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Hit me with your Spritzbesteck

Die Ludwig-Maximilians-Universität zu München (LMU) hat an ihren Toilettentüren einen “Nutzungshinweis” aufgehängt:

“Der Aufenthalt in den Toilettenanlagen ist nur zum Zwecke der Verrichtung der Notdurft gestattet”, heißt es da. Und weiter: “Bei darüber hinaus gehendem unbefugten Verweilen wird ab sofort, ohne Ausnahme, Strafantrag wegen Hausfriedensbruch gestellt!”

Der Grund, so sueddeutsche.de:

Das Schreiben habe einen ernsten Hintergrund. “Bei der Verwaltung sind Beschwerden von Mitarbeitern und Studenten eingegangen, die sich bedroht fühlten, weil es auf den Toiletten Drogenmissbrauch gab.” Benutzte Spritzen und Blutspuren seien entdeckt worden.

Bebildert ist dieser Artikel mit einem Foto, das mutmaßlich nicht die Toilette der LMU zeigt:

Mit in den Toiletten ausgehängten "Nutzungshinweisen" will die LMU Drogensüchtige abschrecken.

Die Bildunterschrift sah nicht immer so aus. Als der Artikel online ging stand dort:

Sollen sich gerne in den Toiletten der LMU treiben: Drogensüchtige mit ihrem Spritzbesteck.

[Eingesandt von Julius.]

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Digital

Offline-Dating

Das war ja zu Erwarten gewesen: Kaum hat Herr Niggemeier frei, kommt ein Super-Symbolbild daher.

Dann muss ich eben:

Zum Traumprinz via Internet: Auch immer mehr Frauen gehen im Netz auf Partnersuche - die anfängliche Geschlechter-Asymmetrie beim Online-Dating ist mittlerweile fast aufgehoben. (© dpa)
Mit diesem dpa-Foto bebildert sueddeutsche.de einen Artikel über Online-Dating. Einem Foto, auf dem eine Frau gedankenversunken auf das Foto eines Mannes schaut, das ihren Desktop ziert (gut zu erkennen an den darüber liegenden Programmsymbolen unten rechts).

Wenn es danach ginge, würde ich Online-Dating mit Getter Jaani betreiben.

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Hä? (2)

Hans Leyendecker hat für die gestrige Ausgabe der “Süddeutschen Zeitung” ein großes Porträt über die Menschen im Vielvölkerbundesland Nordrhein-Westfalen geschrieben — natürlich vor dem Hintergrund der heutigen Landtagswahl:

In den Rau-Wahlkämpfen klebten die Sozialdemokraten Plakate mit dem Spruch “Wir in Nordrhein-Westfalen und unser Ministerpräsident”. Rau gelang es, die Identifikation der Bürger mit dem künstlich zustande gekommenen Land zu steigern. Im Landtagswahlkampf 2010 klebt die CDU Plakate mit dem Konterfei von Rüttgers und dem Slogan “Wir in Nordrhein-Westfalen”. Manchmal findet sich auch der Zusatz: “Unser Ministerpräsident”. Lediglich auf das “und” hat die CDU bei der Kopie verzichtet.

Das ist jetzt so ein Absatz, der für die meisten Menschen, die nicht gerade als Wahlplakathistoriker arbeiten, von eher minderem Interesse ist. Wen interessiert schon, ob da jetzt ein “und” mehr oder weniger auf dem Plakat ist?

Es wäre weitgehend egal — wenn sueddeutsche.de die Onlineversion des Artikels nicht ausgerechnet mit diesem Foto bebildert hätte:

Wir in Nordrhein-Westfalen und unser Ministerpräsident

Mit Dank an Felix.

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Print Leben

Boulevardjournalismus-Mäander

Es gibt Texte, die neben ihrem eigentlichen Inhalt auch ihre eigene Entstehungsgeschichte transportieren. In der heutigen “Bild am Sonntag” gibt es mindestens zwei dieser Sorte:

Zehn Kollegen haben Stefan Hauck (der als Experte auf dem Gebiet der Existenzvernichtung zu gelten hat) bei seinem Versuch unterstützt, das Privatleben von Jörg Kachelmann auszuloten.

Sie haben dabei keine großen Erkenntnisse gewonnen und die Enttäuschung darüber schwingt mit:

Viel genauer geht es nicht, denn auch am Ende von langen Gesprächen mit Weggefährten, Freunden, Geliebten, Kollegen und Feinden des Beschuldigten, hat zwar jeder über Jörg-Andreas Kachelmann gesprochen – aber immer einen anderen Menschen geschildert.

Da betreibt man so einen Aufwand und am Ende sitzt man vor einem Berg aus Puzzleteilen, die alle nicht so rechtzusammenpassen wollen. Aber wenn man sie doch gewaltsam zusammenhämmert, entsteht da das Bild eines Menschen — oder, wie Hauck schreibt, einer “widersprüchlichen Person”.

“Herzlichen Glückwunsch!”, möchte man fast ausrufen, “Sie haben soeben begriffen, dass die wenigsten Menschen zweidimensionale Wesen sind!” Aber das wäre Quatsch. Hauck hat nichts begriffen, wie er gleich zu Beginn seines Textes selbst herausposaunt:

Bis vergangenen Montag hat sich kein Mensch ernsthaft dafür interessiert, was der Fernsehstar Jörg Kachelmann, 51, für eine Beziehung zu Frauen hat. Und ob überhaupt. Kachelmann ist ein Star des Fernsehens, ist aber, was den “Glam-Faktor” anbelangt, also die Maßeinheit, in der man das Glitzernde eines Fernseh-Menschen misst, natürlich kein Roberto Blanco, wer ist schon wie Roberto Blanco?

Wenn sich bis letzte Woche “kein Mensch ernsthaft” für das Intimleben dieses angeblich so unglamourösen Fernsehstars interessiert hat, warum sollte man es jetzt tun? Weil es helfen würde, als Außenstehender zu beurteilen, ob Kachelmann die Tat, die ihm vorgeworfen wird, begangen haben könnte? (Und was hat das Wort “ernsthaft” überhaupt in diesem Satz zu suchen?)

