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Nicht intelligent genug

Im Janu­ar 2006 schrieb der „Musik­ex­press“ im Jah­res­rück­blick auf 2005:

Jetzt haben sogar die Rol­ling Stones ein Lied über Ulf Pos­ch­ardt geschrie­ben: „Sweet Neo­con“. […] Die deut­schen Neo­kon­ser­va­ti­ven ver­ber­gen sich hin­ter der „Initia­ti­ve Neue Markt­wirt­schaft“, eine Agen­tur, die erfolg­reich ihre The­men setz­te. Zuletzt ver­such­ten sie uns ein­zu­re­den → „Du bist Deutsch­land“. Der Höhe- bzw. Tief­punkt der neo­li­be­ra­len Debat­te war erreicht, als der Kul­tur­wis­sen­schaft­ler und angeb­li­che ex-Lin­ke Ulf Pos­ch­ardt („DJ Cul­tu­re“) vor den Wah­len allen Erns­tes for­der­te: Wes­ter­wel­le wäh­len gut, denn: FDP = mutig, radi­kal, wich­tig und irgend­wie auch: Pop. Ja, alles klar, gute Nacht.

Ein Jahr spä­ter war Pos­ch­ardt Chef­re­dak­teur beim Launch der deut­schen Aus­ga­be der „Vani­ty Fair“, die er nach nicht mal einem Jahr wie­der ver­ließ. Seit­dem hat­te ich erfri­schend wenig von ihm gehört, aber er fun­giert jetzt offen­bar als Her­aus­ge­ber von „Rol­ling Stone“, „Metal Ham­mer“ und – ver­damm­te Iro­nie – „Musik­ex­press“.

Außer­dem ist Pos­ch­ardt stell­ver­tre­ten­der Chef­re­dak­teur der „Welt am Sonn­tag“, in der er heu­te umständ­lich über zwei Bücher schreibt, die vor zehn Jah­ren erschie­nen sind: „Tris­tesse Roya­le“ und „Gene­ra­ti­on Golf“.

Nach aller­lei gesell­schafts- und kul­tur­ge­schicht­li­cher Ein­ord­nung, an der eini­ges stim­men mag und eini­ges gewollt erscheint, schwingt sich Pos­ch­ardt zu sei­ner Kern­aus­sa­ge auf:

Im neu­en Kabi­nett sind Figu­ren wie Rös­ler, Rött­gen, Gut­ten­berg und Wes­ter­wel­le Aktua­li­sie­rung jenes kokett Adret­ten, das mit Stall­ge­ruch so wenig anfan­gen kann wie mit Her­ren­wit­zen. Die post­he­roi­sche Ele­ganz ist bei den jün­ge­ren Poli­ti­kern mit einem Hauch Popu­lis­mus ver­setzt, um das Zeit­ge­nös­si­sche wähl­bar wer­den zu las­sen.

Es macht kei­nen Spaß, sich durch Pos­ch­ardts Text zu quä­len, aber eigent­lich muss man das ja auch nicht. Denn wie frag­te Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re in dem Buch, über das Pos­ch­ardt schreibt?

War­um sind wir nicht intel­li­gent genug, nicht so oft über Ulf Pos­ch­ardt zu spre­chen?

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Digital Gesellschaft

What Difference Does It Make?

Ich zeig Euch Individualität!

Als ich 16 Jah­re alt war, stand ich vor einem mora­li­schen Dilem­ma: WDR 2 hat­te ange­kün­digt, ein Kon­zert mei­ner Lieb­lings­band Ben Folds Five aus­zu­strah­len. Einer­seits freu­te ich mich dar­über, die Band mal „live“ zu hören, ((Ja, lie­be Kin­der, damals hat­ten wir noch kein You­Tube und Live-Mit­schnit­te von Kon­zer­ten waren sel­te­ne Samm­ler­stü­cke.)) ande­rer­seits dach­te ich, damit sei die Band end­gül­tig im Main­stream ange­kom­men. ((Ich saß damals der sel­ben Fehl­in­ter­pre­ta­ti­on des Begriffs „Main­stream“ auf, die heu­te im Bezug auf die Ver­brei­tung von twit­ter die Run­de macht.)) Ich las „Solo­al­bum“ und „Tris­tesse Roya­le“, die vol­ler Arro­ganz und Distik­ti­ons­wut waren, und freu­te mich, als der deut­sche „Rol­ling Stone“ die „Drawn From Memo­ry“ von Embrace schlecht bewer­te­te, weil ich dach­te, dann wür­den weni­ger Leu­te die­se CD hören. Das alles ist lan­ge her und mein dama­li­ges Ver­hal­ten bezeich­net man ana­log zur dama­li­gen Lebens­pha­se als puber­tär.

