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Literatur

Ist das Lesen nicht schön?

In einem Anfall nur geringer Selbstüberschätzung dachte ich einmal “Was Elke Heidenreich kann, kann ich schon lange”, schnappte mir die Videokamera und erzählte dieser, welche Bücher man denn meine Meinung nach zu Weihnachten verschenken solle.

Herausgekommen ist ununterbrochenes Gesabbel, das man auch gut als bilderlosen Podcast hätte fabrizieren können, aber ich wollte ja unbedingt ein Video draus machen.

Bitte sehr, hier ist es:

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Anders als Elke Heidenreich brauche ich aber nur 16 Minuten. Das heißt, ich rede doppelt so schnell.

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Literatur

IV For Pop Culture

Chuck Klosterman IV (Cover der gebundenen Ausgabe)Manchmal neige ich zu sehr wohlwollenden Zukunftsprognosen. An diesem Eintrag war deshalb nahezu alles falsch: Das bestellte Buch kam nicht (wie wir inzwischen wissen) am darauffolgenden Montag an, sondern konnte erst nach einer Woche aus seiner Gefangenschaft befreit werden. Auch brauchte ich für die Lektüre nicht die veranschlagte eine Woche, sondern derer drei.

Jetzt aber: “Chuck Klosterman IV: A Decade of Curious People and Dangerous Ideas” ist (wie der Titel schon nahelegt) das vierte Buch von Chuck Klosterman. Chuck Klosterman ist ein amerikanischer Musik-, Film- und Popkulturjournalist, der lange Jahre für das “Spin Magazine”, aber auch für “Esquire”, das “New York Times Magazine” und diverse andere Druckerzeugnisse gearbeitet hat. Ich kam mit seiner Arbeit erstmals bewusst in Kontakt, als der deutsche “Rolling Stone” im vergangenen Jahr das Kapitel über Kurt Cobain aus dem damals frisch auf deutsch erschienenen Klosterman-Buch “Eine zu 85% wahre Geschichte abdruckte. Das Buch heißt im Original “Killing Yourself To Live” (“85% Of A True Story” ist der Untertitel, sooo abwegig ist deutsche Variante dann doch nicht) und Klosterman reist darin durch die halben USA und klappert dabei Orte ab, an denen Rockstars zu Tode gekommen sind.

Als ich ein paar Monate später bei Borders in San Francisco stand und mich nicht entscheiden konnte, mit welchem Buch ich als nächstes meine Kreditkarte belasten sollte, fiel mir “Killing Yourself To Live” in die Hände. Ich kaufte es, las es in einer Woche durch1 und wurde Fan. In den nächsten Wochen kaufte ich mir nacheinander “Sex, Drugs and Cocoa Puffs”, eine Artikel- und Essaysammlung über Popkultur im weiteren Sinne, und “Fargo Rock City”, ein Buch über Heavy Metal, Hardrock und Landleben, das sehr spät meine Begeisterung für die Musik von Guns N’ Roses weckte.

“Chuck Klosterman IV” war im letzten Herbst schon als Hardcover erschienen, aber ich wollte es zwecks besserer Optik im Bücherregal gerne ebenfalls als Taschenbuch haben.2 Dafür hab ich jetzt auch ein paar zusätzliche Essays und Fußnoten mit drin, die bei der Erstveröffentlichung teilweise noch gar nicht geschrieben waren. Essays und Fußnoten gibt es in dem Buch eine ganze Menge, denn es vereint – wie der Untertitel schon andeutet – Texte aus zehn Jahren und ist in drei Teile gegliedert: “Things that are true”, “Things that might be true” und “Something that isn’t true at all”.

“Things that are true” sind Porträts über Musiker wie Britney Spears, U2, Radiohead, Wilco oder Billy Joel, aber auch Reportagen über The-Smiths-Fantreffen voller Latinos, Goths in Disneyland und eine einwöchige Chicken-McNuggets-Diät (acht Jahre vor “Super Size Me”). Klosterman hat ihnen kleine Einführungen vorangestellt, die mitunter mindestens so unterhaltsam und erhellend sind wie die Artikel selbst. Er bemüht sich, seine Themen und Porträtierten ernst zu nehmen (sogar Britney Spears) und beschreibt Szenen, Gespräche und Ereignisse mit einem unglaublichen Gespür für Sprache und Komik. Dabei kommt es ihm sehr zu Gute, dass angelsächsischer Journalismus (im Gegensatz zum deutschen) dem Verfasser eine eigene Position und sogar ein Ich zugesteht. Statt umständlicher Konstruktionen kann er somit ganz persönliche Eindrücke bringen, die viel aussagekräftiger sind als es die Vortäuschung von Objektivität je wäre. Fast nie erhebt er sich über den Gegenstand, nur Europäer und Soccer sind Themen, bei denen er schnell emotional wird.

