Kategorien
Musik Gesellschaft Kultur

Re: Elbphilharmonie

Ich war Anfang dieser Woche beruflich in Hamburg und habe mir ein paar Stunden Zeit genommen, um ganz doof touristisch an den Landungsbrücken auszusteigen und zu Fuß bis zum Hauptbahnhof zurück zu latschen. Es war trocken (ich habe in Berlin übrigens bedeutend mehr Regen und schlechtes Wetter erlebt als in Hamburg) und schön und ich war schon nach wenigen Metern wieder schwer verliebt in diese Stadt.

Ich mag Wasser ungeheuer gerne (zu meinen Lieblingsorten in Bochum gehört deshalb auch vor allem der Kemnader See, das einzige halbwegs ernstzunehmende Wasser im Stadtgebiet) und man kann die Landungsbrücken ja völlig zurecht als gruseligen Touristennepp mit homöopathischen Anteilen von Seefahrerromantik, also mithin als deutschen Pier 39, abtun und man kann die ganzen Aufhübschungen und Leuchtturmprojekte und die ganze Gentrifizierung kritisieren, aber das hat mich in dem Moment nicht interessiert: Ich konnte die Freiheit der großen, weiten Welt einatmen.

Ich bin dann weitergegangen Richtung Speicherstadt, wo ich feststellte, dass die Elbphilharmonie nicht nur fertig ist (kurz nach dem Bochumer Musikzentrum, aber immerhin), sondern man da bereits zum Gucken reinkann — und zwar sofort und kostenlos.

Elbphilharmonie Hamburg (Foto: Lukas Heinser)

Es folgen meine Gedanken in Echtzeit:

“Urgs, die Elbphilharmonie! Völlig überteuerter Protzbau für die hanseatische Elite. Brauch ich nicht! Das Musikzentrum ist eh viel cooler und überhaupt, blablabla, Hafenstraße, Punk, pubertäres Ichwilldanichtrein!”
“… sagt der Vollidiot, der in New York war und weder aufs Empire State Building, noch aufs Rockefeller Center wollte, weil die Schlangen zu lang waren oder das umgerechnet zwei CDs gekostet hätte und zehn Jahre später kannst Du immer noch allen erzählen, dass Du in New York warst, aber es nur aus Straßenhöhe gesehen hast!”
“Okay, ich geh da jetzt rein! Dann kann ich’s ja auch viel besser begründet doof finden!”

Was soll ich sagen: Ich hab’s versucht, aber das, was ich gesehen habe, ist wirklich, wirklich beeindruckend. Jedes einzelne Detail ist völlig unnötig kompliziert (Eine Rolltreppe, deren Steigungsgrad zwischendurch variiert! Riesige, geschwungene Glasscheiben, die in einem Drehtürmechanismus an einer unebenen Decke verankert sind!), es ist wie Math Rock mit Texten von Adalbert Stifter. Fuck yeah, Herzog & de Meuron!

Elbphilharmonie Hamburg (Foto: Lukas Heinser)

Alles, wirklich alles, ist eine knallige Antwort auf die Fragen der Leserbriefschreiber, der “Mario Barth deckt auf”-Zuschauer und des Bundes der Steuerzahler, ob “wir” “das” “jetzt” “wirklich” “brauchen”: “Nein, brauchen wir nicht. Wir brauchten auch keinen Kölner Dom, keine Alte Oper, kein Brandenburger Tor und kein Neuschwanstein. Und jetzt lasst mich endlich mit Eurem kleingeistigen Vorgartendenken in Frieden! Ich bin ein Baudenkmal für die Ewigkeit!”

Wenn man auf den Kaispeicher A einen riesigen, von Jeff Koons gestalteten Mittelfinger montiert hätte, wäre die Botschaft vergleichbar gewesen, aber die Akustik und der praktische Nutzen deutlich geringer. Die Ästhetik sowieso.

Da stand ich jetzt in 37 Metern Höhe auf der “Plaza” (Gut, an dem Namen hätte man noch arbeiten können, damit er weiniger nach Food Court im Einkaufszentrum klingt!), genoss die phantastische Aussicht und die gute Stimmung unter den Leuten, die, so nahm ich einfach mal an, je zur Hälfte Touristen und Einheimische waren. “Es ist einfach die schönste Stadt der Welt”, sagte ein Mann leicht seufzend zu seiner Begleiterin und für eine Sekunde hatte ich San Francisco, Wien, Amsterdam und Stockholm vergessen und dachte: “Jau!”

