Kategorien
Digital Gesellschaft

Kein Kommentar

Mar­kus Becke­dahl hat bei netzpolitik.org einen Arti­kel über Blog­kom­men­ta­re ver­öf­fent­licht, den ich selbst­ver­ständ­lich nicht gele­sen habe, so wie Blog­kom­men­ta­to­ren in den aller­meis­ten Fäl­len die Arti­kel nicht lesen (oder zumin­dest offen­kun­dig nicht ver­ste­hen), unter denen sie kom­men­tie­ren.

Als ich ange­fan­gen habe zu blog­gen und plötz­lich Leu­te anfin­gen, die Kom­men­tar­funk­ti­on zu nut­zen, gab es in den Kom­men­ta­ren Zustim­mung, ande­re Denk­an­sät­ze, Lob, Kri­tik, Humor, irgend­wann Run­ning Gags. Mit eini­gen treu­en Kom­men­ta­to­ren die­ser Anfangs­pha­se ver­bin­den mich inzwi­schen enge Freund­schaf­ten.

Dann kam Face­book. Lesens­wer­te Arti­kel wur­den nicht mehr ver­linkt, Blogs rekur­rier­ten nicht mehr auf­ein­an­der, die gan­ze Idee der „Blogo­sphä­re“ fiel in sich zusam­men. Lesens­wer­te Arti­kel wer­den heu­te bei Face­book geteilt und eben­da auch dis­ku­tiert, bei den aller­meis­ten im über­schau­ba­ren Rah­men ihrer Facebook-„Freunde“. Das führt einer­seits dazu, dass das Mei­nungs­spek­trum nicht mehr ganz so groß ist ((Ich zum Bei­spiel habe kei­nen ein­zi­gen offen homo­pho­ben oder natio­na­lis­tisch ein­ge­stell­ten Face­book-Kon­takt, wor­über ich sehr froh bin und wor­auf ich auch sehr ach­te.)), ande­rer­seits funk­tio­nie­ren Anspie­lun­gen und Run­ning Gags viel bes­ser, man­che trau­en sich gar wie­der ans Stil­mit­tel der Iro­nie. In sel­te­nen Fäl­len kommt es zu Rei­bungs­punk­ten, wenn Men­schen, deren ein­zi­ge Gemein­sam­keit die Face­book-Bekannt­schaft mit mir ist, unglück­lich auf­ein­an­der­pral­len, aber meis­tens ver­läuft alles harm­los und har­mo­nisch.

Das bedeu­tet aber auch, dass die aller­meis­ten Men­schen, die heu­te noch Blog­bei­trä­ge kom­men­tie­ren, ent­we­der die letz­ten treu­en See­len sind – oder die letz­ten Irren. Die Leu­te, die einem Arti­kel ein­fach nur zustim­men, kli­cken auf „Gefällt mir“ (bzw. „Emp­feh­len“) oder ver­lin­ken ihn ander­wei­tig bei Face­book (bzw. um das Wort ein­mal geschrie­ben zu haben: auf Twit­ter) und sind dann wie­der weg. Wer in die Kom­men­ta­re unter dem Text guckt, bekommt den Ein­druck, dass Blogs aus­schließ­lich von Men­schen gele­sen wer­den, die mit der Mei­nung des Autoren nicht über­ein­stim­men. ((In den Kom­men­ta­ren des News­por­tals „Der Wes­ten“ ent­steht bis­wei­len der Ein­druck, die WAZ-Grup­pe wür­de Frei­schär­ler beschäf­ti­gen, die Men­schen mit Waf­fen­ge­walt dazu zwin­gen, die dort online gestell­ten Arti­kel zu lesen und anschlie­ßend zu kom­men­tie­ren. Das ist aller­dings immer noch harm­los ver­gli­chen mit den nach unten offe­nen Kom­men­tar­spal­ten von „Welt Online“, in denen sich offen­sicht­lich jene Stamm­tisch­gän­ger ver­sam­meln, gegen die der Deut­sche Hotel- und Gast­stät­ten­ver­band DeHo­Ga ein bun­des­wei­tes Knei­pen­ver­bot aus­ge­spro­chen hat.)) In eini­gen Fäl­len könn­te man dar­über hin­aus glau­ben, die Kom­men­ta­re bezö­gen sich auf einen ursprüng­lich dort gepos­te­ten Arti­kel, in dem der Autor vom Geschlechts­ver­kehr mit Tie­ren geschwärmt hat­te und den er anschlie­ßend durch einen etwas weni­ger kon­tro­ver­sen ersetzt hat. So ent­steht ein selt­sa­mes Zerr­bild der Rea­li­tät.