“Things that might be true” vereint zahlreiche “Esquire”-Kolumnen zu eher abstrakten Gedanken. Er jongliert mit kulturtheoretischen, zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Themen, was ihm meistens sehr gut gelingt, worin er sich mitunter aber auch ein wenig verheddert. Diese Texte regen aber, mehr als die aus Teil Eins, zum Nachdenken an und ich bin mir sicher, dass sie an amerikanischen Unis bereits Gegenstand einiger Seminare und Hausarbeiten sind. Ihnen vorangestellt ist je eine (mitunter höchst hypothetische Frage), die den Leser schon mal an den Rand des Wahnsinns bringen kann. Beispiel gefällig?

Q: Think of someone who is your friend (do not select your best friend, but make sure the person is someone you would classify as “considerably more than an acquaintance”).
 This friend is going to be attacked by a grizzly bear.
 Now, this person will survive this bear attack; that is guaranteed. There is a 100 percent chance that your friend will live. However, the extent of his injuries is unknown; he might receive nothing but a few superficial scratches, but he also might lose a lim (or multiple limbs). He might recover completely in twenty-four hours with nothing but a great story, or he might spend the rest of his life in a wheelchair.
 Somehow, you have the ability to stop this attack from happening. You can magically save your friend from the bear. But his (or her) salvation will come at a peculiar price: if you choose to stop the bear, it will always rain. For the est of your life, wherever you go, it will be raining. Sometimes it will pour and sometimes it will drizzle – but it will never not be raining. But it won’t rain over the totality of the earth, nor will the hydrological cycle be disrupted; these storm clouds will be isolated, and they will focus entirely on your specific whereabouts. You will never see the sun again.
 Do you stop the bear and accept a lifetime of rain?

Also bitte, wie brillant ist denn sowas?

“Things that aren’t true at all” enthält eine etwa dreißigseitige Kurzgeschichte über einen jungen Filmkritiker, dem einige ziemlich abgefahrene3 Sachen passieren. Die Geschichte ist gut geschrieben, mit der Klosterman-üblichen Liebe zu ausgefallenen Details und sie ist nur etwa dreißig Seiten lang. Viel mehr positives lässt sich darüber nicht sagen, sie ist halt “ganz nett”, aber ihr Fehlen hätte für das Buch keinen großen Makel bedeutet.

Wenn Sie sich jetzt seit ungefähr dem zweiten Absatz fragen, ob Chuck Klosterman “sowas wie der amerikanische Benjamin von Stuckrad-Barre” sei: Schwer zu sagen. Beide beherrschen ihr Handwerk sicherlich sehr gut, aber es gibt schon deutliche Unterschiede, die ganz profan bei der Sprache anfangen (ich liebe dieses Formelhafte der englischen Sprache, ihre idiomatischen Wendungen und die zahlreichen Möglichkeiten, sich vom Beschriebenen zu distanzieren) und bei der Einstellung der Autoren gegenüber ihren Inhalten aufhören.

“Chuck Klosterman IV” ist für alle, die sich für Popkultur im weiteren Sinne (und für amerikanische Massenkultur) interessieren, die gerne gut geschriebene Porträts und Reportagen lesen und sich für etwas abseitige Gedankengänge erwärmen können. Und für kuriose Leute.

1 Es ist bedeutend dünner als das neue Buch (257 zu 416 Seiten).
2 Ironie der Geschichte: Die Bücher stehen gar nicht bei mir im Regal. Das ist nämlich voll. Sie liegen jetzt auf einer Reihe stehender Bücher und werden noch dazu von einer Borussia-Mönchengladbach-Flagge verdeckt.
3 Demnächst an dieser Stelle: Die zehn schönsten Achtziger-Jahre-Adjektive.

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Musik

Die Jugend von morgen

Morgen erscheinen zwei Alben, die – auch wenn sie auf den ersten Blick sehr verschieden sind – ein paar Gemeinsamkeiten aufweisen: beide stammen aus der Feder von jungen Männern und beide gefallen mir außerordentlich gut.

Get Cape. Wear Cape. Fly – The Chronicles Of A Bohemian Teenager
Lass uns Schubladen verbrennen mit Sam Duckworth. Der schnappt sich seine Akustikgitarre und singt Melodien, die einen zunächst einmal an so richtig emo-mäßige Songs denken lassen. Aber noch bevor man “Dashboard Confessional lässt grüßen” in seinen Unterarm ritzen kann, scheppern da verspielte Beats los und winken in Richtung The Postal Service und Electric President. Anders als die bisher genamedropten Künstler kommt Duckworth aus England und ist gerade 20 Jahre alt. Man müsste sich arg am Metaphernriemen reißen, um die Lieder nicht als Perlen zu bezeichnen und das Album zu hören klingt wie als Kind in die Sommerferien zu fahren. Und ehe meine Hilflosigkeit, das Unglaubliche in Worte zu fassen, noch weiter um sich greift, empfehle ich die Anschaffung des Werkes. Zur Not nach vorherigem Reinhören!

