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Lucky & Fred: Episode 28


 
Im Ber­li­ner Pfef­fer­berg Thea­ter hat sich ein illus­tres Publi­kum ein­ge­fun­den um zwei Tru­ckern aus dem Ruhr­ge­biet zuzu­hö­ren: Lucky und Fred ver­han­deln in gewohn­ter Pod­cast-Manier die aktu­el­le Welt­la­ge von Tem­po­li­mit bis Mei­nungs­frei­heit, vom Brexit bis zum gro­ßen Daten­klau.

Mit ihrem Spe­cial Guest Ste­fan Nig­ge­mei­er spre­chen die bei­den über die Lage des Jour­na­lis­mus in Deutsch­land — und natür­lich über das, was dann doch nicht so schlecht war.

Ein ver­gnüg­li­cher Abend, ein­ge­dampft auf 73 Minu­ten.

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Lucky & Fred: Episode 23


 
Ein Abend, fünf Jah­re in der Mache: Vor aus­ver­kauf­tem Haus fei­er­ten Lucky & Fred am Schau­spiel Dort­mund die Pre­mie­re ihrer Gala.

Lucky ver­rät hei­ße Insi­der-Infos über den ECHO, Fred erzählt einen vom Wolf, der Vogel des Jah­res wird aus­ge­zeich­net — und dann kommt noch ein Über­ra­schungs­gast, um zu erklä­ren, dass ja nicht alles schlecht war.

Also: Alles etwas anders als sonst, aber irgend­wie auch wie immer!

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Furchtbar

Durch Umstän­de, die dies­mal nichts zur Sache tun, bin ich gera­de über eine rund zwei­ein­halb Jah­re alte Über­schrift auf bunte.de gestol­pert:

Kai Wiesinger: "Es ist furchtbar!"

Im Vor­spann steht:

Der Tod von Chan­tal de Freitas im Som­mer 2013 war über­ra­schend. Die damals 45-jäh­ri­ge Schau­spie­le­rin und getrennt leben­de Ehe­frau von Kai Wie­sin­ger starb plötz­lich und uner­war­tet. Zurück blie­ben ihre zwei Töch­ter – und ein trau­ern­der Kai Wie­sin­ger …

Und das kann man sich ja gut vor­stel­len, dass eine sol­che Situa­ti­on furcht­bar ist.

Allein – wenn man den dazu­ge­hö­ri­gen Arti­kel auf bunte.de kom­plett liest, stellt man fest, dass das Zitat in der Schlag­zei­le viel­leicht ein biss­chen … nen­nen wir es mal: aus dem Zusam­men­hang geris­sen ist:

"Es ist furchtbar, wie Medien ein falsches Bild von jemandem erschaffen können" Chantal de Freitas hinterließ zwei Töchter aus ihrer Ehe mit Kai Wiesinger. Im Interview mit dem Magazin "DONNA"​ spricht der 48-Jährige jetzt über die schwere Zeit. "Es ist furchtbar, wie Medien durch aus dem Zusammenhang gerissene Zitate ein falsches Bild von jemandem erschaffen können. Es ist sehr schwer, so etwas auszuhalten und dabei öffentlich keine Stellung zu beziehen."

Womög­lich braucht man gar nicht viel mehr als die­ses Bei­spiel, um das Wesen von Bou­le­vard­jour­na­lis­mus zu erklä­ren.

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Katastrophenjournalismus-Mäander

Ich war ein etwas merk­wür­di­ges Kind und leg­te schon früh eine gewis­se Obses­si­on für Jour­na­lis­mus an den Tag, beson­ders in Kata­stro­phen­si­tua­tio­nen: als in mei­nem Hei­mat­dorf ein Gast­haus abbrann­te, schnitt mein sie­ben­jäh­ri­ges Ich in den nächs­ten Tagen alle Arti­kel dar­über aus der Zei­tung aus und edi­tier­te sie neu zusam­men, um sie in einer von mir selbst mode­rier­ten Nach­rich­ten­sen­dung (Zuschau­er: mei­ne Stoff­tie­re) zu ver­le­sen.

Mit acht sam­mel­te ich in Zei­tun­gen und Radio alle Infor­ma­tio­nen über einen Flug­zeug­ab­sturz in Ams­ter­dam, derer ich hab­haft wer­den konn­te. Nach dem Absturz eines Bun­des­wehr­hub­schrau­bers ((Die Typen­be­zeich­nung Bell UH-1D könn­te ich Ihnen ohne nach­zu­den­ken nen­nen, wenn Sie mich nachts um vier aus dem Bett klin­gel­ten – was Sie aber bit­te in unser bei­der Inter­es­se unter­las­sen!)) bei der Jugend­mes­se „YOU“ in Dort­mund, nach dem Unfall­tod von Prin­zes­sin Dia­na, nach dem ICE-Unfall von Esche­de schal­te­te ich Fern­se­her und Video­text ein und wech­sel­te jede hal­be Stun­de zum Radio, um aus den dor­ti­gen Nach­rich­ten mög­li­che neue Ent­wick­lun­gen zu ent­neh­men und – ich wünsch­te wirk­lich, ich däch­te mir das aus – zu notie­ren: Sound­so vie­le Tote, Ursa­che noch unklar, drück­te den Hin­ter­blie­be­nen an der Unfall­stel­le sein Mit­ge­fühl aus. Den 11. Sep­tem­ber 2001 ver­brach­te ich kniend auf dem Wohn­zim­mer­tep­pich mei­ner Eltern vor dem Fern­se­her, am 7. Juli 2005 ver­ließ ich mein Wohn­heims­zim­mer nicht.

Dann wur­den im August 2006 in Groß­bri­tan­ni­en zahl­rei­che Ver­däch­ti­ge fest­ge­nom­men, die Anschlä­ge auf Pas­sa­gier­ma­schi­nen geplant haben soll­ten, und nach etwa einer hal­ben Stun­de CNN und BBC schal­te­te ich den Fern­se­her aus, ging raus und dach­te „Was’n Scheiß!“

Ziem­lich exakt seit es mir tech­nisch mög­lich wäre, mich in Echt­zeit selbst über Ereig­nis­se zu infor­mie­ren, noch wäh­rend sie pas­sie­ren, wün­sche ich mir, dar­über im Geschichts­buch lesen zu kön­nen. Mit allen Erkennt­nis­sen, die im Lau­fe der Jah­re gewach­sen sind, mit his­to­ri­scher Ein­ord­nung und in genau dem Umfang, der ihnen ange­mes­sen ist: Dop­pel­sei­te, hal­be Sei­te, klei­ner Kas­ten, Fuß­no­te.

***

Als ich am ver­gan­ge­nen Frei­tag die ers­te Mel­dung bekam, dass sich in Mün­chen irgend­was schlim­mes ereig­net habe, ((Bizar­rer­wei­se per Push-Benach­rich­ti­gung der BBC-App.)) guck­te ich kurz bei Face­book Live und Peri­scope rein, weil ich ja manch­mal auch für aktu­el­le Infor­ma­ti­ons­sen­dun­gen arbei­te und mir die­se Tech­nik mal aus einer pro­fes­sio­nel­len Per­spek­ti­ve anse­hen woll­te. Ich sah also ver­wa­ckel­te Video­bil­der, auf denen Men­schen mit erho­be­nen Hän­den in Rich­tung von Poli­zei­au­tos rann­ten, und die von einem Mann mit bay­ri­schen Akzent mit anhal­ten­dem „krass, krass“ kom­men­tiert wur­den. Die Wör­ter „Mün­chen“, „Olym­pia“, „Schüs­se“ und „Kame­ra“ bil­de­ten in mei­nem Kopf eine Linie und ich dach­te, dass man so Schei­ße wie 1972, als die Gei­sel­neh­mer dank Live-Fern­se­hen per­ma­nent über die Aktio­nen der Poli­zei infor­miert waren, ja ruhig 44 Jah­re spä­ter mit Mit­teln für den Heim­an­wen­der noch mal wie­der­ho­len kann. Ich erbrach mich kurz bei Twit­ter und tat dann das Ein­zi­ge, was mir an einem sol­chen Tag noch sinn­voll und sach­dien­lich erschien: ich ging in die Küche und mach­te Mar­mor­ku­chen und Nudel­sa­lat für einen Kin­der­ge­burts­tag.

