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Listenpanik 02/09

Der Februar ist ein blöder Monat: Verdammt kurz, aber voller spannender Veröffentlichungen. Alles habe ich nicht geschafft zu hören, einige waren erschreckend öde, aber irgendwie sind mir dann doch noch genug Alben und Songs eingefallen, die man sich für die Jahresendliste vormerken sollte.

Bevor im März mit Starsailor und Ben Lee das ganz große Fan-Fass aufgemacht wird, hier erstmal der Februar:

Alben
Lily Allen – It’s Not Me, It’s You
Selten habe ich mich im Bekanntenkreis für etwas so sehr rechtfertigen müssen wie für meine Lily-Allen-Verehrung. Aber im Gegensatz zu diesen ganzen Café- und Familienkombibeschallerinnen (Duffy, Amy Winehouse, Amy MacDonald, Adele, Gabriela Cilmi, …) hat Lily Allen Eier (das hört sich im Bezug auf Frauen immer komisch an, weil Frauen natürlich generell Eier haben — ganz anders als Männer). Ihre Songs sind klug und witzig, gehen ins Ohr und in die Füße und ihr zweites Album setzt das phantastische Debüt konsequent fort. So und nicht anders sollten junge Frauen mit 23 klingen.

Beirut – March Of The Zapotec / Realpeople: Holland
Und damit zum nächsten Musiker, der jünger als ich ist: Zach Condon hat mit seiner Band Beirut bereits zwei Alben veröffentlicht, jetzt kommt eine Doppel-EP, bestehend aus sechs Songs, die er mit einer 19-köpfigen Band in Mexiko aufgenommen hat, und fünfen, die er schon vor längerer Zeit mit seinem Elektronik-Projekt Realpeople aufgenommen hat. Der erste Teil ist Weltmusik für Leute, die sonst keine Weltmusik mögen, der zweite Elektronik für Leute, die sonst keine Elektronik hören. Trotz dieser zwei doch recht unterschiedlichen Ansätze wird das Album (die Doppel-EP) von Condons Stimme und seinen Ideen wunderbar zusammengehalten.

U2 – No Line On The Horizon
U2 zählen zu jenen Bands, die ich durchaus schätze, die mir aber nie in den Sinn kämen, wenn es um die Nennung meiner Lieblingsbands geht. “No Line On The Horizon” wird jetzt als ihr bestes Album seit langem gefeiert und erstmals seit langer Zeit höre ich ein Album, von dem bei mir so gar nichts hängen bleiben will. Nach etlichen Durchgängen könnte ich gerade anderthalb Refrains benennen, ansonsten geht das Album einfach so durch meinen Kopf durch. Seltsamerweise weiß ich trotzdem, dass ich das Album gut finde.

Morrissey – Years Of Refusal
Ja, klar: The Smiths waren schon sehr, sehr groß und Morrissey ist eine coole Sau. Trotzdem haben mich die Alben des Mannes, den Musikjournalisten stets wissend mit merkwürdigen Attributen bedenken, nie so wirklich interessiert. Die Singles: ja (“First Of The Gang To Die” als absoluter Überhit), aber sonst? “Years Of Refusal” ist da anders: Das Album rockt und bockt und zickt und alle schreien laut “Ach Gott, ach Gott, das kann er doch nicht machen. Und jetzt hört man auch noch die Verzerrer und das scheppernde Schlagzeug …”. Und ich finde es zum ersten Mal richtig interessant.

The Whitest Boy Alive – Rules
In einem wachen Moment meiner by:Larm-Berichterstattung hatte ich Erlend Øye als “eine Art Thees Uhlmann Norwegens” beschrieben, was sich allerdings primär auf die Maskottchen- und Patenhaftigkeit der Beiden für die jeweiligen Musikszenen bezog. (Witzigerweise ist Øye ja ungefähr so selten in Norwegen wie Uhlmann in Hamburg, weil beide in Berlin wohnen, der Stadt, in der man halt wohnt.) Außerdem sind Beide – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung – jeweils ihre Band. Kaum jemanden interessiert, wer sonst noch bei The Whitest Boy Alive bzw. bei Tomte spielt — aber damit ist endlich Schluss mit den Gemeinsamkeiten, denn The Whitest Boy Alive sind permanent so funky wie Tomte in ihren funkigsten Momenten. “Rules” ist von vorne bis hinten eine Aufforderung zum Tanz, eine Platte, die man erst mit den Füßen hört und dann mit den Ohren (eine anatomisch etwas abwegige Idee), einfach schöner, klangvoller Pop.

