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Kein Kommentar

Mar­kus Becke­dahl hat bei netzpolitik.org einen Arti­kel über Blog­kom­men­ta­re ver­öf­fent­licht, den ich selbst­ver­ständ­lich nicht gele­sen habe, so wie Blog­kom­men­ta­to­ren in den aller­meis­ten Fäl­len die Arti­kel nicht lesen (oder zumin­dest offen­kun­dig nicht ver­ste­hen), unter denen sie kom­men­tie­ren.

Als ich ange­fan­gen habe zu blog­gen und plötz­lich Leu­te anfin­gen, die Kom­men­tar­funk­ti­on zu nut­zen, gab es in den Kom­men­ta­ren Zustim­mung, ande­re Denk­an­sät­ze, Lob, Kri­tik, Humor, irgend­wann Run­ning Gags. Mit eini­gen treu­en Kom­men­ta­to­ren die­ser Anfangs­pha­se ver­bin­den mich inzwi­schen enge Freund­schaf­ten.

Dann kam Face­book. Lesens­wer­te Arti­kel wur­den nicht mehr ver­linkt, Blogs rekur­rier­ten nicht mehr auf­ein­an­der, die gan­ze Idee der „Blogo­sphä­re“ fiel in sich zusam­men. Lesens­wer­te Arti­kel wer­den heu­te bei Face­book geteilt und eben­da auch dis­ku­tiert, bei den aller­meis­ten im über­schau­ba­ren Rah­men ihrer Facebook-„Freunde“. Das führt einer­seits dazu, dass das Mei­nungs­spek­trum nicht mehr ganz so groß ist1, ande­rer­seits funk­tio­nie­ren Anspie­lun­gen und Run­ning Gags viel bes­ser, man­che trau­en sich gar wie­der ans Stil­mit­tel der Iro­nie. In sel­te­nen Fäl­len kommt es zu Rei­bungs­punk­ten, wenn Men­schen, deren ein­zi­ge Gemein­sam­keit die Face­book-Bekannt­schaft mit mir ist, unglück­lich auf­ein­an­der­pral­len, aber meis­tens ver­läuft alles harm­los und har­mo­nisch.

Das bedeu­tet aber auch, dass die aller­meis­ten Men­schen, die heu­te noch Blog­bei­trä­ge kom­men­tie­ren, ent­we­der die letz­ten treu­en See­len sind – oder die letz­ten Irren. Die Leu­te, die einem Arti­kel ein­fach nur zustim­men, kli­cken auf „Gefällt mir“ (bzw. „Emp­feh­len“) oder ver­lin­ken ihn ander­wei­tig bei Face­book (bzw. um das Wort ein­mal geschrie­ben zu haben: auf Twit­ter) und sind dann wie­der weg. Wer in die Kom­men­ta­re unter dem Text guckt, bekommt den Ein­druck, dass Blogs aus­schließ­lich von Men­schen gele­sen wer­den, die mit der Mei­nung des Autoren nicht über­ein­stim­men.2 In eini­gen Fäl­len könn­te man dar­über hin­aus glau­ben, die Kom­men­ta­re bezö­gen sich auf einen ursprüng­lich dort gepos­te­ten Arti­kel, in dem der Autor vom Geschlechts­ver­kehr mit Tie­ren geschwärmt hat­te und den er anschlie­ßend durch einen etwas weni­ger kon­tro­ver­sen ersetzt hat. So ent­steht ein selt­sa­mes Zerr­bild der Rea­li­tät.

Manch­mal sind Kom­men­ta­re natür­lich auch ein Gewinn. Nicht nur, wenn man expli­zit um Hil­fe gebe­ten hat, son­dern auch, wenn es um das gemein­sa­me Schwel­gen in Erin­ne­run­gen geht. Wenn das The­ma aber nur gering­fü­gig kon­tro­vers ist, ist das Desas­ter pro­gram­miert. Und wenn dann noch durch irgend­wel­che Ver­lin­kun­gen vie­le Leser von außer­halb ange­spült wer­den, die viel­leicht mit Autor, Blog und Rest­kom­men­ta­to­ren nicht ver­traut sind, wird es spä­tes­tens ab Kom­men­tar #20 so lus­tig wie an einem schlech­ten Tag im Nahen Osten.

Ein wei­te­res Pro­blem ist natür­lich, dass in Deutsch­land kei­ne Dis­kus­si­ons­kul­tur exis­tiert wie im angel­säch­si­schen Raum. Mehr noch, im Fern­se­hen bekom­men wir täg­lich – und ich wünsch­te, „täg­lich“ wäre hier eine Über­trei­bung – gezeigt, wie man mit Men­schen umgeht, die ande­rer Mei­nung sind: Unter­bre­chen, Anschrei­en, alle Argu­men­te für nich­tig erklä­ren. Rhe­to­ri­sche Grund­prin­zi­pi­en wer­den in die Ton­ne gekloppt, auf der dann laut rum­ge­trom­melt wird. Was übri­gens noch viel leich­ter geht, wenn man dem Gegen­über dabei nicht in die Augen gucken muss, weil es an einer Com­pu­ter­tas­ta­tur ganz woan­ders sitzt.

Wenn eine kon­struk­ti­ve Dis­kus­si­on also eh unmög­lich ist, kön­nen wir uns alle die Mühe auch spa­ren. Es bringt nichts, den isla­mo­pho­ben Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­kern in ihren Wahn­sinns­fo­ren mit Fak­ten, Argu­men­ten oder Ver­wei­sen auf die Wirk­lich­keit ent­ge­gen­tre­ten zu wol­len, aber es bringt noch ein biss­chen weni­ger, unter einen Arti­kel, der isla­mo­pho­ben Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­kern mit Fak­ten, Argu­men­ten oder Ver­wei­sen auf die Wirk­lich­keit ent­ge­gen­tritt, zu schrei­ben, die­se Leu­te sei­en aber echt dum­me Nazis und hät­ten klei­ne Pim­mel. Das mag ja stim­men, aber es hilft den­noch nie­man­dem. Außer viel­leicht für einen kur­zen Moment dem Kom­men­ta­tor.

Natür­lich wird einem jeder alte Zei­tungs­ha­se bestä­ti­gen, dass Leser­brie­fe schon immer zu maxi­mal zehn Pro­zent aus Zustim­mung bestan­den (außer, es geht gera­de gegen Kin­der­mör­der) und zu min­des­tens hun­dert Pro­zent aus gal­le­trie­fen­den Abo-Kün­di­gun­gen, aber ein Blog­kom­men­tar ist noch leicht­fer­ti­ger in die Tas­ta­tur erbro­chen als das Wort „Schrei­ber­ling“ in Süt­ter­lin aufs Büt­ten­pa­pier getropft. Und wäh­rend hier­zu­lan­de tat­säch­lich nie­mand dazu gezwun­gen wird, ein bestimm­tes Medi­um zu kon­su­mie­ren, ver­hält es sich bei den Leser­kom­men­ta­ren genau umge­kehrt: Die müs­sen, schon aus Selbst­schutz des Blog­be­trei­bers, von irgend­je­man­dem auf mög­li­che Ver­stö­ße gegen die guten Sit­ten und gegen bestehen­de Geset­ze über­prüft wer­den. Die Ver­stö­ße gegen Logik und Recht­schreib­kon­ven­tio­nen wür­de eh nie­mand nach­hal­ten wol­len.

Es ist nicht mehr 2007. Blogs sind jetzt ein­fach da und gehen auch nicht mehr weg. Aber sie sind nicht ganz das gewor­den, was wir uns viel­leicht mal erhofft hat­ten. „Wir“ sind nicht das gewor­den. Men­schen, die alle eine Blog­soft­ware benut­zen, haben grund­sätz­lich erst mal genau die­se eine Gemein­sam­keit. Wer will, kann sich mit Men­schen, die auch irgend­wie ins Inter­net schrei­ben, tref­fen, wer nicht will, nicht. Wer sei­ne Sicht auf die Welt für so wich­tig hält, dass ande­re davon erfah­ren soll­ten, soll­te nicht irgend­wo Kom­men­ta­re hin­ter­las­sen, son­dern mit dem Blog­gen anfan­gen.

  1. Ich zum Bei­spiel habe kei­nen ein­zi­gen offen homo­pho­ben oder natio­na­lis­tisch ein­ge­stell­ten Face­book-Kon­takt, wor­über ich sehr froh bin und wor­auf ich auch sehr ach­te. []
  2. In den Kom­men­ta­ren des News­por­tals „Der Wes­ten“ ent­steht bis­wei­len der Ein­druck, die WAZ-Grup­pe wür­de Frei­schär­ler beschäf­ti­gen, die Men­schen mit Waf­fen­ge­walt dazu zwin­gen, die dort online gestell­ten Arti­kel zu lesen und anschlie­ßend zu kom­men­tie­ren. Das ist aller­dings immer noch harm­los ver­gli­chen mit den nach unten offe­nen Kom­men­tar­spal­ten von „Welt Online“, in denen sich offen­sicht­lich jene Stamm­tisch­gän­ger ver­sam­meln, gegen die der Deut­sche Hotel- und Gast­stät­ten­ver­band DeHo­Ga ein bun­des­wei­tes Knei­pen­ver­bot aus­ge­spro­chen hat. []
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Und Normal gibt’s nicht mal mehr an der Tankstelle

Lie­be Autoren, Ihr könnt die Arbeit ein­stel­len: Das Ren­nen um den dümms­ten Text des Jah­res ist ent­schie­den. David Baum hat ihn ver­gan­ge­ne Woche auf „The Euro­pean“ ver­öf­fent­licht, einem kon­ser­va­ti­ven Inter­net­ma­ga­zin, des­sen erklär­tes Ziel es ist, inner­halb der nächs­ten Jah­re so wich­tig zu wer­den, wie es sich selbst seit dem ers­ten Tag nimmt.