***

Der Begriff des „Zeu­gen“ ist in ers­ter Linie ein juris­ti­scher. Zeu­gen haben von den Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den (und dort von mög­lichst geschul­tem Per­so­nal) gehört zu wer­den und soll­ten nach Mög­lich­keit nicht vor lau­fen­de Kame­ras gezerrt wer­den. Schon bei einem harm­lo­sen Ver­kehrs­un­fall kann man die wider­sprüch­lichs­ten Infor­ma­tio­nen zusam­men­sam­meln, bei einer unüber­sicht­li­chen Gefähr­dungs­la­ge dürf­te die Chan­ce, tat­säch­li­chen Mehr­wert zu gene­rie­ren (der sich anschlie­ßend inhalt­lich auch noch als zutref­fend erweist), genau­so groß sein wie wenn der Mode­ra­tor im Stu­dio ein­fach mal rät, was pas­siert sein könn­te.

Zu den Leu­ten, die nach bes­tem Wis­sen und Gewis­sen aus­plau­dern, was sie gese­hen und gehört zu glau­ben haben, kom­men natür­lich noch die Idio­ten hin­zu, die sich irgend­was aus­den­ken, um auf Twit­ter oder Face­book geteilt zu wer­den – oder weil es sich ja zufäl­lig als tref­fend erwei­sen könn­te.

Auf einem der Peri­scope-Vide­os aus Mün­chen sah ich Dut­zen­de Men­schen, die alle ihre Han­dys in Rich­tung eines nicht näher ein­zu­ord­nen­den Ortes rich­te­ten, den ich jetzt ein­fach mal als „poten­ti­el­le Gefah­ren­quel­le“ bezeich­nen wür­de. Die Gei­sel­neh­mer von Glad­beck müss­ten heu­te nicht mal mehr war­ten, dass „Hans Mei­ser, deut­sches Fern­se­hen“ bei ihnen anruft oder der spä­te­re „Bild“-Chefredakteur Udo Röbel zu ihnen ins Auto steigt.

Neben all dem fin­det man in den Sozia­len Netz­wer­ken natür­lich auch die Bes­ser­wis­ser: ((Zu denen ich in der Blü­te der Arro­ganz von Jugend und Inter­net­glau­ben auch gehört habe.)) das Fern­se­hen soll mehr berich­ten, das Fern­se­hen soll weni­ger berich­ten, die Poli­ti­ker sol­len sich gefäl­ligst jetzt äußern. Fast wür­de man die­sen Leu­ten ein „Macht’s bes­ser!“, ent­ge­gen schrei­en wol­len, wenn man nicht davon aus­ge­hen müss­te, dass sie schon im Glau­ben sind, auf ihren Pro­fi­len genau das zu tun.

***

Wäh­rend etwas geschieht, ist man in aller Regel nicht in der Lage, die Dimen­si­on die­ses Ereig­nis­ses auch ein­zu­schät­zen. Das gilt für die ers­te Begeg­nung mit der spä­te­ren gro­ßen Lie­be genau­so wie für Nach­rich­ten. Es hat sich mir förm­lich ins Hirn gebrannt, wie ich mit fünf Jah­ren ver­se­hent­lich eine Aus­ga­be der „Aktu­el­len Stun­de“ mit­krieg­te, die vom Absturz eines US-Kampf­flug­zeugs in einer Stadt namens Rem­scheid berich­te­te. ((Note to self: Nie­mals Nach­rich­ten gucken, wenn das Kind in der Nähe ist.)) Die Wor­te „Flug­zeug­ab­sturz“ und „Rem­scheid“ sind für mich seit­dem untrenn­bar seman­tisch mit­ein­an­der ver­bun­den, obwohl ich bis heu­te nicht sagen könn­te, wo Rem­scheid liegt. ((An der A1 zwi­schen Wup­per­tal und Köln, aber was weiß ich, wo die A1 lang führt – und wo zum Hen­ker liegt über­haupt Wup­per­tal, außer halt süd­lich des Ruhr­ge­biets?)) Die aller­meis­ten Men­schen, die die­se Nach­richt damals zur Kennt­nis genom­men haben und nicht direkt von dem Absturz betrof­fen waren, dürf­ten sie kom­plett ver­ges­sen haben – die dama­li­gen Mode­ra­to­ren der „Aktu­el­len Stun­de“ inklu­si­ve. Für die Stadt Rem­scheid dürf­te der Tag eine deut­lich grö­ße­re Bedeu­tung haben als für die US Air Force. Und allein die Tat­sa­che, dass ich die Fak­ten dazu jetzt ganz schnell nach­schla­gen konn­te, gibt dem Unglück ja eine gewis­se Wer­tung: Es ist nicht aus­zu­schlie­ßen, dass am glei­chen Tag auf den Stra­ßen in NRW mehr Todes­op­fer bei Auto­un­fäl­len zu bekla­gen waren – Anfang Dezem­ber, viel­leicht Blitz­eis? – als die sie­ben beim Flug­zeug­ab­sturz, aber dazu gibt es halt kei­nen Wiki­pe­dia-Ein­trag.

***

Als ich noch rela­tiv klein war, lief ein psy­chisch kran­ker Mann mit einer Schuss­waf­fe durch die Dins­la­ke­ner Innen­stadt, schoss auf Poli­zis­ten und erschoss sich am Ende in einer Gara­ge. Jeden­falls ist es das, wor­an ich mich sehr dun­kel – und aus­schließ­lich auf Erzäh­lun­gen mei­ner Mut­ter an jenem Tag basie­rend – erin­ne­re. Ich bil­de mir ein, dass es im Herbst 1991 gewe­sen sein müss­te, aber ich habe ehr­lich gesagt kei­ne Ahnung – um das gan­ze irgend­wie veri­fi­zie­ren zu kön­nen, müss­te ich nach Dins­la­ken fah­ren und in den Archi­ven der Lokal­re­dak­tio­nen von „NRZ“ und „Rhei­ni­scher Post“ meter­wei­se Mikro­film sich­ten. Angeb­lich war auch das Fern­se­hen vor Ort, viel­leicht fän­de ich etwas im Kel­ler von RTL West.

Nur zehn Jah­re spä­ter hät­te die­ses Ereig­nis zumin­dest ein paar Arti­kel in Online-Medi­en nach sich gezo­gen, die ich jetzt ergoo­geln könn­te. Zwan­zig Jah­re spä­ter hät­te es ver­mut­lich schon so viel Social-Media-Buzz erzeugt, dass man die Ent­wick­lun­gen auch in einer fer­nen Zukunft noch minu­ten­ge­nau nach­voll­zie­hen könn­te – oder halt beim Nach­le­sen genau­so ahnungs­los ist, als wäre man selbst dabei. Und in die­ser Woche wäre es nicht unter einem „Brenn­punkt“ und einer Soli­da­ri­täts­adres­se min­des­tens eines aus­län­di­schen Spit­zen­po­li­ti­kers auf Twit­ter pas­siert. Der ört­li­che Poli­zei­pres­se­spre­cher hät­te sich auch ande­re Fra­gen anhö­ren müs­sen.

***

Schon seit eini­gen Jah­ren erwähnt Barack Oba­ma, wenn er wie­der mal mit zit­tern­der Unter­lip­pe ein State­ment zu einer Mas­sen­schie­ße­rei in den USA abge­ben muss, dass er bereits zu vie­le State­ments zu einer Mas­sen­schie­ße­rei in den USA abge­ge­ben habe.

