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Nah dran

Ich bin jetzt in einem Alter, in dem die meisten Menschen neue Musik nur noch über das Radio wahrnehmen. Beruf und Familie verhindern eine nähere Auseinandersetzung und man muss auch erkennen, dass das bei vielen Leuten eigentlich nie anders war: Die haben halt immer schon gehört, was in den Charts war oder was die Peer Group gehört hat — und das ist ja auch total okay, denn wenn sich alle Leute derart in Musik und Popkultur verlieren würden, käme ja niemand mehr zum Arbeiten und Kinder erziehen.

Obwohl ich mich bemühe, mit den allen aktuellen Veröffentlichungen mitzuhalten, höre ich dann doch meistens nur die neuen Alben der Künstler, die mich schon lange begleiten: Meine meistgehörten CDs im letzten Jahr waren die neuen von Weezer und Jimmy Eat World. Dieses Jahr habe ich mit Sampha und Stormzy immerhin schon zwei Debütalben gehört, aber aktuell auf hoher Rotation ist ein Künstler, der mich seit fast 15 Jahren begleitet: Andrew McMahon.

Andrew McMahon In The Wilderness - Zombies On Broadway (Albumcover)Ich habe schon angesichts des ersten Andrew-McMahon-In-The-Wilderness-Albums versucht, das besondere Verhältnis zu beschreiben, dass ich zu ihm und seiner Musik – zuvor in den Bands Something Corporate und Jack’s Mannequin – habe. Andrew McMahon könnte auch ein Album voller Weather-Channel-Jingles veröffentlichen und ich würde es rauf und runter hören — was ganz praktisch ist, denn “Zombies On Broadway” ist beinahe ein Album voller Weather-Channel-Jingles geworden.

Offenbar hat er viel mit seinen Kumpels von fun. rumgehangen, denn “Zombies” setzt noch mehr auf großen, großen Pop als die Veröffentlichungen davor: Keyboardflächen, Chöre, programmierte Beats, viele Pauken (aber wenige Trompeten). Ungefähr jeder der zehn Songs auf dem Album klingt, als wolle sich Andrew McMahon als ESC-Komponist bewerben — im Positiven, wie im Negativen. Nur wenig erinnert noch an Something-Corporate-Kracher wie “Only Ashes” oder “If You C Jordan” oder einen Jack’s-Mannequin-Song wie “The Mixed Tape” (gut: da hat auch Tommy Lee getrommelt) — außer natürlich Andys Stimme (die über die Jahre deutlich sicherer und voller geworden ist), die unwiderstehlichen Melodien und die sanfte Melancholie, die in jedem Song irgendwo durchscheint.

Der Sprechgesang des Openers “Brooklyn, You’re Killing Me” klopft bei Twenty One Pilots an, ohne deren Originalität und Vielseitigkeit zu erreichen. “Don’t Speak For Me”, dessen Intro gar an die schrecklichen Chainsmokers erinnert, war laut Andys Aussage ursprünglich für eine/n andere/n Künstler/In gedacht — und es ist angesichts des Sounds nicht ganz abwegig, dass das jemand wie Taylor Swift oder Selena Gomez hätten sein sollen (ohne jetzt irgendwas gegen die beiden sagen zu wollen). “Love And Great Buildings” klingt nicht nur im Intro wie Owl City, sondern verläuft sich auch genauso zwischen den Bildspendern seiner Metaphern: “Love and great buildings will survive / Strong hearts and concrete stay alive / Through the great depressions / Yeah, the best things are designed to stand the test of time”. Ja, schon klar: das kann man unglaublich cheesy, schrecklich und schlimm finden, aber ich mag’s — aber ich mochte ja auch “Fireflies”.

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Mein Highlight “So Close” ist ein großartiges Liebeslied, das in den Strophen noch am ehesten an die alten Band-Sachen erinnert, um im Refrain dann irgendwo zwischen “Happy” und “Can’t Stop The Feeling” herumzutanzen, und die Vorabsingle “Fire Escape” macht akustisch das große Fass der Chöre und Trommeln auf, das auf dem Album fast zum Überlaufen kommt.

Wie beim letzten Album gilt: Ich kann total verstehen, wenn man zu diesem Radiopop – der in den USA jetzt tatsächlich mal im Radio läuft – keinen Zugang findet und lieber zu Twenty One Pilots, Taylor Swift oder Owl City greift (die Chainsmokers bleiben natürlich indiskutabel). Und wenn man mit dem Alternative Rock von Something Corporate aufgewachsen ist, kostet es schon etwas Überwindung, diesen musikalischen Weg mitgehen zu wollen.

Andrew McMahon findet dazu wie immer die passenden Worte: “And these could be the best or darkest days / The lines we walk are paper thin / And we could pull this off or push away / Cause you and me have always been” — um dann ganz oft die Worte “so close” zu wiederholen.

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The music that saves you

Bei den meisten wirklich guten Freundschaften kann man sich ja noch daran erinnern, wie man sich kennengelernt hat. Einen meiner besten und langjährigsten Freunde lernte ich am ersten Schultag auf dem Gymnasium kennen, als wir uns gegenseitig aufs Maul hauen wollten.

Die Musik von Andrew McMahon lernte ich im Sommer 2003 kennen, als das Debütalbum seiner Band Something Corporate in Deutschland erschien. Wie es damals so üblich war, besorgte ich mir ein paar Songs (“Hurricane” und “If You See Jordan”, wenn ich mich richtig erinnere) in sogenannten Tauschbörsen, hörte sie einige Male, packte sie auf Mixtapes und kaufte mir ein paar Monate später dann endlich auch “Leaving Through The Window”. Der erste Song, den ich (eher zufällig) hörte, nachdem meine Eltern mich im Studentenwohnheim abgesetzt und alleine auf den Heimweg gemacht hatten, war “The Astronaut”. Sowas prägt.

Ich wusste damals nicht, wie die Bandmitglieder von Something Corporate hießen, und habe auch nicht allzu sehr auf die Texte geachtet. Als das Zweitwerk “North” (wiederum mit einiger Verspätung) in Deutschland erschien, besorgte ich mir wieder ein paar Songs, dachte aber nicht weiter an die Band. Irgendwann las ich bei visions.de, dass der Sänger an Leukämie erkrankt sei, dachte “Puh” und vergaß auch das wieder.

“North” kaufte ich mir schließlich bei Rasputin Records, als ich im Herbst 2006 für drei Monate in San Francisco lebte. Gemeinsam mit einigen anderen Alben bildete das Album den Soundtrack meines Aufenthalts. Aber richtig los ging die Geschichte erst drei Jahre später.

Im Sommer 2009 stolperte ich bei WDR 2 (of all places) über einen Song mit viel Klavier, der mir sehr gefiel. Wie sich rausstellte, war es “The Resolution” von Jack’s Mannequin von denen ich wusste, dass es die Zweitband des Something-Corporate-Sängers war. Andrew McMahon. Im Sommer und Herbst 2009 habe ich “The Glass Passenger” quasi ununterbrochen gehört. Mein Leben war damals sehr im Umbruch und die Musik begleitete mich dabei. Ich hörte auch wieder die alten Something-Corporate-Alben und achtete diesmal auch auf die Texte — und es klingt doof und nach Selbsthilfegruppe, aber da sprach jemand zu mir. Andrew McMahon sang über Mädchen, die jede Nacht mit einem anderen Typen nach hause gingen und die er retten wollte; über betrunkene Mädchen, die er (also: das Lyrische Ich, so viel Literaturstudium muss sein) geküsst hatte, obwohl er es nicht hätte tun sollen; und darüber, den Kopf über Wasser zu halten und weiter zu schwimmen, bis man den Horizont erreicht. Und ich dachte: “Krass. Ja. Kenn ich.”