Die Suche nach Erklärungsmustern ist zutiefst menschlich, aber während es bei Amokläufern oder Terroristen, ((Der Kabarettist Volker Pispers sagte einmal über die Reporter, die nach den Anschlägen des 11. September 2001 in Hamburg das Umfeld des Anführers Mohammed Atta ausgefragt hatten: “Solche Menschen können Sie nur zufriedenstellen, indem Sie sagen: ‘Ja, so ein bisschen nach Schwefel gerochen hat er schon ab und zu.'”)) die ihre Taten in und an der Öffentlichkeit begangen haben, noch ein gerechtfertigtes Interesse an ihrer Vorgeschichte geben könnte – um im Idealfall in ähnlich gelagerten Fällen Taten zu vermeiden – geht es im “Fall Kachelmann” um das exakte Gegenteil: Ein mögliches Verbrechen im denkbar intimsten Rahmen, in dessen Folge nicht nur der mutmaßliche Täter der Öffentlichkeit präsentiert wird, sondern auch das potentielle Opfer, notdürftig anonymisiert.

* * *

Die andere Geschichte hat nur eine Autorennennung, aber schon der erste Satz deutet an, dass auch Nicola Pohl nicht allein war, als sie im privaten Umfeld der deutschen Grand-Prix-Hoffnung Lena Meyer-Landrut wühlte:

Einen wehmütigen Jungen mit dünnem Bart. Eine Tanzlehrerin, die abhebt. Einen Friseur, der der Neunjährigen die Spitzen schnitt. Sie alle trafen wir, als wir zwei Tage durch Lena Meyer-Landruts Leben spazierten und uns fragten: Wo lebt, lacht, liebt, lümmelt Lena?

Die Recherche muss noch enttäuschender verlaufen sein als die bei Kachelmann: Aus der Überschrift “Wie heil ist Lenas Welt?” tropft förmlich die Hoffnung auf Familiendramen, Drogen, Sex und Schummeln bei den Vorabiklausuren, aber nichts davon hat die Autorin gefunden. Jetzt muss sie unüberprüfbare und belanglose Aussagen wie “Für 7,90 Euro ließ sie sich Spitzen schneiden” als Sensations-Meldung verkaufen. Wenn man schon sonst nichts gefunden hat und extra hingefahren ist.

* * *

Mal davon ab, dass ein Friseur, der mit irgendwelchen wildfremden Menschen über mich redet, mir die längste Zeit seines Lebens die Haare geschnitten hätte, habe ich nie verstanden, was so interessant sein soll am Privatleben von Prominenten. Ich bin mir sicher, wenn man die Nachbarn, Freunde und Familienmitglieder eines beliebigen Menschen befragt, werden die meisten nicht viel mehr als zwei, drei Sätze über die betreffende Person berichten können — wohl aber erstaunliche Details aus dem Privatleben von Brad Pitt, Angelina Jolie, Sandra Bullock und Tiger Woods.

Es ist mir egal, wie oft Ben Folds schon verheiratet war, welche Drogen Pete Doherty gerade nimmt und welche Haarfarbe Lily Allen im Moment hat. Ich wünsche diesen Prominenten wie allen anderen Menschen auch, dass es ihnen gut geht. ((Auch wenn Musiker meist die besseren Songs schreiben, wenn es ihnen schlecht geht, aber so egoistisch sollte man als Hörer dann auch nicht sein.)) Mich interessiert ja offen gestanden schon nicht, was die meisten Menschen so machen, mit denen ich zur Schule gegangen bin. ((Selbst einige Sachen, die mir gute Freunde über sich erzählt haben, hätte ich am liebsten nie erfahren. Aber mit dieser Last muss man in einer Freundschaft irgendwie klarkommen.))

* * *

Es sind Texte wie diese zwei aus “Bild am Sonntag”, bei denen man hofft, bei der Auswahl der eigenen Freunde das richtige Fingerspitzengefühl bewiesen zu haben, auf dass diese nicht mit irgendwelchen dahergelaufenen Journalisten plaudern, wenn man selbst mal zufälligerweise unter einen Tanklaster geraten sollte. Gleichzeitig ahnt man natürlich auch, dass die Menschen, die reden würden, nur das Schlechteste über einen zu berichten wüssten: Frühere Mitschüler, mit denen man nie etwas zu tun hatte; Ex-Kollegen, die man im Eifer des Gefechts mal eine Spur zu hart angegangen hat; Internet-Nutzer, die glauben, aufgrund der Lektüre verschiedener Blog-Einträge und -Kommentare einen Eindruck von der eigenen Person zu haben.

* * *

Überhaupt sollte man bei dieser Gelegenheit und für alle Zeiten noch mal auf den Ratgeber “Hilfe, ich bin in BILD!” zu verweisen, den die Kollegen vor mehr als drei Jahren zusammengestellt haben, aber der natürlich immer noch gültig ist, wenn “Bild”-Reporter, Menschen, die sich als solche ausgeben, oder andere Medienvertreter bei einem anrufen.

* * *

Wenn ein Verkehrsminister seinen Führerschein wegen Geschwindigkeitsüberschreitung abgeben muss, ist das eine interessante Information, weil seine private Verfehlung mit seinem öffentlichen Amt kollidiert. Wenn dagegen ein Landwirtschaftsminister beim Rasen erwischt würde, sähe ich keinen Zusammenhang zu seinem Amt und somit auch keinen Grund für öffentliche Verlautbarungen. ((Dass sich generell jeder an die Verkehrsregeln halten sollte, steht dabei außer Frage.))

Im Falle Kachelmann haben die Vorwürfe gegen ihn nichts mit seinem Beruf zu tun. Zwar ist es durchaus denkbar, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender auf die Dienste vorbestrafter Moderatoren verzichten würde (schon, um Schlagzeilen wie “Unsere Gebühren für den Vergewaltiger!” zu vermeiden), aber darüber kann die ARD ja immer noch entscheiden, wenn es ein rechtskräftiges Urteil eines ordentlichen Gerichts gibt.

Allein über die irrige (und oft gefährliche) Annahme, man müsse immer sofort losberichten, wenn man von einer Sache Wind bekommen hat, könnte ich mich stundenlang auslassen. Das Internet und der herbeiphantasierte Anspruch, man müsse nicht der Beste, sondern nur der Schnellste sein, hat Journalismus zu etwas werden lassen, was mit “work in progress” mitunter noch schmeichelhaft umschrieben wäre. “Work in preparation” wäre mitunter passender.

* * *

Von der Arbeitsweise mancher Medienvertreter konnte ich mich in den letzten Tagen selbst überzeugen, als mich ein Mitarbeiter der Zeitschrift “Der Journalist” anrief, die ausgerechnet vom Deutschen Journalisten-Verband herausgegeben wird: Es ging um Vorwürfe, ein Kollege, der auch für BILDblog schreibt, habe Zitate erfunden. Der Mann vom “Journalisten” wollte die Handy-Nummer des Kollegen, die ich ihm nicht geben konnte, und erklärte mir dann, er wolle auf alle Fälle erst mal mit dem Betroffenen selbst sprechen, bevor er etwas veröffentliche. Der Zeitdruck sei ja auch nicht sooo groß, zumal bei einer Monatszeitschrift.

