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Journalisten im Backwahn

Neulich war ich auf einer Journalistentagung. Ich konnte das vor mir selbst rechtfertigen, indem ich auf dem Podium sagte, dass ich keine Journalistentagungen (und keine Bloggertreffen) mag. Die anwesenden Journalisten waren anschließend so nett, mir noch einmal zu erklären, warum das eigentlich so ist.

Ich saß im Publikum einer Diskussion über das Urheberrecht, die ganz außergewöhnlich kuschelig zu werden drohte, weil niemand, der vorher irgendwelche Aufrufe zur Rettung des Urheberrechts (vor wem auch immer) unterzeichnet hatte, an der Diskussion teilnehmen wollte. (Oder konnte — vielleicht fand zeitgleich das Jahrestreffen der Offene-Briefe-zur-Rettung-des-Urhebberrechts-Unterzeichner statt, wer weiß schon, was Menschen, die offene Briefe unterzeichnen, so in ihrer Freizeit machen.)

JEDENFALLS: Ein Vertreter der Piratenpartei erklärte gerade, dass es ja durchaus viele Menschen gebe, die für Inhalte zahlen würden, diese Bezahlung in vielen Fällen aber unmöglich sei. Die populäre Fernsehserie “Game Of Thrones” etwa werde vom Sender HBO ausschließlich über ihren Bezahlkabelkanal vertrieben und ein Jahr nach Ausstrahlung der Staffel auf DVD veröffentlicht. Wer die Serie zeitnah sehen wolle (etwa, um im Freundeskreis mitreden zu können), werde quasi in die Illegalität gezwungen, selbst wenn er eigentlich bereit wäre, gutes Geld für einen legalen Zugang zu zahlen.

Tatsächlich ist diese HBO/”Game of Thrones”-Geschichte ein bemerkenswerter Fall, denn eine neue Zugangsmöglichkeit zu den HBO-Serien würde das eigentliche Geschäftsmodell des Senders, den Absatz seiner Kabelpakete, gefährden. Statt dieses Risiko einzugehen, nimmt HBO die weltweite Verbreitung der Serie durch Dritte einigermaßen billigend in Kauf — und hofft offenbar darauf, dass die Fans dann schon noch anschließend die DVDs kaufen werden.

Über all das wurde bei der Podiumsdiskussion nicht gesprochen, denn es erhob sich ein Mann (wie ich annehmen muss: ein Journalist) im Publikum und fing lautstark zu schimpfen an: Wo wir denn da hinkämen, wenn der Konsument plötzlich bestimmen würde, auf welchem Weg und zu welchen Konditionen er das Produkt geliefert bekomme?! Wenn der Sender die Serie nicht anders verkaufen wolle, müsse man halt warten. Man würde ja auch nicht beim Bäcker sagen: “Du willst zwanzig Cent für die Brötchen, aber ich geb’ Dir nur zehn!” (Ich kann mich nicht an den genauen Wortlaut erinnern, aber die Brötchenpreise waren definitiv nicht zeitgemäß.)

Mal davon ab, dass seine Wortmeldung vergleichsweise weit am eigentlichen Punkt vorbeiging und ich ob seines Geschreis ganz dringend aus dem Veranstaltungsraum fliehen musste, blieb mir der Mann im Gedächtnis.

Was, so dachte ich, muss bei einem Autor falsch gelaufen sein, damit er seine Texte mit Brötchen vergleicht?

Gestern dann verfolgte ich im Internet eine weitere Podiumsdiskussion und wieder fing irgendein Chefredakteur an, von Brötchen zu reden. Da dämmerte mir: So wird das nichts mehr mit dem Journalismus in Deutschland.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Das Backhandwerk ist ein ehrenwertes Gewerbe, vor dem ich – wie vor allen Handwerken – größten Respekt haben. Wer möchte schon mitten in der Nacht aufstehen, um Mehlstaub einzuatmen und seine Hände in eine klebrige Masse zu drücken? Darüber hinaus ist es eine hohe Kunst: Es ist außerhalb Deutschlands nahezu unmöglich, ein gescheites Brot zu finden, und wirklich gute Brötchen findet man nirgendwo mehr, seit die Bäckerei Hallen in Dinslaken ihre Pforten hat schließen müssen.

