Kategorien
Musik

What’s My Age Again?

Mit elf Jah­ren stand ich auf dem Neu­tor­platz in Dins­la­ken und hielt einem älte­ren Her­ren einen Kugel­schrei­ber unter die Nase. Der Mann hieß Hei­ner Geiß­ler und ich wuss­te, dass er Poli­ti­ker und irgend­wie berühmt war, also woll­te ich sei­ne Unter­schrift haben. Mei­ne Auto­gramm­samm­lung umfass­te anschlie­ßend vier Expo­na­te: Geiß­ler, Wil­ly Brandt (damals schon tot, von einem Kol­le­gen mei­nes Vaters geschenkt bekom­men), Franz Becken­bau­er (den mein Groß­va­ter gegen Unter­schrift auf dem Golf­platz hat­te vor­bei­zie­hen las­sen) und Klaus Staeck. Ich war in mei­nem Leben öfter auf Autoren­le­sun­gen und Aus­stel­lungs­er­öff­nun­gen gewe­sen als im Sta­di­on – und das nie­mals gegen mei­nen Wil­len. Man muss viel Lie­be auf­wen­den, um das irgend­wie als „nied­lich“ betrach­ten zu kön­nen. „Cool“ war es im Leben nicht.

Als ich 16 Jah­re alt war, lief in den Kinos „Ame­ri­can Pie“ an. Ich ging allei­ne ins Kino (mei­ne Freun­de hat­ten den Film schon alle gese­hen) und fand den Film maxi­mal halblus­tig. Am lau­tes­ten (und ein­sams­ten) gelacht habe ich, als in der Sze­ne, in der Stifler’s Mom Finch ver­führ­te, „Mrs. Robin­son“ erklang – dabei hat­te ich die „Rei­fe­prü­fung“ damals noch nie gese­hen, son­dern nur dar­über gele­sen. Der Sound­track zu „Ame­ri­can Pie“ wur­de trotz­dem zum Sound­track mei­ner Jugend: Ich glau­be, fast jeder die­ser 13 Songs der ers­ten elf Songs ist auf min­des­tens einem Mix­tape gelan­det. Es han­del­te sich dabei, so erfuhr ich, über­wie­gend um soge­nann­ten Fun-Punk, der nach Som­mer, Son­ne, Skate­boards und Schwach­sinn­trei­ben klang. Eine der dort ver­tre­te­nen Bands hieß Blink-182.

Ich hat­te „Ene­ma Of The Sta­te“, das Durch­bruch­s­al­bum von Blink-182 in Deutsch­land, nie selbst auf CD, aber die Hits kann­te ich, sogar mit den dazu­ge­hö­ri­gen Vide­os. Zum Bei­spiel das, in dem die Band­mit­glie­der nackt durch die Stra­ßen einer ame­ri­ka­ni­schen Stadt lie­fen. Mit 16 fand ich das pein­lich und puber­tär. „All The Small Things“ hin­ge­gen, wovon auch immer es han­deln soll­te, fand ich toll. Wir haben es sogar mal mit unse­rer „Punk­band“ „geco­vert“. ((Man kann dem Herr­gott gar nicht oft genug dan­ken, dass wir in einer Zeit auf­wach­sen dur­fen, als noch nicht jeder eine Video­ka­me­ra in sei­nem Mobil­te­le­fon hat­te. Die Video-8-Auf­nah­men, die von dem „Auf­tritt“ exis­tier­ten, sind hof­fent­lich schon lan­ge zer­fal­len.))

Am Nach­fol­ge­al­bum „Take Off Your Pants And Jacket“ stör­te mich schon der Titel (puber­tär!), wäh­rend mein damals 12jähriger Bru­der das Album rauf und run­ter lau­fen ließ. Span­nend fand ich die Band erst wie­der, als sie für ihr selbst­be­ti­tel­tes Album mit Robert Smith (kre­di­bel!) zusam­men­ar­bei­te­te. ((Als ich Thees Uhl­mann in Düs­sel­dorf zu jenem Inter­view traf, in des­sen Ver­lauf auch eine Kili­ans-Demo-CD den Besit­zer wech­seln soll­te, trug er einen Blink-182-Kapu­zen­pull­over, für den er sich zu Beginn des Gesprächs ent­schul­dig­te.))

