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„Eines Tages“, die bun­te Res­te­ram­pe für wie­der­auf­be­rei­te­te Bou­le­vard­ge­schich­ten bei „Spie­gel Online“, nimmt den Tod von Schau­spie­ler John Belu­shi heu­te vor 30 Jah­ren zum Anlass, das The­ma „Tote Stars im Hotel“ in aller unap­pe­tit­li­cher Tie­fe aus­zu­leuch­ten.

Neben einem dahin geschlu­der­ten Arti­kel zu Belushis Dro­gen­lauf­bahn und deren Ende („Der Tod im Hotel­zim­mer, sonst wahl­wei­se rebel­li­scher Höhe­punkt eines exzes­si­ven Lebens oder aber tra­gi­scher Schluss­ak­kord eines ein­sa­men Kar­rie­re-Endes“) gibt es eine 24-teil­i­ge Bil­der­ga­le­rie zu all den berühm­ten Hotel­to­ten: Von Janis Jop­lin und Jimi Hen­drix über Gus­taf Gründ­gens und Oscar Wil­de bis hin zur gera­de erst ver­stor­be­nen Whit­ney Hous­ton (dass Ste­phen Gate­ly von Boy­zo­ne nicht in einem Hotel­zim­mer, son­dern in sei­nem eige­nen Apart­ment auf Mal­lor­ca gestor­ben ist, soll uns an die­ser Stel­le nicht wei­ter stö­ren – das hat es die Klick­stre­cken-Macher von „Eines Tages“ ja auch nicht).

Das alles lie­ße sich ja noch gera­de eben mit dem, der Pop­kul­tur inne­woh­nen­den Hang zum Mor­bi­den recht­fer­ti­gen. Rich­tig schlimm wird es erst dort, wo die­ser Zynis­mus auf den für „Spie­gel Online“ typi­schen Hang zum Kalau­er trifft:

Tote Stars im Hotel: Einchecken, ausrasten, ableben. Exzesse bis zum Exitus: Als John Belushi vor 30 Jahren im Hotel "Chateau Marmont" starb, war Amerika schockiert. Denn bald kam heraus, dass der Komiker sich selbst nur auf Koks und Heroin lustig fand. einestages über Stars, die in Hotelzimmern starben - und ihre einsamen letzten Nächte.

In der URL des Arti­kels taucht übri­gens auch noch die For­mu­lie­rung „Kal­ter Aus­zug“ auf.

[via Ste­fan]

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Boulevardjournalismus-Mäander

Es gibt Tex­te, die neben ihrem eigent­li­chen Inhalt auch ihre eige­ne Ent­ste­hungs­ge­schich­te trans­por­tie­ren. In der heu­ti­gen „Bild am Sonn­tag“ gibt es min­des­tens zwei die­ser Sor­te:

Zehn Kol­le­gen haben Ste­fan Hauck (der als Exper­te auf dem Gebiet der Exis­tenz­ver­nich­tung zu gel­ten hat) bei sei­nem Ver­such unter­stützt, das Pri­vat­le­ben von Jörg Kachelm­ann aus­zu­lo­ten.

Sie haben dabei kei­ne gro­ßen Erkennt­nis­se gewon­nen und die Ent­täu­schung dar­über schwingt mit:

Viel genau­er geht es nicht, denn auch am Ende von lan­gen Gesprä­chen mit Weg­ge­fähr­ten, Freun­den, Gelieb­ten, Kol­le­gen und Fein­den des Beschul­dig­ten, hat zwar jeder über Jörg-Andre­as Kachelm­ann gespro­chen – aber immer einen ande­ren Men­schen geschil­dert.

Da betreibt man so einen Auf­wand und am Ende sitzt man vor einem Berg aus Puz­zle­tei­len, die alle nicht so recht­zu­sam­men­pas­sen wol­len. Aber wenn man sie doch gewalt­sam zusam­men­häm­mert, ent­steht da das Bild eines Men­schen – oder, wie Hauck schreibt, einer „wider­sprüch­li­chen Per­son“.

„Herz­li­chen Glück­wunsch!“, möch­te man fast aus­ru­fen, „Sie haben soeben begrif­fen, dass die wenigs­ten Men­schen zwei­di­men­sio­na­le Wesen sind!“ Aber das wäre Quatsch. Hauck hat nichts begrif­fen, wie er gleich zu Beginn sei­nes Tex­tes selbst her­aus­po­saunt:

Bis ver­gan­ge­nen Mon­tag hat sich kein Mensch ernst­haft dafür inter­es­siert, was der Fern­seh­star Jörg Kachelm­ann, 51, für eine Bezie­hung zu Frau­en hat. Und ob über­haupt. Kachelm­ann ist ein Star des Fern­se­hens, ist aber, was den „Glam-Fak­tor“ anbe­langt, also die Maß­ein­heit, in der man das Glit­zern­de eines Fern­seh-Men­schen misst, natür­lich kein Rober­to Blan­co, wer ist schon wie Rober­to Blan­co?

Wenn sich bis letz­te Woche „kein Mensch ernst­haft“ für das Intim­le­ben die­ses angeb­lich so ung­la­mou­rö­sen Fern­seh­stars inter­es­siert hat, war­um soll­te man es jetzt tun? Weil es hel­fen wür­de, als Außen­ste­hen­der zu beur­tei­len, ob Kachelm­ann die Tat, die ihm vor­ge­wor­fen wird, began­gen haben könn­te? (Und was hat das Wort „ernst­haft“ über­haupt in die­sem Satz zu suchen?)