Elbphilharmonie Hamburg (Foto: Lukas Heinser)

Im Oktober war ich bei der Eröffnung des Anneliese Brost Musikforum Ruhr in Bochum (das übrigens auch ganz toll geworden ist, aber auf einem völlig anderen Level) und es war eine sehr ähnliche Atmosphäre: Wenn so ein Bauwerk erstmal fertig ist, interessieren die Kosten (egal, ob jetzt 15 oder … äh: 866?!?! Okay: 866 Millionen Euro. Hui!) nur noch die Untersuchungsausschüsse, die Haushaltsprüfer und die Journalisten. Die Menschen freuen sich über das neue Wahrzeichen, über die Kultur und – im Fall von Bochum sicherlich stärker als im Fall von Hamburg – über die überregionale Aufmerksamkeit und selbst die meisten Oppositionspolitiker und Kritiker sind, wenn’s erst mal toll geworden ist, immer schon dafür gewesen.

Dieser Text erschien ursprünglich in meinem Newsletter “Post vom Einheinser”, für den man sich hier anmelden kann.

Kategorien
Film Print Kultur

In memoriam Hellmuth Karasek

Meine erste Begegnung mit Professor Karasek liegt fast exakt zwanzig Jahre zurück: Mein Vater hatte mich zu einer Veranstaltung mitgenommen, wo Karasek sein Buch “Mein Kino” vorstellte und mit immer noch glühenden Augen Namen wie Alfred Hitchcock, Billy Wilder oder Marlene Dietrich referierte, von denen ich überwiegend noch nie gehört hatte. Ich hatte damals noch nichts anderes als Zeichentrickfilme und Familienkomödien aus Hollywood gesehen.

Drei Jahre später las ich seine Billy-Wilder-Biographie, die mich zu einem glühenden Verehrer der beiden machte: Wilder wegen seiner Filme und seines Humors, Karasek wegen seiner Fähigkeit, so zu schreiben, dass man beim Lesen immer seine etwas quietschige Stimme zu hören glaubte. Die Lesung von “Das Magazin”, zu der mich meine Eltern mitnahmen, habe ich nur besucht, um mir das Wilder-Buch signieren und mit ihm kurz über “Eins, Zwei, Drei” fachsimpeln zu können. (Was man mit 15 auf dem Dorf halt so macht.) Es war dann jetzt leider auch unsere letzte Begegnung.

Für Lukas, viel Spaß! Herzlich, Hellmuth Karasek

Karaseks Buch “Karambolagen”, in dem er seine Begegnungen mit berühmten Zeitgenossen beschreibt (natürlich auch mit Wilder), wird eines Tages Vorbild für meine Textsammlung zum selben Thema sein. Hellmuth Karasek bekommt dann sein eigenes Kapitel.

Kategorien
Fernsehen Rundfunk Gesellschaft Kultur

Wette sich, wer kann

Die Nachricht, dass die Unterhaltungssendung “Wetten, dass..?” nach 33 Jahren ihren Geist aufgeben würde, war der Redaktion von “Spiegel Online” am Abend des 5. April sogar eine Breaking News wert. Autopsie und Trauerfeier waren da bereits in vollem Gange.

Das ZDF wurde für seine Pressemitteilungsformulierung der “geänderten Sehgewohnheiten” mit Häme überzogen — überwiegend von Menschen, die gerne amerikanische TV-Serien auf Computern und Tablets schauen und sich Sonntagsabends online verabreden, um gemeinschaftlich eine einzelne deutsche TV-Serie scheiße zu finden. Markus Lanz und die Redaktion wurden zu den Alleinschuldigen erklärt, was auch Quatsch war: Zwar hatten der joviale Baumarkteröffnungscharmeur und seine Truppe im Hintergrund, die es auch schon mal für eine gute Idee gehalten hatte, sich völlig ohne Grund eine ausschweifende Rassismusdebatte an den Hals zu holen, tatsächlich keinen guten Job gemacht, aber das Problem lag auch woanders. In einer Zeit, wo wirklich jeder durch Castingshow und YouTube zum “Star” werden kann, braucht der Normalbürger keine abseitigen Begabungen mehr, um für einen Abend im Rampenlicht zu stehen. Man kann es jetzt zu mittelfristiger TV-Prominenz bringen, ohne Wärmflaschen aufzupusten oder die Postleitzahlen aller deutschen Städte benennen zu können. ((Oder ohne irgendetwas zu können.)) Frank Elstner meldete sich auf Twitter zu Wort und vielerorts las man wieder von Elstner, kleinen Kindern in der Badewanne und im Bademantel. ((Was jetzt vielleicht ein bisschen unglücklich formuliert ist.))

