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Re: Elbphilharmonie

Ich war Anfang die­ser Woche beruf­lich in Ham­burg und habe mir ein paar Stun­den Zeit genom­men, um ganz doof tou­ris­tisch an den Lan­dungs­brü­cken aus­zu­stei­gen und zu Fuß bis zum Haupt­bahn­hof zurück zu lat­schen. Es war tro­cken (ich habe in Ber­lin übri­gens bedeu­tend mehr Regen und schlech­tes Wet­ter erlebt als in Ham­burg) und schön und ich war schon nach weni­gen Metern wie­der schwer ver­liebt in die­se Stadt.

Ich mag Was­ser unge­heu­er ger­ne (zu mei­nen Lieb­lings­or­ten in Bochum gehört des­halb auch vor allem der Kem­n­ader See, das ein­zi­ge halb­wegs ernst­zu­neh­men­de Was­ser im Stadt­ge­biet) und man kann die Lan­dungs­brü­cken ja völ­lig zurecht als gru­se­li­gen Tou­ris­ten­nepp mit homöo­pa­thi­schen Antei­len von See­fah­rer­ro­man­tik, also mit­hin als deut­schen Pier 39, abtun und man kann die gan­zen Auf­hüb­schun­gen und Leucht­turm­pro­jek­te und die gan­ze Gen­tri­fi­zie­rung kri­ti­sie­ren, aber das hat mich in dem Moment nicht inter­es­siert: Ich konn­te die Frei­heit der gro­ßen, wei­ten Welt ein­at­men.

Ich bin dann wei­ter­ge­gan­gen Rich­tung Spei­cher­stadt, wo ich fest­stell­te, dass die Elb­phil­har­mo­nie nicht nur fer­tig ist (kurz nach dem Bochu­mer Musik­zen­trum, aber immer­hin), son­dern man da bereits zum Gucken rein­kann — und zwar sofort und kos­ten­los.

Elbphilharmonie Hamburg (Foto: Lukas Heinser)

Es fol­gen mei­ne Gedan­ken in Echt­zeit:

„Urgs, die Elb­phil­har­mo­nie! Völ­lig über­teu­er­ter Protz­bau für die han­sea­ti­sche Eli­te. Brauch ich nicht! Das Musik­zen­trum ist eh viel coo­ler und über­haupt, bla­bla­bla, Hafen­stra­ße, Punk, puber­tä­res Ich­will­d­anicht­rein!“
„… sagt der Voll­idi­ot, der in New York war und weder aufs Empire Sta­te Buil­ding, noch aufs Rocke­fel­ler Cen­ter woll­te, weil die Schlan­gen zu lang waren oder das umge­rech­net zwei CDs gekos­tet hät­te und zehn Jah­re spä­ter kannst Du immer noch allen erzäh­len, dass Du in New York warst, aber es nur aus Stra­ßen­hö­he gese­hen hast!“
„Okay, ich geh da jetzt rein! Dann kann ich’s ja auch viel bes­ser begrün­det doof fin­den!“

Was soll ich sagen: Ich hab’s ver­sucht, aber das, was ich gese­hen habe, ist wirk­lich, wirk­lich beein­dru­ckend. Jedes ein­zel­ne Detail ist völ­lig unnö­tig kom­pli­ziert (Eine Roll­trep­pe, deren Stei­gungs­grad zwi­schen­durch vari­iert! Rie­si­ge, geschwun­ge­ne Glas­schei­ben, die in einem Dreh­tür­me­cha­nis­mus an einer unebe­nen Decke ver­an­kert sind!), es ist wie Math Rock mit Tex­ten von Adal­bert Stif­ter. Fuck yeah, Her­zog & de Meu­ron!

Elbphilharmonie Hamburg (Foto: Lukas Heinser)

Alles, wirk­lich alles, ist eine knal­li­ge Ant­wort auf die Fra­gen der Leser­brief­schrei­ber, der „Mario Barth deckt auf“-Zuschauer und des Bun­des der Steu­er­zah­ler, ob „wir“ „das“ „jetzt“ „wirk­lich“ „brau­chen“: „Nein, brau­chen wir nicht. Wir brauch­ten auch kei­nen Köl­ner Dom, kei­ne Alte Oper, kein Bran­den­bur­ger Tor und kein Neu­schwan­stein. Und jetzt lasst mich end­lich mit Eurem klein­geis­ti­gen Vor­gar­ten­den­ken in Frie­den! Ich bin ein Bau­denk­mal für die Ewig­keit!“

Wenn man auf den Kai­spei­cher A einen rie­si­gen, von Jeff Koons gestal­te­ten Mit­tel­fin­ger mon­tiert hät­te, wäre die Bot­schaft ver­gleich­bar gewe­sen, aber die Akus­tik und der prak­ti­sche Nut­zen deut­lich gerin­ger. Die Ästhe­tik sowie­so.

Da stand ich jetzt in 37 Metern Höhe auf der „Pla­za“ (Gut, an dem Namen hät­te man noch arbei­ten kön­nen, damit er wei­ni­ger nach Food Court im Ein­kaufs­zen­trum klingt!), genoss die phan­tas­ti­sche Aus­sicht und die gute Stim­mung unter den Leu­ten, die, so nahm ich ein­fach mal an, je zur Hälf­te Tou­ris­ten und Ein­hei­mi­sche waren. „Es ist ein­fach die schöns­te Stadt der Welt“, sag­te ein Mann leicht seuf­zend zu sei­ner Beglei­te­rin und für eine Sekun­de hat­te ich San Fran­cis­co, Wien, Ams­ter­dam und Stock­holm ver­ges­sen und dach­te: „Jau!“

Elbphilharmonie Hamburg (Foto: Lukas Heinser)

Im Okto­ber war ich bei der Eröff­nung des Anne­lie­se Brost Musik­fo­rum Ruhr in Bochum (das übri­gens auch ganz toll gewor­den ist, aber auf einem völ­lig ande­ren Level) und es war eine sehr ähn­li­che Atmo­sphä­re: Wenn so ein Bau­werk erst­mal fer­tig ist, inter­es­sie­ren die Kos­ten (egal, ob jetzt 15 oder … äh: 866?!?! Okay: 866 Mil­lio­nen Euro. Hui!) nur noch die Unter­su­chungs­aus­schüs­se, die Haus­halts­prü­fer und die Jour­na­lis­ten. Die Men­schen freu­en sich über das neue Wahr­zei­chen, über die Kul­tur und – im Fall von Bochum sicher­lich stär­ker als im Fall von Ham­burg – über die über­re­gio­na­le Auf­merk­sam­keit und selbst die meis­ten Oppo­si­ti­ons­po­li­ti­ker und Kri­ti­ker sind, wenn’s erst mal toll gewor­den ist, immer schon dafür gewe­sen.