Nach „Blink-182“, das ich über die Jah­re rich­tig lieb gewon­nen hat­te, war lan­ge erst mal Schluss mit der Band: Tom DeLon­ge mach­te mit Angels & Air­wa­ves wei­ter, Mark Hop­pus und Tra­vis Bar­ker mit +44 – bei­des gute Bands, aber trotz mei­ner eigent­lich gar nicht so engen Bezie­hung zu Blink nicht das sel­be.

Inzwi­schen habe ich mei­ne Puber­tät nach­ge­holt, habe bedeu­tend mehr Rock­mu­si­ker- als Poli­ti­ker­au­to­gram­me und bin mir für kaum einen Pim­mel­witz zu scha­de. Und weil die Pop­kul­tur beru­hi­gen­der­wei­se in Zyklen ver­läuft, kom­men alle die, die es damals nicht wirk­lich zu den Hel­den mei­ner Jugend geschafft haben, jetzt noch ein­mal vor­bei, damit wir uns gemein­sam (noch mal) jung füh­len kön­nen: Im April war ich auf einem Kon­zert, auf dem Andrew W.K. (den ich mit 18 total doof fand) sein gran­dio­ses Par­ty­epos „I Get Wet“ zur Auf­füh­rung brach­te, eine Woche spä­ter lief „Ame­ri­can Pie – Das Klas­sen­tref­fen“ in den deut­schen Kinos an, auf den ich mich tat­säch­lich mehr gefreut hat­te als auf mein eige­nes zehn­jäh­ri­ges Abitur­tref­fen. ((Das offen­sicht­lich auch nicht statt­fin­den wird.))

Und am Mon­tag dann end­lich Blink-182. Deren Come­back­al­bum „Neigh­bor­hoods“ hat­te ich zwar maxi­mal drei Mal gehört, aber dar­um ging es ja gar nicht, son­dern um die Songs von frü­her. Die Esse­ner Gru­ga­hal­le, berüch­tigt für ihre spe­zi­el­le Atmo­sphä­re, war gut gefüllt mit Men­schen Mit­te, Ende Zwan­zig, nur weni­ge waren jün­ger – das dann aber gleich gründ­lich. So vie­le T‑Shirts der auf­tre­ten­den Band sieht man ver­mut­lich sonst nur bei den Toten Hosen. Die bei­den Vor­grup­pen (Roy­al Repu­blic und The All Ame­ri­can Rejects) wur­den freund­lich emp­fan­gen, aber es war klar, wes­we­gen alle hier waren: Blink-182.

Als die dann mit „Fee­ling This“ los­leg­ten, war die Stim­mung sofort auf dem Sie­de­punkt, wie man als Lokal­jour­na­list schrei­ben wür­de. Es war wie damals in den Jugend­zen­tren und Par­ty­kel­lern – oder, in mei­nem Fall: so, wie ich anneh­me, dass es damals in den Jugend­zen­tren und Par­ty­kel­lern war. Die an ein öffent­li­ches Schwimm­bad gemah­nen­de Archi­tek­tur der Gru­ga­hal­le ver­schwand hin­ter den glück­li­chen, ver­schwitz­ten Gesich­tern wild durch die Gegend hüp­fen­der jun­ger (ja: jun­ger!) Men­schen.

Und dann: „All The Small Things“. Mit den Freun­den einen Kreis bil­den und hüp­fen. Hüp­fen, bis man das Gefühl hat, in der Luft ste­hen zu blei­ben. Die Welt und mit ihr die Hal­le mit den Tau­sen­den Men­schen dar­in, der Büh­ne und der Band, dre­hen sich wei­ter, doch die­ser Moment hier ist jetzt und für immer. Nana nana na nana­na nana, nana nana na nana­na nana. Wäre es über­trie­ben, zu behaup­ten, dass ich zwölf Jah­re dar­auf gewar­tet habe? Nein. Ich wuss­te es nur damals noch nicht.