Immer wieder kam das Bild auf, das Florian Illies 2000 beschrieben hatte: Wie er als Kind Samstagsabends, frisch gebadet und im Bademantel auf der Couch sitzen und “Wetten, dass..?” mit Frank Elstner gucken durfte. Illies beschrieb dies in seinem Bestseller “Generation Golf”, dessen Titel schon Teil des Problems ist, zu dem wir gleich noch kommen, und je mehr deckungsgleiche Wortmeldungen in den Sozialen Netzwerken aufschlugen, desto bohrender wurde die Frage: Hatten wir – das Personalpronomen ist hier besonders wichtig – wirklich so ähnliche Kindheitserlebnisse oder brach sich hier gerade die Erinnerungsverfälschung Raum, die sonst gerne auch schon mal gerne dafür sorgt, dass Menschen sich detailreich daran erinnern, wo sie bei der Mondlandung, der Ermordung John F. Kennedys, dem Mauerfall, dem Unfalltod von Diana Spencer und am 11. September 2001 waren — nur, dass das oft gar nicht stimmt.

Ich für meinen Teil bin zum Beispiel zu jung, um jemals bewusst “Wetten, dass..?” mit Frank Elstner gesehen zu haben. Ich erinnere mich an eine Ausgabe, in der jemand mithilfe handlicher Schrottballen sagen konnte, um was für ein Auto es sich zuvor gehandelt hatte. Es mag mein erster bewusster Kontakt mit der Sendung gewesen sein, der Moderator war wohl schon Thomas Gottschalk und wenn es da draußen jemanden gibt, der auf Anhieb sagen kann, ob das stimmt, wann die Sendung lief und aus welcher Mehrzweckhalle die Sendung damals kam, dann ist es jetzt zu spät, um aus dieser Inselbegabung noch Kapital zu schlagen.

Frank Elstner, das war für mich der Moderator von “Nase vorn”, dem vielleicht überambitioniertesten Unterhaltungsshowversuch, bis es ProSiebenSat1 mit der “Millionärswahl” versuchte, und der teilweise live von der Trabrennbahn in Dinslaken übertragen wurde, in deren buchstäblicher Wurfweite unsere damalige Wohnung lag. Mit großem Eifer glotzte ich damals jede Samstagabendshow weg, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen Ende der 1980er, Anfang der 1990er auf die Gebührenzahler losließ, ((“Verstehen Sie Spaß?” mit Paola und Kurt Felix! Der “Flitterabend”! Die “Goldmillion”!)) zur Not zwang ich meine Großeltern (und nicht andersherum), mit mir den “Musikantenstadl” zu schauen — es war eben Samstagabend, ich war da und wollte unterhalten werden! Am Liebsten aber die “Rudi Carrell Show” ((Ich bin unsicher, wann genau ich begriff, dass die Kandidaten – “gerade noch im Reisebüro, jetzt auf unserer Showbühne!” – sich gar nicht so schnell umziehen konnten, sondern dort mit vorab aufgezeichneten Beiträgen gearbeitet wurde, fürchte aber, es ist noch gar nicht sooo lange her.)) und später “Geld oder Liebe” mit Jürgen von der Lippe, das ich im Nachhinein gerne zur besten Samstagabendshow aller Zeiten verkläre. Wenn es mir gelänge, heute etwas ähnlich harmlos-anarchisch-unterhaltsames zu konzipieren, wäre ich ein gemachter Mann.