In wel­che Rich­tung es gehen wird, erkennt man schon an der Fra­ge, die Baum sei­ner „Kolum­ne“ vor­an­ge­stellt hat: „Wie abar­tig ist eigent­lich nor­mal?“. Die Über­schrift zeigt, dass hier einer die Kon­tro­ver­se, die Pro­vo­ka­ti­on, das Bro­dern sucht: „Lie­be Nege­rIn­nen“.

Doch was will Baum eigent­lich sagen?

HÖREN SIE – sehr geehr­te Damen, sehr geehr­te Her­ren “und alle, die sich nicht mit die­sen Kate­go­rien iden­ti­fi­zie­ren kön­nen oder wol­len”: Ich kom­me mir manch­mal vor wie Ronald Rea­gan, der ver­se­hent­lich an den Nackt­ba­de­strand des Wood­stock-Fes­ti­vals gera­ten ist.
Zum Bei­spiel, wenn ich die­se inzwi­schen heiß umfeh­de­te Rede des Chefs der Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung, Tho­mas Krü­ger, lese, die er tat­säch­lich mit genau jener eben zitier­ten Anre­de ein­ge­lei­tet hat. Das erin­nert mich an die hin­rei­ßend idio­ti­sche Afri­kare­de von Hein­rich Lüb­ke, bloß dass der zum Kar­ne­va­lis­ti­schen nei­gen­de Bun­des­prä­si­dent heu­te nicht nur über die böse ras­sis­ti­sche For­mel stür­zen wür­de, son­dern auch noch, weil er nicht “lie­be Nege­rIn­nen” gesagt hat.

Zuge­ge­ben: Das ist schon sehr viel zer­schmet­ter­ter Satz­bau und sehr viel Unfug für einen ein­zel­nen Absatz. Aber wir kom­men da durch. Zunächst also mal das Offen­sicht­li­che: In White Lake, NY gab es nach allem, was wir wis­sen, kei­nen Strand – also auch kei­nen „Nackt­ba­de­strand des Wood­stock-Fes­ti­vals“. Was soll­te man da auch schon sehen außer Schlamm?

Aber viel­leicht ist das auch wit­zig gemeint. So wie die Anre­de „lie­be Neger“, die sehr wahr­schein­lich frei erfun­den ist und die Baum mit der Anre­de in Tho­mas Krü­gers Rede beim Kon­gress „Das fle­xi­ble Geschlecht. Gen­der, Glück und Kri­sen­zei­ten in der glo­ba­len Öko­no­mie.“ ver­gleicht wie ande­re Leu­te Äpfel mit Schrau­ben­zie­hern: „Sehr geehr­te Damen und Her­ren, lie­be Neger“ klingt für unse­re Ohren, als ob es neben den Damen und Her­ren auch noch die „Neger“ gebe, die (ähn­lich wie bei „lie­be Kin­der“) von den Damen und Her­ren abge­grenzt wer­den müs­sen, weil sie nicht dazu­ge­hö­ren. Beim Kon­gress der Bun­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung hin­ge­gen wer­den auch die Men­schen adres­siert, die sich selbst weder den Damen, noch den Her­ren zurech­nen kön­nen oder wol­len. Die drit­te Kate­go­rie ver­sucht also eine Abgren­zung auf­zu­he­ben, nicht eine her­zu­stel­len.

Wie bei jedem ordent­li­chen Pole­mi­ker, der sich völ­lig in der Lebens­wirk­lich­keit ver­fah­ren hat, ist man auch bei David Baum gut bera­ten, ihn zwecks Demon­ta­ge aus­gie­big zu zitie­ren:

Herr Krü­ger, der Mann, der samt Ehe­gat­tin und sei­nem gan­zen Klün­gel vom Staat gespon­sert wird, “um inter­es­sier­te Bür­ge­rin­nen und Bür­ger dabei zu unter­stüt­zen, sich mit Poli­tik zu befas­sen”, doziert all­zu gern über das The­ma “Das fle­xi­ble Geschlecht”. Er ver­tritt also jene lau­ni­ge The­se – die zur Folk­lo­re der hei­mi­schen Links­extre­men gehört –, dass kein Mensch als Jun­ge oder Mäd­chen gebo­ren wird und des­halb die Kin­der­lein geschlechts­neu­tral auf­wach­sen sol­len, um sich schließ­lich frei ent­schei­den zu kön­nen. Der Ver­weis auf gewach­se­ne Geschlechts­or­ga­ne gilt in die­sen Krei­sen als lächer­li­cher Volks­glau­be aus der fins­te­ren Vor­mo­der­ne, den­ken sie erst gar nicht dar­an. Ich weiß nicht, was die­se Kama­ril­la in den 70ern geraucht hat, jeden­falls macht es bis heu­te so high, dass sie die Unter­schei­dung von Mäd­chen und Jun­gen für eine zutiefst reak­tio­nä­re und rechts­ra­di­ka­le Ange­le­gen­heit hält.

Mal davon ab, dass es in Krü­gers Rede nur am Ran­de um jene „lau­ni­ge The­se“ und gar nicht um Geschlechts­or­ga­ne und Geschlechts­neu­tra­li­tät geht, offen­bart sich in die­sem Absatz auch wie­der ein erschüt­ternd schlich­tes Welt­bild: Mann oder Frau, schwarz oder weiß, dafür oder dage­gen. Wenn Anders­den­ken­de für David Baum „Links­extre­me“ sind, müss­te er in sei­ner eige­nen bipo­la­ren Welt ja eigent­lich ein Rechts­ra­di­ka­ler sein. Das hat er natür­lich selbst schon aus­for­mu­liert und womög­lich wit­zig gemeint.

Aber ganz so ein­fach, wie es Baum ger­ne hät­te mit Pim­mel und Mumu, macht es ihm die Natur schon nicht. Hin­zu kommt, dass er – wie so vie­le Ande­re an bei­den Enden des poli­ti­schen Spek­trums – aus­schließ­lich inner­halb bestehen­der Kate­go­rien den­ken will.

Dazu ein kur­zer Exkurs: Das Volk der Sets­wa­na in Afri­ka kennt nur weni­ge Farb-Grund­wör­ter (im Prin­zip nur schwarz, weiß, rot, und blau/​grün, aber kein Wort für gelb, braun, oran­ge, oder ähn­li­ches), die Dani in Papua-Neu­gui­nea haben (wie ande­re Sprach­ge­mein­schaf­ten auch) über­haupt nur zwei Farb­wör­ter, die in etwa „hell“ und „dun­kel“ bedeu­ten. Sie hät­ten bei der Beschrei­bung eines Regen­bo­gens sicher eini­ge Schwie­rig­kei­ten, aber der Regen­bo­gen blie­be (für unse­re Augen) der glei­che. Die Geschich­te, nach der Eski­mos hun­dert ver­schie­de­ne Wor­te für Schnee hät­ten, ist zwar unge­fähr genau­so falsch wie Hein­rich Lüb­kes berüch­tig­tes Zitat, aber die Idee dahin­ter ist ja ein­fach, dass man alles noch mal aus­dif­fe­ren­zie­ren kann.

Aber das ist natür­lich nicht so geil kra­wal­lig wie die For­mu­lie­rung „an den Scham­haa­ren her­bei Gezo­ge­nes“ oder der Ruf nach dem Ver­fas­sungs­schutz, um den „beson­de­ren Schutz“ der Ehe und der Fami­lie im Grund­ge­setz zu gewähr­leis­ten.

Und über­haupt:

Nor­ma­li­tät gibt es ja nicht, wie der Mensch von mor­gen jetzt schon weiß.

Womög­lich denkt Baum ein­fach nur vom fal­schen Ende aus, denn es geht in der Debat­te ja gera­de dar­um, Schwu­le, Les­ben, Bise­xu­el­le, Trans­se­xu­el­le, Trans­gen­der, usw. usf. nicht mehr als Exo­ten wahr­zu­neh­men, die wahl­wei­se lus­tig oder krank sind, son­dern als nor­mal.

Für Baum eine offen­bar uner­träg­li­che Vor­stel­lung:

Das Ziel einer gesun­den Gesell­schaft soll­te sein, Min­der­hei­ten zu schüt­zen und ihnen zu ihren Rech­ten zu ver­hel­fen. Aber jede Lau­ne der Natur zum all­ge­mei­nen Leit­bild zu erhe­ben sicher nicht. Sie geht näm­lich dar­an kaputt.

