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Salzburg Calling

Gerade so bei GoTV reingezappt und die Schlusseinblendung und die letzten vier Takte eines Songs mitbekommen. Die klangen so vielversprechend, dass ich den Song gleich mal bei YouTube gesucht und – Oh Wunder des Urheberrechts – auch gefunden habe:

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Der erste Refrain kann nicht ganz das Versprechen einhalten, das der Song bis dahin aufgebaut hat. Bei der dritten Wiederholung (er ist ja eine einzige Wiederholung) entfaltet er allerdings durchaus seinen Charme. Nichts Weltbewegendes, aber zumindest mal wieder ein bisschen neues Leben in der extrem öde gewordenen Schublade mit der Aufschrift “Indie Rock”.

Trippin In London kommen – man kann es sich bei diesem leider etwas doofen Namen denken – nicht aus England. Stattdessen kommen sie – das kann man sich beim GoTV-Einsatz denken – aus Österreich, genauer: Salzburg. Kämen sie aus Dinslaken, würden deutsche Musikjournalisten sicher steil gehen.

Auf einer obskuren Seite namens MySpace gibt es weitere Songs zu hören, bei iTunes gibt’s noch nix.

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Musik

Und dann kam Polli

Vor vielen Jahren schrieb ich in einer der Rezensionen, die ich damals in Fließbandarbeit für ein Online-Musikmagazin anfertigte, über das völlig okaye Debütalbum von Jona Steinbach den folgenden, weder klugen noch schönen Satz:

Vielleicht schafft man es irgendwann, eine CD mal nicht als Manifest einer gescheiterten Generation, sondern einfach nur als Tonträger zu begreifen.

Als ein gutes Jahr später das Zweitwerk des Kölners erschien, stand auf der dazugehörigen Presseinfo das folgende, angebliche Zitat:

Das Manifest einer gescheiterten Generation.

Spätestens da wusste ich: Diese, auch “Waschzettel” genannten, Presseinfos sind das Schlimmste, was das Musikbusiness zu bieten hat. (Und das Musikbusiness hat immerhin Prof. Dieter Gorny zu bieten.)

Selbst Sätze, die einem unter normalen Umständen nicht weiter auffallen würden, wirken in Presseinfos dumm und gestelzt. Und dann gibt es ja noch die ganze Klischee-Grütze von wegen “in keine Schublade passen”, “reifer geworden” und “ihr bisher bestes Album”. Wenn man Glück hat (ja, wirklich: Glück) steht da wenigstens noch eine Latte von Künstlern, die angeblich so ähnlich klingen, und man kann schon vor dem Hören abschätzen, ob man sich das jetzt wirklich antun will.

Wenn ich selbst Pressetexte verfassen sollte (zum Beispiel, damit Dinslakener Lokalredaktionen ausführliche Ankündigungen von Konzerten abdrucken konnten, in die sie keine Sekunde eigener Arbeit investieren mussten), dann ging das nur mit sehr viel Überwindung und unter Selbsthass und Schmerzen.

Dennoch überwinde ich mich etwa einmal im Jahr und hacke eine Presseinfo in die Tasten — wenn man anschließend eine halbe Stunde heiß duscht, geht’s meistens wieder. Die zu lobpreisenden Künstler müssen aber a) Freunde von mir sein und b) Musik machen, die mir wirklich, wirklich gefällt. Beides war im Fall von Polyana Felbel gegeben und so schrieb ich die Presseinfo, um alle Presseinfos zu beenden.

Polyana Felbel, das sind Polyana Felbel und Taka Chanaiwa aus Köln (“einer Stadt, die man nicht gerade mit den Weiten des nordamerikanischen Kontinents oder den Wäldern Skandinaviens verbindet”, wie es in der Presseinfo faktisch einigermaßen korrekt heißt) und gestern haben sie dort ihr erstes offizielles Konzert gespielt. Rund 50 Menschen hatten sich im Theater der “Wohngemeinschaft” (ein etwas bemüht im urbanen Retro-Chic gehaltenes Etwas mit Kneipe, Hostel und Bühne) versammelt und den Raum damit auf muckelige 30° Celsius aufgeheizt. Einige kamen gar verkleidet, was sich allerdings mit der Rheinländern offenbar innewohnenden, ansonsten aber völlig unverständlichen Affinität zu Schnapszahl-Daten erklären lässt.

Das Vorprogramm bestritt ein aufstrebender Singer/Songwriter und Zollbeamten-Bespaßer aus Bochum, dann ging es richtig los: Polli und Taka eröffneten mit einem Cover von Coldplays “Green Eyes” und es dauerte ungefähr zehn Sekunden, bis sich Gänsehaut und Sprachlosigkeit Raum brachen. Mit jedem weiteren Stück – neben einigen Eigenen auch Neuinterpretationen von “The Blower’s Daughter” (Damien Rice), “Use Somebody” (Kings Of Leon) und “Kids” (MGMT) – wuchs die Begeisterung und am Ende des Abends war ein Jeder, ob Männlein oder Weiblein, ein bisschen in Polli verliebt.

Das ist aber auch tolle Musik, dieser Folk, den die beiden da machen: Einerseits filigran wie ein letztes, vertrocknetes Blatt im Herbstwind, andererseits mit einer ungeheuren Kraft und Stimmgewalt vorgetragen. Vergleiche mit Kathleen Edwards, Lori McKenna oder Hem klopfen an und müssen nicht gescheut werden (um eine in der Presseinfo unbenutzte Phrase doch noch zu verbraten). Es ist einfach toll zu sehen, wie zwei junge Menschen mit Spaß und Ernsthaftigkeit Musik machen und damit einen voll gepackten Raum zum Schweigen und Schwelgen bringen.

Für die nun dräuenden dunklen Abende seien Ihnen Polyana Felbel daher schwerstens ans Herz gelegt. Hörproben gibt es auf einer obskuren kleinen Internetseite namens MySpace und hier:

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Musik

You should have known by now you were on my list

Nachdem Lukas nun seit Wochen schon erhebliche Stücke seiner Zeit dafür aufbringt, die letzten zehn Jahre nach den musikalischen Häfen seines Lebens zu durchforsten, ((Für den Strauß Stilblüten, der in den nächsten Zeilen sicher noch dicker werden wird, darf man sich dann am Schluss bei mir bedanken.)) macht sich mittlerweile angesichts des mit Pferden und Streitwagen heranbrausenden Jahresendes auch bei mir der Zugzwang bemerkbar, zumindest die letzten zwölf Monate dieses überdurchschnittlich guten Plattenjahres in eine gewisse, zumindest für mich gültige Ordnung zu bringen.

Wenn ich meinen last.fm-Statistiken Glauben schenken darf, und das ist aufgrund einiger über das erste Quartal 2009 verteilten Komplettabstürze meines alten Rechners, denen regelmäßig eine eher sporadische Neuinstallation irgendwelcher Statistik-Plugins folgte, höchst fragwürdig, dann beginnt das Jahr und beginnt diese Rangliste mit bedenklich hoher Rotation des Albums “Noble Beast” von Andrew Bird, der mich schon mit der 2007 erschienenen Platte “Armchair Apocrypha” an meiner despektierlichen Haltung gegenüber Sportmusik und Muckertum hatte zweifeln lassen. Entgegen der statistischen Hinweise kann ich mich allerdings seltsamerweise kaum daran erinnern, Birds jüngstes Werk eingehend unter die Lupe genommen zu haben, im Gegenteil erinnere ich mich nur noch daran, dass im Opener “Oh No!” an einer Stelle von einem Gefängnis die Rede ist. Den Rest der Songs finde ich in der Rückschau entweder gar nicht mehr, oder ziemlich bedeutungslos. Dennoch steht der Mann hier, weil mich die relative Enttäuschung über “Noble Beast” dazu verleitet hat, “Armchair Apocrypha” wieder zu hören, wenn nicht gerade der vermaledeite Computer wieder im Abrauchen begriffen war. Daher gibt es hier jetzt also für dieses nicht 2009 erschienene Album von mir Platz 10 des Jahres 2009. Schöne Doppelstandards habe ich ja.