Songs
Lily Allen – Who’d Have Known
Die Idee, einfach den Refrain eines Hits vom Take-That-Comeback-Album zu nehmen (“Shine”) und daraus einen komplett neuen Song zu entwickeln, ist so uncool und absurd, dass man sie einfach lieben muss. Ansonsten ist “Who’d Have Known” auch noch ein so rührend unschuldiges Liebeslied, in dem sich Romantik und alltägliches Rumlungern auf sehr sympathische Weise treffen. Beziehung durch Gewohnheitsrecht, quasi.

Klee – Ich lass ein Licht an für Dich
Und gleich noch so eine rührend unschuldige Nummer: “Berge versetzen”, das aktuelle, mitunter an Goldfrapp erinnernd Klee-Album, war ein bisschen an mir vorbeigegangen, bis mir der Shuffle Mode diesen Song in die Ohren und direkt ins Herz jagte. Dieses Lied ist der beste Beweis, wie man auch in deutscher Sprache völlig unpeinlich ganz große Gefühle behandeln kann. (Ich muss da immer an “Halt Dich an Deiner Liebe fest” denken.)

Kilians – Said And Done
Lustig: Wenn man es direkt nach “Ich lass ein Licht an für Dich” hört, klingt es fast wie die Fortsetzung des Songs. Irgendjemand muss ja auch mal “Never Thought I’d Say That It’s Alright” und “When Did Your Heart Go Missing” beerben, was generationenübergreifenden Airplay angeht. Warum also nicht die Kilians, die mit ein paar Streichern im Rücken das Feld beackern, das seit dem Ende von Readymade und Miles brach liegt? Und keine Angst vor dem Pop: Das Album rockt dann wieder mehr.

Mando Diao – Go Out Tonight
Wirklich spannend ist auch deren neues Album nicht geworden (wenn auch nicht ganz so öde wie das von Franz Ferdinand), aber kurz vor Schluss kommt dann wenigstens so eine Mando-Diao-typische Schunkelnummer mit Motown-Rhythmus, Melancholie und ordentlich Feuer in den Stimmen.

[Listenpanik, die Serie]

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Musik

Kinder, die Charts sind gar nicht so schlimm!

Vor genau einem Jahr hatte das taz-Popblog über die “schlechtesten Charts aller Zeiten” berichtet — und fürwahr: mit Schnuffel auf 1, 3 mal DJ Ötzi und 2 mal De Höhner in den Top 20 klang das tatsächlich eher nach der irren Phantasie eines akustischen Sadisten als nach irgendwas, was entfernt mit Musik zu tun gehabt hätte.

Neulich stieß ich dann versehentlich beim Zappen auf eine Viva-Sendung, in der fünf okay bis großartige Songs hintereinander liefen: “Human” von den Killers, “Allein allein” von Polarkreis 18, “Hot N Cold” von Katy Perry, “Dance With Somebody” von Mando Diao und “Broken Strings” von James Morrison und Nelly Furtado. Wie sich herausstellte, hatte ich gerade die Top 5 der deutschen Singlecharts gesehen.

Die deutschen Single- und Albumcharts.

Dass all das, was mal “Indie” war, inzwischen Mainstream ist, wissen wir spätestens seit Coldplay, My Chemical Romance und Franz Ferdinand. Trotzdem war ich hochgradig überrascht, als im vergangenen Herbst “Allein allein” über Wochen Platz 1 der deutschen Charts blockierte. Gewiss: Der Marketingaufwand (Trailermusik für das “TV Total Turmspringen” und “Krabat”, massiver Airplay bei MTViva) war hoch gewesen, hatte sich aber offenbar ausgezahlt und aus dem einstigen Indie-Geheimtipp Polarkreis 18 quasi über Nacht eine große Nummer gemacht, die beim “Bundesvision Song Contest” prompt Platz 2 hinter dem uneinholbaren Peter Fox belegte. ((Wenn ich bei den Recherchen nichts übersehen habe, war “Allein allein” übrigens der erste Nummer-Eins-Hit einer deutschen, aber englischsprachigen Band seit “Wind Of Change” 1991 “Lemon Tree” 1996 — trotz seines deutschen Titels.))

Mando Diao schlugen mit “Dance With Somebody” auf Platz 3 der deutschen Singlecharts ein und gingen dann auf 2, wo sie sich seit fünf Wochen halten, während ihr Album “Give Me Fire” wie selbstverständlich auf Platz 1 landete. Zwar werden sie vermutlich nächste Woche von U2 verdrängt werden, aber mit Peter Fox, Bruce Springsteen und Morrissey sieht es auf den folgenden Rängen auch gar nicht so schlecht aus. Lily Allen steht plötzlich in den deutschen Top 20, die Killers schafften es mit “Day & Age” auf Platz 8 — und lagen damit zwei Plätze hinter der besten Platzierung von “Sam’s Town”.

Völlig grotesk wird es, wenn man sich das Tracklisting der aktuellen “Bravo Hits” ((Nummer 64, that is.)) ansieht: Mando Diao, The Killers, Razorlight, Snow Patrol, Coldplay, Franz Ferdinand, Kings Of Leon, MGMT, Deichkind, Ingrid Michaelson und Peter Fox tummeln sich da zwischen Queensberry, Britney Spears, The Rasmus und Sido. ((Wundern Sie sich aber nicht zu stark: auf “Bravo Hits 52” waren Tomte und Wir Sind Helden vertreten.))

Hat die Jugend plötzlich Musikgeschmack ((Also das, was wir als arrogante Musiksnobs mit “Musikgeschmack” gleichsetzen: unseren.)) oder ist irgendwas anderes passiert?

Vermutlich handelt es sich um eine Mischung aus Beidem: Während sich Teile der Jugend Songs entweder an den Zählwerken von Media Control vorbei beschafft oder als Klingelton kauft, ((Bitte werfen Sie einen Blick in die Klingeltoncharts, um rasch auf den harten Boden der Tatsachen zurückzukehren!)) kaufen ein anderer Teil und viele ältere Menschen – wobei ich in diesem Fall schon zu den “Älteren” gehöre – plötzlich Mando-Diao-Singles bei iTunes und verschafft den Schweden somit mal eben einen Platz knapp hinter der Chartspitze.

Treue Fans kaufen nach wie vor die Alben ihrer Lieblingsbands (weswegen Tomte in der ersten Woche auf Platz 9 der Albumcharts knallen), Musikfernsehen gibt es in Deutschland ja eh keines mehr, die Hauptverbreitungskanäle für neue Musik heißen YouTube und MySpace, zahlreiche eher alternative Acts laufen im Radio rauf und runter, und so kommt eines zum Anderen und am Ende sehen die Charts eben aus, als habe jemand den Indie-Ballermann über den Top 10 ausgegossen.

Wobei wir uns da nicht vertun sollten: Mando Diao erschienen schon immer bei einem Major (früher EMI, jetzt Universal), Lily Allen hatte schon bei einer EMI-Tochter unterschrieben, als ihr MySpace-Hype losging, und von den “echten” Indie-Acts verkaufen nicht mal große Namen wie …And You Will Know Us By The Trail Of Dead in Deutschland viel mehr als 10.000 Exemplare. Das mit der Nachwuchsförderung ist hierzulande nach wie vor Glückssache und leben können die allerwenigsten Musiker von ihrer Musik allein.

Aber für den Moment können wir uns ja einfach mal freuen, wenn die Charts mal nicht die schlechtesten aller Zeiten sind.

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Relaunch My Fire

Ich habe ja nie ernsthaft in einer Redaktion gearbeitet, könnte mir aber vorstellen, dass an dem Tag, an dem man dort beschließt, den grafischen Auftritt des Produkts zu überholen (also zu “relaunchen”), dass an diesem Tag also neben Grafikern auch Nervenärzte und Seelsorger die Redaktionsräume beziehen. Die Grafiker für das Design, die Seelsorger für die Leserbeschwerden und die Nervenärzte für die von den eigenen Lesern gepeinigten Redakteure.

Wie konservativ ein Mensch wirklich ist, kann man ganz leicht überprüfen, indem man seine Tageszeitung neu gestaltet: Menschen, die alle paar Jahre mit ihren jeweiligen Partnern umziehen, viel Geld bei der Typberatung lassen und nicht davor zurückschrecken würden, Privatfernseh-Wohnraumexperten durch ihre eigenen vier Wände pflügen zu lassen, legen eine erschütternde Kompromisslosigkeit an den Tag, wenn es um ihre tägliche Lektüre geht. Was insofern erstaunlich ist, als mir spontan keine einzige deutsche Zeitung oder Zeitschrift einfiele, die wirklich uneingeschränkt schön und in ihrem jetzigen Zustand bewahrenswert wäre. Aber Leser finden den Relaunch ja in der Regel auch nicht hässlich, sondern nur anders.

Insofern wünsche ich den Redakteuren vom “Musikexpress” jetzt schon mal viel Kraft (und stabile Tischplatten) für die nächsten Wochen. Wie ich nämlich kürzlich am Bahnhof feststellen musste, ist das Blatt ganz neu gestaltet worden und sieht jetzt endlich auch so aus wie “intro”, “Spex”, “Neon”, “Zeit Campus” und “brand:eins”.

Der neue "Musikexpress"

Der neue "Musikexpress"

Der neue "Musikexpress"

Der neue "Musikexpress"

Der neue "Musikexpress"

Als Design-interessierter, aber weitgehend -unkundiger Leser würde ich sagen: Die neue Überschriften-Schriftart (die mich ein bisschen an die im “New Yorker” erinnert) ist gar nicht schlecht, die neue Standard-Schriftart nett, aber verbraucht (s.o.). Die Idee, Überschriften über mehr als eine Heftseite zu ziehen (“Selektor”), wirkt auf den ersten Blick originell, ist aber vermutlich auch schon zehn Jahre alt, und das, was da bei “Spielt die Grenzen fort” passiert ist, sieht eher wie ein Unfall aus als wie eine Überschrift.

Gut gefällt mir die Kombination aus eng beschriebenen Spalten und den relativ großen Weißflächen (wobei Weißflächen vermutlich auch “sooo 2002” sind) — nur in der “News”-Rubrik hätte mindestens ein Trenner-Symbol zwischen den einzelnen Meldungen Not getan.

Dafür, dass ich so selten Musikzeitschriften lese (und der US-“Rolling Stone” auf dem Gebiet ein zeitloses Klassiker-Design vorgelegt hat), gefällt mir der neue “Musikexpress” ganz gut. Warum es allerdings plötzlich ein Poster als Beilage braucht (so wie seit einem halben Jahr in der “Visions”), erschließt sich mir nicht so ganz. Mit Mando Diao und Peter Fox zeigt dieses auch noch zwei Acts, die man genauso gut in der “Bravo” finden könnte.

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Musik

Listenpanik 01/09

Zu Beginn des neuen Jahres gibt es mal wieder ein paar Veränderungen an der Listenpanik: Ich habe mich von diesem doofen Top-Five-Denken verabschiedet.

Es gibt Monate, in denen könnte man acht Alben loben, und es gibt welche, da fallen einem eben nur drei ein. In der Vergangenheit standen öfter gerade noch okaye Alben in den Monatslisten, während gute Alben fehlten — dies wird fürderhin nicht mehr der Fall sein. Ich schreibe einfach alles auf, was mir gefallen hat, und versuche auch nicht mehr ganz so krampfhaft, eine Reihenfolge festzulegen.

Was bleibt: Die Listen sind streng subjektiv, erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, und das beste Album des Jahres findet man sowieso immer erst viel später.

Alben
Bon Iver – Blood Bank
“For Emma, Forever Ago” habe ich erst spät entdeckt und nach wochenlangem Hören bin ich mir sicher, dass Platz 8 in den Jahrescharts viel zu weit hinten war. Es ist aber nicht nur Wiedergutmachung, diese EP jetzt an exponierter Stelle zu loben, denn die gerade mal vier Tracks haben es in sich. Der Titeltrack entstand gemeinsam mit den Album-Songs, aber “Woods” klingt beispielsweise völlig anders: Er besteht nur aus Justin Vernons Stimme, bzw. dem, was Autotune davon übrig gelassen hat. Trotzdem klingt es nicht grauenhaft, wie auf dem letzten Kanye-West-Album, sondern ungefähr so packend wie Imogen Heaps “Hide And Seek”. Mann kann’s nicht beschreiben, man sollte es hören!

Antony And The Johnsons – The Crying Light
“Kunden, die Bon Iver kauften, kauften auch … Antony And The Johnsons”. Ich hab lange überlegt, ob ich vorher eigentlich schon mal einen Song von Antony Hegarty und seiner Band gehört habe. Ja, sagt Wikipedia, in “V for Vendetta”. Ich kann mich nicht daran erinnern, verspreche aber, diese Bildungslücke zu schließen, denn “The Crying Light” ist ein großartiges Album: Kammerkonzertartige Instrumentierung (weswegen die Band auch unter “Chamber pop” einsortiert ist), überraschende Wechsel in Takt und Harmonie und über allem eine Stimme, die man nur mit dem Adjektiv “entrückt” beschreiben kann. Wenn die Engelchen backen und sich der Himmel am Horizont rosa verfärbt, hören sie vermutlich solche Musik.

Black Rust – Medicine & Metaphors
Ein Album, wie geschaffen für den Januar: Es passt zu grauen Nachmittagen ebenso wie zu Schneespaziergängen im Sonnenschein. Da ist ein Songtitel wie “New Year’s Day” nur noch das Tüpfelchen (vielleicht sogar das Herzchen) auf dem i. Was mir an dieser Akustikrock-Platte so gefällt, steht ausführlicher hier.

Songs
Lily Allen – The Fear
Spätestens seit ich sie vor zweieinhalb Jahren live gesehen habe, bin ich ein bisschen in Lily Allen verliebt. Ich bin also nicht sehr objektiv, was ihre Musik angeht. Aber “The Fear” ist auch mit etwas versuchtem Abstand ein toller Song: ausgewogen zwischen Melancholie (Akustikgitarren, der Text) und Partystimmung (die Beats, das Gezirpe) geht er sofort ins Ohr, ohne dabei zu cheesy zu sein. Und zu der Idee, nicht wieder mit Mark Ronson zusammenzuarbeiten (und damit so zu klingen wie all diese Sängerinnen, die nach ihr kamen), kann man ihr sowieso nur gratulieren.

Mando Diao – Dance With Somebody
Es ist natürlich reiner Zufall, dass ausgerechnet in dem Monat, in dem Franz Ferdinand am Umgang mit Synthesizern scheitern, ihre schwedischen Wiedergänger einen derart gelungenen Tanzbodenstampfer aus dem Ärmel schütteln. Ein paar Takte “Enola Gay”; ein Sound der klingt, als habe man die eigentliche Band gegen The Ark ausgetauscht, und ein Refrain, der so schlicht ist, dass man ihn nur lieben oder hassen kann.

Bruce Springsteen – The Wrestler
Das neue Album “Working On A Dream” will mich irgendwie nicht so recht packen, alles klingt so altbekannt. Aber dann kommt “The Wrestler”, der Golden-Globe-prämierte Bonustrack, der an “The River”, “Secret Garden” oder “Dead Man Walking” erinnert, und ich bin wieder hin und weg. Die ganze Schwere der Welt in einem Song und auf den Schultern eines Mannes, der das aushält.

Antony And The Johnsons – Her Eyes Are Underneath The Ground
“Mutti, wovon singt dieser Mann?” – “Dass er mit seiner Mutter in einem Garten eine Blume gestohlen hat.” – “Aha!” Fragen Sie mich nicht, aber dieses Lied ist verdammt groß.

The Fray – You Found Me
Eigentlich soll man sich ja nicht für seinen Geschmack entschuldigen, aber bei College Rock habe ich immer das Gefühl, es trotzdem tun zu müssen. Ich liebe das Debütalbum von The Fray (die Melancholie, die Texte, das Klavier!) und es ist mir egal, dass sie als “christliche Rockband” gelten. “You Found Me”, die Vorabsingle ihres zweiten, selbstbetitelten Albums, läuft angeblich bei Einslive rauf und runter (Lily Allen läuft sogar auf WDR 2), aber das macht nichts. Die erste große Pathos-Hymne des Jahres 2009 hat Aufmerksamkeit verdient.

Animal Collective – Brother Sport
“Merriweather Post Pavillon”, das neue Album von Animal Collective (von denen ich bisher nichts kannte), fällt bei mir in die Kategorie “Sicher nicht schlecht, aber ich wüsste nicht, wann ich mir sowas noch mal anhören sollte” — und befindet sich dort mit Radiohead und Portishead in bester Gesellschaft. “Brother Sport” unterscheidet sich in Sachen Unzugänglichkeit und Melodielosigkeit nicht groß vom Rest des Albums, hat aber dennoch irgendwas (sehr präzise, ich weiß), was mich zum Hinhören bringt. Das Repetitive nervt diesmal nicht, sondern entfaltet seine ganz eigene hypnotische Wirkung. Aus irgendwelchen Gründen erinnert mich das an den Tanz der Ewoks am Ende von “Return of the Jedi”, auch wenn ich nicht den Hauch einer Ahnung habe, wieso.

[Listenpanik, die Serie]

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Musik

Listenpanik 10/07: Ein wenig unentschlossen

Eigentlich mache ich diese Bestenlisten ja nur, damit ich am Ende des Jahres weiß, welche Platten und Songs ich bei diversen Jahrespolls, Abstimmungen und Leserumfragen in die Formulare eintragen muss. Gucken wir also mal, was im Oktober so auf dem Schreibtisch liegen- und im Ohr hängengeblieben ist. Sie finden mich ein wenig unentschlossen vor, manches Lob mag auch als Verriss durchgehen und vice versa. Bei einigen Punkten werde ich wohl Vorwürfe der Wankelmütigkeit über mich ergehen lassen müssen. Aber egal: Man sollte Musik meine Meinung ja eh nicht so ernst nehmen.

Alben
1. Kate Nash – Made Of Bricks
Es wurde auch mal langsam Zeit für eine “neue Lily Allen”, die alte ist schließlich schon seit mehr als einem Jahr dabei. Ja, Kate Nash ist tatsächlich erst 20 Jahre alt und bastelt ihre Songs zuhause am Laptop zusammen. Das an sich ist aber noch keine Sensation, liebe Musikjournalisten! “Made Of Bricks” ist auch keine, aber dennoch ein über weite Strecken gutes, in einigen Momenten gar brillantes Album. So klingt im Jahr 2007 von Frauen gemachte Popmusik, wenn es wirklich um die Musik und nicht um Fotostrecken geht.

2. Radiohead – In Rainbows
Hatte ich nicht geschrieben, das neue Radiohead-Album sei sehr gut, gebe mir persönlich aber nichts? Doch, das hatte ich. Aber außerhalb der eigenen vier Wände, in einer regnerischen, kalten Oktobernacht, bekam ich dann doch plötzlich eine Gänsehaut bei “All I Need”. So ganz warm geworden mit “In Rainbows” bin ich immer noch nicht, aber es ist schon ein beeindruckendes Album.

3. Jimmy Eat World – Chase This Light
Hatte ich nicht geschrieben, das Album wäre eigenschaftslos und “irgendwie egal”? Natürlich hatte ich das. Aber irgendeinen Grund muss es ja geben, dass ich “Chase This Light” in den letzten Wochen trotzdem beinage täglich gehört habe. Möglicherweise gefällt es mir also doch, obwohl es dafür eigentlich gar keinen Grund gäbe. Aber man muss ja nicht immer für alles einen Grund haben.

4. Underworld – Oblivion With Bells
Ich kann nicht über elektronische Musik schreiben. Es würde wirres Zeug dabei rauskommen mit verunglückten Metaphern und bedeutungslosen Worten wie “pluckern”, “urban” oder “sphärisch”. Also schwärme ich lieber davon, wie toll es ist, zu den Klängen von Underworlds neuer CD durch dunkle Großstädte zu laufen oder U-Bahn zu fahren. “Oblivion With Bells” ist für mich die beste Elektro-Platte seit dem Postal-Service-Debüt, aber was weiß ich von Elektro?

5. Mando Diao – Never Seen The Light Of Day
Weil sie den Vertrag mit ihrer Plattenfirma möglichst schnell erfüllen wollten, haben Mando Diao innerhalb von zwei Wochen mit Björn Olsson von The Soundtrack Of Our Lives ein Album angenommen, das betont unkommerziell und verstörend sein soll. Diese Vorgeschichte zu kennen ist wichtig, weil man ansonsten hochgradig verwirrt sein könnte. Herausgekommen ist eine erstaunlich akustische, melancholische, erwachsene, mitunter auch einfach kranke Platte, die in ihren besten Momenten an die Shout Out Louds erinnert, in ihren schwächeren an die üblichen Mando-Diao-Nummern.

Songs (inkl. YouTube-Links)
1. Kate Nash – Foundations
Wenn Sie mal gezwungen werden sollten, zu erklären, warum englischsprachige Popmusik im Zweifelsfalle besser ist als deutschsprachige, verweisen Sie auf “Foundations”: So einen charmanten Text über eine desolate Beziehung würden Silbermond, Juli oder Yvonne Catterfeld im Leben nicht hinkriegen. Und dann ist da noch dieser großartige Refrain und dieser wundervolle Akzent. Verweisen Sie einfach auf “Foundations”, wenn Sie irgendwas im Bezug auf Popmusik erklären sollen.

2. Bruce Springsteen – Radio Nowhere
Sagen Sie nichts gegen Bruce Springsteen! Wirklich: Nichts!
Der große alte Mann (inzwischen auch schon 58) des amerikanischen Stadionrocks hat es nach wie vor raus und zeigt dem Nachwuchs mal kurz, wie man eine catchy Radio-Single schreibt, die trotzdem richtig gut ist.

3. Babyshambles – Delivery
Menschlich wäre es tragisch, wenn Pete Doherty wieder rückfällig würde. Musikalisch aber auch, denn das neue Babyshambles-Album, das er angeblich clean aufgenommen hat, ist ganz ausgezeichnet geworden. “Delivery” ist besser als alles, was die Babyshambles bisher veröffentlicht haben, der Song kommt sogar an die besten Libertines-Sachen heran. Was will man mehr? Außer, dass Doherty sauber bleibt …

4. Stereophonics – Daisy Lane
Ein bezauberndes, vor sich hin schlurfendes Lied über alltägliche Gewalt. Das deutliche Highlight der auch ansonsten recht gelungenen neuen Stereophonics-Platte “Pull The Pin”.

5. Common feat. Lily Allen – Drivin’ Me Wild
Bevor sie knapp die Hälfte ihres Körpersgewichts abnahm und Unterwäsche-Model wurde, war Lily Allen für etwa ein Jahr auch mal als Musikerin bekannt. Vermutlich wird sie bald auf jedem zweiten Hip-Hop-Album als Gaststar zu hören sein, aber wenn das immer so … äh: charmant klingt wie die Zusammenarbeit mit dem Chicagoer Rapper Common, geht auch das völlig in Ordnung.

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Bochum-Total-Tagebuch (Tag 3)

Das Ruhrgebiet im Allgemeinen und Bochum im Speziellen ist ein Ort, an dem sich Menschen, die von unseren Eltern in den Achtzigern “Grufties” genannt wurden, gerne treffen und gemeinsam Musik hören, die von sehr teuren Synthesizern erzeugt wird, und zu der Männer (tief) und Frauen (hoch) Texte singen, die im Allgemeinen von Schmerz, Tod und Nacht handeln. Die einzige Musikrichtung, die mich noch weniger interessiert als Gothic/EBM ist Reggae, aber wer wäre ich, das Line-Up des Bochum Total zu kritisieren, zumal nach diesem Auftakt? Es ist halt wirklich für jeden Geschmack etwas dabei und so kam ich am gestrigen Samstag wieder zweimal auf meine Kosten:

Sugarplum Fairy (Eins-Live-Bühne)
Victor und Carl Norén, die beiden Sänger von Sugarplum Fairy sind die kleinen Brüder von Gustaf Norén von Mando Diao. Als letztere vor zwei Jahren auf dem Haldern Pop spielten, regnete es in Strömen, ich saß im Pressezelt und langweilte mich, denn die Band war live mindestens so schwach wie Franz Ferdinand am Abend zuvor.

Gestern war also Bochum Total, es regnete immer mal wieder, ich stand vor der Bühne und war hellauf begeistert. Die kleinen schwedischen Rotzlöffel (hab grad extra nachgeguckt: wenigstens der Schlagzeuger ist älter als ich, wenn auch nur eine Woche) haben sich natürlich viel bei der Schwesterband und vor allem bei Oasis abgeguckt, aber bei allem Gepose war noch der Spaß dahinter zu erkennen und es klang einfach gut. Sie spielten viele Songs vom aktuellen Album “First Round First Minute”, wobei sich Carl, Victor und David Hebert ständig an Bass, Gitarre, Orgel und Gesang abwechselten, was ich immer besonders schön finde. Die meiste Stimmung kam aber bei den Hits des Debütalbums auf: bei “Morning Miss Lisa”, “Sail Beyond Doubt”, “(And Please) Stay Young” und dem überragenden “Sweet Jackie”, das Noel Gallagher sicher gerne geschrieben hätte, wenn die Noréns es nicht aus seinen größten Hits zusammengepuzzelt hätten.

Es wäre also ein rundherum gelungenes Rock’n’Roll-Konzert gewesen, hätte Carl Norén nicht plötzlich die vierte Wand eingerissen und das Oasis’sche “Wonderwall” angestimmt. Da zeigte sich nämlich für einen Moment, dass Sugarplum Fairy letztendlich doch noch nur Ersatzbefriedigung für das lauthals mitgrölende Publikum waren. Andererseits haben Oasis ja auch oft genug die Beatles gecovert …

Tocotronic (Eins-Live-Bühne)
Tocotronic beim Bochum Total 2007Beim bereits oben erwähnten Haldern 2005 kam mir Musikexpress-Redakteur Josef Winkler im Pressezelt entgegengerauscht, flötete “Tocotrooooonic!” und entschwand Richtung Bühne (in meiner Erinnerung trug er ein Feengewand und Bänder im Haar, aber ich mag mich da durchaus irren). Der Auftritt damals war schlichtweg fantastisch und das große Finale mit “Neues vom Trickser” endete in dem Unwetter, was den Mando-Diao-Auftritt begleiten sollte.

Diesmal nieselte es nur leicht, was in Sachen Spezialeffekte ja beinahe langweilig ist. Trotzdem waren Dirk “der Graf” von Lowtzow und die Seinen wie allgemein üblich sehr, sehr gut. Es gab einiges an neuem Liedwerk vom noch unveröffentlichten Album “Kapitulation” zu hören (das wieder sehr gut wird) und eine Art Greatest-Hits-Revue, die sich den Mainstream-Hits “This Boy Is Tocotronic” und “Let There Be Rock” konsequent verweigerte. Dafür gab es beispielsweise bei “Ich bin viel zu lange mit euch mitgegangen” und dem finalen “Freiburg” die wohl größten Studentenchöre der Welt zu hören (Trainingsjacken inklusive) und bei “Aber hier leben, nein danke” flog kein einziger Becher auf die Bühne.

Detail am Rande: Ein etwa sechs- bis achtjähriges Mädchen im Tocotronic-Bandshirt auf den Schultern seines Vaters, das den Refrain der aktuellen Single “Kapitulation” begeistert und aus einem Schneidezahnlosen Mund mitsang.

Das verwendete Foto stammt von Kathrin. Hier hat sie noch mehr vom Bochum Total.