Das ist genau die Logik der Leu­te, die wol­len, dass Mus­li­me ihre Moscheen in irgend­wel­chen Hin­ter­hö­fen und Indus­trie­ge­bie­ten errich­ten, und die dann hin­ter­her dar­über schimp­fen, wie schlecht „inte­griert“ die­se Men­schen in einer Gesell­schaft sei­en, die sie selbst an den Rand gedrängt hat. Schwul ja, aber bit­te nicht der eige­ne Sohn, nicht öffent­lich und nicht mit den glei­chen Rech­ten wie Hete­ro-Paa­re. Deko­ra­ti­ve Anders­ar­ti­ge in einer sonst uni­for­mier­ten Gesell­schaft. Aber immer beto­nen, dass man doch eigent­lich („Jedem Tier­chen sein Plä­sier­chen“) tole­rant sei – was natür­lich im Zwei­fels­fall auch wie­der iro­nisch gemeint sein könn­te.

All die­se Aus­brü­che Baums haben wenig bis gar nichts mit der Rede Tho­mas Krü­gers zu tun. Er will nichts „zum all­ge­mei­nen Leit­bild erhe­ben“, er will viel­mehr bestehen­de Leit­bil­der abbau­en:

Um Gerech­tig­keit und einen Aus­tausch auf Augen­hö­he zu errei­chen, kann die eige­ne Posi­ti­on, die eige­ne Erfah­rung, der eige­ne Kör­per und die eige­ne Sexua­li­tät nicht län­ger zur Norm erklärt wer­den, von der alle ande­ren Ver­sio­nen als min­der­wer­ti­ge Abwei­chun­gen gel­ten, die es allen­falls zu tole­rie­ren gilt.

Baum reißt ein­zel­ne Schlag­wor­te aus dem Kon­text der (zuge­ge­be­ner­ma­ßen nicht ganz kur­zen) Rede und erweckt so den Ein­druck, Krü­ger und die Bun­des­zen­tra­le woll­ten Sodom und Gomor­rha als gesell­schaft­li­ches Ide­al (oder gleich als Zwang) eta­blie­ren. Dabei geht es um ganz kon­kre­te Lebens­wirk­lich­kei­ten und Unge­rech­tig­kei­ten in ganz durch­schnitt­li­chen hete­ro­se­xu­el­len Part­ner­schaf­ten, wenn Krü­ger etwa die „klas­si­sche Ernäh­rer-Ehe, an der sich immer noch steu­er­li­che Pri­vi­le­gi­en fest­ma­chen“ kri­ti­siert.

Aber das ist wohl alles zu viel für einen Mann wie David Baum, der die Gren­ze des­sen, was nicht mehr „nor­mal“ ist, unmit­tel­bar hin­ter sich zieht.

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What Difference Does It Make?

Ich zeig Euch Individualität!

Als ich 16 Jah­re alt war, stand ich vor einem mora­li­schen Dilem­ma: WDR 2 hat­te ange­kün­digt, ein Kon­zert mei­ner Lieb­lings­band Ben Folds Five aus­zu­strah­len. Einer­seits freu­te ich mich dar­über, die Band mal „live“ zu hören,1 ande­rer­seits dach­te ich, damit sei die Band end­gül­tig im Main­stream ange­kom­men.2 Ich las „Solo­al­bum“ und „Tris­tesse Roya­le“, die vol­ler Arro­ganz und Distik­ti­ons­wut waren, und freu­te mich, als der deut­sche „Rol­ling Stone“ die „Drawn From Memo­ry“ von Embrace schlecht bewer­te­te, weil ich dach­te, dann wür­den weni­ger Leu­te die­se CD hören. Das alles ist lan­ge her und mein dama­li­ges Ver­hal­ten bezeich­net man ana­log zur dama­li­gen Lebens­pha­se als puber­tär.

Heu­te freue ich mich, wenn Bands, die ich schät­ze, in die Charts ein­stei­gen, weil das die Chan­ce erhöht, dass die Musi­ker von ihrer Musik auch leben kön­nen. Natür­lich ist es scha­de, Bands wie Cold­play oder die Kil­lers nicht mehr in klei­nen Clubs sehen zu kön­nen,3 aber es kom­men ja fast täg­lich neue Bands für die Clubs dazu und unter einem kul­tu­rel­len Aspekt ist es doch alle­mal bes­ser, wenn die Fri­seu­rin­nen und Kin­der­gärt­ne­rin­nen, die man bei Cold­play-Kon­zer­ten arg­wöh­nisch mus­tert, eben sol­che Musik hören und nicht Sil­ber­mond.

Natür­lich gibt es auch heu­te noch Men­schen, die Bands auto­ma­tisch schei­ße fin­den, wenn sie mehr als 300 Hörer haben,4 aber die nennt man dann eben „Indi­en­a­zis“ und sie müs­sen zur Stra­fe Tex­te von Jan Wig­ger, Died­rich Diede­rich­sen und Plat­ten­tests online lesen.

Das alles kam mir in den Sinn, als ich durch Zufall einen Ein­trag im Blog von Ste­fan Win­ter­bau­er auf meedia.de las:

Pro­blem: Das iPho­ne ist gewöhn­lich gewor­den.

Mitt­ler­wei­le ist das Gerät der­art weit ver­brei­tet (selbst unter Stu­den­ten!), dass es beim bes­ten Wil­len nicht mehr als Sta­tus­sym­bol her­hal­ten kann. Manch­mal muss man sich gera­de­zu schä­men. Zum Bei­spiel, wenn ein Ver­triebs-Och­se in Kurz­arm-Hemd und schril­ler Kra­wat­te im Zug ein iPho­ne zückt.

Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ernst der Text gemeint ist,5 glau­be aber, dass sich im Zwei­fels­fall genug Men­schen fän­den, die Win­ter­bau­er auch dann zustim­men wür­den, wenn er das eigent­lich irgend­wie augen­zwin­kernd gemeint hät­te.

Jetzt denkt jeder Schlips­trä­ger aus Ver­trieb und Mit­tel-Manage­ment, ein biss­chen was von Glanz und Sexy­ness des iPho­ne abha­ben zu kön­nen. No way. Das Gegen­teil ist der Fall. Dadurch, dass die­se Schnauz­bart­trä­ger, Kurz­arm­hem­den und blon­de Damen auf hohen Hocken jetzt alle ein iPho­ne haben, machen sie den Mythos kaputt.

Win­ter­bau­er sitzt da zunächst ein­mal einem weit ver­brei­te­ten Miss­ver­ständ­nis auf: Unter­wegs zu tele­fo­nie­ren – oder brei­ter gefasst: zu kom­mu­ni­zie­ren – hat nichts mit Gla­mour und Sexy­ness zu tun, son­dern mit Abhän­gig­keit oder man­geln­der Orga­ni­sa­ti­on. Wer noch auf dem Nach­hau­se­weg in der S‑Bahn mit dienst­li­chen Pro­ble­men behel­ligt wird, wäre selbst dann noch ein armes Schwein, wenn er mit einem Pla­tin­bar­ren tele­fo­nier­te, und wer aus dem Zug sei­ne Ankunfts­zeit mit­teilt, war in den meis­ten Fäl­len nur zu faul, sich vor­her eine Ver­bin­dung her­aus­zu­su­chen und dann recht­zei­tig am Bahn­hof zu sein.6

Als in der letz­ten Woche das Mobil­funk­netz von T‑Mobile zusam­men­brach war ich auf­rich­tig über­rascht über die Aus­wir­kun­gen, die das auf das Leben vie­ler Men­schen zu haben schien. Mein ME 45 mit Pre­paid-Kar­te dient mir in ers­ter Linie als Uhr und Wecker, mit dem ich hin und wie­der SMSen schrei­ben kann. Und als ich fest­stell­te, dass ich nach wie vor über T‑Mobile tele­fo­nie­ren konn­te, muss­te ich 20 Minu­ten über­le­gen, wen ich eigent­lich anru­fen könn­te, um ihm die­se (völ­lig irrele­van­te) Sen­sa­ti­on mit­zu­tei­len.

Das heißt nicht, dass ich das iPho­ne an sich schlecht fän­de – ich bin ja auch von mei­nem iPod touch ziem­lich begeis­tert. Aber den mag ich, weil es ein gut durch­dach­tes und funk­tio­nie­ren­des tech­ni­sches Gerät ist, nicht wegen des ange­bis­se­nen Apfels auf der Rück­sei­te.7 Auch mein Mac­Book nut­ze ich, weil ich App­les Betriebs­sys­tem gelun­ge­ner fin­de als Win­dows, weil der Akku län­ger hält und auch – das gebe ich ger­ne zu – weil das Gerät ein­fach bes­ser aus­sieht als so ziem­li­che jeder ande­re Lap­top – aber doch nicht aus Pres­ti­ge­grün­den.