Auf Listenplatz 9 landet eine Scheibe, bei der ich mir zum Zeitpunkt ihres Erscheinens, also im März, noch unumstößlich sicher war, dass nichts und niemand mehr dazu in der Lage sein würde, mich davon abzubringen, es schon aus der hier semantisch überaus schief verwendeten ex-ante-Perspektive zum Album des Jahres zu erklären. “Hazards Of Love” von The Decemberists ist im positiven Sinne ein Konzeptalbum ((Wenn ich im Zusammenhang mit Konzeptalben von positivem Sinn spreche, meine ich das durchaus als tiefe Würdigung des Künstlers. Das letzte “Konzeptalbum”, das mir von Freunden als hörbar nahegelegt worden ist, war irgendwas von Dream Theater und kann mittlerweile nachhaltig dazu verwendet werden, mich in rasender Geschwindigkeit aus der Wohnung zu jagen. Ob ich komplett angekleidet bin oder nicht.)) über so eine Art Liebesgeschichte. Allerdings werden da wohl auch Protagonisten von wilden Vögeln entführt und ins heutige Russland deportiert (ganz habe ich das noch nicht verstanden, vielleicht kommt das noch). Jedenfalls ist das ein wunderbares Album von einer ebenso wunderbaren Band, die wunderbarerweise am laufenden Band Aufnahmen veröffentlicht, ohne dass das nervt. Warum “Hazards Of Love” hier also nicht an der Pole Position steht, ((Zu Ihrem Stilblütenstrauß haben Sie nun noch eine besonders prächtige Rose dazugeschenkt bekommen.)) lässt sich wohl nur dadurch erklären, dass irgendwann folgende Dinge passiert sind:

Ich freundete mich mit Animal Collective an, was schon allein dadurch etwas Besonderes ist, weil ich ein paar Jahre vorher noch jedem vergiftete Blicke zugeworfen hatte, der mir deren vorletztes Album “Feels” nahelegen wollte. Für mich war diese Band und alles mit ihr Zusammenhängende ein vager Abklatsch von längst verblichenen Idolfiguren wie Circulatory System, Olivia Tremor Control und so weiter, mit dem Unterschied, dass Animal Collective es für meinen Geschmack ein wenig übertrieben mit der Psychedelität. Und nun diese Platte! “Merriweather Post Pavillion” ist einer der für mich (und vermutlich jeden anderen auch) seltenen Fälle, die sofort mit voller Wucht einschlagen und danach trotzdem immer noch besser und aber vor allen Dingen nicht langweilig werden. Dieses Album verursacht in mir ein nicht mehr wegzuleugnendes Bedürfnis zu tanzen, ((Liegt auf meiner persönlichen Wertschätzungsskala nur knapp oberhalb von Konzeptalben, diesmal aber eher aus vollkommen persönlichen Gründen.)) wo es möglich ist und ist auch sonst einfach ziemlich perfekt. Leider habe ich es erst sehr spät kennengelernt (lies: vor knapp eineinhalb Monaten) und kann es deshalb leider noch nicht guten Gewissens höher einstufen als auf Platz 8. Aber fragen Sie mich nächstes Jahr nochmal, wie ich retrospektiv entscheiden würde!

Ich springe chronologisch. Sie haben das vielleicht schon geahnt. Wenn ich mir also den Juni dieses Jahres so auf last.fm angucke, erschleicht mich ein Peinlichkeitsgefühl und noch dazu eine Mahnung an so etwas wie eine Pflichtschuldigkeit, nämlich dahingehend, dass es ja eigentlich nicht sein kann, dass man über vier Wochen hinweg nicht nur einen einzigen Künstler, sondern tatsächlich immer ein- und dasselbe Album des gleichen Künstlers hört, wieder und wieder. Dieses Deliktes habe ich mich schuldig gemacht, und das auch noch mit schmierigstem englischen Indierock, den man drüben beim NME in der Jahresendliste vermutlich auch irgendwo aufgeführt hat, aber fragen Sie mich nicht, ich habe keine Ahnung vom NME, die Charts dort verfolge ich quasi nicht. Ich vermute einfach, dass die da eine Great-Britain-Quote haben, die ihnen verbietet, mehr als fünfzig Prozent der jeweiligen Charts von Nicht-Briten einnehmen zu lassen, andernfalls wird wohl einfach irgendwas eingefügt, das entfernt nach Franz Ferdinand klingt. Aber ich schweife ab: Dieses schleimige, auf Hochglanz polierte und viel zu pathetische Album, das mich aus Gründen der inneren Kohärenz und der Gefühlsgewalt so umgeworfen hat, dass ich wage, ihm eine bessere Stelle als den Decemberists zukommen zu lassen, ist “Wall Of Arms” von The Maccabees. Man kann heutzutage keinen toten Fisch werfen, ohne jemanden zu treffen, der genauso klingt, ich weiß, aber dennoch: Sehr schönes Ding. Empfehlenswert ist hier insbesondere der Song “William Powers”. Platz 7 für die Maccabees und “Wall Of Arms”.

Irgendwann im September stolperte ich über eine Band namens Tap Tap, von der ich absolut gar nichts weiß, außer, dass sie dem Akzent des Sängers nach ebenfalls aus dem Vereinigten Königreich stammt und ein Album namens “On My Way” herausgebracht hatte. Es passiert mir indes nicht oft, dass mich eine Platte so überzeugt wie diese hier, ohne dass ich auch nur den geringsten Schimmer habe, wer eigentlich dahinter steckt. Vermutlich hängt das mit der Minimalmenge Fanboy-Tum zusammen, die einen dazu bringt, erstmal anhimmeln können zu wollen, ehe man entscheidet, das Produkt auch “objektiv” gut zu finden. Aber hier! So einfache, eigentlich so sehr nach Schema F komponierte Songs, dass man sofort wieder Pearl Jam hören dürfen will, und dennoch so originell und Vertrauensvorschuss heischend, dass es mir schon arg Weh tun würde, müsste ich irgendwann herausfinden, dass Tap Tap eine Band von politisch am rechten Rand sich tummelnden Sauerkrautstampfern wären, die wochentags gerne Vorschulkindern die Baseballmützen vom Kopf schießen oder sowas. Aber ich glaube auch nicht, dass es so weit kommen muss. Platz 6 over here!

Jetzt wird es ernst. Bei allem, was jetzt kommt, musste ich für die finale Reihenfolge derart grübeln, dass sich an meinen Schläfen nun tatsächliche Grübelgruben gebildet haben, aus denen man dann gerne mal kollektiv Zwiebeldip abstippen darf, sollte ich dereinst als Tisch in einem mexikanischen Restaurant angestellt sein. Es muss daher jetzt auch vergleichsweise schnell gehen, weil ich mir das mit dem Grübeln nicht so richtig abgewöhnen konnte und nun, einmal entschlossen, lieber mit geschlossenen Augen durch die Wand fahre, als mich wieder in endlosen Abwägungen wieder zu finden.

Platz 5 dieser mit niemandem abgesprochenen und überaus subjektiven Albumchartliste des vergangenen Jahres geht an eine kleine, feine Band namens Clues, die allerdings insofern hochkarätig ist, als in ihr sowohl ein ehemaliges Mitglied der Unicorns als auch ein Prä-Funeral-Mitmusiker von The Arcade Fire ihr zweifelsohne ernst gemeintes Blut-Schweiß-Tränen-Handwerk tun. Im Mai veröffentlichten sie ihr selbstbetiteltes Debut, bei dem es sich um den sprichwörtlichen Wahnsinn handelt. Der Grund, warum dieses Album fünf Plätze fallen musste und deshalb nicht auf dem ersten Platz liegt, ist ein in der Mitte des Albums verorteter Song namens “You Have My Eyes Now”, bei dem ich überhaupt keinen Zugang fand, und der meines Erachtens auch kohärenzmäßig überhaupt nicht auf dieses Album passt. Natürlich will ich nicht behaupten, dass ich die minutiös geplante Liedabfolge solch einer guten Platte besser verstehe als die betreffende Band selbst, aber in diesem Fall hat sich immer eine sehr interessante Reise in meinem Kopf aufgebaut, ehe dieser Track eine Verwirrung bei mir auslöst, die mich leider zum sofortigen Weiterskippen zwingt.

