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Tag 2: Erlangen

Die­ser Ein­trag ist Teil 3 von bis­her 9 in der Serie Das Simon den Hart­blog

Sonn­tag, 4. April 2010

Von Löwen und Pfer­den

“Du freust dich doch jetzt nicht wirk­lich über den Wecker“ murrt mein Zim­mer­nach­bar Chris­ti­an ungläu­big-fas­sungs­los durch unser Kreuz­fahrt­schiff­ka­bi­nen­zim­mer. Er ist der Tour­ma­na­ger und nicht erfreut, das war­me Bett ver­las­sen zu müs­sen. Je wacher ich wer­de, des­to kla­rer wird mir, dass wir nicht auf einer Kreuz­fahrt sind. Obwohl, irgend­wie ja doch ein biss­chen…

Aber ich freu mich über den Wecker, denn der bedeu­tet Früh­stück. Hotel­früh­stück, so lieb­los es meis­tens auch ist, bringt in vie­len Hotels eine in mei­nem Pri­vat­le­ben nicht gekann­te Aus­wahl an Cerea­li­en, fri­schem, schon mund­ge­recht geschnit­te­nem Obst, diver­sen Säf­ten, ver­schie­de­nen Brot­sor­ten und schon fer­tig gerühr­tem Rühr­ei.

Der­art für den Tag gestärkt, wer­den wir im Tour­bus Zeu­ge einer gera­de­zu unglaub­li­chen Radio­sen­dung.

Aus dem Rock’n’Roll-Himmel wer­den angeb­li­che Kon­zer­te ver­stor­be­ner Stars der letz­ten 50 Jah­re über­tra­gen. An sich eine ganz net­te Idee, aller­dings hapert es deut­lich an der Umset­zung. Als der Mode­ra­tor behaup­tet, er säße auf einer Wol­ke – “Huhu, viel­leicht kön­nen Sie mich von da unten sehen“ – wird nach diver­sen Lach­at­ta­cken klar, dass wir bei der Sen­der­wahl alles rich­tig gemacht haben. Groß­ar­tig auch, dass nahe­zu unter die kom­plet­te Sen­dung Sta­di­on­ap­plaus gelegt wird, um die gran­dio­se Live-Atmo­sphä­re des Events her­vor­zu­he­ben. Hoch erfreut sind alle, als die Doors live aus dem Rock’n’Roll Him­mel noch ein­mal “Light my fire“ spie­len. Denn “Die neue 107,7“, ein Stutt­gar­ter Pri­vat­ra­dio, ist sich nicht zu scha­de, die Ver­si­on inclu­si­ve zehn­mi­nü­ti­gem Orgels­o­lo zu sen­den. Das erlebt man ja heut­zu­ta­ge im Radio eher sel­ten. Gro­ßes Lob an Stutt­gart, und wei­ter geht’s.

An Horse live in Erlangen.
An Hor­se live in Erlan­gen.

Heu­te an Tag zwei der Kreuz­fahrt wird das Tour­le­ben schon rou­ti­nier­ter. Jeder weiß jetzt, wo auf der Büh­ne was zu ste­hen hat, und auch die­je­ni­gen Musi­ker in der Band, die nicht stän­dig auf den Büh­nen die­ser Welt zu sehen sind, kön­nen sich dank schwin­den­der Ner­vo­si­tät hun­dert­pro­zen­tig auf das Kon­zert ein­las­sen.

Spä­tes­tens über­mor­gen sind die “Neu­en“ aber auch so abge­wichs­te Voll­pro­fis im Tour­nee­busi­ness wie die alten Hasen. Das geht schnell!

Geschickt tren­nen wir wie Löwen auf der Jagd nach der Show Damon und Kate von “An Hor­se” von­ein­an­der. Da Kate sich schon früh auf den Weg ins Hotel macht, bleibt Damon allei­ne und von den 7 den Har­to­gern umzin­gelt zurück. Ob ihm aber unse­re 7‑stimmige Back­stage-Ver­si­on von “Aux Champs Ely­sées” wirk­lich gefal­len hat, wer­den wir wahr­schein­lich nie erfah­ren.