Die­ser Text erschien ursprüng­lich in mei­nem News­let­ter „Post vom Ein­hein­ser“, für den man sich hier anmel­den kann.

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Die Bonner Republik

Das Land mei­ner Kind­heit exis­tiert nicht mehr. Es ist nicht ein­fach unter­ge­gan­gen wie die DDR, in der ein paar mei­ner Freun­de ihre ers­ten Lebens­jah­re ver­bracht haben, aber es ist auch nicht mehr da.

Frü­her, als in den Radio­nach­rich­ten noch die Orts­mar­ken vor­ge­le­sen wur­den, gab es die­ses Wort, das mehr als ein Wort oder ein Städ­te­na­me war: „Bonn.“ Damals braucht man in den Nach­rich­ten noch kei­ne Sound­tren­ner zwi­schen den ein­zel­nen Mel­dun­gen, denn es gab die­ses Wort, das wie ein Tren­ner klang, wie der Schlag mit einem Rich­ter­ham­mer. Bonn.

Bonn war die Haupt­stadt des Lan­des, in dem ich leb­te, und die Stadt, in der mei­ne Oma damals leb­te. Ich glau­be nicht, dass ich das eine mit dem ande­ren jemals in einen Zusam­men­hang gebracht habe, aber das Land, in dem ich leb­te, wur­de von alten, grau­en Män­nern in karier­ten Sak­kos regiert und ihre Ent­schei­dun­gen wur­den von glei­cher­ma­ßen alten, glei­cher­ma­ßen grau­en Män­nern in glei­cher­ma­ßen karier­ten Sak­kos ver­le­sen.

Wahr­schein­lich wuss­te ich damals noch nicht, was „regie­ren“ bedeu­tet und wel­che Funk­ti­on die letzt­ge­nann­ten Män­ner hat­ten (außer, dass man als Kind still sein muss­te, wenn sie zur Abend­brot­zeit über den Fern­se­her mei­ner Groß­el­tern flim­mer­ten), aber es gab einen dicken Mann mit lus­ti­gem Sprach­feh­ler, der immer da war und das war – neben Tho­mas Gott­schalk – der König von Deutsch­land.

Die Aus­wir­kun­gen, die die Exis­tenz Hel­mut Kohls auf gan­ze Gebur­ten­jahr­gän­ge hat­te, sind mei­nes Wis­sens bis heu­te nicht unter­sucht wor­den. Aber auch Leu­te, die in den ers­ten acht bis sech­zehn Jah­ren ihres Lebens kei­nen ande­ren Bun­des­kanz­ler ken­nen­ge­lernt haben, sind heu­te erfolg­rei­che Musi­ker, Fuß­bal­ler, Schau­spie­ler oder Autoren, inso­fern kann es nicht gar so ver­hee­rend gewe­sen sein.

Es pass­te fast dreh­buch­mä­ßig gut zusam­men, dass Kohls Regent­schaft ende­te, kurz bevor das ende­te, was er geprägt hat­te wie nur weni­ge ande­re alte Män­ner: die Bon­ner Repu­blik. Ger­hard Schrö­der wur­de Kanz­ler und plötz­lich wirk­te die gan­ze gemüt­li­che Bon­ner Bun­ga­low-Atmo­sphä­re ange­staubt. Schrö­der zog nach einem hal­ben Jahr in einen gro­tes­ken Protz­bau, den Hel­mut Kohl sich noch aus­ge­sucht hat­te, der aber magi­scher­wei­se von der Archi­tek­tur viel bes­ser zu Schrö­der pass­te. Bei Ange­la Mer­kel hat man häu­fig das Gefühl, sie säße lie­ber wie­der in einem holz­ver­tä­fel­ten Bon­ner Büro.

Die Ber­li­ner Repu­blik währ­te nur drei Som­mer. Das hat­te aus­ge­reicht für ein biss­chen Deka­denz und Fin de Siè­cle, für einen Kanz­ler mit Zigar­ren und Maß­an­zü­gen, einen schwu­len Regie­ren­den Bür­ger­meis­ter in Ber­lin und die voll­stän­di­ge Demon­ta­ge von Hel­mut Kohl und wei­ten Tei­len der CDU. In ganz Euro­pa herrsch­te Auf­bruch­stim­mung: Unter dem Ein­druck von New Labour war ganz Euro­pa in die Hän­de der soge­nann­ten Lin­ken und Sozia­lis­ten gefal­len, die Son­ne schien, alles war gut und nichts tat weh.

Dann kamen der 20. Juli und der 11. Sep­tem­ber 2001.

Bit­te? Sie wis­sen nicht, was am 20. Juli 2001 pas­sier­te? An jenem Tag starb Car­lo Giu­lia­ni auf den Stra­ßen Genu­as. Der 20. Juli hät­te der 2. Juni unse­rer Gene­ra­ti­on wer­den kön­nen, Giu­lia­ni war schon weni­ge Wochen spä­ter als Pos­ter­boy der auf­kom­men­den Anti-Glo­ba­li­sie­rungs-Bewe­gung auf der Titel­sei­te des „jetzt“-Magazins. Doch 53 Tage spä­ter flo­gen ent­führ­te Pas­sa­gier­flug­zeu­ge ins World Trade Cen­ter und Giu­lia­ni geriet der­art in Ver­ges­sen­heit, dass ich zu sei­nem 10. Todes­tag kei­ner­lei Bericht­erstat­tung beob­ach­ten konn­te. In Ber­lin tag­te nun das Sicher­heits­ka­bi­nett, das aber auch in Bonn hät­te tagen kön­nen, irgend­wo in der Nähe des atom­si­che­ren Bun­kers im Ahrtal.