Die Suche nach Erklä­rungs­mus­tern ist zutiefst mensch­lich, aber wäh­rend es bei Amok­läu­fern oder Ter­ro­ris­ten, ((Der Kaba­ret­tist Vol­ker Pis­pers sag­te ein­mal über die Repor­ter, die nach den Anschlä­gen des 11. Sep­tem­ber 2001 in Ham­burg das Umfeld des Anfüh­rers Moham­med Atta aus­ge­fragt hat­ten: „Sol­che Men­schen kön­nen Sie nur zufrie­den­stel­len, indem Sie sagen: ‚Ja, so ein biss­chen nach Schwe­fel gero­chen hat er schon ab und zu.‚“)) die ihre Taten in und an der Öffent­lich­keit began­gen haben, noch ein gerecht­fer­tig­tes Inter­es­se an ihrer Vor­ge­schich­te geben könn­te – um im Ide­al­fall in ähn­lich gela­ger­ten Fäl­len Taten zu ver­mei­den – geht es im „Fall Kachelm­ann“ um das exak­te Gegen­teil: Ein mög­li­ches Ver­bre­chen im denk­bar intims­ten Rah­men, in des­sen Fol­ge nicht nur der mut­maß­li­che Täter der Öffent­lich­keit prä­sen­tiert wird, son­dern auch das poten­ti­el­le Opfer, not­dürf­tig anony­mi­siert.

* * *

Die ande­re Geschich­te hat nur eine Autoren­nennung, aber schon der ers­te Satz deu­tet an, dass auch Nico­la Pohl nicht allein war, als sie im pri­va­ten Umfeld der deut­schen Grand-Prix-Hoff­nung Lena Mey­er-Land­rut wühl­te:

Einen weh­mü­ti­gen Jun­gen mit dün­nem Bart. Eine Tanz­leh­re­rin, die abhebt. Einen Fri­seur, der der Neun­jäh­ri­gen die Spit­zen schnitt. Sie alle tra­fen wir, als wir zwei Tage durch Lena Mey­er-Land­ruts Leben spa­zier­ten und uns frag­ten: Wo lebt, lacht, liebt, lüm­melt Lena?

Die Recher­che muss noch ent­täu­schen­der ver­lau­fen sein als die bei Kachelm­ann: Aus der Über­schrift „Wie heil ist Lenas Welt?“ tropft förm­lich die Hoff­nung auf Fami­li­en­dra­men, Dro­gen, Sex und Schum­meln bei den Vor­abi­klau­su­ren, aber nichts davon hat die Autorin gefun­den. Jetzt muss sie unüber­prüf­ba­re und belang­lo­se Aus­sa­gen wie „Für 7,90 Euro ließ sie sich Spit­zen schnei­den“ als Sen­sa­ti­ons-Mel­dung ver­kau­fen. Wenn man schon sonst nichts gefun­den hat und extra hin­ge­fah­ren ist.

* * *

Mal davon ab, dass ein Fri­seur, der mit irgend­wel­chen wild­frem­den Men­schen über mich redet, mir die längs­te Zeit sei­nes Lebens die Haa­re geschnit­ten hät­te, habe ich nie ver­stan­den, was so inter­es­sant sein soll am Pri­vat­le­ben von Pro­mi­nen­ten. Ich bin mir sicher, wenn man die Nach­barn, Freun­de und Fami­li­en­mit­glie­der eines belie­bi­gen Men­schen befragt, wer­den die meis­ten nicht viel mehr als zwei, drei Sät­ze über die betref­fen­de Per­son berich­ten kön­nen – wohl aber erstaun­li­che Details aus dem Pri­vat­le­ben von Brad Pitt, Ange­li­na Jolie, San­dra Bul­lock und Tiger Woods.

Es ist mir egal, wie oft Ben Folds schon ver­hei­ra­tet war, wel­che Dro­gen Pete Doh­erty gera­de nimmt und wel­che Haar­far­be Lily Allen im Moment hat. Ich wün­sche die­sen Pro­mi­nen­ten wie allen ande­ren Men­schen auch, dass es ihnen gut geht. ((Auch wenn Musi­ker meist die bes­se­ren Songs schrei­ben, wenn es ihnen schlecht geht, aber so ego­is­tisch soll­te man als Hörer dann auch nicht sein.)) Mich inter­es­siert ja offen gestan­den schon nicht, was die meis­ten Men­schen so machen, mit denen ich zur Schu­le gegan­gen bin. ((Selbst eini­ge Sachen, die mir gute Freun­de über sich erzählt haben, hät­te ich am liebs­ten nie erfah­ren. Aber mit die­ser Last muss man in einer Freund­schaft irgend­wie klar­kom­men.))

* * *

Es sind Tex­te wie die­se zwei aus „Bild am Sonn­tag“, bei denen man hofft, bei der Aus­wahl der eige­nen Freun­de das rich­ti­ge Fin­ger­spit­zen­ge­fühl bewie­sen zu haben, auf dass die­se nicht mit irgend­wel­chen daher­ge­lau­fe­nen Jour­na­lis­ten plau­dern, wenn man selbst mal zufäl­li­ger­wei­se unter einen Tank­las­ter gera­ten soll­te. Gleich­zei­tig ahnt man natür­lich auch, dass die Men­schen, die reden wür­den, nur das Schlech­tes­te über einen zu berich­ten wüss­ten: Frü­he­re Mit­schü­ler, mit denen man nie etwas zu tun hat­te; Ex-Kol­le­gen, die man im Eifer des Gefechts mal eine Spur zu hart ange­gan­gen hat; Inter­net-Nut­zer, die glau­ben, auf­grund der Lek­tü­re ver­schie­de­ner Blog-Ein­trä­ge und ‑Kom­men­ta­re einen Ein­druck von der eige­nen Per­son zu haben.

* * *

Über­haupt soll­te man bei die­ser Gele­gen­heit und für alle Zei­ten noch mal auf den Rat­ge­ber „Hil­fe, ich bin in BILD!“ zu ver­wei­sen, den die Kol­le­gen vor mehr als drei Jah­ren zusam­men­ge­stellt haben, aber der natür­lich immer noch gül­tig ist, wenn „Bild“-Reporter, Men­schen, die sich als sol­che aus­ge­ben, oder ande­re Medi­en­ver­tre­ter bei einem anru­fen.