Wer glaubt, sich über sein Mobil­te­le­fon pro­fi­lie­ren und von ande­ren abgren­zen zu müs­sen, hat mög­li­cher­wei­se zu wenig Geld für den Por­sche, der von den zu klei­nen Geni­ta­li­en ablen­ken soll. Es ist mir ein Rät­sel, war­um aus­ge­rech­net ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­werk­zeug Aus­druck von Indi­vi­dua­li­tät sein soll­te.8 Wer anders sein will, muss sich schon ein biss­chen mehr Mühe geben – zum Bei­spiel indem er die bei H&M gekauf­ten Motiv-T-Shirts erst mal ein Jahr in den Schrank packt, ehe er sie trägt. Sogar die Punks sahen irgend­wann alle gleich aus mit ihren Iro­ke­sen­schnit­ten und Sicher­heits­na­deln.

Und wer Men­schen bewun­dert, nur weil sie ein teu­res Spiel­zeug mit sich füh­ren, ist mög­li­cher­wei­se noch ober­fläch­li­cher als der Tech­nik-Besit­zer selbst, der einen gera­de für Schnauz­bart und Kurz­arm­hemd ver­ach­tet.

  1. Ja, lie­be Kin­der, damals hat­ten wir noch kein You­Tube und Live-Mit­schnit­te von Kon­zer­ten waren sel­te­ne Samm­ler­stü­cke. []
  2. Ich saß damals der sel­ben Fehl­in­ter­pre­ta­ti­on des Begriffs „Main­stream“ auf, die heu­te im Bezug auf die Ver­brei­tung von twit­ter die Run­de macht. []
  3. Als ob ich das je hät­te. []
  4. Wer sich eine Band durch äuße­re Umstän­de ver­lei­den lässt, hat sie mei­nes Erach­tens nie wirk­lich gemocht. []
  5. Mein Iro­nie-Detek­tor ist gera­de zur Jah­res-Inspek­ti­on. []
  6. Ich weiß, wovon ich spre­che. []
  7. Die Rück­sei­te ist übri­gens sowie­so ein Desas­ter. Der Idi­ot, der auf die Idee gekom­men ist, einen Gebrauchs­ge­gen­stand zur Hälf­te mit einer hoch­glän­zen­den Metal­lic-Ober­flä­che zu ver­se­hen, soll­te eigent­lich öffent­lich aus­ge­peitscht wer­den, bis er genau­so vie­le Strie­men auf dem Hin­tern hat wie mein iPod Krat­zer. []
  8. Wobei ein iPho­ne ja in der Regel sehr indi­vi­du­ell ist: Man kann einen Sinn­spruch ein­gra­vie­ren las­sen und Pro­gram­me und Musik nach eige­nem Wunsch dar­auf über­spie­len. []
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Politik Gesellschaft

(Not) My Generation

„Welt Debat­te“ ist ein Ange­bot, das ich bis­her eher vom Hören­sa­gen kann­te. Ich kann mich auf welt.de nicht lan­ge auf­hal­ten, weil ich es für eines der schlimms­ten die­ser klick­hu­ren­den Mons­ter hal­te, die sich not­dürf­tig das Män­tel­chen „Online­jour­na­lis­mus“ über­ge­wor­fen haben, und mich die dor­ti­gen Leser­kom­men­ta­re immer wie­der tief in mei­nem Glau­ben an die Wich­tig­keit der Mei­nungs­frei­heit erschüt­tern.

Wenn also irgend­je­mand bei „Welt Debat­te“ irgend­was schreibt, krie­ge ich das höchs­tens über Umwe­ge mit. So auch im Fall von Gideon Böss, der dort bloggt. Herr Böss ist der glei­che Jahr­gang wie ich, womit die Gemein­sam­kei­ten im Gro­ßen und Gan­zen auch schon genannt wären. Dass es Kon­ser­va­ti­ve in mei­nem Alter gibt, über­rascht mich immer ein biss­chen, aber das ist ja nicht wei­ter schlimm, ver­schie­de­ne Mei­nun­gen sol­len wir alle haben und wir sol­len sie alle frei äußern kön­nen, ohne uns dafür gegen­sei­tig an die Gur­gel zu sprin­gen, nur so wird’s was mit der Dis­kus­si­ons­kul­tur.

Herr Böss macht es einem indes schwer mit dem Nicht-Gur­gel­sprin­gen, hat er doch offen­bar die Henryk‑M.-Broder-Schule für Pole­mik und Recher­che­schwä­che besucht, was sei­nen Posi­tio­nen ein biss­chen die Schlag­kraft nimmt.

Ver­gan­ge­ne Woche hat er über einen Besuch des frü­he­ren ira­ni­schen Prä­si­den­ten Moham­mad Chat­a­mi gebloggt und die­sen Mann, der als der ers­te Refor­mer in einem wich­ti­gen poli­ti­schen Amt im Iran gilt, eine „Gali­ons­fi­gur des ira­nisch-isla­mis­ti­schen Ter­rors“ genannt.

Über­haupt sei­en deut­sche Uni­ver­si­tä­ten viel zu links:

Irgend­wie ist die orga­ni­sier­te Stu­den­ten­schaft immer ent­we­der reli­gi­ös, anti­ka­pi­ta­lis­tisch oder glo­ba­li­sie­rungs­kri­tisch und wer­te­re­la­ti­vis­tisch ist sie sowie­so.

Nun wäre es natür­lich eine span­nen­de Fra­ge, war­um sich Herr Böss, der anschei­nend stu­diert hat, dann nicht für sei­ne Inter­es­sen in der Stu­den­ten­schaft orga­ni­siert hat. Es wäre auch span­nend, sich durch die Kom­men­ta­re zu kämp­fen, aber das haben mir mei­ne Ärz­te und Schrei­ner ver­bo­ten: Herz, Zäh­ne und Tisch­plat­ten sind nicht unend­lich belast­bar.

Ges­tern hat er dann nach­ge­legt und mal so rich­tig der­be mit sei­ner (unge­nann­ten) Uni abge­rech­net:

Mein Vor­schlag wäre, zuerst ein­mal alles aus der Uni zu ver­ban­nen, was mit Wis­sen­schaft nichts zu tun hat. Der gan­ze Gen­der-Quatsch zum Bei­spiel. Ich muss­te drei­mal im Ver­lauf des Stu­di­ums sol­che Kur­se besu­chen. Da lern­te ich, dass es eine gesell­schaft­li­che Kon­struk­ti­on ist, dass es nur zwei Geschlech­ter gibt. In Wahr­heit gibt es mehr, wobei die genaue Zahl nicht klar ist.

Herr Böss ver­tritt also noch nicht mal ein kon­ser­va­ti­ves Welt­bild, er ver­tritt ein schwarz-wei­ßes Welt­bild: wich­tig vs. unwich­tig, Mann vs. Frau, gut vs. böse, rechts vs. links. Da ist man mit dem Welt­s­or­tie­ren schnel­ler fer­tig und hat mehr vom Tag.

Und dann bro­dert es nur so aus ihm hin­aus:

Noch eine Num­mer här­ter wird es bei den Hard­core-Femi­nis­tin­nen, für die Kin­der, die von ihrem Vater ver­ge­wal­tigt wur­den, genau­so trau­ma­ti­siert sind wie Holo­caust-Über­le­ben­de (der Ver­such, die Lei­dens­ge­schich­te der Juden als Blau­pau­se für die Unter­drü­ckung der Frau­en zu miss­brau­chen, gehört mit zum geschmack­lo­ses­ten des Femi­nis­mus Made by Ali­ce Schwar­zer). Wir ler­nen also, dass ein Kind zwei Eltern­tei­le hat: eine lie­ben­de Mut­ter und Ausch­witz.

Ver­ge­wal­tig­te Kin­der tau­gen für Herrn Böss also gera­de noch zur scha­len (und inko­hä­ren­ten) Poin­te. Ich sehe eine gro­ße Zukunft für ihn im deut­schen Gei­fer­ge­wer­be.

Und weil ich mich kei­ne Minu­te län­ger mit Herrn Böss‘ miss­glück­tem Ver­such einer Debat­te befas­sen will, ver­wei­se ich statt­des­sen auf die­se klu­ge Replik von Mar­tin Spind­ler, der all das in Wor­te fasst und unter­mau­ert, was ich sel­ber nur raus­ge­gei­fert gekriegt hät­te.

[via riv­va]

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Bananenrepublik Deutschland

Ich hat­te ja schon das eine oder ande­re Mal geschrie­ben, dass ich mir ein deut­sches Äqui­va­lent zur „Dai­ly Show“ wün­sche. Im Moment bräuch­te man dafür noch nicht mal Autoren, man müss­te nur die Zei­tung auf­schla­gen:

In den letz­ten drei Wochen hat die SPD gefühl­te ein­hun­dert Mal ihre Plä­ne für Hes­sen geän­dert – „regie­ren“, „nicht regie­ren“, „regie­ren“, „nicht regie­ren“ – ganz so, als sei Homer Simpson plötz­lich zum Bun­des­vor­sit­zen­den der Par­tei ernannt wor­den (er hät­te bes­se­re Umfra­ge­wer­te als Kurt Beck, so viel ist klar). Im Umgang mit der Abge­ord­ne­ten Dag­mar Metz­ger bewie­sen die Sozis noch kurz, dass ihnen Par­tei­dis­zi­plin wich­ti­ger ist als Moral und Kon­se­quenz, dann gab Peer Stein­brück die Bun­des­tags­wahl 2009 ver­lo­ren. Das wird vor allem Gui­do Wes­ter­wel­le gefreut haben, der gera­de erst die CDU kri­ti­siert und zu Pro­to­koll gege­ben hat­te, er kön­ne sich inzwi­schen doch eine Zusam­men­ar­beit mit SPD und/​oder Grü­nen vor­stel­len. Roland Koch, der einen der schlimms­ten Wahl­kämp­fe der Nach-Strauß-Ära geführt hat­te, war­te­te ein­fach so lan­ge, bis sich der poli­ti­sche Geg­ner ganz von allein zer­legt hat­te, dann deu­te­te er an, selbst auf das Amt des Minis­ter­prä­si­den­ten ver­zich­ten zu wol­len.