Platz 4 geht an “The Conformist” von Doveman, einem jungen Mann, der mir als Tourposaunist der fantastischen New Yorker Band The National bekannt wurde. “The Conformist” ist eine sehr ruhige und beständig traurige, aber natürlich auch aus anderen Gründen schöne Platte, die unter anderem mit Bryce und Aaron Dessner von The National aufgenommen und produziert wurde. Ab und an, zum Beispiel im Song “Angel’s Share” hört man gar Matt Berninger als zweite Stimme mitgrummeln, was für jemanden, der wie ich eine durchaus irrationale Liebe zu The National pflegt, eine vermutlich ebenso irrationale Verklärung aller Musik, in der die drin hängen, bedeutet. Aber das ist ja dann auch wieder egal, wenn das Produkt so schön klingt. Super Sache! ((Eine ebenso super Sache ist außerdem, dass weitere Backing Vocals von einer gewissen Norah Jones gesungen wurden, zu der man vermutlich auch nur eine höchst irrationale Liebe haben kann, was im vorliegenden Fall aber auch so ist.))

Royal Bangs aus Knoxville greifen für ihr zweites Album “Let It Beep” den dritten Platz ab. Es gibt ja immer solche Scheiben, an denen alles stimmt. Die letzte dieser Art, die nicht aus 2009 stammt und an die ich mich ohne Hilfe erinnern kann, ist “Reconstruction Site” von The Weakerthans. ((Musik, Lyrics und Artwork waren so umwerfend, dass ich schon beim dritten oder vierten Hören wusste, dass hier jemand mal eben ein Meisterwerk abgeliefert haben musste, scheinbar ohne besonders exaltiert mit irgendwelchen Wimpern zu zucken.)) Dieses Jahr gibt es für mich immerhin zwei dieser Art. Eine davon ist die eben Genannte der Royal Bangs, die ich mir einzig und allein wegen des Covers zulegte und dann zwei Wochen am Stück hören musste, wo ich ging und stand (eine Ausdrucksweise, die vom Erschaffer derselben vermutlich wohl doch eher ausschließlich für das Präsens gedacht war). Innerhalb dieser zwei Wochen gab es dann auch noch überraschend ein Konzert im Kreuzberger “Westgermany”, was natürlich kein Zufall sein konnte. Elektro-Rock ohne alles, was das Wort “Elektro-Rock” zu einem so wirkungsvollen Brechmittel machen kann. Die Herren landen aus Gründen der leider nicht verschwindend geringen “Tot-Hörbarkeit”, aber auch deshalb auf dem dritten Platz, weil ich ihnen dank oben erwähnten Konzertes einen gewissen Malus einräumen muss: Selten habe ich eine Band, die ihre Songs so gut vorträgt, so lustlos erlebt, mutmaßlich aufgrund der vielleicht zwanzig anwesenden Gäste. Das Konzert selbst war super, aber es hätte wegen der sieben Tage Regenwetter, die in den Bandgesichtern stattfanden, mit geschlossenen Augen höchstwahrscheinlich viel besser gefallen. Nur mäßig entschuldbares Verhalten, leider.

Platz zwei erhält eindeutig “Eskimo Snow” von WHY?. Ein fantastisches Album aus Folksongs von Hiphop-Musikern, die schon mit ihrer letzten Veröffentlichung “Alopecia” etwas herausgebracht hatten, was nirgends einzuordnen war und dennoch – nicht: “gerade deshalb” ((Einfach weil der Stilblütenstrauß wohl sonst am Packlimit angekommen und bei Übertretung der Gewichtsgrenze nur noch als Sperrgut zu transportieren wäre.)) – eingängig und nachhaltig erheiternd. “Eskimo Snow” ist nun etwas ganz anderes als alle Vorgängeralben, vielleicht dadurch auch gewöhnungsbedürftig, aber ich bitte Sie: Hören Sie es durch. Vielleicht viermal, vielleicht hundertmal. Sie werden es lieben, allein für Texte wie “And when a thing starts finishing around me, I faint or fake a moustache, an accent, or flee, in fear my expired license be pulled by sheer proximity”, aber wahrscheinlich auch für das ganze Drumherum. ((Meine Damen und Herren, der Stilblütenstrauß ist soeben an Adipositas verendet und lässt sich nun auch nicht mehr durch ein beiläufig eingeworfenes “Bitte eine Packung gute Laune mitbringen!” ins Leben zurückholen. Das haben wir nun davon!))

So nun, zu Platz 1. Ich mache es kurz und schmerzlos: “Veckatimest” von Grizzly Bear. Nein, ich möchte gar nicht hypen. Unter allen Umständen will ich das vermeiden. Man sollte vielleicht denken, dass es nach allen Lobhudeleien auf diese Platte langsam einmal genug wäre, aber: Nein, ist es nicht. Dies ist eines der beiden Alben, bei denen in diesem Jahr für mich schon beim ersten Hören der Musik und Sehen des Artworks nichts auch nur vage unangenehm aufstößt, sondern mit jedem Blick und Hinhören, so flüchtig beides auch sein mag, nur wächst und wächst. Das hier ist aber schon deshalb weit großartiger, weil es mindestens zehnfaches Anhören der gesamten CD braucht, um es überhaupt auch nur in Teilen so weit verstanden zu haben, dass man es ohne Vorurteile gegenüber einer Pseudo-Prog-Rock-Haltung, die Grizzly Bear von anderen schon nachgesagt worden ist, gut finden kann. Hat man sich allerdings darauf eingelassen, ist es meiner Ansicht nach völlig unmöglich, das Gefallen an diesem Album zu verlieren, im Gegenteil ist man bis auf Weiteres dazu verurteilt, es nach jedem Durchhören um ein Vielfaches mehr zu mögen als vorher, sofern das überhaupt möglich ist. Auf Schultern klopfen und “Sehr gut gemacht!” sagen möchte man hier.

So. Ich freue mich, dergleichen mit Ihnen allen geteilt zu haben! Allerdings kann ich, wie bereits gesagt, nicht garantieren, dass ich in einer leicht anderen Tagesform die ersten fünf Plätze nicht vollkommen anders geordnet hätte. Ich hoffe, Sie verzeihen mir das. Außerdem sollte noch gesagt werden, dass es dieses Jahr auch einige sehr schöne Platten gab, die nicht zu meinen zehn Favoriten gehören, beispielsweise “Bitte Orca” von den Dirty Projectors, die ich noch vor Kurzem intern auf Platz 2 geführt habe. Aber diese Dinge ändern sich schnell, und insofern ist es vielleicht gut, wenn ich wie jedes Jahr nicht möchte, dass sich irgendein Album ärgert oder traurig ist. Deshalb, und weil zehn Ordnungsplätze einfach reichen, rangieren alle übrigen Veröffentlichungen, von denen ich dieses Jahr wohlwollend Kenntnis genommen habe, gleichrangig auf Platz 11. Hoffentlich gibt das kein Gedränge da unten!

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Musik

Da prallen Welten aufeinander

Natalie Imbruglia war vor vielen Jahren mal berühmt. Sie hatte einen Hit namens “Torn” und war eine der ersten Frauen, bei denen ich als Teenager dachte “Schau mal an, die sieht aber ganz gut aus …” (die Zweite war Natalie Portman, womit die Natalie-Serie aber auch schon endete).