“Wetten, dass..?”, jedenfalls, ist im Begriff, sehr bald Geschichte zu sein, und all jene, die damals tatsächlich oder gefühlt im Bademantel zugeschaut hatten, gaben sich dem hin, was seit “Generation Golf” Allgemeingut ist: der fraternisierenden, leicht anironisierten Nostalgie derer, die für echte Nostalgie nicht nur zu jung sind, sondern auch zu wenig erlebt hatten. Und weil die Vertreter dieser … nun ja: Generation heute an den entscheidenden Stellen bundesdeutscher Onlinedienste und Medienseiten sitzen, kann man diese Erinnerungen überall lesen, wo sie von Menschen mit den gleichen tatsächlichen oder gefühlten Erinnerungen kommentiert werden, auf dass sich auch die Nachgeborenen damit infizieren und sich später felsenfest daran erinnern, wie sie damals selbst auf der Couch …

“Kids today gettin’ old too fast / They can’t wait to grow up so they can kiss some ass / They get nostalgic about the last ten years / Before the last ten years have passed”, hat Ben Folds mal gesungen. Das ist inzwischen neun Jahre her und die Entwicklung der Sozialen Netzwerke hat seitdem nicht gerade zu einer Entspannung der Situation beigetragen. “Throwback Thursday” nennen sie es, wenn Menschen am Donnerstag besonders peinliche ((Zu irgendeiner Zeit hätte man gesagt: “affige”.)) Fotos von sich selbst in einem jüngeren Zustand auf Facebook oder Twitter posten, was besonders reizvoll ist, wenn die Menschen Anfang Zwanzig und die Fotos selbst noch nicht mal im Grundschulalter sind. Jan Böhmermann ((Je nach Bezugsgeneration der Harald Schmidt oder Stefan Raab seiner eigenen Generation.)) sorgte im Frühjahr mit einem “So waren die 90er”-Video für Furore im deutschsprachigen Internet, 90er-Parties erfreuen sich schon seit einiger Zeit wachsender Beliebtheit und ich saß auch schon stocknüchtern inmitten unterschiedlich alkoholisierter Menschen auf Parties, starrte auf einen Laptopbildschirm und nahm einen YouTube-Reigen von Mr. President, Take That, Echt und Tic Tac Toe mit einer stets wechselnden Mischung aus Faszination, Abscheu, Nostalgie, Fassungslosigkeit und Begeisterung zur Kenntnis. Es waren Menschen mit ansonsten vermutlich tadellosem Musikgeschmack, aber niemand kam auf die Idee, wenigstens mal zur Abwechslung Interpreten wie Nirvana, Oasis oder Pearl Jam in die Runde zu werfen. Das war auch nicht mehr mit dem leidigen Thema Überironisierung zu erklären.

Mein Vater verabscheut heute mit großer Hingabe vieles, was sich auf den angeblich repräsentativen Hit-Samplern seiner Jugend findet, ((Mungo Jerry! The Lovin’ Spoonful!)) trotz fehlenden Alters waltet bei mir eine erschütternde Milde: Ich könnte jederzeit ausführlich und fundiert begründen, warum Sunrise Avenue große Grütze sind, würde mich aber im Zweifelsfall vermutlich dazu hinreißen lassen, “What Is Love?” von Haddaway wortreich gegen jedwede Kritik zu verteidigen.

Die Musik, die heute dort angesagt ist, wo Indiebereich und Mainstream kleinen Grenzverkehr pflegen, klingt oft, als sei sie schon mindestens 40 Jahre alt. Vor zehn, fünfzehn Jahren wurden haufenweise Fernsehserien der 70er und 80er fürs Kino adaptiert, heute sind plötzlich Fernsehserien erfolgreich, die auf 20 Jahre alten Kinofilmen basieren. Und das ist erst der Anfang.

Der Herm fragte letzte Woche auf Twitter:

Kurz darauf ging dann ein neuer “Terminator”-Trailer online.

Über das Phänomen der “Retromanie” sind inzwischen Artikel und ganze Bücher geschrieben worden. Und, klar: Wenn Kulturepochen nicht mehr 50 oder 100 Jahre dauern, sondern nur ein paar Monate ((Oder gar 140 Zeichen.)), können sie auch schneller wiederkommen. Die Renaissance rekurrierte noch auf ein Zeitalter, das seit etwa 800 Jahren vorbei war.

