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Born To Sing Along

Über das All-Songs-Considered-Blog bin ich auf diesen Eintrag im Musikblog I Am Fuel You Are Friends aufmerksam geworden, der sehr passend mit “If you’ve ever wondered what pure, unfettered joy looks like….” betitelt ist.

Man sieht darin ein Livevideo von The Gaslight Anthem, die gemeinsam mit Bruce Springsteen ihren Song “The ’59 Sound” beim Glastonbury Festival spielen:

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the 59 sound – bruce springsteen & gaslight anthem( glasto )
von runawaydream

Da dachte ich noch “Na ja, könnte man noch mal bloggen, so nach einem Monat. Aber muss man auch nicht …”, aber dann fiel mir ein, wie viele Videos ich schon im Internet gesehen hatte, in denen Bruce Springsteen andererleuts Songs veredelt. Und dann dachte ich, die kann man doch mal schön zusammentragen:

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Listenpanik 02/09

Der Februar ist ein blöder Monat: Verdammt kurz, aber voller spannender Veröffentlichungen. Alles habe ich nicht geschafft zu hören, einige waren erschreckend öde, aber irgendwie sind mir dann doch noch genug Alben und Songs eingefallen, die man sich für die Jahresendliste vormerken sollte.

Bevor im März mit Starsailor und Ben Lee das ganz große Fan-Fass aufgemacht wird, hier erstmal der Februar:

Alben
Lily Allen – It’s Not Me, It’s You
Selten habe ich mich im Bekanntenkreis für etwas so sehr rechtfertigen müssen wie für meine Lily-Allen-Verehrung. Aber im Gegensatz zu diesen ganzen Café- und Familienkombibeschallerinnen (Duffy, Amy Winehouse, Amy MacDonald, Adele, Gabriela Cilmi, …) hat Lily Allen Eier (das hört sich im Bezug auf Frauen immer komisch an, weil Frauen natürlich generell Eier haben — ganz anders als Männer). Ihre Songs sind klug und witzig, gehen ins Ohr und in die Füße und ihr zweites Album setzt das phantastische Debüt konsequent fort. So und nicht anders sollten junge Frauen mit 23 klingen.

Beirut – March Of The Zapotec / Realpeople: Holland
Und damit zum nächsten Musiker, der jünger als ich ist: Zach Condon hat mit seiner Band Beirut bereits zwei Alben veröffentlicht, jetzt kommt eine Doppel-EP, bestehend aus sechs Songs, die er mit einer 19-köpfigen Band in Mexiko aufgenommen hat, und fünfen, die er schon vor längerer Zeit mit seinem Elektronik-Projekt Realpeople aufgenommen hat. Der erste Teil ist Weltmusik für Leute, die sonst keine Weltmusik mögen, der zweite Elektronik für Leute, die sonst keine Elektronik hören. Trotz dieser zwei doch recht unterschiedlichen Ansätze wird das Album (die Doppel-EP) von Condons Stimme und seinen Ideen wunderbar zusammengehalten.

U2 – No Line On The Horizon
U2 zählen zu jenen Bands, die ich durchaus schätze, die mir aber nie in den Sinn kämen, wenn es um die Nennung meiner Lieblingsbands geht. “No Line On The Horizon” wird jetzt als ihr bestes Album seit langem gefeiert und erstmals seit langer Zeit höre ich ein Album, von dem bei mir so gar nichts hängen bleiben will. Nach etlichen Durchgängen könnte ich gerade anderthalb Refrains benennen, ansonsten geht das Album einfach so durch meinen Kopf durch. Seltsamerweise weiß ich trotzdem, dass ich das Album gut finde.

Morrissey – Years Of Refusal
Ja, klar: The Smiths waren schon sehr, sehr groß und Morrissey ist eine coole Sau. Trotzdem haben mich die Alben des Mannes, den Musikjournalisten stets wissend mit merkwürdigen Attributen bedenken, nie so wirklich interessiert. Die Singles: ja (“First Of The Gang To Die” als absoluter Überhit), aber sonst? “Years Of Refusal” ist da anders: Das Album rockt und bockt und zickt und alle schreien laut “Ach Gott, ach Gott, das kann er doch nicht machen. Und jetzt hört man auch noch die Verzerrer und das scheppernde Schlagzeug …”. Und ich finde es zum ersten Mal richtig interessant.