Viel­leicht frag ich ihn heu­te, beim Kon­zert im Schlacht­hof in Wies­ba­den. Hier waren Simon und ein paar von uns schon eini­ge Male und haben uns immer sehr wohl gefühlt. Gefähr­lich ist jeder Besuch im Schlacht­hof aber jedes Mal, da zwi­schen der Büh­ne und unse­ren Bet­ten nur ein Kühl­schrank und ein paar gemüt­li­che Sofas ste­hen…

Ein neuer Song wird einstudiert.
Ein neu­er Song wird ein­stu­diert.
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Tag 1: Stuttgart

Die­ser Ein­trag ist Teil 2 von bis­her 9 in der Serie Das Simon den Hart­blog

Sams­tag, 3. April 2010

“Das ist unser ers­tes Kon­zert“

Nach meh­re­ren Jah­ren des Ton­tech­ni­ker­da­seins ken­ne ich sie alle:
Ich ken­ne jede Aus­re­de und jede faden­schei­ni­ge Erklä­rung, war­um die Band aus­ge­rech­net die­ses Mal lei­der, lei­der nicht pünkt­lich am Auf­tritts­ort erschei­nen konn­te. Da hört man Geschich­ten von Stau, Pan­ne, ja sogar Geburts­hil­fe.

Inter­es­sant ist, dass wirk­lich jede ein­zel­ne Band, mit der ich je unter­wegs war, am Tele­fon gelo­gen hat, wenn sie ein biss­chen mehr oder weni­ger zu spät los­ge­fah­ren war. Die wah­ren Grün­de des Zuspät­kom­mens sind in den sel­tens­ten Fäl­len aber Stau, Pan­ne oder Geburts­hil­fe, und der geneig­te Leser möge sich an die­ser Stel­le sel­ber aus­ma­len, was statt­des­sen in Fra­ge kommt. Als Ton­tech­ni­ker ist man ein biß­chen wie die Tape­te: Man kriegt alles mit, aber schweigt stil­le. Zudem habe auch ich schon oft gelo­gen, auch wenn ich genau wuss­te, dass es kei­ne Chan­ce gibt, es noch halb­wegs pünkt­lich zu schaf­fen. Ist bes­ser für alle Betei­lig­ten.

Ges­tern war es aller­dings über­haupt nicht nötig, krea­ti­ve Aus­re­den zu erfin­den. Wir waren so was von über­pünkt­lich in Stutt­gart, das habe ich noch nie erlebt. Das könn­te even­tu­ell auch eine Men­ge damit zu tun haben, dass ich Simon den Har­tog auch noch nie habe sagen hören: „Das ist unser ers­tes Kon­zert!“

Es heißt ja immer, wer gut ist, müss­te nicht pro­ben. Simon den Har­tog und Band haben trotz­dem ein­ge Wochen in einem Köl­ner Pro­be­raum ver­bracht, und das hat sich deut­lich aus­ge­zahlt, wie sich in Stutt­gart zeig­te:

Das etwa eine Stun­de dau­ern­de Kon­zert wirk­te näm­lich zu kei­ner Zeit wie eine Pre­mie­re. Sehr auf­fäl­lig war aber, wenn auch völ­lig klar, dass kei­ner der über hun­dert Gäs­te mit­ge­sun­gen hat.

Die Gele­gen­heit zum Mit­sin­gen ergab sich aber den­noch, nur etwas spä­ter: Zum 23. Geburts­tag des Bas­sis­ten Nobert Domi­nic wur­de ein kur­zes Hap­py-Bir­th­day ange­stimmt. Wo soll­te denn auch jemand, der auf den Büh­nen der Welt zu Hau­se ist, auch sonst in sei­nen Geburts­tag rein­fei­ern, wenn nicht im „Kel­ler“ in Stutt­gart?