Dann wei­ter: Minu­ten­lan­ge, atem­be­rau­ben­de Schlag­zeug­so­li von Tra­vis Bar­ker, Zuga­ben und am Ende ein Papier­schnip­sel­re­gen. Ein Fest.

Blink-182 in der Essener Grugahalle

Auf den Boden der Tat­sa­chen zurück­ge­holt wer­den wir von der EVAG, dem ver­mut­lich schlech­tes­ten Nah­ver­kehrs­an­bie­ter in einer euro­päi­schen Groß­stadt: Um Zwan­zig nach Elf fährt die letz­te U‑Bahn Rich­tung Innen­stadt und die vie­len, vie­len Kon­zert­be­su­cher ohne Auto pas­sen dort nicht hin­ein. Das heißt: Zunächst pas­sen die Aller­meis­ten doch hin­ein, aber die Bahn kann über zehn Minu­ten nicht los­fah­ren. Wir stei­gen wie­der aus, über­ir­disch fährt ein Kran­ken­wa­gen vor.

Und so gehen wir die drei Kilo­me­ter bis zum Haupt­bahn­hof zu Fuß, durch das um Vier­tel vor Zwölf schon völ­lig ver­wais­te „Sze­ne­vier­tel“ Rüt­ten­scheid. Immer­hin der Super­markt hat noch auf, wir kau­fen Bier für den wei­te­ren Weg. So wie die ande­ren Kin­der das mit 16 ver­mut­lich schon gemacht haben.

Kategorien
Literatur Print

Restposten der spätkindlichen Infantilgesellschaft

Ich weiß nicht, ob Sie’s mit­be­kom­men haben, ((Haha­ha­ha­ha.)) aber es gibt da ja gera­de eine neue deut­sche Lite­ra­tur­sen­sa­ti­on, die die gro­ßen jun­gen deut­schen Lite­ra­tur­sen­sa­tio­nen der ver­gan­ge­nen Deka­den, „Cra­zy“ und „Feucht­ge­bie­te“ kurz­schließt: „Axolotl Road­kill“ von Hele­ne Hege­mann (17).

Gele­sen habe ich das Buch noch nicht, ((Ich bin gera­de – leicht ande­re Bau­stel­le – mit „The Wild Things“ von Dave Eggers beschäf­tigt.)) aber allein der Titel ist schon mal toll. „Axolo­tol“, die­se Bezeich­nung für einen mexi­ka­ni­schen Lurch, der sein Leben lang Kind bleibt, stand näm­lich immer auf der Lis­te der außer­ge­wöhn­li­chen Wor­te, die mein bes­ter Freund und ich zu Schul­zei­ten geführt haben. ((Eben­falls auf der Lis­te: „Wadi“, „semi­per­meable Mem­bran“ und „Aum“. Irgend­wann wer­den sich auch damit noch mal The­ra­peu­ten befas­sen müs­sen.))

Über Hele­ne Hege­mann jeden­falls ist schon viel geschrie­ben wor­den, meist in der übli­chen ahnungs­lo­sen Begeis­te­rung, mit der sich Erwach­se­ne, die nicht als früh­ver­greist gel­ten wol­len, der Welt und der Spra­che von Jugend­li­chen nähern. Wer lan­ge genug sucht, wird sicher eine Rezen­si­on fin­den, in der früh­neu­hoch­deut­sche Begrif­fe wie „geil“ oder „Bock haben“ vor­kom­men.