Nun bin ich – Gott sei Dank – nicht der US-Prä­si­dent und glau­be auch nicht, dass es irgend­wel­che grö­ße­ren Aus­wir­kun­gen hat, wenn ich hier mei­ne Mei­nun­gen zu Medi­en­be­rich­ten nach schreck­li­chen Ereig­nis­sen ver­öf­fent­li­che, aber auch ich habe schon viel zu oft mei­ne Mei­nung zu Medi­en­be­rich­ten nach schreck­li­chen Ereig­nis­sen ver­öf­fent­licht:

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Lucky & Fred: Episode 12

Bei einer Packung bel­gi­scher Zucker­waf­feln bespre­chen Lucky & Fred die The­men der ver­gan­ge­nen Wochen. Es geht um ein­ge­wan­der­te Extre­mis­ten, Live-Jour­na­lis­mus, die Pana­ma Papers und die Fra­ge, war­um die Tür­kei der legi­ti­me Nach­fol­ger von Edmund Stoi­ber ist. Dann gilt es wie­der Abschied zu neh­men von Ver­stor­be­nen und die bei­den ver­ra­ten vor­ab ihre letz­ten Wor­te.

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In memoriam Hellmuth Karasek

Mei­ne ers­te Begeg­nung mit Pro­fes­sor Kara­sek liegt fast exakt zwan­zig Jah­re zurück: Mein Vater hat­te mich zu einer Ver­an­stal­tung mit­ge­nom­men, wo Kara­sek sein Buch „Mein Kino“ vor­stell­te und mit immer noch glü­hen­den Augen Namen wie Alfred Hitch­cock, Bil­ly Wil­der oder Mar­le­ne Diet­rich refe­rier­te, von denen ich über­wie­gend noch nie gehört hat­te. Ich hat­te damals noch nichts ande­res als Zei­chen­trick­fil­me und Fami­li­en­ko­mö­di­en aus Hol­ly­wood gese­hen.

Drei Jah­re spä­ter las ich sei­ne Bil­ly-Wil­der-Bio­gra­phie, die mich zu einem glü­hen­den Ver­eh­rer der bei­den mach­te: Wil­der wegen sei­ner Fil­me und sei­nes Humors, Kara­sek wegen sei­ner Fähig­keit, so zu schrei­ben, dass man beim Lesen immer sei­ne etwas quiet­schi­ge Stim­me zu hören glaub­te. Die Lesung von „Das Maga­zin“, zu der mich mei­ne Eltern mit­nah­men, habe ich nur besucht, um mir das Wil­der-Buch signie­ren und mit ihm kurz über „Eins, Zwei, Drei“ fach­sim­peln zu kön­nen. (Was man mit 15 auf dem Dorf halt so macht.) Es war dann jetzt lei­der auch unse­re letz­te Begeg­nung.

Für Lukas, viel Spaß! Herzlich, Hellmuth Karasek

Kara­seks Buch „Karam­bo­la­gen“, in dem er sei­ne Begeg­nun­gen mit berühm­ten Zeit­ge­nos­sen beschreibt (natür­lich auch mit Wil­der), wird eines Tages Vor­bild für mei­ne Text­samm­lung zum sel­ben The­ma sein. Hell­muth Kara­sek bekommt dann sein eige­nes Kapi­tel.

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„Sein“ oder nicht „sein“

Am 21. August wur­de die ehe­ma­li­ge Sol­da­tin Chel­sea Man­ning, die der Whist­le­b­lower-Platt­form Wiki­leaks gehei­me Doku­men­te zuge­spielt hat­te, von einem US-Mili­tär­ge­richt zu 35 Jah­ren Haft ver­ur­teilt.

Wobei: Das stimmt so nicht. Damals hieß Chel­sea in der Öffent­lich­keit noch Brad­ley Man­ning und galt als Mann. Erst einen Tag spä­ter ließ sie ein State­ment ver­öf­fent­li­chen, in dem es hieß:

As I tran­si­ti­on into this next pha­se of my life, I want ever­yo­ne to know the real me. I am Chel­sea Man­ning. I am a fema­le. Given the way that I feel, and have felt sin­ce child­hood, I want to begin hor­mo­ne the­ra­py as soon as pos­si­ble. I hope that you will sup­port me in this tran­si­ti­on. I also request that, start­ing today, you refer to me by my new name and use the femi­ni­ne pro­no­un (except in offi­ci­al mail to the con­fi­ne­ment faci­li­ty).

Wer glei­cher­ma­ßen auf­ge­klärt wie naiv ist, hät­te anneh­men kön­nen, dass das The­ma damit schnell been­det war: Chel­sea Man­ning ist eine Frau, die in einem männ­li­chen Kör­per gebo­ren wur­de und einen männ­li­chen Vor­na­men getra­gen hat, jetzt aber expli­zit dar­um bit­tet, mit ihrem weib­li­chen Vor­na­men bezeich­net zu wer­den.

Die „New York Times“ erklär­te dann auch in einem Blog­ein­trag, mög­lichst schnell den Namen Chel­sea Man­ning und die weib­li­chen Pro­no­mi­na ver­wen­den und zum bes­se­ren Ver­ständ­nis für die Leser auf die Umstän­de die­ser Namens­än­de­rung zu ver­wei­sen. Der „Guar­di­an“ leg­te den Schal­ter von „Brad­ley“ auf „Chel­sea“ um und schrieb für­der­hin nur noch von „ihr“.

Aber so ein­fach war das alles natür­lich nicht.

Die „Ber­li­ner Zei­tung“ fass­te das ver­meint­li­che Dilem­ma am 24. August ein­drucks­voll zusam­men:

Brad­ley Man­ning möch­te fort­an als Frau leben und Chel­sea genannt wer­den. […] Der 25 Jah­re alte Sol­dat ließ erklä­ren, er habe sich seit sei­ner Kind­heit so gefühlt. Von nun an wol­le er nur noch mit sei­nem neu­en Namen ange­spro­chen wer­den. Auch sol­le künf­tig aus­schließ­lich das weib­li­che Pro­no­men „sie“ ver­wen­det wer­den, wenn über Man­ning gespro­chen wer­de. Eine ope­ra­ti­ve Geschlechts­um­wand­lung strebt Man­ning zunächst wohl nicht an.

Mit die­sem Wunsch hat Man­ning, der gut 700000 Geheim­do­ku­men­te an die Ent­hül­lungs­platt­form Wiki­leaks wei­ter­gab, Jour­na­lis­ten in den USA ver­wirrt und vor gro­ße Her­aus­for­de­run­gen gestellt. In den Mel­dun­gen über Man­nings Erklä­rung war ein­mal von „ihm“ die Rede, dann wie­der von Brad­ley Man­ning, „die“ nun eine Frau sein wol­le. Die einen ver­mie­den es pein­lich, Per­so­nal­pro­no­men zu ver­wen­den. Die ande­ren erklär­ten, sie wür­den solan­ge von „ihm“ spre­chen, wie Man­ning aus­se­he wie ein Mann.

Wie es die „Ber­li­ner Zei­tung“ selbst hält, wur­de in den fol­gen­den Wochen deut­lich:

5. Sep­tem­ber:

Die von Matthew H. 2009 besuch­te Ver­an­stal­tung des Cha­os Com­pu­ter Clubs war immer­hin öffent­lich. Sein Anteil an der Ver­ur­tei­lung des Whist­le­b­lo­wers Brad­ley Man­ning ist unklar. Und auch wenn der Umgang mit Man­ning nicht unse­ren Vor­stel­lun­gen ent­spricht: Er hat mili­tä­ri­sche Geheim­nis­se ver­ra­ten. Das ist auch deut­schen Sol­da­ten ver­bo­ten.