Unter­des­sen ver­ur­sach­ten ver­schie­de­ne Gewerk­schaf­ten (allen vor­an die GDL) alle paar Tage ein mit­tel­schwe­res bis gro­ßes Cha­os und sorg­ten damit für ein gro­ßes Hal­lo in der Bevöl­ke­rung, die sich eh schon hin­ter der Lin­ken ver­sam­melt hat­te, um nach 17 Jah­ren end­lich mal wie­der so was ähn­li­ches wie Sozia­lis­mus nach Deutsch­land zurück­zu­ho­len. Am liebs­ten hät­ten die haupt­be­ruf­li­chen „Die da oben“-Beschimpfer (auch Wäh­ler genannt) wahr­schein­lich eine gro­ße Koali­ti­on aus Lin­ker und FDP, die einen Wie­der­auf­bau des Sozi­al­staats bei gleich­zei­ti­ger Abschaf­fung aller Steu­ern durch­setzt. Wer Kanz­ler wür­de, wäre dabei egal, denn von Ange­la Mer­kel hat man in den letz­ten Wochen ja auch nichts gehört.

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Alle Räder stehen still

Gewerkschafter in San Francisco, CA

Heu­te brau­che ich die Woh­nung nicht zu ver­las­sen, denn im Bochu­mer ÖPNV sieht es aus, als wären Weih­nach­ten, das Fuß­ball-WM-Fina­le Deutsch­land – Hol­land, ein Schnee­sturm, ein Strom­aus­fall und eine Son­nen­fins­ter­nis auf einen Tag gefal­len: Nichts geht mehr.

Glück­li­cher­wei­se muss ich heu­te weder zur Uni noch mit irgend­wel­chen tol­len Frau­en in noch tol­le­re Kino­fil­me, denn sonst wäre ich SEHR, SEHR ANGEKOTZT. Mei­ne Soli­da­ri­tät und mein Mit­ge­fühl wer­den näm­lich nicht in einer Wäh­rung erkauft, die „mir auf die Ner­ven gehen“ heißt.1

Strei­ken tun Ver.di und Kom­ba, was nicht etwa lus­ti­ge Figu­ren aus lehr­rei­chen Seri­en beim KiKa sind, son­dern Gewerk­schaf­ten. Gewerk­schaf­ten, das weiß ich seit mei­nem ach­ten Lebens­jahr, sind böse: Sie wer­den geführt von Men­schen, die so lus­ti­ge Namen wie Moni­ka Wulf-Mathies oder Frank Bsir­s­ke tra­gen, und wenn sie mal schlecht gelaunt sind, wird der Müll wochen­lang nicht abge­holt und es lau­fen Rat­ten über den Schul­hof. Am 1. Mai, wenn nor­ma­le Men­schen aus­schla­fen, lau­fen sie mit selbst­ge­mal­ten Trans­pa­ren­ten durch die Stra­ßen und wol­len Geld.

War­um die Gewerk­schaf­ten das dies­mal wol­len, war mir bis ges­tern nicht so ganz klar. Jens muss­te es mir bei der pl0gbar erklä­ren und war so freund­lich, die­se Erklä­rung gleich auch noch mal bei sich zu blog­gen. Von Sei­ten der Gewerk­schaf­ten hat­te ich bis­her nur einen Zet­tel in der U‑Bahn gese­hen, auf dem stand, dass man als allein­ste­hen­der Stra­ßen­bahn­fah­rer zum Berufs­ein­stieg einen Hun­ger­lohn von 1.200 Euro net­to bekom­me, was für mich jetzt irgend­wie nicht all­zu dra­ma­tisch klang. Auch der Web­site von Ver.di oder die­ser Kam­pa­gnen­sei­te konn­te ich allen­falls ent­neh­men, dass die Gewerk­schaf­ter mehr Geld wol­len. Das will aber jeder, wes­we­gen ich ein paar klei­ne Erklä­run­gen ganz töf­te gefun­den hät­te.

Des­halb for­de­re ich: PR-Bera­ter in die Gewerk­schaf­ten!

Was ein Müll­mann, ein Bus­fah­rer, eine Biblio­the­ka­rin macht, weiß ich selbst – ich möch­te wis­sen, war­um sie mehr Geld wol­len – und da fin­de ich „Weil sie in den letz­ten Jah­ren immer weni­ger Geld gekriegt haben“, schon eine ziem­lich nach­voll­zieh­ba­re Begrün­dung. Ich wet­te nur, wenn man heu­te Mor­gen ein­hun­dert ent­nerv­te Pend­ler befragt hät­te: „Nen­nen Sie einen Grund, war­um Sie heu­te nicht zur Arbeit gefah­ren wer­den!“, wäre „Real­lohn­ver­lus­te in den ver­gan­ge­nen Jah­ren“ nicht die Top-Ant­wort gewe­sen.

Locker ver­teil­te Warn­streiks sind nur ärger­lich: Wenn Mon­tags die Kin­der­gärt­ne­rin­nen strei­ken, Diens­tags die Bus­fah­rer und Mitt­wochs die Müll­ab­fuhr, hat die Bevöl­ke­rung jeden Tag einen Grund sich zu ärgern und total unso­li­da­risch drauf zu sein. Wie wäre es denn mal mit einem ordent­li­chen, alles läh­men­den Gene­ral­streik? Man müss­te sich kei­ne Gedan­ken mehr machen, wer die Kin­der ver­sorgt und wie man zur Arbeit kommt, man könn­te mit den Klei­nen gemüt­lich zuhau­se sit­zen, Kakao trin­ken und ihnen die Rat­ten in den Müll­ber­gen im Vor­gar­ten zei­gen. Frank­reich und Ita­li­en sind berühmt für ihre Gene­ral­streiks und die Deut­schen sind doch sonst immer so ver­narrt in Mer­lot, Lat­te Mat­s­ch­ia­to und Brusket­ta, war­um nicht mal einen schi­cken Gene­ral­streik impor­tie­ren? Danach wüss­ten alle, wo über­all Men­schen arbei­ten, die mehr Geld ver­dient hät­ten,2 und es wäre ein biss­chen wie Urlaub mit­ten im Jahr. Die Stra­ßen wären nicht ver­stopft (auch Gewerk­schaf­ten soll­ten sich dem Umwelt­schutz nicht ver­schlie­ßen) und alle wür­den ein­an­der mögen und toll fin­den.

Statt­des­sen: In Müll­tü­ten geklei­de­te Schnauz­bart­trä­ger, die hin­ter einem bren­nen­den Fass ste­hen und in Tril­ler­pfei­fen bla­sen. So zwan­zigs­tes Jahr­hun­dert, so SPD, so nicht 2.0.

Natür­lich kann es sein, dass dies ein über­kom­me­nes Kli­schee ist oder in Gewerk­schafts­krei­sen als Folk­lo­re im Sin­ne von Kar­ne­val, Fuß­ball oder Volks­mu­sik gilt, aber es ist immer noch das bestim­men­de Bild in den Medi­en. Was letzt­lich auch dar­an lie­gen könn­te, dass Medi­en­kon­zer­ne letzt­lich auch in Gewerk­schaf­ten orga­ni­sier­te Ange­stell­te haben, und des­halb wenig Wert dar­auf legen, dass Strei­ken­de sym­pa­thisch rüber­kom­men.

  1. Größ­te Sym­pa­thien kann erwar­ten, wer mich in Frie­den lässt. Die Welt­po­li­tik soll­te mei­nem Bei­spiel fol­gen. []
  2. Ist es nicht völ­lig bizarr, dass man in der deut­schen Spra­che weni­ger Geld ver­die­nen kann als man ver­dient hät­te? []
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Politik Gesellschaft

Rollenspiel

Stel­len Sie sich bit­te für einen Moment mal vor, Sie wären Ange­la Mer­kel. Das mit dem Gesicht und der Fri­sur über­las­sen wir schön den Kol­le­gen vom Pri­vat­fern­se­hen, dort macht man ja auch noch Namens­wit­ze.