Andrew McMahon war gegen die schon erwähnte Leukämie angeschwommen, er sang “I’m alive/ I don’t need a witness / To know that I survived”. Mit der Geschichte im Hinterkopf (Lyrisches Ich am Arsch!) singt man ein bisschen vorsichtiger mit, weil man sich das Ausmaß gar nicht vorstellen kann. Man bekommt aber eine Ahnung davon in dem Film “Dear Jack”, in dem Andy (ich kenne seine Musik jetzt so lange, ich nenn’ ihn einfach mal so) seine Krankengeschichte dokumentiert. Ich habe mir das nur einmal ansehen können, aber es war sehr bewegend und – entschuldigen Sie das Ekelwort – inspirierend.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich glaube, ich habe inzwischen alle Aufnahmen, an denen Andrew McMahon jemals beteiligt war. Er löste nach dem dritten Album auch Jack’s Mannequin auf und veröffentlichte dieser Tage ein neues Album, das wie sein neues Projekt heißt und damit fast wie er selbst: Andrew McMahon In The Wilderness.

Andrew McMahon (Pressefoto)

Nach den ersten Hörproben war ich skeptisch. “Cecilia And The Satellite” war eine durchaus schöne Hymne an die neugeborene Tochter, aber irgendwie klang das alles sehr poppig und damit meilenweit von zumindest Something Corporate weg. Aber das ist offensichtlich Absicht und konsequent zu Ende gedacht: “Driving Through A Dream” etwa könnte bis ins kleinste Detail der Produktion ein Song von Phil Collins sein. Als jemand, der mit Phil Collins aufgewachsen ist und seine Musik bis heute liebt, fühle ich mich dort sofort sehr zuhause.

Normalerweise ist man zwischen 15 und 20 Jahre alt, wenn man sich von Musik direkt angesprochen fühlt — ich habe kürzlich noch mal “Hinter all diesen Fenstern” von Tomte gehört und – hell, yeah! – ich weiß, wovon ich spreche. Dass ich mit 31 noch einmal ein Album auf Dauerschleife laufen lassen würde, hätte ich – gerade vor dem Hintergrund, dass ich im Moment eher wenig zum Musikhören komme – nicht gedacht. Und doch läuft “Andrew McMahon In The Wilderness” bei mir jetzt seit zweieinhalb Wochen rauf und runter. Ich kenne Andrew McMahon nicht persönlich und habe keine Ahnung, ob wir uns verstehen würden, wenn wir uns mal in einer Bar träfen, aber auf eine völlig bizarre Art, die ich sonst nur von ausgewählten deutschsprachigen Textern kenne, fühle ich mich ihm sehr verbunden — was auch damit zusammenhängen mag, dass er nur ein Jahr älter ist als ich und wir beide dieses Jahr zum ersten Mal Väter geworden sind (worauf er gleich in zwei Liedern – dem schon erwähnten “Cecilia And The Satellite” und dem etwas schwachen “See Her On The Weekend” – eingeht).

In fast jedem Song des Albums gibt es mindestens eine Zeile, die ich mir sofort tätowieren (oder zumindest rahmen) lassen würde:”Take all your troubles, put them to bed / Burn down the mission, the maps in your head” (“Canyon Moon”), “I’ve loved some girls that I barely knew / I’ve made some friends, and I’ve lost some too” (“Cecilia And The Satellite”), “You dance with your headphones on and I / Could watch you all night long / Dancing to someone else’s song” (“High Dive”), “There’s only two mistakes that I have made / It’s running from the people who could love me best / And trying to fix a world that I can’t change.” (“All Our Lives”), “Do you ever rewind to the summer you knew me?” (“Black And White Movies”), “No cash in the bank / No paid holidays / All we have is / Gas in the tank / And maps for the getaway” (“Maps For The Getaway”).

Das Gefühl von “Ich verstehe Dich” bzw. “Da ist jemand, der mich versteht” ist so stark, dass ich mich in weniger aufrichtigen Momenten fast selbst beruhigen möchte: Ist ja nur Musik. Nee, ist mehr.

Andrew McMahon In The Wilderness (Albumcover)In Zeitschriften und Blogartikeln werden wir bombardiert mit Generationsbeschreibungen, Labels und Ansprüchen, von denen wir uns gleichzeitig ganz schnell frei machen sollen. Unsere Frauen sollen Familie und Beruf nicht nur unter einen Hut kriegen, sondern das auch wollen — während sie dabei wie Hollywood-Stars und ganz natürlich ausschauen. Unsere Kinder sollen drei Fremdsprachen lernen, die verpassten Chancen von uns und unseren Eltern nachholen und sich dabei frei entfalten können. Und wir Männer sollen gleichzeitig einfühlsam, stark, sportlich und kreativ sein. Vor allem aber, immer wieder: “wir”, dieser lächerliche Fraternisierungsversuch von zehntausenden Ertrinkenden, die sich aneinander klammern. Mit Gefühlen, die irgendwelche Slam-Poetinnen in (geborgte) Worte fassen, woraufhin dann alle anderthalb Tage sehr emo sind, bis Jan Böhmermann eine Parodie darauf veröffentlicht und alle wieder total ironisch sein können.

Da höre ich lieber die Songs von Andrew McMahon.

Ich weiß nicht, wie Menschen dieses Album hören, die vorher gar nichts oder nur wenig von ihm kannten — als eher okayes Pop-Album, vermutlich. Wirklich überall sind Keyboardflächen, auf virtuoses Klavierspiel verzichtet Andy hier ebenso wie auf Gitarren. In einigen Texten verarbeitet er derart deutlich seine eigene Lebensgeschichte, dass ich den meisten Musikern raten würde: “Nimm Dich mal zurück, leg hier nicht alles offen, sei doch auch mal literarisch”. Bei manchen Leuten ertrage ich das nicht (mehr), bei Andrew McMahon aber fühle ich mich zuhause, auch wenn er über Dinge singt, die mit meinem Leben eher gar nichts zu tun haben.

In seinen Texten geht es – daran hat sich nicht viel geändert – um Weltraum, Wasser und Straßen, auf denen er unterwegs ist, also um Menschen in Isolation und in Bewegung. Das erste Jack’s-Mannequin-Album hieß ja nicht umsonst “Everything In Transit”. Bemerkenswert ist da eher, dass Marcus Wiebusch, der Sänger von kettcar, der dieses Jahr auch ein sehr, sehr tolles Soloalbum aufgenommen hat, in seinem Song “Springen” so eindeutig auf Jack’s Mannequins “Swim” Bezug nimmt, dass das eigentlich kein Zufall sein kann: “Halt den Kopf oben” singt er da (“Just keep your head above”) und benennt, wie Andy, einige Gründe, warum man weiterschwimmen sollte: “Schwimmen für die Songs, die noch geschrieben werden”. Zum Beispiel von Andrew McMahon.

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Hallo Endorphin

Als ich auf dem Haldern-Pop-Festival stand, dachte ich so vor mich hin, dass ich im Moment kaum Interesse an melancholischer Musik habe und lieber den ganzen Tag Andrew W.K. höre, und dass mich selbst die großartigsten Konzerte und Platten nicht mehr so packen wie noch vor Jahren. (Immerhin habe ich in diesem Jahr verstanden, dass niemals ein Festival oder Konzert für mich so eine Bedeutung haben wird wie das Haldern 2001, weil niemals mehr eine Band so eine Bedeutung haben wird wie Travis für den 17-jährigen Lukas.)