6. Sep­tem­ber:

Wie in letz­ter Zeit in Ber­lin häu­fi­ger der Fall, ste­hen mal wie­der lee­re Stüh­le auf der Büh­ne, dies­mal nicht für den mit Aus­rei­se­ver­bot beleg­ten Fil­me­ma­cher Jafar Panahi, son­dern für Edward Snow­den und Brad­ley Man­ning, die Ulrich Schrei­ber gern dabei­ge­habt hät­te. Lei­der sind sie aus bekann­ten Grün­den ver­hin­dert.

Bei der „Süd­deut­schen Zei­tung“ gibt es offen­bar auch kei­ne Emp­feh­lun­gen und Richt­li­ni­en wie bei der „New York Times“ – und noch nicht mal eine kla­re Linie. Am 2. Sep­tem­ber schrieb die „SZ“:

Auf Trans­pa­ren­ten for­dern die Teil­neh­mer, dass US-Prä­si­dent Barack Oba­ma sei­nen Frie­dens­no­bel­preis an die Geheim­da­ten-Ent­hül­ler Chel­sea Man­ning und Edward Snow­den abtre­ten sol­le.

Und eine Woche spä­ter:

Anders gefragt: Hät­ten ame­ri­ka­ni­sche Diens­te eine sol­che Anfra­ge zuge­las­sen, wenn ein deut­scher Dienst sich um Hin­ter­grün­de zum Trei­ben eines bekann­ten ame­ri­ka­ni­schen Jour­na­lis­ten inter­es­siert hät­te? Da kön­nen, trotz aller Nar­re­tei­en und Ver­här­tun­gen der ame­ri­ka­ni­schen Poli­tik im Kampf gegen Whist­le­b­lower wie Brad­ley Man­ning oder Edward Snow­den ame­ri­ka­ni­sche Behör­den emp­find­sam reagie­ren.

Am 7. Okto­ber nun wie­der:

Schließ­lich, so schrei­ben eini­ge, sei er ein Visio­när, gleich­zu­set­zen mit der Wiki­leaks-Infor­man­tin Chel­sea Man­ning oder dem NSA-Whist­le­b­lower Edward Snow­den .

„Bild“ hat­te in ganz weni­gen Zei­len klar­ge­macht, wie wenig sich die Redak­ti­on um die Bit­te von Chel­sea Man­ning schert: In ihren „Fra­gen der Woche“ am 24. August frag­te die Bou­le­vard­zei­tung „Kommt Man­ning in den Frau­en­knast?“ und ant­wor­te­te:

Nein! Obwohl der zu 35 Jah­ren Gefäng­nis ver­ur­teil­te Wiki­leaks-Infor­mant Brad­ley Man­ning (25) ab sofort als Frau namens Chel­sea leben und sich einer Hor­mon­be­hand­lung unter­zie­hen will (BILD berich­te­te), kam er in das Män­ner­ge­fäng­nis Fort Lea­ven­worth (US-Staat Kan­sas). Ein Armee­spre­cher sag­te, dass dort weder Hor­mon­the­ra­pien noch chir­ur­gi­sche Ein­grif­fe zur Geschlechts­um­wand­lung bezahlt wer­den.

Der Unter­schied zum „Spie­gel“ ist da aller­dings mar­gi­nal:

Man­ning fühlt sich schon län­ger als Frau, nach sei­ner Ver­ur­tei­lung will er auch so leben. […] Am Mitt­woch ver­ur­teil­te ihn ein Mili­tär­ge­richt dafür zu 35 Jah­ren Gefäng­nis, abzu­sit­zen in Fort Lea­ven­worth, Kan­sas. Zwar kann Man­ning auf vor­zei­ti­ge Ent­las­sung hof­fen – doch bis dahin steht ihm eine har­te Zeit bevor: Sei­ne Mit­in­sas­sen sind aus­nahms­los Män­ner, eine Ver­le­gung in ein Frau­en­ge­fäng­nis ist nicht geplant.

Die Deut­sche Pres­se-Agen­tur tat sich anfangs noch schwer mit dem Geschlecht. Am 4. Sep­tem­ber schrieb die dpa:

Die Mis­si­on des angeb­li­chen US-Agen­ten soll dem Bericht zufol­ge öffent­lich gewor­den sein, nach­dem er im Juni die­ses Jah­res als Zeu­ge im Pro­zess gegen den Whist­le­b­lower Brad­ley Man­ning vor einem ame­ri­ka­ni­schen Mili­tär­ge­richt in Mary­land auf­ge­tre­ten sei. Man­ning wur­de spä­ter zu 35 Jah­ren Haft ver­ur­teilt, weil er Wiki­Leaks rund 800.000 Geheim­do­ku­men­te über­ge­ben hat­te. Der Ex-Sol­dat war eine Art Zeu­ge der Ankla­ge der Mili­tär­staats­an­wäl­te.

Im Rah­men ihrer Bericht­erstat­tung zum Frie­dens­no­bel­preis letz­te Woche schrieb die dpa dann:

Unter den bekann­ten Kan­di­da­ten in die­sem Jahr ist auch Chel­sea Man­ning (frü­her Brad­ley Man­ning). Dem eins­ti­gen US-Whist­le­b­lower räumt der Prio-Direk­tor aber wenig Chan­cen ein. „Es gibt kei­nen Zwei­fel, dass die Ent­hül­lun­gen sehr zur inter­na­tio­na­len Debat­te über Über­wa­chung bei­getra­gen haben“, sagt Harp­vi­ken. Ethisch und mora­lisch reflek­tie­re Man­ning aber zu wenig, was sie getan habe.

Tat­säch­lich hat­te die Agen­tur in der Zwi­schen­zeit die Ent­schei­dung getrof­fen, zukünf­tig immer von „Wiki­leaks-Infor­man­tin Chel­sea Man­ning“ zu schrei­ben und im wei­te­ren Text­ver­lauf mög­lichst schnell zu erklä­ren, dass Chel­sea als Brad­ley Man­ning vor Gericht gestan­den habe. Wie mir ihr Spre­cher Chris­ti­an Röwekamp auf Anfra­ge erklär­te, hat die dpa nach Abstim­mung mit ande­ren Agen­tu­ren am 6. Sep­tem­ber eine ent­spre­chen­de Pro­to­koll­no­tiz in ihr Regel­werk „dpa-Kom­pass“ auf­ge­nom­men, in dem sonst etwa die Schreib­wei­sen bestimm­ter Wör­ter gere­gelt wer­den.

Der Evan­ge­li­sche Press­dienst epd war da offen­bar nicht dabei. Er schrieb am 11. Okto­ber:

Gute Chan­cen auf den Frie­dens­no­bel­preis wur­den auch dem frü­he­ren US-Prä­si­den­ten Bill Clin­ton, dem Wiki­Leaks-Infor­man­ten Brad­ley Man­ning und der afgha­ni­schen Men­schen­recht­le­rin Sima Samar ein­ge­räumt.

Wie ein­fach es eigent­lich geht, hat­te die „FAZ“ am 9. Sep­tem­ber bewie­sen:

Der Umgang mit Chel­sea (vor­mals Brad­ley) Man­ning, die Cau­sa Snow­den mit trans­at­lan­ti­scher Sip­pen­haft gegen ihn unter­stüt­zen­de Jour­na­lis­ten und der Umgang mit den Geheim­dienst- und Mili­tär-Whist­le­b­lo­wern ins­ge­samt zeigt über­deut­lich, welch unkon­trol­lier­te Macht der „deep sta­te“ der Diens­te mitt­ler­wei­le hat und wie unbe­rührt von öffent­li­chem Pro­test er agiert.