Eben­falls Pre­mie­re ges­tern: Das ers­te Deutsch­land­kon­zert von An Hor­se! Die Aus­tra­li­er beglei­ten uns die kom­plet­ten acht Tage der Tour als Vor­band und stel­len ihre gera­de erschie­ne­ne CD vor. Sehr net­te, freund­li­che Men­schen, die über die Jah­re im inter­na­tio­na­len Musik­busi­ness die Kunst des Small­talks auf eine mir bis­her völ­lig unbe­kann­te, ja gera­de­zu fas­zi­nie­ren­de Art erlernt haben. Zum Small­talk hat man auf einer Tour näm­lich vieeeel Zeit. Denn es ist ja so: Die meis­te Zeit des Tages besteht aus War­ten. War­ten auf das Ankom­men am Auf­tritts­ort, Auf­bau­en, War­ten auf den Sound­check, War­ten auf den Auf­tritt. Da kann man über die Jah­re ziem­lich gut ler­nen, wie man sich an The­ken über Nich­tig­kei­ten unter­hält, ohne sich irgend­et­was zu sagen, das die Anstren­gun­gen, die man ohne­hin schon auf sich nimmt, ver­stärkt.

Nun aber An Hor­se: Vie­le Small­talk­meis­ter habe ich getrof­fen, tau­sen­de The­ken­ge­sprä­che geführt, aber die bei­den sind inter­na­tio­na­le Cham­pi­ons. Das bleibt wahr­schein­lich nicht aus, wenn man über die Jah­re so vie­le Men­schen ken­nen lernt wie die bei­den, und das auch noch auf unter­schied­li­chen Kon­ti­nen­ten! Aber wir wer­den in den nächs­ten Tagen schon noch dahin­ter kom­men, wer und wie die bei­den eigent­lich wirk­lich sind. Acht Tage auf engs­tem Raum hal­ten auch inter­na­tio­na­le Cham­pi­ons nicht im Small Talk aus, da bin ich sicher.

Heu­te ist immer noch der 4.4. und natür­lich fei­ern wir noch wei­ter­hin Domi­nics Geburts­tag – beim Kon­zert im E‑Werk in Erlan­gen. Wäre schön, euch dort zu sehen …

Ent­span­nung nach der Show: Das rau­chen­de Geburts­tags­kind
Auch in Hotel­zim­mern kann man sich wie auf Kreuz­fahrt­schif­fen füh­len.
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Musik Unterwegs

Tag 0: Köln

Die­ser Ein­trag ist Teil 1 von bis­her 9 in der Serie Das Simon den Hart­blog

Frei­tag, 2. April 2010

Wir könn­ten Freun­de wer­den

Seit den Toco­tro­nic Tour­ta­ge­bü­chern fängt wahr­schein­lich jedes drit­te Tour­blog mit die­sem Satz an. Die­ses hier dann also auch, dabei sind die Band und ich eigent­lich schon Freun­de, oder zumin­dest dicke Kum­pels – prak­tisch für mich und mein qua­si nicht vor­han­de­nes Namens­ge­dächt­nis, denn als ich das ers­te Mal mit den Kilia­nern unter­wegs war, habe ich irgend­wie gedacht, einer von ihnen wür­de Nor­bert hei­ßen. Das fiel beim Sound­check natür­lich eher unan­ge­nehm auf. Mitt­ler­wei­le weiß ich, dass Nor­bert in Wahr­heit Domi­nic heißt, bei den Kili­ans Gitar­re spielt und nun Bass bei „Simon den Har­tog und Band“. Ich wer­de ihn mor­gen beim Sound­check natür­lich trotz­dem Nor­bert nen­nen.

Heu­te schla­fen wir das letz­te Mal im eige­nen Bett­chen, bevor mor­gen früh das Aben­teu­er “Simon den Har­tog und Band“ star­tet. Ich hab eher das Gefühl, ich wür­de mor­gen früh in den Urlaub fah­ren als auf Deutsch­land­tour zu gehen. Aben­teu­er, oder bes­ser noch Aben­teu­er­ur­laub, trifft es tat­säch­lich ziem­lich gut.

Das gro­ße Aben­teu­er ist, dass hier gera­de etwas Neu­es pas­siert und ent­steht, schließ­lich hat die­se Band noch nie ein Kon­zert gege­ben und die meis­ten Songs, die sie spie­len, hat vor­her noch nie jemand gehört. Auf Simons MySpace-Sei­te gibt es drei Titel zu hören, ansons­ten las­se auch ich mich über­ra­schen.