Und so ist in einer Zeit, in der angeblich alles individueller wird ((Mode- und Einrichtungsblogs sprechen da eine etwas andere Sprache.)), die Erinnerung an “Dolomiti”, “Yps” und “Raider” (“heißt jetzt ‘Twix'”) das, was die Menschen heimelig zusammenbringt. Die Jeanette-Biedermeier-Epoche.

Um “Wetten dass..?” wird jetzt bis zuletzt ein Gewese gemacht, das die Show selbst seit mindestens zehn Jahren nicht mehr gerechtfertigt hat. Aber so ist das in Deutschland: Wir haben ja kulturell nicht so viel und wenn wir doch mal jemanden haben, werden diejenigen so sehr gefeiert, bis sie niemand mehr ernsthaft ertragen kann. Stichwort: Til Schweiger, Jan Josef Liefers, Helene Fischer, Unheilig. Alle vier sind am Samstag bei der letzten Sendung dabei.

Kategorien
Kultur

The Future is Analogue

Oh, diese böse Postmoderne: Auf Smartphones, den Gerät gewordenen Versprechen der ständigen Erreichbarkeit und Beschleunigung, erfreuen sich Foto-Apps großer Beliebtheit, die digitale Schnappschüsse aussehen lassen wie Analogfotos aus der eigenen Kindheit.

Völlig frei von Apps, Beschleunigung und Postmoderne sind die Fotos, die meine gute Freundin Teresa Stutzinger macht und vom kommenden Sonntag an in der Bochumer Kneipe Ebstein ausstellt.

Die Analogaufnahmen, allesamt unbearbeitet, zeigen Landschaften oder Alltagsdetails, Personen sind meist eher zu erahnen als zu erkennen. Sie sind an “Traumorten” entstanden und erinnern Teresa an schöne Erlebnisse an diesen Orten. Daher auch der Titel der Ausstellung: “Dreaming of Paradise”.

Und tatsächlich haben ihre Fotos etwas traumhaftes, rührendes. Sie strahlen diese natürliche Wärme aus, die auf Digitalfotos meist völlig fehlt. Sie zeigen Blumen, Seifenblasen und Sonnenuntergänge, was natürlich irrsinnig kitschig sein könnte, hier aber wunderbar funktioniert — es sei denn, man findet so einen Einschlag Hippie-Romantik per se doof.

Die Vernissage am Sonntag, 30. Januar 2011 um 15 Uhr wird musikalisch begleitet von den hier im Blog schon gefeierten Polyana Felbel aus Köln.

Dreaming of Paradise
im Ebstein, Bochum
30. Januar – 1. Juni 2011

Kategorien
Kultur

Es gilt das erbrochene Wort

Ich verehre Jochen Malmsheimer seit mehr als einer Dekade. Ich schriebe nicht, wenn er und sein damaliger Tresenlesen-Kollege Frank Goosen mir nicht gezeigt hätten, was man alles Schönes mit der deutschen Sprache anfangen kann (der Rest meines Schreibens stützt sich auf die Gesamtwerke von Benjamin von Stuckrad-Barre, Christian Kracht und natürlich Max Goldt). Deshalb freut es mich besonders, dass Herrn Malmsheimer das gelungen ist, was in unserer beider Heimatstadt Bochum maximal alle zwei Wochen passiert: Er hat einen “Eklat” ausgelöst.

Ort und Grund war die Eröffnung des Zeltfestivals Ruhr, das auch in diesem Jahr wieder hochkarätige Künstler, aber auch Acts wie Ich + Ich, die Simple Minds oder die H-BlockX an den Gestaden des malerischen Kemnader Sees versammelt. Malmsheimer war geladen, ein Grußwort zu sprechen, und er nutzte die Gelegenheit, dass die gesamte Stadtspitze wehrlos vor ihm saß, zu einer “Suada” (“Westdeutsche Allgemeine Zeitung”), um “vom Leder zu ziehen” (ebd.), zu einer “Litanei” (“Ruhr Nachrichten”) und um zu “schocken” (ebd.).

Da ich nicht zu den rund 500 geladenen Würdenträgern aus Politik, Wirtschaft und Kultur gehörte (it’s a long way to the top, even in Bochum), muss ich mich auf die Auszüge aus der elfseitigen Rede verlassen, die die “Ruhr Nachrichten” ins Internet gestellt haben. Diese gefallen mir jedoch außerordentlich.