“Das ehrt Sie schon mal”, hatte ich sagen wollen, es dann aber doch nicht getan, weil es mir albern erschien, vermeintliche Selbstverständlichkeiten zu loben. Glück gehabt, denn ich hätte mein Lob zurücknehmen müssen, wie sich alsbald zeigte.

* * *

Doch noch einmal zurück zu Jörg Kachelmann: Wenn sich die Redaktion der “Tagesschau” nach langen Diskussionen entscheidet, nicht über die Vorwürfe gegen ihn und seine Verhaftung zu berichten, kriegt sie dafür einen auf den Deckel.

Die selben Medien, die sich im Vergleich zum bösen, bösen Internet (das neben hundert anderen Gesichtern natürlich auch seine hässliche Fratze zeigt) immer wieder ihrer “Gatekeeper”-Funktion rühmen (die also wichtige von unwichtigen, richtige von unrichtigen Meldungen unterscheiden zu können glauben), haben ihre eigenen Scheunentore sperrangelweit offen und leiten ihre Verpflichtung (mit einer Berechtigung ist es nicht getan) zur Berichterstattung daraus ab, dass auch die Justiz aktiv geworden ist.

Franz Baden auf sueddeutsche.de:

Im Fall Kachelmann hat eine Frau Strafanzeige erstattet – und das Amtsgericht Mannheim Haftbefehl erlassen, als sich der Tatverdacht erhärtet habe. Darüber wird berichtet werden müssen.

Wenn sich ein Journalist hinstellt und zu Besonnenheit aufruft, wie es Michalis Pantelouris in seinem Blog “Print Würgt” getan hat, kommt der Chefredakteur des Mediendienstes des Trash-Portals von Meedia.de vorbei und wirft ihm in einem Kommentar vor, solche Blogeinträge seien “rufschädigend für den Journalismus”.

Mir ist nach der letzten Woche ehrlich gesagt nicht ganz klar, auf was für einen Ruf er sich da eigentlich noch bezieht.

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Digital

Understanding In A Car Crash

Warnung!

In diesem Eintrag werden Seiten verlinkt, auf denen brutale und verstörende Fotos bzw. Videos zu sehen sind. Wenn Sie empfindlich auf solche Darstellungen reagieren oder es Ihnen reicht, sich vorzustellen, wie die Opfer eines Verkehrsunfalls aussehen, dann klicken Sie bitte auf keinen dieser Links!

Da hat man sich den Mund fusselig diskutiert nach dem Amoklauf von Winnenden, hat an journalistische Ethik oder einfach nur an den gesunden Menschenverstand appelliert, wenn es um Gewaltdarstellungen in den Medien ging. Gerade letzte Woche hatte ich mich und mögliche mitlesende Journalisten mal wieder gefragt (da dürften Sie jetzt drauf klicken, das ist nur ein Coffee-And-TV-Artikel), ob man eigentlich alle Quellen nutzen müsste, die einem so zur Verfügung stehen, um ein schreckliches Ereignis aufzubereiten.

Aber letztlich braucht es wohl einfach nur genug Blut und in den Gehirnen der Online-Redakteure reißen die letzten Synapsen ab.

Im niederländischen Apeldoorn ist bei der Parade zum heutigen Königinnentag gegen 12 Uhr Mittags ein Auto in die Menschenmenge gefahren und erst vor einem Denkmal zum Stehen gekommen. Im Moment geht man von vier Toten und mindestens 20 Verletzten aus.

Weil sich zumindest Teile dieses Unfalls in der direkten Nähe des königlichen Busses abspielten, wurden diese Bilder live im Fernsehen übertragen. Dass grausame Dinge on air passieren, gehört zu den Risiken einer Live-Übertragung. Die Frage ist, wie man in den nächsten Momenten damit umgeht.

Die Sender des niederländischen RTL haben Videos ins Internet gestellt, auf denen Menschen über die Straße geschleudert werden. Zuschauer schreien entsetzt (und gut hörbar) auf, später sieht man Polizisten bei verzweifelten Wiederbelebungsversuchen. Ich weiß nicht, was davon live über den Sender ging und was “nur” aufgenommen wurde — ich bin mir nur ziemlich sicher, dass die Betrachtung dieser brutalen Bilder keine zwingende Voraussetzung für ein Verständnis des Vorgangs “Auto rast in Menschenmenge” darstellt.

In den niederländischen Fernsehsendern sind die Bilder des Vorfalls immer wieder zu sehen — auf manchen nur die letzten Meter, bevor das Auto in die Umzäunung des Denkmals kracht, auf den Sendern der RTL-Gruppe auch noch mal ein paar Menschen, die getroffen werden. Reporter der Privatsender stehen vor dem Auto-Wrack, während im Bildhintergrund die abgedeckten Leichen liegen, die Öffentlich-Rechtlichen haben ihre Reporter inzwischen vor dem Königspalast abgestellt.

Aber die niederländischen Medien, die eh sehr viel liberaler sind im Umgang mit expliziten Darstellungen, sollen uns hier nur am Rande und unter exotischen Aspekten interessieren. Wir haben ja unsere eigenen Medien, allen voran die im Internet.

Trash-Portale wie “Spiegel Online”, Bild.de, focus.de und stern.de, aber auch FAZ.net zeigen Bildergalerien, in denen man sich unter anderem darüber informieren kann, wie eigentlich schwere Kopfverletzungen oder Mund-zu-Mund-Beatmungen aussehen.

tagesschau.de zeigt als Aufmacherbild eine Totale (wie man sie auch in der “Netzeitung” und der Klickstrecke von “RP Online” findet) mit mehreren Verletzen, während im Fernsehbeitrag hauptsächlich entsetzte Augenzeugen (darunter ein weinendes Kind) zu sehen sind.

Spekulationen schießen (natürlich) ins Kraut und Bild.de brauchte nur wenige Zentimeter, um aus einer Frage …

Schock für Beatrix am Königinnentag in Holland: War es ein Anschlag? Autofahrer raste in Menschenmenge - vier Tote und fünf Schwerverletzte

… eine Tatsache zu machen:

Anschlag auf Königin Beatrix: Der Bus mit der königlichen Familie – nur wenige Meter trennen ihn von der Stelle, an der der Suzuki in das Denkmal gerast ist. In der Mitte zu erkennen...