Ich habe keine Ahnung, was die Australierin in den letzten Jahren gemacht hat (mutmaßlich Alben veröffentlicht, von denen kaum jemand etwas mitbekommen hat), aber heute vermeldet NME.com, sie habe ein neues Album aufgenommen.

Die eigentliche Nachricht ist aber:

Natalie Imbruglia has announced details of her forthcoming new studio album, which features three co-writes with Coldplay.

Die eigentliche Nachricht ist aber:

The album, entitled ‘Come To Life’, will be released on October 5. It will be preceded by a single, ‘Want’, on September 28. The single is a Coldplay co-write, as are album tracks ‘Lukas’ and ‘Fun’.
(Hervorhebung von mir)

Nach all den Jahren, in denen ich mit “Luka” von Suzanne Vega Vorlieb nehmen musste (was ja immerhin ein schöner, wenn auch etwas deprimierender Song war), gibt’s jetzt endlich “Lukas” — und das gleich von Natalie Imbruglia und Coldplay. ((Ich werde demnächst noch einmal ausführlicher über Songnamen, die auf Namen basieren, schreiben. Ich finde es verdammt ungerecht, dass eine Geraldine so einen großartigen Song wie den von Glasvegas verehrt bekommt, eine Lena aber mit BAP und Pur leben muss.))

Damit sind wir aber noch nicht bei der spannendsten Kollaboration des Musikherbstes, denn die kommt wohl aus einem anderen land down under, aus Neuseeland. Neil Finn (Ex-Split Enz, Ex- und Wieder-Crowded House, Finn Brothers) hat letztes Jahr Weihnachten einen ganzen Haufen Musiker um sich geschart, um unter dem Projektnamen 7 Worlds Collide ein paar Songs ((Also ein Doppelalbum.)) für einen guten Zweck aufzunehmen.

Die Liste der Mitwirkenden beinhaltet unter anderem Johnny Marr (Modest Mouse, Ex-The Smiths), Phil Selway und Ed O’Brien (beide Radiohead), Jeff Tweedy, John Stirratt, Glenn Kotche und Pat Sansone (alle Wilco), KT Tunstall, Bic Runga, Tim Finn, Liam Finn, Lisa Germano und Sebastian Steinberg (Soul Coughing). Die Songs wurden in den wüstesten Kombinationen geschrieben und eingespielt und wie man den Videos auf der MySpace-Seite des Projekts entnehmen kann, hat das alles wohl richtig viel Spaß gemacht. Erste Höreindrücke gibt es dort auch schon.

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Musik Digital

Der Weg zum Rockstar in sechs Milliarden Schritten

Falls ich mal eine Liste machen müsste “Musiker, die auf die Musikindustrie nicht so richtig gut zu sprechen sind”, stünden zwei Namen ganz oben: Thom Yorke von Radiohead (deren letztes Album “In Rainbows” gegen so ziemlich jede Logik der Branche verstoßen hat) und Trent Reznor von den Nine Inch Nails.

Letzterer hat sich letzte Woche mit einem Beitrag im Forum seiner Bandwebsite zu Wort gemeldet, in dem er mal eben kurz und holzschnittartig die Möglichkeiten erklärt, die man als Musiker heute so hat. Kurz zusammengefasst lauten sie ungefähr “Lass Dich traditionell von einem Majorlabel vermarkten und gib die Kontrolle ab” und “Mach alles selber, sei aktiv und beiß Dich durch”. Das ist natürlich grob vereinfachend (und von mir noch mal destilliert), kommt aber so in etwa hin.

Wie genau das mit der Selbstvermarktung laufen soll, erklärt Reznor dann gleich ausführlicher:

Have your MySpace page, but get a site outside MySpace – it’s dying and reads as cheap / generic. Remove all Flash from your website. Remove all stupid intros and load-times. MAKE IT SIMPLE TO NAVIGATE AND EASY TO FIND AND HEAR MUSIC (but don’t autoplay). Constantly update your site with content – pictures, blogs, whatever. Give people a reason to return to your site all the time. Put up a bulletin board and start a community. Engage your fans (with caution!) Make cheap videos. Film yourself talking. Play shows. Make interesting things. Get a Twitter account. Be interesting. Be real. Submit your music to blogs that may be interested. NEVER CHASE TRENDS. Utilize the multitude of tools available to you for very little cost of any – Flickr / YouTube / Vimeo / SoundCloud / Twitter etc.

Ich habe Bücher gelesen, die in der Summe unkonkreter waren.

Aber die Problemlösung führt natürlich zu neuen Problemen: Erstens muss ich mich als Musiker neben der Musik (und dem … äh: Leben) auch noch um die ganzen Verbreitungskanäle kümmern. Im Bestfall ist das nur unglaublich aufwendig — wenn man Pech hat, kann man aber weder mit Videoschnitt, noch mit Sozialen Netzwerken umgehen. Zweitens wird man ja nie die einzige Nachwuchsband sein, die diese Wege geht. Statt auf dem traditionellen Musikmarkt mit ein paar hundert anderen Acts konkurriert man heute bei MySpace mit – setzen wir die Schätzung mal optimistisch an – sechs Milliarden Kapellen.

Während man ja schon bei offiziell (also via Plattenfirma) veröffentlichter Musik in aller Regel genau die Sachen nie mitkriegt, die einen sonst am meisten begeistert hätten, gleicht es einem Blitzschlag nach dem Lottogewinn, bei MySpace (oder irgendeiner anderen der paar Tausend Musikplattformen) eine unbekannte Band zu entdecken, die einen kickt. Das, was ich immer über Blogs gesagt habe (“Man muss halt Medienkompetenz entwickeln und ein bisschen Glück haben, dann findet man schon ein paar Sachen, die einen richtig begeistern”), erscheint mir im Bezug auf Musik plötzlich hoffnungslos naiv.

Wie also kommen Musiker und Hörer zusammen? Nicht mehr unbedingt durch Radio-DJs und Musikfernsehen, wenn man dieser Studie über den Medienkonsum von Teenagern glaubt — wobei Radio-DJs in Deutschland eh seit den 1980er Jahren unbekannt sind. Häufig bekommt man Musik von automatisierten Diensten wie last.fm oder von Freunden empfohlen. Aber da geht’s bei mir schon wieder los: “Höre ich mir jetzt nebenher diese ganzen unbekannten Sachen an oder lasse ich einfach zum hundertsten Mal The Killers/Travis/Oasis laufen?” Ob ich mich dazu zwingen könnte, an einem Tag in der Woche nur neue Musik zu hören?

Natürlich war es nie einfacher, ohne Kontakte und ohne industrielles Marketing seine Hörer zu finden. Und gleichzeitig nie schwieriger. Bis heute gibt es keine mir bekannte Band, die ausschließlich durch das Internet in die erste Liga aufgestiegen wäre (und sagen Sie nicht “Arctic Monkeys” oder “Lily Allen”, die haben sowieso wieder normale Plattenverträge unterschrieben). Die ganzen social media-Aktivitäten erfordern einiges an Aufwand und es bleibt immer offen, ob und wann es sich lohnt. (Das Beruhigende daran ist wiederum: Es bleibt auch bei Majorlabels offen, ob ein “Thema” funktioniert. Da sind die Fehlschläge auch viel teurer.)

Lustigerweise höre ich in letzter Zeit von vielen Nachwuchsbands, dass sie jetzt ein eigenes Management hätten. Das sind dann häufig Menschen, die in einem Hinterhof ein Tonstudio für Werbejingles haben und immer schon den Geruch des Rock’n’Roll einatmen wollten. (Rock’n’Roll riecht übrigens nach kaltem Rauch, Schweiß und Bier. Man kann es sich ganz leicht in der heimischen Küche züchten.) Im Bestfall haben diese Manager vor zwanzig Jahren mal selbst in einer Band gespielt (manche von ihnen haben Millionen von Platten verkauft, aber das weiß und glaubt heute niemand mehr) und wissen noch, wie die Branche damals funktioniert hat. Andere “Manager” könnten sonst auch als “Model-Agent” junge Blondinen in der Disco ansprechen. (Spielen Sie die ganzen bösen Klischees ruhig im Geiste alle mal durch, sie stimmen sowieso alle. Das Gegenteil aber auch immer, das ist ja das tolle.)