Heu­te freue ich mich, wenn Bands, die ich schät­ze, in die Charts ein­stei­gen, weil das die Chan­ce erhöht, dass die Musi­ker von ihrer Musik auch leben kön­nen. Natür­lich ist es scha­de, Bands wie Cold­play oder die Kil­lers nicht mehr in klei­nen Clubs sehen zu kön­nen, ((Als ob ich das je hät­te.)) aber es kom­men ja fast täg­lich neue Bands für die Clubs dazu und unter einem kul­tu­rel­len Aspekt ist es doch alle­mal bes­ser, wenn die Fri­seu­rin­nen und Kin­der­gärt­ne­rin­nen, die man bei Cold­play-Kon­zer­ten arg­wöh­nisch mus­tert, eben sol­che Musik hören und nicht Sil­ber­mond.

Natür­lich gibt es auch heu­te noch Men­schen, die Bands auto­ma­tisch schei­ße fin­den, wenn sie mehr als 300 Hörer haben, ((Wer sich eine Band durch äuße­re Umstän­de ver­lei­den lässt, hat sie mei­nes Erach­tens nie wirk­lich gemocht.)) aber die nennt man dann eben „Indi­en­a­zis“ und sie müs­sen zur Stra­fe Tex­te von Jan Wig­ger, Died­rich Diede­rich­sen und Plat­ten­tests online lesen.

Das alles kam mir in den Sinn, als ich durch Zufall einen Ein­trag im Blog von Ste­fan Win­ter­bau­er auf meedia.de las:

Pro­blem: Das iPho­ne ist gewöhn­lich gewor­den.

Mitt­ler­wei­le ist das Gerät der­art weit ver­brei­tet (selbst unter Stu­den­ten!), dass es beim bes­ten Wil­len nicht mehr als Sta­tus­sym­bol her­hal­ten kann. Manch­mal muss man sich gera­de­zu schä­men. Zum Bei­spiel, wenn ein Ver­triebs-Och­se in Kurz­arm-Hemd und schril­ler Kra­wat­te im Zug ein iPho­ne zückt.

Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ernst der Text gemeint ist, ((Mein Iro­nie-Detek­tor ist gera­de zur Jah­res-Inspek­ti­on.)) glau­be aber, dass sich im Zwei­fels­fall genug Men­schen fän­den, die Win­ter­bau­er auch dann zustim­men wür­den, wenn er das eigent­lich irgend­wie augen­zwin­kernd gemeint hät­te.

Jetzt denkt jeder Schlips­trä­ger aus Ver­trieb und Mit­tel-Manage­ment, ein biss­chen was von Glanz und Sexy­ness des iPho­ne abha­ben zu kön­nen. No way. Das Gegen­teil ist der Fall. Dadurch, dass die­se Schnauz­bart­trä­ger, Kurz­arm­hem­den und blon­de Damen auf hohen Hocken jetzt alle ein iPho­ne haben, machen sie den Mythos kaputt.

Win­ter­bau­er sitzt da zunächst ein­mal einem weit ver­brei­te­ten Miss­ver­ständ­nis auf: Unter­wegs zu tele­fo­nie­ren – oder brei­ter gefasst: zu kom­mu­ni­zie­ren – hat nichts mit Gla­mour und Sexy­ness zu tun, son­dern mit Abhän­gig­keit oder man­geln­der Orga­ni­sa­ti­on. Wer noch auf dem Nach­hau­se­weg in der S‑Bahn mit dienst­li­chen Pro­ble­men behel­ligt wird, wäre selbst dann noch ein armes Schwein, wenn er mit einem Pla­tin­bar­ren tele­fo­nier­te, und wer aus dem Zug sei­ne Ankunfts­zeit mit­teilt, war in den meis­ten Fäl­len nur zu faul, sich vor­her eine Ver­bin­dung her­aus­zu­su­chen und dann recht­zei­tig am Bahn­hof zu sein. ((Ich weiß, wovon ich spre­che.))

