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Musik

Die Narben der Liebe

Nothing compares,
no worries or cares,
regrets and mistakes
they’re memories made.
Who would have known how bittersweet this would taste?

(Adele – Someone Like You)

Musikalisch machen ja gerade zwei Frauen besonders von sich reden: Einmal Lady GaGa, die letzten Freitag mit viel Bums und Rums ihre neue Single “Born This Way” veröffentlichte, inklusive Countdown und selbst ausgerufenem (nordamerikanischen) Nationalfeiertag (#bornthiswayfriday), die sich am folgenden Sonntag in einem riesigen Plastik-Ei bei den Grammys über den roten Teppich tragen ließ — und Adele. Beide überaus erfolgreich in den Charts der westlichen Welt, verdrängt nun die eine die andere von der Nummer eins der meistverkauftesten Singles. Und doch könnten sie verschiedener nicht sein: Während Lady GaGa ihre Profession über alles stellt und Fleiß und Disziplin als Weg zum Erfolg ernennt, Authentizität predigt und einfordert und den amerikanischen Traum ein weiteres Mal bewirbt, scheint Adele zumindest zeitweise ganz anderen Prinzipien zu folgen. 2008 sagte sie kurzerhand ihre komplette Tour durch Nordamerika ab. Grund: Liebeskummer. Das wäre Lady GaGa nicht passiert.

“I was drinking far too much and that was kind of the basis of my relationship with this boy. I couldn’t bear to be without him, so I was like, ‘Well, OK, I’ll just cancel my stuff then.'” Das ist natürlich alles andere als professionell und besonders gesund klingt es auch nicht, aber erstens war Adele zu der Zeit erst 20 und zweitens haben Menschen mit Gitarren und musikalischem Talent einen unbestrittenen Vorteil, wenn es ihnen schlecht geht: Um zu heilen, können sie das Leid in ein Lied kreativ nutzen. Und während Adeles erstes Album 19 irgendwie ganz nett war, ist 21, der Nachfolger, der momentan so überaus erfolgreich ist, ein episches Album, thematisch komplett auf die zerstörerische Beziehung gerichtet, und reiht sich ganz geschmeidig in eine Reihe klassischer Trennungsalben ein, soll heißen: Im Rückblick werden alle Phasen noch mal durchlebt. Die erste Verliebtheit, die schönen Momente, das Ewigkeitsgefühl. Dann die ersten Risse, Unstimmigkeiten, die erste Trennung, die Versöhnung, die Zweifel dabei, dann das zweite Ende (diesmal aber wirklich!), eine selbstauferlegte Kontaktsperre, und dann, ganz bitter: Die Nachricht, dass der immer noch geliebte Mensch in einer neuen Beziehung ist und, in Adeles Fall, sogar heiratet.

Es ist eine alte Geschichte, doch immer wieder neu. Brauchen Menschen so was? Unbedingt.

Wir leben in weltkriegslosen Zeiten, in ereignislosen Zeiten, Ägypten hin oder her. Max Goldt machte diesen Zustand einst für den Jungmännerzynismus verantwortlich, für verhärtete Herzen, zur Biografielosigkeit verdammt. Das einzige, was den meist betäubten Menschen dieser Zeiten wirklich aufbricht und verändern kann, ist oft ein ordentlicher Liebeskummer, der alle sicher geglaubten Überzeugungen raubt und alles neu denken lässt. Ist das melodramatisch? Aber sicher. Nur: Was sollte man 2011 sonst wohl tun? Adele hat, davon ist auszugehen, ein Dach über dem Kopf und genug zu essen, ist also in der Position, sich ordentlich in das Leid zu begeben und zu fühlen, was es zu fühlen gibt. Textlich hat sie sich nicht reinreden lassen, musikalisch jedoch war sie beraten von Rick Rubin (Johnny Cash, Red Hot Chili Peppers) und Paul Epworth (Plan B, Bloc Party) – das Ergebnis ist ein Album, das nebenher beim Bügeln laufen kann, textlich und musikalisch aber so groß ist, dass es als permanenter Lebensbegleiter taugt. Denn Adele hat was zu sagen.

Alle Phasen einer Trennung werden hier durchlebt: “Rollin’ In The Deep”, die erste Single und aktuell noch Platz1 der deutschen Charts (bevor es nächste Woche von “Born This Way” der fleißigen, authentischen, pflichtbewussten Lady GaGa verdrängt werden wird), ist in bester Alanis Morissette-Tradition sehr klar und zornig an den ehemals Geliebten gerichtet: “We could have had it all!”, aber anders als Alanis im Trennungsklassiker “You Oughta Know”, verweist Adele auf ihre Wunden, auf ihre Verletzungen, die Narben, die die Liebe hinterlassen hat – es ist Krieg, der ganz persönliche Weltkrieg. Sympathischerweise ist das Album dann auch thematisch nicht in klassische Trennungsphasen aufgeteilt, sondern schwankt von Lied zu Lied zu unterschiedlichsten, widersprüchlichsten Gefühlen – von Wut zu tiefster Trauer, zum Leugnen, zur Kultivierung der schönen Gefühlen, vom Selbsthass zur Selbstüberhöhung – gleich der zweite Track “Rumour Has It” kommt mit einem Grundton daher, der an das Fallen von Bomben erinnert, Einschläge der Wortfetzen, die man so hört: Ich hab gehört, du liebst sie nicht mehr, verlässt sie für mich, aber haha, ich verlasse dich für ihn!

Und so geht es weiter, es wird geschluchzt und geklagt: Erinnerst du dich nicht mehr an unsere Liebe, warum du mich mal geliebt hast? (“Don’t You Remember?”), wenn du gehst, dann nimmst du mich mit, dann bin gar nichts mehr (“Take It All”), und so weiter. Der Höhepunkt des Album ist aber der letzte reguläre Track: “Someone Like You”, der das scheinbar endgültige Ergebnis des hin und her markiert: Der geliebte Mensch ist nun verheiratet, und es bleibt nur, ihm und der neuen Frau das allerbeste für die Zukunft zu wünschen, wenn man nicht das Gesicht verlieren will. Der Zurückgebliebenen bleibt nur das Beharren auf den eigenen Schmerz, das Zurückgewinnen der Souveränität durch das Ausrichten der besten Glückwünsche. Die Bitte, nicht vergessen zu werden, ist natürlich fürchterlich unemanzipiert und gipfelt im Trost, das man jemanden finden wird, der dem Geliebten ähnlich ist — anstatt den Kopf zu heben und zu sagen: Nee, der nächste wird sehr anders als du! Aber Liebeskummer folgt keiner Logik. Es kommt immer alles ganz überraschend und es ist immer wieder neu. Denn wer hätte je gedacht, dass das alles so bittersüß endet?

Hinzu kommt, dass Adele eine fantastische Sängerin ist, ein Beweisvideo sei hier zum Schluss eingefügt. Bitte leiden Sie mit Adele und werden ein besserer Mensch.

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