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Spexen für Anfänger

Wir Sind Hel­den haben ein Album ver­öf­fent­licht, das unse­re Autoren spal­tet: Katha­ri­na Schliebs ist begeis­tert von sei­ner Tie­fe, Lukas Hein­ser woll­te es nach zwei Durch­gän­gen eigent­lich nie wie­der auf­le­gen. Gemein­sam haben sie sich noch ein­mal durch „Bring mich nach Hau­se“ gehört und ihre Ein­drü­cke in ein Chat­fens­ter geschrie­ben.

Her­aus­ge­kom­men ist so etwas ähn­li­ches wie ein Text:

Katha­ri­na: „In den Biblio­the­ken städ­ti­scher Bal­lun­gen /​ sta­peln sich Bücher über läp­pi­sche Wal­lun­gen /​ neben Bän­den vol­ler Lie­der über Beu­len und Schräg­la­gen /​ und die Wän­de hal­len wie­der vom Heu­len und Weh­kla­gen.“ – Was für ein gro­ßer Text über die Klei­nig­kei­ten, die zur Soap des Lebens auf­ge­bla­sen wer­den.
Lukas: Den Song wür­de ich glaub ich skip­pen, wenn ich das Album hören wür­de.
Katha­ri­na: Der ist unglaub­lich schön in sei­ner zar­ten Sub­ti­li­tät. Gänz­lich undra­ma­tisch fließt es so dahin, und die­se Trom­pe­te ist wun­der­bar. (Ist es eine Trom­pe­te?) Ich hab den ges­tern im Zug immer wie­der auf repeat gehört. Die­ses Album ist eben etwas schwe­rer zugäng­lich.
Lukas: Ich find die­ses „Dra­ma-Dra­ma­ti­ker“ im Refrain so unfass­bar nerv­tö­tend.
Katha­ri­na: Ja, aber da haben wir eine Über­schnei­dung von Text/​Musik/​Aussage. Das ist so fein auf­ge­baut: Die Mäd­chen regen sich über die Jungs auf, die Jungs über die Mäd­chen, und die Ren­ter ste­hen für die Zuschau­er, die dann auch noch einen guten Rat parat haben – Früh­ver­grei­sung der Bes­ser­wis­ser Anfang 20… ach! Und alles ist immer so dra­ma­tisch, dabei pupst das Leben ein­fach unspek­ta­ku­lär vor sich hin. Und Judith Holo­fer­nes sagt im Inter­view: Es ist Zeit, mal weni­ger zu wol­len und die Din­ge ein­fach mal gesche­hen zu las­sen.
Lukas: Das sagt sich natür­lich leicht, wenn man gera­de ein Album auf­ge­nom­men hat, auf dem man defi­ni­tiv zu viel gewollt hat.
Katha­ri­na: Hat man? Ich find nicht!
Lukas: Das drit­te Album war ja schon ein biss­chen über­am­bi­tio­niert, aber das neue lässt mich noch rat­lo­ser zurück als Toco­tro­nic. Viel­leicht bin ich auch ein­fach nicht gebaut für Intel­lek­tu­el­len-Pop.
Katha­ri­na: Ja, das ist scha­de, dass es viel­leicht zu „intel­lek­tu­ell“ und damit schwe­rer zugäng­lich ist… ande­rer­seits müs­sen WsH auch kei­ne Ansprü­che erfül­len. Judith hat auch gesagt, sie hät­te schon beim 3. Album etwas dämo­nisch gedacht: „Mal gucken, wer da jetzt noch mit­kommt.“
Lukas: Was natür­lich eine schö­ne Wei­ter­ent­wick­lung vom Slo­gan-Pop des ers­ten Albums ist. Wobei die Slo­gans ja nur ver­schach­tel­ter gewor­den sind.
Katha­ri­na: Das gan­ze Album ist im Prin­zip das ers­te und das zwei­te Album nur in bes­ser! Die The­men sind die glei­chen, immer!
Lukas: Na, die The­men sind bei unge­fähr jeder Band immer die­sel­ben.
Katha­ri­na: „Dra­ma­ti­ker“ wäre zum Bei­spiel „Geht aus­ein­an­der“.
Lukas: Die­ser Sprach­witz, der bei „Die Zeit heilt alle Wun­der“ noch char­mant und unver­braucht war (obwohl das im Rück­blick auch nähe­rungs­wei­se albern ist), ermü­det mich auf die Dau­er. Das wird so Chris­ti­an-Mor­gen­stern-mäßig, Heinz-Erhardt-esk.
Katha­ri­na: Ja, aber irgend­wie find ich das immer noch lus­tig: Dra­ma­ti­ker, Bati­ker, Sta­ti­ker, Talar­sti­cker, Star­ki­cker. „Wer zu viel frisst aus Frust ver­lässt danach oft die Bar dicker“ – ich muss immer grin­sen. Und das ist ja nur das eine Lied! War­te mal die ande­ren ab!