Sie wären viel­mehr die ers­te Kanz­le­rin in der Geschich­te der Bun­des­re­pu­blik und beliebt wie nur sonst was. Sie hät­ten in die­sem Jahr als weib­li­ches Gegen­stück zu Al Gore den Kli­ma­wan­del gestoppt und sogar die „New York Times“ hät­te gera­de groß über Sie und Ihren Rück­halt im Vol­ke berich­tet. Natür­lich wären Sie auch so beliebt, weil Sie in fast zwei Jah­ren Regie­rung nichts getan hät­ten und die gan­zen unbe­que­men Refor­men, die jetzt zu wir­ken begön­nen, alle noch auf das Kon­to der Vor­gän­ger­re­gie­rung gin­gen, aber das könn­te Ihnen ja im Prin­zip egal sein. Die ein­zi­gen Sor­gen, mit denen Sie sich bis jetzt hät­ten rum­schla­gen müs­sen, wären eine miss­glück­te Gesund­heits­re­form, leich­te Wider­stän­de gegen das „Eltern­geld“ Ihrer Fami­li­en­mi­nis­te­rin und das gan­ze Thea­ter um die Sicher­heit beim G8-Gip­fel gewe­sen.

Und dann hät­te irgend­je­mand ein paar Türen in ein paar Minis­te­ri­en nicht ord­nungs­ge­mäß ver­schlos­sen und zwei Minis­ter wür­den plötz­lich mit dem Bol­ler­wa­gen durch die deut­sche Medi­en­land­schaft zie­hen um dem letz­ten Bun­des­bür­ger klar zu machen, dass Sie Ihr Kabi­nett über­haupt nicht unter Kon­trol­le hät­ten.

Dass Wolf­gang Schäub­le seit Mona­ten immer tie­fe­re Ein­schnit­te in die Grund­rech­te der Bür­ger, Ihrer Wäh­ler, for­dert, wäre den meis­ten Betrof­fe­nen noch total egal gewe­sen. Doch plötz­lich wür­de der Mann alle noch mal über­ra­schen und mun­ter her­umer­zäh­len, er hiel­te es ja nur noch für eine Fra­ge der Zeit, bis mal ein Ter­ro­rist daher­kom­me und eine Atom­bom­be zün­de.1

Fast zeit­gleich wür­de sich Ihr Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter hin­stel­len und einen Vor­schlag der Vor­gän­ger­re­gie­rung, den das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt für ver­fas­sungs­wid­rig erklärt hät­te, wie­der her­vor­ho­len und öffent­lich ankün­di­gen, im Zwei­fels­fal­le auf Ver­fas­sung und Gericht zu schei­ßen und auf ent­führ­te Flug­zeu­ge zu schie­ßen. In den „Tages­the­men“ wür­de er auf die Fra­ge, ob sein Vor­stoß über­haupt mit Ihnen abge­spro­chen sei, ant­wor­ten, er und der Bun­des­in­nen­mi­nis­ter sei­en die bes­ten Bud­dies über­haupt und die Fra­ge ansons­ten unbe­ant­wor­tet las­sen. Poli­ti­ker diver­ser ande­rer Par­tei­en und die Bun­des­luft­waf­fe wür­den sich gegen sei­nen Vor­schlag weh­ren und in Deutsch­land herrsch­te eine Auf­ruhr, als habe gera­de jemand Hit­lers Fami­li­en­po­li­tik gelobt oder Kunst als „ent­ar­tet“ bezeich­net.

Was wür­den Sie, der Sie ja Ange­la Mer­kel wären, jetzt tun?

1 Dass Schäub­le meint, wir soll­ten uns „die ver­blei­ben­de Zeit“ nicht auch noch „ver­der­ben, weil wir uns vor­her schon in eine Welt­un­ter­gangs­stim­mung ver­set­zen“, anstatt end­lich mal das zu tun, was er die gan­ze Zeit vor­gibt zu wol­len, näm­lich die Sicher­heit der Bür­ger zu schüt­zen, ist eigent­lich einen eige­nen Wut­an­fall wert.

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Digital Gesellschaft

Auf nach Nordkorea!

Ken­nen Sie die Fir­ma Cal­lac­ti­ve? Cal­lac­ti­ve ist eine Ende­mol-Toch­ter, die Anruf­spiel­shows pro­du­ziert, die nachts im Fern­se­hen lau­fen.

Ich hät­te (wie vie­le ande­re ver­mut­lich auch) nie im Leben von Cal­lac­ti­ve gehört bzw. mir die­sen Fir­men­na­men nie gemerkt, wenn Cal­lac­ti­ve nicht den Betrei­ber des kri­ti­schen Web­fo­rums call-in-tv.de vor Gericht zitiert und es damit auch in ein Main­stream-Medi­um wie „Spie­gel Online“ geschafft hät­te. Oder wenn Cal­lac­ti­ve nicht Ste­fan Nig­ge­mei­er, einen der meist­ge­le­se­nen deut­schen Blog­ger, abge­mahnt hät­te (für Kom­men­ta­re, die Leser abge­ge­ben hat­ten), was dann sogar dem öster­rei­chi­schen „Stan­dard“ eine kur­ze Mel­dung wert war.

Als ahnungs­lo­ser, nai­ver Zuschau­er (des Gesche­hens, nicht der Sen­dun­gen) sit­ze ich vor sol­chen Mel­dun­gen und fra­ge mich, ob man es im Umfeld von Cal­lac­ti­ve wirk­lich für klü­ger hält, im Kon­text der Pro­zes­se von renom­mier­ten Medi­en als „der umstrit­te­ne Gewinn­spie­le­ver­an­stal­ter Cal­lac­ti­ve“ bezeich­net zu wer­den, als die Kri­tik der Web­kom­men­ta­to­ren (auch wenn die­se mit­un­ter etwas über­spitzt for­mu­liert sein mag) ein­fach zu igno­rie­ren. Immer­hin dürf­ten call-in-tv.de und das Blog von Ste­fan Nig­ge­mei­er (durch­schnitt­lich 5.000 Besu­cher täg­lich) deut­lich weni­ger Leser haben als die Anrufsen­dun­gen Zuschau­er und die Schnitt­men­ge bei­der Ziel­grup­pen dürf­te ver­schwin­dend gering sein.

Jeden­falls: Cal­lac­ti­ve hat Ste­fan Nig­ge­mei­er ein wei­te­res Mal abge­mahnt – wie­der geht es um einen Leser­kom­men­tar:

Es geht um einen Kom­men­tar, den ein Nut­zer am ver­gan­ge­nen Sonn­tag um 3.37 Uhr früh unter die­sem Ein­trag abge­ge­ben hat. Ich habe die­sen Kom­men­tar unmit­tel­bar, nach­dem ich ihn gese­hen habe, gelöscht: Das war am Sonn­tag um 11.06 Uhr.

Zunächst ein­mal fällt auf, dass man Ste­fans Blog bei Cal­lac­ti­ve offen­bar mit Argus­au­gen beob­ach­tet – wem sonst wäre ein mit­ten in der Nacht geschrie­be­ner und am Sonn­tag­vor­mit­tag gelösch­ter Kom­men­tar zu einem Blog­ein­trag, der zuvor wäh­rend Ste­fans Urlaub und mei­nes Blog­sit­tings zehn Tage lang für Kom­men­ta­re gesperrt gewe­sen war, auf­ge­fal­len?

Dann fällt auf, dass da offen­bar end­lich Klar­heit geschaf­fen wer­den soll auf dem Gebiet der immer noch recht schwam­mi­gen Foren­haf­tung. Eine Klar­heit, die Ste­fan so sieht:

Hät­te Cal­lac­ti­ve mit die­sem Vor­ge­hen Erfolg, wäre das mei­ner Mei­nung nach das Ende der offe­nen Dis­kus­si­on in Foren und Blogs, in den Leser­kom­men­ta­ren von Online-Medi­en und im Inter­net über­haupt. Selbst Bei­trä­ge, die unmit­tel­bar nach ihrem Erschei­nen vom Sei­ten­be­trei­ber gelöscht wer­den, könn­ten dann kos­ten­pflich­ti­ge Abmah­nun­gen nach sich zie­hen; sämt­li­che Kom­men­ta­re müss­ten vor ihrer Ver­öf­fent­li­chung über­prüft wer­den.

Man möch­te hin­zu­fü­gen: Und selbst, wenn der Betrei­ber eines Forums oder Blogs alle Kom­men­ta­re vor der Ver­öf­fent­li­chung über­prü­fen und nur die ihm unbe­denk­lich erschei­nen­den frei­schal­ten wür­de, könn­te er hin­ter­her immer noch belangt wer­den, falls sich irgend­ei­ne abwe­gi­ge Inter­pre­ta­ti­on des Geschrie­be­nen fin­den und vor Gericht durch­drü­cken lie­ße.

Mit die­ser Angst müss­ten aber nicht nur Blog­ger leben, auch die Kom­men­tar- und Dis­kus­si­ons­funk­tio­nen nam­haf­ter Online-Medi­en wie „Spie­gel Online“, „sueddeutsche.de“ oder „FAZ.net“ könn­ten allen­falls noch mit einem enor­men Per­so­nal­auf­wand auf­recht­erhal­ten wer­den. Bewer­tungs­por­ta­le wie Ciao, Qype, ja: selbst Ama­zon müss­ten stän­dig in Sor­ge sein über das, was ihre User und Kun­den da an (gewünscht sub­jek­ti­ven) Ein­trä­gen ver­fas­sen.