Der Text, den Simo­ne Mei­er für die „Bas­ler Zei­tung“ geschrie­ben hat, ist anders. Er stellt die media­le Figur Hele­ne Hege­mann in Fra­ge, haut auf den ande­ren Feuil­le­to­nis­ten rum und knallt mit vol­ler Wucht ein paar For­mu­lie­run­gen raus, die man so ger­ne mal in Büchern lesen wür­de:

Das Selbst­be­wusst­sein und der Mut zum Lei­den sind glei­cher­mas­sen unge­heu­er, man hat die Hor­mo­ne im Kopf und den Wahn­sinn im Her­zen. Und man kann eine Pose so lan­ge und so betö­rend repro­du­zie­ren, bis es zu viel wird und man sie auto­ma­tisch wie­der erbricht. Selbst­fin­dung in der Puber­tät ist gewis­ser­mas­sen eine anhal­ten­de Buli­mie halb garer Hal­tun­gen und Gefüh­le.

Frau Mei­er stei­gert sich fast in einen grund­sym­pa­thi­schen Welt­hass Bernhard’scher Prä­gung, wenn sie in einem Absatz mal eben den hal­ben deut­schen Kul­tur­be­trieb, ach: die hal­be deut­sche Gesell­schaft umreißt:

Es scheint, als habe Hele­ne Hege­mann mit all ihren wie rasend her­ge­stell­ten, aus­ge­kotz­ten klei­nen Wer­ken wirk­lich einen wah­ren Kern gefun­den. So etwas wie den häss­li­chen Boden­satz der Ber­li­ner Bohè­me, mit dem sich die Kin­der der Gene­ra­ti­on Selbst­ver­wirk­li­chung her­um­schla­gen müs­sen. Es ist ein Boden­satz, in dem sich alle glei­chen, weil Kind­heit längst nicht mehr den Kin­dern gehört, son­dern zum Fetisch der Erwach­se­nen gewor­den ist. Das Erstaun­lichs­te an „Axolotl“ ist näm­lich dies: dass hier ein Teen­ager schreibt, als wäre er einer jener auf dem Dance­f­lo­or hän­gen geblie­be­nen Mitt­dreis­si­ger oder Anfangs­vier­zi­ger. Dass er zwei Gene­ra­tio­nen kurz­schliesst: die­je­ni­ge des früh­rei­fen Wun­der­kinds und jene der Rest­pos­ten aus der spät­kind­li­chen Infan­til­ge­sell­schaft.

Dass Frau Mei­er es schafft, einen Text, der der­art offen auf sei­ne Sub­jek­te ein­schlägt, ver­söhn­lich enden zu las­sen, spricht für die bei­den.

Aber lesen Sie selbst:

„Die Schön­heit des kaput­ten Kin­des“ von Simo­ne Mei­er

Kategorien
Digital Gesellschaft

What Difference Does It Make?

Ich zeig Euch Individualität!

Als ich 16 Jah­re alt war, stand ich vor einem mora­li­schen Dilem­ma: WDR 2 hat­te ange­kün­digt, ein Kon­zert mei­ner Lieb­lings­band Ben Folds Five aus­zu­strah­len. Einer­seits freu­te ich mich dar­über, die Band mal „live“ zu hören, ((Ja, lie­be Kin­der, damals hat­ten wir noch kein You­Tube und Live-Mit­schnit­te von Kon­zer­ten waren sel­te­ne Samm­ler­stü­cke.)) ande­rer­seits dach­te ich, damit sei die Band end­gül­tig im Main­stream ange­kom­men. ((Ich saß damals der sel­ben Fehl­in­ter­pre­ta­ti­on des Begriffs „Main­stream“ auf, die heu­te im Bezug auf die Ver­brei­tung von twit­ter die Run­de macht.)) Ich las „Solo­al­bum“ und „Tris­tesse Roya­le“, die vol­ler Arro­ganz und Distik­ti­ons­wut waren, und freu­te mich, als der deut­sche „Rol­ling Stone“ die „Drawn From Memo­ry“ von Embrace schlecht bewer­te­te, weil ich dach­te, dann wür­den weni­ger Leu­te die­se CD hören. Das alles ist lan­ge her und mein dama­li­ges Ver­hal­ten bezeich­net man ana­log zur dama­li­gen Lebens­pha­se als puber­tär.