Das, was die CDU-Par­tei­spen­den­af­fä­re von Hel­mut Kohl übrig gelas­sen hat­te, wird gera­de zer­legt – so zumin­dest die Mei­nung ver­schie­de­ner Jour­na­lis­ten. Zwei Bio­gra­phien, eine über Han­ne­lo­re Kohl, eine Auto- von Wal­ter Kohl, ent­hül­len, was nie­mand für mög­lich gehal­ten hät­te: Die gan­ze schö­ne Fas­sa­de der Fami­lie Kohl war nur … äh … Fas­sa­de. ((Und wie sehr das Pri­vat­le­ben von Poli­ti­kern ihr Ver­mächt­nis trü­ben kön­nen, sieht man ja etwa an John F. Ken­ne­dy und Wil­ly Brandt.))

Die Fami­li­en­fo­tos der Kohls wei­sen eine erstaun­li­che, aber kaum über­ra­schen­de Deckungs­gleich­heit mit den Kind­heits­fo­tos mei­ner Eltern (und mut­maß­lich Mil­lio­nen ande­rer Fami­li­en­fo­tos) auf: Jungs in kur­zen Hosen, die Fami­lie am Früh­stücks­tisch, auf dem ein rot-weiß karier­tes Tisch­tuch ruht. ((Es gab damals – was nur die Wenigs­ten wis­sen – ein Tisch­de­cken-Mono­pol in Deutsch­land: Alle wur­den in der Fabrik eines geschäfts­tüch­ti­gen, aber latent wahn­sin­ni­gen Fans des 1. FC Köln pro­du­ziert. Bit­te zitie­ren Sie mich dazu nicht.)) Das alles in einer heu­te leicht ins Bräun­li­che chan­gie­ren­den Optik und obwohl die Anzahl von Gar­ten­zwer­gen objek­tiv betrach­tet auf den meis­ten Bil­dern bei Null liegt, hat man doch, sobald man nicht mehr hin­schaut, das Gefühl, min­des­tens einen Gar­ten­zwerg erblickt zu haben. ((Natür­lich ganz ordent­li­che Gar­ten­zwer­ge und nicht so ein pfif­fi­ges neu­mo­di­sches Exem­plar mit Mes­ser im Rücken oder ent­blöß­tem Geni­tal.)) Mei­ne Kind­heits­fo­tos sahen schon ein biss­chen anders aus, ver­folg­ten aber noch das glei­che Kon­zept. Auf heu­ti­gen Kin­der­fo­tos sieht man Drei­jäh­ri­ge im St.-Pauli-Trikot auf Surf­bret­tern ste­hen, Gar­ten­zwer­ge wer­den allen­falls von ihnen durch die Gegend getre­ten.

Die Gemüt­lich­keit der Bon­ner Repu­blik ist ver­schwun­den, obwohl ihre Bevöl­ke­rung immer noch da ist. Regel­mä­ßig ent­sorgt man die Kata­lo­ge von Bil­lig­mö­bel­häu­sern, die Schrank­wän­de Ver­sailler Aus­ma­ße und Patho­lo­gie-erprob­te Flie­sen­ti­sche anbie­ten, und regel­mä­ßig fragt man sich, wer außer den Aus­stat­tern von Pri­vat­fern­seh-Nach­mit­tags­re­por­ta­gen so etwas kauft. Dann klin­gelt man mal beim Nach­barn, weil die Regen­rin­ne leckt, und schon kennt man wenigs­tens einen Men­schen, der so was kauft. In Deutsch­land gibt es 40,3 Mil­lio­nen Haus­hal­te und Ikea kann nicht über­all sein. Ein Blick auf die Leser­brief­sei­te der „Bild“-Zeitung oder in die Kom­men­tar­spal­ten von Online-Medi­en beweist, dass auch die Auf­klä­rung noch nicht über­all sein kann.

Eigent­lich hat sich wenig geän­dert (oder alles, dann aber mehr­fach), aber Deutsch­land wird heu­te … Ent­schul­di­gung, ich woll­te gera­de „Deutsch­land wird heu­te von Ber­lin aus regiert“ schrei­ben, was völ­li­ger Unfug gewe­sen wäre, weil Deutsch­land nach­weis­lich nicht regiert wird. Die deut­sche Haupt­stadt ist also heu­te Ber­lin, eine Stadt, die eigent­lich gar nicht zum Rest Deutsch­lands passt: Eine Metro­po­le, von der vor allem Aus­län­der schwär­men, sie sei der Ort, an dem man jetzt sein müs­se. Gan­ze Land­stri­che in Schwa­ben und Ost­west­fa­len lie­gen ver­las­sen da, weil ihre Kin­der das Glück in der gro­ßen Stadt suchen. Von Bonn wur­de sol­ches nie berich­tet.

Am Sams­tag war ich nach rund zwan­zig Jah­ren mal wie­der in Bonn. Der ers­te Taxi­fah­rer, zu dem ich mich in Auto setz­te, konn­te nicht lesen und schrei­ben, was die Bedie­nung sei­nes Navi­ga­ti­ons­ge­räts schwie­rig mach­te. Der zwei­te muss­te sei­nen Kol­le­gen fra­gen, wo die gesuch­te Stra­ße lie­gen könn­te. Ich woll­te in eine Neu­bau­sied­lung, erstaun­lich, dass es das in Bonn gibt. Ich saß auf dem Bei­fah­rer­sitz in der freu­di­gen Erwar­tung eines Deutsch­land­bil­des vol­ler Bun­ga­lows und Gar­ten­zwer­ge, aber Bonn sah eigent­lich aus wie über­all. Für einen Moment fühl­te ich mich sehr zuhau­se.

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Unterwegs

New York, New York

Die Freiheitsstatue vor New York

Unse­re Autorin Anni­ka fliegt in Kür­ze nach New York City. Wie schon im Janu­ar mit San Fran­cis­co habe ich auch dies­mal wie­der einen klei­nen Rei­se­füh­rer zusam­men­ge­stellt – aber weil ich nur vier Tage in New York war, gibt es dies­mal nicht drei Tei­le, son­dern nur einen, in dem dafür so ziem­lich alles abge­klap­pert wird, was man in vier Tagen machen kann. Nur der obli­ga­to­ri­sche Aus­flug auf einen der noch ste­hen­den Wol­ken­krat­zer fehlt hier – die waren mir ein­fach zu teu­er.

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Gesellschaft Leben

Die Ursachenvermutung von Köln

Ges­tern hat ein Haus in Köln das getan, was Häu­ser nicht tun soll­ten, wozu sie aber doch immer mal wie­der nei­gen: Es ist ein­ge­stürzt. Über den Ver­such, das Gan­ze medi­al zu fea­turen, habe ich mich bereits in mei­nem Blog auf freitag.de aus­ge­las­sen.