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Wenn ein Ver­kehrs­mi­nis­ter sei­nen Füh­rer­schein wegen Geschwin­dig­keits­über­schrei­tung abge­ben muss, ist das eine inter­es­san­te Infor­ma­ti­on, weil sei­ne pri­va­te Ver­feh­lung mit sei­nem öffent­li­chen Amt kol­li­diert. Wenn dage­gen ein Land­wirt­schafts­mi­nis­ter beim Rasen erwischt wür­de, sähe ich kei­nen Zusam­men­hang zu sei­nem Amt und somit auch kei­nen Grund für öffent­li­che Ver­laut­ba­run­gen. ((Dass sich gene­rell jeder an die Ver­kehrs­re­geln hal­ten soll­te, steht dabei außer Fra­ge.))

Im Fal­le Kachelm­ann haben die Vor­wür­fe gegen ihn nichts mit sei­nem Beruf zu tun. Zwar ist es durch­aus denk­bar, dass ein öffent­lich-recht­li­cher Sen­der auf die Diens­te vor­be­straf­ter Mode­ra­to­ren ver­zich­ten wür­de (schon, um Schlag­zei­len wie „Unse­re Gebüh­ren für den Ver­ge­wal­ti­ger!“ zu ver­mei­den), aber dar­über kann die ARD ja immer noch ent­schei­den, wenn es ein rechts­kräf­ti­ges Urteil eines ordent­li­chen Gerichts gibt.

Allein über die irri­ge (und oft gefähr­li­che) Annah­me, man müs­se immer sofort los­be­rich­ten, wenn man von einer Sache Wind bekom­men hat, könn­te ich mich stun­den­lang aus­las­sen. Das Inter­net und der her­bei­phan­ta­sier­te Anspruch, man müs­se nicht der Bes­te, son­dern nur der Schnells­te sein, hat Jour­na­lis­mus zu etwas wer­den las­sen, was mit „work in pro­gress“ mit­un­ter noch schmei­chel­haft umschrie­ben wäre. „Work in pre­pa­ra­ti­on“ wäre mit­un­ter pas­sen­der.

* * *

Von der Arbeits­wei­se man­cher Medi­en­ver­tre­ter konn­te ich mich in den letz­ten Tagen selbst über­zeu­gen, als mich ein Mit­ar­bei­ter der Zeit­schrift „Der Jour­na­list“ anrief, die aus­ge­rech­net vom Deut­schen Jour­na­lis­ten-Ver­band her­aus­ge­ge­ben wird: Es ging um Vor­wür­fe, ein Kol­le­ge, der auch für BILD­blog schreibt, habe Zita­te erfun­den. Der Mann vom „Jour­na­lis­ten“ woll­te die Han­dy-Num­mer des Kol­le­gen, die ich ihm nicht geben konn­te, und erklär­te mir dann, er wol­le auf alle Fäl­le erst mal mit dem Betrof­fe­nen selbst spre­chen, bevor er etwas ver­öf­fent­li­che. Der Zeit­druck sei ja auch nicht sooo groß, zumal bei einer Monats­zeit­schrift.

„Das ehrt Sie schon mal“, hat­te ich sagen wol­len, es dann aber doch nicht getan, weil es mir albern erschien, ver­meint­li­che Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten zu loben. Glück gehabt, denn ich hät­te mein Lob zurück­neh­men müs­sen, wie sich als­bald zeig­te.

* * *

Doch noch ein­mal zurück zu Jörg Kachelm­ann: Wenn sich die Redak­ti­on der „Tages­schau“ nach lan­gen Dis­kus­sio­nen ent­schei­det, nicht über die Vor­wür­fe gegen ihn und sei­ne Ver­haf­tung zu berich­ten, kriegt sie dafür einen auf den Deckel.

Die sel­ben Medi­en, die sich im Ver­gleich zum bösen, bösen Inter­net (das neben hun­dert ande­ren Gesich­tern natür­lich auch sei­ne häss­li­che Frat­ze zeigt) immer wie­der ihrer „Gatekeeper“-Funktion rüh­men (die also wich­ti­ge von unwich­ti­gen, rich­ti­ge von unrich­ti­gen Mel­dun­gen unter­schei­den zu kön­nen glau­ben), haben ihre eige­nen Scheu­nen­to­re sperr­an­gel­weit offen und lei­ten ihre Ver­pflich­tung (mit einer Berech­ti­gung ist es nicht getan) zur Bericht­erstat­tung dar­aus ab, dass auch die Jus­tiz aktiv gewor­den ist.

Franz Baden auf sueddeutsche.de:

Im Fall Kachelm­ann hat eine Frau Straf­an­zei­ge erstat­tet – und das Amts­ge­richt Mann­heim Haft­be­fehl erlas­sen, als sich der Tat­ver­dacht erhär­tet habe. Dar­über wird berich­tet wer­den müs­sen.

Wenn sich ein Jour­na­list hin­stellt und zu Beson­nen­heit auf­ruft, wie es Mich­a­lis Pan­te­lou­ris in sei­nem Blog „Print Würgt“ getan hat, kommt der Chef­re­dak­teur des Medi­en­diens­tes des Trash-Por­tals von Meedia.de vor­bei und wirft ihm in einem Kom­men­tar vor, sol­che Blog­ein­trä­ge sei­en „ruf­schä­di­gend für den Jour­na­lis­mus“.

Mir ist nach der letz­ten Woche ehr­lich gesagt nicht ganz klar, auf was für einen Ruf er sich da eigent­lich noch bezieht.

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No matter what the end is

Richard Wag­ner ist Redak­teur bei der „Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Sonn­tags­zei­tung“ und hat am ver­gan­ge­nen Sonn­tag in sei­ner Kolum­ne „Das war’s“ fol­gen­den … Nach­ruf ver­fasst:

Rät­sel­haft blieb, war­um der unap­pe­tit­li­che Tod des höchs­tens mit­tel­mä­ßi­gen soge­nann­ten Sän­gers Ste­phen Gate­ly der längst abge­half­ter­ten soge­nann­ten Boy­group „Boy­zo­ne“ auf der in noch ande­rer Hin­sicht unap­pe­tit­li­chen Insel Mal­lor­ca den Weg in die respek­ta­ble Öffent­lich­keit fand.