Heu­te freue ich mich, wenn Bands, die ich schät­ze, in die Charts ein­stei­gen, weil das die Chan­ce erhöht, dass die Musi­ker von ihrer Musik auch leben kön­nen. Natür­lich ist es scha­de, Bands wie Cold­play oder die Kil­lers nicht mehr in klei­nen Clubs sehen zu kön­nen, ((Als ob ich das je hät­te.)) aber es kom­men ja fast täg­lich neue Bands für die Clubs dazu und unter einem kul­tu­rel­len Aspekt ist es doch alle­mal bes­ser, wenn die Fri­seu­rin­nen und Kin­der­gärt­ne­rin­nen, die man bei Cold­play-Kon­zer­ten arg­wöh­nisch mus­tert, eben sol­che Musik hören und nicht Sil­ber­mond.

Natür­lich gibt es auch heu­te noch Men­schen, die Bands auto­ma­tisch schei­ße fin­den, wenn sie mehr als 300 Hörer haben, ((Wer sich eine Band durch äuße­re Umstän­de ver­lei­den lässt, hat sie mei­nes Erach­tens nie wirk­lich gemocht.)) aber die nennt man dann eben „Indi­en­a­zis“ und sie müs­sen zur Stra­fe Tex­te von Jan Wig­ger, Died­rich Diede­rich­sen und Plat­ten­tests online lesen.

Das alles kam mir in den Sinn, als ich durch Zufall einen Ein­trag im Blog von Ste­fan Win­ter­bau­er auf meedia.de las:

Pro­blem: Das iPho­ne ist gewöhn­lich gewor­den.

Mitt­ler­wei­le ist das Gerät der­art weit ver­brei­tet (selbst unter Stu­den­ten!), dass es beim bes­ten Wil­len nicht mehr als Sta­tus­sym­bol her­hal­ten kann. Manch­mal muss man sich gera­de­zu schä­men. Zum Bei­spiel, wenn ein Ver­triebs-Och­se in Kurz­arm-Hemd und schril­ler Kra­wat­te im Zug ein iPho­ne zückt.

Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ernst der Text gemeint ist, ((Mein Iro­nie-Detek­tor ist gera­de zur Jah­res-Inspek­ti­on.)) glau­be aber, dass sich im Zwei­fels­fall genug Men­schen fän­den, die Win­ter­bau­er auch dann zustim­men wür­den, wenn er das eigent­lich irgend­wie augen­zwin­kernd gemeint hät­te.

Jetzt denkt jeder Schlips­trä­ger aus Ver­trieb und Mit­tel-Manage­ment, ein biss­chen was von Glanz und Sexy­ness des iPho­ne abha­ben zu kön­nen. No way. Das Gegen­teil ist der Fall. Dadurch, dass die­se Schnauz­bart­trä­ger, Kurz­arm­hem­den und blon­de Damen auf hohen Hocken jetzt alle ein iPho­ne haben, machen sie den Mythos kaputt.

Win­ter­bau­er sitzt da zunächst ein­mal einem weit ver­brei­te­ten Miss­ver­ständ­nis auf: Unter­wegs zu tele­fo­nie­ren – oder brei­ter gefasst: zu kom­mu­ni­zie­ren – hat nichts mit Gla­mour und Sexy­ness zu tun, son­dern mit Abhän­gig­keit oder man­geln­der Orga­ni­sa­ti­on. Wer noch auf dem Nach­hau­se­weg in der S‑Bahn mit dienst­li­chen Pro­ble­men behel­ligt wird, wäre selbst dann noch ein armes Schwein, wenn er mit einem Pla­tin­bar­ren tele­fo­nier­te, und wer aus dem Zug sei­ne Ankunfts­zeit mit­teilt, war in den meis­ten Fäl­len nur zu faul, sich vor­her eine Ver­bin­dung her­aus­zu­su­chen und dann recht­zei­tig am Bahn­hof zu sein. ((Ich weiß, wovon ich spre­che.))