Sta­tis­tisch gese­hen ist die zweit­häu­figs­te Beschäf­ti­gung von Häu­sern nach „Rum­ste­hen“ wohl „Ein­stür­zen“. Die Geschich­te, ja sogar die Lite­ra­tur­ge­schich­te ist voll von Mau­ern, Tür­men und Häu­sern, die ein­ge­stürzt sind. Meis­tens fand sich irgend­ein Grund, der nicht sel­ten recht banal war.

Ges­tern hat­te sich der Staub noch nicht gelegt, da mut­maß­ten die ers­ten Men­schen schon, es kön­ne ja eigent­lich nur am Bau der neu­en Köl­ner U‑Bahn-Linie lie­gen. Es war von Tages­brü­chen die Rede (die sich bis­her nicht bestä­tigt zu haben schei­nen) und von schie­fen Kirch­tür­men.

Nun ist die Geschich­te der Köl­ner Nord-Süd-Bahn tat­säch­lich eine Geschich­te vie­ler, vie­ler Zwi­schen­fäl­le, die die Fra­ge auf­kom­men las­sen, ob da eigent­lich vor­her mal jemand nach­ge­guckt hat, durch was für ein Erd­reich man die Tun­nel zu schla­gen gedenkt und ob das mög­li­cher­wei­se Fol­gen haben könn­te (Grund­was­ser, Ver­drän­gung, man kennt das ja).

Trotz­dem habe ich mit der sofor­ti­gen Schuld­zu­wei­sung so mei­ne Pro­ble­me, was dar­an lie­gen könn­te, dass ich einer Fami­lie ent­stam­me, die seit Gene­ra­tio­nen Land­schaf­ten unter­höhlt und Häu­ser baut. Mil­li­me­ter­brei­te Ris­se in den Wän­den kön­nen die Vor­bo­ten einer nahen­den Kata­stro­phe sein – oder mil­li­me­ter­brei­te Ris­se, die sich bis zur Wie­der­kehr Chris­ti kaum ver­än­dern. Hin­ter­her weiß man es immer genau.

Es ver­wun­dert, dass nie­mand (nicht ein­mal der auf­ge­kratz­te Mode­ra­tor bei n‑tv) die Fra­ge stell­te, ob ein Ter­ror­an­schlag aus­zu­schlie­ßen sei. Immer­hin gäbe es doch gute Grün­de, 2000 Jah­re Stadt­ge­schich­te einer erz­ka­tho­li­schen Stadt, in der im letz­ten Jahr ein Anti-Islam-Kon­gress statt­fin­den soll­te, ein­fach mal so eben weg­zu­pus­ten. Aber Ter­ro­ris­mus, das war die Welt A.O. (Ante Oba­ma), heut­zu­ta­ge hat die Bun­des­re­gie­rung ja ein viel wir­kungs­vol­le­res Schreck­ge­spenst gefun­den, um Grund­rech­te ein­zu­schrän­ken: Kin­der­por­no­gra­phie. Die hat auch den Vor­teil, dass man da nicht mehr mit „Kul­tu­ren“ und „Unter­drü­ckung“ argu­men­tie­ren muss und es selbst in lin­ken Krei­sen unüb­lich ist, damit auch nur heim­lich zu sym­pa­thi­sie­ren. Jeder, der die Ver­brei­tungs­we­ge von Kin­der­por­no­gra­phie nicht bru­talst­mög­lich ein­schrän­ken will, ist selbst ein hal­ber Kin­der­schän­der – sagt zumin­dest Ilse Falk, die ein­zi­ge Poli­ti­ke­rin der Welt, die sich auch heu­te noch traut, Geor­ge W. Bush zu zitie­ren.

Doch zurück zum Ter­ro­ris­mus, zurück zum U‑Bahn-Bau: Nach den Anschlä­gen vom 11. Sep­tem­ber 2001 sei aus einem Volk von 80 Mil­lio­nen poten­ti­el­len Fuß­ball­bun­des­trai­nern eines von 80 Mil­lio­nen Islam- und Ter­ro­ris­mus­exper­ten gewor­den, hat der Kaba­ret­tist Vol­ker Pis­pers mal gesagt. Heu­te sind es ver­mut­lich 80 Mil­lio­nen Tun­nel­bau-Inge­nieu­re, die alle ganz genau wis­sen, war­um das schief gehen muss­te.

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Bringing Down The House

Als im letz­ten Jahr mit dem Bar­Cam­pRuhr in Essen das ers­te Bar­Camp für das Ruhr­ge­biet statt­fand, stand das alte Kar­stadt-Stamm­haus noch zum Teil.

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Foto: Frei­ga­be von nero­tu­nes

Eini­ge Zeit spä­ter wur­de das Gebäu­de dem Erd­bo­den gleich gemacht. Auf­ge­zeich­net wur­de das Gan­ze von einer auf dem Dach des Unper­fekt­hau­ses ste­hen­den Kame­ra, die Bil­der wur­den jetzt in einen Zeit­raf­fer­film ver­wan­delt. Bis Minu­te 1:30 pas­siert rela­tiv wenig, danach geht’s aber ab.

In vier Wochen fin­det das zwei­te Bar­Cam­pRuhr wie­der im Unper­fekt­haus statt, in die­sem Jahr wer­den die Teil­neh­mer nicht mehr auf das alte Kar­stadt-Haus schau­en, son­dern auf die Bau­stel­le der zwei­ten Hälf­te des Ein­kaufs­zen­trum am Lim­be­cker Platz.

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Oslog (7)

Kom­men wir nun zu einem abschlie­ßen­den Nach­klapp zum by:Larm-Festival und dem damit ver­bun­de­nen Oslo-Trip:

How to look at by:Larm (Montage: Lukas Heinser)

Eigent­lich hät­te ich so durch die Gegend lau­fen müs­sen, denn gro­tes­ke Napo­le­on-Dyna­mi­te-Bril­len und Iro­nie-Schnauz­bär­te schei­nen im Moment der Ren­ner unter den Musik-nahen Skan­di­na­vi­ern zu sein. Ansons­ten mach­ten die­se aber einen ganz nor­ma­len und höf­li­chen Ein­druck.

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Versackzentrum

Beim gro­ßen Dins­la­ke­ner Kar­ne­vals-Über­schrif­ten-Wett­be­werb war die „Rhei­ni­sche Post“ bekannt­lich vor­ges­tern in Füh­rung gegan­gen.