Mit ande­ren Wor­ten: Es gin­ge schnell nicht mehr „nur“ um Mei­nungs- oder Pres­se­frei­heit, es gin­ge auch ganz knall­hart um wirt­schaft­li­che Aspek­te, denn kein Unter­neh­men begibt sich bereit­wil­lig auf juris­ti­sche Minen­fel­der. Es geht, lie­be Poli­ti­ker, auf lan­ge Sicht um Steu­er­gel­der, das Brut­to­in­lands­pro­dukt und – *tat­aaaa* – Arbeits­plät­ze. Deutsch­land könn­te irgend­wann wie Nord­ko­rea sein, nur ohne Kim Yong-Il. Das will sicher nie­mand, auch nicht die Poli­ti­ker, die jeden Tag aufs Neue zu bewei­sen ver­su­chen, dass sie von den sog. neu­en Medi­en nicht den Hauch einer Ahnung haben.

Um vom Abs­trak­ten wie­der zum Kon­kre­ten zu kom­men: Cal­lac­ti­ve dürf­te es mit der jüngs­ten Akti­on gelun­gen sein, das Blogo­sphä­ren-The­ma die­ser Tage zu wer­den: Bei Spree­blick, einem der ande­ren viel­ge­le­se­nen Blogs in Deutsch­land, ist man The­ma, aber auch hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier. Eigent­lich ist es nur eine Fra­ge der Zeit, bis auch die „klas­si­schen“ Medi­en das The­ma für sich ent­de­cken.

In eini­gen Blogs sind inzwi­schen sogar Kom­men­ta­to­ren auf­ge­taucht, die sich „Cal­lac­ti­ve“ nen­nen und den angeb­li­chen Satz, um den sich dies­mal alles dreht, zitie­ren (er wur­de inzwi­schen von den Blog-Betrei­bern unkennt­lich gemacht). Soll­te die­ser Kom­men­tar echt sein (was Cal­lac­ti­ve gegen­über dem Blog­ger Valen­tin Toma­schek zu bestä­tigt haben scheint), wäre das höchst inter­es­sant: Ers­tens wäre es recht offen­sicht­lich, dass Cal­lac­ti­ve das Inter­net sehr genau auf mög­li­che Erwäh­nun­gen des Fir­men­na­mens über­wacht (was natür­lich ihr gutes Recht ist), und zwei­tens hät­te Cal­lac­ti­ve den Satz, den zuvor nie­mand kann­te und des­sen wei­te­re Ver­brei­tung man mit der Abmah­nung an Ste­fan ver­hin­dern woll­te, damit laut­stark in die Welt getra­gen. Außer­dem ver­weist der Kom­men­tar auf den ein­zi­gen halb­wegs Nig­ge­mei­er-kri­ti­schen Blog­ein­trag zum The­ma bei F!XMBR, was wie­der­um Chris von F!XMBR dazu brach­te, sich von der loben­den Erwäh­nung sei­nes Blogs in den ver­meint­li­chen Cal­lac­ti­ve-Kom­men­ta­ren zu distan­zie­ren.

Es könn­te inter­es­sant sein, sich heu­te Abend doch mal Cal­lac­ti­ve-Sen­dun­gen (auf Viva, Nick und Come­dy Cen­tral) anzu­se­hen …

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Rundfunk Sport

So Long, And Thanks For All The Fish

Man stel­le sich mal vor, ein Pro­fes­sor stell­te sich vor sei­ne Stu­den­ten und sag­te:
„Ich woll­te ja eigent­lich nicht mehr über die Ver­gan­gen­heit spre­chen, aber weil da gera­de alle wie­der von anfan­gen müs­sen: Ja, ich hab als Stu­dent bei mei­nen Prü­fun­gen geschum­melt. Mei­ne Dok­tor­ar­beit war abge­schrie­ben. Aber da will ich echt nicht mehr drü­ber spre­chen, denn ich sor­ge doch heu­te an vor­ders­ter Front dafür, dass mei­ne Stu­den­ten bei ihren Prü­fun­gen nicht schum­meln. Natür­lich könn­te ich mein Amt jetzt nie­der­le­gen, aber, hey: Wenn hier einer Erfah­run­gen auf dem Gebiet hat, dann ja wohl ich, oder?“

Klingt irgend­wie idio­tisch? Okay, dann sind mei­ne Dänisch­kennt­nis­se ein­fach nicht gut genug und die reden grad im Fern­se­hen über was ganz ande­res …

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Digital Politik

Mostly Harmless

Wir alle ken­nen Godwin’s Law:

As an online dis­cus­sion grows lon­ger, the pro­ba­bi­li­ty of a com­pa­ri­son invol­ving Nazis or Hit­ler approa­ches one.

Weil die immer­glei­chen Ver­glei­che natür­lich irgend­wann lang­wei­lig wer­den und die deut­sche Geschich­te ja noch mehr dunk­le Kapi­tel auf Lager hat, heißt die neue Königs­dis­zi­plin der Kra­wall­rhe­to­rik „Sta­si-Ver­glei­che“.

So kamen der­ar­ti­ge Ver­glei­che jüngst im Zusam­men­hang mit den ein­ge­sam­mel­ten Geruchs­pro­ben von G8-Geg­nern auf (wobei die Bezeich­nung „Sta­si-Metho­den“ da gar nicht mal so abwe­gig ist, immer­hin hat die Sta­si Geruchs­pro­ben gesam­melt). Gene­ral­bun­des­an­wäl­tin Moni­ka Harms sieht aber offen­bar weder den Ver­gleich, noch die Akti­on an sich beson­ders eng:

Nur weil eine Metho­de von der Sta­si in ganz ande­rem Zusam­men­hang ein­ge­setzt wur­de, heißt das noch nicht, dass sie für uns schon des­we­gen tabu ist.

Die­ser Satz wird umso beun­ru­hi­gen­der, je öfter man ihn liest – aber so viel Zeit haben wir gar nicht, denn die neu­es­te Sta­si-Äuße­rung (hier stän­dig frisch) kommt von Sil­via Schenk, der ehe­ma­li­gen Prä­si­den­tin des Bun­des Deut­scher Rad­fah­rer:

Eine Chan­ce hat der Rad­sport nur, wenn wie bei der Sta­si rigo­ros alle Schul­di­gen aus­sor­tiert wer­den.

Da kann man ja schon froh sein, dass (noch) nie­mand „Ent­do­ping­fi­zie­rungs­la­ger“ for­dert …

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Digital Leben

Ich gehöre nicht dazu

Ver­gan­ge­ne Woche wur­de ich von mei­nem bes­ten Freund, den ich seit mei­nem ers­ten Tag am Gym­na­si­um ken­ne (damals woll­te ich ihm eine rein­hau­en), gefragt, war­um ich denn immer noch nicht beim Stu­diVZ ange­mel­dt sei. Da sei­en doch schließ­lich fast all unse­re Freun­de und Bekann­ten aus Schul­zei­ten und man kön­ne so doch super in Kon­takt blei­ben. Ich erging mich in einem halb­stün­di­gen Vor­trag, den ich – weil ich die Argu­men­te ein­mal bei­sam­men hat­te – hier Aus­zugs­wei­se wie­der­ge­ben will:

Per­sön­li­che Daten
Ich weiß, dass mei­ne Daten im Inter­net nir­gend­wo wirk­lich sicher sind. Trotz­dem wür­de ich sie nur äußerst ungern nie bei einem Anbie­ter hin­ter­le­gen, der schon mehr­fach durch Sicher­heits­män­gel auf­ge­fal­len ist und in sei­nen „Daten­schutz­er­klä­run­gen“ andeu­tet, mög­li­cher­wei­se mei­ne Pri­vat­kor­re­spon­den­zen lesen zu wol­len. Fer­ner schreckt es mich ab, wenn in den AGBs eine „vom Betrei­ber nach bil­li­gem Ermes­sen fest­zu­set­zen­de […] Ver­trags­stra­fe“ in den Raum gestellt wird, die „auf ers­tes Anfor­dern an den Betrei­ber zu zah­len“ sei. Die­se wür­de bei peni­bler Aus­le­gung der AGBs zum Bei­spiel fäl­lig, wenn nicht „alle von ihm [dem Nut­zer] gegen­über dem Betrei­ber ange­ge­be­nen per­sön­li­chen Daten der Wahr­heit ent­spre­chen“ – ich also bei­spiels­wei­se mei­ne Kör­per­grö­ße oder Augen­far­be (kei­ne Ahnung, ob man die im Pro­fil ange­ben kann, ich kann ja von außen nicht mal pro­be­wei­se rein­gu­cken) nicht kor­rekt ange­be.