Viele Bands sind natürlich nur Musiker — die brauchen jemanden, der sich um alles andere kümmert und auf sie aufpasst. Solche Leute gibt es, aber sie kosten im Zweifelsfall viel Geld. Geld, das man nicht hat, nie verdienen wird und sowieso für Equipment und Kippen ausgeben muss.

Geld mache man heutzutage mit Konzerten, heißt es immer wieder. Das ist unter bestimmten Aspekten (z.B. wenn man U2 ist) sicher nicht falsch, aber man muss sie erst mal spielen. Außerhalb von Jugendzentren (die natürlich auch alle kein Geld haben bzw. machen) ist das schwierig bis unmöglich. Booking ist die Hölle für alle Beteiligten, weswegen ich mich da auch nie rangetraut habe: Die Bands verschicken Demos und Bandinfos im Dutzend und die Veranstalter haben den Schreibtisch voll mit dem Kram. Wenn man heutzutage als Nachwuchsmusiker irgendwas wirklich braucht, dann einen gescheiten Booker, der im Idealfall ein ganzes Portfolio von Bands hat und den Veranstaltern genau das präsentieren kann, was zu ihnen passt. (Und das mit den Kontakten geht auch einfacher.) Winzlings-Labels und -Vertriebe sind meines Erachtens verzichtbar: Für die Downloadstores (die heutzutage unverzichtbar sind, wenn man seine Musik nicht eh verschenken will) gibt es Dienstleister wie Tunecore und die CDs, die man bei Konzerten unbedingt dabei haben sollte, kann man entweder in kleiner Stückzahl pressen lassen oder gleich – Sakrileg! – selbst brennen.

Wichtig ist heutzutage vor allem der Austausch untereinander. Deswegen bin ich auch sehr gespannt auf die all2gethernow, die “Anti-Popkomm”, die im September in Berlin stattfinden wird.

Ihre Ziele kann man natürlich auch total ekelig ausdrücken, aber ich find’s trotzdem spannend:

Spätestens jetzt geht es darum nach vorne zu schauen, neue Ideen und innovative Praxis in der Kreativwirtschaft zu beleuchten. Ziel muss sein gemeinsam Modelle zu definieren, die Kreativen und Künstlern mit ihrer Arbeit Einkünfte ermöglichen. Jede Form des Input ist hilfreich, denn finale Antworten gibt es noch nicht. Eine offene Form der Diskussion wie sie ein Barcamp gewährleistet ist deshalb ideal.

(Mehr über “Kreativwirtschaft” und “Input” können Sie demnächst in meinem neuen Buch “Die 1.000 dümmsten Begriffe des frühen 21. Jahrhunderts” nachlesen. Auf den Seiten zwischen “Digital Native”, “Generation Upload” und “fail”.)

Jedenfalls soll diskutiert und nicht nur repräsentiert werden und Musiker und Blogger dürfen auch dabei sein.

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Musik Digital

Newsletter From Hell

Der Musicline.de-Newsletter schreibt über “MySpace Playlist Vol. 1”:

Auf dieser Doppel-CD sind alte Hasen wie Placebo und Incubus vertreten, aber auch heiße Newcomer wie Peaches, Death Cab for Cuties und Datarock haben sich einen Platz auf der Platte erspielt.

Ich hab extra noch mal nachgeguckt: Der Text scheint tatsächlich von 2009 zu sein.

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Rundfunk Digital Gesellschaft

Der blutige Weg in die Unsterblichkeit

Während ich diese Zeilen tippe, stehen irgendwo in Süddeutschland Polizisten vor Haustüren und üben Sätze, die beginnen mit “Wir müssen Ihnen leider mitteilen …”. Gerichtsmediziner besehen sich Einschusslöcher an toten Körpern und ein Elternpaar wird von der Kriminalpolizei verhört. Viele Menschen machen sich Sorgen, einige Vorwürfe und über all das könnte ich bestens – oder wenigstens höchst spekulativ – informiert sein, wenn ich nicht vorhin alle Nachrichtenkanäle gekappt hätte.

Auf das, was die Boulevardpresse “Tragödie” nennt, reagiere ich entweder mit dokumentarischer Obsession (dann verbringe ich Stunden vor dem Fernseher) oder mit für mich selbst merkwürdig anmutender Gleichgültigkeit. Heute will ich nichts wissen. Der Fernseher ging aus, als ein Reporter auf n-tv salbaderte, der Nachbar des Amokläufers habe ihm gesagt, der Täter habe oft “Ballerspiele”. twitter hatte ich da schon lange abgestellt. Das ist zum einen meiner sehr kindlichen Einstellung geschuldet, wonach Dinge, von denen ich nichts mitbekomme, nie passiert sind; zum anderen weiß ich, dass der mediale Overkill mich wahnsinnig und wütend zurückließe.

Ich kann also nur mutmaßen, dass “Bild” gerade das MySpace-Profil des Täters entdeckt hat; dass irgendein CDU-Politiker gerade wieder ein Verbot von irgendetwas, was er nicht versteht, fordert und dass in irgendeiner Redaktion gerade Bilder von weinenden Jugendlichen, Kerzen und Blumen mit der Musik von Moby oder Enya unterlegt werden. Den Menschen, die das mutmaßlich gerade tun, kann ich nur raten, sich einen ordentlichen Job zu suchen. Die Städte sind voll von Müll und meine Schuhe müssten dringend geputzt werden.

Vor allem frage ich mich aber, ob wir irgendetwas über den Täter wissen müssen. Amokläufe sind – auch das könnte ich sicher wieder überall nachlesen – zumeist die Taten von Menschen, die an ihrer Umwelt gescheitert sind. Das (wahllose) Töten von Menschen ist die letzte und einzige Dominanzgeste, zu der sie fähig sind. Und genau diese Dominanzgeste, die Selbsterhebung zum Richter über Leben und Tod, wird von den Medien ins Unermessliche überhöht und für die Ewigkeit festgehalten.

Ohne nachzusehen könnte ich Ihnen die berühmtesten Schul-Amokläufer der letzten zehn Jahre nennen: Dylan Klebold, Eric Harris, Robert Steinhäuser. Gemeinsam haben sie (das musste ich jetzt doch nachgucken) 28 Menschen und sich selbst getötet, aber auch nach langem Grübeln wäre mir kein einziger Name auch nur eines Opfers eingefallen.

Dass wir Namen wie Mark Chapman (erschoss John Lennon), Sirhan Sirhan (erschoss Robert F. Kennedy) und John Wilkes Booth (erschoss Abraham Lincoln) kennen, ist bei Licht besehen schon merkwürdig genug. Ihre einzige “Leistung” bestand daraus, einen berühmten Menschen aus dem Leben zu schießen. Amokläufer treiben dieses Phänomen auf die Spitze, denn ihr Bekanntheitsgrad richtet sich nicht zuletzt nach der Zahl ihrer Opfer. (Von Bastian B., der vor zweieinhalb Jahren an einer Schule in Emsdetten Amok lief, dabei aber nur sich selbst tötete, habe ich beispielsweise nie den Nachnamen gelesen.)

Die Täter bleiben im Gedächtnis, sie werden gerne mal – so grausam ist die Welt – zu Popkultur-Ikonen. Wir wissen fast alles über sie, aber das hilft uns weder zu verstehen, noch kann es verhindern, dass weitere Schüler-Gehirne auf overload umstellen (ein Bild, das dem Boomtown-Rats-Song “I Don’t Like Mondays” entstammt, der – natürlich – von einem Schulmassaker handelt). Vermutlich wüsste niemand mehr den Namen von Silke Bischoff, die beim Geiseldrama von Gladbeck ums Leben kam, wenn sich nicht eine Band nach ihr benannt hätte. Die Täter? Klar: Rösner und Degowski.