Das konn­te die „Neue Rhein Zei­tung“ natür­lich nicht auf sich sit­zen las­sen und leg­te heu­te nach:

Architektur: In der Altstadt versackt. NRZ, Niederrhein, 25.02.2009, Andreas Gebbink

Aber auch hier gilt wie­der: Alles ganz anders gemeint.

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Frittierte Rock-Nostalgie

Mit Nost­al­gie ist das ja immer so eine Sache: vie­le Din­ge son­nen sich nur noch in ihrem eins­ti­gen Ruhm und sind bei genau­er Betrach­tung heu­te ganz schlimm. Led Zep­pe­lin ohne Robert Plant, zum Bei­spiel, vie­le Fuß­ball­ver­ei­ne oder auch Weih­nach­ten mit der Fami­lie.

Die Esse­ner Gru­ga­hal­le fei­ert in die­sem Jahr ihren fünf­zigs­ten Geburts­tag. Sie ist Beton­ge­wor­de­ne Bon­ner Repu­blik (Wil­ly Brandt und Kon­rad Ade­nau­er haben dort Reden gehal­ten), deren Archi­tek­tur den Opti­mis­mus der 1950er Jah­re per­fekt wie­der­gibt und die des­halb ohne Mäd­chen in Pet­ti­coats und Män­ner mit Anzü­gen und Hüten anti­ker wirkt als so manch mit­tel­al­ter­li­cher Sakral­bau. Eine Cou­si­ne mei­nes Vaters hat dort 1966 die Beat­les live gese­hen, was sie in der Ver­wandt­schaft zu einer klei­nen Berühmt­heit macht.

Die Gru­ga­hal­le ist untrenn­bar mit den legen­dä­ren „Rockpalast“-Nächten des WDR ver­bun­den, die damals noch live im Fern­se­hen über­tra­gen wur­den. Gra­teful Dead haben damals dort gespielt, Mitch Ryder und Bap. Und obwohl man mei­nen soll­te, dass man mit Fern­seh­über­tra­gun­gen von Kon­zer­ten nicht all­zu viel falsch machen kann, ist auch der „Rock­pa­last“ heu­te ange­staub­ter denn je: Manu­el Unger, für den man beim Ewi­ge-Jugend-Sen­der Eins Live kei­ne Ver­wen­dung mehr hat­te, wird heut­zu­ta­ge mit­ten in die Live­sets geschnit­ten und stellt dort Fra­gen, die älter sind als Peter Rüchel und Alan Bangs zusam­men.

Aus den ein­gangs geschil­der­ten gefähr­li­chen Nost­al­gie-Grün­den haben sich Gru­ga­hal­le und WDR zusam­men­ge­tan, noch ein­mal eine „Rockpalast“-Nacht aus­zu­rich­ten, deren Head­li­ner Ben Folds und Tra­vis die Haupt­rol­le in mei­ner ganz per­sön­li­chen Kon­zert-Nost­al­gie-Geschich­te spie­len. Es war also klar, dass ich ges­tern dabei sein muss­te.

Fast wäre dar­aus nichts gewor­den, denn die Secu­ri­ties am Ein­gang, die offen­bar erst letz­te Woche vom Depart­ment of Home­land Secu­ri­ty abge­wor­ben wor­den waren, woll­ten mich nicht in die Hal­le las­sen, so lan­ge ich ein Taschen­mes­ser in mei­ner Hosen­ta­sche hat­te. Sowas kön­ne man nie mit rein­neh­men, erklär­te mir der über­aus unfreund­li­che Schrank, und riet mir, das Mes­ser weg­zu­wer­fen. Da ich ers­tens mit mei­nem Schwei­zer Mes­ser bis­her bei kei­nem Kon­zert und Sta­di­on­be­such Pro­ble­me gehabt hat­te und ich zwei­tens kei­ne 15 Jah­re alten Wert­ge­gen­stän­de in Müll­ton­nen zu wer­fen pfle­ge, muss­te ich mir erst ein­mal ein gutes Ver­steck (im Rad­kas­ten eines WDR-LKW) suchen. Auch bei mei­nem zwei­ten Ver­such, die Hal­le zu betre­ten, wur­de ich gründ­li­cher abge­sucht als am New Yor­ker Flug­ha­fen JFK. Aber man kennt ja die Gefah­ren, die von ver­lieb­ten Teen­agern in Chucks und ergrau­ten Rock­fans aus­ge­hen. (Dass natür­lich fast jeder Besu­cher mit einem Video­han­dy in die Hal­le gehen durf­te, mit dem er Urhe­ber­rechts­ver­let­zun­gen in Mil­lio­nen­hö­he bege­hen könn­te, steht auf einem ande­ren Blatt.)

Als ich dann end­lich in der Hal­le war, hat­te ich The Ras­cals schon ver­passt, was angeb­lich nicht wei­ter schlimm war. Der Hal­len­bo­den war not­dürf­tig mit sich wel­len­dem PVC aus­ge­legt, die Hal­le selbst in der Mit­te mit Vor­hän­gen abge­trennt. Es sah aus, wie es eben in Mehr­zweck­hal­len aus­sah, bevor sie „Köln­are­na“ und „O2 World“ hie­ßen“, und roch fürch­ter­lich nach Frit­tier­fett, was an der Imbiss­the­ke im Erd­ge­schoss lag, die (samt Beleg­schaft und Würst­chen) ver­mut­lich auch schon bei den Beat­les dort stand. Es fällt schwer, sich ein wür­de­lo­se­res Ambi­en­te für sei­ne Lieb­lings­künst­ler aus­zu­den­ken, ohne die Begrif­fe „Möbel­haus“ oder „Auto­haus“ zu ver­wen­den. Und dann spiel­ten Glas­ve­gas irgend­wel­chen düs­te­ren Joy-Divi­si­on-Indie­rock.