Als in der letz­ten Woche das Mobil­funk­netz von T‑Mobile zusam­men­brach war ich auf­rich­tig über­rascht über die Aus­wir­kun­gen, die das auf das Leben vie­ler Men­schen zu haben schien. Mein ME 45 mit Pre­paid-Kar­te dient mir in ers­ter Linie als Uhr und Wecker, mit dem ich hin und wie­der SMSen schrei­ben kann. Und als ich fest­stell­te, dass ich nach wie vor über T‑Mobile tele­fo­nie­ren konn­te, muss­te ich 20 Minu­ten über­le­gen, wen ich eigent­lich anru­fen könn­te, um ihm die­se (völ­lig irrele­van­te) Sen­sa­ti­on mit­zu­tei­len.

Das heißt nicht, dass ich das iPho­ne an sich schlecht fän­de – ich bin ja auch von mei­nem iPod touch ziem­lich begeis­tert. Aber den mag ich, weil es ein gut durch­dach­tes und funk­tio­nie­ren­des tech­ni­sches Gerät ist, nicht wegen des ange­bis­se­nen Apfels auf der Rück­sei­te. ((Die Rück­sei­te ist übri­gens sowie­so ein Desas­ter. Der Idi­ot, der auf die Idee gekom­men ist, einen Gebrauchs­ge­gen­stand zur Hälf­te mit einer hoch­glän­zen­den Metal­lic-Ober­flä­che zu ver­se­hen, soll­te eigent­lich öffent­lich aus­ge­peitscht wer­den, bis er genau­so vie­le Strie­men auf dem Hin­tern hat wie mein iPod Krat­zer.)) Auch mein Mac­Book nut­ze ich, weil ich App­les Betriebs­sys­tem gelun­ge­ner fin­de als Win­dows, weil der Akku län­ger hält und auch – das gebe ich ger­ne zu – weil das Gerät ein­fach bes­ser aus­sieht als so ziem­li­che jeder ande­re Lap­top – aber doch nicht aus Pres­ti­ge­grün­den.

Wer glaubt, sich über sein Mobil­te­le­fon pro­fi­lie­ren und von ande­ren abgren­zen zu müs­sen, hat mög­li­cher­wei­se zu wenig Geld für den Por­sche, der von den zu klei­nen Geni­ta­li­en ablen­ken soll. Es ist mir ein Rät­sel, war­um aus­ge­rech­net ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­werk­zeug Aus­druck von Indi­vi­dua­li­tät sein soll­te. ((Wobei ein iPho­ne ja in der Regel sehr indi­vi­du­ell ist: Man kann einen Sinn­spruch ein­gra­vie­ren las­sen und Pro­gram­me und Musik nach eige­nem Wunsch dar­auf über­spie­len.)) Wer anders sein will, muss sich schon ein biss­chen mehr Mühe geben – zum Bei­spiel indem er die bei H&M gekauf­ten Motiv-T-Shirts erst mal ein Jahr in den Schrank packt, ehe er sie trägt. Sogar die Punks sahen irgend­wann alle gleich aus mit ihren Iro­ke­sen­schnit­ten und Sicher­heits­na­deln.

Und wer Men­schen bewun­dert, nur weil sie ein teu­res Spiel­zeug mit sich füh­ren, ist mög­li­cher­wei­se noch ober­fläch­li­cher als der Tech­nik-Besit­zer selbst, der einen gera­de für Schnauz­bart und Kurz­arm­hemd ver­ach­tet.

Kategorien
Digital

Klickbefehl (17)

Der Amok­lauf von Erfurt fand am 26. April 2002 statt, unse­rem aller­letz­ten Schul­tag. ((Am ande­ren Dins­la­ke­ner Gym­na­si­um waren die Abitu­ri­en­ten an die­sem Mor­gen – wenn ich das rich­tig im Kopf habe – mit Was­ser­pis­to­len durch die Klas­sen­räu­me gezo­gen, um ihren letz­ten Schul­tag zu fei­ern.)) Ich habe daher nie erfah­ren, wie Schu­len auf sol­che Vor­fäl­le reagie­ren. Wäh­rend einer unse­rer Abi-Klau­su­ren wur­de zwar 200 Meter wei­ter eine Welt­kriegs­bom­be ent­schärft, aber ansons­ten waren wir nur Nor­ma­li­tät gewöhnt.

