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Musik

Creative, common

Aus Gründen, die heute vermutlich niemand mehr kennt, sehen die Veranstalter der Echo-Verleihung ihren Preis noch immer in einer Reihe mit Grammy und Brit Award stehen. (Fairerweise muss man bemerken, dass “in einer Reihe” nicht “in einer Liga” bedeutet.)

Am 4. März wird der Echo mal wieder verliehen und Prof. Dieter Gorny, Insolvenzverwalter der deutschen Tonträgerindustrie, lässt sich anlässlich der Auszeichnung der kommerziell erfolgreichsten Musiker mit den Worten zitieren:

"Hier geht es um Kreativität, um Kultur und um Kunst", Prof. Dieter Gorny, Vorstandsvorsitzender Bundesverband Musikindustrie e.V.

“Vorhersehbarkeit, Verkaufszahlen und Verzweiflung” wären als Beschreibung des zu erwartenden Abends zwar passender, aber natürlich längst nicht so … kreativ.

Alles, was es sonst noch zu sagen gäbe, hat Tim Renner schon gesagt.

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Digital

Klickbefehl (19)

Wenn man sich heute wundert, dass der im Regierungsauftrag Verbotsregeln für das Internet entwickelnde Vorsitzende der Olivennes Kommission zugleich der Aufsichtsratschef von Frankreichs größer Kulturkaufhauskette FNAC ist, oder in Schweden ein Richter über Pirate Bay urteilt, der nicht nur selbst Mitglied der lokalen Urheberechtsorganisationen ist, sondern auch die Prozessvertreterin der Filmindustrie in Internet-Domain Streitigkeiten berät, dann ist die Erklärung dieselbe wie vor 123 Jahren: Systeme die nicht mit der Zeit gehen und sich umstellen wollen, wehren sich mit allen Mitteln. Im Notfall auch mit welchen am Rande der Rechtsstaatlichkeit.

Tim Renner schreibt im Motorblog mal wieder etwas sehr Kluges über Digitalisierung, Urheberrechte und digitalen Wandel und gibt ganz nebenbei eine kleine Geschichtsstunde zum Tag der Arbeit.

* * *

Welchen Eindruck wird ein normaler, uninformierter Mensch haben, wenn ein nerdiger Typ “Zensur!” schreit, während Frau von der Leyen scheinbar gegen Kindesmissbrauch kämpft? Wie reagiert ein Fließbandarbeiter bei Opel auf Sascha Lobo, der im Fernsehen erzählt, dass ohne Social Web bald nichts mehr geht, man auch prima mit dem Laptop im Café arbeiten kann und warum er trotz Aufschieberitis produktiv ist? Glaubt jemand, ein Arbeitsloser mit massiven Selbstzweifeln und Angst, nicht mehr dazuzugehören, weil er keine Ahnung vom Internet hat, fühlt sich angesprochen, den Kampf für Netzneutralität zu unterstützen? Meinen Sie, Tante Hanna von nebenan wird die Anliegen einer Partei, die sich Piratenpartei nennt, auch nur entfernt seriös finden können?

Enno macht sich (wie ich neulich auch) Gedanken über die Zweiteilung der Welt in On- und Offliner, hält aber sogar Lösungsansätze bereit.

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Digital Gesellschaft

Angie, they can’t say we never tried

Können Sie sich die Verzweiflung vorstellen, die in Menschen vorherrschen muss, damit sie sich in ihrer Not ausgerechnet an Angela Merkel wenden? Dann ahnen Sie, was in Leuten wie Götz Alsmann, Heinrich Breloer, Till Brönner, Detlev Buck, Roger Cicero, Samy Deluxe, Helmut Dietl, DJ Ötzi, Klaus Doldinger, Bernd Eichinger, Dieter Falk, Amelie Fried, Hans W. Geißendörfer, Herbert Grönemeyer, Max Herre, Höhner, Juli, Udo Jürgens, Klaus&Klaus, Alexander Klaws, René Kollo, Mickie Krause, Joachim Król, LaFee, Udo Lindenberg, Annett Louisan, Peter Maffay, Marquess, Reinhard Mey, MIA, Michael Mittermeyer, Monrose, Oomph!, Frank Ramond, Revolverheld, Barbara Schöneberger, Atze Schröder, Til Schweiger, Scooter, Ralph Siegel, Tokio Hotel, Peter Wackel und Sönke Wortmann (um nur einige zu nennen) vorgehen muss: die haben nämlich der deutschen Bundeskanzlerin einen offenen Brief geschrieben, der gestern als ganzseitige Anzeige in der Süddeutschen Zeitung (59.900 Euro), der FAZ (37.590 Euro) und der taz (8.064 Euro) erschienen ist.