Manch­mal sind Kom­men­ta­re natür­lich auch ein Gewinn. Nicht nur, wenn man expli­zit um Hil­fe gebe­ten hat, son­dern auch, wenn es um das gemein­sa­me Schwel­gen in Erin­ne­run­gen geht. Wenn das The­ma aber nur gering­fü­gig kon­tro­vers ist, ist das Desas­ter pro­gram­miert. Und wenn dann noch durch irgend­wel­che Ver­lin­kun­gen vie­le Leser von außer­halb ange­spült wer­den, die viel­leicht mit Autor, Blog und Rest­kom­men­ta­to­ren nicht ver­traut sind, wird es spä­tes­tens ab Kom­men­tar #20 so lus­tig wie an einem schlech­ten Tag im Nahen Osten.

Ein wei­te­res Pro­blem ist natür­lich, dass in Deutsch­land kei­ne Dis­kus­si­ons­kul­tur exis­tiert wie im angel­säch­si­schen Raum. Mehr noch, im Fern­se­hen bekom­men wir täg­lich – und ich wünsch­te, „täg­lich“ wäre hier eine Über­trei­bung – gezeigt, wie man mit Men­schen umgeht, die ande­rer Mei­nung sind: Unter­bre­chen, Anschrei­en, alle Argu­men­te für nich­tig erklä­ren. Rhe­to­ri­sche Grund­prin­zi­pi­en wer­den in die Ton­ne gekloppt, auf der dann laut rum­ge­trom­melt wird. Was übri­gens noch viel leich­ter geht, wenn man dem Gegen­über dabei nicht in die Augen gucken muss, weil es an einer Com­pu­ter­tas­ta­tur ganz woan­ders sitzt.

Wenn eine kon­struk­ti­ve Dis­kus­si­on also eh unmög­lich ist, kön­nen wir uns alle die Mühe auch spa­ren. Es bringt nichts, den isla­mo­pho­ben Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­kern in ihren Wahn­sinns­fo­ren mit Fak­ten, Argu­men­ten oder Ver­wei­sen auf die Wirk­lich­keit ent­ge­gen­tre­ten zu wol­len, aber es bringt noch ein biss­chen weni­ger, unter einen Arti­kel, der isla­mo­pho­ben Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­kern mit Fak­ten, Argu­men­ten oder Ver­wei­sen auf die Wirk­lich­keit ent­ge­gen­tritt, zu schrei­ben, die­se Leu­te sei­en aber echt dum­me Nazis und hät­ten klei­ne Pim­mel. Das mag ja stim­men, aber es hilft den­noch nie­man­dem. Außer viel­leicht für einen kur­zen Moment dem Kom­men­ta­tor.

Natür­lich wird einem jeder alte Zei­tungs­ha­se bestä­ti­gen, dass Leser­brie­fe schon immer zu maxi­mal zehn Pro­zent aus Zustim­mung bestan­den (außer, es geht gera­de gegen Kin­der­mör­der) und zu min­des­tens hun­dert Pro­zent aus gal­le­trie­fen­den Abo-Kün­di­gun­gen, aber ein Blog­kom­men­tar ist noch leicht­fer­ti­ger in die Tas­ta­tur erbro­chen als das Wort „Schrei­ber­ling“ in Süt­ter­lin aufs Büt­ten­pa­pier getropft. Und wäh­rend hier­zu­lan­de tat­säch­lich nie­mand dazu gezwun­gen wird, ein bestimm­tes Medi­um zu kon­su­mie­ren, ver­hält es sich bei den Leser­kom­men­ta­ren genau umge­kehrt: Die müs­sen, schon aus Selbst­schutz des Blog­be­trei­bers, von irgend­je­man­dem auf mög­li­che Ver­stö­ße gegen die guten Sit­ten und gegen bestehen­de Geset­ze über­prüft wer­den. Die Ver­stö­ße gegen Logik und Recht­schreib­kon­ven­tio­nen wür­de eh nie­mand nach­hal­ten wol­len.

Es ist nicht mehr 2007. Blogs sind jetzt ein­fach da und gehen auch nicht mehr weg. Aber sie sind nicht ganz das gewor­den, was wir uns viel­leicht mal erhofft hat­ten. „Wir“ sind nicht das gewor­den. Men­schen, die alle eine Blog­soft­ware benut­zen, haben grund­sätz­lich erst mal genau die­se eine Gemein­sam­keit. Wer will, kann sich mit Men­schen, die auch irgend­wie ins Inter­net schrei­ben, tref­fen, wer nicht will, nicht. Wer sei­ne Sicht auf die Welt für so wich­tig hält, dass ande­re davon erfah­ren soll­ten, soll­te nicht irgend­wo Kom­men­ta­re hin­ter­las­sen, son­dern mit dem Blog­gen anfan­gen.