Die Macher
Man­chen Jung­un­ter­neh­mern steigt es zu Kopf, wenn sie plötz­lich mit Geld­sum­men zu tun haben, die ihre Eltern in einem gan­zen Leben har­ter und ehr­li­cher Arbeit nicht anspa­ren kön­nen. Man­chen von ihnen ent­glei­tet irgend­wann alles. Ehs­san Daria­ni, einer der drei Stu­diVZ-Grün­der, benimmt sich hin­ge­gen nur wie die Axt im Wal­de: Er ver­fügt über eine recht eigen­tüm­li­che Auf­fas­sung von „Sati­re“ und Frau­en. Das kann man natür­lich als per­sön­li­che Erzie­hungs­de­fi­zi­te abtun, für mich hin­ge­gen ist klar, dass ich mit sol­chen Leu­ten so wenig wie mög­lich zu tun haben möch­te.

Die Grund­idee
Das Medi­um heißt Inter­net und eine sei­ner Stär­ken ist, dass man damit ganz schnell Kon­tak­te knüp­fen kann – welt­weit eben. Wozu brau­che ich da eine Platt­form, die sich an die „Rand­grup­pe“ (etwas mehr als 2% Anteil an der Gesamt­be­völ­ke­rung der Bun­des­re­pu­blik) deutsch­spra­chi­ger Stu­den­ten rich­tet, wenn es Por­ta­le für alle gibt? Klar: Es gibt auch Fan-Foren für Tokio Hotel und News­groups für Kern­phy­si­ker. Das sind noch klei­ne­re Ziel­grup­pen. Aber bei denen sehe ich wenigs­tens ein, war­um die unter sich blei­ben wol­len.
Ich habe aber gene­rell ein Pro­blem mit In-Kon­takt-blei­ben- und Neue-Leu­te-Ken­nen­ler­nen-Platt­for­men: Wenn sich mei­ne frü­he­ren Mit­schü­ler für mich inter­es­sie­ren wür­den, wäre es ein Leich­tes für sie, mei­ne E‑Mail-Adres­se her­aus­zu­fin­den (falls sie die nicht eh hät­ten) oder mich über mei­ne Eltern zu kon­tak­tie­ren. Die, äh: gerin­ge Anzahl von Kon­takt­auf­nah­men seit unse­rem Abitur vor fünf Jah­ren lässt für mich den Schluss zu, dass das Inter­es­se so groß nicht sein kann. Jede „Und was machst Du jetzt so?“-Botschaft im Stu­diVZ wäre also genau­so albern wie ein Klas­sen­tref­fen. Mit den Mit­schü­lern, die wirk­li­che Freun­de waren, ste­he ich auch heu­te noch in (unre­gel­mä­ßi­gem, aber herz­li­chen) Kon­takt – auch ohne Stu­diVZ.
Und wie­so soll­te ich online Kom­mi­li­to­nen adden, mit denen ich im Semi­nar­raum kein Wort spre­che? Ganz extrem wird das dann an Geburts­ta­gen: Wenn mir jemand gra­tu­liert, möch­te ich mir wenigs­tens vor­stel­len kön­nen, dass er dies tut, weil ich ihm etwas bedeu­te und er sich des­halb das Datum gemerkt oder auf­ge­schrie­ben hat. Ich habe sehr gute Freun­de, die bis heu­te nicht wis­sen, wann ich mein Wie­gen­fest bege­he, und das ist für mich völ­lig okay. Aber wenn mir Wild- und Halb­frem­de gra­tu­lie­ren, nur weil ihnen ein Com­pu­ter­pro­gramm auto­ma­tisch mit­teilt, dass sie dies zu tun hät­ten, füh­le ich mich wie ein Kind, des­sen Groß­el­tern an Weih­nach­ten den kor­rek­ten Namen vom Geschenk­pa­pier able­sen müs­sen. Außer­dem soll­te ein Gespräch nicht schon mit dem Dank des Jubi­lars für die Glück­wün­sche enden, weil man sich sonst nichts zu sagen hat.

Die Über­sät­ti­gung
Ich habe je einen Account bei ICQ und Sky­pe; bin bei jetzt.de, last.fm, MySpace, xing.com und Live­jour­nal ange­mel­det; kann bei Ama­zon, eBay und im iTu­nes Store ein­kau­fen und trei­be mich mehr oder weni­ger regel­mä­ßig in min­des­tens einem Dut­zend Blogs, Web­fo­ren und News­groups rum. Ich habe kei­nen Nerv mehr, mir noch einen User­na­men aus­den­ken zu müs­sen, nur weil mein Stan­dard­nick schon ver­ge­ben ist. Ich weiß, dass jeg­li­che Sor­gen zum Daten­schutz längst absurd sind: Soll­te ich mor­gen mein Gedächt­nis ver­lie­ren, kann ich mir alles Wis­sens­wer­te (und sehr viel Unwich­ti­ges) über mei­ne Per­son im Inter­net zusam­men­su­chen.
Mit nur 23 Jah­ren hat sich bei mir eine gewis­se Tech­nik­mü­dig­keit ein­ge­stellt und will gar nicht mehr wis­sen, was Twit­ter, Mee­bo und Seek­freed sind.
Trotz­dem kommt alle paar Mona­te irgend­was daher, von dem ich nie dach­te, dass ich es brau­chen wür­de, was mich aber fes­selt und fas­zi­niert.

Für Stu­diVZ gilt aber das, was ich mei­nem Freund gleich zu Beginn mei­ner Tira­de sag­te: „Ich mel­de mich da an dem Tag an, an dem ich ein Bild-Zei­tungs-Abo abschlie­ße und mir einen Ken-Fol­lett-Roman kau­fe.“

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Radio Musik Rundfunk

Don’t Listen To The Radio

Man kann nicht immer alles gut fin­den und abfei­ern. Selbst wenn an einem Tag zwei Plat­ten erschei­nen, auf die ich mich freue wie als Kind auf Weih­nach­ten, so kom­men am glei­chen Tag doch min­des­tens genau­so­vie­le Plat­ten, die auf deut­lich ande­re Käu­fer hof­fen müs­sen. Auch im Radio kom­men auf einen guten Song min­des­tens drei okay und eine rich­ti­ge Ner­ven­sä­ge (das ist jetzt nur geschätzt, ich bin aber fast bereit, Feld­ver­su­che durch­zu­füh­ren) – und das fern­ab von Tokio Hotel, Xavier Naidoo und Sil­ber­mond.

Des­we­gen jetzt und hier: Die „Dar­um tret‘ ich Dein Radio ein“-Charts – total sub­jek­tiv und krass pole­misch.

05. Snow Pat­rol – Shut Your Eyes
Snow Pat­rol sind eine recht ordent­li­che Band. Man kann jedes Mal beto­nen, dass „Final Straw“, das Album vor dem Durch­bruch, deut­lich bes­ser war als das Durch­bruch­s­al­bum „Eyes Open“ selbst. „Cha­sing Cars“ war eine Mör­der­hym­ne, aber „Shut Your Eyes“ hat zu wenig Melo­die, zu wenig Span­nung, zu wenig Song. Ein­fach nur öde.

04. Incu­bus – Love Hurts
Ich hab Incu­bus immer schon für eine schwa­che Red-Hot-Chi­li-Pep­pers-Tri­bu­te-Band gehal­ten und die­se Sin­gle bestä­tigt mich in mei­nem Glau­ben. Green Days „Bou­le­vard Of Bro­ken Dreams“ auf Vali­um.

03. Razor­light – Befo­re I Fall To Pie­ces
Razor­light sind ein wei­ches Ziel, noch extre­mer als Kea­ne: kein Musik­jour­na­list wür­de je öffent­lich zuge­ben, die Band um den Fünf-Minu­ten-Liber­ti­nes-Bas­sis­ten John­ny Bor­rell auch nur ansatz­wei­se gut zu fin­den – trotz­dem war „Ame­ri­ca“ ein net­ter Pop­song. „Befo­re I Fall To Pie­ces“ ist jetzt aber eine ster­bens­lang­wei­li­ge Rock’n’Roll-Par­odie, die selbst gegen Neun­zig­jäh­ri­ge nicht ankommt.

02. Den­de­mann – End­lich Nicht­schwim­mer
Bis hier­her waren die Songs nur öde, jetzt wer­den sie ner­vig – und das rich­tig schnell und ganz doll. Der „Blues­sän­ger auf Abwe­gen“ Den­de­mann rappt sich durch Uralt­beats und Dicke-Hose-Stro­phen und krönt den Track mit einem der ner­vigs­ten Refrains ever.

01. Boundzound – Lou­der
Wenn das eigent­lich sehr gute Musi­ker­kol­lek­tiv See­ed mal gera­de Betriebs­fe­ri­en hat, machen die diver­sen Mit­glie­der was ande­res. Ob es unbe­dingt Musik sein muss, ist zumin­dest im Fall von Sän­ger Dem­ba Nabé eine berech­tig­te Fra­ge, denn die ers­te Sin­gle sei­nes Pro­jekts Boundzound ist nerv­tö­ten­der als vier Stun­den Nach­bars Alarm­an­la­ge hören – aber ähn­lich repe­ti­tiv und melo­di­ös. Sel­ten reagie­re ich kör­per­lich auf unlieb­sa­me Musik, hier ste­he ich kurz vor Schüt­tel­krämp­fen. Das Lied ist so doof, dass ich mir sogar den unglaub­li­chen Wort­witz von wegen Lei­ser­dre­hen spa­re.