Dann hörte ich auf WDR2 (einem Sender, den ich Tag für Tag demütig ertrage, weil er mich alle paar Wochen bis Monate mit einem grandiosen Song überrascht, den ich bis dahin gar nicht auf dem Schirm hatte) einen Song, den ich zunächst für einen Oldie hielt. Es handelte sich aber, so erfuhr ich alsbald, um die recht aktuelle Single eines Mannes namens Jonathan Jeremiah:

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Ich habe keine Ahnung, was andere Medien über Jonathan Jeremiah schreiben und wie bekannt er inzwischen ist — und es interessiert mich auch nicht. Ich habe bei iTunes kurz in sein Debütalbum “A Solitary Man” hereingehört und es dann gekauft. Seitdem läuft es nahezu ununterbrochen und lässt mein Leben wirken wie eine sehr luftige romantische Komödie.

Der Klang dieses Albums ist phantastisch. Es klingt, als habe man aus Samples von 60er- und 70er-Jahre-Platten ein neues Album zusammengebaut. Vom Sound des Schlagzeugs über das Flügelhorn bis hin zu den Streichern ist es der Originalklang von Burt Bacharach und Bill Withers. Alles passt so gut zusammen und klingt so authentisch, dass ich mich ständig frage, ob das nicht zu perfekt ist, zu kalkuliert.

Doch nichts an diesem Album wirkt kalkuliert. Es hat den warmen Sound eines sehr sonnigen Herbstnachmittags (die tiefstehende Sonne auf dem Albumcover mag da in die Rezeption mit reinspielen) und die Stimme von Jonathan Jeremiah klingt sehr liebenswürdig und vertraut, wenn er über verlorene Liebe, Einsamkeit und das Zuhause (“where my people live”) singt. Das Album ist 37 Minuten kurz und ich bin jedes mal erstaunt, wenn es schon wieder durchgelaufen ist — obwohl ich die ganzen 37 Minuten mit Gänsehaut und völliger Verzückung zugehört habe.

Ich möchte mich mit Superlativen zurückhalten — zum einen, weil ich immer noch ein bisschen Angst habe, in ein paar Jahren diesen Blogeintrag wiederzufinden und mich in Grund und Boden zu schämen (aber diese Angst lässt minütlich nach), zum anderen, weil ich in den letzten Monaten und Jahren ja durchaus viele tolle Alben gehört habe, die mich durchaus berührt haben (das großartige neue Bon-Iver-Album ist hier im Blog sträflicherweise immer noch unerwähnt, aber das wurde ja sowieso überall abgefeiert). Aber “A Solitary Man” ist schon ein sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr tolles Album.

Bitte kaufen Sie sich das und schenken Sie es allen Menschen, die Sie gern haben!

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Musik

Die Narben der Liebe

Nothing compares,
no worries or cares,
regrets and mistakes
they’re memories made.
Who would have known how bittersweet this would taste?

(Adele – Someone Like You)

Musikalisch machen ja gerade zwei Frauen besonders von sich reden: Einmal Lady GaGa, die letzten Freitag mit viel Bums und Rums ihre neue Single “Born This Way” veröffentlichte, inklusive Countdown und selbst ausgerufenem (nordamerikanischen) Nationalfeiertag (#bornthiswayfriday), die sich am folgenden Sonntag in einem riesigen Plastik-Ei bei den Grammys über den roten Teppich tragen ließ — und Adele. Beide überaus erfolgreich in den Charts der westlichen Welt, verdrängt nun die eine die andere von der Nummer eins der meistverkauftesten Singles. Und doch könnten sie verschiedener nicht sein: Während Lady GaGa ihre Profession über alles stellt und Fleiß und Disziplin als Weg zum Erfolg ernennt, Authentizität predigt und einfordert und den amerikanischen Traum ein weiteres Mal bewirbt, scheint Adele zumindest zeitweise ganz anderen Prinzipien zu folgen. 2008 sagte sie kurzerhand ihre komplette Tour durch Nordamerika ab. Grund: Liebeskummer. Das wäre Lady GaGa nicht passiert.

“I was drinking far too much and that was kind of the basis of my relationship with this boy. I couldn’t bear to be without him, so I was like, ‘Well, OK, I’ll just cancel my stuff then.'” Das ist natürlich alles andere als professionell und besonders gesund klingt es auch nicht, aber erstens war Adele zu der Zeit erst 20 und zweitens haben Menschen mit Gitarren und musikalischem Talent einen unbestrittenen Vorteil, wenn es ihnen schlecht geht: Um zu heilen, können sie das Leid in ein Lied kreativ nutzen. Und während Adeles erstes Album 19 irgendwie ganz nett war, ist 21, der Nachfolger, der momentan so überaus erfolgreich ist, ein episches Album, thematisch komplett auf die zerstörerische Beziehung gerichtet, und reiht sich ganz geschmeidig in eine Reihe klassischer Trennungsalben ein, soll heißen: Im Rückblick werden alle Phasen noch mal durchlebt. Die erste Verliebtheit, die schönen Momente, das Ewigkeitsgefühl. Dann die ersten Risse, Unstimmigkeiten, die erste Trennung, die Versöhnung, die Zweifel dabei, dann das zweite Ende (diesmal aber wirklich!), eine selbstauferlegte Kontaktsperre, und dann, ganz bitter: Die Nachricht, dass der immer noch geliebte Mensch in einer neuen Beziehung ist und, in Adeles Fall, sogar heiratet.

Es ist eine alte Geschichte, doch immer wieder neu. Brauchen Menschen so was? Unbedingt.

Wir leben in weltkriegslosen Zeiten, in ereignislosen Zeiten, Ägypten hin oder her. Max Goldt machte diesen Zustand einst für den Jungmännerzynismus verantwortlich, für verhärtete Herzen, zur Biografielosigkeit verdammt. Das einzige, was den meist betäubten Menschen dieser Zeiten wirklich aufbricht und verändern kann, ist oft ein ordentlicher Liebeskummer, der alle sicher geglaubten Überzeugungen raubt und alles neu denken lässt. Ist das melodramatisch? Aber sicher. Nur: Was sollte man 2011 sonst wohl tun? Adele hat, davon ist auszugehen, ein Dach über dem Kopf und genug zu essen, ist also in der Position, sich ordentlich in das Leid zu begeben und zu fühlen, was es zu fühlen gibt. Textlich hat sie sich nicht reinreden lassen, musikalisch jedoch war sie beraten von Rick Rubin (Johnny Cash, Red Hot Chili Peppers) und Paul Epworth (Plan B, Bloc Party) – das Ergebnis ist ein Album, das nebenher beim Bügeln laufen kann, textlich und musikalisch aber so groß ist, dass es als permanenter Lebensbegleiter taugt. Denn Adele hat was zu sagen.

Alle Phasen einer Trennung werden hier durchlebt: “Rollin’ In The Deep”, die erste Single und aktuell noch Platz1 der deutschen Charts (bevor es nächste Woche von “Born This Way” der fleißigen, authentischen, pflichtbewussten Lady GaGa verdrängt werden wird), ist in bester Alanis Morissette-Tradition sehr klar und zornig an den ehemals Geliebten gerichtet: “We could have had it all!”, aber anders als Alanis im Trennungsklassiker “You Oughta Know”, verweist Adele auf ihre Wunden, auf ihre Verletzungen, die Narben, die die Liebe hinterlassen hat – es ist Krieg, der ganz persönliche Weltkrieg. Sympathischerweise ist das Album dann auch thematisch nicht in klassische Trennungsphasen aufgeteilt, sondern schwankt von Lied zu Lied zu unterschiedlichsten, widersprüchlichsten Gefühlen – von Wut zu tiefster Trauer, zum Leugnen, zur Kultivierung der schönen Gefühlen, vom Selbsthass zur Selbstüberhöhung – gleich der zweite Track “Rumour Has It” kommt mit einem Grundton daher, der an das Fallen von Bomben erinnert, Einschläge der Wortfetzen, die man so hört: Ich hab gehört, du liebst sie nicht mehr, verlässt sie für mich, aber haha, ich verlasse dich für ihn!

