher! -, für den Konzerte gemacht sind. Hoffentlich wusste der den ganzen Aufwand zu schätzen.

Aber zurück zur Frage, wie es denn eigentlich war, das Konzert. Zieht man sämtliche Adjektive und Adverbien ab, wäre der Artikel nur noch halb so lang. bleibt eine Erkenntnis:

Mit Pathos wird Geschichte gemacht.

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“Das Internet” als Ganzes zu loben oder zu kritisieren ist ebenso sinnvoll wie Papier zu loben oder zu kritisieren, weil darauf ja einerseits das Grundgesetz und “Faust” erschienen sind, andererseits aber auch “Mein Kampf” und Gewaltpornografie.

[…]

Meckernde Leserbriefschreiber waren Journalisten noch nie sympathisch. Nun gibt es, gesunkenen Transaktionskosten sei Dank, wesentlich mehr davon. Wo viel Feedback ist, da ist auch viel Kritik, zum Teil aggressive, pöbelnde, gemeine. Oder anders gesagt: So mancher Autor muss nun endlich erfahren, was manche seiner Leser wirklich von ihm halten. Und das kann weh tun.

Einen der klügsten Texte über das Internet, den ich in den vergangenen Wochen (oder seit seinem letzten großen Artikel zum Thema) gelesen habe, hat Christian Stöcker heute im Internet auf “Spiegel Online” veröffentlicht: “Das Internet” gibt es nicht

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War was?

Wie es der Zufall so will, hat sich die große Koalition in Deutschlandübrigens gestern darauf verständigt, wie das BKA-Gesetz aussehen soll. Der Weg zu heimlichen Online-Durchsuchungen ist damit frei.

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Da mögen Fans noch so sehr darauf schwören, die “Lindenstraße” sei heute ja eine ganze andere als vor 20 Jahren. Humorvoll, selbstironisch und dergleichen. In Wahrheit ist die Kleinbürger-Soap immer noch ein Panoptikum der Piefigkeit. Wie fast alle Soaps sind ihre Kulissen vollgestellt mit uninspirierten Charakteren und zugeschüttet mit grauenhaften Dialogzeilen der Sorte: “Ah, meine Umweltplakette, endlich!”

Markus Brauck rechnet im “Spiegel” mit der “Lindenstraße” ab. Dazu gibt es eine Bildergalerie, die dem Wort “Graustufen” eine ganz neue Bedeutung zukommen lässt. (Bitte markieren Sie sich diesen Tag im Kalender: ich empfehle eine Bildergalerie bei “Spiegel Online”!)

* * *

Das ist die wohl ungewöhnlichste Meldung des Tages: Die ARD kauft RTL die Serie “Die Anwälte” ab – also die Serie, die RTL Anfang des Jahres nach nur einer Folge, die mit 10,8 Prozent Marktanteil die Erwartungen nicht erfüllen konnte. aus dem Programm genommen hat. Fortan diente die Serie als Musterbeispiel für fehlendes Vertrauen der Sender in die eigenen Produktionen.

DWDL.de berichtet über das überraschende Comeback einer Serie, die (also deren erste Folge) ich eigentlich ganz gut fand und deren Absetzung mein Verhältnis zu RTL nachhaltig gestört hat.

* * *

Einfacher wäre zu sagen: Ich mag ihn. Ich freue mich, dass ich neben dem Mitglied der „Achse des Guten“ auch schon drei Mal dort als Gastautor auftreten durfte und dass wir nun gemeinsam ein Netzwerk Gegenrecherche starten.

Timo Rieg erläutert in der “Spiegelkritik” die Hintergründe zu einem sehr, sehr merkwürdigen “Spiegel Online”-Artikel über einen der angeblich ganz wenigen deutschen TV-Blogger.

Warum diese Geschichte nur mit äußerster Vorsicht zu genießen ist (wenn überhaupt), erzähle ich Ihnen später steht hier.

* * *

Einen Vorschlag zur Güte hatte Broder abgelehnt. Er werde sich keinen “Maulkorb” verpassen lassen, “weil sonst Antisemiten entscheiden dürften, was Antisemitismus ist”. Nun befanden die Richter, Broders Vorwurf habe die Grenze zur Schmähkritik überschritten, weil “im konkreten Kontext der Äußerung die Diffamierung der Klägerin, nicht die Auseinandersetzung in der Sache im Vordergrund” gestanden hätte.