Als in der letz­ten Woche das Mobil­funk­netz von T‑Mobile zusam­men­brach war ich auf­rich­tig über­rascht über die Aus­wir­kun­gen, die das auf das Leben vie­ler Men­schen zu haben schien. Mein ME 45 mit Pre­paid-Kar­te dient mir in ers­ter Linie als Uhr und Wecker, mit dem ich hin und wie­der SMSen schrei­ben kann. Und als ich fest­stell­te, dass ich nach wie vor über T‑Mobile tele­fo­nie­ren konn­te, muss­te ich 20 Minu­ten über­le­gen, wen ich eigent­lich anru­fen könn­te, um ihm die­se (völ­lig irrele­van­te) Sen­sa­ti­on mit­zu­tei­len.

Das heißt nicht, dass ich das iPho­ne an sich schlecht fän­de – ich bin ja auch von mei­nem iPod touch ziem­lich begeis­tert. Aber den mag ich, weil es ein gut durch­dach­tes und funk­tio­nie­ren­des tech­ni­sches Gerät ist, nicht wegen des ange­bis­se­nen Apfels auf der Rück­sei­te. ((Die Rück­sei­te ist übri­gens sowie­so ein Desas­ter. Der Idi­ot, der auf die Idee gekom­men ist, einen Gebrauchs­ge­gen­stand zur Hälf­te mit einer hoch­glän­zen­den Metal­lic-Ober­flä­che zu ver­se­hen, soll­te eigent­lich öffent­lich aus­ge­peitscht wer­den, bis er genau­so vie­le Strie­men auf dem Hin­tern hat wie mein iPod Krat­zer.)) Auch mein Mac­Book nut­ze ich, weil ich App­les Betriebs­sys­tem gelun­ge­ner fin­de als Win­dows, weil der Akku län­ger hält und auch – das gebe ich ger­ne zu – weil das Gerät ein­fach bes­ser aus­sieht als so ziem­li­che jeder ande­re Lap­top – aber doch nicht aus Pres­ti­ge­grün­den.

Wer glaubt, sich über sein Mobil­te­le­fon pro­fi­lie­ren und von ande­ren abgren­zen zu müs­sen, hat mög­li­cher­wei­se zu wenig Geld für den Por­sche, der von den zu klei­nen Geni­ta­li­en ablen­ken soll. Es ist mir ein Rät­sel, war­um aus­ge­rech­net ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­werk­zeug Aus­druck von Indi­vi­dua­li­tät sein soll­te. ((Wobei ein iPho­ne ja in der Regel sehr indi­vi­du­ell ist: Man kann einen Sinn­spruch ein­gra­vie­ren las­sen und Pro­gram­me und Musik nach eige­nem Wunsch dar­auf über­spie­len.)) Wer anders sein will, muss sich schon ein biss­chen mehr Mühe geben – zum Bei­spiel indem er die bei H&M gekauf­ten Motiv-T-Shirts erst mal ein Jahr in den Schrank packt, ehe er sie trägt. Sogar die Punks sahen irgend­wann alle gleich aus mit ihren Iro­ke­sen­schnit­ten und Sicher­heits­na­deln.

Und wer Men­schen bewun­dert, nur weil sie ein teu­res Spiel­zeug mit sich füh­ren, ist mög­li­cher­wei­se noch ober­fläch­li­cher als der Tech­nik-Besit­zer selbst, der einen gera­de für Schnauz­bart und Kurz­arm­hemd ver­ach­tet.

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Unterwegs

Mein Berlin

Weil ich ja eh schon mal mit der Video­ka­me­ra in Ber­lin war und in den ver­gan­ge­nen Jah­ren tou­ris­tisch schon wirk­lich alles abge­klap­pert hat­te, was da war, habe ich mir dies­mal gedacht: Sei doch ein biss­chen altru­is­tisch und gib dei­nen Lesern, die viel­leicht noch nie in Ber­lin waren, viel­leicht nächs­te Woche hin­wol­len, auch etwas mit.