Zum Beispiel das, was Malmsheimer über das geplante, jedoch nicht vor der Wiederkehr Christi fertiggestellte Bochumer Konzerthaus zu sagen hat:

…dies ist die Stadt, die vollmundig, um nicht zu sagen: großmäulig, die Notwendigkeit zur Installation eines vollkommen unnützen Konzerthauses verkündet, ohne einen Bedarf dafür zu haben und die Kosten des laufenden Betriebes decken zu können, und das alles in einem Kulturraum, der inzwischen über mehr nicht ausgelastete Konzerthäuser verfügt, als er Orchester unterhält, und die das alles dann doch nicht hinkriegt, weil der Regierungspräsident zum Glück solchen und ähnlichen Unfug einer Gemeinde untersagt hat, die ihre Rechnungen in einer Größenordnung im Keller verschlampt, die unsereinen für Jahre in den Knast brächte und die finanziell noch nicht mal in der Lage ist, die Frostschäden des letzten Winters im Straßennetz zu beseitigen…

Den gekürzten Rest gibt’s auf ruhrnachrichten.de.

Malmsheimers Worte jedenfalls verfehlten nicht ihr Ziel. Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz ließ eine erneute Einladung, sich zu blamieren, nicht ungenutzt verfallen, wie die “WAZ” berichtet:

Die Oberbürgermeisterin beschwerte sich bei den Veranstaltern, diese distanzierten sich sogleich von ihrem Gast; in seinem “polarisierenden Vortrag” habe Malmsheimer “für sich selbst gesprochen”.

Das hatte Malmsheimer selbst freilich direkt klargestellt — aber dafür hätte man ihm natürlich zuhören müssen:

Dabei möchte ich gleich zu Beginn darauf hinweisen, dass ich, anders als jene, die vor mir adressierten, ausschließlich für mich selber spreche, eine Fähigkeit, die ich mir unter Mühen antrainierte und die mich eigentlich seitdem hinreichend ausfüllt.

[via Jens]

Kategorien
Musik Kultur

No Use For A Frame

So glamourös, wie man es sich vielleicht vorstellt, ist es es gar nicht, als Fotograf bei Rockkonzerten zu arbeiten: Gewiss, man kommt kostenlos rein, aber man muss auch Bands fotografieren, die man selbst unerträglich findet, und die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich zusehends. Wenn’s besonders schlimm läuft, kommt beides zusammen.

Wir wollen sie also lobpreisen, die Männer und Frauen, die sich mit teurem Equipment in die schmalen Gräben vor der Bühne drängeln, nur durch hüfthohe Gitter getrennt von hysterischen Konzertgängern in den ersten Reihen und jederzeit in Wurfweite exzentrischer Musiker. Ihnen verdanken wir 500-teilige Klickstrecken “So war das bei Prince in der Waldbühne” und manchmal schaffen sie Bilder, die die rohe Energie eines Gigs einfangen und somit selbst zu Klassikern werden.

Rahmenlos 360° (Plakat)Drei dieser Menschen haben jetzt genug Material zusammengetragen, um daraus eine Ausstellung zusammenzustellen: Die “Musikfotografen” Michael Kellenbenz, Juliane Duda und meine gute Freundin Martina Drignat, stellen ab morgen im Hamburger Knust aus.

Der Titel der Ausstellung lautet “Rahmenlos 360°” und ist damit – um mal eine Phrase zu vermeiden – Programm: Statt in Rahmen werden die Bilder nämlich in teils aufwendigen Installationen präsentiert.

Die Ausstellung läuft bis zum 1. November, morgen um 18 Uhr ist feierliche Eröffnung mit Livemusik.

Rahmenlos 360°
im Knust, Hamburg
6. August – 1. November 2010

Kategorien
Rundfunk Kultur

Die Pottheads vom WDR

Am Sonntag ist es endlich soweit: Die A 40 wird zwischen Duisburg und Dortmund gesperrt, um darauf einen riesigen Tisch zu errichten und ein Volksfest zu feiern. Die Idee kann man charmant finden oder bekloppt, aber es wird hoffentlich tolle Bilder geben, die mithelfen, das Image des Ruhrgebiets zu verbessern.