Lukas: Viel­leicht ist es mei­ne gene­rel­le Vor­ein­ge­nom­men­heit dem Album gegen­über, aber Ent­schul­di­gung: Das ist doch Kin­der­ka­cke! (Womit wir natür­lich beim zen­tra­len The­ma des Albums wären.)
Katha­ri­na: Was genau ist Kin­der­ka­cke?
Lukas: Die­se Rei­me. Das ist das Prin­zip Olli Schulz und das ging auch nur ein hal­bes Album lang gut.
Katha­ri­na: Kin­der­ka­cke, hm. Zen­tra­les The­ma: Kin­der­krie­gen?
Lukas: Angeb­lich ver­steht man das Album ja (bes­ser), wenn man sel­ber Kin­der hat. Auf die­ses her­me­neu­ti­sche Moment kann ich aber für den Moment ganz gut ver­zich­ten.
Katha­ri­na: Also, ich hab das Album gehört, ohne ein Inter­view dazu gele­sen zu haben, und dass Judith Holo­fer­nes mitt­ler­wei­le zwei Kin­der hat, war nicht in mei­nem Kopf. Dass es um bedin­gungs­lo­se Lie­be geht, hab ich aber auch ganz ohne Kin­der ver­stan­den. Kann man also drauf ver­zich­ten, auf die­ses her­me­neu­ti­sche Wis­sen zur Inter­pre­ta­ti­on, Herr Dr. Hein­ser.
Lukas: Evtl. soll­te ich das Album noch ein drit­tes Mal hören, aber mei­ne Abwehr­hal­tung erstaunt mich inzwi­schen selbst. Dann lie­ber zum hun­derts­ten Mal das neue Manics-Album, das han­delt auch vom Älter­wer­den, gibt mir aber sehr viel mehr.
Katha­ri­na: Noch­mal zu den Kin­der­ka­cke-Rei­men: Ich fin­de eher, dass es zart aus der Luft gegrif­fe­ne ähn­li­che Wör­ter sind, die die Bedeu­tung char­mant ergän­zen, gleich­zei­tig dem Lied eine Leich­tig­keit und Humor geben und den Zei­ge­fin­ger raus­neh­men. So muss man das machen.

Katha­ri­na: Ich hab mal jeman­dem ein Mix­tape gemacht, und hab gefragt, ob es irgend­wel­che Wün­sche gäbe, da hat die Per­son gesagt: „Ja, nicht nur so boy meets girl-Mist“. Da hab ich zu Hau­se geses­sen und hat­te echt ein Pro­blem. Rat­lo­ses Scrol­len in der Media­thek…
Lukas: Och …

Katha­ri­na: In den Media­the­ken städ­ti­scher Bal­lun­gen…

Lukas: Wenn’s Sven Rege­ner sän­ge, fänd ich’s wahr­schein­lich geil, das muss ich zuge­ben.
Lukas: Danach geht’s aber lei­der direkt los: Die­ser Sound von „Was uns bei­den gehört“ geht gar nicht.
Katha­ri­na: Uiuiuiui!
Katha­ri­na: Es ist ein Lied über die Affä­re zwei­er gegen­sätz­li­cher Per­so­nen, der Mann leicht und bunt und chao­tisch und wild, die Frau schwer­mü­tig und mit Tie­fe, bewah­rend und irgend­wie auch klü­ger… Aber sie tei­len die Abend­stun­den, bei­de wis­sen, was sie anein­an­der haben, und wer sie sel­ber sind.
Lukas: In die Tex­te komm ich dies­mal irgend­wie gar nicht rein.
Katha­ri­na: Ich fürch­te aber, dass das „ein Kuss ist ein Kuss ist ein Kuss“ ist eher ziem­lich bit­ter gemeint, auch wenn es noch so fröh­lich dar­ge­bo­ten wird. Da weist dann auch „Die Bal­la­de von Wolf­gang und Bri­git­te“ drauf hin – weil das Kon­zept von „Freie Lie­be“ nie gut aus­geht. Und wenn man sich noch so sehr auf Unver­bind­lich­keit einigt: Irgend­wann knallt’s ja doch. Ich mag die­se bal­ka­nes­ke Leich­tig­keit des Lie­des, in der irgend­wie doch Trau­er mit­schwingt, so eine melan­cho­li­sche Tie­fe – kann man das sagen?
Lukas: Ja, aber sie schei­tern doch völ­lig an die­sem Bal­kan­sound.
Katha­ri­na: Sie schei­tern? War­um?
Lukas: Das hat kei­ne Leich­tig­keit, das klingt so bemüht.
Katha­ri­na: Ich spring in der Woh­nung rum zu dem Lied. Ich lie­be das Schlag­zeug. „Klingt bemüht“ passt viel­leicht auch wie­der zum Text: Krampf­haft ver­su­chen, Leich­tig­keit in eine Sache rein­zu­brin­gen, die nicht leicht ist, und wenn man noch so sehr sagt: „Ein Kuss ist ein Kuss ist ein Kuss ist ein Kuss ist ein Kuss“. Per­fek­ter Song.