Und so geht es weiter, es wird geschluchzt und geklagt: Erinnerst du dich nicht mehr an unsere Liebe, warum du mich mal geliebt hast? (“Don’t You Remember?”), wenn du gehst, dann nimmst du mich mit, dann bin gar nichts mehr (“Take It All”), und so weiter. Der Höhepunkt des Album ist aber der letzte reguläre Track: “Someone Like You”, der das scheinbar endgültige Ergebnis des hin und her markiert: Der geliebte Mensch ist nun verheiratet, und es bleibt nur, ihm und der neuen Frau das allerbeste für die Zukunft zu wünschen, wenn man nicht das Gesicht verlieren will. Der Zurückgebliebenen bleibt nur das Beharren auf den eigenen Schmerz, das Zurückgewinnen der Souveränität durch das Ausrichten der besten Glückwünsche. Die Bitte, nicht vergessen zu werden, ist natürlich fürchterlich unemanzipiert und gipfelt im Trost, das man jemanden finden wird, der dem Geliebten ähnlich ist — anstatt den Kopf zu heben und zu sagen: Nee, der nächste wird sehr anders als du! Aber Liebeskummer folgt keiner Logik. Es kommt immer alles ganz überraschend und es ist immer wieder neu. Denn wer hätte je gedacht, dass das alles so bittersüß endet?

Hinzu kommt, dass Adele eine fantastische Sängerin ist, ein Beweisvideo sei hier zum Schluss eingefügt. Bitte leiden Sie mit Adele und werden ein besserer Mensch.

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Spexen für Anfänger

Wir Sind Helden haben ein Album veröffentlicht, das unsere Autoren spaltet: Katharina Schliebs ist begeistert von seiner Tiefe, Lukas Heinser wollte es nach zwei Durchgängen eigentlich nie wieder auflegen. Gemeinsam haben sie sich noch einmal durch “Bring mich nach Hause” gehört und ihre Eindrücke in ein Chatfenster geschrieben.

Herausgekommen ist so etwas ähnliches wie ein Text:

Katharina: “In den Bibliotheken städtischer Ballungen / stapeln sich Bücher über läppische Wallungen / neben Bänden voller Lieder über Beulen und Schräglagen / und die Wände hallen wieder vom Heulen und Wehklagen.” — Was für ein großer Text über die Kleinigkeiten, die zur Soap des Lebens aufgeblasen werden.
Lukas: Den Song würde ich glaub ich skippen, wenn ich das Album hören würde.
Katharina: Der ist unglaublich schön in seiner zarten Subtilität. Gänzlich undramatisch fließt es so dahin, und diese Trompete ist wunderbar. (Ist es eine Trompete?) Ich hab den gestern im Zug immer wieder auf repeat gehört. Dieses Album ist eben etwas schwerer zugänglich.
Lukas: Ich find dieses “Drama-Dramatiker” im Refrain so unfassbar nervtötend.
Katharina: Ja, aber da haben wir eine Überschneidung von Text/Musik/Aussage. Das ist so fein aufgebaut: Die Mädchen regen sich über die Jungs auf, die Jungs über die Mädchen, und die Renter stehen für die Zuschauer, die dann auch noch einen guten Rat parat haben – Frühvergreisung der Besserwisser Anfang 20… ach! Und alles ist immer so dramatisch, dabei pupst das Leben einfach unspektakulär vor sich hin. Und Judith Holofernes sagt im Interview: Es ist Zeit, mal weniger zu wollen und die Dinge einfach mal geschehen zu lassen.
Lukas: Das sagt sich natürlich leicht, wenn man gerade ein Album aufgenommen hat, auf dem man definitiv zu viel gewollt hat.
Katharina: Hat man? Ich find nicht!
Lukas: Das dritte Album war ja schon ein bisschen überambitioniert, aber das neue lässt mich noch ratloser zurück als Tocotronic. Vielleicht bin ich auch einfach nicht gebaut für Intellektuellen-Pop.
Katharina: Ja, das ist schade, dass es vielleicht zu “intellektuell” und damit schwerer zugänglich ist… andererseits müssen WsH auch keine Ansprüche erfüllen. Judith hat auch gesagt, sie hätte schon beim 3. Album etwas dämonisch gedacht: “Mal gucken, wer da jetzt noch mitkommt.”
Lukas: Was natürlich eine schöne Weiterentwicklung vom Slogan-Pop des ersten Albums ist. Wobei die Slogans ja nur verschachtelter geworden sind.
Katharina: Das ganze Album ist im Prinzip das erste und das zweite Album nur in besser! Die Themen sind die gleichen, immer!
Lukas: Na, die Themen sind bei ungefähr jeder Band immer dieselben.
Katharina: “Dramatiker” wäre zum Beispiel “Geht auseinander”.
Lukas: Dieser Sprachwitz, der bei “Die Zeit heilt alle Wunder” noch charmant und unverbraucht war (obwohl das im Rückblick auch näherungsweise albern ist), ermüdet mich auf die Dauer. Das wird so Christian-Morgenstern-mäßig, Heinz-Erhardt-esk.
Katharina: Ja, aber irgendwie find ich das immer noch lustig: Dramatiker, Batiker, Statiker, Talarsticker, Starkicker. “Wer zu viel frisst aus Frust verlässt danach oft die Bar dicker” — ich muss immer grinsen. Und das ist ja nur das eine Lied! Warte mal die anderen ab!

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It’s in my honey, it’s in my milk.

The National - High Violet (Albumcover)

Eigentlich wollte ich keinesfalls so beginnen, um nicht später der Stringenz und Logik meiner Erzählung und der damit verbundenen Zeitleiste wegen in die Pflicht genommen zu werden, aber: Mein erstes Konzert der Band The National war, wenn ich recht erinnere, am 1. Dezember 2005. Ihr drittes Album “Alligator” war gerade im Mai erschienen. Der einzige Grund, warum ich es besaß, war der, dass ich eigentlich nach der damaligen im Nachhinein betrachtet überaus drögen Platte von Grand National Ausschau gehalten hatte und mich aber an den Namen der Band nicht mehr so ganz richtig erinnern konnte. Ein halbes Jahr später erklärte man “Alligator” und den Vorgänger “Sad Songs For Dirty Lovers” in mehreren Vollversammlungen meiner damaligen Peer Group zum Besten, was man jemals gehört hatte.

Ich war gerade im Oktober nach Berlin umgezogen, wo meine einzige Außer-Haus-Beschäftigung für zwei Monate darin bestand, aus einem Call-Center dem gesamtdeutschen Branchenbuch teure Drucker und Kopierer aufzunötigen (wofür ich mich sicherlich dereinst vor irgendeiner moralischen Höchstinstanz zu rechtfertigen haben werde). In meinem etwas unterkühlten Zwischen- bzw. Untermietverhältnis beschäftigte ich mich indes mangels sozialer Kontakte ausschließlich mit dem Hören von Feists “Let It Die” (wegen des überraschend zur Gesamtsituation passenden Titeltracks) und den beiden oben erwähnten Alben von The National. Nach einiger Zeit konnte ich alles fast so gut auswendig wie einige ältere Semester alle Dialoge der originalen Star-Wars-Trilogie herunter zu beten imstande sind. Das half natürlich meiner realen Lebenssituation nur bedingt und würde vermutlich auch keinen Studienplatz aus dem blauen Himmel auf mich hernieder fallen lassen, und so musste ich doch irgendwann, allen Stolzes beraubt und mit einigermaßen tief hängendem Kopf, den vorzeitigen Rückzug antreten und in meine Heimatstadt zurückgekrochen kommen. Nach einem halb gefüllten Konzert im Berliner Magnet-Club, das eine erstaunlich wohltuende und unaufregende Wirkung hatte, schlief ich drei Stunden und machte mich am am Morgen des 2. Dezember 2005 alleine mit einem viel zu kleinen Mietwagen auf den Weg. Dank meiner überstürzten Packtechnik, aufgrund derer alle meine CDs am hinteren unteren Ende des Wagens unter Büchern und einem Regal eingeklemmt waren, war ich gezwungen, die gesamte Fahrt über etwa neun Mal The Nationals am Vorabend erstandenes selbstbetiteltes Debut-Album durchlaufen zu lassen.