Der Westdeutsche Rundfunk bringt deshalb mehrere Sondersendungen, die er in mehreren Pressemitteilungen vollmundig ankündigt:

Kein Stau, kein Stress, keine Autos – am 18. Juli geht auf der Autobahn A40 alles. Die RUHR 2010 sperrt den so genannten Pott-Highway.

Den was?!

den so genannten Pott-Highway.

Ach was. Und wer nennt den so?

Der Westdeutsche Rundfunk — und zwar offensichtlich nur der Westdeutsche Rundfunk.

Aua.

Kategorien
Leben Kultur

Schwanzvergleich des Tages

Abends an der Theke. Als Rückgeld für das bezahlte Bier gab es unter anderem ein uns völlig unbekanntes 2-Euro-Stück. Wir scherzen. “Haha, das Bild auf der Rückseite sieht ja aus wie ein… Penis.” Großes Gelächter, wir einigen uns darauf, dass dem so sei.

2-Euro-Münze mit Motiv "Idol von Pornos"

Einen Tag später. Aus reiner Neugierde, woher die Münze stammt, einfach mal die allwissende Internetsuchmaschine angeworfen und bei Wikipedia gelandet. Und mit großen Augen und heruntergeklappter Kinnlade auf die Beschreibung starrend. Wie beunruhigend gut diese auf unsere Scherze passte: Die (übrigens zypriotische) Euro-Münze zeigt das sogenannte “Idol von Pornos“…

oder auch nicht. Es ist aber auch hundsgemein, dass die Buchstabenkombination “rn” dem “m” so ähnlich ist…

Kategorien
Musik Kultur

Lokalrunde

Kilians, live in Aktion

War Dinslaken vor den Kilians nur ein Fleck auf der Landkarte, haben die fünf Jungs aus der niederrheinischen Provinz das Städtchen für viele Fans zur deutschen Indie-Hauptstadt gemacht.

So etwas denke ich mir natürlich nicht aus, so etwas zitiere ich.

Oder anders formuliert, für unsere Leser über 50 70:

Heimspiel: Die Musikfachpresse, bundesweit erscheinende Tages- und Wochenzeitungen sowie die Hörer junger Radiowellen sind aus dem Häuschen. Grund sind die Kilians, derzeit Dinslakens populärste Band. Die Jungs haben beim Auftakt zu Kultur 2010 im Januar ein Heimspiel. Die jugendlichen Fans bekommen mehr Show für weniger Geld.

Aber ich fang’ mal besser von vorne an: Im nächsten Jahr, welches in weniger als zwei Wochen beginnt, wird das Ruhrgebiet ja Schauplatz des – so optimistische Schätzungen – größten kulturpolitischen Desasters seit dem Untergang des weströmischen Reichs — Wir sind “Kulturhauptstadt”!

Dass die Verkehrsinfrastruktur ein absolutes Desaster ist und die Verantwortlichen (u.a. Oliver Scheytt, Fritz Pleitgen und Dieter Gorny) schon seit Jahren den Eindruck vermitteln, als seien sie nicht nur Willens, sondern auch in der Lage, das ganze Großprojekt mit Pauken, Trompeten, wehenden Fahnen und Vollgas vor die Wand zu fahren, soll niemanden weiter stören. Im Ruhrgebiet sind wir es gewohnt, aus allem das Beste zu machen. Und wer den Niedergang der Montanindustrie überlebt, wird auch mit Dieter Gorny fertig.

Obwohl Essen es noch nicht ganz verstanden hat, ist übrigens das ganze Ruhrgebiet “Kulturhauptstadt”. In den 52 Wochen des Jahres sind 52 Städte sogenannter “Local Hero” — und mit welcher Stadt es losgeht, das erraten Sie nie!

Richtig.

Eine Woche lang gibt es Kulturevents am laufenden Band. Höhepunkt für Rockmusikinteressierte dürfte ohne Zweifel das Konzert am Freitag, 15. Januar sein:

In der Kathrin-Türks-Halle (in Dinslaken nur als “Stadthalle” bekannt) werden die Kilians, Dinslakens erfolgreichster Exportschlager außerhalb der Schlager-Branche, eines ihrer wenigen Konzerte des Jahres 2010 spielen. Als Vorbands spielen zwei weitere Bands, die gerade dabei sind, den Ruf Dinslakens als deutsches Omaha bzw. Borlänge in die Welt zu tragen: The Rumours und Cama Maya.