Beim Westen war vermutlich eher sprachliches Unvermögen als Zynismus Schuld an einer Bildunterschrift wie dieser:

Begeistert warten die Zuschauer im holländischen Apeldoorn auf den Besuch der Königsfamilie, als ein Auto in die Menschenmenge rast.

(Unnötig zu erwähnen, dass das Foto natürlich keine begeisterten Wartenden zeigt, sondern in Bewegung befindliche Unfallopfer. Der Bildausschnitt wurde übrigens später noch verändert, so dass nun weniger von den Körpern und mehr vom Auto zu sehen ist.)

Von allen großen Portalen, die mir spontan einfielen, kommt nur sueddeutsche.de ohne allzu brutale Fotos und/oder Bildergalerien aus. Allerdings erhielt meine zaghafte Erleichterung einen Dämpfer, als ich in den Kommentaren zum Artikel erst Kritik an (offenbar vorher dort gezeigten) Bildern fand und dann das hier las:

 30.04.2009  14:29:35 Moderator (sueddeutsche.de): Liebe user, obwohl das von uns zunächst gezeigte Bild aus dokumentarischen Gründen auch in anderen Publikationen zu sehen war, haben wir uns aus Pietätsgründen dazu entschieden ein anderes Bild zu verwenden. Mit freundlichen Grüßen, Ihr Moderator

Die obligatorische Gegenprobe beim Online-Auftritt des “Guardian” ergab: Ein zertrümmertes Auto sagt auch viel aus.

Mit besonderem Dank an unsere Niederlande-Korrespondentin Leonie.

Nachtrag, 23:55 Uhr: Zu früh gelobt: Der “Guardian” hat mit einer Bildergalerie und einem Video nachgelegt, wo Bilder zu sehen sind, die meines Erachtens auch nicht nötig wären.

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Print Politik

Was der “Süddeutschen Zeitung” heilig ist (und was nicht)

Wenn ich das damals im Kindergottesdienst richtig verstanden habe, sieht der liebe Gott alles, petzt aber nicht. Für ihn gilt das wohl umfassendste Zeugnisverweigerungsrecht und was man ihm erzählt, geht niemanden sonst etwas an. Wenn man ihm einen Brief schreibt, ist dessen Inhalt darüber hinaus noch von so etwas Weltlichem wie dem Briefgeheimnis geschützt.

Barack Obama, der sich gerade an so einiges gewöhnen muss, konnte sich also eigentlich auf der sicheren Seite wähnen, als er vergangene Woche in Jerusalem ein schriftliches Gebet in eine Ritze der Klagemauer schob. Immerhin hatten das schon Millionen von Menschen gemacht, darunter Papst Johannes Paul II.

Barack Obama musste nicht unbedingt damit rechnen, dass ein Religionsstudent (ausgerechnet!) seinen Zettel aus der Mauer porkeln und an die Zeitung Maariv weitergeben würde – und dass die diesen Brief dann abdrucken würde.

Nicht, dass Obama Schlimmes geschrieben hätte, es geht viel mehr um Vertrauen und ein uraltes religiöses Symbol. Entsprechend kann man auch den Aufschrei verstehen, der nun durch die Medien geht und auch die “Süddeutsche Zeitung” erfasste:

Der marktschreierischen Zeitung Maariv allerdings sind offenbar nicht alle Botschaften heilig. Am Wochenende veröffentlichte das Blatt auf seiner Titelseite die von Obama handschriftlich verfasste Note – und löste damit erhebliche Empörung aus, vor allem bei der Klagemauer-Verwaltung. Sie sieht nun ihre Glaubwürdigkeit in Gefahr, besonders bei den Betenden, die ihre Botschaften faxen oder mailen.

Wie “heilig” der “Süddeutschen Zeitung” Obamas Botschaft war, können Sie freilich daran ablesen, dass sie diese gleich zweimal druckte: einmal ins Deutsche übersetzt und einmal als Foto des Originalbriefs.

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Digital Gesellschaft

Ein schöner Rücken kann auch ein Skandal sein

“Sag mir, wer Miley Cyrus ist!”, gehörte bis vorgestern nicht zu den Fragen, die ich sofort hätte beantworten können, wenn man mich um halb sechs morgens wachgeschüttelt hätte. Ich bin einfach zu alt, um “Hannah Montana”, die überaus erfolgreiche TV-Serie vom Disney Channel, je gesehen zu haben. Heute weiß ich natürlich, wer Miley Cyrus ist, und Sie alle werden es auch wissen: sie ist die Hauptperson des neuesten “Nacktskandals” in den USA.

Was war diesmal geschehen? Annie Leibovitz, die vermutlich bekannteste und renommierteste lebende Fotografin der Welt, hatte die 15jährige Ms. Cyrus für “Vanity Fair” fotografiert – “oben ohne”, wie die Agenturen vermelden, oder anatomisch korrekt: mit entblößtem Rücken. Das Foto dürfte maximal ausreichen, bei Männern Beschützerinstinkte zu wecken und dem Kind die eigene Jacke umzulegen, aber es entfachte einen “Skandal”, der zumindest in diesem Monat seinesgleichen sucht.

Denn kaum war das Foto im Werbespot für die Juni-Ausgabe von “Vanity Fair” über die amerikanischen Bildschirme geflimmert, empörten sich die ersten Eltern in Internetforen und Blogs:

It’s time that parents really start thinking seriously about the Sexualization of Children, and how marketers are targeting very young children, causing young girls and boys to grow up way too fast. The only way marketers are going to be forced to stop sexualizing children is when parents finally stand up and say, “We’re not going to take it anymore!”, and boycott stores that market this sort of smut to kids.

Für Disney, wo man mit Miley Cyrus/Hannah Montana unfassbar viel Geld verdient, war schnell klar, dass man reagieren musste. Man entschied sich deshalb zum Angriff auf “Vanity Fair” und Annie Leibovitz:

A Disney spokeswoman, Patti McTeague, faulted Vanity Fair for the photo. “Unfortunately, as the article suggests, a situation was created to deliberately manipulate a 15-year-old in order to sell magazines,” she said.

[New York Times]

Und Miley Cyrus, deren Eltern ((Ihr Vater Billy Ray Cyrus ist als Countryrocker durchaus Showbiz-erfahren.)) beim Fotoshoot anwesend waren, fühlte sich plötzlich verraten und bereute alles:

“I took part in a photo shoot that was supposed to be ‘artistic’ and now, seeing the photographs and reading the story, I feel so embarrassed. I never intended for any of this to happen and I apologize to my fans who I care so deeply about.”

[ebenda]

Man hätte ahnen können, dass zumindest ein Teil der amerikanischen Elternschaft den Weltuntergang heraufziehen sieht, wenn ein Vorbild ((Und genau das dürfte dieses komische Miley/Hannah-Konstrukt für viele sein.)) ihrer Kinder plötzlich mit rotbemaltem Mund und bloßem Rücken zu sehen ist. Insofern hat Jac Chebatoris nicht Unrecht, wenn er im Internetauftritt von “Newsweek” schreibt:

But her parents attended and monitored the shoot. And Miley herself is by now well steeped in the maneuverings of celebrity. Witting or unwitting, she should have known better. And she plainly did not see the backlash coming until too late.

Schon letzte Woche hatte es einen mittelschweren “Skandal” gegeben, als im Internet private Fotos auftauchten, auf denen Miley Cyrus ihren BH und ihren nackten Bauch zeigt. (Hinweis, 6. August 2008: Diese Behauptung ist offenbar völliger Unfug: In der “Huffington Post” war von einem “Cyrus look-alike” die Rede. Vielen Dank an Jen für den Hinweis.) Wie schon im vergangenen Jahr bei Vanessa Hudgens (Star des anderen großen Disney franchise “High School Musical”) taten sich alsbald zwei Lager auf: der Pietcong, der Image und Karriere sofort ruiniert sah, und das Blogger- und Kommentatorenpack, das angesichts von Teenagern, die auf privaten Fotos ihre Unterwäsche zeigen, sofort von Pornokarrieren zu sabbern beginnt.

Beide Seiten verkennen: In Zeiten von Digitalkameras sind Teenager, die sich und ihren Körper fotografieren, ungefähr so alltäglich wie Katzenbilder. Sind diese Teenager dann auch noch prominent, ist die Chance, dass die Bilder binnen Wochenfrist im Internet landen, immens hoch. Vermutlich wird man zukünftig keinen einzigen Teenie-Star finden, von dem es keine solchen Bilder gibt. Dieser Tatsache müssen Eltern genauso ins Auge blicken wie der Tatsache, dass ihre eigenen Kinder dem vermutlich in nichts nachstehen werden. ((Gucken Sie jetzt bitte nicht auf dem Computer Ihres Kindes nach.))

Natürlich ist die ganze Geschichte von so immensem Nachrichtenwert, dass sie auch im deutschen Onlinejournalismus ausführlich gewürdigt werden muss. Und zwar in der Netzeitung, bei bild.de, stern.de, welt.de, n-tv.de, “Spiegel Online” und im News-Ticker von sueddeutsche.de.

Und bevor Sie sich jetzt wieder über die “prüden Amis” auslassen: der nächste “Naziskandal” kommt bestimmt!

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Digital Gesellschaft

Scheiß auf Freunde bleiben

Kürzlich fragte ich in die Runde der Dinslakener Schul- und Jugendfreunde, ob und wie sie eigentlich online zu erreichen wären. MySpace, Facebook, LiveJournal, Twitter, last.fm, … – es gäbe da ja zahlreiche Möglichkeiten. Eine der Antworten lautete sinngemäß, derartige Plattformen seien Zeitverschwendung und dienten nur der Ausbreitung des Privatlebens vor den Augen der Weltöffentlichkeit, persönliche Gespräche seien doch viel besser.

Nun kann man natürlich darüber streiten, ob eine solche Aussage nicht eher zu greisen Redakteuren Lesern der “Süddeutschen Zeitung” passe als zu aufgeschlossenen Mittzwanzigern – noch dazu, wenn diese schon aus beruflichen Gründen am Erhalt und Ausbau von Netzwerken interessiert sein sollten. Ich will aber gar nicht darüber urteilen, jeder Mensch soll bitte genau so leben und kommunizieren, wie er es für richtig hält. Ich will auf etwas völlig anderes hinaus: Die Gesellschaft wird sich über kurz oder lang nicht mehr (nur) in alt und jung, arm und reich, oder nach Wohnorten aufteilen, die Grenze wird entlang von “online” und “offline” verlaufen.

Natürlich: Ich verweigere mich ja auch vehement der Nutzung von StudiVZ (seit dem Eintrag sind bei denen noch mal etwa drei Dutzend neue Sündenfälle hinzugekommen). Wer das tut, verschließt sich automatisch einem breiten Teil seiner Altersgenossen, denn wenn jemand von denen online ist, dann bei StudiVZ. Andererseits stellt sich sowieso die Frage, ob man Leute, denen man in der Uni oder gar in der Schule ab und zu “Hallo” gesagt hat, in unregelmäßigen Abständen “Wie geht’s?” fragen und ihnen zum Geburtstag gratulieren sollte, wenn einen die entsprechende Website darauf hinweist. Ich habe Schulfreunde, die nicht bei Google zu finden sind, und zu denen ich seit Jahren keinen Kontakt mehr habe, was ich immerhin aufrichtiger finde, als wenn sie Karteileichen in meinem Facebook-Account wären.

Die meisten Leute, die davon sprechen “im Internet” zu sein, meinen damit ihre E-Mail-Adresse für die ganze Familie bei T-Online, bei der sie einmal in der Woche nach elektronischer Post gucken. Das ist völlig in Ordnung und wer seine Eltern oder gar Großeltern einmal so weit gebracht hat, will ihnen nicht auch noch Usenet, IRC, Instant Messenger und VoIP-Dienste erklären. Als meine Großmutter mir einmal in einem Nebensatz mitteilte, dass sie dieses Blog hier lese, hätte ich fast meinen Kaffee gegen den Fernseher über den Tisch geprustet.

Außenstehenden zu erklären, worum es sich beim Barcamp Ruhr oder der re:publica handelte, wird schwieriger, je tiefer man in der Materie drin ist. Zwar konnte ich gerade noch so erklären, was ein Startup ist (“ein junges Unternehmen im Internet”), aber die Frage nach Twitter hätte ich nicht beantworten wollen – geschweige denn die Frage, was man denn davon überhaupt habe.

Während die große Mehrheit an Leuten im Internet höchstens Nachrichten “Spiegel Online” liest, befasst sich ein kleiner Kreis von Leuten mit immer schneller wechselnden Spielzeugen. Aus der Mode gekommene Sachen sind heute nicht mehr “so 2000”, sondern “so März 2008”. Das, was ich mittlerweile doch ganz gerne “Web 2.0” nenne, ist selbst für viele Leute, die in Webforen und ähnlichen 1.0-Gebilden aktiv sind, oft genug noch terra incognita.

Ich war selbst lange Zeit skeptisch, was viele dieser Dinge angeht, habe aber mit der Zeit gemerkt, dass es gar nicht wehtut, Social Networks zu nutzen, zu twittern oder zu Treffen (pl0gbar, Barcamp, re:publica) hinzugehen. So habe ich über das Web 2.0 neue Leute kennengelernt und sogar neue Freunde gefunden. Mein Bekanntenkreis gliedert sich zunehmend in On- und Offliner, wobei ich mit ersteren fast täglich in Kontakt stehe, mit letzteren meist nur noch zu Weihnachten.

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Digital

Die mittischen Krassen

Es ist immer ein schönes Gefühl, wenn man von einer Reise wiederkommt und dann “Mein Gott, ist das schön hier” denkt. So ging es mir, als ich gestern unweit unseres Wohnheims aus dem Bus stieg und von der Bochumer Stille fast erschlagen wurde. Die re:publica und Berlin waren schön und gut, aber dort leben: Nein, Danke!

Zwischen den Programmpunkten “Endlich mal wieder Ausschlafen” und “Wäsche waschen” will ich aber nun doch noch ein paar Worte über die re:publica verlieren. Und weil schon alle (interessanterweise auch Leute, die nicht vor Ort waren oder sein wollten) darüber geschrieben haben, will ich nur ein paar ungefilterte Gedankengänge niederpinnen:

  • Ich habe bei der ganzen re:publica genau fünf Minuten gefilmt, danach dachte ich mir, dass da schon genug Leute filmen, wie genug Leute andere filmende Leute beim Filmen filmen. Diese fünf Minuten hat der “Tagesspiegel” genutzt, um mich zu fotografieren.
  • Die Diskussion “Blogger vs. Journalisten” ist laut Johnny Haeusler jetzt endgültig abgeschlossen. Leider habe ich vergessen, mit welchem Ergebnis. (Wahrscheinlich mit keinem.)
  • Die mitunter gehörte Bezeichnung “Blogger-Konferenz” ist einigermaßen absurd, weil es um eine ganze Menge Themen ging und längst nicht jeder Teilnehmer auch ein Blog betrieb.
  • Die Diskussionsrunde “Musik im Netz” war in etwa so unergiebig, wie man es erwarten durfte. Zumindest war sie zu kurz, denn sie musste in dem Moment beendet werden, als Tim Renner mit Ausführungen anfing, nach denen ich ihm die Rettung der Musikindustrie im Alleingang zutrauen würde.
  • Leider habe ich zu wenig von der Diskussionsrunde über “Citizen Journalism” im Ausland mitbekommen (was ich und jeder andere aber online nachholen kann), aber was ich über “Alive In Baghdad” gehört habe, hat mich tief beeindruckt. Verglichen mit dem (Über-)Leben in Bagdad und dem Darüber-Berichten ist wohl alles, was wir in Deutschland so ins Internet stellen, pillepalle.
  • Wenn ich mich ein bisschen konzentriere, kann ich mir auch Vorträge anhören, mit denen ich inhaltlich null übereinstimme. So weiß ich wenigstens, was am anderen Ende des Spektrums vor sich geht.
  • Schöner als die vielen Vorträge und Diskussionsrunden ist es eigentlich, am Rande Leute kennen zu lernen, deren Texte man teilweise schon seit langem liest und schätzt. Bei anderen wusste ich anschließend wenigstens, warum ich ihre Texte nicht lese.
  • Den besten Namen von allen Referenten hatte sicher Bertram Gugel, dessen Nachnamen man wirklich wie “Google” ausspricht.
  • Der Kaffee (ein in diesem Blog viel zu selten gewürdigtes Thema) in der Kalkscheune war beeindruckend schlecht. Das war Konsens, aber auch der einzige echte Nachteil der Örtlichkeiten.
  • Weitaus schlechter als der Kaffee aber war das, was die “Süddeutsche Zeitung” über die re:publica geschrieben hat – garniert mit einem ca. 10 Jahre alten Symbolbild.
  • Trotz des Mottos “Die kritische Masse” frage ich mich, wie viel von dem, was auf der re:publica besprochen wurde, für Leute außerhalb des Fachpublikums, das wir nun mal irgendwie alle waren, relevant ist. Mitunter hatte ich schon das Gefühl, dass die Gegenstände von Vorträgen und Diskussionen mit dem Leben von weiten Teilen der Bevölkerung gar nichts zu tun haben.
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Gesellschaft

Wie schon St. Peter Lustig immer sagte

Ich hoffe, Sie hatten ein schönes Osterfest!

Die Karwoche ist immer die Zeit des Jahres, zu der ich katholisch werde. Sonst bin ich nie katholisch, schon gar nicht so getauft, und den Papst und das alles finde ich natürlich sowieso nicht gut. Aber ich mag die Showelemente, die die katholische Kirche dem Protestantismus voraushat ((Streng genommen gibt es den Protestantismus ja unter anderem genau deshalb, weil diese Showelemente wenig mit dem Glauben an sich zu tun haben, aber ich möchte hier weder Martin Luther erklären, noch in längere Religionsphilosophien abdriften.)) – ich gehe ja auch auf Robbie-Williams- und Killers-Konzerte – und Show gibt es eben an Palmsonntag und in der Osternacht.

Karfreitag verzichte ich aus mir selbst nicht nachvollziehbaren Gründen ((I guess that’s why they call it religion.)) auf Fleisch und Alkohol. Gleichwohl hätte ich kein Problem damit, wenn jemand vor meinen Augen ein halbes Schwein verspeisen oder ein Fass Wein leeren würde. Ich würde auch am Karfreitag “weg gehen”, gerne auch auf Konzerte. Zuhause wäre dies kein Problem: Außerhalb Bayerns können die Kommunen selbst entscheiden, ob sie das “Tanzverbot”, das an den sogenannten “Stillen Tagen” gilt, aufheben wollen. In Bochum will man das offenbar seit längerem und die reichlich besuchten Gothic- und Metalparties sprechen für eine große Nachfrage. ((“Vier Tage Familienfeier ohne zwischenzeitlichen Ausgang” stehen auf George W. Bushs “Liste mit den Nicht-Folter-Methoden, die wir erproben sollten, falls wir Waterboarding jemals verbieten sollten” ziemlich weit oben.)) In Dinslaken ginge es nicht: Als regiere im Kreis Wesel der Pietcong, sind öffentliche Tanzveranstaltungen, der Betrieb von Spielhallen, Märkte, Sportveranstaltungen und die Vorführung nicht “feiertagsfreier” Kinofilme dort verboten – und zwar schon ab Gründonnerstag, 18 Uhr. Da kann man als Mensch, der an die Trennung von Staat und Kirche glaubt, schon mal nervöse Zuckungen im Gesicht kriegen.