Lukas: „Flucht in Ket­ten“ — Was singt sie da? „Aru­gu­lar“?
Katha­ri­na: Rahu­la. Eine Figur aus dem Bud­dhis­mus.
Lukas: Oh Gott. Sie haben mich ver­lo­ren. Gesun­ge­ner Her­mann Hes­se.
Katha­ri­na: Der Sohn von Sid­dha­r­ta.
Lukas: Ich sag’s doch! Ich muss bre­chen.
Katha­ri­na: Wie­so?
Lukas: Bei spi­ri­tu­el­len Bil­dern setzt bei mir alles aus. Jakob Dylan darf alt­tes­ta­ment­li­che Bil­der benut­zen, aber alles, was dar­über hin­aus­geht, macht mich fer­tig.
Katha­ri­na: Ja, war­um?
Lukas: Weiß ich nicht.
Katha­ri­na: Ok. Ich kenn mich mit Bud­dhis­mus jetzt auch nicht wei­ter aus, aber trotz­dem kann man ja spi­ri­tu­el­le oder bibli­sche Geschich­ten auch ohne reli­gö­sen Hin­ter­grund lesen und dar­aus Erkennt­nis gewin­nen. „Flucht in Ket­ten“ ja auch eine Anspie­lung auf den Film: „Die bei­den Häft­lin­ge John ‚Joker‘ Jack­son und Noah Cul­len kön­nen wäh­rend eines Gefan­ge­nen­trans­ports flie­hen. Durch Ket­ten sind sie anein­an­der­ge­fes­selt und müs­sen zum Erfolg ihrer Flucht die per­sön­li­chen Schwie­rig­kei­ten mit­ein­an­der lösen.“ Da haben wir wie­der das The­ma Kin­der, aber auch Fami­li­en. Fami­li­en: Anein­an­der geket­tet, hilft nix.
Lukas: Aber was das jetzt mit Fami­lie zu tun hat, dass ein Schwar­zer und ein Wei­ßer zusam­men aus dem Knast aus­bre­chen …
Katha­ri­na: Es geht um das, was anein­an­der fes­selt. Fami­lie, Bluts­ver­wandt­schaft. Kannst du dein gan­zes Leben nicht abstrei­fen, bleibt immer an dir kle­ben, und wenn du hun­der­te von Kilo­me­tern zwi­schen dich und die Fami­lie bringst, du nimmst sie immer mit… – irgend­wo im Dun­keln sind sie immer noch da… Ver­mut­lich wäre es bes­ser, sich anzu­freun­den, mit­ein­an­der aus­zu­kom­men.

Lukas: Die­se „Bal­la­de“ fin­de ich auch uner­träg­lich. War­um muss jemand, der so gro­ße asso­zia­ti­ve Tex­te schrei­ben kann, plötz­lich so platt eine Geschich­te erzäh­len?
Katha­ri­na: Hab ich auch gedacht, hab das Lied auch erst gehasst.
Lukas: „Sie hat­ten zusam­men eine Kis­te, nur das mit der Bezie­hung war Git­te nicht so klar“ — das ist ein lyri­scher Total­aus­fall. Das ist gewoll­ter Robert Gern­hardt.
Katha­ri­na: Lus­tig, das mit der Kis­te hab ich die gan­ze Zeit so ver­stan­den, dass sie eine Box zusam­men haben, eine Umzugs­kis­te oder so.
Lukas: Ich fürch­te, das Wort „Bezie­hungs­kis­te“ muss in mei­ner Kind­heit in mei­nen pas­si­ven Wort­schatz gewan­dert sein.
Katha­ri­na: Du meinst BEZIEHUNSKISTE?! Ich dach­te jetzt BETT. Im Sin­ne von: Sie gehen zusam­men in die Kis­te.
Lukas: Ich fürch­te, in die­sem Span­nungs­feld bewegt sich der „Witz“.