Hold your breath:

Entgegen der Ankündigung im Vorfeld sind Korrekturen an der Planung vorgenommen worden, die jugendliche Musikfreunde zufrieden quittieren dürften.

Und während Sie sich noch fragen, ob das Gekreische bei Konzerten dann als “Quittungston” durchgeht, bin ich schon bei den key facts:

Kilians, The Rumours & Cama Maya
15. Januar 2010, 19:30 Uhr
Stadthalle Dinslaken
Eintritt: 15 Euro
All Ages

Um das alles noch ein bisschen schöner zu machen, verlost Coffee And TV mit freundlicher Unterstützung von Liftboy 2×2 Gästelistenplätze für das Konzert.

Beantworten Sie einfach die Quizfrage:
Wie heißt der aktuelle Bürgermeister von Dinslaken?

Die Gewinner werden unter all denen gezogen, die die richtige Antwort bis zum 10. Januar 2010, 23:59:59, an gewinnegewinnegewinne@coffeeandtv.de schicken.

Die Gewinner werden am 11. Januar benachrichtigt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Kategorien
Gesellschaft Kultur

Alles ist Material

Der Künstler Nasan Tur hat eines der außergewöhnlichsten Bücher erstellt, das ich über Street Art im weitesten Sinne kenne: Für “Stuttgart says…” hat er Graffiti nicht abfotografiert, sondern abgeschrieben. Der Medienwechsel wirkt Wunder und verleiht den mutmaßlich eher hässlichen Sprayereien plötzlich den Anschein von absoluter Poesie.

Hier einige Beispiele:

Dein ICH muss deinem Selbst weichen,
Christus ist immer noch im werden!

Geistkrank

I LIKE!

liebe RAF,
ihr habt euch viele neue Freunde gemacht!

Mama ficker

Lan was geht?

Erstaunlich, wie bedeutungsschwer solche Zitate wirken, wenn man sie völlig aus ihrem Kontext herauslöst.

An Turs Buch musste ich denken, als ich heute an einem Haus in meiner Noch-Nachbarschaft vorbeikam. Schon vor Jahren hatte dort jemand, der mutmaßlich noch relativ jung und sehr ungeübt im Umgang mit Spraydosen war, einen … nun ja: Satz an die Wand gesprayt, dem der Linguist in mir stets mit großer Begeisterung begegnet war:

ANNA IST HURE

Dieses Zitat wirft die berechtigte Frage auf, warum wir uns in der deutschen Sprache überhaupt mit Artikeln aufhalten, die schon viele Muttersprachler vor Herausforderungen stellen und das Erlernen des Deutschen für Ausländer unnötig erschweren. Man könnte doch einigermaßen gut auf den Gebrauch von Artikeln verzichten, so wie sich junge Menschen schon seit längerem Präpositionen sparen — auch bei “Bin Engelbertbrunnen” oder “Gehst Du Uni-Center?” weiß jeder, was gemeint ist.

Seit einigen Wochen jedenfalls ist das Haus, an dem der oben genannte Spruch steht, um einige schlechte Graffiti reicher. Darunter eines, das die Geschwindigkeit des Sprachwandels und den Fortschritt der Gleichberechtigung gleichermaßen dokumentiert:

PAUL IS HURE

Und jetzt sagen Sie bitte nicht: “So ein Quatsch — Paul is dead, wenn überhaupt!”

Kategorien
Kultur

The Post-It-Service

Echte Puristen notieren sich auf Post-Its wichtige Dinge, andere wiederum machen daraus etwas Künstlerisches. So auch Bang-yao Liu. Und ich kann die werte Leserschaft beruhigen: Der Mann im Video hat keine wichtige Prüfung vor sich hergeschoben.

Hier klicken, um den Inhalt von YouTube anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.

Und wer sehen will, wie viel Arbeit in dem Clip steckt, der sollte sich das Making Of zu Gemüte führen.

Kategorien
Kultur

Kunst im Alltag: Tastaturreinigung

ccy<<<< iolplöüöää+##´ß0ßü0980ß098o0po9z6i8u765467543rtewdfbgfdbgfvcxcyxcsaqsqwwas qdfsaaaaaaaasdsdfghjgfcvbhjklöpoiopü+üä+###ä,