Henryk M. Broder stand mal wieder vor Gericht und die “taz” versucht zu erklären, was los war.

Patrick Bahners hatte vor einigen Wochen in der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” ebenfalls über den Prozess geschrieben und Broders Lebenswerk damals beeindruckend zusammengefasst:

Seine preisgekrönte publizistische Strategie der verbalen Aggression nutzt den Spielraum der Meinungsfreiheit, um ihn einzuschränken: Kritiker Israels sollen eingeschüchtert werden.

* * *

Weitere Linktipps können Sie übrigens seit Neuestem dem delicious-Account von Coffee And TV entnehmen. Und falls ich endlich rauskriege, wie ich den dazugehörigen Feed hier in die Sidebar eingebaut kriege, wird das alles viel praktischer und übersichtlicher.

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Angie, they can’t say we never tried

Können Sie sich die Verzweiflung vorstellen, die in Menschen vorherrschen muss, damit sie sich in ihrer Not ausgerechnet an Angela Merkel wenden? Dann ahnen Sie, was in Leuten wie Götz Alsmann, Heinrich Breloer, Till Brönner, Detlev Buck, Roger Cicero, Samy Deluxe, Helmut Dietl, DJ Ötzi, Klaus Doldinger, Bernd Eichinger, Dieter Falk, Amelie Fried, Hans W. Geißendörfer, Herbert Grönemeyer, Max Herre, Höhner, Juli, Udo Jürgens, Klaus&Klaus, Alexander Klaws, René Kollo, Mickie Krause, Joachim Król, LaFee, Udo Lindenberg, Annett Louisan, Peter Maffay, Marquess, Reinhard Mey, MIA, Michael Mittermeyer, Monrose, Oomph!, Frank Ramond, Revolverheld, Barbara Schöneberger, Atze Schröder, Til Schweiger, Scooter, Ralph Siegel, Tokio Hotel, Peter Wackel und Sönke Wortmann (um nur einige zu nennen) vorgehen muss: die haben nämlich der deutschen Bundeskanzlerin einen offenen Brief geschrieben, der gestern als ganzseitige Anzeige in der Süddeutschen Zeitung (59.900 Euro), der FAZ (37.590 Euro) und der taz (8.064 Euro) erschienen ist.

In diesem Stoßgebet an St. Angela heißt es unter anderem:

Vor allem im Internet werden Musik, Filme oder Hörbücher millionenfach unrechtmäßig angeboten und heruntergeladen, ohne dass die Kreativen, die hinter diesen Produkten stehen, dafür eine faire Entlohnung erhalten.

Klar, auch ich würde nicht wollen, dass jemand meine Texte aus dem Blog klaut und irgendwo kostenlos anbietet … Moment, das Bild ist schief. Jedenfalls: Natürlich kann man verstehen, dass derjenige, der ein Lied schreibt, dafür genauso entlohnt werden will, wie derjenige, der einen Tisch baut. Darüber sollte auch allgemeiner Konsens herrschen. Um das Problem in den Griff zu kriegen, braucht man aber offenbar mehr als zweihundert Kreative (oder zumindest andere Kreative), denn konkrete Ideen haben die Damen und Herren Kulturschaffende nicht.

Dafür aber eine ordentliche Portion Ahnungslosigkeit und Arroganz:

Ohne Musik und Hörbücher bräuchten wir keine iPods, ohne Filme keine Flachbildfernseher, ohne Breitbandinhalte keine schnellen Internetzugänge.

Gemeint ist wohl eher so etwas wie “Ohne Musik, die über die Musikindustrie vertrieben und über die GEMA abgewickelt wird, sowie ohne Hörbücher von Autoren, die bei der VG Wort angemeldet sind, …” – und das ist natürlich Quark, denn selbst wenn sich morgen alle Werke aller Unterzeichner und anderer Rockbeamten (Warum steht eigentlich Heinz Rudolf Kunze nicht auf der Liste?) in Luft auflösen sollten, gäbe es ja immer noch genug Musik, Filme und Texte unter Creative-Commons-Lizenz, die so eine Breitbandleitung verstopfen könnten.