Mittlerweile ist das natürlich alles vergessen und die schlechten Erfahrungen vollkommen obsolet. Was ich aber damit sagen möchte: So etwas schweißt einen natürlich unwiderbringlich an so eine Band. Deswegen werde ich nicht einmal versuchen, Objektives über “High Violet”, das soeben erschienene fünfte Album der Band, abzugeben. Bitte verzeihen Sie mir!

Im Großen und Ganzen verläuft das Hören der knapp 50 Minuten genauso wie immer, wenn man große Angst hat, dass dies nun endlich diese Sell-Out-Enttäuschung ist, auf die man immer gewartet hat: Man zwingt sich, übermäßig kritisch an das Ganze heranzugehen und hört natürlich an jeder Ecke Dinge, die es so vorher nicht gab und mit denen sich zunächst angefreundet werden muss, und erwischt sich dann doch dabei, auf eine mittelmäßig schizophrene Art eine Verteidigungshaltung einzunehmen. Unterhaltsam ist das möglicherweise für den imaginären Beobachter. Die Wahrheit ist: Geigen, Posaunen, Trompeten und Klavier kannte man bereits aus dem 2007 erschienenen “Boxer”, und obwohl dies durchaus Instrumente sind, die aufgrund von übermäßiger Verwendung einen Kitsch-Effekt auslösen können, der seinesgleichen sucht, war vorher schon klar, dass sich hier nichts davon übel in den Vordergrund spielen würde. Weil das nunmal einfach nicht so The Nationals Art ist, überhaupt einen Vordergrund zu haben. Vielmehr präsentiert sich einem hier ein verschwommenes Bild aus verschiedensten Melodien, die im Zusammenspiel einen Teppich ergeben. Viel mehr als Akkordwechsel können dann gar nicht mehr vernommen werden, allenfalls ruft das schnörkelfreie, repetitive Schlagzeug Unterbrechungen und Akzentuierungen hervor. Wenn das mal nicht ein Idealziel in einer Band mit zuweilen drei Gitarren sein sollte: Über weiteste Strecken selbstlose Songdienlichkeit, frei von breitbeinigem Muckertum und Sportgitarrensolos.

Was aber außergewöhnlich ist: Vieles ist hier plötzlich heiter oder sogar lustig. Irgendwo habe ich neulich gelesen, dass der Sänger der Band, Matt Berninger, mit einem permanenten Marker das Wort “Happiness” an eine Wand in seiner Wohnung geschrieben haben soll, da der Plan war, ein fröhliches Album aufzunehmen. Das ist nun musikalisch gründlich in die Hose gegangen, und auch an Textzeilen wie “Sorrow found me when I was young. Sorrow waited, sorrow won.” ist so wahnsinnig viel rheinischer Witz nicht zu sehen. Dennoch gibt es wie auch in dieser Zeile Punkte, an denen augenscheinlich eine ironische Brechung vorgenommen werden musste, weil man die ganze Trauer sonst einfach nicht ausgehalten hätte. Der Song “Lemonworld” sagt im Refrain “You and your sister live in a lemonworld, I want to sit in and die.” und wer hier unbedingt an das plumpe, bodenlose Selbstmitleid glauben will, dem sei das erlaubt. Weil man solche Augenscheinlichkeit nicht von The National gewöhnt ist, darf schätzungsweise auch davon ausgegangen werden, dass hier ein Protagonist genug hat vom ständigen Verarbeiten und sich auch gerne ein wenig darüber lustig machen möchte. In “Conversation 16”, einem Song, den Berninger auf dem Konzert letzten Samstag im Berliner ‘Huxley’s’ mit den Worten “This is a love song. About cannibalism.” ankündigte, heißt es: “I was afraid that I’d eat your brains cause I’m evil”. Trauer setzt ja nun doch einiges an Ernst voraus. Was jedoch an dieser Zeile ernstzunehmen ist, kann ich mir beim besten Willen nicht anmaßen zu behaupten.

Letztlich sprießen diese Songs ja dann doch tendenziell vor “Es wird wieder!”-Schulterklopfern, und wann hat man denn so eine simple Botschaft zuletzt in Popmusik gut gefunden? Abgesehen davon, dass mir diese Gruppe nun sowieso nichts mehr vergällen kann, nachdem auch die fünfte Platte sich als etwas herausgestellt hat, das ich innerhalb von drei Tagen locker 15 Mal ohne jede Langeweile oder Lust auf etwas anderes durchhören kann, ist zumindest eine objektive Erkenntnis, die ich Ihnen anbieten kann, die eben erkannte: Es wird wieder! Wenn der Berninger das schafft, dann schaffen wir das auch. Ob es natürlich gesund ist oder gut für mein anderweitiges musikalisches Interesse, dass ich seit dem Erscheinen von High Violet vielleicht zwei andere Bands gehört habe, steht jetzt natürlich nicht auf diesem Blatt. Darüber reden wir dann in ein paar Monaten!

Zum Abschied gibt es hier übrigens noch das aktuelle Video der Auskopplung “Bloodbuzz Ohio” zu sehen. Vielleicht lachen wir ja auch ein Bisschen.

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The National – “Bloodbuzz Ohio” (official video) from The National on Vimeo.

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Nichts mit Waterloo

Das Maß, in dem britische Nachwuchsbands häufig gehypt werden, ist für Deutsche oft überraschend. Aber in Großbritannien gibt es eben relevante Musikzeitschriften, die noch dazu teils wöchentlich erscheinen und deshalb viel mehr Künstler aufs Cover packen können, und man hat eh ein anderes Verhältnis zur Popkultur.

Oh, Napoleon live

Dass eine deutsche Nachwuchsband schon renommierte internationale Acts supporten darf, bevor sie selbst auch nur irgendwas veröffentlicht hat, kommt dagegen eher selten vor. Oh, Napoleon ((Bandnamen, die Satzzeichen enthalten, stören den Lesefluss leider immer ein bisschen (vgl. Therapy?, WHY?, Get Cape. Wear Cape. Fly, Portugal. The Man oder Loney, Dear) — aber schöner als der vorherige Bandname Your Dumb Invention ist Oh, Napoleon auf alle Fälle. Außerdem gibt es einen Song von The Acorn, der “Oh Napoleon” heißt.)) haben schon mehrfach vor Portugal. The Man und Starsailor (bei denen ich sie auch entdeckt habe) gespielt, ihre erste EP ist aber erst vor elf Tagen erschienen.

Gut, man sollte an dieser Stelle vielleicht erwähnen, dass die Band von Marc Liebscher (Sportfreunde Stiller) gemanagt wird, einen Vertrag mit Universal hat und auch sonst über einige wichtige Förderer verfügt. Das macht die Sache mit den Support-Slots vielleicht einfacher, aber solche Hintergründe nützen auch nicht viel, wenn die Musik nicht stimmt.

Oh, Napoleon liveAber wie die Musik stimmt: Fand ich die Band live schon ziemlich gut, vermisste aber so ein bisschen die Spannung, hat mir die selbstbetitelte Debüt-EP vom ersten Moment an die Schuhe ausgezogen. Der Sound, für den Produzent Oliver Zülch (noch so ein großer Name: The Notwist, Slut, Die Ärzte, Juli, …) verantwortlich zeichnet, ist glasklar. Die Gitarren, das Klavier und die Rhythmusgruppe bilden eine sehr gute Grundlage für die – Hilfe, ich muss schon wieder eine ausgelutschte Musikjournalistenvokabel benutzen! – ausdrucksstarke Stimme der Sängerin Katrin Biniasch.

Die vier Songs erinnern an Kathleen Edwards, ((Ja ja, zugegeben: Ich hab auch ewig gebraucht, um Regina Spektor zu entdecken. Aber wie kann es denn sein, dass Kathleen Edwards hierzulande derart übersehen wird?)) die Cardigans in ihrer “Long Gone Before Daylight”-Phase und diverse amerikanische Singer/Songwriterinnen, die man vor allem aus dem Soundtrack von “Dawson’s Creek” kennt. Folkpop im besten Sinne, ideal für den Herbst und sicherlich auch voll radiotauglich.

Der Opener “To Have (To Lose)” ist schwungvoll, danach geht es entspannt zu. In den Texten geht es um Beziehungsenden, Einsamkeit und Liebe, “K” ist mit seinem etwas repetitiven Refrain bei mir am nachdrücklichsten hängen geblieben. Und wenn die Männerstimmen in “A Book Ending” nicht mehr nur formvollendete “Uuuuuh”-Chöre bilden, sondern mit eigenem Text und Gesangslinie in den Lead-Gesang reingrätschen, ((Na ja, vielleicht schmiegen sie sich auch eher an den Lead-Gesang an. Gegrätscht wird bei Oh, Napoleon nicht.)) ist das noch mal ein ganz großer Gänsehautmoment.

Seit langem (also: seit First Aid Kit im Februar) hat mich kein Newcomer so sehr begeistert wie Oh, Napoleon. War Krefeld musikalisch bisher nur durch Blind Guardian und Andrea Berg aufgefallen, ((Parallelen zu anderen niederrheinischen Städten mit berühmten Popschlagerinterpreten und Nachwuchsbands deuten sich am Horizont an.)) könnte sich das Dank dieser fünf unverschämt jungen Musiker schon bald ändern. Ich weiß nicht, ob es in Deutschland einen Markt für solche Musik gibt, ((Und ob man auf dem nicht ein ähnliches Schicksal erleiden könnte wie das One-Hit-Wonder Bell, Book And Candle.)) aber ich denke schon, dass Oh, Napoleon sehr schnell den Status des Geheimtipps loswerden dürften. Im Frühjahr 2010 soll das Album erscheinen — bis dahin werde ich die EP vermutlich ein paar hundert Mal gehört haben.

Oh, Napoleon - Oh, Napoleon EP (Cover)
Oh, Napoleon bei MySpace
Oh, Napoleon bei Vertigo
EP hören bei last.fm

Livefotos: © Martina Drignat.

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Musik

Get The Patina Started

Im Mai 2006, keine vier Monate, nachdem ich ihm die Kilians-Demo in die Hand gedrückt hatte, trafen Thees Uhlmann und ich in der Bochumer Zeche erneut aufeinander. Thees war Juror beim Nachwuchsbandwettbewerb einer großen Brauerei, ich war Zuschauer und diesmal völlig unschuldig. Es spielten drei oder vier oder fünf Bands und ich kann mich noch an zwei erinnern: die eine spielte Ska und hatte ihren ganzen Fanclub mitgebracht, die andere spielte Akustikrock und hatte den Vater eines Bandmitglieds als Percussionisten dabei.

Letztere Band hieß Black Rust und kam aus Ahlen. ((Ich werde mich hüten, irgendwas über kleine Städte zu schreiben, aus denen Bands kommen.)) Sie gewann die Publikumsabstimmung, ich erschwatzte mir am Merch-Stand eine Demo-CD für den Radioeinsatz ((Mir fällt in diesem Moment ein, dass ich die CD nie zur Abhörsitzung bei CT das radio mitgenommen habe. Ich bin gerne bereit, die zehn Euro nachträglich zu bezahlen, weil dieses Verhalten unentschuldbar ist — aber auch unerheblich für den weiteren Verlauf der Geschichte.)) und die Band spielte ein paar Wochen später – history does repeat – als Support für Tomte. Das Area-4-Festival, für das man bei dem Nachwuchswettbewerb einen Auftritt gewinnen konnte, fand nie statt.

Danach spielten Black Rust noch beim Haldern Pop 2007 (wo ich sie verpasste) und fortan hörte ich nichts mehr von ihnen. Um so überraschter war ich, als ich im letzten Dezember plötzlich hörte, dass die Band bald ihr offizielles Debütalbum veröffentlichen würde — produziert von niemand geringerem als dem Sophia-Mastermind Robin Proper-Sheppard.

Okay, von den Einflüssen des Düsterpop-Mannes hört man auf “Medicine & Metaphors”, das am heutigen Freitag erschien, auf Anhieb nicht ganz so viel, aber sowas spricht ja eher für die Band und ihre eigenen Qualitäten. Black Rust spielen Folkrock im weitesten Sinne, der mal nach Counting Crows, mal nach Goo Goo Dolls und mal an die Wallflowers erinnert. Musik amerikanischer Prägung also, die man sich wunderbar als Untermalung irgendwelcher romantischer Komödien und höherwertiger TV-Serien vorstellen kann.

“Empty Park. Empty Street.” erinnert stark, aber nicht zu sehr, an Ryan Adams und seine alte Band Whiskeytown; “Silent Lament” hat eher was von Damien Rice, weil es einerseits sehr reduziert mit einem Klavier und der angenehmen Stimme von Jonas Künne daherkommt, andererseits Dank eines Streichinstruments ((Da merkt man meine sehr begrenzte Kompetenz im Bezug auf Musikinstrumente, die nicht in meinem Keller stehen.)) eine enorme Opulenz entwickelt.

Ob es gleich 13 Songs und fast 57 Minuten Spielzeit voller Akustikgitarren, Kontrabässe und Mandolinen sein mussten, ist allerdings eine berechtigte Frage. Schlecht oder störend ist dabei kein einziges Lied, aber es zieht sich halt etwas, bis das Album schließlich mit dem Übersong “Marlene (6:54 Minuten, inkl. Wieder-Fade-In) seinen krönenden Abschluss findet.

Man ist versucht zu schreiben, dass Black Rust “erfrischend un-deutsch” klängen, aber dafür müsste man erstmal sagen, welche englischsprachige Band aus Deutschland eigentlich “deutsch” klingt. Jetzt von Reamonn mit ihrem irischen Sänger mal ab.

Black Rust - Medicine & Metaphors (Albumcover)
Black Rust – Medicine & Metaphors

VÖ: 30. Januar 2009
Label: Strange Ways
Vertrieb: Indigo

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Musik

Chinese Delivery

Vor zehn Tagen ist “Chinese Democracy” von Guns N’ Roses erschienen, ein Album der Superlative: 14 Jahre in der Mache, Gesamtkosten von geschätzt 13 bis 15 Millionen Dollar, mindestens sechs verschiedene Gitarristen.

Während angeblich bis zum Frühjahr dieses Jahres an “Chinese Democracy” gearbeitet wurde (was man angesichts des satten Neunziger-Sounds kaum glauben mag), lag ein anderes Album einfach neun Jahre lang auf Halde:

Am 26. Oktober 1999 sollte “Portable Life” erscheinen, das zweite Album von Danielle Brisebois. Deren Debütalbum “Arrive All Over You” von 1994 hatte sich trotz elf wunderbarer Powerpop-Songs kaum verkauft und die New Radicals, deren Bandmitglied Brisebois neben ihrem Songwritingpartner und Produzenten Gregg Alexander war, hatten sich nach ihrem weltweiten Megahit sofort wieder aufgelöst. Das Verhältnis zwischen den Plattenfirmen und allem, wo Brisebois/Alexander drauf stand, war also ein eher gespanntes. Warum RCA Records aber “Portable Life” nicht veröffentlichte, nachdem man schon Promo-Kopien an Musikjournalisten versandt und die Single “I’ve Had It” nebst Video fertiggestellt hatte, lässt sich bis heute nicht genau rekonstruieren.