Damit wir uns des weiteren nicht falsch verstehen: Auch ich möchte für meine Arbeit, in diesem Fall das Erstellen von Texten und lustigen Videos, angemessen entlohnt werden.

ABER: Meine Texte sind keine Brötchen! Niemandes Texte sind das!

Text und Brötchen im Direktvergleich (Symbolfoto).
Werden oft verwechselt: Text (links, über den Eurovision Song Contest in Baku) und Brötchen (rechts, mit Kürbiskernen).

Zwar scheinen manche Journalisten und die meisten Verleger überzeugt, dass ihre Texte für die Menschheit so wichtig sind wie das tägliche Brot, aber das macht sie noch nicht zur Backware.

Man könnte das natürlich durchspielen und augenzwinkernd feststellen, dass die Leute anscheinend auf Marie-Antoinette gehört haben und jetzt einfach Kuchen essen statt Brot. Dafür müsste man sich noch überlegen, was in dieser Metapher jetzt der Kuchen wäre (Blogs? Google?), aber das Bild würde mit jedem Gedanken schiefer. Texte sind keine Brötchen!

Texte werden nicht gebacken, man kann sie nicht nach fünf Tagen kleinhobeln und mit ihnen Schnitzel panieren und vor allem werden Texte nicht an Leser verkauft, sondern an Verleger. (Dass die dann sagen, sie würden gerne aber nur die Hälfte des Preises zahlen wollen, ist das eigentliche Problem für die Journalisten.)

Das ganze Themenfeld “geistiges Eigentum” ist vermint mit hinkenden Vergleichen, aus dem Boden von Fässern herausgeschlagenen Kronen, verunfallten Metaphern, falschen oder wenigstens überholten Annahmen und unglücklichen Begriffen. Ja, “geistiges Eigentum” ist schon ein solcher unglücklicher Begriff, weil der Geist ja eben so erfrischend unkörperlich ist. Das überfordert viele Vorstellungskräfte, weswegen die Katholische Kirche den Heiligen Geist kurzerhand in eine Taube gepackt hat. Das ist auch nur ein Bild, liebe Journalisten (wenn auch weit weniger bescheuert als gebackene Texte): Wenn Euch eine Taube auf den Kopf kackt, ist das in den seltensten Fällen ein Zeichen Gottes.

Wir können über alles diskutieren (ach, das tut Ihr ja schon seit 15 Jahren): über die Möglichkeit, einzelne Texte zu bezahlen; darüber, dass die Werbekunden ins Internet abwandern; über die schlechten Arbeitsbedingungen von Journalisten und die teils ekligen Verträge, die ihnen die Verlage vorlegen; darüber, dass guter Journalismus natürlich bezahlt werden muss, und über vieles mehr.

Aber wenn Menschen, die ausschließlich von der Kraft ihrer Gedanken leben, Texte mit Brötchen vergleichen, dann sehe ich für alle weiteren Gesprächsansätze ausgesprochen schwarz.

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Politik

Der neue Hitler

Vor ein paar Wochen hatte ich geschrieben, Kinderpornographie habe Terrorismus als … äh: Totschlagargument bei der Einschränkung von Rechten abgelöst.

Kinderpornographie ist aber nicht nur der neue Osama, sie ist auch der neue Hitler.

Den Eindruck könnte man zumindest bekommen, wenn man sich anhört, welch beeindruckende Vergleichskette Bayerns Innenminister Joachim Herrmann gestern aus dem Hut zauberte:

Killerspiele widersprechen dem Wertekonsens unserer auf einem friedlichen Miteinander beruhenden Gesellschaft und gehören geächtet. In ihren schädlichen Auswirkungen stehen sie auf einer Stufe mit Drogen und Kinderpornografie, deren Verbot zurecht niemand infrage stellt.