Her­aus­ge­kom­men ist ein klei­ner Film, der völ­lig unprä­ten­ti­ös „Mein Ber­lin“ heißt und den man sich bei You­Tube anse­hen kann. Oder gleich hier:

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Literatur Gesellschaft

Don’t party like it’s 1999

Kürz­lich blät­ter­te ich mal wie­der in „Tris­tesse Roya­le“, dem Rea­der der deutsch­spra­chi­gen Pop­li­te­ra­tur der 1990er Jah­re, dem Zeit­do­ku­ment der ers­ten Tage der Ber­li­ner Repu­blik. Und mir wur­de klar: Wer ver­ste­hen will, wie sehr sich unse­re Gesell­schaft und unse­re Welt im letz­ten Jahr­zehnt ver­än­dert haben, der muss nur die­se Pro­to­kol­le der Gesprä­che lesen, die Joa­chim Bes­sing, Chris­ti­an Kracht, Eck­hart Nickel, Alex­an­der von Schön­burg und Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re im spä­ten April des Jah­res 1999 im frisch wie­der­eröff­ne­ten Ber­li­ner Hotel „Adlon“ geführt haben.

Neh­men wir nur einen kur­zen Aus­schnitt, der eigent­lich alles sagt:

JOACHIM BESSING Gibt es denn eigent­lich über­haupt noch soge­nann­te gesell­schaft­li­che Tabus?
ALEXANDER V. SCHÖNBURG Die katho­li­sche Kir­che zu ver­tei­di­gen ist zum Bei­spiel ein moder­nes Tabu. Es ist ein All­ge­mein­platz, für die Anti­ba­by­pil­le und gegen die Fami­li­en­po­li­tik des Paps­tes zu sein. Wer heu­te, wie ich, sagt: Ich bin für den Papst und gegen die „Pil­le danach“, bricht ein gesell­schaft­lich ver­ein­bar­tes Tabu. Viel­leicht ist es auch ein ähn­li­cher Tabu­bruch, wenn eine Frau sagt: Ich gehö­re hin­ter den Herd und möch­te ger­ne mei­ne Kin­der erzie­hen. Ich möch­te gar nicht in die Drei-Wet­ter-Taft-Welt ein­tre­ten.

„Tris­tesse Roya­le“, S. 118

Lesen Sie die­se Aus­füh­run­gen ruhig mehr­mals. Und ver­su­chen Sie dann, sich vor­zu­stel­len, dass es eine Welt gab, in der „wir“ noch nicht Papst waren und in der Eva Her­man nur die Nach­rich­ten vor­ge­le­sen hat. Es war eine Welt, in der alles noch so war, wie es war, bevor nichts mehr so war, wie es zuvor gewe­sen war. Eine Welt in einem ande­ren Jahr­tau­send – aber wer heu­te aufs Gym­na­si­um kommt, war damals schon gebo­ren.

Natür­lich ist „Tris­tesse Roya­le“ kein Pro­to­koll einer tat­säch­li­chen Gesell­schaft. Die welt­män­ni­schen Posen der fünf jun­gen, kon­ser­va­ti­ven Her­ren lie­ßen sich auch damals nur schwer­lich mit der Welt­sicht der Mehr­heit der Bevöl­ke­rung auf eine Line brin­gen. Aber sie pass­ten sti­lis­tisch in die Eupho­rie des Auf­bruchs. Das Buch ist des­halb eine gute Erin­ne­rung an die­se ers­ten Tage der soge­nann­ten Ber­li­ner Repu­blik, als es so aus­sah, als wür­den Ger­hard Schrö­der und die rot-grü­ne Koali­ti­on Deutsch­land allei­ne aus der Kri­se füh­ren. In gewis­ser Wei­se haben sie das getan, aber das Volk hat es ihnen nicht gedankt, weil die als gro­ße „Reform“ anmo­de­rier­te Agen­da 2010 weh tat und sie zu einem nicht uner­heb­li­chen Teil auch unso­zi­al war. Nie­mand fragt, war­um es Deutsch­land unter einer Kanz­le­rin Mer­kel, die bis­her kei­ne ein­zi­ge innen­po­li­ti­sche Ent­schei­dung grö­ße­rer Trag­wei­te getrof­fen hat, plötz­lich so gut gehen soll, wie lan­ge nicht mehr. Nie­mand ist erstaunt, wenn die SPD unter dem Pfäl­zer Ted­dy Kurt Beck plötz­lich wie­der Sozi­al­de­mo­kra­tie der 1960er Jah­re betrei­ben will. Aber alle jam­mern über die­se wahn­sin­ni­gen Teue­rungs­ra­ten und über die Gefahr, schon mor­gen auf dem Koblen­zer Markt­platz Opfer einer isla­mis­ti­schen Atom­bom­be zu wer­den.