[via Ste­fan Nig­ge­mei­er]

Wenn man mal von den gan­zen Unver­schämt­hei­ten Zynis­men Adjek­ti­ven absieht, ((Eben­falls abse­hen soll­te man natür­lich von dem Umstand, dass da ein Band­na­me in Anfüh­rungs­zei­chen gesetzt ist, was mich ein­fach immer wahn­sin­nig macht. Aber das mag ein per­sön­li­ches Pro­blem sein.)) steht da eine gar nicht mal so unin­ter­es­san­te Fra­ge: War­um ver­schaff­te sein Tod Ste­phen Gate­ly eine Auf­merk­sam­keit, die er – wenn über­haupt – zuletzt vor zehn Jah­ren bekom­men hat­te, als er in der „Sun“ sein (mil­de erzwun­ge­nes) Coming Out hat­te?

Ganz banal gesagt fängt es natür­lich mit der Öffent­lich­keit – das Wort „respek­ta­bel“ muss Wag­ner beim wahl­lo­sen Adjek­tiv-Ein­set­zen rein­ge­rutscht sein – an, die grö­ßer ist als je zuvor. Was frü­her Gesprächs­the­ma auf dem Pau­sen­hof oder in der Tee­kü­che war, fin­det jetzt für jeden wahr­nehm­bar im Inter­net statt. Es gibt Twit­ter, Blogs, Pinn­wän­de bei Face­book, MySpace und last.fm und Bou­le­vard­zei­tun­gen, die qua­si rund um die Uhr erschei­nen. Alles bekommt heu­te mehr Auf­merk­sam­keit als vor zehn Jah­ren – viel­leicht mit Aus­nah­me eini­ger wich­ti­ger Din­ge, aber dar­über sol­len Kul­tur­pes­si­mis­ten wie Richard Wag­ner nach­grü­beln.

Eine ande­re prag­ma­ti­sche Ant­wort wäre: Weil die Frau­en, die heu­te die „People“-Ressorts und Online-Redak­tio­nen rund um den Erd­ball beset­zen, mit Boy­zo­ne auf­ge­wach­sen sind. Die Ant­wort ist aber so schlicht, dass man sie Wag­ner tat­säch­lich anbie­ten wür­de, wenn man ihn irgend­wo zwi­schen Tür und Angel trä­fe.

Aber man kann ja mal ver­su­chen, ein biss­chen tie­fer zu gehen: Erst ein­mal erzeugt ja der Tod eines Pro­mi­nen­ten ((„eines soge­nann­ten Pro­mi­nen­ten“ für Richard Wag­ner.)) immer media­le Auf­merk­sam­keit – je vor­zei­ti­ger, des­to grö­ßer. Es gilt, was Nada Surf 1999 in „River Phoe­nix“ ((Benannt nach dem Schau­spie­ler, der 1993 im Alter von 23 Jah­ren an einer Über­do­sis Hero­in und Koka­in ver­starb.)) san­gen:

We did­n’t know Jackie O
She was one of the peo­p­le that we did not know
Nor did we care about her hair
Her pill­box hat and her savoir fai­re
But still we thought we knew

Man nimmt halt irgend­wie am Leben von Per­so­nen des öffent­li­chen Lebens teil – heu­te noch sehr viel mehr als vor zehn Jah­ren: Ste­phen Gate­ly hat­te einen Twit­ter-Account, der ja als das Sym­bol der Annä­he­rung zwi­schen Stars und ihren Fans gilt.

Als Anna Nico­le Smith, eine Frau, die aus sehr viel schlich­te­ren Grün­den berühmt war als Ste­phen Gate­ly, im Febru­ar 2007 starb, erklär­ten eini­ge Men­schen aus mei­nem Umfeld etwas irri­tiert, dass sie die­ser Todes­fall doch irgend­wie betrof­fen mache – und ich war ganz froh, dass es nicht nur mir so ging. Fünf Mona­te zuvor hat­te Smith ihre Toch­ter zur Welt gebracht, ihr Sohn Dani­el war beim Besuch am Kinds­bett gestor­ben. Das wünscht man kei­nem, auch kei­ner gro­tes­ken Medi­en­fi­gur, deren Leben von Anfang an unstern­ver­folgt schien.

Ein wei­te­rer wich­ti­ger Grund, war­um sich die Öffent­lich­keit und die Medi­en so sehr auf Gate­lys Tod stürz­ten, sind die „unap­pe­tit­li­chen“ Umstän­de – oder das, was die Klatsch­jour­na­lis­ten ger­ne dar­in sehen woll­ten: Erst hieß es, er sei an sei­nem eige­nen Erbro­che­nen ((Völ­lig bizarr wäre natür­lich, mal von jeman­dem zu lesen, der an frem­dem Erbro­che­nen erstickt ist. Man könn­te aber wohl auch gut drauf ver­zich­ten.)) erstickt, was ja Rock­startod #1 wäre (vgl. Jimi Hen­drix, Bon Scott). Die Rede war von einer wil­den Par­ty­nacht mit sei­nem ein­ge­tra­ge­nen Lebens­part­ner und einem drit­ten Mann.

Denn, machen wir uns nichts vor: Die Tat­sa­che, dass Gate­ly schwul war, gibt der Geschich­te natür­lich noch mal eine gewis­se Wür­ze. Einer­seits ver­leiht es der Auf­stiegs­ge­schich­te vom Arbei­ter­sohn zum Pop­star ein gewis­ses tra­gi­sches Moment, dass sich Gate­ly jah­re­lang ver­stel­len muss­te, ande­rer­seits gibt es den völ­lig Enthirn­ten Gele­gen­heit zu Über­schrif­ten wie „Homo-Sän­ger erstickt am eige­nen Erbro­che­nen“. Und dann die­ser 25-jäh­ri­ge bul­ga­ri­sche „Par­ty­boy“, ((Wobei man über das Wort „Par­ty­boy“ ja schon fast froh und dank­bar sein muss – irgend­et­was sagt mir, dass da vor kur­zem noch „Stri­cher“ gestan­den hät­te.)) der beim Paar in der Woh­nung war – da ist natür­lich der Phan­ta­sie zahl­rei­cher Redak­teu­re und Leser freie Bahn gelas­sen.