Der kleine, ausgestoßene Teenager, der von der Gesellschaft ignoriert wird (und vermutlich Marilyn Manson hört und “Counterstrike” spielt), sieht die Fotos von Harris, Klebold, Steinhäuser und whateverhisnamemaybe auf den Zeitungen und nach jedem weiteren Amoklauf im Fernsehen. Wenn genug äußere Umstände und frei zugängliche Waffen zusammenkommen, könnte es die Aussicht auf genau diese posthume Hall of Fame der durchgedrehten Schüler sein, die ihn letztlich zur Tat schreiten lässt.

Soll das heißen, die Medien sollten sich selbst zensieren? Vielleicht.

Soll das heißen, die Medien sollten man ein bis zwei Gänge runterschalten? Auf jeden Fall!

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Musik

Kinder, die Charts sind gar nicht so schlimm!

Vor genau einem Jahr hatte das taz-Popblog über die “schlechtesten Charts aller Zeiten” berichtet — und fürwahr: mit Schnuffel auf 1, 3 mal DJ Ötzi und 2 mal De Höhner in den Top 20 klang das tatsächlich eher nach der irren Phantasie eines akustischen Sadisten als nach irgendwas, was entfernt mit Musik zu tun gehabt hätte.

Neulich stieß ich dann versehentlich beim Zappen auf eine Viva-Sendung, in der fünf okay bis großartige Songs hintereinander liefen: “Human” von den Killers, “Allein allein” von Polarkreis 18, “Hot N Cold” von Katy Perry, “Dance With Somebody” von Mando Diao und “Broken Strings” von James Morrison und Nelly Furtado. Wie sich herausstellte, hatte ich gerade die Top 5 der deutschen Singlecharts gesehen.

Die deutschen Single- und Albumcharts.

Dass all das, was mal “Indie” war, inzwischen Mainstream ist, wissen wir spätestens seit Coldplay, My Chemical Romance und Franz Ferdinand. Trotzdem war ich hochgradig überrascht, als im vergangenen Herbst “Allein allein” über Wochen Platz 1 der deutschen Charts blockierte. Gewiss: Der Marketingaufwand (Trailermusik für das “TV Total Turmspringen” und “Krabat”, massiver Airplay bei MTViva) war hoch gewesen, hatte sich aber offenbar ausgezahlt und aus dem einstigen Indie-Geheimtipp Polarkreis 18 quasi über Nacht eine große Nummer gemacht, die beim “Bundesvision Song Contest” prompt Platz 2 hinter dem uneinholbaren Peter Fox belegte. ((Wenn ich bei den Recherchen nichts übersehen habe, war “Allein allein” übrigens der erste Nummer-Eins-Hit einer deutschen, aber englischsprachigen Band seit “Wind Of Change” 1991 “Lemon Tree” 1996 — trotz seines deutschen Titels.))

Mando Diao schlugen mit “Dance With Somebody” auf Platz 3 der deutschen Singlecharts ein und gingen dann auf 2, wo sie sich seit fünf Wochen halten, während ihr Album “Give Me Fire” wie selbstverständlich auf Platz 1 landete. Zwar werden sie vermutlich nächste Woche von U2 verdrängt werden, aber mit Peter Fox, Bruce Springsteen und Morrissey sieht es auf den folgenden Rängen auch gar nicht so schlecht aus. Lily Allen steht plötzlich in den deutschen Top 20, die Killers schafften es mit “Day & Age” auf Platz 8 — und lagen damit zwei Plätze hinter der besten Platzierung von “Sam’s Town”.

Völlig grotesk wird es, wenn man sich das Tracklisting der aktuellen “Bravo Hits” ((Nummer 64, that is.)) ansieht: Mando Diao, The Killers, Razorlight, Snow Patrol, Coldplay, Franz Ferdinand, Kings Of Leon, MGMT, Deichkind, Ingrid Michaelson und Peter Fox tummeln sich da zwischen Queensberry, Britney Spears, The Rasmus und Sido. ((Wundern Sie sich aber nicht zu stark: auf “Bravo Hits 52” waren Tomte und Wir Sind Helden vertreten.))

Hat die Jugend plötzlich Musikgeschmack ((Also das, was wir als arrogante Musiksnobs mit “Musikgeschmack” gleichsetzen: unseren.)) oder ist irgendwas anderes passiert?

Vermutlich handelt es sich um eine Mischung aus Beidem: Während sich Teile der Jugend Songs entweder an den Zählwerken von Media Control vorbei beschafft oder als Klingelton kauft, ((Bitte werfen Sie einen Blick in die Klingeltoncharts, um rasch auf den harten Boden der Tatsachen zurückzukehren!)) kaufen ein anderer Teil und viele ältere Menschen – wobei ich in diesem Fall schon zu den “Älteren” gehöre – plötzlich Mando-Diao-Singles bei iTunes und verschafft den Schweden somit mal eben einen Platz knapp hinter der Chartspitze.

Treue Fans kaufen nach wie vor die Alben ihrer Lieblingsbands (weswegen Tomte in der ersten Woche auf Platz 9 der Albumcharts knallen), Musikfernsehen gibt es in Deutschland ja eh keines mehr, die Hauptverbreitungskanäle für neue Musik heißen YouTube und MySpace, zahlreiche eher alternative Acts laufen im Radio rauf und runter, und so kommt eines zum Anderen und am Ende sehen die Charts eben aus, als habe jemand den Indie-Ballermann über den Top 10 ausgegossen.

Wobei wir uns da nicht vertun sollten: Mando Diao erschienen schon immer bei einem Major (früher EMI, jetzt Universal), Lily Allen hatte schon bei einer EMI-Tochter unterschrieben, als ihr MySpace-Hype losging, und von den “echten” Indie-Acts verkaufen nicht mal große Namen wie …And You Will Know Us By The Trail Of Dead in Deutschland viel mehr als 10.000 Exemplare. Das mit der Nachwuchsförderung ist hierzulande nach wie vor Glückssache und leben können die allerwenigsten Musiker von ihrer Musik allein.

Aber für den Moment können wir uns ja einfach mal freuen, wenn die Charts mal nicht die schlechtesten aller Zeiten sind.

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Musik Unterwegs

Oslog (4)

Verzeihung, ich habe grad überhaupt keine Zeit.

Ich habe heute Mittag eine Band gesehen, deren Verehrung nun meine ganze Zeit in Anspruch nimmt. Es handelte sich um First Aid Kit, zwei schwedische Schwestern, die 15 und 17 Jahre alt sind und eine Unschuld auf die Bühne brachten, wie man sie im Musikbusiness selten erlebt.

First Aid Kit

Die Beiden stimmten allerliebste Folkmusik amerikanischer Prägung an und sangen über Dinge, von denen man annehmen sollte, dass sie keine Ahnung davon hätten. Aber es war toll und erinnerte ein unter anderem an Fleet Foxes, She & Him und Bon Iver — und damit an gleich drei meiner letztjährigen Lieblingsalben. Von den Fleet Foxes stimmten sie dann sogar noch den “Tiger Mountain Peasant Song” an, was ganz schlimm hätte danebengehen können, aber ganz wunderbar klang. (Wie ich später erfuhr, hatte das Video dieses Covers das Duo bei YouTube unter anderem so berühmt gemacht.) Dass sie mit “I Walk The Line” zuvor auch noch einen weiteren Song aus der Kiste mit der Aufschrift “Besser nicht covern!” sehr unpeinlich zum Besten gegeben hatten, spricht ebenfalls für die Band.

Aber jetzt müssen sie mich wirklich entschuldigen: Ich habe im Plattenladen die vorletzte Ausgabe ihrer EP “Drunken Trees” erstanden und muss die jetzt erst mal hören. (Vorher setze ich aber 50 Euro darauf, dass die Band dieses Jahr beim Haldern Pop spielt.)