Katha­ri­na: „Die Bal­la­de von Wolf­gang und Bri­git­te“ – ein­mal gro­ße Lebens­weis­heit neben­bei in einer klei­nen Geschich­te erzählt. Gera­de in die­ser Zeit, wo man uns erzählt, dass alles mög­lich ist und alles schön und gut ist, jeder mit jedem alles sein kann, wenn man nur bereit ist, alles zu geben, alles zu füh­len, zeigt das Lied wun­der­bar, dass es am Ende doch immer noch Prin­zi­pi­en gibt, die uns bestim­men. Die Lie­be zum Bei­spiel, die macht erstaun­lich unfle­xi­bel und unmo­bil, legt uns fest, und auf ein­mal kön­nen wir gar nicht mehr so schön post­mo­dern agie­ren, wie wir viel­leicht woll­ten. Aber wie­der Frau Holo­fer­nes: Sie unter­stellt jedem der Betei­lig­ten in der Bal­la­de, dass sie wenigs­tens irgend­je­man­den lie­ben. Sie gibt immer jedem ein Zuge­ständ­nis. Ich will von ihr adop­tiert wer­den!!

Lukas: Mal was ande­res: Die Sound­ent­schei­dung für die­ses Ana­lo­ge ist mutig, aber sie tut der Band nicht so rich­tig gut.
Katha­ri­na: War­um?
Lukas: Ich weiß nicht. Natür­lich waren die­se Syn­thies auch irgend­wie eine Schie­ne und Mia. haben sich ja auch in Rich­tung Akus­tik ver­scho­ben, aber damit wird es auch ein biss­chen aus­tausch­bar. Das steht Peter­Licht bes­ser.
Katha­ri­na: Dem steht eh wie­der vie­les bes­ser, ganz ande­res The­ma… ich mag das Album musi­ka­lisch, es ist so stim­mig, es fängt schob mit dem Cover an; alles ist erdi­ger, natür­li­cher, ruhi­ger, tie­fer.
Lukas: Aber das ist doch Sug­ges­ti­on (mal davon ab, dass das Cover natür­lich immer das Hören beein­flusst): „akus­tisch = tie­fer“.
Katha­ri­na: Ok, kann man sagen, ja. Kommt mir aber trotz­dem so vor.
Lukas: Song 6 und auf der Haben­sei­te ste­hen zwei Songs, die auf den ers­ten bei­den Alben „ganz okay“ gewe­sen wären: „Alles“ und „Bring mich nach hau­se“.
Katha­ri­na: Ich fand das ers­te Album schon immer eher geeig­net für evan­ge­li­sche Jugend­frei­zei­ten als für den per­sön­li­chen Haus­ge­brauch.
Lukas: „Dei­ne Wes­te ist zu weiß, wart, ich fra­ge einen Bati­ker“ — WTF?
Katha­ri­na: Na! Es geht dar­um, mit dem Fin­ger auf ande­re zu zei­gen, Dra­ma zu machen. Ist eine Abwand­lung vom Glas­haus und Stein. Übri­gens auch davon, den eige­nen Anteil an Situa­ti­on zu leug­nen. „Dei­ne Wes­te ist zu weiß“, „Dein Welt­bild hängt schief“ –die­se freund­li­che Auf­for­de­rung, mal auf sich sel­ber zu gucken.
Lukas: Kommt natür­lich voll rüber.
Katha­ri­na: Kommt rüber! Und am Ende, damit es nicht zu mora­lin­sauer wird, dann eben die klei­nen Witz­chen über die Bar und Ronal­do.
Lukas: Ich glau­be, ich has­se es vor allem, dass sie Tex­te schrei­ben, in die ich nicht rein­kom­me. Wobei mich das bei Toco­tro­nic nicht so nervt. Nur zu zwei Drit­teln.
Katha­ri­na: Ich glaub, das nervt vor allem, weil man WsH als nicht beson­ders kom­plex ken­nen­ge­lernt hat.
Lukas: Ja.
Katha­ri­na: Und man will, dass das so bleibt. Viel­leicht. Also, man kann natür­lich auch froh sein, gemein­sam älter zu wer­den, denn die Welt wird ja immer schat­ti­ger mit zuneh­men­dem Alter.
Lukas: Ich weiß ehr­lich nicht, ob sie das selbst stem­men kön­nen, was sie da auf­bau­en. Text­lich wie musi­ka­lisch.
Katha­ri­na: „Die Träu­me ande­rer Leu­te“ zum Bei­spiel ist wesent­lich klü­ger, rei­fer, bes­ser als „Guten Tag“, dabei geht es um genau das glei­che: „Ich will mein Leben zurück“. Nur viel näher an Nietz­sche als am Stu­den­ten­pro­test, was unbe­dingt ein Kom­pli­ment ist!
Lukas: Ich bin, wie ich mög­li­cher­wei­se schon mal betont habe, Fan von Slo­gan-Songs. Nietz­sche ist mir zum Bei­spiel gera­de noch nahe, wenn James Dean Brad­field „So God is dead, like Nietz­sche said“ singt und dann von Mor­ris­sey und John­ny Marr singt. Mehr weiß ich eh nicht dar­über.
Katha­ri­na: Nietz­sche hat ja auch noch mehr gesagt als die­sen einen ver­damm­ten Satz.