Dabei spricht wenig dafür, dass Gate­ly ein exzes­si­ves Leben geführt hat. Per­so­nen aus sei­nem Umfeld wer­den damit zitiert, dass er nur sel­ten Alko­hol trank und auch sonst nicht stän­dig auf Par­ty aus war. Aber sol­che Aus­sa­gen tau­gen längst nicht für so knal­li­ge Schlag­zei­len – und wenn man schon kaum etwas über sein Pri­vat­le­ben weiß und die Serio­si­tät der Quel­len eh nicht ein­schät­zen kann, dann bezieht man sich natür­lich lie­ber auf die Erzäh­lun­gen, die skan­da­lö­ser wir­ken und beim geneig­ten Leser zur Schluss­fol­ge­rung „Selbst schuld, der Herr Pop­star!“ füh­ren.

Aber all das reicht natür­lich nicht zum Pop­startod des Jah­res, nicht im Jahr 2009. Hät­te man am 20. Juni mit „Beat It“ allen­falls ein paar beson­ders Tanz­wü­ti­ge zum Bei­ne­schüt­teln bewe­gen kön­nen, waren die Tanz­flä­chen eine Woche spä­ter voll, als die ers­ten Tak­te erklan­gen. Die Anteil­nah­me – auch die eige­ne – am Tode Micha­el Jack­sons dürf­te die meis­ten Men­schen über­rascht haben. Wie ernst es wirk­lich war, merk­te ich, als mei­ne Groß­el­tern, deren größ­te Annä­he­rung an die Pop­kul­tur sonst im „Tatort“-Gucken am Sonn­tag­abend besteht, ((Eine Zeit lang dach­te mein Groß­va­ter, er wis­se, was eine Rap­pe­rin sei – es war die Pha­se, in der Boris Becker mit Sabri­na Set­lur liiert war.)) mich frag­ten, was ich denn zum Tod von Micha­el Jack­son sagen wür­de. Ja, was sagt man da?

Jack­son hat­te halt irgend­wie irgend­wann ein­mal das Leben von fast jedem Men­schen auf die­sem Pla­ne­ten berührt – und wenn sich das bei man­chen nur in der Ansicht nie­der­schlug, Jack­son sei wahn­sin­nig und (s.o.) an allem selbst schuld. Aber obwohl Jack­son eigent­lich spä­tes­tens seit sei­nem Pro­zess wegen Kin­des­miss­brauchs im Jahr 2005 als Witz­fi­gur galt, war das bei den Meis­ten – natür­lich nicht bei den Medi­en – schnell ver­ges­sen und es stand nur noch die Musik und die Tra­gik sei­nes Lebens im Vor­der­grund.

Und tra­gisch im eigent­li­chen Sin­ne sind in sol­chen Fäl­len ja meist das Leben des Ver­stor­be­nen (Jack­son), der Zeit­punkt (noch mal Jack­son, so kurz vor dem geplan­ten Come­back) oder die wei­te­ren Umstän­de (ver­folgt von Papa­raz­zi wie Prin­zes­sin Dia­na) des Todes – die Todes­fäl­le selbst sind fast alle­samt banal. Mehr Che­mie im Kör­per, als der ver­ar­bei­ten kann, führt zu schlich­tem Funk­ti­ons­ver­sa­gen. Wenn ein betrun­ke­ner Fah­rer viel zu schnell durch einen Tun­nel rast, kann das zur Kol­li­si­on mit einem Tun­nel­pfei­ler füh­ren, eine Geschwin­dig­keits­über­tre­tung unter Alko­hol­ein­fluss auf dem Heim­weg schnell zum Abflug, wie bei Jörg Hai­der.

Nur akzep­tie­ren will die Öffent­lich­keit natür­lich nie, dass ein Star letzt­lich mensch­lich und damit sterb­lich ist. Des­we­gen müs­sen Erklä­rungs­ver­su­che unter­nom­men wer­den, und sei­en sie noch so abwe­gig und absurd. Dann war es halt die Mafia, ein Geheim­dienst oder irgend­wel­che Ver­schwö­rer. Wenigs­tens ein Selbst­mord, damit es nicht ein­fach ein all­täg­li­cher Unfall war! Nur in sel­te­nen Glücks­fäl­len wird ein erfolg­rei­cher, jun­ger Poli­ti­ker, der eine hüb­sche Frau und süße Kin­der hat, aber Hol­ly­wood­stars und Sekre­tä­rin­nen vögelt, unter völ­lig uner­klär­li­chen Umstän­den in aller Öffent­lich­keit erschos­sen – wobei man nun wirk­lich nicht behaup­ten kann, dass die­ser Fall frei von Ver­schwö­rungs­theo­rien sei.

Der Unter­schied zwi­schen bekann­ten und unbe­kann­ten Sterb­li­chen besteht ledig­lich in der Reak­ti­on auf den Tod: Aus allen vor­ge­nann­ten Grün­den erzeugt der Tod eines Pro­mi­nen­ten eine media­le Auf­merk­sam­keit, die den Ver­stor­be­nen über­dau­ern kann. Spä­tes­tens, wenn der nächs­te Pro­mi­nen­te unter Umstän­den stirbt, die nicht „Krebs“ oder „Alter“ hei­ßen, wird Ste­phen Gate­lys Name wie­der in irgend­ei­ner Lis­te (wahr­schein­li­cher, natür­lich: in einer Bil­der­ga­le­rie) auf­tau­chen und den Musi­ker damit über­le­ben. Ob man als Fuß­no­te unsterb­lich wer­den will, ist aller­dings frag­lich.

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Politik

„I can do anything, I was in a boy band“

Stel­len Sie sich das mal in Deutsch­land vor.

Oder bes­ser: Nicht. Vero­ni­ca Fer­res, Die­ter Boh­len und Bill Kau­litz wür­den mich so ziem­lich über­all hin­ja­gen, aber nicht ins Wahl­lo­kal.