So blieb das Album irgendwo liegen, während RCA als Teil von BMG zu SonyBMG fusionierte und Danielle Brisebois Hitsingles für Natasha Bedingfield und Kelly Clarkson schrieb. Bis zum 30. September dieses Jahres wusste niemand etwas genaueres über den Verbleib der zwölf Songs, zu denen auch “Everything My Heart Desires” (aus dem Soundtrack zu “Besser geht’s nicht”) und eine neue Version des “Arrive All Over You”-Songs “Just Missed The Train” gehörten — dann tauchte das Album plötzlich im iTunes Musicstore und als Download bei Amazon.com auf.

Man merkt dem Album seine lange Lagerzeit nicht unbedingt an: Es sind gute Popsongs, die mal mehr, mal weniger druckvoll, mal mehr, mal weniger melancholisch klingen. Manche haben großartige Titel wie “Stop It Hurts You’re Killing Me Don’t Stop” oder “If I Died Tonight You’d Have To Think Of Me” und insgesamt fragt man sich, warum Dido oder Kelly Clarkson eigentlich so einen riesigen Erfolg haben und Danielle Brisebois nicht.

Danielle Brisebois - Portable Life (Albumcover)
Danielle Brisebois – Portable Life

VÖ: 30. September 2008 / 26. Oktober 1999
Label: RCA Records
Vertrieb: SonyBMG (digital) / BMG Entertainment

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Musik

Track by track: Tomte – Heureka

Ich habe diesen Text wochenlang vor mir hergeschoben, aus einem einzigen Grund: Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich einen Disclosure setzen soll oder nicht.

Wenn ich schriebe, dass ich schon seit längerem riesiger Tomte-Fan bin, mit Tomte-Sänger Thees Uhlmann schon einige Male verschiedene Alkoholika zu mir genommen habe, und ihm eine Demo der Kilians zugesteckt habe, woraufhin er die Band ganz groß rausgebracht hat, könnte mir das leicht als eitle Protzerei ausgelegt werden.

Wenn ich es nicht schriebe, käme aber garantiert jemand an, der mir noch engere Beziehungen zu Band, Sänger und Label unterstellen und mich als Beispiel für die Verlogenheit und den Inzest im Musikjournalismus hinstellen würde.

Suchen Sie sich also aus, ob Sie die nun folgende Track-by-track-Analyse des neuen Tomte-Albums “Heureka” mit oder ohne Disclosure im Hinterkopf lesen wollen.

Wenn Ihnen die Textzeilen

Und wir heben unser Glas in Demut
Ich erinner’ mich an alles und jeden
Such Dir jemanden, der Dir nicht wehtut
Du nennst das Pathos, und ich nenn’ es Leben

allerdings schon Zuviel des Guten sind, sollten Sie aber sowieso nicht weiterlesen.

Und jetzt fange ich endlich an:

Heureka
Einen Titeltrack auf einem Tomte-Album gab es zuletzt auf “Eine sonnige Nacht”, aber diese Information hat allenfalls statistischen Wert, denn “Heureka” beginnt mit einem Klavier. Thees Uhlmann singt Zeilen, die ausschließlich aus Vokalen bestehen, und hört damit in den nächsten 51 Minuten nicht mehr auf. “Du bist nicht gestorben: Heureka!”, jubiliert er im Refrain und schließt mit “Man vermisst, was einen jeden Tag umgibt”. Die küchenpsychologische Deutung: trotz aller Widrigkeiten und Umbesetzungen sind Tomte immer noch da und jetzt wollen sie weitermachen.

Wie ein Planet
Iggy Pops “Passenger” klopft sehr deutlich an, ehe Herr Uhlmann erstmal leiden darf. Im Refrain schwingt es im Vier-Viertel-Takt Sixties-mäßig vor sich hin. “Das ist die Zeit, das Leben sei schön”, heißt es im Refrain und aus dieser Jetzt-erst-Recht- und Das-passt-schon-alles-Umarmung kommt der Hörer auch nicht mehr raus.

Der letzte große Wal
Die Single. Nach einer Eingewöhnungsphase ein unglaublich großer Song. Der letzte Überlebende in einer Welt, in der sich alles geändert hat: Thees Uhlmann? Vielen Musikern würde ich so viel Selbstvertrauen und Ich-Bezogenheit übel nehmen, bei Uhlmann passt das einfach: man weiß, dass er ungeschützt hinter jedem “Ich” steht, dass er meint, was er singt. Andererseits ist spätestens jetzt die Gelegenheit, das erste Mal Dennis Becker zu loben, den vermutlich besten Gitarristen des Landes.

Wie sieht’s aus in Hamburg?
Auf “Buchstaben über der Stadt” ging es noch um “New York”, jetzt ist’s eine Nummer kleiner: Der zurückgelassene Freund in Hamburg bekommt das Denkmal gebaut, das er verdient hat. Der Refrain schrammt mit Akustikgitarre, Klavier und Satzgesang haarscharf an der Cheesyness vorbei, dann kommt ein zweistimmiges Gitarrensolo. Das wird ja über Uhlmann und seine Texte gern vergessen: wie gut die alle als Musiker sind.

Voran voran
Orgel. Bedeutungsschwere. Coldplay-Gefühl. Und dann plötzlich Elektrobeats. Spätestens jetzt wird klar, dass Tobias Kuhn (Ex-Miles, Monta) als neuer Produzent genau den frischen Wind gebracht hat, den eine Band auf dem fünften Album braucht. Der Refrain ist so sehr Stadionhymne, dass man die geschwenkten Feuerzeuge förmlich riechen kann. “Ich ziehe das durch”, singt Uhlmann und wer hätte das Recht, das in Frage zu stellen.

Küss mich wach Gloria
Musikalisch ist es England zwischen den Siebzigern und Achtzigern, trotzdem braucht das Lied gut zweieinhalb Minuten, um aus dem Quark zu kommen. Das oben aufgeführte Pathos-Zitat stammt hierher und ich kann mir gut vorstellen, dass man dieses Lied unglaublich schlimm und prätentiös finden kann. Nur: ich mag es. Uhlmann braucht halt seine persönlichen “Live Forevers”.

Es ist so dass Du fehlst
Akustikgitarren, Dreivierteltakt, Einsamkeit. Irgendwie klingt auch das nach Coldplay, aber nach deren Debüt. Melancholie und Zuflucht, “Du bist das Beil, ich bin der Wald”. Schön, aber ein bisschen was fehlt dann doch.

Und ich wander
“Du schlägst Dich durch Dein Leben wie ein Kolibri fliegt” ist natürlich auch wieder so ein Zitat, bei dem es sehr darauf ankommt, von wem es stammt. Die Musik klingt genauso wie die besungene Wanderung (“durch die warme Nacht”) und wenn man dieses Lied unterwegs auf dem MP3-Player hört, fühlt man sich so verstanden und beschützt.

Du bringst die Stories (Ich bring den Wein)
Schon musikalisch ist es Lied unglaublich _uplifting_. Dass Uhlmann offenbar einmal mehr eine Männerfreundschaft besingt, wirft die Frage auf, ob Frauen Tomte eigentlich genauso schätzen. “Wenn Du nichts mehr hast, hast Du immer noch mich, denn ich plane zu bleiben, mein Freund!” — Was müssen das für glückliche Menschen sein, die solche Lieder geschrieben bekommen?

Das Orchester spielt einen Walzer
Als ich “Heureka” zum ersten Mal hörte, ging ich zu Fuß durch die niederrheinische Landschaft. Bei diesem Lied saß ich unten am Fluss und starrte auf das Wasser. Insofern ist das Lied für mich vielleicht mit etwas zu viel Dramatik und Bedeutung aufgeladen, und ehrlich gesagt ist es das schwächste Lied auf dem Album. Trotzdem kommt hier die zentrale Zeile des Albums vor: “Mein Gott, ist das Leben schön”. Wenigstens für einen Moment sollte die Frage erlaubt sein, ob glückliche Künstler nicht unerträglich sind.