Am 5. Okto­ber schrieb die „FAZ“ dann aller­dings wie­der:

Ohne die von Brad­ley Man­ning an die Ent­hül­lungs­platt­form Wiki­leaks gelie­fer­ten gehei­men Regie­rungs­do­ku­men­te hät­te Maz­zet­ti man­che Zusam­men­hän­ge nicht rekon­stru­ie­ren kön­nen.

Nun zäh­len die The­men­fel­der Trans­gen­der und Trans­se­xua­li­tät im Jahr 2013 immer noch zu den etwas außer­ge­wöhn­li­che­ren, sind aber zumin­dest immer mal wie­der in Sicht­wei­te des Main­streams. Bali­an Busch­baum etwa, der als Yvonne Busch­baum eine erfolg­rei­che Stab­hoch­sprin­ge­rin war, ist häu­fi­ger in Talk­shows zu Gast und wird dort mehr oder weni­ger augen­zwin­kernd angel­anzt, wie das denn jetzt so sei mit einem … hihi: Penis. Der Ame­ri­ka­ner Tho­mas Bea­tie durf­te als „schwan­ge­rer Mann“ die Kurio­si­tä­ten­ka­bi­net­te der Bou­le­vard­me­di­en fül­len. Mina Capu­to wur­de mal Keith genannt und war als Sän­ger von Life Of Ago­ny bekannt und Lau­ra Jane Grace von der Band Against Me! begann ihre Kar­rie­re als Tom Gabel – was die Komi­ker von „Spie­gel Online“ sei­ner­zeit zu der pie­tät­vol­len Über­schrift „Gabel unterm Mes­ser“ inspi­riert hat­te.

Vie­le haben in ihrem Bekann­ten­kreis kei­ne Trans­men­schen (oder wis­sen nichts davon) und wis­sen nicht, wie sie mit einem umge­hen soll­ten. Für Jour­na­lis­ten, die aus der Fer­ne über sie schrei­ben, ist es aber mei­nes Erach­tens erst ein­mal nahe­lie­gend, die Namen und Per­so­nal­pro­no­mi­na zu ver­wen­den, die sich die betref­fen­den Per­so­nen erbe­ten haben. Und Chel­sea Man­ning hat dies expli­zit getan.

In ver­gleichs­wei­se all­täg­li­chen Situa­tio­nen schei­nen Jour­na­lis­ten übri­gens weni­ger über­for­dert: Muham­mad Ali und Kareem Abdul-Jab­bar waren schon bekann­te Sport­ler, als sie zum Islam kon­ver­tier­ten und ihre neu­en Namen annah­men. Durch Ehe­schlie­ßun­gen und ‑schei­dun­gen wech­sel­ten Schau­spie­le­rin­nen wie Robin Wright, Poli­ti­ke­rin­nen wie Kris­ti­na Schrö­der und Schmuck­de­si­gne­rin­nen wie Ales­san­dra Pocher ihre Namen und die Pres­se zog mit. Und der Fern­seh­mo­de­ra­tor Max Moor hieß bis zum Früh­jahr die­ses Jah­res Die­ter, was – nach einem kur­zen Moment des Nase­rümp­fens und Drü­ber­lus­tig­ma­chens – inzwi­schen auch kei­nen mehr inter­es­siert.

Hof­fent­lich braucht es weni­ger als 35 Jah­re, bis Chel­sea Man­nings Bit­te von den deut­schen Medi­en erhört wird.

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Journalisten im Backwahn

Neu­lich war ich auf einer Jour­na­lis­ten­ta­gung. Ich konn­te das vor mir selbst recht­fer­ti­gen, indem ich auf dem Podi­um sag­te, dass ich kei­ne Jour­na­lis­ten­ta­gun­gen (und kei­ne Blog­ger­tref­fen) mag. Die anwe­sen­den Jour­na­lis­ten waren anschlie­ßend so nett, mir noch ein­mal zu erklä­ren, war­um das eigent­lich so ist.

Ich saß im Publi­kum einer Dis­kus­si­on über das Urhe­ber­recht, die ganz außer­ge­wöhn­lich kusche­lig zu wer­den droh­te, weil nie­mand, der vor­her irgend­wel­che Auf­ru­fe zur Ret­tung des Urhe­ber­rechts (vor wem auch immer) unter­zeich­net hat­te, an der Dis­kus­si­on teil­neh­men woll­te. (Oder konn­te – viel­leicht fand zeit­gleich das Jah­res­tref­fen der Offe­ne-Brie­fe-zur-Ret­tung-des-Urheb­ber­rechts-Unter­zeich­ner statt, wer weiß schon, was Men­schen, die offe­ne Brie­fe unter­zeich­nen, so in ihrer Frei­zeit machen.)

JEDENFALLS: Ein Ver­tre­ter der Pira­ten­par­tei erklär­te gera­de, dass es ja durch­aus vie­le Men­schen gebe, die für Inhal­te zah­len wür­den, die­se Bezah­lung in vie­len Fäl­len aber unmög­lich sei. Die popu­lä­re Fern­seh­se­rie „Game Of Thro­nes“ etwa wer­de vom Sen­der HBO aus­schließ­lich über ihren Bezahl­ka­bel­ka­nal ver­trie­ben und ein Jahr nach Aus­strah­lung der Staf­fel auf DVD ver­öf­fent­licht. Wer die Serie zeit­nah sehen wol­le (etwa, um im Freun­des­kreis mit­re­den zu kön­nen), wer­de qua­si in die Ille­ga­li­tät gezwun­gen, selbst wenn er eigent­lich bereit wäre, gutes Geld für einen lega­len Zugang zu zah­len.

Tat­säch­lich ist die­se HBO/„Game of Thrones“-Geschichte ein bemer­kens­wer­ter Fall, denn eine neue Zugangs­mög­lich­keit zu den HBO-Seri­en wür­de das eigent­li­che Geschäfts­mo­dell des Sen­ders, den Absatz sei­ner Kabel­pa­ke­te, gefähr­den. Statt die­ses Risi­ko ein­zu­ge­hen, nimmt HBO die welt­wei­te Ver­brei­tung der Serie durch Drit­te eini­ger­ma­ßen bil­li­gend in Kauf – und hofft offen­bar dar­auf, dass die Fans dann schon noch anschlie­ßend die DVDs kau­fen wer­den.

Über all das wur­de bei der Podi­ums­dis­kus­si­on nicht gespro­chen, denn es erhob sich ein Mann (wie ich anneh­men muss: ein Jour­na­list) im Publi­kum und fing laut­stark zu schimp­fen an: Wo wir denn da hin­kä­men, wenn der Kon­su­ment plötz­lich bestim­men wür­de, auf wel­chem Weg und zu wel­chen Kon­di­tio­nen er das Pro­dukt gelie­fert bekom­me?! Wenn der Sen­der die Serie nicht anders ver­kau­fen wol­le, müs­se man halt war­ten. Man wür­de ja auch nicht beim Bäcker sagen: „Du willst zwan­zig Cent für die Bröt­chen, aber ich geb‘ Dir nur zehn!“ (Ich kann mich nicht an den genau­en Wort­laut erin­nern, aber die Bröt­chen­prei­se waren defi­ni­tiv nicht zeit­ge­mäß.)

Mal davon ab, dass sei­ne Wort­mel­dung ver­gleichs­wei­se weit am eigent­li­chen Punkt vor­bei­ging und ich ob sei­nes Geschreis ganz drin­gend aus dem Ver­an­stal­tungs­raum flie­hen muss­te, blieb mir der Mann im Gedächt­nis.

Was, so dach­te ich, muss bei einem Autor falsch gelau­fen sein, damit er sei­ne Tex­te mit Bröt­chen ver­gleicht?

Ges­tern dann ver­folg­te ich im Inter­net eine wei­te­re Podi­ums­dis­kus­si­on und wie­der fing irgend­ein Chef­re­dak­teur an, von Bröt­chen zu reden. Da däm­mer­te mir: So wird das nichts mehr mit dem Jour­na­lis­mus in Deutsch­land.