[via mei­nen Bru­der]

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Digital Gesellschaft

Award Day’s Night

Span­nung, Twit­ter, gro­ße Gefüh­le und ein viel zu lau­ter Hand­trock­ner – so lässt sich die Ver­lei­hung des Grim­me Online Awards ges­tern Abend in Köln zusam­men­fas­sen.

Cof­fee And TV war ganz nah dran an den Nomi­nier­ten, Kri­ti­kern und Exper­ten und prä­sen­tiert Ihnen die bes­ten Sze­nen in einem abend­fül­len­den Spiel­film.

Näm­lich hier:

[Direkt­link]

Nach­trag 13. Juni: Bit­te lesen Sie auch mei­ne Medi­ta­ti­on über den Abend und die Kluft zwi­schen On- und Off­linern.

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Digital

Wörterbuch Onlinejournalismus: „Vermischtes“

Falls Sie sich immer schon gefragt haben, was das eigent­lich so für The­men sind, die unter dem eher all­ge­mein gehal­te­nen Rubrum „Ver­misch­tes“ zusam­men­ge­fasst wer­den: welt.de erklärt es Ihnen ger­ne!

Die aktu­el­le Top Sto­ry der Kate­go­rie geht so:

Urlaubsflirt - Von türkischen Gigolos und deutscher Einsamkeit

Es gibt natür­lich auch noch ande­re The­men:

Erotikmagazin für Frauen - Im weiblichen Kopfkino der Lust

Neben aktu­el­len Arti­keln gibt es natür­lich auch Kolum­nen:

Kolumne: Ab 18

Kolumne: Heartcore

Nicht feh­len darf natür­lich die Königs­dis­zi­plin des Online­jour­na­lis­mus, die Bil­der­ga­le­rie:

Bildergalerien

(Ach­tung: Min­des­tens eines der The­men passt übri­gens nicht zu den ande­ren.)

Immer mehr Leu­te reden vom „Mit­mach­web“, wes­we­gen der Besu­cher von welt.de in einem „Wis­sens­test“ auch selbst aktiv wer­den kann:

Mitmachtest: Wie benehmen Sie sich im Bett?

Zugu­ter­letzt gibt es noch ein Bil­der­quiz. Oder derer sechs, um genau zu sein.

Glau­ben Sie mir, ich wünsch­te mir auch, ich hät­te mir das hier nur aus­ge­dacht:

Bilderquiz

[Alle Screen­shots: welt.de, heu­te um 15:50 Uhr]

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Mein Tag als Paparazzo

Bevor es rich­tig los­geht mit den Echos, möch­te ich Ihnen ger­ne noch mei­ne per­sön­li­che Echo-Geschich­te erzäh­len. Die geht so:

Im Febru­ar 2003 weil­te ich zwecks Ber­li­na­le und Stadt­be­gut­ach­tung eine Woche in Ber­lin. In die­se Zeit fie­len aber nicht nur die Film­fest­spie­le, son­dern (so wie die­ses Jahr auch wie­der) die Echo­ver­lei­hung und eine gro­ße Demons­tra­ti­on gegen den damals unmit­tel­bar bevor­ste­hen­den Irak­krieg.

Aus der für gewöhn­lich gut infor­mier­ten Ber­li­ner Lokal­pres­se erfuhr ich, dass Rob­bie Wil­liams, damals so ziem­lich der größ­te Pop­star im Uni­ver­sum, in town erwar­tet und im „Four Sea­sons“ näch­ti­gen wer­de. Da ich nichts bes­se­res zu tun hat­te, such­te ich das Hotel auf und fand mich zwi­schen etwa einem Dut­zend Fans und genau­so vie­len Medi­en­ver­tre­tern in der Eises­käl­te wie­der. Unschlüs­sig, auf wel­che Sei­te ich mich schla­gen soll­te, pack­te ich erst mal mei­ne sehr neue Nikon F65 aus, denn ich dach­te mir „bes­ser als einen Pro­mi zu sehen ist, ihn zu foto­gra­fie­ren“. Da kam Spike Lee vor­bei und ging unbe­hel­ligt ins Hotel.

Weil ich mit der Kame­ra in der Hand für einen Fan anschei­nend zu gut aus­ge­stat­tet war, glaub­ten die war­ten­den Papa­raz­zi in mir einen jun­gen Kol­le­gen erkannt zu haben und lie­ßen mich an ihren Gesprä­chen teil­ha­ben: Grö­ne­mey­er sei schon in der Stadt, er wer­de nach der Ver­lei­hung auf der gehei­men Par­ty im leer­ste­hen­den Palast der Repu­blik erwar­tet, Wowe­reit wer­de angeb­lich auch dort sein. Dann klin­gel­ten Mobil­te­le­fo­ne: die Foto­gra­fen erfuh­ren, dass Rob­bie Wil­liams gera­de den Ber­li­ner Flug­ha­fen ver­las­sen habe, bei mir woll­te mei­ne Mut­ter wis­sen, wie es mir gin­ge. Ich erzähl­te ihr, wo ich sei und dass gera­de in die­sem Moment Tho­mas Hein­ze an mir vor­bei­ge­he. „Tho­mas Hein­ze oder Kai Wie­sin­ger?“, frag­te mei­ne Mut­ter über­ra­schen­der­wei­se nicht, obwohl sie das sonst immer tut, wenn das Gespräch auf einen der bei­den Schau­spie­ler kommt. Es war aber Tho­mas Hein­ze, der sich gera­de frag­te, ob er das jetzt gut fin­den sol­le, dass er so unbe­hel­ligt über die Stra­ße gehen konn­te, oder ob er nicht doch lie­ber wenigs­tens um ein Auto­gramm gebe­ten wor­den wäre.