Nichts ist so schön auf der Welt wie betrunken traurige Musik zu hören!
Ja, die Songtitel auf diesem Album sind mitunter etwas überambitioniert. Und mit den Tomte-Liedern über Musik könnte man ein eigenes Album füllen. Und überhaupt: sechs Minuten! Wir befinden uns halt mitten in dem Teil der Platte, den ich objektiv als eher mäßig gelungen bezeichnen würde. Wie das Lied allerdings in der Mitte plötzlich loslegt und sich um sich selbst windet, das ist schon sehr Seattle in den frühen Neunzigern. Man weiß, wie es gemeint ist.

Dein Herz sei wild
Irgendwann zwischendurch hatten Tomte auch mal die Back-to-the-roots-Parole ausgegeben. Sie manifestiert sich in diesem Viereinhalb-Minuten-Stück, das auch auf den ersten beiden Alben hätte sein können. Irgendwie auch mehr ein “Pfffffff!”- als ein “Wow!”-Lied.

Voran voran (Laut)
Nochmal “Voran voran”, diesmal The Clash statt Coldplay. Das macht es natürlich anders, aber auch gut. Als Rausschmeißer ist dieser Bonustrack deutlich besser geeignet als “Dein Herz sei wild”, denn er macht die vorherigen Hänger wieder wett.

Fazit
So großartig das Album zu Beginn ist, so sehr baut es doch nach hinten hinaus ab. Zehn Songs statt 13 hätten es auch getan, denn dann stünde es “Hinter all diesen Fenstern” und “Buchstaben über der Stadt” in nichts nach.

Man muss “Heureka” aber wohl als Selbstfindungsprozess und Standortbestimmung hören. Immerhin hat man es hier mit einer Band zu tun, die im Vergleich zum Vorgängeralbum quasi zur Hälfte umgestellt wurde (Timo Bodenstein und Olli Koch raus; Max Martin Schröder am Schlagzeug, statt an den Keyboards; Simon Frontzek an den Keyboards), und die sich gleichzeitig weiterentwickeln und auf ihre Wurzeln besinnen will. Gemessen daran ist “Heureka” erstaunlich rund und stimmig geworden.

Die Hymnen sind noch ein bisschen größer geworden, die Rocker wieder ein bisschen wütender. Tomte sind immer noch da und sie planen zu bleiben. Und Thees Uhlmann ist der letzte große Wal.

Tomte - Heureka (Albumcover)
Tomte – Heureka

VÖ: 10.10.2008
Label: Grand Hotel van Cleef
Vertrieb: Indigo

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Musik

Alte Helden, neue Alben

Die tragische Geschichte, wie ich vor neun Jahren die “Rolling Stone Roadshow” mit Ben Folds Five, Travis und Gay Dad ignorierte, habe ich ja schon mehrfach erwähnt.

Offenbar hat sich mein Karma-Konto aber in der Zwischenzeit so weit aufgeladen, dass mir das Schicksal zumindest eine grobe Revanche anbietet: am 22. November spielen Ben Folds und Travis (sowie Fleet Foxes, Glasvegas, The Rascals und Donavon Frankenreiter) gemeinsam in der Essener Grugahalle. Also Weihnachten, Geburtstag und Ostern für mich. Ob Folds wie beim Tourfinale vor neun Jahren nur mit einem Cowboyhut bekleidet bei Travis die Bühne stürmen wird, wird sich zeigen.

Vorher haben Ben Folds und Travis aber auch noch am selben Tag ihre neue Alben veröffentlicht.

Und wie die so sind, steht in der bewährten Track-by-track-Analyse:

Ben Folds – Way To Normal

Travis – Ode To J. Smith

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Musik

I hope that it got into you

Dies ist die Geschichte eines Liedes.

2001, ein Jahr nachdem sich meine Lieblingsband Ben Folds Five aufgelöst hatte, stieß ich im Internet auf die drei letzten neuen Songs, die die Band jemals live vorgestellt hatte: “The Secret Life Of Morgan Davis”, ein swingender Popsong, tauchte wenig später als B-Seite zu Folds’ erster Solosingle “Rockin’ The Suburbs” wieder auf, “Prince Charming”, geschrieben und gesungen vom Bassisten Robert Sledge, erschien 2004 auf der ersten (und einzigen) EP von dessen Nachfolgeband International Orange. Der dritte, den ich immer am Meisten gemocht hatte, blieb verschwunden: “Amelia Bright”, geschrieben von Darren Jessee, dem Schlagzeuger von Ben Folds Five, der auch die großartige Ballade “Magic” auf dem letzten Album der Band geschrieben hatte.

Darren Jessee (Foto: Debora Francis)2004 stellte ich dann fest, dass es Hotel Lights gab, Darrens neue Band, in der er die Songs schrieb, Gitarre und Klavier spielte und sang. Ich hörte mir die Songs an, die online verfügbar waren, und schrieb Darren eine E-Mail. Ich schrieb ihm, dass ich die Musik von Hotel Lights liebte, fragte aber auch, was mit “Amelia Bright” passiert war. Darren antwortete, dass ihm schon viele Leute diese Frage gestellt hätten, und wir blieben in Kontakt. Er schickte mir das selbstbetitelte Debutalbum von Hotel Lights, CT das radio, das Bochumer Campusradio für das ich damals arbeitete, war vermutlich der erste europäische Sender, der die Band gespielt hat, und jedesmal, wenn ich jemanden aus der Musikindustrie traf, schwärmte ich ihm von Hotel Lights vor (Das habe ich überhaupt nur zwei Mal gemacht. Bei den Kilians verlief das allerdings etwas erfolgreicher.) 2006 veröffentlichten Hotel Lights eine EP namens “Goodnightgoodmorning”, auf der einmal mehr wunderbare Folk-basierte Popsongs zu finden waren. Möglicherweise haben Sie den Song “A.M. Slow Golden Hit” bei “Grey’s Anatomy” gehört, ohne es zu merken.

Vor ein paar Wochen stellte ich fest, dass Hotel Lights ein neues Album namens “Firecracker People” veröffentlichen würden – und auf ihrer MySpace-Seite stolperte ich endlich über ihre Version von “Amelia Bright”. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass ich den Song schon seit sieben Jahren geliebt hatte, aber seine Schönheit haute mich buchstäblich um. Er war sogar noch viel besser als die Ben-Folds-Five-Version – was vermutlich daran lag, dass der Sänger diesmal auch der Mann war, der das Lied geschrieben hatte: Darren Jessee.

Auch wenn “Amelia Bright” aus “Firecracker People” herausragt (und von mir als billiger Aufhänger für diesen Artikel benutzt wurde), sind die anderen Songs kein Stück schlechter. Die Musik von Hotel Lights erinnert mich an Künstler wie Ron Sexsmith, Josh Rouse und Sparklehorse (Alan Weatherhead von Sparklehorse hat das Album mitproduziert und darauf Gitarre gespielt). Sie klingt herbstlich, melancholisch und friedlich und ich stelle mir vor, durch kleine amerikanische Städte und in die menschenleere Landschaft zu fahren – Bilder, mit denen Darren Jessee leben kann.

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HOTEL LIGHTS “Blue Always Finds Me” from Firecracker People on Vimeo.

Lesen Sie hier ein ausführliches Interview mit Darren Jessee von Hotel Lights: auf deutsch oder im englischen Original.

Hotel Lights - Firecracker People (Album cover)
Hotel Lights – Firecracker People

VÖ: 19. August 2008 (in den USA)
Label: Bar/None
(einen US-Import des Albums kann man bei Amazon.de bestellen)