Damit wir uns nicht falsch ver­ste­hen: Das Back­hand­werk ist ein ehren­wer­tes Gewer­be, vor dem ich – wie vor allen Hand­wer­ken – größ­ten Respekt haben. Wer möch­te schon mit­ten in der Nacht auf­ste­hen, um Mehl­staub ein­zu­at­men und sei­ne Hän­de in eine kleb­ri­ge Mas­se zu drü­cken? Dar­über hin­aus ist es eine hohe Kunst: Es ist außer­halb Deutsch­lands nahe­zu unmög­lich, ein geschei­tes Brot zu fin­den, und wirk­lich gute Bröt­chen fin­det man nir­gend­wo mehr, seit die Bäcke­rei Hal­len in Dins­la­ken ihre Pfor­ten hat schlie­ßen müs­sen.

Damit wir uns des wei­te­ren nicht falsch ver­ste­hen: Auch ich möch­te für mei­ne Arbeit, in die­sem Fall das Erstel­len von Tex­ten und lus­ti­gen Vide­os, ange­mes­sen ent­lohnt wer­den.

ABER: Mei­ne Tex­te sind kei­ne Bröt­chen! Nie­man­des Tex­te sind das!

Text und Brötchen im Direktvergleich (Symbolfoto).
Wer­den oft ver­wech­selt: Text (links, über den Euro­vi­si­on Song Con­test in Baku) und Bröt­chen (rechts, mit Kür­bis­ker­nen).

Zwar schei­nen man­che Jour­na­lis­ten und die meis­ten Ver­le­ger über­zeugt, dass ihre Tex­te für die Mensch­heit so wich­tig sind wie das täg­li­che Brot, aber das macht sie noch nicht zur Back­wa­re.

Man könn­te das natür­lich durch­spie­len und augen­zwin­kernd fest­stel­len, dass die Leu­te anschei­nend auf Marie-Antoi­net­te gehört haben und jetzt ein­fach Kuchen essen statt Brot. Dafür müss­te man sich noch über­le­gen, was in die­ser Meta­pher jetzt der Kuchen wäre (Blogs? Goog­le?), aber das Bild wür­de mit jedem Gedan­ken schie­fer. Tex­te sind kei­ne Bröt­chen!

Tex­te wer­den nicht geba­cken, man kann sie nicht nach fünf Tagen klein­ho­beln und mit ihnen Schnit­zel panie­ren und vor allem wer­den Tex­te nicht an Leser ver­kauft, son­dern an Ver­le­ger. (Dass die dann sagen, sie wür­den ger­ne aber nur die Hälf­te des Prei­ses zah­len wol­len, ist das eigent­li­che Pro­blem für die Jour­na­lis­ten.)

Das gan­ze The­men­feld „geis­ti­ges Eigen­tum“ ist ver­mint mit hin­ken­den Ver­glei­chen, aus dem Boden von Fäs­sern her­aus­ge­schla­ge­nen Kro­nen, ver­un­fall­ten Meta­phern, fal­schen oder wenigs­tens über­hol­ten Annah­men und unglück­li­chen Begrif­fen. Ja, „geis­ti­ges Eigen­tum“ ist schon ein sol­cher unglück­li­cher Begriff, weil der Geist ja eben so erfri­schend unkör­per­lich ist. Das über­for­dert vie­le Vor­stel­lungs­kräf­te, wes­we­gen die Katho­li­sche Kir­che den Hei­li­gen Geist kur­zer­hand in eine Tau­be gepackt hat. Das ist auch nur ein Bild, lie­be Jour­na­lis­ten (wenn auch weit weni­ger bescheu­ert als geba­cke­ne Tex­te): Wenn Euch eine Tau­be auf den Kopf kackt, ist das in den sel­tens­ten Fäl­len ein Zei­chen Got­tes.

Wir kön­nen über alles dis­ku­tie­ren (ach, das tut Ihr ja schon seit 15 Jah­ren): über die Mög­lich­keit, ein­zel­ne Tex­te zu bezah­len; dar­über, dass die Wer­be­kun­den ins Inter­net abwan­dern; über die schlech­ten Arbeits­be­din­gun­gen von Jour­na­lis­ten und die teils ekli­gen Ver­trä­ge, die ihnen die Ver­la­ge vor­le­gen; dar­über, dass guter Jour­na­lis­mus natür­lich bezahlt wer­den muss, und über vie­les mehr.

Aber wenn Men­schen, die aus­schließ­lich von der Kraft ihrer Gedan­ken leben, Tex­te mit Bröt­chen ver­glei­chen, dann sehe ich für alle wei­te­ren Gesprächs­an­sät­ze aus­ge­spro­chen schwarz.

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Stichwort Justizverdrossenheit

Zum Urteil, das das Land­ge­richt Frank­furt heu­te im Fall des Kin­des­ent­füh­rers und ‑mör­ders Magnus Gäf­gen gefällt hat (und bei dem Gäf­gen zu 80% „ver­lo­ren“ hat), ist im Lau­fe des Tages schon viel Unsinn geschrie­ben wor­den.

Düm­mer als der letz­te Absatz im Kom­men­tar von Chris­ti­an Den­so bei „Zeit Online“ dürf­te es unter Ein­hal­tung der Natur­ge­set­ze aber nicht mehr wer­den:

Doch selbst wenn Magnus Gäf­gen nach der neu­er­li­chen Ent­schei­dung end­lich Ruhe geben soll­te: Das Urteil des Frank­fur­ter Land­ge­richts reiht sich ein in eine beun­ru­hi­gen­de Serie von Rich­ter-Ent­schei­dun­gen „im Namen des Vol­kes“, die zwar Recht dar­stel­len mögen, aber von die­sem Volk zu gro­ßen Tei­len nicht ver­stan­den wer­den. Sei es im Fall der Siche­rungs­ver­wah­rung von Sexu­al­straf­tä­tern, bei Ent­schei­dun­gen, Jung­kri­mi­nel­le nicht in Unter­su­chungs­haft zu neh­men oder eben bei den Rech­ten, die auch einem Kinds­mör­der zuge­stan­den wer­den müs­sen. Eine Recht­spre­chung, die nur Juris­ten nach­voll­zie­hen kön­nen, bewegt sich auf unheil­vol­lem Weg.

Das Volk ver­steht also nicht, was es mit Grund- und Men­schen­rech­ten auf sich hat. Hmmm, wer könn­te es dem Volk denn erklä­ren? Man bräuch­te Men­schen, die Tex­te schrei­ben, die dann vom Volk gele­sen wer­den. Tex­te, die sau­ber recher­chiert wur­den und alle Fak­ten und Posi­tio­nen abbil­den, ohne dabei in Popu­lis­mus zu ver­fal­len. Die Autoren die­ser Tex­te bräuch­ten noch eine Berufs­be­zeich­nung – wie wäre es mit „Jour­na­lis­ten“?

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Der blonde Teufel von Seite 1

Der Fuß­ball­welt­ver­band FIFA steht nicht gera­de in dem Ver­dacht, ein Ort zu sein, an dem logi­sche und ratio­na­le Ent­schei­dun­gen gefällt wer­den. Doch die FIFA hat ihren eige­nen Fern­seh­leu­ten, die etwa die Live­über­tra­gun­gen von Fuß­ball­welt­meis­ter­schaf­ten durch­füh­ren, die Anwei­sung gege­ben, mög­li­che Stö­rer im Sta­di­on nicht im Bild zu zei­gen. Was auf den ers­ten Blick nur wie die Wah­rung einer Hei­le-Welt-Fas­sa­de aus­sieht, ist in Wahr­heit viel logi­scher begrün­det: Stö­rer wol­len Öffent­lich­keit, also gilt es, die­se Öffent­lich­keit zu ver­mei­den. Von dem (kom­plett beklei­de­ten) „Flit­zer“ beim letzt­jäh­ri­gen WM-Fina­le war also in der offi­zi­el­len FIFA-Über­tra­gung fast nichts zu sehen – erst die Medi­en berich­te­ten hin­ter­her, dass es sich um jenen Spa­ni­er han­del­te, der schon beim Euro­vi­si­on Song Con­test in Oslo die Büh­ne gestürmt hat­te, und boten dem Mann damit die Büh­ne, die er mit sei­nen Aktio­nen sucht.