Zwi­schen April ’99 und Okto­ber ’07 lag der 11. Sep­tem­ber 2001, der natür­lich viel ver­än­dert hat und der für zwei neue gro­ße Krie­ge auf die­sem Pla­ne­ten ver­ant­wort­lich ist. Aber ich glau­be nicht, dass die­se Ter­ror­an­schlä­ge, so schlimm sie auch waren und so vie­le danach auch noch kamen, der Haupt­grund für die­se Ver­schie­bung gesell­schaft­li­cher Vor­stel­lun­gen ist.

Zwi­schen 1999 und 2007 lag näm­lich auch und vor allem ein Jahr­tau­send­wech­sel, egal ob man den am 1. Janu­ar 2000 oder erst ein Jahr spä­ter begos­sen hat. Wenn wir uns anse­hen, wel­che Aus­wir­kun­gen schon eine schlich­te Jahr­hun­dert­wen­de gehabt hat, dann müs­sen wir erstaunt sein, dass die­ser Über­gang vom zwei­ten zum drit­ten Mill­en­ni­um häu­fig so ein­fach über­gan­gen wird: Das spä­te 19. Jahr­hun­dert hat­te das Fin de siè­cle, das Zeit­al­ter des Deka­den­tis­mus, und genau das fin­den wir auch in „Tris­tesse Roya­le“ und der Gesell­schaft die­ser spä­ten 1990er Tage wie­der. Nicht weni­ge erwar­te­ten für die Sil­ves­ter­nacht 1999/​2000 den sofor­ti­gen Welt­un­ter­gang und ent­spre­chend wur­de auch gefei­ert und gelebt. Die­ser Über­schwung hielt dies­mal aber kei­ne 14 Jah­re, bis ein Ereig­nis die Welt erschüt­ter­te, son­dern die paar Mona­te bis zum Sep­tem­ber 2001.

Als Peter Scholl-Latour am Abend des 12. Sep­tem­ber 2001 in der Talk­show von Michel Fried­man das Ende der Spaß­ge­sell­schaft pos­tu­lier­te, hin­ter­ließ das zwar kei­nen all­zu blei­ben­den Ein­druck bei der Welt­be­völ­ke­rung, aber nach so einer Ansa­ge fie­len die Cham­pa­gner­bä­der in Ber­lin-Mit­te viel­leicht doch zunächst ein biss­chen klei­ner aus. Und ehe man sich’s ver­sah, war auch auf höhe­rer Ebe­ne aus einer apo­li­ti­schen Deka­denz­ge­sell­schaft eine apo­li­ti­sche Bie­der­mei­er­ge­sell­schaft gewor­den, in der man sei­nen dun­kel­haa­ri­gen Nach­barn sofort für einen poten­ti­el­len Mas­sen­mör­der hält, weil der sich drei­mal am Tag die Hän­de wäscht und betet. Ande­rer­seits wird ein alter Kir­chen­mann von Jugend­li­chen wie ein Pop­star ver­ehrt und Fern­seh­mo­de­ra­to­rin­nen erhe­ben das Gegen­teil ihres eige­nen Lebens­we­ges zum Heils­ver­spre­chen für alle Frau­en.

Damit sind wir, auf Umwe­gen, wie­der beim Aus­gangs­zi­tat ange­kom­men. Was machen eigent­lich die­se gro­ßen Män­ner der deutsch­spra­chi­gen Deka­denz heu­te? Nun: Alex­an­der von Schön­burg war kurz­zei­tig Chef­re­dak­teur des Edel­ma­ga­zins „Park Ave­nue“ und kollum­ni­ert für „Bild“; Joa­chim Bes­sing schreibt Bücher, die auf dem „Lebenshilfe“-Tisch der Buch­hand­lun­gen neben denen von Eva Her­man lie­gen; Eck­hart Nickel und Chris­ti­an Kracht grün­de­ten die sehr inter­es­san­te, lei­der aber nicht sehr erfolg­rei­che Lite­ra­tur­zeit­schrift „Der Freund“; Kracht selbst ent­schwebt in sei­nen Repor­ta­gen in immer unzu­gäng­li­che­re Sphä­ren und Ben­ja­min von Stuck­rad-Bar­re war zuletzt als Rosen­ver­käu­fer im neu­en Horst-Schläm­mer-Video zu sehen.