Fleet Foxes live on stage

Es konn­te also nur noch bes­ser wer­den, als die Fleet Foxes die Büh­ne betra­ten. Ihr Auf­tritt war noch bes­ser als der in Hald­ern, was unter ande­rem dar­an lag, dass sie nur noch knapp ein Drit­tel ihrer Brut­to-Spiel­zeit mit Pau­sen ver­brach­ten und nicht mehr die Hälf­te. Sän­ger Robin Peck­nold, der sich vor­her via iPho­ne noch infor­miert hat­te, was für eine Stadt Essen über­haupt ist, nutz­te gleich mal die Gele­gen­heit, sich über den Namen „Rock­pa­last“ lus­tig zu machen, und die gan­ze Band ver­such­te sich in kras­sen Rocker­po­sen. Dann stimm­ten sie wie­der ihren vier­stim­mi­gen Gesang an und zupf­ten ihre groß­ar­ti­gen Folk­songs. Weder Musik noch Aus­se­hen der Band deu­te­ten auf das Jahr 2008 hin.

Dona­von Fran­ken­rei­ter ver­folg­te ich aus eini­ger Ent­fer­nung im Sit­zen. Es war net­ter Pop zwi­schen Jack John­son und Jason Mraz, aber ich muss­te ja eh mei­ne Kräf­te spa­ren.

Ben Folds live on stage

Denn dann kam Ben Folds auf die Büh­ne. Anders als zu Zei­ten sei­nes Tri­os Ben Folds Five war Folds dies­mal tat­säch­lich zu fünft, um den Sound sei­nes neu­es­ten Albums mög­lichst ori­gi­nal­ge­treu auf die Büh­ne zu brin­gen. Ent­spre­chend opu­lent klang das Gan­ze, dafür gab es – bei knapp fünf­zig Minu­ten Spiel­zeit kein Wun­der – kei­ner­lei Impro­vi­sa­tio­nen und auch kei­nen ein­zi­gen Ben-Folds-Five-Song. Dafür gab es von „Dr. Yang“ und „Bitch Went Nutz“ je gleich zwei Ver­sio­nen – ein­mal die vom neu­en Album und ein­mal die vom Fake-Album, das Folds zuvor über Tausch­bör­sen ver­teilt hat­te. Es war ein (bis auf gele­gent­li­che Text­aus­set­zer) höchst pro­fes­sio­nel­ler Auf­tritt, und trotz­dem fehl­te etwas.

Travis live on stage

Die­ses Etwas, das wir „See­le“ nen­nen wol­len, kam dann mit Tra­vis auf die Büh­ne. Die rocken ja seit Neu­es­tem wie­der und klan­gen ent­spre­chend stür­misch wie lan­ge nicht mehr. Zwi­schen die neu­en Songs und die umju­bel­ten Hits der mitt­le­ren Pha­se hat­ten sie ein paar Uralt-Songs ins Set gepackt, dar­un­ter „U16 Girls“, das ich noch nie live gehört hat­te, und „Fal­ling Down“, das Fran Hea­ly gleich mal inmit­ten des Publi­kums sang. Als sie dann im Zuga­ben­block noch „Flowers In The Win­dow“ nur mit Akus­tik­gi­tar­re (und ohne irgend­ei­ne Form von Ver­stär­kung) spiel­ten, war die Lager­feu­er­at­mo­sphä­re kom­plett und ich war mir sicher, das bes­te Tra­vis-Kon­zert mei­nes Lebens gese­hen zu haben (es war mein fünf­tes ins­ge­samt). Auch die zwi­schen­durch auf­kom­men­de Fra­ge, war­um man sich über­haupt noch Live­kon­zer­te (und mit ihnen ein oft nerv­tö­ten­des Publi­kum) antun muss, wur­de in dem Moment beant­wor­tet, als ich einen älte­ren Herrn, der mich an mei­nen frü­he­ren Mathe­leh­rer erin­ner­te, bei Tra­vis strah­lend im Takt wip­pen sah. Sowas sieht man im Fern­se­hen ja nie.

Vor der Hal­le wur­de ich dann aber wie­der von der kal­ten Esse­ner Rea­li­tät ein­ge­holt, als ich fest­stell­te, dass der Nacht­bus mit­nich­ten an der Hal­te­stel­le „Messe/​Gruga“ abfuhr, an der ich stand, son­dern offen­bar an einer namens­glei­chen irgend­wo anders. (Es sei hier nur noch ein­mal dar­an erin­nert, dass das Ruhr­ge­biet und Essen ins­be­son­de­re in drei­zehn­ein­halb Mona­ten „Kul­tur­haup­stadt Euro­pas“ genannt wer­den wol­len und Gäs­te aus der gan­zen Welt erwar­tet wer­den. Da wäre es natür­lich hilf­reich, wenn sich auch fremd­spra­chi­ge Besu­cher in die­ser Kata­stro­phe von Städ­te­bau und ÖPNV bewe­gen könn­ten – etwas, was heu­te nicht mal Anwoh­nern der Nach­bar­städ­te gelingt.)

Am Wochen­en­de 6./7. Dezem­ber wird die „Rockpalast“-Nacht von ges­tern im WDR Fern­se­hen aus­ge­strahlt.

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Unterwegs

Buchstaben über der Stadt

Ich habe Radio­sen­dun­gen und Fil­me dar­über gemacht, habe mein Blog und das von ande­ren Leu­ten voll­ge­schrie­ben. Ver­mut­lich gibt es nur noch eine jour­na­lis­ti­sche Form, in der ich mich noch nicht über Dins­la­ken geäu­ßert habe: die Bil­der­ga­le­rie.

Dinslaken (Schriftzug)

Und genau das soll heu­te anders wer­den, denn ich habe das Wochen­en­de bei den Eltern mal genutzt, um Ihnen Dins­la­ken von allen Sei­ten zu zei­gen. Danach wer­den Sie ver­ste­hen, war­um ich Marl so schön fand.

Bevor wir los­le­gen, soll­ten Sie das gigan­ti­sche Stadt­por­trät auf der offi­zi­el­len Web­site der Stadt lesen und sich fol­gen­den Satz immer vor Augen hal­ten:

Spek­ta­ku­lä­res, Gigan­ti­sches oder Din­ge mit dem Eti­kett „Das muss man unbe­dingt gese­hen haben“ sucht der Besu­cher ver­geb­lich.

Und obwohl damit eigent­lich alles gesagt ist, geht es jetzt erst los:

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Kultur Unterwegs

Hoffentlich ist es Beton

Ruhr-Uni Bochum

Wenn Men­schen ver­rei­sen, geben sie viel Geld aus um weit weg zu kom­men, dort­hin, wo’s schön ist. Wenn sie dann wie­der heim­keh­ren, den­ken sie „Ach, schreck­lich, wie das hier aus­sieht“, und die gan­ze Erho­lung ist weg. War­um fah­ren sie also nicht in die nähe­re Umge­bung, gucken sich dort die Tage­bau­ge­bie­te, Fuß­gän­ger­zo­nen und Gefäng­nis­se an und sind ganz ent­zückt, wenn sie end­lich wie­der zuhau­se sein dür­fen?