In diesem Stoßgebet an St. Angela heißt es unter anderem:

Vor allem im Internet werden Musik, Filme oder Hörbücher millionenfach unrechtmäßig angeboten und heruntergeladen, ohne dass die Kreativen, die hinter diesen Produkten stehen, dafür eine faire Entlohnung erhalten.

Klar, auch ich würde nicht wollen, dass jemand meine Texte aus dem Blog klaut und irgendwo kostenlos anbietet … Moment, das Bild ist schief. Jedenfalls: Natürlich kann man verstehen, dass derjenige, der ein Lied schreibt, dafür genauso entlohnt werden will, wie derjenige, der einen Tisch baut. Darüber sollte auch allgemeiner Konsens herrschen. Um das Problem in den Griff zu kriegen, braucht man aber offenbar mehr als zweihundert Kreative (oder zumindest andere Kreative), denn konkrete Ideen haben die Damen und Herren Kulturschaffende nicht.

Dafür aber eine ordentliche Portion Ahnungslosigkeit und Arroganz:

Ohne Musik und Hörbücher bräuchten wir keine iPods, ohne Filme keine Flachbildfernseher, ohne Breitbandinhalte keine schnellen Internetzugänge.

Gemeint ist wohl eher so etwas wie “Ohne Musik, die über die Musikindustrie vertrieben und über die GEMA abgewickelt wird, sowie ohne Hörbücher von Autoren, die bei der VG Wort angemeldet sind, …” – und das ist natürlich Quark, denn selbst wenn sich morgen alle Werke aller Unterzeichner und anderer Rockbeamten (Warum steht eigentlich Heinz Rudolf Kunze nicht auf der Liste?) in Luft auflösen sollten, gäbe es ja immer noch genug Musik, Filme und Texte unter Creative-Commons-Lizenz, die so eine Breitbandleitung verstopfen könnten.

Es geht aber noch dümmer:

Auf europäischer Ebene erkennen immer mehr Länder, dass die massenhafte individuelle Rechtsverfolgung im Internet nur eine Zwischenlösung sein kann und technologischer Fortschritt und der Schutz geistigen Eigentums nicht im Widerspruch zueinander stehen dürfen. Frankreich und England gehen hier mit beispielhaften Initiativen voran. Dort sind Internetprovider sowie die Musik- und Filmindustrie aufgefordert, unter staatlicher Aufsicht gemeinsam mit Verbraucher- und Datenschützern Verfahren zum fairen Ausgleich der Interessen aller Beteiligten zu entwickeln.

Die vermeintlich leuchtenden Beispiele Frankreich und England stehen für Pläne, nach denen Internetprovider ihren Kunden den Zugang abklemmen sollen, wenn diese drei Mal urheberrechtlich geschütztes Material illegal heruntergeladen haben. Mal davon ab, dass ich die technische Durchführbarkeit dieses Unterfangens bezweifle, entstammen solche Pläne doch den selben hilflosen Hirnen, die schon kopiergeschützte CDs, das Digital Rights Management und ähnliche … äh, ja, doch: Flops hervorgebracht haben.

Tim Renner, dem ich bekanntlich die Rettung der Musikindustrie im Alleingang zutraue, schrieb schon letzte Woche zu dem Thema:

Versteht mich nicht falsch, ich finde überaus legitim, dass Künstler und Industrie verlangen, in irgendeiner weise vom Staat geschützt zu werden. Ich glaube jedoch nicht, dass dabei primär die Bestrafung, sondern die Belohnung im Vordergrund stehen sollte. Der Staat sollte hellhörig werden, wenn die Industrie durch Flatrates für Musik versucht, illegale Praxis zu legalisieren.

Während also einige echte Kreative gerade Konzepte für ein kulturelles “All you can eat”-Büffet entwickeln, stellen “rund 200 teilweise prominente Künstler” (sensationelle Formulierung von heise.de) an höchster Stelle einen Antrag auf Hausverbot wegen Ladendiebstahls.

Noch mal: Die sollen sowas ruhig fordern. Die sollen ruhig besorgt sein, wie der kulturelle Nachwuchs in diesem Land an sein Geld für Butter, Brot und Fleischwurst kommt (wobei das ein Problem des gesamten Nachwuchses werden könnte). Aber: Ginge es nicht ‘ne Nummer kleiner? Wie wäre es mit eigenen Ideen? Und vor allem: Mit weniger Arroganz?

Langfristig wird so die kulturelle und kreative Vielfalt in unserem Land abnehmen und wir verspielen eine unserer wichtigsten Zukunftsressourcen.

Da kann man ja regelrecht froh sein, dass es zu Zeiten von Goethe und Beethoven noch kein böses, böses Internet gab. Das gab es erst bei DJ Ötzi, Mickie Krause, Atze Schröder und Peter Wackel.

Mehr zum Thema bei Nerdcore, gulli.com, Netzwertig, Myoon oder Cigarettes and Coffee.

Nachtrag 20:25 Uhr: Frau Merkel hat auf den peinlichen Bettelbrief reagiert.

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Digital

Die mittischen Krassen

Es ist immer ein schönes Gefühl, wenn man von einer Reise wiederkommt und dann “Mein Gott, ist das schön hier” denkt. So ging es mir, als ich gestern unweit unseres Wohnheims aus dem Bus stieg und von der Bochumer Stille fast erschlagen wurde. Die re:publica und Berlin waren schön und gut, aber dort leben: Nein, Danke!

Zwischen den Programmpunkten “Endlich mal wieder Ausschlafen” und “Wäsche waschen” will ich aber nun doch noch ein paar Worte über die re:publica verlieren. Und weil schon alle (interessanterweise auch Leute, die nicht vor Ort waren oder sein wollten) darüber geschrieben haben, will ich nur ein paar ungefilterte Gedankengänge niederpinnen:

  • Ich habe bei der ganzen re:publica genau fünf Minuten gefilmt, danach dachte ich mir, dass da schon genug Leute filmen, wie genug Leute andere filmende Leute beim Filmen filmen. Diese fünf Minuten hat der “Tagesspiegel” genutzt, um mich zu fotografieren.
  • Die Diskussion “Blogger vs. Journalisten” ist laut Johnny Haeusler jetzt endgültig abgeschlossen. Leider habe ich vergessen, mit welchem Ergebnis. (Wahrscheinlich mit keinem.)
  • Die mitunter gehörte Bezeichnung “Blogger-Konferenz” ist einigermaßen absurd, weil es um eine ganze Menge Themen ging und längst nicht jeder Teilnehmer auch ein Blog betrieb.
  • Die Diskussionsrunde “Musik im Netz” war in etwa so unergiebig, wie man es erwarten durfte. Zumindest war sie zu kurz, denn sie musste in dem Moment beendet werden, als Tim Renner mit Ausführungen anfing, nach denen ich ihm die Rettung der Musikindustrie im Alleingang zutrauen würde.
  • Leider habe ich zu wenig von der Diskussionsrunde über “Citizen Journalism” im Ausland mitbekommen (was ich und jeder andere aber online nachholen kann), aber was ich über “Alive In Baghdad” gehört habe, hat mich tief beeindruckt. Verglichen mit dem (Über-)Leben in Bagdad und dem Darüber-Berichten ist wohl alles, was wir in Deutschland so ins Internet stellen, pillepalle.
  • Wenn ich mich ein bisschen konzentriere, kann ich mir auch Vorträge anhören, mit denen ich inhaltlich null übereinstimme. So weiß ich wenigstens, was am anderen Ende des Spektrums vor sich geht.
  • Schöner als die vielen Vorträge und Diskussionsrunden ist es eigentlich, am Rande Leute kennen zu lernen, deren Texte man teilweise schon seit langem liest und schätzt. Bei anderen wusste ich anschließend wenigstens, warum ich ihre Texte nicht lese.
  • Den besten Namen von allen Referenten hatte sicher Bertram Gugel, dessen Nachnamen man wirklich wie “Google” ausspricht.
  • Der Kaffee (ein in diesem Blog viel zu selten gewürdigtes Thema) in der Kalkscheune war beeindruckend schlecht. Das war Konsens, aber auch der einzige echte Nachteil der Örtlichkeiten.
  • Weitaus schlechter als der Kaffee aber war das, was die “Süddeutsche Zeitung” über die re:publica geschrieben hat – garniert mit einem ca. 10 Jahre alten Symbolbild.
  • Trotz des Mottos “Die kritische Masse” frage ich mich, wie viel von dem, was auf der re:publica besprochen wurde, für Leute außerhalb des Fachpublikums, das wir nun mal irgendwie alle waren, relevant ist. Mitunter hatte ich schon das Gefühl, dass die Gegenstände von Vorträgen und Diskussionen mit dem Leben von weiten Teilen der Bevölkerung gar nichts zu tun haben.