Lukas: Oh, wir nähern uns einer Upt­em­po-Num­mer, ich erah­ne sogar mil­de ver­zerr­te Gitar­ren. Song 10 — Zeit, irgend­was raus­zu­hau­en.
Katha­ri­na: „Krei­se“? The­ma­tisch: „Gib mir das, ich kann es hal­ten …“ Wie­der das Zuge­ständ­nis: Viel­leicht macht das ja Spaß, in die­sem Käfig. Wenn du es spä­ter noch willst, kriegst du es wie­der.
Lukas: In mei­nen Ohren han­delt es von Still­stand.
Katha­ri­na: Ja, Still­stand in der Bewe­gung aber, weil es immer nur im Kreis geht. Die­sel­ben Mus­ter, das­sel­be Ver­hal­ten, kein Raus­kom­men. Aber: Ein Kreis ist noch kei­ne Rei­se. Es geht bei WsH ja immer auch um Befrei­ung und Eman­zi­pa­ti­on aus dem, was uns fes­selt und gefan­gen nimmt, ob das nun die fami­liä­re Vor­ge­schich­te ist oder die herr­schen­den Ver­hält­nis­se. Immer geht es dar­um, die eige­ne Gestalt anzu­neh­men und das eige­ne Leben zu leben, mit all sei­nen krum­men Ver­wir­run­gen. Das ist DAS WsH-The­ma. „Viel­leicht ist da ein neu­er, bescheu­er­ter, scheue­rer Traum … und viel­leicht ist das dann dei­ner …“
Lukas: „Im Auge des Sturms“ ist das, was ich mei­ne: Das ufert plötz­lich in eine Jam­ses­si­on aus, die die Band nicht so rich­tig her­gibt.
Katha­ri­na: Musi­ka­lisch, ja. Ich mag das Lied auch nicht so.
Lukas: Natür­lich kann man einen Drei-Minu­ten-Song auf 5:22 zie­hen, aber … War­um?
Katha­ri­na: Das liegt aber am The­ma: Die­ses jeman­dem vor der bösen Welt zeit­wei­se schüt­zen. Das haben sie the­ma­tisch ein­fach bes­ser gemacht bei „Gib mir das“. Ob da zu viel „Lost“ geguckt wur­de?
Lukas: Das waren Weezer.