Ich war also am Diens­tag in Marl. Die Innen­stadt wur­de in den 1960er Jah­ren am Reiß­brett ent­wor­fen und war damals sicher visio­när: ein Ein­kaufs­zen­trum ame­ri­ka­ni­scher Bau­art, davon aus­ge­hend ver­schie­de­ne Wohn-Hoch­häu­ser, ein klar struk­tu­rier­tes, dabei aber luf­ti­ges Rat­haus, ein künst­li­cher See. Wenn man in der Däm­me­rung durch den Nie­sel­re­gen schlurft (wie Ste­fan am Mon­tag), wirkt die­ser Ort wie der post-apo­ka­lyp­ti­sche Schau­platz einer Archi­tek­tur­schau längst ver­gan­ge­ner Epo­chen, aber man ahnt, wie begeis­tert die Macher von ihren Ideen waren, wie durch­dacht und modern die­se Stadt ein­mal gewe­sen sein muss. Nur leben wol­len die Leu­te so nicht und ohne Anzü­ge und Pet­ti­coats wir­ken sie dort auch selt­sam deplat­ziert.

Es ist das Schick­sal min­des­tens einer Gene­ra­ti­on deut­scher Archi­tek­ten und Stadt­pla­ner, dass ihre heh­ren Plä­ne und Kon­zep­te kolos­sal geschei­tert sind. Wie oft höre ich, die Ruhr-Uni Bochum sei ja „so häss­lich“, dabei sieht sie kaum anders aus als die Uni­ver­si­täts­neu­bau­ten in Düs­sel­dorf, Dort­mund, Duis­burg, Essen, Bie­le­feld oder Pader­born. Genau genom­men ist die Ruhr-Uni sogar von einer viel höhe­ren Qua­li­tät: klar struk­tu­riert, ohne Schnör­kel und anhei­meln­de Gemüt­lich­keit, nur gebaut, um mög­lichst vie­len Arbei­ter­kin­dern die Mög­lich­keit eines Hoch­schul­stu­di­ums zu bie­ten. Ein Blick in die hell erleuch­te­ten Zim­mer des Nach­bar­hau­ses bringt häss­li­che­res zu Tage.

Christuskirche DinslakenIn Dins­la­ken wur­de im ver­gan­ge­nen Jahr die evan­ge­li­sche Chris­tus­kir­che abge­ris­sen, weil sie zu nah an den ande­ren Kir­chen lag und ihr Erhalt zu teu­er war. Der Beton­bau aus den spä­ten 1960er Jah­ren war immer unbe­liebt gewe­sen: groß, kalt, mit der Aus­strah­lung einer Mehr­zweck­turn­hal­le. Selbst unter Auf­brin­gung von christ­li­cher Nächs­ten­lie­be und kul­tu­rel­lem Ver­ständ­nis war die Kir­che häss­lich – und doch war zum Bei­spiel die Idee, bei der Gestal­tung der „Fens­ter“, die eher klei­ne far­bi­ge Licht­lö­cher in Beton­ele­men­ten waren, völ­lig auf Moti­ve zu ver­zich­ten, eine kon­se­quen­te bau­li­che Umset­zung des Pro­tes­tan­tis­mus gewe­sen. Den Vor­schlag, ein­fach die klas­si­zis­ti­sche Schwes­ter­kir­che abzu­rei­ßen, hät­te nie jemand zu äußern gewagt – mal davon ab, dass die­se natür­lich unter Denk­mal­schutz steht und gera­de frisch restau­riert war.

Und so wird zur Zeit in wei­ten Tei­len Deutsch­lands eine gan­ze Epo­che der Archi­tek­tur­ge­schich­te aus den Stadt­bil­dern ent­fernt: die der Nach­kriegs­ar­chi­tek­tur. Natür­lich hat­te damals kaum jemand ahnen kön­nen, wie schreck­lich nack­ter Beton im Lau­fe der Zeit aus­se­hen wür­de, aber die­se Archi­tek­tur war nicht nur unglaub­lich funk­tio­nal, sie hat­te dabei auch nicht sel­ten tol­le Details und die Kunst am Bau. Die­se Gebäu­de, die ja weiß­gott nicht alle häss­lich sind, gehö­ren zur deut­schen Geschich­te wie römi­sche Sied­lun­gen, Barock­schlös­ser, faschis­ti­sche Protz­bau­ten und das Bau­haus. Ihr Ver­schwin­den aus den Stadt­bil­dern ver­zerrt die Geschich­te und endet in einem Revi­sio­nis­mus, der sich zum Bei­spiel in den Bestre­bun­gen zeigt, das Ber­li­ner Stadt­schloss wie­der auf­zu­bau­en – oder auf die Spit­ze getrie­ben in den Braun­schwei­ger Schlos­s­ar­ka­den.

AT&T Switching Center, New York

Pathe­tisch gespro­chen ste­hen Marl und all die Städ­te, die so ähn­lich kon­zi­piert wur­den, für eine geschei­ter­te Uto­pie. Sie sind beton­ge­wor­de­ne Sozi­al­de­mo­kra­tie. Die Men­schen woll­ten nicht in Eta­gen­woh­nun­gen mit­ten in der Stadt woh­nen und auf rie­si­ge Beton­flä­che gucken, sie woll­ten in die Vor­städ­te, wo sie bizar­rer­wei­se nun Häu­ser bewoh­nen, die sich unter­ein­an­der glei­chen wie damals die Woh­nun­gen im Hoch­haus. Die Ber­li­ner Gro­pi­us­stadt und Köln-Chor­wei­ler sind in einer Dimen­si­on geschei­tert, wie sie nur in der Archi­tek­tur mög­lich ist, die Stutt­gar­ter Wei­ßen­hof­sied­lung und die Ber­li­ner Wohn­ma­schi­ne hin­ge­gen gel­ten immer noch als Vor­zei­ge­ob­jek­te. Wor­an das nun wie­der liegt, kann ich mir auch nicht erklä­ren. Viel­leicht ist Bra­sí­lia auch nicht des­halb so schön, weil es von Oscar Nie­mey­er ent­wor­fen wur­de, son­dern weil dort so häu­fig die Son­ne scheint.