Denn das ist das wirk­lich beson­de­re an die­ser Tour: Es geht nicht um Pro­mo für Chart­pla­zie­run­gen, Plat­ten­ver­kaufs­zah­len, Plat­ten­fir­men, A&R‑Manager, oder die gro­ße Koh­le. Eine Plat­te gibt es näm­lich über­haupt noch nicht und Geld ver­die­nen wird wohl kei­ner so wirk­lich, schon gar nicht Simon. Aber das scheint kei­nem wirk­lich wich­tig zu sein.

Dies­mal geht es nur dar­um, unter­wegs zu sein und Live­mu­sik in die Musik­clubs Eures Ver­trau­ens zu brin­gen. Erstaun­lich, aber gera­de des­halb schei­nen alle ein biss­chen auf­ge­reg­ter als sonst zu sein.

Ich habe mich von vie­len so ver­ab­schie­det, als wäre ich die nächs­ten zwei Jah­re aus der Welt, dabei wer­den wir nur 8 Tage unter­wegs sein …

Heu­te Abend also in Stutt­gart im Kel­ler: Das ers­te Kon­zert von Simon den Har­tog und Band!

Schlagzeuger Christoph, Sänger Simon, Tourmanager Christian.
Schlag­zeu­ger Chris­toph, Sän­ger Simon, Tour­ma­na­ger Chris­ti­an am Tag vor der Abrei­se.
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Gesellschaft Kultur

Alles ist Material

Der Künst­ler Nasan Tur hat eines der außer­ge­wöhn­lichs­ten Bücher erstellt, das ich über Street Art im wei­tes­ten Sin­ne ken­ne: Für „Stutt­gart says…“ hat er Graf­fi­ti nicht abfo­to­gra­fiert, son­dern abge­schrie­ben. Der Medi­en­wech­sel wirkt Wun­der und ver­leiht den mut­maß­lich eher häss­li­chen Spraye­rei­en plötz­lich den Anschein von abso­lu­ter Poe­sie.

Hier eini­ge Bei­spie­le:

Dein ICH muss dei­nem Selbst wei­chen,
Chris­tus ist immer noch im wer­den!

Geist­krank

I LIKE!

lie­be RAF,
ihr habt euch vie­le neue Freun­de gemacht!

Mama ficker

Lan was geht?

Erstaun­lich, wie bedeu­tungs­schwer sol­che Zita­te wir­ken, wenn man sie völ­lig aus ihrem Kon­text her­aus­löst.

An Turs Buch muss­te ich den­ken, als ich heu­te an einem Haus in mei­ner Noch-Nach­bar­schaft vor­bei­kam. Schon vor Jah­ren hat­te dort jemand, der mut­maß­lich noch rela­tiv jung und sehr unge­übt im Umgang mit Spray­do­sen war, einen … nun ja: Satz an die Wand gesprayt, dem der Lin­gu­ist in mir stets mit gro­ßer Begeis­te­rung begeg­net war:

ANNA IST HURE

Die­ses Zitat wirft die berech­tig­te Fra­ge auf, war­um wir uns in der deut­schen Spra­che über­haupt mit Arti­keln auf­hal­ten, die schon vie­le Mut­ter­sprach­ler vor Her­aus­for­de­run­gen stel­len und das Erler­nen des Deut­schen für Aus­län­der unnö­tig erschwe­ren. Man könn­te doch eini­ger­ma­ßen gut auf den Gebrauch von Arti­keln ver­zich­ten, so wie sich jun­ge Men­schen schon seit län­ge­rem Prä­po­si­tio­nen spa­ren – auch bei „Bin Engel­bert­brun­nen“ oder „Gehst Du Uni-Cen­ter?“ weiß jeder, was gemeint ist.

Seit eini­gen Wochen jeden­falls ist das Haus, an dem der oben genann­te Spruch steht, um eini­ge schlech­te Graf­fi­ti rei­cher. Dar­un­ter eines, das die Geschwin­dig­keit des Sprach­wan­dels und den Fort­schritt der Gleich­be­rech­ti­gung glei­cher­ma­ßen doku­men­tiert:

PAUL IS HURE

Und jetzt sagen Sie bit­te nicht: „So ein Quatsch – Paul is dead, wenn über­haupt!“