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Blogging like it’s 2007

Nächs­te Woche wird die­ses Blog 14 Jah­re alt. Gera­de in der Anfangs­pha­se, als hier noch rich­tig viel los war, es ein Zusam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühl in der damals soge­nann­ten Blogo­sphä­re gab, und wir alle die Hybris hat­ten, zu glau­ben, Blogs könn­ten den Jour­na­lis­mus ver­än­dern (womög­lich gar zum Bes­se­ren), habe ich mich öfter dar­über auf­ge­regt, dass Online-Medi­en über Blogs schrie­ben, ohne sie zu ver­lin­ken (und das in einem Ton­fall, der sich im Nach­hin­ein allen­falls mit „jugend­li­cher Über­mut“ erklä­ren lässt).

Inzwi­schen sind „Blog­ger“ Men­schen, die auf Insta­gram teu­re Uhren in die Kame­ra hal­ten; der Jour­na­lis­mus hat unge­fähr alles, was am Inter­net immer schon schlecht war, über­nom­men; aber immer­hin fin­det man inzwi­schen selbst in vie­len Print-Medi­en QR-Codes, mit deren Hil­fe man auf im Text erwähn­te Inter­net­sei­ten gelan­gen kann.

So gese­hen ist der Text, den der „Spie­gel“ vor zwei Wochen über eine Aus­stel­lung über die First Ladies der US ver­öf­fent­lich­te, ziem­lich old­school:

Sie war im November kurz zu sehen, bevor das Museum wegen der Pandemie schließen musste. Die Onlineversion der Schau belegt die Aktualität von Gebräuchen und Phänomenen aus nur vorgeblich alten Zeiten.

Japp: Da wird auf die Onlin­ever­si­on einer Aus­stel­lung ver­wie­sen und es gibt kei­nen QR-Code und kei­ne URL, die dort­hin führt.

„Die Leser*innen in Deutsch­land könn­ten die Aus­stel­lung ja schließ­lich auch nicht sehen, wenn sie im Muse­um hängt“, möch­te mein 23-jäh­ri­ges Ich ergän­zen.

Mein 37-jäh­ri­ges Ich ist ein­fach so nett und schreibt: „Every Eye Is Upon Me: First Ladies of the United Sta­tes“ ist auf der Sei­te der Natio­nal Por­trait Gal­lery zu sehen.

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Gesellschaft Kultur

Alles ist Material

Der Künst­ler Nasan Tur hat eines der außer­ge­wöhn­lichs­ten Bücher erstellt, das ich über Street Art im wei­tes­ten Sin­ne ken­ne: Für „Stutt­gart says…“ hat er Graf­fi­ti nicht abfo­to­gra­fiert, son­dern abge­schrie­ben. Der Medi­en­wech­sel wirkt Wun­der und ver­leiht den mut­maß­lich eher häss­li­chen Spraye­rei­en plötz­lich den Anschein von abso­lu­ter Poe­sie.

Hier eini­ge Bei­spie­le:

Dein ICH muss dei­nem Selbst wei­chen,
Chris­tus ist immer noch im wer­den!

Geist­krank

I LIKE!

lie­be RAF,
ihr habt euch vie­le neue Freun­de gemacht!

Mama ficker

Lan was geht?

Erstaun­lich, wie bedeu­tungs­schwer sol­che Zita­te wir­ken, wenn man sie völ­lig aus ihrem Kon­text her­aus­löst.

An Turs Buch muss­te ich den­ken, als ich heu­te an einem Haus in mei­ner Noch-Nach­bar­schaft vor­bei­kam. Schon vor Jah­ren hat­te dort jemand, der mut­maß­lich noch rela­tiv jung und sehr unge­übt im Umgang mit Spray­do­sen war, einen … nun ja: Satz an die Wand gesprayt, dem der Lin­gu­ist in mir stets mit gro­ßer Begeis­te­rung begeg­net war:

ANNA IST HURE

Die­ses Zitat wirft die berech­tig­te Fra­ge auf, war­um wir uns in der deut­schen Spra­che über­haupt mit Arti­keln auf­hal­ten, die schon vie­le Mut­ter­sprach­ler vor Her­aus­for­de­run­gen stel­len und das Erler­nen des Deut­schen für Aus­län­der unnö­tig erschwe­ren. Man könn­te doch eini­ger­ma­ßen gut auf den Gebrauch von Arti­keln ver­zich­ten, so wie sich jun­ge Men­schen schon seit län­ge­rem Prä­po­si­tio­nen spa­ren – auch bei „Bin Engel­bert­brun­nen“ oder „Gehst Du Uni-Cen­ter?“ weiß jeder, was gemeint ist.