Lukas: „Was nie­mals gebo­ren wird, kann nie­mals ver­lo­ren gehen“ ist zum Schluss natür­lich wie­der groß. Weil es die zen­tra­le Fra­ge stellt: Ver­su­chen und schei­tern oder nicht ver­su­chen und sicher sein?
Katha­ri­na: Ja. Das Lied, dem man vor­hal­ten könn­te, es gehe nur um Kin­der­lie­be. Also, „nur“. Das wäre aber noch zu unter­kom­plex, wenn ich eins mei­ner Lieb­lings­wör­ter benut­zen darf.
Lukas: Kin­der­lie­be hat­te ich dar­in nun wirk­lich nicht erkannt. (Und „gebo­ren“ durch­aus meta­pho­risch gele­sen.)
Katha­ri­na: Weil es nicht dar­um geht, es zu ver­su­chen oder nicht zu ver­su­chen, weil: „Wir sind ver­lo­ren, wir sind ver­lo­ren“. Man kann das leug­nen, aber man steht drin. Es geht um Unwäg­bar­kei­ten, dar­um, auch mal nicht so viel zu wol­len. „Ich werd mich mich nicht bewe­gen, den Kopf gesenkt, Genick ent­blößt, wart ich auf den Segen oder auf den Schlag der mich erlöst.“ Es geht um Demut und dar­um, zu erken­nen, wo die Gren­zen der Mach­bar­keit sind. In die­sem FAZ-Inter­view steht auch der schö­ne Satz: Es ist das Hin­ge­ben in „Dein Wil­le gesche­he“ – wie­der eine unre­li­giö­se Les­art.
Lukas: Das Wort Demut woll­te ich auch gera­de brin­gen, aber im nega­ti­ven Sin­ne.
Katha­ri­na: Wie­so nega­tiv? Es ist ein stark nega­tiv besetz­tes Wort in unse­rer Zeit der Sug­ges­tio­nen von Mach­bar­keit und Her­stell­bar­keit, in der wir nur wol­len müs­sen. Aber wenn ich könn­te wie ich woll­te würd ich gar nichts wol­len…
Lukas: Das ers­te Album war über Leben zurück for­dern und Vor­schlag­häm­mer, selbst „Du erkennst mich nicht wie­der“ han­del­te am Ende vom Los­flie­gen. Und jetzt? Alles nur noch hin­neh­men und ertra­gen.
Katha­ri­na: Das wären zu gro­ße Extre­me, es geht viel­mehr dar­um, unter­schei­den zu ler­nen zwi­schen dem, was man ändern kann und was unver­än­der­lich ist.
Lukas: Rein­hold Nie­buhr!
Katha­ri­na: Hm? Wer ist das?
Lukas: http://de.wikipedia.org/wiki/Gelassenheitsgebet
Katha­ri­na: Ach so, ja. „Die Träu­me ande­rer Leu­te“ weist genau dar­auf hin, es geht nicht dar­um, nur zu ertra­gen, im Gegen­teil, es geht dar­um, die größt­mög­li­che Sou­ve­rä­ni­tät zu erlan­gen – nur eben hat die mensch­li­che Sou­ve­rä­ni­tät ihre Gren­zen. In der Kin­der­lie­be. In der Lie­be schlecht­hin. In der Über­nah­me von Ver­ant­wor­tung. Im Ster­ben.
Lukas: Das ist ja auch schön und toll, aber doch kein Pop-The­ma.
Katha­ri­na: Wie­so nicht? Ich find das ein total tol­les Pop­the­ma, auch mal zu sagen: Ich neh­me hin, ich ertra­ge, ich weiß, wir kön­nen jetzt nichts tun, außer uns hin­zu­le­gen und uns aus­zu­ru­hen. Das ist doch ein The­ma: Lie­be, Freund­schaft, Weis­heit, alles drin. Außer­dem auch groß­ar­tig, dass das The­ma „Kin­der“ nicht unter Jubel­aspek­ten betrach­tet wird, son­dern unter dem Aspekt, wie­viel Schmerz und Leid das alles bringt: Kin­der­lie­be als Fes­sel, als Bür­de, als Sor­ge, als Angst, all die The­men, über die kaum einer mit wer­den­den Eltern spricht. Ein Blick auf die ande­re Sei­te.