Jedes Mal, wenn irgend­wo in der Welt ein Schü­ler Amok läuft, über­bie­ten sich die Medi­en dar­in, dem fei­gen, arm­se­li­gen Täter das Denk­mal zu errich­ten, das er mit sei­ner Tat errich­ten woll­te. Wenn es Fotos gibt, die den spä­te­ren Täter mit Trench­coat, Son­nen­bril­le und Pis­to­le zei­gen, dann kommt das auf die Titel­sei­ten der Zei­tun­gen. Und mit­hil­fe mög­li­cher Pro­fil­sei­ten in sozia­len Netz­wer­ken wird eine Exege­se betrie­ben, die jeweils nur einen Schluss zulässt: Man hät­te es kom­men sehen müs­sen.

Jetzt also die­ser Mann, der in Oslo eine Bom­be gezün­det und auf Utøya ein Blut­bad ange­rich­tet hat. Er hat – anders als die aller­meis­ten Amok­läu­fer – nach sei­ner Tat kei­nen Selbst­mord began­gen, son­dern sich fest­neh­men las­sen. Sei­ne Ver­haf­tung sol­le den Beginn einer „Pro­pa­gan­da­pha­se“ mar­kie­ren, hat er geschrie­ben. Er hat nicht nur Video­bot­schaf­ten oder wir­re Arti­kel vor­be­rei­tet, er ist auch noch selbst da, um zu spre­chen – und er will spre­chen, das ist klar. Damit erin­nert er ein wenig an John Wil­kes Booth, der auf die Büh­ne sprang, nach­dem er Abra­ham Lin­coln in einem Thea­ter erschos­sen hat­te. Der Täter aus Nor­we­gen sucht eine Büh­ne und die Medi­en stel­len sie ihm zur Ver­fü­gung.

Kei­ne deut­sche Bou­le­vard­zei­tung kam am Mon­tag ohne ein Foto des Man­nes aus, den sie wahl­wei­se als „Mord-Maschi­ne“ („Ber­li­ner Kurier“), „Bes­tie“ („Express“) oder „Teu­fel“ („tz“, „Bild“) bezeich­ne­ten. Blät­ter wie die „Ham­bur­ger Mor­gen­post“ oder die „Abend­zei­tung“ taten ihm den Gefal­len und zeig­ten ihn in Kampf­mon­tur, mit Waf­fe im Anschlag. Ein Bild wie aus einer Wer­be­an­zei­ge für jene Com­pu­ter­spie­le, die von den glei­chen Medi­en dann ger­ne „Kil­ler­spie­le“ genannt wer­den.

Medi­en wie „Spie­gel Online“ grif­fen dank­bar die Bro­cken auf, die ihnen der Täter bei Face­book, You­Tube und in irgend­wel­chen zwie­lich­ti­gen Web­fo­ren hin­ge­wor­fen hat­te, und bas­tel­ten sich aus die­sen Infor­ma­tio­nen halb­ga­re Psy­cho­gram­me. Nicht ein­mal Lady Gaga schafft es, dass die Medi­en exakt so über sie berich­ten, wie sie sich das wünscht, doch dem Täter vom Frei­tag ist genau das gelun­gen. So wie Detec­ti­ve David Mills in „Sie­ben“ am Ende den per­fi­den Plan des Kil­lers voll­endet, erwei­sen sich die Jour­na­lis­ten jetzt als will­fäh­ri­ge Erfül­lungs­ge­hil­fen einer Pro­pa­gan­da, die sie selbst als geis­tes­krank brand­mar­ken.

Es muss schon eini­ges falsch gelau­fen sein, wenn die Stim­me der Ver­nunft aus­ge­rech­net aus dem Kör­per von Franz Josef Wag­ner spricht:

Ich glau­be, die höchs­te Stra­fe für den Atten­tä­ter wäre die Bedeu­tungs­lo­sig­keit. Nicht mehr über ihn zu berich­ten, sei­ne Fotos nicht mehr zu zei­gen, sei­ne wir­ren Ideen nicht mehr im Inter­net zu lesen.

Die­ser Typ will ja, dass alle Welt über sei­ne Mor­de berich­tet. Die Höchst­stra­fe für die­sen Psycho ist, dass er ein klei­nes Arsch­loch ist.

(Wag­ners Wor­te erschie­nen natür­lich in einer Zei­tung, die die­ses „klei­ne Arsch­loch“ heu­te vier Mal zeigt, davon ein­mal groß auf der Titel­sei­te. Und einen Tag, nach­dem Wag­ner sei­ne „Post“ an den Täter adres­siert hat­te.)

Der Täter hat dar­über hin­aus ein „Mani­fest“ von 1.516 Sei­ten ver­fasst. Es dürf­te (wie die meis­ten „Mani­fes­te“ die­ser Art) eine eher freud­lo­se Lek­tü­re abge­ben. Und es stellt die poten­ti­el­len Leser (also mut­maß­lich vor allem Jour­na­lis­ten) vor die Fra­ge, wie sie mit der Ideo­lo­gie des Täters umge­hen sol­len.

Mög­lich­keit Eins ist der Klas­si­ker, der bereits in vol­lem Gan­ge ist: Die Dämo­ni­sie­rung. Men­schen, die Jugend­li­che in einem Feri­en­la­ger erschie­ßen, klei­ne Kin­der miss­brau­chen oder die Erobe­rung Euro­pas und die Aus­lö­schung aller Juden pla­nen, sind eine enor­me Her­aus­for­de­rung für das mensch­li­che Gehirn. Ein­fa­cher wird es, wenn die Tat von einer „Bes­tie“ oder einer „Mord-Maschi­ne“ ver­übt wird – dann kann man sich im Lehn­stuhl zurück leh­nen und das Grau­en beob­ach­ten wie eine Natur­ka­ta­stro­phe. Solan­ge wir die Deu­tungs­ho­heit dar­über haben, wer Mensch ist und wer nicht, haben wir zumin­dest ein mini­ma­les Rest­ge­fühl von Kon­trol­le. Des­we­gen ist es so ver­lo­ckend, Täter in außer­mensch­li­che Kate­go­rien ein­zu­sor­tie­ren.

Mög­lich­keit Zwei wäre die inhalt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung. Sie ist tech­nisch (im Sin­ne von „in den meis­ten mensch­li­chen Gehir­nen“) unmög­lich, weil sie von einer ein­ge­bau­ten Moral­sper­re blo­ckiert wird. Das theo­re­ti­sche Gere­de vom „Kul­tur­mar­xis­mus“ (aktu­ell) oder der „Juden­ras­se“ (his­to­risch) taugt nicht mal als Arbeits­hy­po­the­se, die man argu­men­ta­tiv wider­le­gen könn­te, weil es prak­tisch zur Legi­ti­ma­ti­on von Taten her­an­ge­zo­gen wur­de, die jeder Mensch, der noch alle Tas­sen im Schrank hat, ver­ur­tei­len muss.