Eines der merk­wür­digs­ten Neu­bau­pro­jek­te, das ich aus der Nähe mit­be­kom­men habe, ist die Neue Mit­te Ober­hau­sen, ein künst­li­ches Stadt­zen­trum mit­ten in einem frü­he­ren Indus­trie­ge­biet. Das gan­ze Are­al wirkt ein biss­chen unna­tür­li­cher als Dis­ney­land, wird aber mit gro­ßer Begeis­te­rung ange­nom­men. Wohn­häu­ser gibt es kei­ne, aber das rie­si­ge Ein­kaufs­zen­trum „Cen­trO“ mit ange­schlos­se­ner Gas­tro­no­mie-Pro­me­na­de. Die see­len­lo­se Belie­big­keit eines inter­na­tio­na­len Flug­ha­fens scheint den Besu­chern nichts aus­zu­ma­chen, aber selbst wenn: auf dem Gelän­de gibt es einen Irish Pub, der das Kon­zept Irish Pub skla­visch und bis zur Über­trei­bung ein­hält. Jun­ge Men­schen kön­nen sich in einem völ­lig künst­li­chen, aber rea­lis­ti­schen Gebäu­de betrin­ken, das jün­ger ist als sie selbst, aber nach jahr­hun­der­te­al­ter Tra­di­ti­on aus­sieht.

Und mit der Fra­ge, ob fal­sche Gemüt­lich­keit wirk­lich ech­ter Käl­te vor­zu­zie­hen ist, möch­te ich Sie in die Nacht ent­las­sen. Aller­dings nicht, ohne vor­her auf restmodern.de hin­ge­wie­sen zu haben, wo man sich einen schö­nen Über­blick über die Nach­kriegs­ar­chi­tek­tur in Ber­lin ver­schaf­fen kann.

Hinterhof in Chicago
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Leben

Was kommt

Bochum hat 374.000 Ein­woh­ner, aber bis zum letz­ten Mitt­woch gab es in der Innen­stadt kein Geschäft, in dem man Audio­kas­set­ten, höher­wer­ti­ges Dru­cker­pa­pier oder DVDs hät­te kau­fen kön­nen. Am Don­ners­tag eröff­ne­te dann end­lich der neue „Saturn“ im alten Kort­um-Haus. Zum Ver­kaufs­start um sechs Uhr mor­gens kamen sagen­haf­te fünf­hun­dert Leu­te, was nicht nur Dju­re zu der Ver­mu­tung bringt, dass das mit dem Ver­in­ner­li­chen der Metro­pol­re­gi­on Ruhr noch eini­ge Zeit dau­ern wird.

Ich selbst war Don­ners­tag­abend nach der Uni da, was inso­fern eine unbe­schreib­lich bescheu­er­te Idee war, als zur glei­chen Zeit der Weih­nachts­markt eröff­net wur­de und die Leu­te zwi­schen Glüh­wein und Brat­wurst noch Lust auf Schlan­ge­ste­hen im neu­eröff­ne­ten Elek­tro­nik­tem­pel hat­ten.

In die­sem selbst merkt man nicht mehr viel von der Geschich­te des Hau­ses, es sieht aus wie in jedem zwei­ten „Saturn“-Markt (näm­lich in den etwas edle­ren Aus­ga­ben). Das beein­dru­cken­de alte Trep­pen­haus ist ver­schwun­den, aber man muss davon aus­ge­hen, dass das Haus sonst noch hun­dert Jah­re leer gestan­den hät­te. Dafür wird deut­lich, dass sich die Macher ein paar Gedan­ken über den Ort gemacht haben: auf den Gegen­ge­wich­ten der ver­glas­ten Fahr­stüh­le fin­det sich die ers­te Stro­phe des Stei­ger­lieds.

Auch bei den Eröff­nungs-Ange­bo­ten bewies „Saturn“ ein Gespür für Lokal­ko­lo­rit: So gab es die DVD der im Kort­um-Haus gedreh­ten Mini­se­rie „Der gro­ße Bell­heim“ für 9,99 Euro und Her­bert Grö­ne­mey­ers Album „4630 Bochum“ für 4,99 Euro. Nach dem Ansturm auf die­ses 23 Jah­re alte Album dürf­te die CD jetzt in jedem Bochu­mer Haus­halt zu fin­den sein. In mei­nem übri­gens auch.

Ansons­ten gab es aber nicht all­zu viel zum Angu­cken oder Kau­fen, es war ein­fach zu voll. Schnell noch „The Spa­ghet­ti Inci­dent?“ von Guns N‘ Roses für 4,99 Euro und einen Ein-Giga­byte-USB-Stick für 6,99 Euro (auch der ging geschätz­te 374.000 Mal weg) mit­ge­nom­men und nach nur fünf Minu­ten an einer der extra ein­ge­rich­te­ten Son­der­kas­sen war ich drau­ßen. Es war voll, es war trotz Weih­nachts­markt viel zu warm und es war in der Sum­me unglaub­lich ner­vig. Ich stopf­te mir mei­ne Ohr­stöp­sel in die Hör­mu­scheln, dreh­te mei­nen MP3-Play­er etwas lau­ter als sonst üblich (und ver­mut­lich auch als schick­lich) und stapf­te von dan­nen.

Es ist gut zu wis­sen, dass ich jetzt Audio­kas­set­ten, höher­wer­ti­ges Dru­cker­pa­pier und DVDs auch in Bochum kau­fen kann und ich noch dazu in den Genuss kom­me, mei­ne CD-Samm­lung mit älte­ren Ton­trä­gern zu Ramsch­prei­sen kom­plet­tie­ren zu kön­nen.

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Unterwegs

Mein Berlin

Weil ich ja eh schon mal mit der Video­ka­me­ra in Ber­lin war und in den ver­gan­ge­nen Jah­ren tou­ris­tisch schon wirk­lich alles abge­klap­pert hat­te, was da war, habe ich mir dies­mal gedacht: Sei doch ein biss­chen altru­is­tisch und gib dei­nen Lesern, die viel­leicht noch nie in Ber­lin waren, viel­leicht nächs­te Woche hin­wol­len, auch etwas mit.

Her­aus­ge­kom­men ist ein klei­ner Film, der völ­lig unprä­ten­ti­ös „Mein Ber­lin“ heißt und den man sich bei You­Tube anse­hen kann. Oder gleich hier: