Kategorien
Musik

It’s in my honey, it’s in my milk.

The National - High Violet (Albumcover)

Eigent­lich woll­te ich kei­nes­falls so begin­nen, um nicht spä­ter der Strin­genz und Logik mei­ner Erzäh­lung und der damit ver­bun­de­nen Zeit­leis­te wegen in die Pflicht genom­men zu wer­den, aber: Mein ers­tes Kon­zert der Band The Natio­nal war, wenn ich recht erin­ne­re, am 1. Dezem­ber 2005. Ihr drit­tes Album „Alli­ga­tor“ war gera­de im Mai erschie­nen. Der ein­zi­ge Grund, war­um ich es besaß, war der, dass ich eigent­lich nach der dama­li­gen im Nach­hin­ein betrach­tet über­aus drö­gen Plat­te von Grand Natio­nal Aus­schau gehal­ten hat­te und mich aber an den Namen der Band nicht mehr so ganz rich­tig erin­nern konn­te. Ein hal­bes Jahr spä­ter erklär­te man „Alli­ga­tor“ und den Vor­gän­ger „Sad Songs For Dir­ty Lovers“ in meh­re­ren Voll­ver­samm­lun­gen mei­ner dama­li­gen Peer Group zum Bes­ten, was man jemals gehört hat­te.

Ich war gera­de im Okto­ber nach Ber­lin umge­zo­gen, wo mei­ne ein­zi­ge Außer-Haus-Beschäf­ti­gung für zwei Mona­te dar­in bestand, aus einem Call-Cen­ter dem gesamt­deut­schen Bran­chen­buch teu­re Dru­cker und Kopie­rer auf­zu­nö­ti­gen (wofür ich mich sicher­lich der­einst vor irgend­ei­ner mora­li­schen Höchst­in­stanz zu recht­fer­ti­gen haben wer­de). In mei­nem etwas unter­kühl­ten Zwi­schen- bzw. Unter­miet­ver­hält­nis beschäf­tig­te ich mich indes man­gels sozia­ler Kon­tak­te aus­schließ­lich mit dem Hören von Feists „Let It Die“ (wegen des über­ra­schend zur Gesamt­si­tua­ti­on pas­sen­den Titel­tracks) und den bei­den oben erwähn­ten Alben von The Natio­nal. Nach eini­ger Zeit konn­te ich alles fast so gut aus­wen­dig wie eini­ge älte­re Semes­ter alle Dia­lo­ge der ori­gi­na­len Star-Wars-Tri­lo­gie her­un­ter zu beten imstan­de sind. Das half natür­lich mei­ner rea­len Lebens­si­tua­ti­on nur bedingt und wür­de ver­mut­lich auch kei­nen Stu­di­en­platz aus dem blau­en Him­mel auf mich her­nie­der fal­len las­sen, und so muss­te ich doch irgend­wann, allen Stol­zes beraubt und mit eini­ger­ma­ßen tief hän­gen­dem Kopf, den vor­zei­ti­gen Rück­zug antre­ten und in mei­ne Hei­mat­stadt zurück­ge­kro­chen kom­men. Nach einem halb gefüll­ten Kon­zert im Ber­li­ner Magnet-Club, das eine erstaun­lich wohl­tu­en­de und unauf­re­gen­de Wir­kung hat­te, schlief ich drei Stun­den und mach­te mich am am Mor­gen des 2. Dezem­ber 2005 allei­ne mit einem viel zu klei­nen Miet­wa­gen auf den Weg. Dank mei­ner über­stürz­ten Pack­tech­nik, auf­grund derer alle mei­ne CDs am hin­te­ren unte­ren Ende des Wagens unter Büchern und einem Regal ein­ge­klemmt waren, war ich gezwun­gen, die gesam­te Fahrt über etwa neun Mal The Natio­nals am Vor­abend erstan­de­nes selbst­be­ti­tel­tes Debut-Album durch­lau­fen zu las­sen.

Mitt­ler­wei­le ist das natür­lich alles ver­ges­sen und die schlech­ten Erfah­run­gen voll­kom­men obso­let. Was ich aber damit sagen möch­te: So etwas schweißt einen natür­lich unwi­der­bring­lich an so eine Band. Des­we­gen wer­de ich nicht ein­mal ver­su­chen, Objek­ti­ves über „High Vio­let“, das soeben erschie­ne­ne fünf­te Album der Band, abzu­ge­ben. Bit­te ver­zei­hen Sie mir!

Im Gro­ßen und Gan­zen ver­läuft das Hören der knapp 50 Minu­ten genau­so wie immer, wenn man gro­ße Angst hat, dass dies nun end­lich die­se Sell-Out-Ent­täu­schung ist, auf die man immer gewar­tet hat: Man zwingt sich, über­mä­ßig kri­tisch an das Gan­ze her­an­zu­ge­hen und hört natür­lich an jeder Ecke Din­ge, die es so vor­her nicht gab und mit denen sich zunächst ange­freun­det wer­den muss, und erwischt sich dann doch dabei, auf eine mit­tel­mä­ßig schi­zo­phre­ne Art eine Ver­tei­di­gungs­hal­tung ein­zu­neh­men. Unter­halt­sam ist das mög­li­cher­wei­se für den ima­gi­nä­ren Beob­ach­ter. Die Wahr­heit ist: Gei­gen, Posau­nen, Trom­pe­ten und Kla­vier kann­te man bereits aus dem 2007 erschie­ne­nen „Boxer“, und obwohl dies durch­aus Instru­men­te sind, die auf­grund von über­mä­ßi­ger Ver­wen­dung einen Kitsch-Effekt aus­lö­sen kön­nen, der sei­nes­glei­chen sucht, war vor­her schon klar, dass sich hier nichts davon übel in den Vor­der­grund spie­len wür­de. Weil das nun­mal ein­fach nicht so The Natio­nals Art ist, über­haupt einen Vor­der­grund zu haben. Viel­mehr prä­sen­tiert sich einem hier ein ver­schwom­me­nes Bild aus ver­schie­dens­ten Melo­dien, die im Zusam­men­spiel einen Tep­pich erge­ben. Viel mehr als Akkord­wech­sel kön­nen dann gar nicht mehr ver­nom­men wer­den, allen­falls ruft das schnör­kel­freie, repe­ti­ti­ve Schlag­zeug Unter­bre­chun­gen und Akzen­tu­ie­run­gen her­vor. Wenn das mal nicht ein Ide­al­ziel in einer Band mit zuwei­len drei Gitar­ren sein soll­te: Über wei­tes­te Stre­cken selbst­lo­se Song­dien­lich­keit, frei von breit­bei­ni­gem Muckertum und Sport­gi­tar­ren­so­los.

Was aber außer­ge­wöhn­lich ist: Vie­les ist hier plötz­lich hei­ter oder sogar lus­tig. Irgend­wo habe ich neu­lich gele­sen, dass der Sän­ger der Band, Matt Ber­nin­ger, mit einem per­ma­nen­ten Mar­ker das Wort „Hap­pi­ness“ an eine Wand in sei­ner Woh­nung geschrie­ben haben soll, da der Plan war, ein fröh­li­ches Album auf­zu­neh­men. Das ist nun musi­ka­lisch gründ­lich in die Hose gegan­gen, und auch an Text­zei­len wie „Sor­row found me when I was young. Sor­row wai­ted, sor­row won.“ ist so wahn­sin­nig viel rhei­ni­scher Witz nicht zu sehen. Den­noch gibt es wie auch in die­ser Zei­le Punk­te, an denen augen­schein­lich eine iro­ni­sche Bre­chung vor­ge­nom­men wer­den muss­te, weil man die gan­ze Trau­er sonst ein­fach nicht aus­ge­hal­ten hät­te. Der Song „Lemon­world“ sagt im Refrain „You and your sis­ter live in a lemon­world, I want to sit in and die.“ und wer hier unbe­dingt an das plum­pe, boden­lo­se Selbst­mit­leid glau­ben will, dem sei das erlaubt. Weil man sol­che Augen­schein­lich­keit nicht von The Natio­nal gewöhnt ist, darf schät­zungs­wei­se auch davon aus­ge­gan­gen wer­den, dass hier ein Prot­ago­nist genug hat vom stän­di­gen Ver­ar­bei­ten und sich auch ger­ne ein wenig dar­über lus­tig machen möch­te. In „Con­ver­sa­ti­on 16“, einem Song, den Ber­nin­ger auf dem Kon­zert letz­ten Sams­tag im Ber­li­ner ‚Huxley’s‘ mit den Wor­ten „This is a love song. About can­ni­ba­lism.“ ankün­dig­te, heißt es: „I was afraid that I’d eat your brains cau­se I’m evil“. Trau­er setzt ja nun doch eini­ges an Ernst vor­aus. Was jedoch an die­ser Zei­le ernst­zu­neh­men ist, kann ich mir beim bes­ten Wil­len nicht anma­ßen zu behaup­ten.

Letzt­lich sprie­ßen die­se Songs ja dann doch ten­den­zi­ell vor „Es wird wieder!“-Schulterklopfern, und wann hat man denn so eine simp­le Bot­schaft zuletzt in Pop­mu­sik gut gefun­den? Abge­se­hen davon, dass mir die­se Grup­pe nun sowie­so nichts mehr ver­gäl­len kann, nach­dem auch die fünf­te Plat­te sich als etwas her­aus­ge­stellt hat, das ich inner­halb von drei Tagen locker 15 Mal ohne jede Lan­ge­wei­le oder Lust auf etwas ande­res durch­hö­ren kann, ist zumin­dest eine objek­ti­ve Erkennt­nis, die ich Ihnen anbie­ten kann, die eben erkann­te: Es wird wie­der! Wenn der Ber­nin­ger das schafft, dann schaf­fen wir das auch. Ob es natür­lich gesund ist oder gut für mein ander­wei­ti­ges musi­ka­li­sches Inter­es­se, dass ich seit dem Erschei­nen von High Vio­let viel­leicht zwei ande­re Bands gehört habe, steht jetzt natür­lich nicht auf die­sem Blatt. Dar­über reden wir dann in ein paar Mona­ten!

Zum Abschied gibt es hier übri­gens noch das aktu­el­le Video der Aus­kopp­lung „Blood­buzz Ohio“ zu sehen. Viel­leicht lachen wir ja auch ein Biss­chen.

The Natio­nal – „Blood­buzz Ohio“ (offi­ci­al video) from The Natio­nal on Vimeo.