Muss man das „Mani­fest“ also lesen und bespre­chen? Dafür sprä­che, dass der Täter dar­in recht weit ver­brei­te­te Ängs­te auf­greift, etwa vor einer „Über­frem­dung“ und einem „Iden­ti­täts­ver­lust“. Es sind die glei­chen Ängs­te, die auch von isla­mo­pho­ben Hass­blogs bedient wer­den, die mit Stim­mun­gen und fal­schen Fak­ten han­tie­ren, oder von Poli­ti­kern ver­schie­de­ner Par­tei­en. Des­we­gen wer­den jetzt Logik­ket­ten geknüpft, die Thi­lo Sar­ra­zin, Hen­ryk M. Bro­der und ande­re Laut­spre­cher in einen direk­ten oder indi­rek­ten Zusam­men­hang mit dem nor­we­gi­schen Mas­sen­mör­der set­zen. Das ist unge­fähr so bil­lig wie die Argu­men­ta­ti­ons­wei­se der Gegen­sei­te, die eine direk­te Linie vom Koran zum isla­mis­ti­schen Ter­ror zie­hen will. Dabei ist Bro­der nur ein Bor­der­line-Komi­ker, der sich auch die rech­te Hand abha­cken wür­de für eine bil­li­ge Poin­te, ein biss­chen Applaus und viel Auf­ruhr.

Gegen die aus­führ­li­che Exege­se des Mani­fests spricht, dass es nie jemand gele­sen hät­te, wenn sein Autor nicht durch ein die Vor­stel­lungs­kraft her­aus­for­dern­des Ver­bre­chen dar­auf auf­merk­sam gemacht hät­te. Es ist ein per­ver­ser PR-Plan eines offen­sicht­lich kran­ken Man­nes und die Medi­en tun alles, um die­sen Plan auf­ge­hen zu las­sen.

Die Medi­en­be­richt­erstat­tung, die sich nach Ver­bre­chen so häu­fig auf die Täter kon­zen­triert, mag eine kathar­ti­sche Wir­kung haben. Wir füh­len uns bes­ser, wenn wir den immer freund­li­chen Nach­barn und Sach­be­ar­bei­ter, der einen klei­nen Jun­gen miss­braucht und getö­tet hat, anschlie­ßend als „Schwein“ bezeich­nen, und viel­leicht glau­ben Jour­na­lis­ten tat­säch­lich, dass es irgend­et­was ändern oder irgend­wie hel­fen kann, ihn in einem unschar­fen Foto für jeden erkenn­bar auf der Titel­sei­te zu zei­gen. Doch es ist vor allem ein Aus­druck von Hilf­lo­sig­keit (die völ­lig okay ist, sich nur viel­leicht nicht unbe­dingt in Zei­tungs­ti­tel­sei­ten nie­der­schla­gen soll­te) – und im Fall von wahn­haf­ten Mas­sen­mör­dern ist es sogar eine Form von Mit­tä­ter­schaft.

Ich glau­be, heu­te muss ich Franz Josef Wag­ner ein­fach mal voll­um­fäng­lich zustim­men.

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Betr.: Norwegen, Amy Winehouse

Wenn ich hier auf­schrie­be, was ich in den letz­ten 48 Stun­den am liebs­ten mit einer Viel­zahl Jour­na­lis­ten ange­stellt hät­te, wür­de man mich als „Hass­blog­ger“ bezeich­nen. Ver­mut­lich nicht ganz zu unrecht.

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Ich zucke immer zusam­men, wenn ich als „Jour­na­list“ vor­ge­stellt wer­de. Das hat wenig mit dem behaup­te­ten Kul­tur­kampf „Blog­ger vs. Jour­na­lis­ten“ zu tun (ich zucke auch zusam­men, wenn ich als „Blog­ger“ vor­ge­stellt wer­de) und viel mit dem, was in Deutsch­land für Jour­na­lis­mus gehal­ten wird.

„Jour­na­list“ ist kei­ne geschütz­te Berufs­be­zeich­nung, anders als zum Bei­spiel „Tier­arzt“. Metz­ger, Wil­de­rer und Auto­me­cha­ni­ker betrei­ben nach­weis­lich kei­ne Vete­ri­när­me­di­zin, das Werk von Volks­ver­het­zern, Lei­chen­fled­de­rern und sons­ti­gem cha­rak­ter­lo­sen Pack kann aber ohne wei­te­res als „Jour­na­lis­mus“ bezeich­net wer­den.

Des­halb wird Paul Ron­z­hei­mer, 25-jäh­ri­ger „Bild“-Redakteur, der auch ger­ne schon mal „den Plei­te-Grie­chen die Drach­men zurück“ gibt, mit dem Her­bert-Quandt-Medi­en-Preis (immer­hin benannt nach einem ande­ren gro­ßen Men­schen­freund und Wohl­tä­ter) aus­ge­zeich­net.

Und des­halb wer­den Druckerzeug­nis­se wie „Bild“, „Focus“ oder „Bun­te“ auch von seriö­sen Jour­na­lis­ten (die es natür­lich, um Him­mels Wil­len, auch gibt und die gut dar­an täten, die Bezeich­nung „Jour­na­list“ zu ver­tei­di­gen) als Jour­na­lis­mus ange­se­hen, obwohl es in der rest­li­chen zivi­li­sier­ten Welt eher unüb­lich ist, Bou­le­vard­jour­na­lis­mus als Jour­na­lis­mus wahr- oder auch nur ernst­zu­neh­men.

Jörg Kachelm­ann hat der „Zeit“ ein lan­ges Inter­view gege­ben und auch wenn die Inter­viewe­rin Sabi­ne Rück­ert selbst jetzt nicht gera­de als strah­len­des Bei­spiel für ordent­li­chen Jour­na­lis­mus bezeich­net wer­den kann, ist es ein beein­dru­cken­des Doku­ment.

Kachelm­ann sagt dar­in unter ande­rem:

Ich bin sicher, dass die Bou­le­vard­me­di­en über­all U‑Boote haben. In allen wich­ti­gen Orga­ni­sa­tio­nen haben die einen sit­zen, damit er mal kurz in den Com­pu­ter guckt. Wenn ich in einer Maschi­ne unter­wegs war, die nicht zu den Flug­li­ni­en des Fir­men­ver­bun­des Star Alli­ance gehört, hat mich nie ein Papa­raz­zo am Flug­platz erwar­tet.

Das lässt nur zwei Schlüs­se zu: Ent­we­der, der Mann ist ver­rückt (gewor­den), oder die­ses Land ist sehr viel upge­fuck­ter, als man sich das als Bür­ger gemein­hin vor­stel­len wür­de.

Das Inter­net­por­tal „Mee­dia“, des­sen Chef­re­dak­teur es als „ele­men­tars­te Auf­ga­be“ der Medi­en ansah, „das Dop­pel­le­ben des net­ten Herrn Kachelm­ann zu ent­hül­len“, und der es als „ruf­schä­di­gend für den Jour­na­lis­mus“ bezeich­net hat­te, den media­len Irr­sinn in Sachen Kachelm­ann zu hin­ter­fra­gen, die­ses Inter­net­por­tal jeden­falls schreibt heu­te über das Inter­view:

Schwenn habe nicht gebrüllt oder auf den Rich­ter­tisch gehau­en, wie die Bild berich­tet hat. Es ist nicht nur die­se Stel­le des Inter­views, die den Ein­druck erweckt, Kachelm­ann habe seit dem Pro­zess womög­lich eine etwas ver­scho­be­ne Wahr­neh­mung der Rea­li­tät. Zwar hat Schwenn tat­säch­lich nicht gebrüllt, aber sei­ne Art und Wei­se im Gericht vor­zu­ge­hen kann jeder, der anwe­send wahr nur als offe­ne Pro­vo­ka­ti­on emp­fun­den haben.

Kachelm­ann sagt, Schwenn habe nicht gebrüllt, und Schwenn hat nicht gebrüllt, aber Kachelm­ann hat eine „etwas ver­scho­be­ne Wahr­neh­mung der Rea­li­tät“? Was hat dann Ste­fan Win­ter­bau­er, Autor die­ser Zei­len? (Außer viel­leicht „den Schuss nicht gehört“.)