Wenn der Staat Tanzveranstaltungen verbietet und gleichzeitig im Fernsehen Mord und Totschlag stattfinden, kann der Bürger die Plausibilität von staatlichen Regelungen nicht mehr nachvollziehen

sagte deshalb Bischof Gebhard Fürst, meinte das nur völlig anders als ich. Im katholischen Festttagskalender fest verankert ist nämlich seit einiger Zeit die Medienschelte zum Feiertagsprogramm: “Zu brutal, zu lustig, zu wenig familientauglich”, rufen dann der Vorsitzende der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz oder der Vorsitzende des medienpolitischen Expertenkreises der CDU ((Was lustigerweise ausgerechnet Günther Oettinger ist.)) erschüttert aus und werfen die Hände zum Himmel, so wie Pfarrer das in Fünfziger-Jahre-Schwarzweiß-Filmen immer machen, wenn der Satan in Form von Peter Kraus und seiner Rock’n’Roll-Kapelle ins Dorf kommt.

Während der Papst – über den Bernward Loheide von dpa übrigens letzte Woche einen sehr lesenswerten Bericht geschrieben hat – zum Osterfest 2008 so einiges unternahm, um sowohl Juden als auch Moslems vor den Kopf zu stoßen, soll also das deutsche Fernsehen unverfängliche Familienunterhaltung senden für eine Zuschauerschaft, die Ostern sicher nicht vor dem Fernseher, sondern mit der Familie beim Essen oder in der Kirche verbringen wollten? Aha. ((Nickeligkeiten wie die Behauptung, die zwanzigste Wiederholung von “Stirb Langsam” habe mehr Zuschauer gehabt als die Kirchen an Ostern Gottesdienstbesucher, spare ich mir schon aus Faulheit, die tatsächlichen Zahlen herauszusuchen. Außerdem liegt es mir fern, mich über Leute lustig zu machen, die in die Kirche gehen. Ich wäre nämlich auch in der (natürlich katholischen) Kirche gewesen, war aber im Urlaub.))

Reflektierter klang da der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, der in seiner Osterpredigt Medienkompetenz einforderte, aber gleichzeitig klarstellte, dass jeder die Freiheit habe, sich bestimmte Dinge nicht anzuschauen und abzuschalten. Und das ist ein so weiser Gedanke, dass er auch Carsten Matthäus als Schlusssatz seines sehr lesenswerten Kommentars bei sueddeutsche.de diente. Eben “Abschalten”, wie schon St. Peter Lustig immer sagte.

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Bundesblinden Song Contest

Eigentlich wollte ich gar nichts über den “Bundesvision Song Contest” schreiben. Der Popkulturjunkie hat ein ganz wunderbares Liveblog geführt, in dem er unter anderem die beste und wahrste Einschätzung zu den Sportfreunden Stiller ablieferte, die ich seit langem gelesen habe:

Es ist ja ein bisschen schade, aber ich finde, die Sportfreunde sollten sich auflösen. Oder nur noch live spielen ohne neue Songs aufzunehmen. Die Band dreht sich seit Jahren im Kreis, keine einzige neue Idee. Auch wenn sie sympathisch sind und eine großartige Liveband und überhaupt. Aber das hier ist ja wohl unglaublich mittelmäßig.

Aber darum soll es gar nicht gehen: Der Popkulturjunkie ist auch ein Statistikfreak und hat deshalb gleich gestern noch ein wenig rumgerechnet:

Platz 1: Brandenburg, Platz 2: Thüringen, Platz 3: Sachsen-Anhalt, Platz 5: Mecklenburg-Vorpommern. Aber um die eventuellen Ost-Verschwörungstheorien gleich mal zu entkräften: Ohne die fünf später hinzugekommenen Länder hätte die Reihenfolge auf Platz 1 und 2 genauso ausgesehen, nur Platz 3 wäre an Niedersachsen gegangen.

Das darf man natürlich nicht ganz wörtlich nehmen, denn ohne die “neuen Bundesländer” wäre ja weder Brandenburg noch Thüringen dabei dabeigewesen. Aber das ist Haarspalterei, denn auf die Punkte aus den neuen Bundesländern kam es bei den beiden Erstplatzierten nicht an, wie er heute in einem weiteren Beitrag vorrechnet:

Tatsächliches Ergebnis:

01 Brandenburg: Subway to Sally – “auf kiel” (147 Punkte)
02 Thüringen: Clueso – “keinen zentimeter” (146)
03 Sachsen-Anhalt: Down Below – “sand in meiner hand” (96)
04 Niedersachsen: Madsen – “nachtbaden” (94)
05 Mecklenberg-Vorp.: Jennifer Rostock – “kopf oder zahl” (79)
06 Schleswig Holstein: Panik – “was würdest du tun?” (75)

Ergebnis ohne Wertungen aus den “neuen Bundesländern”:

01 Brandenburg: Subway to Sally – “auf kiel” (99 Punkte)
02 Thüringen: Clueso – “keinen zentimeter” (96)
03 Niedersachsen: Madsen – “nachtbaden” (67)
04 Sachsen-Anhalt: Down Below – “sand in meiner hand” (56)
05 Schleswig Holstein: Panik – “was würdest du tun?” (54)

09 Mecklenberg-Vorp.: Jennifer Rostock – “kopf oder zahl” (41)

“Wo kämen wir hin, wenn wir uns von Fakten eine schöne, voreingenommene Berichterstattung kaputt machen ließen?”, wird sich Sebastian Wieschowski gedacht haben, als er seinen launigen schlecht gelaunten Artikel für “Spiegel Online” schrieb:

In dieser Nacht war Deutschland keine Bundesrepublik – sondern ein irrwitziger Haufen aus 16 Kleinstaaten, die sich bekämpfen, peinliche Allianzen gegeneinander schmieden. Ergebnis: Der Osten putscht sich zum Sieg bei Stefan Raabs “Bundesvision Song Contest”.

heißt es schon im Vorspann und eigentlich hat man da ja schon keinen Bock mehr zu lesen. “16 Kleinstaaten”, wo erlebt man sowas schon – außer im Bundesrat, der Schulpolitik oder der Radiolandschaft?