Eine ZDF-Mode­ra­to­rin pos­tier­te sich mit der Hotel­fas­sa­de im Rücken vor einer ZDF-Kame­ra, in die sie etwa fünf­mal den glei­chen Auf­sa­ger sprach, bis sie damit zufrie­den war. Oli­ver Stone kam vor­bei, gab zwei Fans, die extra sei­net­we­gen aus Spa­ni­en ange­reist waren, bereit­wil­lig Auto­gram­me und ver­schwand im Hotel. Das ZDF-Team film­te die Papa­raz­zi, die das ZDF-Team foto­gra­fier­ten. Irgend­wann hieß es, Wil­liams sei durch die Tief­ga­ra­ge ins Hotel gelangt: der Fan-Andrang am Ein­gang sei ein­fach zu klein gewe­sen und wie wür­de das denn aus­se­hen, wenn jetzt Bil­der um die Welt gin­gen, auf denen der größ­te leben­de Pop­star von einem Dut­zend Fans in Ber­lin emp­fan­gen wer­de?

Ich pack­te mei­ne Kame­ra ein und fuhr zum Inter­na­tio­na­len Con­gress­cen­trum, wo die Echo­ver­lei­hung statt­fand. Hier waren schon deut­lich mehr Fans, die Mousse T., Ralph Sie­gel und den Prin­zen zuju­bel­ten. Je frü­her man bei sol­chen Events vor­ge­fah­ren wird, des­to bedeu­tungs­lo­ser ist man. Ich pos­tier­te mich mit mei­ner Kame­ra, für die ich natür­lich kein Tele­ob­jek­tiv hat­te, am Ran­de der Absper­rung und guck­te, wer da wohl noch so kom­men möge. Avril Lavi­gne kam vor­bei und ich dach­te, dass die aber wirk­lich klein sei. Dann bog ein Müll­au­to ums Eck und hielt auf den blau­en Tep­pich zu. Ord­ner war­fen sich schon bei­na­he vor den oran­ge­far­be­nen Brum­mi und zwan­gen ihn zur Umkehr. Der Fah­rer hat­te sich in der Ein­fahrt geirrt.

Schließ­lich kamen noch Klaus Wowe­reit, Her­bert Grö­ne­mey­er und Rob­bie Wil­liams – alle mit gebüh­ren­dem Abstand zuein­an­der und emp­fan­gen von einem immer fre­ne­ti­scher wer­den­den Publi­kum. „Rob­bie ist auch nicht sehr groß“, dach­te ich und mach­te Fotos, auf denen hin­ter­her ein sehr klei­ner, aber auch sehr ver­wa­ckel­ter Rob­bie Wil­liams zu erah­nen war. Wäh­rend im ICC die Preis­ver­lei­hung begann, fuhr ich zurück zum Ber­li­na­le-Palast, wo gera­de die Pre­mie­re von „Gangs Of New York“ als Abschluss­ver­an­stal­tung lief. Ein­zel­ne Leu­te ver­lie­ßen das Kino bereits und wur­den ohne Anse­hen der Per­son von den war­ten­den Pas­san­ten mit fre­ne­ti­schem Jubel bedacht. Neben zahl­rei­chen Unbe­kann­ten kamen auch Mar­ti­na Gedeck und Jana Pal­las­ke vor­bei, Die­ter Koss­lick lüpf­te im Vor­bei­ge­hen sei­nen Hut. Dann pack­te ich mei­ne Kame­ra ein und rann­te in den Schau­spie­ler und Regis­seur Sebas­ti­an Schip­per, wor­auf­hin ich ihm ein Bier aus­ge­ben woll­te. Aber das ist eine ande­re Geschich­te.

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Keine seriöse Presse ohne kaffeetrinkende Rockstar-Freundinnen

Es ist natür­lich rei­ner Zufall, dass am glei­chen Tag, an dem auf Pro­Sie­ben eine Serie star­tet, die eine C‑Prominente und ihren Ver­lob­ten auf dem Wege zur Hoch­zeits­vor­be­rei­tun­gen zei­gen (und die in der ers­ten Live-Hoch­zeit im deut­schen Fern­se­hen mün­den soll), der Bun­des­ge­richts­hof ent­schei­det, dass die „Bun­te“ kein Recht hat, Fotos der Lebens­ge­fähr­tin von Her­bert Grö­ne­mey­er abzu­dru­cken. Aber es sind die­se klei­nen Zufäl­le, die das Leben so unter­halt­sam machen.

Wäh­rend also Gül­can Karahan­ci und Sebas­ti­an Kamps die Mensch­heit aus frei­en Stü­cken und gegen gutes Geld an ihrem Pri­vat­le­ben teil­ha­ben las­sen wol­len, bekommt die Grö­ne­mey­er-Freun­din höchst­rich­ter­lich bestä­tigt, dass sie es nicht hin­neh­men muss, dass frem­de Men­schen (die natür­lich auch nur ihren Job machen und ihre Fami­li­en ernäh­ren müs­sen) Fotos von ihr und ihrem zufäl­li­ger­wei­se pro­mi­nen­ten Part­ner bei nicht-offi­zi­el­len Ter­mi­nen machen und die­se dann abge­druckt wer­den.

Es folgt mein Lieb­lings-Satz­an­fang: Ich bin zwar kein Jurist, aber es erscheint mir voll­kom­men nahe lie­gend, dass so ent­schie­den wur­de. Ich habe nie ver­stan­den, mit wel­cher Begrün­dung sog. Per­so­nen der Zeit­ge­schich­te auf Schritt und Tritt von Papa­raz­zi ver­folgt wer­den soll­ten. Mich inter­es­siert nicht, wie Brit­ney Spears beim Ein­kau­fen aus­sieht, und es hat eigent­lich auch nie­man­den sonst zu inter­es­sie­ren.

Nun ist es natür­lich so, dass vie­le Stars die Pres­se für die eige­ne Kar­rie­re­pla­nung nut­zen. Bit­te: Wer so däm­lich ist, sich und sei­ne unbe­tei­lig­te Fami­lie für sog. Home Sto­ries zur Ver­fü­gung zu stel­len, ist selbst schuld und soll von mir aus an unge­ra­den Wochen­ta­gen zwi­schen 11:30 Uhr und 19:00 Uhr (Zei­ten ver­han­del­bar) beim Ver­zehr von Mett­bröt­chen, beim Erwerb von Fuß­bett­s­an­da­len oder bei son­stir­gend­et­was unin­ter­es­san­tem foto­gra­fiert wer­den, das in kei­nem Zusam­men­hang mit der beruf­li­chen Tätig­keit und der Pro­mi­nenz des Foto­gra­fier­ten steht.