Versuchen Sie’s solange hiermit:

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[“Our Own Pretty Ways”]

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[“Tiger Mountain Peasant Song”]

First Aid Kit bei MySpace

Was es mit dem Oslo-Trip auf sich hat, steht hier.

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Musik Unterwegs

Oslog (3)

Über die Konferenz, die das by:Larm zur Hälfte ausmacht, muss ich ein andermal schreiben. Vielleicht so viel vorab: Obwohl ich Vorträge und sogenannte Panels sonst eher hasse, suhle ich mich hier mit Freuden in Erkenntnisgewinnen.

Kommen wir nun zur anderen Hälfte: den Konzerten, die hier in so ziemlichen allen Clubs der Stadt (sowie in Kongresshallen und Zelten) stattfinden. Alles liegt näher zusammen als Hundehaufen auf Berliner Bürgersteigen, aber trotzdem muss man natürlich ständig Jacke, Mütze, Schal und Handschuhe anziehen, über die mitunter lebensgefährlichen Bürgersteige stapfen (eine Räumpflicht scheint in Norwegen eher unbekannt), in den nächsten Club rein, alles so gut es geht ablegen und versuchen, sich nicht zu viel zu bewegen, weil man sich unter der Jacke sonst totschwitzt.

Wartende Menschen in Oslo

Ist man aber einmal im Rausch, will man jede Band, die gerade spielt, sehen — oder zumindest jeweils eine. Nur einer scheint in jedem Moment überall gleichzeitig zu sein: Erlend Øye von den Kings Of Convenience und The Whitest Boy Alive. Er ist gleichzeitig Star und Maskottchen des Festivals, so eine Art Thees Uhlmann Norwegens. Wo er auftaucht und zur Musik mitwippt, steigen die Chancen der jeweiligen Band auf den großen Durchbruch. 30 Minuten sind eine sympathische Länge, um sich einen Eindruck über die Künstler zu verschaffen, den man dann später vertiefen kann (oder eben nicht).

Kommen wir nun zu den Künstlern des heutigen Abends und – in Ermangelung von klar definierten Genres – wieder zu einem munteren Namedropping:

I Was A Teenage Satan Worshiper

I Was A Teenage Satan Worshipper
Ja, geil, das ist mal ein Bandname. Nicht Oasis, Blur, The Killers, The Fray oder Occident, sondern I Was A Teenage Satan Worshipper. Bands, die so heißen, will man doch auf Anhieb gut finden. Und die Finnen sind gar nicht schlecht: ein bisschen wie The Sounds mit Sänger, ein bisschen wie The Killers auf Speed. Durchgeknallter, tanzbarer Indierock mit sattem Synthesizer dahinter. Dazu Texte, die von Skeletor und leeren Augenhölen handeln. Auf Dauer wird’s ein bisschen langweilig, aber definitiv eine Band für die abseitigeren Mixtapes. Wobei der Bandname da ein bisschen lang ist für diese kleinen Papiereinleger.

Pony The Pirate

Pony The Pirate
Eine Band, die in Norwegen als nächstes großes Ding gehandelt wird. Sieben Musiker (bzw. fünf und zwei Musikerinnen), die so ziemlich alles spielen, was eine ordentliche Musikalienhandlung so verkauft: Glockenspiel, Pedal Steel, Saxophon, Trompete und den ganzen normalen Quatsch. Haben viel von Arcade Fire und ein bisschen was von The Gaslight Anthem. Und einen Sänger, der Bass spielt und aussieht wie Billy Corgan. 10 Euro, dass die dieses Jahr auf dem Haldern spielen.

Under Dogs International
Die ersten fünf Minuten dachte ich: “Ja, doch, aber hallo!” Jazz, Gypsiesound und Dub, ein bisschen Englisch, ein bisschen Norwegisch. Dann dachte ich: “Na gut, es nervt doch sehr auf Dauer.” Würde mich aber nicht wundern, wenn wir die dieses Jahr beim Grand Prix wiedersähen.

The Alexandria Quartet

The Alexandria Quartet
Die hatte ich ja schon vor Travis gesehen und für ganz ordentlich befunden. Dieser Eindruck hat sich heute verfestigt: Indierock zwischen Mando Diao, den frühen Killers und Travis. Die ruhigen Sachen gefallen mir allerdings ein bisschen besser als die rockigeren.

Olafur Arnalds
Auf dem Haldern letztes Jahr war ich irgendwie zu müde, um mir mitten in der Nacht noch ruhige Musik im Zelt anzuhören. Heute spielte er in einem bestuhlten Saal im Kongresszentrum und ich sah mich schon wieder dahinschlummern. Aber dann blieb ich doch wach, um der wunderschön entrückten Musik zu hören, die der junge Isländer da mit Hilfe eines Flügels, eines Laptops und eines Streichquartetts in den Raum ergoss. Es erinnerte ein bisschen an The Notwist, ein bisschen mehr an Sigur Rós und für Sekundenbruchteile an Richard Clayderman, und die Frage, ob das eigentlich noch Pop sei, hätte sicher angeklopft, wenn Anklopfen bei dieser ruhigen Instrumentalmusik nicht denkbar unhöflich gewesen wäre. Von Herrn Arnalds kam auch die beste Ansage bisher: “I will sell the CD for … like what? One hundret Kroner? That’s a nice price … not for you, but it’s very, very much in Icelandic money.” Vielleicht hätte man den Kontrast zwischen seiner Musik und dieser lakonischen Moderation miterleben müssen, aber der Saal hat getobt.

Fjorden Baby!
Deren Sänger hatte ich gestern auf dem Weg zurück zum Hotel getroffen und ihm versprochen, mir seine Band anzusehen. Ich versuche bei sowas ja immer Wort zu halten, zumal er mir die beste norwegische Band unserer Zeit versprochen hat. Die habe ich dann aber zumindest nach meinem Empfinden nicht gesehen. Als ich reinkam, spielten sie gerade irgendwas in Richtung Reggae/Dub mit norwegischen Texten. Die anderen Songs waren rhythmisch vertrackter, klopften dafür aber auch mal beim Nu Metal an. Das ist Musik, von der ich gar nicht weiß, was ich davon halten soll. Wer Kaizers Orchestra mag, könnte Fjorden Baby! unter Umständen etwas abgewinnen. Aber ich mag ja eigentlich Kaizers Orchestra …

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Musik Unterwegs

Oslog (2)

Nachdem auf der Konferenz Ian Gittins noch ein bisschen was über die Zukunft des Musikjournalismus erzählt hatte (die alten Musikmagazine sterben mit ihren Lesern, die Bruce Springsteen und die Rolling Stones hören aus; Blogs sind heute das, was früher Punk Fanzines waren), machte sich die kleine deutsche Delegation in Oslo auf den Weg, viel Geld für Pizzen auszugeben.

Und dann ging die Konzertrunde los: Erst in die Kongresshalle, in der gleich drei Bühnen standen, dann rüber in den nächsten Club mit ebenso vielen Bühnen. Halbe Stunde Auftritt, nächste Band. Es war ein bisschen wie früher die Abhörsitzungen beim Radio. Ich stellte alsbald fest, dass ich viel zu wenig Musik kenne, um sagen zu können, ob eine Band jetzt originell ist oder nur klingt wie zig andere, von denen ich nur nie etwas gehört habe.

Aber da wir hier im Dienstleistungsblog Coffee And TV sind, will ich hier mal zu jeder Band meine 20 Øre aufschreiben:

Choir Of Young Believers
Der Sänger sah mit seinem Hut und seinem Bart aus wie Drafi Deutscher (die Älteren werden sich – damm, damm – erinnern), der Indiepop klang mal ein bisschen nach Beirut (die Folklore), mal nach Aqualung (der Falsett-Gesang). Insgesamt kamen mir in den Liedtexten ein paar zu viele “Aaaaaaaah”-Passagen vor, um mich damit länger zu beschäftigen.