Lukas: Womög­lich ist das ein­fach der Teil, der mir fürs Ver­ständ­nis fehlt.
Katha­ri­na: Und das gilt auch für Lie­be schlecht­hin: Sie bedeu­tet Ver­ant­wor­tung und viel­leicht auch Fes­sel. Das wis­sen die Men­schen oft nicht und hau­en sofort ab, sobald es Schwie­rig­kei­ten gibt.
Lukas: Wobei mei­ne Bereit­schaft, Popal­ben zu exzer­pie­ren und sie mir wis­sen­schaft­lich zu erschlie­ßen, auch über­schau­bar ist.
Katha­ri­na: Das ist doch kei­ne Wis­sen­schaft …
Lukas: Aber ohne das ist es ein ster­bens­lang­wei­li­ges Album.
Katha­ri­na: Für mich ist das Album wie ein Gespräch mit einem klu­gen, lie­ben Men­schen nach zwei Glä­sern Wein.
Lukas: Es ist ja nicht die Sor­te Welt­li­te­ra­tur, die vor­der­grün­dig als Geschich­te und hin­ter­grün­dig als intel­lek­tu­el­le Blau­pau­se funk­tio­niert! Es ist irgend­wie nur eins von bei­dem.
Katha­ri­na: Für mich ist das Album Lite­ra­tur, und zwar im deutsch­spra­chi­gen Raum zur Zeit ein­zig­ar­tig.
Lukas: Natür­lich ist es Lite­ra­tur: Es funk­tio­niert nur, wenn man sich in die Tex­te ver­tieft — aber dafür muss ich doch kei­ne Musik-CD auf­neh­men, da kann ich auch einen Roman oder einen Rat­ge­ber schrei­ben. Musi­ka­lisch ist das Album im Wesent­li­chen egal.
Katha­ri­na: Die Tex­te leben durch die Ver­to­nung, eben zum Bei­spiel in „Was uns bei­den gehört“ die­se Mischung aus melan­cho­lisch-fröh­li­che. Die Ver­to­nung als Inter­pre­ta­ti­on des Tex­tes.
Lukas: Zie­hen wir noch mal Peter­Licht her­an: Ich bin weit davon ent­fernt, „Alls was Du siehst gehört Dir“ zu ver­ste­hen, aber es ist schon musi­ka­lisch so groß, dass er sin­gen könn­te, was er will. (Was er letzt­lich tut. Bei WsH sind die Tex­te mut­maß­lich wich­ti­ger als irgend­was ande­res. Und da füh­le ich mich als Pop-Kon­su­ment (und ich wäh­le die­ses Wort bewusst) ver­arscht: „So, hier sind die Tex­te. Arbei­te sie durch, sie sind gehalt­voll.“ Ja, wozu dann die Musik?)
Katha­ri­na: Das stimmt. Ich hab das Album auch erst zu lie­ben begon­nen, als ich end­lich die CD mit dem Book­let in der Hand hielt und die Tex­te gele­sen habe. Da war ich dann hin und weg.
Lukas: Na, das ist nicht so meins. (Aber ich komm ja auch mit Gis­bert zu Knyphau­sen nicht klar.) Ent­we­der ist ihnen das Melo­die­ta­lent abhan­den gekom­men oder sie ver­wei­gern sich dies­mal bewusst der ein­gän­gi­gen Melo­die (was mut­maß­lich Dei­ne Les­art wäre). Aber wozu dann noch Musik machen?
Katha­ri­na: Also, ein­gän­gi­ge Melo­dien sind bei „Krei­se“ „Die Träu­me ande­rer Leu­te“ oder „Bring mich nach Hau­se“ durch­aus vor­han­den, fin­dest du nicht?

Katha­ri­na: Wenn wir jetzt noch über „Mei­ne Freun­din war im Koma und alles, was sie mir mit­ge­bracht hat, war die­ses lau­si­ge T‑Shirt“ reden, dann sind wir durch. („23:55“ spa­ren wir uns.)
Lukas: Dann lass mich kurz die bei­den offen­sicht­li­chen Wor­te sagen und Dir dann den Rest des Fel­des über­las­sen: The. Smit­hs.
Katha­ri­na: Wie­so? Wegen The­re Is A Light am Tun­nel­en­de?
Lukas: „Girl­fri­end In A Coma“. Wobei der Auto­un­fall natür­lich auch schön passt. Tat­säch­lich ein sehr anrüh­ren­des Lied.
Katha­ri­na: Girl­fri­end in a coma… Oh Gott, hab ich nicht dran gedacht, du bist echt der König der Inter­tex­tua­li­tät.
Lukas: Na, aber es ist der rosa Ele­fant unter den Song­ti­teln auf die­sem Album.

Lukas: Es geht am Ende um einen Auto­un­fall. Man könn­te jetzt sagen: „Die Frau im Auto warst nicht Du“ ist tat­säch­lich wört­lich gemeint – da war nie­mand im Koma, son­dern es geht um die­sen Schwe­be­zu­stand des Nicht­wis­sens: Ist da gera­de mei­ne Freun­din ver­un­glückt? — Puh, nee, doch nicht. Und ich bin mir ehr­lich gesagt auch nicht sicher, was es mit die­sem T‑Shirt (und der Tas­se und was weiß ich für Merch die da im Koma ver­kau­fen) auf sich hat.
Katha­ri­na: Ich glaub, das heißt, dass du noch so berühmt, beliebt, bekannt, toll sein kannst, die bes­te Mut­ter, Ehe­frau und Freun­din, alles ver­bürgt und ver­brieft auf Tas­sen und T‑Shirts… – am Ende stirbst du, und zwar ganz­ganz allein, kannst die Erfah­rung nicht tei­len, das ist ganz und gar deins, du wirst es nicht erzäh­len kön­nen, nicht tei­len. Ich glaub da geht’s dann eher dar­um, dass wir alle irgend­wie wis­sen, dass wir mal ster­ben müs­sen, aber der Moment, wo das dann kommt, pas­siert, ins Leben ein­bricht, da kön­nen wir es nicht glau­ben: „Das warst nicht du!“
Lukas: Ja. Ande­re Mög­lich­keit: Leug­nen.
Katha­ri­na: Klar, wir leug­nen die gan­ze Zeit, sonst könn­ten wir ja vor Angst nicht mehr auf die Stra­ße.
Lukas: In dem Song funk­tio­niert es jeden­falls, dass man vor ver­schlos­se­nen Türen steht und trotz­dem berührt wird.
Jeden­falls ist die Reduk­ti­on auf Stim­me und Kla­vier hier auch gelun­gen. (Mal davon ab, dass das Intro mich plötz­lich an den „Earth Song“ erin­nert. Huah!)
Katha­ri­na: Ja, es war auch das Lied vom Album, was mich sofort gekriegt hat und bei dem ich sofort ange­fan­gen habe zu heu­len.
Lukas: Jetzt wür­de ich sagen, dass es tat­säch­lich ums Ster­ben geht. Da aus dem Koma kommt nie­mand zurück. Und das Hemd ohne Taschen ist dann fast schon wie­der plump in einem so ver­schlüs­sel­ten Text.
Katha­ri­na: Was ich so mag an dem Lied, dass man das „Koma“ aus­wei­ten kann auf alle Erfah­run­gen, die man nicht tei­len kann. Letzt­end­lich also auf alle Erfah­run­gen. Du warst in einer Situa­ti­on, die wich­tig war für dich, du willst davon berich­ten und merkst wäh­rend du erzählst, dass du nicht die rich­ti­gen Wor­te fin­dest, dass du nicht aus dir raus­kannst und dei­ne Erfah­rung nie „tei­len“ kannst, weil sie immer nur dei­ne ist. Und dann fühlst du dich auf ein­mal kom­plett allei­ne und getrennt von allem: Alles, was ich dir geben kann, ist nur ein lau­si­ges T‑Shirt.
Lukas: „Auch Du“ ist dann Cäsar, ne?
Katha­ri­na: Hab ich auch über­legt. Wär auch schön: Auch du hast mich ver­ra­ten. „Auch du bist sterb­lich, du hast mich ver­ra­ten!“ Der Tod als ein Skan­dal.
Lukas: Sic tran­sit glo­ria mun­di.
Katha­ri­na: Hm?
Lukas: http://de.wikipedia.org/wiki/Sic_transit_gloria_mundi
Katha­ri­na: Auch hier wie­der: Kopf sen­ken, Genick zum Schlag bereit hal­ten: „Viel­leicht näh ich noch Taschen drauf, aber dann werd ich’s mit Fas­sung tra­gen“. Wie­der: Ich kämp­fe um Sou­ve­rä­ni­tät. Aber ich kann das Unver­än­der­ba­re nicht ändern, nur mit Fas­sung tra­gen.
Lukas: Das ist natür­lich ande­rer­seits auch ganz schön, dass wir hier mun­ter mit Geschich­te, Psy­cho­lo­gie, Wis­sen­schaft han­tie­ren kön­nen. Denn die Fra­ge darf ja nie sein, was uns der Künst­ler sagen will, son­dern was wir aus dem Werk ent­neh­men kön­nen. Der Inter­pre­ta­ti­on sind hier Tür und Tor geöff­net.
Katha­ri­na: Ja, war­um auch nicht? Man muss das alles ein wenig ord­nen und straf­fen …
Lukas: Aber damit ist es eben (puh, argu­men­ta­ti­ven Zir­kel­schluss geschafft): Lite­ra­tur­wis­sen­schaft. Als Musik-Album ist das Ding ein­fach geschei­tert.
Katha­ri­na: Aber als Freund fürs Leben unbe­dingt ange­ra­ten. Stil­le Was­ser sind tief.
Lukas: Nein, als Freund defi­ni­tiv nicht. Als gebil­de­ter Onkel oder ver­ehr­ter Uni­ver­si­täts­do­zent womög­lich. Aber nicht als Freund.
Katha­ri­na: Nein. Hörst du nicht die freund­li­che Stim­me von Judith? Frü­her fand ich sie immer zu sozi­al­päd­ago­gisch-anbie­dernd, mitt­ler­wei­le weiß ich, sie lässt mir mei­ne Frei­heit und ist Beglei­tung. Aber ist ja auch nicht so wich­tig, muss ja nicht jeder mit jedem befreun­det sein!

Wir Sind Helden - Bring mich nach Hause (Albumcover)
Wir Sind Hel­den – Bring mich nach Hau­se
VÖ: 27. August 2010
Label: Rekla­ma­ti­on Records/​Columbia Ber­lin
Ver­trieb: Sony Music