Mika – Life In Cartoon Motion
Die fantastische Single “Grace Kelly”, die einem auch beim hundertsten Hören noch nicht völlig auf die Ketten geht, hatte ich ja schon vor ein paar Wochen gelobt. Jetzt kommt das Album (natürlich mit abgerundeten Ecken) und da zeigt uns der 23jährige Mika, der in seinem Leben schon mehr erlebt hat als so mancher mit 75, wie Pop heute geht. Was sage ich dazu? Seit “Maybe You’ve Been Brainwashed Too” von den New Radicals, nach deren Gregg Alexander Mika immer wieder klingt, hab ich keine so charmant-bunte Pop-Platte mehr gehört. Wenn das Album nach zehn Songs vorbeige wäre, wäre es ein echtes Meisterwerk. Mit zwölf Nummern ist es nur eine großartige Scheibe für Freunde des etwas bubblegumigen Indiepops. Bitte ebenfalls kaufen und hören!

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Literatur

This land is your land, this land is my land

Die Frage, was eigentlich typisch deutsch sei, ist sicherlich bedeutend älter als die Bundesrepublik und nicht selten wird als Antwort gegeben, eben so eine Frage sei typisch deutsch. Wer von einem längeren Auslandsaufenthalt zurückkehrt, wird bei seinen Landsleuten eine umfangreiche Sammlung andernorts nicht vorgefundener Marotten entdecken (ich persönlich würde “Rauchen wie ein Schlot” und “ständiges Meckern” nennen, sowie das schlechte Wetter, was aber nicht an den Leuten selbst liegt). Wer gar als Ausländer nach Deutschland kommt, wird einen sehr eigenen Blick auf das Land und seine Menschen haben und wenn dieser Blick gut geschärft ist und der Blicker ein Buch darüber schreibt, dann ist klar, dass ich das lesen muss.

Eric T. Hansen wuchs auf Hawaii auf, kam als Mormonenmissionar nach Deutschland und schwor als erstes seinem Missionarentum ab. Stattdessen beschäftigte er sich ausgiebig mit der deutschen Geschichte, Literatur und Gesellschaft. Sein Buch “Planet Germany” lässt sich am Besten als Reiseführer für Einheimische beschreiben: Hansen greift darin typisch deutsche Selbsteinschätzungen auf und zerrupft sie genüsslich. Die Deutschen sind Workoholics? Nirgendwo sonst wird mehr Geld für Urlaub ausgegeben. Die Deutschen lieben die Hochkultur? Es gibt nichts erfolgreicheres als Volksmusiksendungen. Ganz nebenbei erklärt Hansen den aufmerksamen Lesern so einiges über die Geschichte Deutschlands, seine bedeutendsten Erfinder und zieht dabei immer wieder Parallelen zu seiner eigentlichen Heimat, den USA. Schnell wird deutlich: was den Deutschen fehlt, ist vor allem Selbstbewusstsein. Der Deutsche nörgelt am liebsten und redet alles schlecht – am liebsten sein eigenes Heimatland.

Dabei lernt man (gerade als Deutscher) so einiges: wenn Hansen in wenigen Sätzen klar macht, dass weite Teile der deutschen Wirtschaft heute noch Regelungen unterworfen sind, die aus dem Mittelalter stammen, möchte man sofort der FDP beitreten. Trotzdem ist das Buch gut, es ist unterhaltsam und lehrreich. Und: es wirft Fragen auf, die man sich selbst wohl noch nie gestellt hat. Ob das Buch einer differenzierten Betrachtung stand hielte, ist eigentlich zweitrangig, aber nicht mal auszuschließen: Hansen hat sehr gründlich recherchiert und arbeitet sich von dort mit einer Mischung aus gesundem Menschenverstand und Schalk im Nacken weiter. Allein das Kapitel, in dem er namhafte Politiker erklären lässt, was noch mal das Besondere an Goethe und Schiller war, sollte in jedem Deutsch-LK besprochen werden: Von sechsen geht genau einer (Lothar Bisky von der Linkspartei), wenigstens halbwegs angemessen auf das literarische Schaffen der beiden ein. Dafür schafft es jede Partei, diese “Dichter und Denker” mit dem eigenen Programm auf Linie zu bringen.

Die ganze Zeit bleibt klar: Eric T. Hansen mag die Deutschen und ihr Land und er kann beim besten Willen nicht verstehen, warum sie es nicht selbst auch mögen. Den schmalen Grat zwischen “Schlussstrich” und “Tätervolk” lässt er nicht aus, aber er beschreitet ihn so leichtfüßig, wie es wohl nur ein Ausländer kann. Das, was Hansen anspricht, wäre dann möglicherweise “positiver Patriotismus”, nicht das Wedeln mit Fähnchen bei Sportgroßveranstaltungen. Ein paar Argumentationen und Ideen erinnern dann auch ein wenig an Michael Moore – nur dass der die freie Marktwirtschaft vermutlich nicht ganz so laut lobpreisen würde.

Ich würde mir wünschen, dass jeder dieses Buch liest – danach können wir weiterdiskutieren.