Her­bert Grö­ne­mey­er aber hat sein Pri­vat­le­ben (bis auf eini­ge Sät­ze in Inter­views) sehr bewusst von der Öffent­lich­keit abge­schirmt. Spie­gel Online ist da offen­bar ande­rer Mei­nung und dreht mal wie­der an der Logik­schrau­be:

Der Fall Grö­ne­mey­er ist für die Pres­se gra­vie­rend. Der wohl berühm­tes­te Sän­ger Deutsch­lands hat­te die Trau­er über den Tod sei­ner Frau im Jahr 1998 immer wie­der öffent­lich ver­ar­bei­tet: in sei­nem Best­sel­ler-Album „Mensch“, aber auch in zahl­rei­chen Inter­views, und noch im SPIE­GEL-Gespräch im Febru­ar 2003 hat­te er frei­mü­tig bekannt: „Ich war immer eine nicht­öf­fent­li­che Per­son. Durch den Tod mei­ner Frau bin ich jetzt genau das Gegen­teil.“

Ja, was hat er denn da „frei­mü­tig bekannt“? Dass er eine öffent­li­che Per­son ist? Ja. Dass die Öffent­lich­keit Anteil genom­men hat am Schick­sal sei­ner Fami­lie? Gut mög­lich. Wenn Grö­ne­mey­er aber aus die­ser Posi­ti­on per­ma­nen­te Kame­ra­über­wa­chung für sich und sein Umfeld ein­ge­for­dert haben soll­te, so geht das aus dem Zitat (das betref­fen­de Inter­view ist natür­lich nicht frei ver­füg­bar) aber in kei­ner Wei­se her­vor. Außer, man inter­pre­tiert es her­ein, weil es einem gera­de in den Kram passt.

Ein Spie­gel-Online-Arti­kel kommt bekannt­lich nur schwer ohne den Abge­sang aufs Abend­land auf den Qua­li­täts­jour­na­lis­mus aus, des­halb folgt die­ser auf dem Fuße:

Künf­tig dürf­ten auch Medi­en wie der SPIEGEL oder die „Süd­deut­sche Zei­tung“ etwa in einem Fea­ture über Tod und Trau­er-Ver­ar­bei­tung zwar über die ergrei­fen­den Lie­der von Grö­ne­mey­er berich­ten, aber nicht mit Bil­dern illus­trie­ren, dass Trau­er-Vor­bild Grö­ne­mey­er sei­nen Schmerz offen­bar über­wun­den hat.

Ja, Him­mel, war­um soll­ten sie denn auch? Erst ein­mal möch­te ich den­je­ni­gen Leser sehen, der in einem Fea­ture über Tod und Trau­er-Ver­ar­bei­tung Bil­der von Her­bert Grö­ne­mey­er und des­sen Freun­din erwar­tet. Er wür­de sich doch hof­fent­lich einen gut recher­chier­ten und geschrie­be­nen Text wün­schen, wenn Betrof­fe­ne oder Exper­ten zu Wort kom­men, soll­ten die­se viel­leicht mit einem Por­trät­fo­to vor­ge­stellt wer­den, damit man sich beim Lesen ein bes­se­res Bild machen kann, und von mir aus kann man das „Fea­ture“ (es könn­te „Arti­kel“ oder „Text“ hei­ßen, aber who cares?) noch mit Sym­bol­bil­dern von Kreu­zen, Son­nen­un­ter­gän­gen und Auen im Win­ter auf­hüb­schen, wenn es denn unbe­dingt eye can­dy braucht. Ein Foto eines ver­wit­we­ten Pop­mu­si­kers mit sei­ner neu­en Lebens­ge­fähr­tin ist aber auch bei gewag­tes­ter Kon­struk­ti­on sicher nicht das, was dem Fea­ture noch zum Pulit­zer-Preis gefehlt hät­te.

Das per­fi­des­te ist aber nicht, dass Spie­gel Online so einen Blöd­sinn ein­for­dert. Das per­fi­des­te ist, wie die Leser auf die eige­ne Sei­te geholt und gegen die Betrof­fe­nen auf­ge­bracht wer­den sol­len:

Aber kann sich die Freun­din oder Lebens­ge­fähr­tin einer natio­na­len Berühmt­heit wie Her­bert Grö­ne­mey­er auch dage­gen weh­ren, in eigent­lich unver­fäng­li­chen Situa­tio­nen abge­bil­det zu wer­den? Zumal wenn die Fotos in aller Öffent­lich­keit auf­ge­nom­men wur­den, ein­mal auf der Stra­ße, das ande­re mal zwar im Café, aber gewis­ser­ma­ßen auf dem Prä­sen­tier­tel­ler sit­zend hin­ter Glas­tü­ren, die zu einer Stra­ße oder Pas­sa­ge weit geöff­net sind?

Was soll denn die­se Wort­wahl? „In eigent­lich unver­fäng­li­chen Situa­tio­nen“ – soll­ten es wenigs­tens abar­ti­ge, kom­pro­mit­tie­ren­de Bil­der sein, wenn die­se läs­ti­gen Pro­mi­nen­ten und ihre Part­ner, die ihr sog. Pri­vat­le­ben par­tout vor Spie­gel Online und den ande­ren Klatsch­blät­ter geheim­hal­ten wol­len, schon dage­gen vor­ge­hen müs­sen? Soll jeder, in des­sen Umfeld es jeman­den gibt, der auf­grund sei­nes Beru­fes in der Öffent­lich­keit steht, in Zukunft zuhau­se blei­ben, wenn er nicht in der „Bun­ten“ abge­druckt oder von Spie­gel Online bloß­ge­stellt wer­den will?

Ich bin kein Jurist, aber auf­re­gen könn­te ich mich da schon.