[Zitiert nach golem.de]

Mir fällt leider beim besten Willen nichts ein, womit ich diesen Unfug vergleichen könnte.

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Gesellschaft

Haben Sie das auch in braun?

Über den ganzen Obama-Wahn hätte ich fast vergessen, dass wir in diesem Blog ja noch eine ganz andere Liste am Laufen hatten: die der Nazi-Vergleiche.

Und weil in der Katholischen Kirche das Thema Holocaust grad so herzlich verhandelt wird, dass ein weiterer fauxpas in dieser Richtung kaum auffallen dürfte, hat sich der Augsburger Bischof Walter Mixa (den wir lustigerweise schon mal in dieser Rubrik begrüßen durften) halt ein bisschen aus dem Fenster gelehnt und gesagt, dass ja inzwischen wohl mehr Kinder abgetrieben worden als Juden vergast worden seien. (Natürlich hat er das hinterher ganz anders gemeint: Die “Nennung der unterschiedlichen Zahlen in verschiedenen Sachzusammenhängen” sei “keine Relativierung des Holocausts”, wie ein Bistumssprecher erklärte.)

Ja, hui — und seit Erfindung des Rades dürfte die Zahl der Verkehrstoten weltweit auch bei über sechs Millionen liegen. Und?

Vielleicht schiebe ich mein Buchprojekt “Schlimmer als Hitlerkrebs” erstmal auf die lange Bank und biete Rhetorikseminare für katholische Würdenträger an. Das scheint ein echter Wachstumsmarkt zu sein.

[Mit Dank an Felix D. für den Hinweis]

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Verunglückte Vergleiche (317)

Nun wucherten Anfeindungen und Intrigen wie Fußpilz auf alten Buletten.

Der Artikel von Lydia Harder auf Seite 4 wirft heute unbeabsichtigt die Frage auf, wie es eigentlich in der Kantine der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” (online nur kostenpflichtig verfügbar) aussieht.

[Eingesandt von Mutti.]

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Literatur Politik

Licht aus, Spott an

Wie kann man heutzutage in Deutschland eigentlich noch wirklich provozieren? In Zeiten, in denen schon jeder und alles mit irgendwelchen Nazi-Sachen verglichen wurde, muss man sich was neues einfallen lassen: den Kohl-Vergleich.

Erfunden hat ihn Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse in der “Leipziger Volkszeitung”. Zumindest zitiert diese ihn wie folgt:

Müntefering geht, weil ihm Privates in einer entscheidenden Lebensphase wichtiger als alles andere ist. Ein Einschnitt?

Es ist eine unpolitische Entscheidung, dass Franz Müntefering seine Frau in der letzten Phase ihres Lebens direkt begleiten will. Seine Frau im Dunkeln in Ludwigshafen sitzen zu lassen, wie es Helmut Kohl gemacht hat, ist kein Ideal. Ohne dass das vergleichbar wäre. Die Politik ist nicht das Allerwichtigste. Man sollte sich in solchen Phasen das Recht nehmen, auch einmal still zu halten. Es ist nicht so, dass man ein Schwächling ist, wenn man nicht immer sofort in diesen unmenschlichen Entscheidungsdruck verfällt.

Zitat: lvz-online.de

Zur Erinnerung: Hannelore Kohl, die Frau von Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl, litt schon während dessen Amtszeit an einer schweren Lichtallergie, die sie zuletzt dazu zwang, in einem völlig abgedunkelten Haus zu leben, und nahm sich im Juli 2001 das Leben (vgl. dazu auch dieses geschmackvolle “Spiegel”-Titelbild).