Es geht aber noch dümmer:

Auf europäischer Ebene erkennen immer mehr Länder, dass die massenhafte individuelle Rechtsverfolgung im Internet nur eine Zwischenlösung sein kann und technologischer Fortschritt und der Schutz geistigen Eigentums nicht im Widerspruch zueinander stehen dürfen. Frankreich und England gehen hier mit beispielhaften Initiativen voran. Dort sind Internetprovider sowie die Musik- und Filmindustrie aufgefordert, unter staatlicher Aufsicht gemeinsam mit Verbraucher- und Datenschützern Verfahren zum fairen Ausgleich der Interessen aller Beteiligten zu entwickeln.

Die vermeintlich leuchtenden Beispiele Frankreich und England stehen für Pläne, nach denen Internetprovider ihren Kunden den Zugang abklemmen sollen, wenn diese drei Mal urheberrechtlich geschütztes Material illegal heruntergeladen haben. Mal davon ab, dass ich die technische Durchführbarkeit dieses Unterfangens bezweifle, entstammen solche Pläne doch den selben hilflosen Hirnen, die schon kopiergeschützte CDs, das Digital Rights Management und ähnliche … äh, ja, doch: Flops hervorgebracht haben.

Tim Renner, dem ich bekanntlich die Rettung der Musikindustrie im Alleingang zutraue, schrieb schon letzte Woche zu dem Thema:

Versteht mich nicht falsch, ich finde überaus legitim, dass Künstler und Industrie verlangen, in irgendeiner weise vom Staat geschützt zu werden. Ich glaube jedoch nicht, dass dabei primär die Bestrafung, sondern die Belohnung im Vordergrund stehen sollte. Der Staat sollte hellhörig werden, wenn die Industrie durch Flatrates für Musik versucht, illegale Praxis zu legalisieren.

Während also einige echte Kreative gerade Konzepte für ein kulturelles “All you can eat”-Büffet entwickeln, stellen “rund 200 teilweise prominente Künstler” (sensationelle Formulierung von heise.de) an höchster Stelle einen Antrag auf Hausverbot wegen Ladendiebstahls.

Noch mal: Die sollen sowas ruhig fordern. Die sollen ruhig besorgt sein, wie der kulturelle Nachwuchs in diesem Land an sein Geld für Butter, Brot und Fleischwurst kommt (wobei das ein Problem des gesamten Nachwuchses werden könnte). Aber: Ginge es nicht ‘ne Nummer kleiner? Wie wäre es mit eigenen Ideen? Und vor allem: Mit weniger Arroganz?

Langfristig wird so die kulturelle und kreative Vielfalt in unserem Land abnehmen und wir verspielen eine unserer wichtigsten Zukunftsressourcen.

Da kann man ja regelrecht froh sein, dass es zu Zeiten von Goethe und Beethoven noch kein böses, böses Internet gab. Das gab es erst bei DJ Ötzi, Mickie Krause, Atze Schröder und Peter Wackel.

Mehr zum Thema bei Nerdcore, gulli.com, Netzwertig, Myoon oder Cigarettes and Coffee.

Nachtrag 20:25 Uhr: Frau Merkel hat auf den peinlichen Bettelbrief reagiert.

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Zitatenstrauß: Fritz Pleitgen

Die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” berichtete am Freitag über Fritz Pleitgen, der nach seiner Pensionierung als WDR-Intendant im letzten Jahr Vorstand der Geschäftsführung der Ruhr 2010 GmbH in Essen geworden ist.

Er sagt, er habe ursprünglich ganz andere Pläne gehabt, als bei Reden “in Volkshochschulen, Kirchen, Universitäten, Rathäusern, Museen, Kneipen und sogar einer Müll-Entsorgungsanlage” das Ruhrgebiet von innen kennen zu lernen:

Aber dann sage ich mir: Was ist die menschenleere Weite Sibiriens gegen die gutbesuchte Volkshochschule Dinslaken oder die Schwüle von Vera Cruz gegen die wohltemperierte Luft der Müll-Entsorgungsbetriebe von Herne?

[Zitatenstrauß, die Serie]

Mit Dank an Jens für den Hinweis.