Retro Stefson

Retro Stefson
Island, das Land am Rande des Abgrunds, hofft auf diese Schülerband, die die heimische Wirtschaft nur mithilfe ihrer Plattenverkäufe aus der Krise führen soll. Dafür wird munter Reggae mit Polka und Ska mit Disco vermischt, bis eine sympathisch-krude Mischung entsteht, die so gar nichts mit den anderen großen isländischen Künstlern (Björk und Sigur Rós) gemeinsam hat. Eigentlich fand ich das Ergebnis gar nicht schlecht, aber in der Summe war es dann doch etwas zu gewollt eklektisch.

Merlin
Also, für Hardcore bin ich beim besten Willen kein Experte. Aber es hat schon ordentlich gerummst, so viel ist klar.

Underwater Sleeping Society

Underwater Sleeping Society
In meinem schlauen Notizbuch steht “Mischung aus Kashmir & Kilians, Radiohead & Sigur Rós (inkl. Klarinette) => sehr gut”. Das dürfte der endgültige Beweis sein, dass ich zu wenige Bands kenne. Diese hier ist aber sicher eine, die es sich kennenzulernen lohnt.

Harrys Gym
Den Preis für den blödesten Bandnamen bei gleichzeitig guter Musik haben ja eigentlich Schrottgrenze auf Lebenszeit bekommen, aber “Haralds Turnhalle” ist auch nicht schlecht gut. Diesmal klingt die Sängerin nach Björk, der Rest der Musik hat was von The Notwist und Portishead. Leider bin ich zu diesen Klängen in den sehr bequemen Sesseln (das Konzert fand in einer Art Theatersaal mit bestuhlter Empore statt) mehrfach in beunruhigende Traumwelten verschwunden, aber ich bin mir sicher, dass diese Musik sehr real und sehr, sehr gut war. Schade, dass das, was ich gerade auf der MySpace-Seite der Band höre, nicht ganz so gut ist wie die Live-Show.

Annie

Annie
Und hier der erste Künstler des heutigen Tages, den ich vorher kannte und von dem ich sogar eine CD besitze. Annie galt bei Erscheinen ihres Debütalbums “Anniemal” vor dreieinhalb Jahren als “neue Madonna” und “bessere Kylie Minogue”. Zumindest letzteres stimmt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals bei einem Konzert eine erste Reihe gesehen zu haben, die ausschließlich aus Männern bestand. Und Anne Lilia Berge Strand flirtete mit ihnen, was das Zeug hielt. Der Bubblegum-Sound, der das Album mitunter etwas schwer hörbar machte, wurde von der Liveband weitgehend weggebügelt, bis nur noch knochentrockenes Disco-Gestampfe übrig war.

Und damit möchte ich den ersten Tag hier in Oslo beschließen. Ich bin bald 24 Stunden wach, habe ein paar hundert Kilometer in so ziemlich jedem Verkehrsmittel außer Schiff hinter mir, und muss morgen wieder an einer Konferenz teilnehmen …

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Uschi Blum macht Lokalredakteure schwach

Hape Kerkelings neue Komödie “Ein Mann, ein Fjord” läuft am 21. Januar um 20:15 Uhr im ZDF. Für den Film hat der Komiker ein alte Rolle reaktiviert, die auch schon in “Kein Pardon” zu sehen war: die der Schlagersängerin Uschi Blum.

Weil man das eben heutzutage so macht, bekam Uschi Blum eine Art Viralkampagne spendiert. Das ist zwar bei einem kostümierten Prominenten ein wenig albern, aber mit eigenem MySpace-Profil, offizieller und Agentur-Website (vor dem Anklicken die Lautsprecher runterdrehen!) durchaus aufwendig und mit … äh: Liebe zum Detail gemacht.

Natürlich hat man auch an eine fiktive Biographie gedacht und die besagt, dass Uschi Blum als Hildegard Sterczinski in Dinslaken geboren wurde, sie 1978 4. bei der Wahl zur “Miss Dinslaken” war und sie einige Jahre das Hunde-Nagelstudio “Uschi’s Pfötchen-Salon” in der Dinkelgasse in Dinslaken betrieb.

Nun ist es offen gestanden nur so mittelabsurd, ein Schlagersternchen ausgerechnet aus Dinslaken kommen zu lassen, wenn doch schon der König des Popschlagers dort zuhause ist. Aber als inoffizieller Stadtblogger Dinslakens habe ich natürlich trotzdem versucht, über sein Management Kontakt mit Hape Kerkeling aufzunehmen. Dass der im Moment fleißig Promo macht und nicht auf die Anfragen jedes Feld-, Wald- und Wiesenbloggers reagiert, kann ich durchaus verstehen. Offenbar ist es aber auch den Kollegen in der Lokalredaktion der “Rheinischen Post” (für die ich früher geschrieben habe) nicht gelungen, eigene O-Töne des beliebten Komikers zu bekommen, weswegen man dort den Helbseiter, der wohl unbedingt in die Samstagsausgabe sollte, irgendwie anders füllen muss.

Sie können den Artikel gerne selbst mit der offiziellen “Biographie” und den weiteren Promotexten vergleichen, ich hab Ihnen aber die wichtigste Eigenkreation des Autors hier mal kurz rüberkopiert:

Die [Internetseite] von Uschi ist der Hammer.

Nun ist es vielleicht etwas anderes, ob man eine (fiktive) Künstlerbiographie in weiten Teilen für einen redaktionellen Text übernimmt, oder einfach Werbetexte für Unternehmen abschreibt (wie “RP Online” das ja schon mal macht).

Trotzdem hat der Artikel aus der “Rheinischen Post” in meinen Augen wenig mit Journalismus zu tun. Sein Autor Ralf Schreiner versäumt es, auch nur ein Mal auf die Presseinfo hinzuweisen. Nach einer Einleitung, in der Kerkelings Verkleidung erklärt, folgt über sechs Absätze der leicht modifizierte Promotext. Sowas kann man machen, wenn man Konzerte von Bergarbeiterchören oder Nachwuchsbands ankündigen will — aber nicht, wenn man aus eigenem Antrieb ein großes Porträt für die Samstagsausgabe schreibt.

Die “Neue Rhein Zeitung”, das andere Blatt mit Dinslakener Lokalredaktion, hat am Samstag ebenfalls einen großen Artikel über Uschi Blum gebracht — der allerdings im Super-Duper-Onlineportal Der Westen nicht zu finden ist. Dort steht im Wesentlichen das Selbe drin (Dinslaken, “Miss Dinslaken”, “Uschi’s Pfötchen-Salon”), aber wesentlich kürzer und sogar anmoderiert:

Außerdem hat Uschi im Internet ihren lesenswerten Lebenslauf veröffentlicht. Daraus:

Auch dass die “NRZ” bei der Kontaktaufnahme mit Kerkeling gescheitert ist, erfährt der Leser. Verpackt in einen Infokasten, der zumindest eine nähere Auseinandersetzung mit dem Gegenstand nahelegt:

Warum ausgerechnet Dinslaken? Im vergangenen Jahr ließen ein Ehepaar, das sich mit einem anderen aus Dinslaken ein Hotelzimmer teilen musste und dafür Rabatt bekam (Cartoon "Hippenstocks Strategen", Süddeutsche Zeitung), ein weiterer Cartoon und eine Äußerung von Roger Willemsen die Frage aufkommen: Warum ausgerechnet Dinslaken? Hat Dinslaken einen lustigen Klang? Steht Dinslaken für etwas Besonderes? Für das Nirgendwo? Das Kleinstädtische? Das Geheimnisvolle? Oder für das Ende der Welt? Zumindest Hape Kerkeling konnte es uns nicht beantworten. Er sei bis Ende 2010 zu ausgebucht, um derartigen Anfragen nachzukommen, teilte sein Büro mit.

Ich glaube, ich sollte mich bei Roger Willemsen entschuldigen

Mit Dank auch an Michael M. für den Hinweis und an meine Mutter für den Scan!