Und als wäre das Gerede von der “Ostblock-Mafia” beim Grand Prix nicht hinreichend widerlegt, poltert Wieschowski weiter:

Und was ehemalige Ostblockrepubliken beim echten Grand Prix schaffen, ist für die neuen Bundesländer eine leichte Übung – die statten nämlich mit Liebe ihre Nachbarn punktemäßig aus. Brandenburg schiebt sieben Punkte nach Mecklenburg-Vorpommern, acht nach Berlin, zehn nach Thüringen und zwölf in die eigene Tasche.

Auf die Idee, dass die Leute Clueso (Thüringen) und Subway To Sally (Brandenburg) einfach gut fanden, und die beiden Acts deshalb auch nahezu durchgehend 8 bzw. 10 Punkte aus allen Bundesländern bekamen, ist der Autor offenbar gar nicht erst gekommen. Auch nicht darauf, dass es in der Summe exakt keine Auswirkungen hat, wenn sich jeder seine zwölf Punkte selbst zuschiebt. Einzig NRW hat es mal wieder nicht geschafft, sich selbst die zwölf Punkte zu geben, was zwar dafür gesorgt hat, dass Clueso am Ende nur einen Punkt Rückstand auf Subway To Sally hatte, aber letztlich weder entscheidend war,, was zwar letztlich entscheidend war (Korrektur von 19:30 Uhr), aber kaum als “Ostkungelei” angesehen werden kann.

Aber man kann das natürlich auch dramatischer formulieren:

Die deutschlandweit gültige Faustregel lautet: In erster Linie liebt man sich selbst.

Kein Wort zum grandiosen Scheitern der Top-Favoriten Sportfreunde Stiller (Bayern) und Culcha Candela (Berlin), nichts darüber, dass der “Bundesvision Song Contest” und “TV Total” so ziemlich die letzten Sendungen im deutschen Fernsehen sind, an denen man solche Bands überhaupt noch sehen und live hören kann, seit Sarah Kuttners Sendung vor anderthalb Jahren eingestellt wurde.

Stattdessen gerüttelter Unfug wie:

Deutschland, einig Vaterland, das war gestern – es lebe die wiedergeborene Kleinstaaterei. Und schuld ist Stefan Raab.

Ach, und der Eurovisions-Wettbewerb ist dann ein Angriff auf das vereinte Europa oder was will uns der Autor damit sagen?

Schön natürlich auch, dass selbst so verabscheuungswürdige Ereignisse wie so ein “Song Contest” für “Spiegel Online” immer noch gut genug sind, mit klick-generierenden Bildergalerien gewürdigt zu werden.

Die Begleittexte dazu sind mal sinnlos

Sieger beim vierten Bundesvision Song Contest – obwohl sie schon seit 15 Jahren Musik machen: Mittelalter-Folkrocker Subway to Sally aus Brandenburg

mal falsch

Berliner Buben: Culcha Candela wollten den letztjährigen Erfolg von Seeed wiederholen – und scheiterten am Mittelalter-Folk ihrer Nachbarn.

Ja, Leute, wenn Seeed letztes Jahr gewonnen hätten, warum fand der Wettbewerb dieses Jahr dann in Niedersachsen statt? Vielleicht, weil die Vorjahressieger Oomph! hießen?

Ich sollte “Spiegel Online” endlich mal aus dem Feedreader schmeißen …

Nachtrag 13:29 Uhr: … und sueddeutsche.de gleich mit:

Einen gut vorbereiteten Eindruck machten die Niedersachsen, bestehend aus der dreiköpfigen Rock-Band Madsen, […] Auch dem Beitrag von Rheinland Pfalz – dargeboten von der Girlie-Gruppe Sisters – fehlte es an effektvollen Einfällen oder stimmlicher Qualität.

(Madsen sind zu fünft, Sisters für Nordrhein-Westfalen.)

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Suchmaschinenoptimierung mit jetzt.de

Das Internet, das ist für die “Süddeutsche Zeitung” das, wo Kinderschänder mit illegalen MP3s das Ende des Qualitätsjournalismus hinaufbeschwören. Für die Macher von “sueddeutsche.de” hingegen ist das Internet das, wo man ein bisschen Text und ein paar Dutzend Bilder zu sogenannten Inhalten zusammengruppieren kann.

Für jetzt.de, das tragische Überbleibsel des einst außerordentlich guten, ja: mindestens eine Generation prägenden “jetzt!”-Magazins, ist das Internet das mit den nervigen Blogs und den arroganten Bloggern. Oder das, wo “alle” “scheinbar von nichts anderem” reden als von:

jetzt.de beim SEO

Stefan Winter schreibt in einem launigen Artikel:

“Natalie Portman nackt!” lautet eine beliebte Google-Suchanfrage, die in der Tat nicht auf schmierige Porno-Seiten, sondern auf Film-Blogs, Vanity Fair oder Bunte.

Auf die Idee, die “Beliebtheit” einer Suchanfrage mit einem Link auf die Google-Suche belegen zu wollen, muss man erst mal kommen. 9.630 Ergebnisse sind auch nicht so spektakulär wie … sagen wir: jetzt doof (613.000), aber egal. Natalie Portman ist nackt in einem Film zu sehen, das muss man zum Aufhänger machen, das muss man mit Screenshots aus dem Film belegen.

Sicher: Auch ich habe, als ich vor drei Monaten über “Hotel Chevalier” schrieb (“Alle anderen reden spätestens seit Beginn des Jahres scheinbar von nichts anderem mehr”), nicht unerwähnt gelassen, dass viele nicht unerwähnt lassen konnten, dass Natalie Portman in dem Film nackt zu sehen sei.

Bei jetzt.de sieht die Meta-Ebene so aus:

In jedem Fall wird über den kurzen Film berichtet.

[…]

Und ja, auch wir berichten über den Vorfilm, der sich neben der Nacktheit durch die Musik (Peter Sarstedt “Where Do You Go To (My Lovely)”) und durch die Tatsache auszeichnet, dass Schwartzman alias Jack hier einen Einblick in die Vorgeschichte seiner Reise gibt, die im Hauptfilm erzählt wird.

jetzt.de “berichtet” in fünf Absätzen, von denen sich fünf mit einer nackten Schauspielerin beschäftigen (soll vorkommen), bebildert das ganze mit vier Screenshots, von denen zwei Natalie Portman beim Entkleiden und Nacktsein zeigen (noch mal: man sieht nichts im Film, was über nackte Haut hinausginge), packt die Kernaussage auch noch in die Überschrift (Suchmaschinenoptimierung für Anfänger) und mokiert sich über den “Aufmerksamkeits-Fokus für eine bestimmte Zuschauerschaft”.

Was, bitte, soll denn das sein, wenn nicht billiges Aufmerksamkeitsheischen für eine bestimmte Leserschaft?