So, wie Thierse von der “Leipziger Volkszeitung” zitiert wird, wäre das natürlich eine etwas unglückliche, vielleicht auch schlichtweg geschmacklose Äußerung. Thierse sah seine Ausführungen zunächst einmal als “falsch und verkürzt” wiedergegeben und schrieb dem Altkanzler einen persönlichen Brief, in dem er bedauerte, dass “ein falscher Eindruck entstanden sei”. (Man beachte dabei den alten PR-Trick und bedauere nicht seine Äußerungen, sondern den Eindruck, der durch sie entstanden sein könnte.)

Unterdessen schrien Politiker aller Parteien schon Zeter und Mordio und versuchten, die Nummer zu einem Riesenskandal hochzujubeln, in dessen Windschatten die heutige Diätenerhöhung medial untergehen könnte.

Wer verstehen will, wie Politik und Medien heutzutage funktionieren, muss nur diesen Artikel bei n-tv.de lesen:

“Die Äußerungen von Herrn Thierse sind für mich menschlich zutiefst unverständlich. Sie grenzen für mich an Niedertracht”, sagte Merkel der “Bild”.

[…]

Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) sprach von einem “Tiefpunkt im Umgang” unter Kollegen. CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer sagte, ein Bedauern reiche “hinten und vorne nicht”. “Das ist des Deutschen Bundestags nicht würdig. FDP-Chef Guido Westerwelle hat recht, wenn er sagt, er kann sich durch einen solchen Vizepräsidenten nicht repräsentiert fühlen.” Westerwelle sprach im “Kölner Stadt-Anzeiger” von “unterirdischen” Äußerungen.

Sie sehen schon: Die reden alle übereinander und mit der Presse, aber in keinem Fall miteinander – und das Volk sitzt daneben wie das Kind geschiedener Eltern, die nur noch über ihre Anwälte miteinander kommunizieren.

Im “Bild”-Artikel kommen noch ein paar weitere Hochkaräter zu Wort:

Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) empört: „Schäbig und geschmacklos!“ Junge-Union-Chef Philipp Mißfelder: „Parteichef Kurt Beck muss Thierse sofort zur Ordnung rufen.“

Und weil die Luft langsam dünn wurde, schaltete Thierse einen Gang höher und entschuldigte sich heute morgen per Brief “in aller Form” bei Helmut Kohl. Richtiger noch: Er bat um Entschuldigung, was ja heutzutage auch eine sprachliche Seltenheit ist.

Wie reagiert eigentlich Kohl auf den Brief seines alten Freundes und das ganze Theater drum herum? Mit der ihm üblichen staatsmännischen Größe und Gelassenheit:

“Ich nehme diese Entschuldigung an. Zum Vorgang selbst will ich sonst nichts sagen.”

Ich weiß schon, warum der Mann auf ewig “mein” Kanzler bleiben wird.

Nachtrag 17. November: Gerade erst festgestellt, dass diese erste öffentliche Erwähnung des Namens Helmut Kohl seit Monaten zufälligerweise mit der Präsentation des dritten Bands von Kohls Autobiografie zusammenfiel …

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Rundfunk Sport

So Long, And Thanks For All The Fish

Man stelle sich mal vor, ein Professor stellte sich vor seine Studenten und sagte:
“Ich wollte ja eigentlich nicht mehr über die Vergangenheit sprechen, aber weil da gerade alle wieder von anfangen müssen: Ja, ich hab als Student bei meinen Prüfungen geschummelt. Meine Doktorarbeit war abgeschrieben. Aber da will ich echt nicht mehr drüber sprechen, denn ich sorge doch heute an vorderster Front dafür, dass meine Studenten bei ihren Prüfungen nicht schummeln. Natürlich könnte ich mein Amt jetzt niederlegen, aber, hey: Wenn hier einer Erfahrungen auf dem Gebiet hat, dann ja wohl ich, oder?”

Klingt irgendwie idiotisch? Okay, dann sind meine Dänischkenntnisse einfach nicht gut genug und die reden grad im Fernsehen über was ganz anderes …