Seit eini­gen Wochen jeden­falls ist das Haus, an dem der oben genann­te Spruch steht, um eini­ge schlech­te Graf­fi­ti rei­cher. Dar­un­ter eines, das die Geschwin­dig­keit des Sprach­wan­dels und den Fort­schritt der Gleich­be­rech­ti­gung glei­cher­ma­ßen doku­men­tiert:

PAUL IS HURE

Und jetzt sagen Sie bit­te nicht: „So ein Quatsch – Paul is dead, wenn über­haupt!“

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Unterwegs

Oslog (7)

Kom­men wir nun zu einem abschlie­ßen­den Nach­klapp zum by:Larm-Festival und dem damit ver­bun­de­nen Oslo-Trip:

How to look at by:Larm (Montage: Lukas Heinser)

Eigent­lich hät­te ich so durch die Gegend lau­fen müs­sen, denn gro­tes­ke Napo­le­on-Dyna­mi­te-Bril­len und Iro­nie-Schnauz­bär­te schei­nen im Moment der Ren­ner unter den Musik-nahen Skan­di­na­vi­ern zu sein. Ansons­ten mach­ten die­se aber einen ganz nor­ma­len und höf­li­chen Ein­druck.

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Print Kultur

Kunst im Alltag: Lokalredaktion Bochum „Überschriften“

Bochum ist mit dem gesam­ten Ruhr­ge­biet Teil der Kul­tur­haupt­stadt 2010. Eine klei­ne Grup­pe von Sprach­akro­ba­ten möch­te sich dar­an mit ihrem Lite­ra­tur­pro­jekt betei­li­gen, das sie „Über­schrif­ten“ nennt.

Ers­te Kost­pro­ben ihres Kön­nens wer­den der­zeit im Kunst­ma­ga­zin „WAZ (Lokal­teil Bochum)“ abge­druckt und sol­len auch hier ange­mes­sen gewür­digt wer­den:

Da gibt es infor­ma­ti­ve Kurz­pro­sa mit ver­stö­ren­den Satz­an­fän­gen, die nur wenig län­ger ist als ein Arti­kel in der Regio­nal­pres­se zum sel­ben The­ma:

Opel plant am Standort Bochum ab 2010 eine Kapazität bis zu 260 000 Wagen pro Jahr:
Aber England baut den neuen Astra-Caravan früher

Es gibt humo­ris­ti­sche Spie­le­rei­en mit Prä­po­si­tio­nen:

Polizisten im Einsatz am Bordell verletzt

Und es gibt (über der Metah­pern- und Ver­glei­che­rei­chen Par­odie auf das jour­na­lis­ti­sche Gen­re des Kom­men­tars) Klein­ode, die in der Tra­di­ti­on der japa­ni­schen Hai­kus ste­hen:

Jacke mit Luft

Hal­ten Sie die Augen offen für wei­te­re Arbei­ten des Künst­ler­kol­lek­tivs „Lokal­re­dak­ti­on Bochum“. Unvor­stell­bar, was pas­sie­ren wür­de, wenn die­se krea­ti­ven Köp­fe auch noch die Mög­lich­kei­ten des Inter­nets für sich ent­deck­ten!

[mehr Kunst im All­tag]

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Leben

Alea iacta est

Ich woll­te nicht mehr so viel über Dins­la­ken blog­gen. Wirk­lich, ich woll­te mich lösen. Roger Wil­lem­sen hat­te ja eh alles gesagt.

Aber dann pas­sier­te das hier:

Bei einer Inven­tur stell­te die Stadt vor Kur­zem fest, dass ein rie­si­ges Kunst­werk, das seit sie­ben Jah­ren im Stadt­park mit­ten in der Stadt hing, ver­schwun­den war. Man ging an die Pres­se, befürch­te­te Dieb­stahl.

Ges­tern stell­te sich her­aus: Der Wür­fel aus Edel­stahl­roh­ren war vor grob einem hal­ben Jahr bei einem Unwet­ter abge­stürzt, von den Mit­ar­bei­tern der städ­ti­schen Ent­sor­gungs­be­trie­be ein­ge­sam­melt und sicher weg­ge­schlos­sen wor­den. Sogar das Hin­weis­schild wur­de abmon­tiert. Seit Febru­ar oder März war nie­man­dem das Feh­len des Objekts auf­ge­fal­len und auch bei den Ent­sor­gern hat­te nie­mand mehr dar­an gedacht. Der Moment, als der Chef des Betriebs in der Zei­tung von dem ver­schwun­de­nen Wür­fel las, muss ein gro­ßer gewe­sen sein.

(Und wie beson­ders anstren­gen­der und iro­ni­scher Lokal­jour­na­lis­mus geht, zei­gen Ihnen heu­te mal die Kol­le­gen von der „NRZ“.)

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Literatur Kultur

Nischenkultur

Nischen. Klin­gen so nach Eck­sitz­bank im Rei­hen­haus, oder?

In Nischen fin­den sich jedoch aller­hand Sachen wie­der, ver­ges­se­ne Cent Stü­cke, wich­ti­ge Zet­tel auf denen noch wich­ti­ge­re Din­ge notiert sind, Keks-Krü­mel oder die letz­ten Pani­ni-ein­kle­be-Bil­der der WM. Doch Nischen kön­nen auch wah­re Fund­gru­ben sein.

Nun, genau für die­se Fund­gru­ben wur­de ich gefragt, zu schrei­ben. Ich soll was über Kunst, Kul­tur und Lite­ra­tur schrei­ben, die man so im Netz oder auf der Stras­se oder beim stö­bern im Regal fin­det.

Also sowas wie ein Fund­gru­ben­spür­hund oder so?

Nun, mit der Kunst und der Kul­tur ist das ja so eine Sache. Was der eine mag, fin­det der ande­re dane­ben, und umge­kehrt. In der Kunst ist das meis­te näm­lich alles Inter­pre­ta­ti­ons­sa­che.

Well, um es dem Leser und auch mir ein wenig ein­fa­cher zu machen, fan­gen wir ein­fach am Anfang an – und am Anfang der Kunst war der Gedan­ke – die Inspi­ra­ti­on. Das ist sozu­sa­gen das wich­tigs­te für krea­ti­ve Pro­zes­se im All­ge­mei­nen und das ent­ste­hen von Kunst über­haupt!

Inspi­ra­ti­on lässt sich „Künst­ler-sei-Dank“ in vie­len Berei­chen fin­den, eigent­lich unter jedem Stein wenn man so will. Sei es das Graf­fi­ti an der Haus­wand gegen­über, alte Kind­heits­hel­den oder eben doch Künst­ler über die man irgend­wo gestol­pert ist.

Eine Künst­le­rin über die ich die­ses Jahr gestol­pert bin, hat ihre gan­ze eige­ne Art Inspi­ra­ti­on zu wecken. In meh­re­ren, wirk­lich bezau­bern­den Bücher, auf ihre­re Web­site oder auch dem Bild­por­tal Flickr hält sie ihre Kunst fest. Sie heißt – Keri Smith.

Die kana­di­sche Künst­le­rin hat ihre Anfän­ge als Illus­tra­to­rin gesam­melt und arbei­tet heu­te für vie­le renom­mier­te Ver­la­ge und Agen­tu­ren. Vor allem aber arbei­tet Sie als akti­ve Künst­le­rin. Sie selbst, bezeich­net sich als Gue­ril­la Artist.

Was Keri Smith so beson­ders macht, ist ihr Ver­ständ­nis von Kunst und die Art und Wei­se mit der sie nicht nur ihre Kunst­wer­ke her­stellt, son­dern auch Kunst zugäng­lich für ande­re macht und anregt selbst krea­tiv zu sein! Do Art!

Des­halb ist ihr Buch/​Journal „Wreck This Jour­nal“ ein klei­nes Geschenk an jeden, der mit Büchern alles das anstel­len möch­te, was es mög­lichst krea­tiv kaputt macht. Es ist gar nicht so ein­fach die Auf­ga­ben zu erfül­len, weil das Buch fast zu scha­de ist um es zu zer­stö­ren – aber genau das ist der Punkt!

So schön wie jetzt sieht es bald nicht mehr aus. Nach dem man Löcher durch die Sei­ten gebohrt hat, eine Sei­te beer­digt, die Sti­cker von Früch­ten dar­in gesam­melt, mit Essens­res­ten drin rum­ge­saut und mit dem Buch geduscht hat – wird es wohl dop­pelt so groß sein und nicht mehr so schön im Regal aus­se­hen.

Ist nicht schlimm, ist ja alles für die Kunst und für die Inspi­ra­ti­on sel­ber noch mehr sol­che Sachen zu erfin­den.

Wreck This Journal (Foto: Annika Krüger) Wreck This Journal (Foto: Annika Krüger)

Soviel zur ers­ten erkun­de­ten Nische. Auf Wie­der­le­sen, Ihr Fund­gru­ben­spür­hund!!!

Keri Smith – Wreck This Jour­nal
Pen­gu­in Books
12,95 $ (ca. 7 €)

www.wreckthisjournal.com

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Digital Kultur

Kunstpause

Wid­men wir uns zur Abwechs­lung doch mal etwas Erfreu­li­chem: Mei­ne gute Freun­din Mar­ti­na Dri­gnat hat ihre Inter­net­sei­te taubenstrasse.de gere­launcht.

Möwen auf taubenstrasse.de (Foto: Martina Drignat)

Dort fin­den Sie „Medi­en­kunst & Foto­gra­fie“ und wenn Sie sich dar­un­ter nichts vor­stel­len kön­nen: Mar­ti­na hat unter ande­rem die Web­site von kett­car gestal­tet, das Art­work der Kili­ans-CD (womit ich nichts zu tun hat­te!) und das Lay­out Logo des sehr emp­feh­lens­wer­ten Inter­net­mu­sik­ma­ga­zins mainstage.de. Außer­dem kön­nen Sie sich dort – je nach Geschmack – Fotos von Kat­zen, Scha­fen und Stop­pel­fel­dern anse­hen, sowie Por­träts und Liv­e­fo­tos von zahl­rei­chen Musi­kern.

Ich wür­de mich freu­en, wenn Sie dort mal vor­bei­schau­en und sich zumin­dest durch einen Teil der paar­hun­dert Bil­der kli­cken wür­den. Schließ­lich sind das end­lich mal Bil­der­ga­le­rien, die kei­ne IVW-Zah­len und Wer­be­ein­nah­men hoch­trei­ben.

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Digital Kultur

Adventures In Stereo

Beim Aus­räu­men mei­nes alten Jugend­zim­mers bin ich auf diver­se Kurio­si­tä­ten gesto­ßen. Dabei unter ande­rem auch eine 3D-Bril­le mit dazu­ge­hö­ri­gem „Micky Maus“-Heft, das man sich dann in 3D durch­schau­en konn­te.

Erin­nert sich noch jemand an die­se Pha­se, wo alles ver-3D‑t wur­de? Selbst im Fern­se­hen gab es ent­spre­chen­de Ange­bo­te, und über­all wur­den einem die rot-grü­nen Bril­len hin­ter­her­ge­wor­fen.

Vor 100 Jah­ren fan­den die Men­schen opti­sche Effek­te auch schon super, nur war das mit den Illu­sio­nen etwas kom­pli­zier­ter. Die Foto­gra­fie steck­te noch so halb in der Puber­tät, aber es gab doch so gewis­se Tricks, um Illu­sio­nen zu schaf­fen.

Unter ande­rem das Kon­zept der Ste­reo­fo­to­gra­fie. Kon­zept: Zwei Fotos wer­den aus zwei fast glei­chen Win­keln gemacht, ähn­lich wie beim mensch­li­chen Blick, eins für das lin­ke und eins für das rech­te Auge. Eine spe­zi­el­le Lin­sen­kom­bi­na­ti­on fügt dann die bei­den Fotos zu einem räum­lich wir­ken­den Gan­zen. Ja, so war das frü­her.

Joshua Hei­ne­mann hat einen ein­fa­chen und doch über­ra­schen­den Weg gefun­den, die Bil­der mit der heu­ti­gen Tech­nik zu prä­sen­tie­ren- und macht aus den Ste­reo­bil­dern ein­fach ein Wackel-GIF, das schnell zwi­schen den bei­den Bil­den hin- und her­schal­tet. Ein Bei­spiel aus Joshu­as Archiv:

Ori­gi­nal:

Kantensitzer, Originalfotos

Nach­be­ar­bei­tet:

Kantensitzer

Wei­te­re hüb­sche Bei­spie­le (dies­mal ohne Vor­her-Nach­her-Show):

Büffel

Alter Mann

Zwi­schen 1850 und 1930 wur­den Unmen­gen die­ser Ste­reo­fo­tos her­ge­stellt, wei­te Tei­le davon las­sen sich heu­te noch in der , dem digi­ta­len Bild­ar­chiv der New York Public Libra­ry, fin­den.

[via Giz­mo­do]

PS: Klei­ner Tipp am Ran­de: Soll­ten die Bil­der hier im Ein­trag ins Sto­cken gera­ten, klickt auf sie und guckt sie euch ohne den Ein­trag drum­rum an.

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Digital Kultur

Kunst im Alltag: Mediengruppe RP „RP Online“

Ich habe mich geirrt, all die­se Jah­re.

Ich hat­te ja allen Erns­tes gedacht, „RP Online“ sei ein Nach­rich­ten­por­tal im Inter­net. Wer „RP Online“ aber mit den Maß­stä­ben des Online­jour­na­lis­mus misst, bekommt Blut­hoch­druck und schlech­te Lau­ne. Noch mehr, als wenn man in der gro­ßen Print-Schwes­ter „Rhei­ni­sche Post“ nach Jour­na­lis­mus sucht.

Jetzt habe ich end­lich ver­stan­den: „RP Online“ ist ein Mul­ti­me­dia-Kunst-Pro­jekt. Die zahl­rei­chen Agen­tur­mel­dun­gen, die unter dem eige­nen Kür­zel „RPO“ Wort für Wort über­nom­men wer­den, ste­hen in der Tra­di­ti­on der Rea­dy-mades von Mar­cel Duch­amp. Die Hei­li­gen­ver­eh­rung für den jüngst ver­stor­be­nen Düs­sel­dor­fer Ober­bür­ger­meis­ter muss ver­mut­lich als Neu­in­ter­pre­ta­ti­on von Andy War­hols „Mao“ gese­hen wer­den. Dada ist eh min­des­tens die Hälf­te der Inhal­te.

Und wenn „RP Online“ heu­te ab 13 Uhr im „Retro-Ticker“ das EM-Vier­tel­fi­na­le zwi­schen Eng­land und Deutsch­land vom 29. April 1972 in Echt­zeit nach­emp­fin­den wird, ist das wahr­schein­lich ein Ver­weis auf das Doku­men­tar­thea­ter von Peter Weiss, Heinar Kipp­hardt und Rolf Hoch­huth.

Man soll­te so etwas viel stär­ker wür­di­gen.

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Digital

Generation Blog

Ich wer­de eher sel­ten zur Teil­nah­me an Podi­ums­dis­kus­sio­nen gela­den, wes­we­gen ich die­se ermü­den­den Anti-Blog-Dis­kus­sio­nen, von denen man bei renom­mier­te­ren Blog­gern immer wie­der liest, noch nie aus der Nähe erlebt habe. Das änder­te sich aber am Don­ners­tag, als wir in einem Lite­ra­tur­se­mi­nar auf das „Vani­ty Fair“-Blog von Rai­nald Goetz zu spre­chen kamen.

Die meis­ten der etwa zehn Semi­nar­teil­neh­mer kann­ten den Namen Rai­nald Goetz nicht1 und hat­ten noch nie ein Blog gele­sen. Bei­des ist sicher­lich ver­zeih­lich, bei Ger­ma­nis­tik­stu­den­ten Anfang Zwan­zig aber viel­leicht auch etwas uner­war­tet.

Da wir mit der Inter­pre­ta­ti­on des Goetz’schen Wer­kes nicht so recht aus dem Quark kamen, drif­te­te die Dis­kus­si­on in grund­sätz­li­che­re Gefil­de. Einem Kom­mi­li­to­nen2 miss­fiel die­se gan­ze „Selbst­dar­stel­lung“ in Form von Stu­diVZ, Blogs und Vide­os, und eine Kom­mi­li­to­nin, die zuvor geäu­ßert hat­te, außer Aus­lands­ta­ge­bü­chern von Freun­den noch nie ein Blog gese­hen zu haben, echauf­fier­te3 sich in har­schem Ton über die min­de­re Qua­li­tät und die aller­or­ten anzu­tref­fen­de Selbst­dar­stel­lung, die sie „pein­lich“ fin­de.

Nun gehö­re ich nicht zu den Ver­tre­tern jener Zunft, die im Inter­net die Heils­brin­gung für alles und jeden sehen. Ich kann mir gut vor­stel­len, dass es auch in fünf­zig Jah­ren noch Men­schen geben wird, die das Inter­net über­haupt nicht nut­zen. Es gibt ja auch heut­zu­ta­ge Leu­te, die weder Tele­fon noch Fern­se­her besit­zen, und von Eugen Dre­wer­mann liest man immer wie­der, dass er noch nicht ein­mal einen Kühl­schrank in sei­ner Woh­nung habe. Etwas erstaunt bin ich aber, wenn Men­schen in mei­nem Alter, die mit­ten im Leben ste­hen4, moder­ne Medi­en und Phä­no­me­ne rund­her­um ableh­nen, und halb­wegs sau­er wer­de ich, wenn sie dies ohne vor­he­ri­ge Inau­gen­schein­nah­me tun.

Ich kip­pel­te mit mei­nem Stuhl nach hin­ten, brei­te­te die Arme aus und lächel­te. „Natür­lich gibt es viel Schrott im Inter­net, aber den hat man in der tra­di­tio­nel­len Lite­ra­tur oder wo auch immer ja auch. Ich fin­de es gera­de span­nend, dass man sich selbst ein biss­chen umse­hen muss, um gute Sachen zu fin­den. Aber es gibt eben jede Men­ge gute und span­nen­de Sachen im Netz.“

So ganz wuss­te die jun­ge Frau wohl nicht, was in Blogs über­haupt so drin­ste­hen kann. Oder Goetz hat­te sie auf die fal­sche Fähr­te gelockt: Sie erzähl­te jeden­falls, in ihrem Bekann­ten­kreis gebe es Dut­zen­de Leu­te, die immer schon erzählt hät­ten, sie wür­den ger­ne mal ein Buch schrei­ben. Getan habe das zum Glück noch kei­ner. Aber jetzt könn­ten alle mit ihrer min­de­ren Qua­li­tät das Inter­net voll­schrei­ben.

Mit der glei­chen Begrün­dung, so ent­geg­ne­te ich, kön­ne sie ja auch Kon­zer­te von Nach­wuchs­bands in Jugend­zen­tren ver­dam­men, weil die oft auch nicht so doll sei­en. „Das ist doch das span­nen­de, dass heu­te end­lich die Ver­spre­chun­gen der Pop Art und fast aller wich­ti­gen Medi­en­theo­rien des 20. Jahr­hun­derts ein­ge­löst wer­den“, geriet ich etwas zu hef­tig in Fahrt. „War­hols 15 Minu­ten Ruhm, ‚Jeder ist ein Künst­ler‘, ‚the medi­um is the mes­sa­ge‘: jeder kann sich ein­brin­gen!“ Ich dach­te: „Jetzt has­sen sie mich alle. Name­drop­ping, Ange­be­rei und Pathos. Das kann in einer Uni­ver­si­tät nicht gut gehen.“ Dann füg­te ich hin­zu: „Ich fin­de, dass jede Form von Kunst, die irgend­je­man­dem was bedeu­tet – und sei es nur dem Künst­ler selbst – ihre Berech­ti­gung hat.„5

Mei­ne Gegen­über­in äußer­te nun die Ver­mu­tung, wir hät­ten offen­sicht­lich recht unter­schied­li­che Kunst­be­grif­fe. Lei­der befan­den wir uns zeit­lich schon in der Ver­län­ge­rung, so dass wir uns nicht mehr wirk­lich hoch­schau­keln konn­ten. Aber ich fühl­te mich schon etwas knü­wer als sonst.

  1. Sie hör­ten sogar von der berühm­ten Stirn-auf­schlitz-Geschich­te zum ers­ten Mal, fan­den sie aber gleich doof. []
  2. „Kom­mi­li­to­ne“ gehört zu den Begrif­fen, die ich nur schrei­ben kann, wenn ich an einem Com­pu­ter mit auto­ma­ti­scher Recht­schreib­über­prü­fung sit­ze. Wei­te­re Bei­spie­le: Atmo­sphä­re, Feuil­le­ton, Kom­mis­sar, auf­pfrop­fen. []
  3. Ha, noch so ein Wort! []
  4. Gut: Eini­ge von ihnen wol­len viel­leicht Leh­rer wer­den … []
  5. Das ist übri­gens eine Ein­stel­lung, die ich regel­mä­ßig ver­wer­fen will, wenn ich das Radio ein­schal­te und mit Maroon 5 oder Revol­ver­held gequält wer­de. []
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Kultur

Warnung vor der Kunst!

Ich mag moder­ne Kunst, beson­ders mul­ti­me­dia­le Instal­la­tio­nen und Skulp­tu­ren. Und ich mag es, wenn vor Aus­stel­lungs­räu­men gel­be Schil­der ange­bracht sind, die Trä­ger von Herz­schritt­ma­chern und Epil­lep­sie-Pati­en­ten vor dem Betre­ten war­nen. Des­halb war ich ges­tern recht ange­tan von der frisch eröff­ne­ten Aus­stel­lung „Vom Fun­ken zum Pixel“ im Ber­li­ner Mar­tin-Gro­pi­us-Bau.

Was ich gese­hen habe, lässt sich schwer in Wor­te fas­sen, selbst im Fern­se­hen könn­te man nur sehr unzu­rei­chend ver­mit­teln, was in der Aus­stel­lung gezeigt wird. Es blinkt und rauscht, es fla­ckert und blitzt und hin­ter­her hat man Kopf­schmer­zen. Toll war es aber trotz­dem. Man soll­te es sich viel­leicht selbst anse­hen – bis zum 14. Janu­ar 2008 ist noch Gele­gen­heit.

Deut­lich weni­ger mul­ti­me­di­al, aber eigent­lich noch tol­ler waren die Foto­aus­stel­lun­gen von Dia­ne Arbus und Neil Sel­kirk, die ich in der Gale­rie Came­ra Work besucht habe. Wer sich nur ein biss­chen für Foto­gra­fie inter­es­siert, wird hier mit Freu­de vor allem vor Arbus‘ Wer­ken ste­hen. Und wen die Bil­der aus dem Ame­ri­ka der 1960er Jah­re gar nicht mehr los­las­sen, kann sich auch eines oder meh­re­re kau­fen – das preis­li­che Spek­trum reicht von 12.000 Euro bis zu 450.000 Euro und „Preis auf Anfra­ge“. Auch die­se Aus­stel­lun­gen lau­fen noch bis Janu­ar.

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Rundfunk Leben Fernsehen

Hat man beim WDR etwas gegen Veronica Ferres?

Ich habe seit Mon­tag im WDR zwei Doku­men­ta­tio­nen über Jörg Immendorff gese­hen, die zwar teil­wei­se aus dem glei­chen Mate­ri­al bestan­den, aber eben doch zwei ver­schie­de­ne Fil­me waren.

In bei­den Fil­men waren Aus­schnit­te von öffent­li­chen Ver­an­stal­tun­gen zu sehen (die Eröff­nung der Retro­spek­ti­ve in der Neu­en Natio­nal­ga­le­rie 2005 und die Über­ga­be des Kanz­ler­por­träts im Früh­jahr 2007), bei denen neben Immendorff jeweils Ger­hard Schrö­der und Vero­ni­ca Fer­res zuge­gen waren. Und, unge­lo­gen: Jedes mal, wenn Frau Fer­res im Bild war, sag­te die Spre­che­rin gera­de etwas von „Nutz­nie­ßern“, „Bus­si-Bus­si-Gesell­schaft“ und Leu­ten, die Immendorff am Ende „zuwi­der“ gewe­sen sei­en. Das kann doch kein Zufall mehr sein, oder?