The Whitest Boy Alive – Rules
In einem wachen Moment meiner by:Larm-Berichterstattung hatte ich Erlend Øye als “eine Art Thees Uhlmann Norwegens” beschrieben, was sich allerdings primär auf die Maskottchen- und Patenhaftigkeit der Beiden für die jeweiligen Musikszenen bezog. (Witzigerweise ist Øye ja ungefähr so selten in Norwegen wie Uhlmann in Hamburg, weil beide in Berlin wohnen, der Stadt, in der man halt wohnt.) Außerdem sind Beide – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung – jeweils ihre Band. Kaum jemanden interessiert, wer sonst noch bei The Whitest Boy Alive bzw. bei Tomte spielt — aber damit ist endlich Schluss mit den Gemeinsamkeiten, denn The Whitest Boy Alive sind permanent so funky wie Tomte in ihren funkigsten Momenten. “Rules” ist von vorne bis hinten eine Aufforderung zum Tanz, eine Platte, die man erst mit den Füßen hört und dann mit den Ohren (eine anatomisch etwas abwegige Idee), einfach schöner, klangvoller Pop.

Songs
Lily Allen – Who’d Have Known
Die Idee, einfach den Refrain eines Hits vom Take-That-Comeback-Album zu nehmen (“Shine”) und daraus einen komplett neuen Song zu entwickeln, ist so uncool und absurd, dass man sie einfach lieben muss. Ansonsten ist “Who’d Have Known” auch noch ein so rührend unschuldiges Liebeslied, in dem sich Romantik und alltägliches Rumlungern auf sehr sympathische Weise treffen. Beziehung durch Gewohnheitsrecht, quasi.

Klee – Ich lass ein Licht an für Dich
Und gleich noch so eine rührend unschuldige Nummer: “Berge versetzen”, das aktuelle, mitunter an Goldfrapp erinnernd Klee-Album, war ein bisschen an mir vorbeigegangen, bis mir der Shuffle Mode diesen Song in die Ohren und direkt ins Herz jagte. Dieses Lied ist der beste Beweis, wie man auch in deutscher Sprache völlig unpeinlich ganz große Gefühle behandeln kann. (Ich muss da immer an “Halt Dich an Deiner Liebe fest” denken.)

Kilians – Said And Done
Lustig: Wenn man es direkt nach “Ich lass ein Licht an für Dich” hört, klingt es fast wie die Fortsetzung des Songs. Irgendjemand muss ja auch mal “Never Thought I’d Say That It’s Alright” und “When Did Your Heart Go Missing” beerben, was generationenübergreifenden Airplay angeht. Warum also nicht die Kilians, die mit ein paar Streichern im Rücken das Feld beackern, das seit dem Ende von Readymade und Miles brach liegt? Und keine Angst vor dem Pop: Das Album rockt dann wieder mehr.

Mando Diao – Go Out Tonight
Wirklich spannend ist auch deren neues Album nicht geworden (wenn auch nicht ganz so öde wie das von Franz Ferdinand), aber kurz vor Schluss kommt dann wenigstens so eine Mando-Diao-typische Schunkelnummer mit Motown-Rhythmus, Melancholie und ordentlich Feuer in den Stimmen.

[Listenpanik, die Serie]

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Musik

Melodien für Melonen

In der aktuellen Musikwelt gibt es kaum ein weicheres Ziel als Coldplay. Okay: Keane, Britney Spears und Razorlight vielleicht, aber bei denen (zumindest den beiden letztgenannten) ist das ja auch berechtigt. Die einen jammern, die Band sei ja “früher mal” gut gewesen, die anderen regen sich darüber auf, dass die Leute, die die Band “früher mal” gut gefunden hätten, diese jetzt wieder gut fänden, wo das neue Album doch ganz klar scheiße sei. Ihnen allen ist gemein, dass sie Coldplay vorwerfen, zu den zweiten U2 geworden zu sein – als wäre das schon das Schlimmste, was einer Band passieren kann, und nicht etwa die zweiten Status Quo, die zweiten Ocean Colour Scene oder die zweiten Razorlight zu sein. ((Chuck Klosterman hat mal über die frühen Coldplay geschrieben, sie klängen wie ein mittelmäßige Kopie von Travis, die wiederum wie eine mittelmäßige Kopie von Radiohead klängen. Wir sind nicht immer einer Meinung.))

Coldplay haben bis heute kein schlechtes Album aufgenommen, daran ändert sich auch mit “Viva La Vida” nichts. Zwar konnten sie nie mehr die durchgängig hohe Qualität ihres Debüts erreichen, dafür sind auf allen folgenden Alben einzelne Songs drauf, die besser sind als jeder des Debüts. ((Das hört sich nur kompliziert und widersprüchlich an: Stellen Sie sich das Debüt als durchgängig 90% gut vor, während Songs wie “The Scientist”, “In My Place”, “Fix You” oder “Talk” Werte von 93% bis 98% erreichen, die durch 60%-Nummern wie “Speed Of Sound” oder “God Put A Smile Upon Your Face” wieder ausgeglichen werden.)) Dass ihre Konzerte von Friseusen und Medizinstudentinnen besucht werden, kann man der Band auch nicht anlasten: als Oasis-Fan weiß man darüber hinaus um die mitunter erschütternde Erkenntnis, dass sehr merkwürdige Menschen die gleichen Bands verehren können wie man selbst.

Zugegeben: Coldplay machen es einem nicht leicht. Nicht nur, dass sie seit Jahren die Welt retten wollen (s. U2), ihr neues Album heißt fast wie ein Ricky-Martin-Song ((In Wahrheit stammt der Titel von einem Gemälde von Frida Kahlo, das auch die humorvolle Überschrift dieses Blog-Eintrags erklärt.)) und hat darüber hinaus ein völlig durchgenudeltes Coverbild: das 180 Jahre alte “La Liberté guidant le peuple” von Eugène Delacroix. Um Frankreich geht’s in dem Album aber weniger, um Revolution schon sehr viel mehr und letztlich auch um Romantik.

Aber reden wir über das einzige, was zählt: die Musik. Mit dem instrumentalen Opener “Life In Technicolor” haben Coldplay bei mir schon einen Brocken im Brett: es plurrt, zirpt und scheppert, als hätten Angels & Airwaves und Arcade Fire einen gemeinsamen Track von Jimmy Tamborello remixen lassen. Das muss an Brian Eno liegen, der das Album mitproduziert hat. Für das ganze Album muss man Referenzen von Arcade Fire über Death Cab For Cutie bis Pink Floyd, von Stars über Radiohead bis … äh: Timbaland heranziehen, nach U2 klingen immer nur die halligen Gitarren. Nach Coldplay klingt dafür jeder Song, was wohl an der prägnanten Stimme von Chris Martin liegen dürfte.

Melodien waren bei Coldplay schon immer nur in Ausnahmefällen catchy ((Zum Beispiel, wenn sie von Kraftwerk übernommen waren.)), “Trouble” kann man auch nach acht Jahren noch nicht aus dem Stand singen. Insofern braucht das Album Zeit und möglicherweise auch größere Gewitter oder Vollmondnächte zur Untermalung. Die Songstrukturen sind komplexer geworden, mitunter werden zwei Lieder in einem Track vereint, was auch nur im Fall “Lovers In Japan/Reign Of Love” auf der offiziellen Tracklist vermerkt wird. “42” besteht aus mindestens drei verschiedenen Teilen und wirkt ein bisschen, als hätten sich a-ha “Paranoid Android” von Radiohead vorgenommen. ((Überhaupt a-ha: So einiges auf “Viva La Vida” erinnert an die chronisch unterschätzte norwegische Band, zu deren Konzerten Friseusen und allenfalls ehemalige Medizinstudentinnen gehen. Hören Sie sich deren letztes Album “Analogue” an – was Sie sowieso tun sollten – und Sie werden verstehen, was ich meine.))

Bei den ersten Hördurchgängen von “Viva La Vida” hatte ich das Gefühl, der Band gehe in der Mitte die Luft aus: der Spannungsbogen fällt ab, das Gefühl, alles schon einmal gehört zu haben, nimmt zu. Aber dann grätschen bei “Yes” plötzlich balkanische Streicher ins Lied, ganz so, als habe man noch Chancen auf eine erfolgreiche Grand-Prix-Teilnahme wahren wollen.

Spätestens beim Titeltrack hat mich die Band dann aber wieder: Four-To-The-Floor-Beats finde ich außerhalb ihres natürlichen Lebensraums Kirmestechno fast immer gut und Stakkato-Streicher, Glocken und Pauken haben auf mich genau die Auswirkungen, die ihnen Edmund Burke in seiner Ästhetik des Erhabenen zuschreibt. Für die Parallelen, die die amerikanische Band Creaky Boards zwischen “Viva La Vida” und einem ihrer Songs erkannt haben will, bin ich hingegen taub. An “Violet Hill”, die Vorabsingle, hat man sich inzwischen so gewöhnt, dass es nicht weiter stört, “Strawberry Hill” lässt kurz vor Schluss schon mal die Füße sanft entschlummern, ehe “Death And All His Friends” und das angehängte “The Escapist” den Rest des Körpers ins Reich der Träume überführen.

“Viva La Vida” ist ein gutes, wenn auch kein geniales, Album und nach dem uferlosen Vorgänger “X&Y” mit 45 Minuten auch wieder schön kompakt geraten. Ich kann mir vorstellen, dass man Coldplay wegen dieses Albums hassen kann ((Über die mitunter recht gewagten Texte haben wir ja noch gar nicht gesprochen.)), aber mir gefällt es zufälligerweise. Und wenn Friseusen und Medizinstudentinnen derart anspruchsvollen Pop hören statt die neueste DSDS-Grütze, ist das doch auch schon mal was.

Coldplay - Viva La Vida (Albumcover)
Coldplay – Viva La Vida

VÖ: 13.06.2008
Label: Parlophone
Vertrieb: EMI

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Musik

Lieder für die Ewigkeit: U2 – Beautiful Day

See the bird (with no leaf in her mouth)

Es gibt ungefähr gleich viele Gründe, U2 zu lieben, wie sie zu hassen. Man muss das Pathos mögen, das sie fast unentwegt verbreiten, sonst hat man keine Chance. Man muss damit klar kommen, dass Sänger Bono sich mitunter aufführt wie der uneheliche Sohn von Mutter Theresa und Al Gore, aber immerhin schöner singen kann. Aber man muss nur mal das langgezogene Intro von “Where The Streets Have No Name” hören, um das Prinzip Stadionrock zu verstehen.

U2 hatten in meiner musikalischen Früherziehung nur eine Nebenrolle gespielt, im Plattenschrank meiner Eltern findet sich bis heute kein einziges Album der Iren. 1998 wünschte ich mir das “Best Of 1980-1990” zu Weihnachten und hörte die nächsten Wochen und Monate “I Still Haven’t Found What I’m Looking For”, “Sunday Bloody Sunday” und “With Or Without You”. U2 waren die erste Rockband in meinem Regal.

Im Herbst 2000 erschien dann “All That You Can’t Leave Behind”, der von den Fans heiß erwartete “Pop”-Nachfolger. Da mir die Experimente der Neunziger Jahre quasi komplett unbekannt waren, war der Übergang vom Achtziger-Best-Of fließend. Es war die Zeit, wo man CDs am Donnerstag nach Erscheinen kaufte (weil der örtliche Elektronikhändler dann seine Angebote rausbrachte) und erstmal fünf- bis zwanzigmal hintereinander hörte.

Auf “All That You Can’t Leave Behind” ist mit “Stuck In A Moment You Can’t Get Out Of” der vielleicht beste Song der ganzen Bandgeschichte enthalten, aber nachhaltiger hat mich das euphorische “Beautiful Day” beeindruckt. Der Rhythmus, den Larry Mullen dort klopft, war damals noch neu – heute kommt er in jedem zweiten Song von Coldplay, Snow Patrol oder Jimmy Eat World vor. Das Gitarrenspiel von The Edge hat mich damals tagelang in meinem Zimmer festgehalten, wo ich versuchte, diese nebensächliche Eleganz auf der Konzertgitarre meiner Schwester nachzuempfinden. Der Text grub sich durch das unzählige Nochmal-Hören tief in meine Gehirnwindungen ein, obwohl ich bis heute nicht genau weiß, was er eigentlich aussagen soll. Und dann war da noch dieses Video von Meisterregisseur Jonas Åkerlund:

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Wann immer ich danach in einem Flugzeug saß und mir kurz vor dem Start doch ein wenig mulmig wurde, summte ich diesen Song vor mich hin und stellte mir vor, wir würden jetzt direkt über die auf der Startbahn rockende Band fliegen.

Ich würde mich bis heute nicht als U2-Fan bezeichnen. Ich kaufe mir die Alben, ich mag fast alles, was die Band macht, aber es fehlt trotzdem noch etwas bis zu der kultischen Verehrung, die ich beispielsweise R.E.M. oder Travis entgegenbringe. Trotzdem: Als “Beautiful Day” auf meiner Fahrt nach Berlin im ICE-Bordradio lief, wurde ich plötzlich so entspannt und gut gelaunt, dass mir das ganze Theater drumherum egal wurde. Da wusste ich: das Lied ist ein Fall für diese Rubrik.

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IV For Pop Culture

Chuck Klosterman IV (Cover der gebundenen Ausgabe)Manchmal neige ich zu sehr wohlwollenden Zukunftsprognosen. An diesem Eintrag war deshalb nahezu alles falsch: Das bestellte Buch kam nicht (wie wir inzwischen wissen) am darauffolgenden Montag an, sondern konnte erst nach einer Woche aus seiner Gefangenschaft befreit werden. Auch brauchte ich für die Lektüre nicht die veranschlagte eine Woche, sondern derer drei.

Jetzt aber: “Chuck Klosterman IV: A Decade of Curious People and Dangerous Ideas” ist (wie der Titel schon nahelegt) das vierte Buch von Chuck Klosterman. Chuck Klosterman ist ein amerikanischer Musik-, Film- und Popkulturjournalist, der lange Jahre für das “Spin Magazine”, aber auch für “Esquire”, das “New York Times Magazine” und diverse andere Druckerzeugnisse gearbeitet hat. Ich kam mit seiner Arbeit erstmals bewusst in Kontakt, als der deutsche “Rolling Stone” im vergangenen Jahr das Kapitel über Kurt Cobain aus dem damals frisch auf deutsch erschienenen Klosterman-Buch “Eine zu 85% wahre Geschichte abdruckte. Das Buch heißt im Original “Killing Yourself To Live” (“85% Of A True Story” ist der Untertitel, sooo abwegig ist deutsche Variante dann doch nicht) und Klosterman reist darin durch die halben USA und klappert dabei Orte ab, an denen Rockstars zu Tode gekommen sind.

Als ich ein paar Monate später bei Borders in San Francisco stand und mich nicht entscheiden konnte, mit welchem Buch ich als nächstes meine Kreditkarte belasten sollte, fiel mir “Killing Yourself To Live” in die Hände. Ich kaufte es, las es in einer Woche durch1 und wurde Fan. In den nächsten Wochen kaufte ich mir nacheinander “Sex, Drugs and Cocoa Puffs”, eine Artikel- und Essaysammlung über Popkultur im weiteren Sinne, und “Fargo Rock City”, ein Buch über Heavy Metal, Hardrock und Landleben, das sehr spät meine Begeisterung für die Musik von Guns N’ Roses weckte.

“Chuck Klosterman IV” war im letzten Herbst schon als Hardcover erschienen, aber ich wollte es zwecks besserer Optik im Bücherregal gerne ebenfalls als Taschenbuch haben.2 Dafür hab ich jetzt auch ein paar zusätzliche Essays und Fußnoten mit drin, die bei der Erstveröffentlichung teilweise noch gar nicht geschrieben waren. Essays und Fußnoten gibt es in dem Buch eine ganze Menge, denn es vereint – wie der Untertitel schon andeutet – Texte aus zehn Jahren und ist in drei Teile gegliedert: “Things that are true”, “Things that might be true” und “Something that isn’t true at all”.

“Things that are true” sind Porträts über Musiker wie Britney Spears, U2, Radiohead, Wilco oder Billy Joel, aber auch Reportagen über The-Smiths-Fantreffen voller Latinos, Goths in Disneyland und eine einwöchige Chicken-McNuggets-Diät (acht Jahre vor “Super Size Me”). Klosterman hat ihnen kleine Einführungen vorangestellt, die mitunter mindestens so unterhaltsam und erhellend sind wie die Artikel selbst. Er bemüht sich, seine Themen und Porträtierten ernst zu nehmen (sogar Britney Spears) und beschreibt Szenen, Gespräche und Ereignisse mit einem unglaublichen Gespür für Sprache und Komik. Dabei kommt es ihm sehr zu Gute, dass angelsächsischer Journalismus (im Gegensatz zum deutschen) dem Verfasser eine eigene Position und sogar ein Ich zugesteht. Statt umständlicher Konstruktionen kann er somit ganz persönliche Eindrücke bringen, die viel aussagekräftiger sind als es die Vortäuschung von Objektivität je wäre. Fast nie erhebt er sich über den Gegenstand, nur Europäer und Soccer sind Themen, bei denen er schnell emotional wird.

“Things that might be true” vereint zahlreiche “Esquire”-Kolumnen zu eher abstrakten Gedanken. Er jongliert mit kulturtheoretischen, zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Themen, was ihm meistens sehr gut gelingt, worin er sich mitunter aber auch ein wenig verheddert. Diese Texte regen aber, mehr als die aus Teil Eins, zum Nachdenken an und ich bin mir sicher, dass sie an amerikanischen Unis bereits Gegenstand einiger Seminare und Hausarbeiten sind. Ihnen vorangestellt ist je eine (mitunter höchst hypothetische Frage), die den Leser schon mal an den Rand des Wahnsinns bringen kann. Beispiel gefällig?

Q: Think of someone who is your friend (do not select your best friend, but make sure the person is someone you would classify as “considerably more than an acquaintance”).
 This friend is going to be attacked by a grizzly bear.
 Now, this person will survive this bear attack; that is guaranteed. There is a 100 percent chance that your friend will live. However, the extent of his injuries is unknown; he might receive nothing but a few superficial scratches, but he also might lose a lim (or multiple limbs). He might recover completely in twenty-four hours with nothing but a great story, or he might spend the rest of his life in a wheelchair.
 Somehow, you have the ability to stop this attack from happening. You can magically save your friend from the bear. But his (or her) salvation will come at a peculiar price: if you choose to stop the bear, it will always rain. For the est of your life, wherever you go, it will be raining. Sometimes it will pour and sometimes it will drizzle – but it will never not be raining. But it won’t rain over the totality of the earth, nor will the hydrological cycle be disrupted; these storm clouds will be isolated, and they will focus entirely on your specific whereabouts. You will never see the sun again.
 Do you stop the bear and accept a lifetime of rain?

Also bitte, wie brillant ist denn sowas?

“Things that aren’t true at all” enthält eine etwa dreißigseitige Kurzgeschichte über einen jungen Filmkritiker, dem einige ziemlich abgefahrene3 Sachen passieren. Die Geschichte ist gut geschrieben, mit der Klosterman-üblichen Liebe zu ausgefallenen Details und sie ist nur etwa dreißig Seiten lang. Viel mehr positives lässt sich darüber nicht sagen, sie ist halt “ganz nett”, aber ihr Fehlen hätte für das Buch keinen großen Makel bedeutet.

Wenn Sie sich jetzt seit ungefähr dem zweiten Absatz fragen, ob Chuck Klosterman “sowas wie der amerikanische Benjamin von Stuckrad-Barre” sei: Schwer zu sagen. Beide beherrschen ihr Handwerk sicherlich sehr gut, aber es gibt schon deutliche Unterschiede, die ganz profan bei der Sprache anfangen (ich liebe dieses Formelhafte der englischen Sprache, ihre idiomatischen Wendungen und die zahlreichen Möglichkeiten, sich vom Beschriebenen zu distanzieren) und bei der Einstellung der Autoren gegenüber ihren Inhalten aufhören.

“Chuck Klosterman IV” ist für alle, die sich für Popkultur im weiteren Sinne (und für amerikanische Massenkultur) interessieren, die gerne gut geschriebene Porträts und Reportagen lesen und sich für etwas abseitige Gedankengänge erwärmen können. Und für kuriose Leute.

1 Es ist bedeutend dünner als das neue Buch (257 zu 416 Seiten).
2 Ironie der Geschichte: Die Bücher stehen gar nicht bei mir im Regal. Das ist nämlich voll. Sie liegen jetzt auf einer Reihe stehender Bücher und werden noch dazu von einer Borussia-Mönchengladbach-Flagge verdeckt.
3 Demnächst an dieser Stelle: Die zehn schönsten Achtziger-Jahre-Adjektive.

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It’s gonna be an easy ride

Jacqui Naylor (photo by Thomas Heinser)Es gibt Alben, die sind so Genre-sprengend, dass sie haarscharf an jeder Zielgruppe vorbeischrammen. “The Color Five” von Jacqui Naylor könnte so ein Fall sein: Eigentlich ist die Kalifornierin Jazzsängerin, aber ihre Alben und Konzerte öffnen auch die Schubladen “Folk” und “Pop” so weit, dass die Kommode, auf der groß “Musikgenres” steht, und die Musikjournalistenmetaphern um die Wette auseinanderfallen.

Gemeinsam mit ihrer (sehr guten, aber dazu kommen wir noch) Band hat Jacqui Naylor etwas erfunden, was sie “acoustic smashes” nennt: Singt Naylor den Text eines Popsongs (“Hot Legs” von Rod Stewart”, “I Still Haven’t Found What I’m Looking For” von U2, “Lola” von den Kinks), spielt die Band dazu einen Jazzstandard (“Cantaloupe Island” von Herbie Hancock, “All Blues” von Miles Davis, “Sidewinder” von Lee Morgan); singt Naylor einen … nun ja: etwas abgegriffenen Klassiker wie das unvermeidliche “Summertime” von George und Ira Gershwin, bemerkt man das vielleicht gar nicht auf Anhieb, weil die Band lieber “Whipping Post” von den Allman Brothers spielt. Hört sich kompliziert, merkwürdig oder schlicht unvorstellbar an? Hier kann man in alle Songs reinhören und sich davon überzeugen, dass es ziemlich gut klingt.

Ein Drittel der fünfzehn Songs sind diese “acoustic smashes”, ein Drittel “normale” Coverversionen und ein Drittel Originals, also Songs, die Naylor und ihr Musical Director Art Khu selbst geschrieben haben. Das nicht gänzlich unrenommierte Magazin “Jazz Times” verglich das Songwriting der beiden mit dem der nicht gänzlich unbedeutenden Joni Mitchell und Paul Simon, und ich möchte wenigstens noch Sara McLachlan, Tori Amos und Neil Finn namedroppen. “Easy Ride From Here” z.B. ist ein derart runder Popsong, dass ich ihn bitte in den nächsten Jahren in mindestens fünf verschiedenen romantischen Komödien oder amerikanischen Hochglanzserien hören möchte.

Ich weiß nicht, ob ich je von Jacqui Naylor erfahren hätte, wenn ich sie nicht persönlich kennengelernt hätte; ob ich auch so von ihrer Musik begeistert wäre, wenn ich sie nicht live gesehen hätte. Ihre Stimme bewegt sich zwischen butterweich und angenehm kratzig und ihre Band … Ach, diese Band: Jazzmusikern zuzusehen, ist für Menschen wie mich, die stolz sind, drei Akkorde fehlerfrei greifen zu können, immer in gleichem Maße beeindruckend wie ernüchternd. Diese Band ist besonders tight (ist “tight” überhaupt eine Vokabel, die zum Beschreiben von Jazzbands geeignet ist?): Art Khu könnte man vermutlich ein Alphorn in die Hand drücken und nach fünf Minuten würde er dem Instrument lieblichste Töne entlocken, Drummer Josh Jones spielt nicht nur die vertracktesten Beats und Rhythmenwechsel, er grimassiert dabei auch noch, als müsse er während des Konzerts noch einer Gruppe durchgeknallter Comiczeichner Modell sitzen.

Es gibt Alben, die sind so Genre-sprengend, dass sie jede Zielgruppe begeistern. “The Color Five” von Jacqui Naylor könnte so ein Fall sein.