Ich bin mir sicher, dass mei­ne Schul­zeit anders aus­ge­se­hen hät­te, wenn das alles nicht nach uns pas­siert wäre. Wir waren die Nerds, wir haben „Half Life“ gespielt, Metal oder Punk­rock gehört (auch Pop, aber wen hät­te das inter­es­siert) und gera­de ich hat­te den Ruf, ein biss­chen wahn­sin­nig zu sein. ((Der Ruf war nicht ganz unbe­grün­det.)) Wir waren also komisch – wie alle Teen­ager. Und wir wären poten­ti­ell ver­däch­tig gewe­sen.

Die Muschel­schub­s­er­in hat einen sehr lesens­wer­ten Text dar­über geschrie­ben, wie das so war, als Teen­ager in einer Klein­stadt auf­zu­wach­sen.

Schon damals – in Zei­ten ohne Inter­net, Han­dys und Bal­ler­spie­len – hat nie­mand gemerkt, was wir wirk­lich tun, was uns wirk­lich bedrückt, wie aus­ge­schlos­sen wir uns gefühlt haben, wie sehr uns die Gesell­schaft ins Gesicht gespuckt hat, dass sie mit uns nicht viel anfan­gen kann. Wir alle hat­ten damals einen star­ken Trieb, der sich manch­mal in Aggres­si­vi­tät geäu­ßert hat. Und obwohl wir uns aus­ge­schlos­sen fühl­ten und es gewis­ser­ma­ßen auch waren, wur­den die meis­ten von uns in letz­ter Kon­se­quenz immer auf­ge­fan­gen, unter­stützt, behü­tet. Genau des­halb waren wir trotz allem durch­schnitt­li­che Jugend­li­che, nicht auf­fäl­li­ger als ande­re. Und genau des­halb sind wir heu­te ver­mut­lich alle ganz nor­ma­le Men­schen.

Eini­ges davon ken­ne ich aus eige­ner Erfah­rung, ande­res kann ich zumin­dest gut nach­voll­zie­hen. Und ich glau­be, das kann jeder, der mal jung und nicht Mit­glied der Jun­gen Uni­on war.

Auch John­ny Haeus­ler hat sich bei Spree­blick Gedan­ken dar­über gemacht, wie das eigent­lich so ist, als Jugend­li­cher in Deutsch­land. Wer sich für einen inter­es­siert und wie die Medi­en reagie­ren, wenn dann mal wie­der was pas­siert ist:

Wie laut muss man als Jugend­li­cher eigent­lich sein, um gehört zu wer­den?
Noch lau­ter als eine Beret­ta?

Und weil’s grad zum The­ma Kin­der passt, will ich Ihnen auch noch einen Ein­trag aus dem F.A.Z.-Fernsehblog ans Herz legen.

Dar­in geht es unter ande­rem um eine Mut­ter, die das Fol­gen­de in eine Fern­seh­ka­me­ra sag­te:

Ich ver­steh die Welt nicht mehr. Mei­ne Toch­ter war in der zehn­ten Klas­se, die hat das alles live mit­er­lebt. Die sitzt jetzt zuhau­se, zit­tert und weint. Sie sind aus dem Fens­ter gesprun­gen, sie und ihre Freun­din.

Der Fra­ge, war­um sie es in die­sem Moment für klü­ger hielt, die Welt­öf­fent­lich­keit dar­über zu infor­mie­ren, statt bei ihrer Toch­ter zu sein, möch­te ich mich ger­ne anschlie­ßen.

Auf eine Fra­ge mehr oder weni­ger kommt’s ja auch nicht mehr an.